Etablierung literaturbezogener Gesprächskultur im Deutschunterricht. Longitudinalstudie in einer siebten Klasse (elften Schulstufe) eines Gymnasiums

Gernot Knittelfelder

 

Aus didaktischer wie auch pädagogischer Sicht spricht viel für die Annahme, dass „Gespräche über Literatur […] wichtig und bereichernd [sind]“ (Odendahl 2021: o.S.) – besonders solche, die dem ästhetischen Wert von Literatur gerecht zu werden versuchen, indem sie sich etwa um „Freiheit und Offenheit“ (Steinbrenner/Wiprächtiger-Geppert 2010: 10) bemühen und Räume für „subjektive Lektüreerfahrungen“ (Spinner 2014: 127) schaffen. Genau diese Prämissen sind als konstitutive Säulen des Heidelberger Modells des Literarischen Unterrichtsgesprächs (vgl. Härle/Steinbrenner 2010) anzusehen – eines der ästhetischen Erfahrung verpflichteten Gesprächsverfahrens, das im literaturdidaktischen Diskurs der letzten beiden Jahrzehnte zwar eine breite Rezeption erfahren hat, dessen „Konzeptionalisierung […] [allerdings, G.K.] noch lange nicht abgeschlossen ist“ (Olsen 2011: 173) – u.a. aufgrund „mangelnde[r] Kenntnis der Bedingungen und Mechanismen unterrichtlicher Kommunikation“ sowie eines bislang ausgebliebenen Austausches zwischen „Gesprächsforschung und Gesprächsdidaktik“ (ebd.). Trotz anhaltender Forschung (vgl. Heizmann/Mayer/Steinbrenner 2020) sind bis heute Desiderate zu verzeichnen, die letztlich wohl auch mit der Herausforderung zusammenhängen dürften, „‚Untersuchungen zu den Wirkungen des Literaturunterrichts in der gymnasialen Oberstufe‘“ (Fritzsche 2004; zit. in Bräuer 2011: 76) in einer Form durchzuführen, bei der Literaturdidaktik und Gesprächsforschung konsequent ineinandergreifen; an einer Längsschnittstudie in dieser Hinsicht fehlt es überhaupt.

Im anvisierten Dissertationsprojekt soll diese Forschungslücke ins Auge gefasst werden: In einer siebten Klasse einer gymnasialen Oberstufe (elften Schulstufe) wird es gelten, in regelmäßigen Abständen Literarische Gespräche nach dem Heidelberger Modell ein Schuljahr lang im Deutschunterricht stattfinden zu lassen, d.h. als gemeinsam hergestellte, spezifische Praktik der literarischen Textinterpretation zu ‚etablieren‘. Diese Gespräche werden videografiert, bevor relevante Stellen im Zuge der Datenaufbereitung multimodal, d.h. sämtliche kommunikative Ressourcen berücksichtigend, nach den Konventionen von GAT2 transkribiert und schließlich im Hinblick auf Interpretations- und andere Aushandlungspraktiken analysiert werden. Ein Expert:innenrating (vgl. Steinmetz 2019) sowie Expert:innenkommentierungen sollen schließlich helfen, einerseits Schüler:innenäußerungen, andererseits Potenziale und Herausforderungen der zu besprechenden literarischen Texte einzuordnen, sodass sich neben einer zunächst deskriptiven Perspektive, bezogen auf erwartbare Verschiebungen im Miteinander- und Über-einen-literarischen-Text-Reden, ein zweiter, nämlich diese Veränderungen evaluierender, Blickwinkel zu eröffnen vermag. Eingearbeitet werden auch zu Beginn und am Ende der Studie mithilfe eines Fragebogens gewonnene Informationen der Lernenden bezüglich ihrer eigenen Einschätzungen zum Lernfeld Literatur (in der Schule) und zu ihrer persönlichen Wahrnehmung von Lernprozessen. Sämtliche methodische Zugänge sollen insofern zusammenlaufen, als aus ihnen bestenfalls didaktische Implikationen abgeleitet werden können. Die Studie soll von ihrer Konzeption her nicht nur einen Beitrag zur deutschdidaktischen Grundlagenforschung liefern, sondern auch Anstöße für theoretische Modellierungen und weitere empirische Untersuchungen geben.

 

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