Newsletter Nr. 40/2025 des Forschungsinstituts Brenner-Archiv
Ins Bild gerückt
„Das winzige rechteckige Stück Papier verbindet“
Briefmarken von Friedensreich Hundertwasser zum 35jährigen Jubiläum der Erklärung der Menschenrechte
auf einer Postkarte von 1983 an Kristian Sotriffer

Der Nachlass von Kristian Sotriffer (1932-2002), Kunstkritiker der österreichischen Tageszeitung Die Presse, beherbergt eine reichhaltige Fundgrube von Korrespondenzen mit namhaften Künstlerinnen und Künstlern, die er über Jahrzehnte im Kunstgeschehen Österreichs nach 1945 beobachtet und mit Presse- und Katalogbeiträgen begleitet hatte.
1983 erhielt Sotriffer eine Ansichtskarte von Friedensreich Hundertwasser: „viele Grüße aus New York mit meinen Marken Ihr Hundertwasser“. Auf der Vorderseite der Ansichtskarte ist das UNO-Hauptquartier in New York abgebildet. Die Adresse des Absenders lautet Opua P.O. Bay of Islands, New Zealand, lebte der Künstler zu dieser Zeit schließlich den Großteil des Jahres im neuseeländischen Küstenort Opua. Nach New York kam Hundertwasser wohl anlässlich der Präsentation „seiner“ Briefmarken. Die Postverwaltung unter UNO-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar hatte Hundertwasser eingeladen, zum 35jährigen Jubiläum der Erklärung der Menschenrechte 1948 eine Serie von Sondermarken zu gestalten. Es wurden sechs Briefmarken, die Hundertwasser in der Österreichischen Staatsdruckerei von Wolfgang Seidel herstellen ließ.
Das Erscheinen seiner 6 Briefmarken hat der Künstler mit dem poetischen Text „Zur Briefmarke“ kommentiert. Darin heißt es:

Eine Briefmarke ist eine wichtige Sache.
Obwohl sie im Format sehr klein ist,
trägt sie eine Botschaft.
Briefmarken sind der Maßstab der Kultur eines Landes.
Das winzige rechteckige Stück Papier verbindet
die Herzen von Sender und Empfänger.
Sie ist eine Brücke zwischen Völkern und Ländern.
Die Briefmarke kennt keine Grenzen.
sie erreicht uns auch in Gefängnissen, Asylen und
Krankenhäusern, wo auch immer wir auf der Erde sind.[1]
Drei der bunten, stilistisch unverkennbaren Hundertwasser-Sondermarken finden sich auf der Karte an Kristian Sotriffer. Sie führen den Begriff "Menschenrechte" in den drei Sprachen Englisch, Französisch und Deutsch und sind jeweils untertitelt: "Droit de Creer", (1.v. li.) verweist auf das Recht auf Schöpfung und Nahrung, "Die zweite Haut" (2. v. li.) meint das Recht auf freie, nicht uniformierte Kleidung und "Window Right" (1. v. re.), ist das "Fensterrecht" jedes Menschen auf Wohnen und freie Gestaltung.[2]
Hundertwasser klebte eine weitere Briefmarke auf die Karte, vielleicht um den Kontext der Vereinten Nationen, der Friedensbewegungen und Menschenrechte zu betonen: Sie zeigt einen Ausschnitt der beiden monumentalen Wandgemälde "War and Peace" im Gebäude der Generalversammlung, das vom brasilianischen Künstler Candido Portinari in den Jahren 1952 bis 1956 ausgeführt wurde und ein Geschenk Brasiliens an die Vereinten Nationen war.
Zum Oeuvre Friedensreich Hundertwassers zählen nicht nur zahlreiche Briefmarken wie jene hier zu den Menschenrechten, sondern auch Architektur, Landart, Texte und viele Formen von Gebrauchs- bzw. angewandter Kunst. Darüber hinaus sind auch Hundertwassers aktive Teilhabe und Gestaltung von Plakaten zu erwähnen, die er u. a. für den Umweltschutz und die Friedensbewegung gestaltet hat, 1982 beispielsweise das Plakat "Künstler für den Frieden" anlässlich einer Demonstration und eines Benefiz-Konzerts gegen die Stationierung von Pershing-2-Raketen und Cruise Missiles in Mitteleuropa, oder auch 1984 zu den Protesten in Hainburg ein Plakat mit dem Titel "Die freie Natur ist unsere Freiheit". Mit seinem phantasiereichen, unverkennbaren Stil und seinen Botschaften wurde der Name Hundertwasser zum Inbegriff alternativer Lebensentwürfe und gesellschaftlicher Gestaltung.
Sotriffer stand der Kunst von Friedensreich Hundertwasser und seiner großen Popularität skeptisch gegenüber. Bereits 1965 schrieb er anlässlich der Ausstellung Hundertwassers im Museum des 20. Jahrhunderts in Wien in der Presse, dass seine Bilder "hübsch sind und vergnüglich anzusehen, dass ihre Buntheit freundlich stimmt (…)."[3] Hundertwassers Malerei gleiche "einer liebenswürdig-unproblematischen Randkunst, die von Wien bis Tokio verstanden und akzeptiert wird, weil sie eben niemanden überfordert."[4] Sotriffer blieb dem Künstler gegenüber kritisch, auch in den Jahren, in denen Hundertwasser populär und erfolgreich war und als Vertreter der Ökologiebewegung avancierte. Im Nachruf auf Hundertwasser im Jahr 2000 spricht Sotriffer neben würdigenden Worten davon, dass Hundertwasser zwar den Mark, das Marktgängige nicht liebte, "und dennoch hat er sich ihm in mehrfacher Hinsicht unterworfen: ein Zerrissener (…). Er mußte es zulassen – und hat es gefördert -, dass seine Philosophie (…) zu einer Art Beglückungswahn ausartete. Insofern war Hundertwasser ein tragischer Held."[5]
Im Nachlass von Sotriffer hat sich ein weiteres Korrespondenzstück[6] von Hundertwasser erhalten, das dennoch auf einen losen freundschaftlichen Kontakt hindeutet. Im Jänner 1982 lädt Hundertwasser den Doyen der österreichischen Kunstkritik zu einem Neujahrscocktail für Freunde in eine Dorfschenke in Neustift am Walde bei Wien ein. Vielleicht nahm Sotriffer die Einladung an und vielleicht ist der Hundertwasser Kartengruß mit den preisgekrönten Marken[7] aus New York ein Nachklang zu dieser Begegnung.
Christine Riccabona
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Anmerkungen
Abbildungen: Forschungsinstitut Brenner-Archiv, Nachlass Kristian Sotriffer, Sign. 207-14-11.
Das Bestandsverzeichnis des Nachlasses Kristian Sotriffer
Kristian Sotriffer im Lexikon LiteraturTirol
[1] https://hundertwasser.com/texte/on_postage_stamps
[2] Vgl.: https://hundertwasser.com/kunst/angewandte_kunst
[3] Kristian Sotriffer: Ein Geschenk für Österreich? Zur Ausstellung Fritz Hundertwassers im Museum des 20. Jahrhunderts. In: Die Presse, 24.2.1965, o.p., Nachlass Sotriffer, Kunstkritiken, Sign 207-4.
[4] Ebenda.
[5] Kristian Sotriffer: Der dunkelbunte Held, Weltverschönerer Hundertwasser ist tot. In: Die Presse, o.D., Nachlass Sotriffer, Sammlung Kunstkritiken, Sign. 207-10.
[6] Nachlass Kristian Sotriffer, Sign. 207-14-11.
[7] Die Briefmarke der UNO Genf wurde mit dem "Premio Internazionale Asiagio d Àrte Filatelica" als schönste Briefmarke der Welt mit der Goldmedaille ausgezeichnet. (vgl. https://hundertwasser.com/angewandte-kunst/848_b_apa214_right_to_create_1836)