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„Das Vergangene ist nicht tot; es ist nicht einmal vergangen.“

[25.04.2023] Ein Rückblick auf die Entstehung der Dissertation Literarische Raumbeschreibungen im Werk von Sabine Gruber und ihre Kontextualisierung durch die Literaturkritik.

Im März 2022 ist im Rahmen des Formates Junge Forschung ein Beitrag über mein inzwischen abgeschlossenes Dissertationsprojekt Literarische Raumbeschreibungen im Werk von Sabine Gruber und ihre Kontextualisierung durch die Literaturkritik erschienen. Jetzt erfolgt ein Blick zurück, aber auch nach vorn: Was waren wichtige Entstehungskontexte der Arbeit? Und ist diese wirklich endgültig abgeschlossen?

Skizzierung der Forschungsergebnisse

Da das Dissertationsprojekt Anfang 2022 schon sehr weit fortgeschritten war, können in dem bereits erwähnten Beitrag nicht nur Fragestellungen und Herangehensweisen, sondern auch wichtige Analyseergebnisse nachgelesen werden, weshalb sie an dieser Stelle nicht erneut en détail zu finden sind. Stattdessen möchte ich die Forschungsergebnisse nur knapp skizzieren, um dann auf zentrale Entstehungskontexte und -prozesse der Arbeit überzuleiten.

Über die zentralen Resultate der Analysen rund um die drei Romane Aushäusige (1996), Stillbach oder Die Sehnsucht (2011) und Daldossi oder Das Leben des Augenblicks (2016) von Sabine Gruber und ihre Wahrnehmung durch die Literaturkritik lässt sich in aller Kürze festhalten: Der literarische Raum resultiert in diesen Romanen Grubers aus einer Kombination und Überblendung verschiedener Orte, Zeitebenen und Figurenwahrnehmungen. Die Protagonist*innen bewegen sich in der erzählten Zeit transnational (insbesondere zwischen Italien und Österreich), durch Erinnerungsprozesse und historische Ereignisse wechseln sie von der Gegenwart in die Vergangenheit (auf der Erzählebene lassen sich deshalb viele Rückblenden erkennen) und da in den Romanen die Erzählperspektive zwischen mindestens zwei Figuren changiert, werden Ereignisse und Orte aus mehreren Blickwinkeln beschrieben. Eine eng gefasste Einordung der Werke – zum Beispiel unter das ‚Label‘ „Südtiroler Literatur“ – ist ob dieser Verknüpfungen, aber auch aufgrund der heterogenen intertextuellen und intermedialen Bezüge in den Romanen nicht möglich. Dies bestätigt auch der Blick auf die Rezensionen, in denen entsprechende Etikettierungen nur selten – und wenn dann des Öfteren mit Einschränkungen – zu finden sind. Was die Literaturkritik stattdessen auffallend häufig macht: Sie erweitert die intertextuellen und intermedialen Verweise, indem sie nicht nur auf Werke Bezug nimmt, die in den Romanen erwähnt werden, sondern auch eigene Bezüge zur Weltliteratur herstellt und des Weiteren die Poetologie Grubers sehr oft mit Filmmetaphern beschreibt.

(Interdisziplinäre) Verknüpfungen während des Entstehungsprozesses

Es sind diese vielfältigen Querverweise und Verflechtungen, die nicht nur in der Dissertation eine Rolle spielen, sondern auch für deren Entstehung relevant sind – und die sich auch nach Abgabe der schriftlichen Arbeit und nach Abschluss des Doktorates fortgesetzt haben beziehungsweise fortsetzen. Als wichtiger Inputgeber ist in diesem Zusammenhang das Doktoratskolleg Austrian Studies zu nennen. Die Exkursion nach Belgrad, Sarajevo und Zagreb vom 28. September bis zum 5. Oktober 2019 ermöglichte es mir, Eindrücke von Orten und deren Geschichte zu erhalten, die in Sabine Grubers Romanen Aushäusige und Daldossi oder Das Leben des Augenblicks im Zusammenhang mit den Themen Kriegsjournalismus und -fotografie erwähnt werden und eine wichtige Rolle spielen. Einblicke in die bosnische Literatur zeigten Parallelen und Unterschiede zu meinem Thema auf und bereicherten dieses in intertextueller Hinsicht. Bei einem literarischen Stadtrundgang in Sarajevo mit Damir Ovčina ließen sich die Spuren des Bosnienkrieges in den 1990er-Jahren unter anderem durch die Einschusslöcher an einigen Fassaden der Stadt immer noch erkennen. Dass Vergangenes nicht vergangen, sondern Teil der Gegenwart ist, wussten nicht nur William Faulkner und Christa Wolf, dieses ‚Motto‘ ist auch zentral für Grubers Roman Stillbach oder Die Sehnsucht. Städte (in Stillbach ist es Rom) ‚konservieren‘ diese Vergangenheit, sie sind – um mit Aleida Assmann zu argumentieren – ein Palimpsest, in dem unterschiedliche Schichten der Vergangenheit sichtbar bleiben. In Sarajevo ist dies ebenfalls gut erkennbar, auf relativ kleinem Raum befinden sich hier mehrere Kulturen, Religionen, Zeitebenen und architektonische Stile nebeneinander. Wobei es sich dabei nur um die direkt sichtbaren Spuren handelt: Dass die Vergangenheit auf viele Bereiche Auswirkungen hat, zum Beispiel auf die Kultur oder auf die Politik, lässt sich in Bosnien-Herzegowina ebenfalls nachvollziehen. Doch nicht nur das Programm dieser Exkursion, auch weitere Veranstaltungen und Lektüren im Rahmen des DKs waren für meinen Forschungsprozess hilfreich. So stellte der Historiker Johannes Feichtinger 2019 das kulturwissenschaftliche Konzept der Ähnlichkeit vor und die Lesung von Sabine Scholl im Rahmen der Klausur in Maria Waldrast am 21. Oktober 2022 sowie ihr Essay Lebendiges Erinnern. Wie Geschichte in Literatur verwandelt wird (2021) brachten mich auf das Stichwort „Postmemory“ der Literaturwissenschaftlerin Marianne Hirsch. Da das Doktoratskolleg Austrian Studies interdisziplinär ausgerichtet ist, ergaben sich immer wieder Möglichkeiten, über die eigenen Fachgrenzen hinaus forschungsrelevante Verknüpfungen herzustellen, und zwar auch durch Gespräche mit Kollegiat*innen. So wurde mir durch das FWF-Projekt The demise of „Little Europe“: Assimilation and cultural landscape in North-East Italy der Geografinnen und Kollegiatinnen Leonie Hasenauer und Anna-Maria Plautz – geleitet wurde das Projekt von Ernst Steinicke – einmal mehr bewusst, dass Südtirol nicht die einzige historisch mehrsprachige Region in Italien ist. Neben ähnlichen (historischen) Entwicklungen (zum Beispiel in Form der Option, von der nicht nur die Südtiroler Bevölkerung, sondern unter anderem auch jene des Kanaltals betroffen war), sehen sich diese Regionen jeweils eigenen Gegebenheiten und Herausforderungen gegenüber.

Gegenwart und Ausblick

All diese Gespräche und Veranstaltungen im DK Austrian Studies haben den eigenen Blickwinkel bereichert und Eingang in meine Dissertation gefunden. Dadurch wurden die ‚Durststrecken‘, die bei einer Arbeit dieses Umfangs nicht ausbleiben, inspirativ überbrückt. Auch nach Abgabe der schriftlichen Fassung haben mich noch Anmerkungen erreicht (zum Beispiel in Form der zwei Gutachten), die in der geplanten Publikation Berücksichtigung finden werden (unter anderem der explizite Hinweis auf die lange Tradition der literarischen Venedigbeschreibungen vor dem Hintergrund von Sabine Grubers Roman Aushäusige). Auch hier lebt also die Vergangenheit fort: Die Dissertation ist zwar abgeschlossen, die Forschungstätigkeit rund um dieses und andere Themen aber noch lange nicht. Gegenwärtig ist es aber vordringlich, dass ich mich bei Frau Renate Giacomuzzi und Frau Sieglinde Klettenhammer für die Betreuung der Arbeit bedanke sowie bei meinen Kolleg*innen und den Faculty Members für die Zeit im Doktoratskolleg Austrian Studies – insbesondere bei der Kollegiatin und Germanistin Anna-Rebecca Nowicki, die den Entstehungsprozess der Dissertation mit wertvollen Anmerkungen begleitet hat.

Links

Beitrag in Junge Forschung: https://www.uibk.ac.at/fsp-kultur/nachwuchs/texte/mitterhofer-literarische-raumdarstellungen.html (23.04.2023).

Doktoratskolleg Austrian Studies: https://www.uibk.ac.at/dk-austrianstudies/ (23.04.2023).

(Angelika Mitterhofer)


Biografische Notiz

Angelika Mitterhofer hat in Innsbruck Germanistik studiert und das Studium im Februar 2023 mit der Dissertation Literarische Raumbeschreibungen im Werk von Sabine Gruber und ihre Kontextualisierung durch die Literaturkritik abgeschlossen. Während der Zeit ihres Doktorats war sie Kollegiatin des Doktoratskollegs Austrian Studies.


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