... alle Indivi­duen auf das Genaue­ste über­wacht ...

Im Jahr 1828 wurden gegen den Professor für Philosophie Johann Niederstetter sowie einige seiner Studenten polizeiliche Ermittlungen aufgenommen. Dem Professor wurde vorgeworfen, mit seinen Studenten Texte erotischen Inhalts gelesen sowie ihnen staats- und religionsfeindliche Lehren näher gebracht zu haben.
Symbolbild Professoren
Bild: Symbolbild Professoren. Montage (von links): Rektorsgemälde Hieronymus Leopold Bacchettoni (18. Jh.), Büste von Franz Xaver Jellenz (18. Jh.), Prof. Carl Heider (Ferdinadeum Sign. FB16339–013). (Credit: Universität Innsbruck/Ferdinandeum)

Tiroler Landesarchiv, Jüngeres Gubernium, Geheime Präsidiale, Serie I. Signatur XXIII 23, Irreligiöse Studenten.Transkription:

Auf ein Präsidial-Bericht vom 23ten Jänner v[origen] J[ahres] dessen Beilagen in der Anlage zurückfolgen ist folgende allerhöchste Entschließung vom 14. Jänner d[ieses] J[ahres] herabgelangt:

„Ich habe sehr mißfällig ersehen, daß sowohl in dem Konvikte des Stiftes Wilten als an den höheren Lehranstalt zu Innsbruck unter Gymnasialisten und Akademikern eine auffallende Gleichgültigkeit gegen den Religions-Unterricht, die verderblichsten Grundsätze und Irrlehren, und ein crasser Unglauben mit dem Bestreben, dieses größte Uibel, das an einer öffentlichen Lehranstalt statt finden kann, mündlich und schriftlich unter den Mitschülern weiter zu verbreiten seit längerer Zeit bestand, ohne daß von Seite derjenigen, welchen es oblag die vorschriftsmäßigen Maßregeln ergriffen wurden, einem so großen Uibelstand Schranken zu setzen und ihn gänzlich zu beseitigen, ja daß selbst nachdem die Sache zur Verhandlung bei dem Gubernium gebracht worden war, gegen den klaren Sinn der bezüglich der öffentlichen Gast- und Kaffeehäuser für Studierende bestehenden Vorschriften mit Präsidialdekret vom 10. Dezember 1827 die vage[?], und eigentlich Hände bindende Weisung an die Studien-Direktoren zu Innsbruck erlassen wurde, das Augenmerk wenigstens dahin zu richten, damit von Seite der Studierenden der Besuch der Bier-, Wein- und Kafeehäuser nicht zur Gewohnheit werde. Ich mache die Studienkommission dafür verantwortlich, unablässig darüber zu wachen, daß an den Lehranstalten Tirols die bestehenden Vorschriften auf das genaueste befolgt werden, und ist dem Gubernium insbesondere aufzutragen, daß alle Individuen welche nach den geführten Verhandlungen verdächtig erscheinen, auf das genaueste überwacht werden und daß gegen jene, welche aus diesen oder aus den übrigen Studierenden sich etwas vorschriftswidriges, vorzüglich in sittlicher oder religiöser Hinsicht zu Schulden kommen lassen, ohne weiters nach der Strenge der Verordnungen vorgegangen werde, daß die Religionslehrer der Studierenden gehörig überwacht und wenn sie oder andere als nicht geeignet befunden werden, welche Mir dann gutächtlich zu unterlegen ist; daß es dem Professor Niederstätter strenge und auf der Androhung der Entlassung, wenn er in seinem Fehler beharrt, verwiesen werde, daß er statt Philologie vorzutragen, in fremde Lehrzweige ausschweife, seinen Schülern die Systeme aller alten und einiger neuen Philosophen erläuterte und so unvermeidlich zu Mißverständnißen die Veranlassung gab die Köpfe der Jugend verwirrte und auf Abwege leitete; daß er gegen die Klugheits-Regeln solche Stücke aus Schriftstellern zur Vorlesung und Erläuterung wählte, welche für die Jugend nicht gehören, und sie dabey zugleich Autoren aufmerksam machte, welche ihnen unbekannt bleiben sollten.

Das Gubernium hat diesen Professor stets auf das strengste überwachen zu lassen, und wenn er in seinem bisherigen Benehmen fortfahre oder sonst etwas vorschriftswidriges sich zu Schulden kommen lassen sollte, sogleich hierüber die Anzeige zu machen, in jedem Fall aber nach einem Jahre Bericht zu erstatten, wie er sich inzwischen in jeder Hinsicht benehme. Übrigens ist von ihm noch die Erklärung abzufordern und Mir gutächtlich zu unterlegen: woher er die Werke Rousseau’s, aus deren zweyten Bande er seiner eigenen Angabe nach, die zwey Aufsätze entnahm, welche er den Schülern vorlas, bekam?

Das Gubernium hat diese allerhöchste Entschließung aufs genaueste zu befolgen, alle nöthigen Vorkehrungen zu treffen und die vom Professor Niederstätter abzufordernde Erklärung mit dem allerhöchst anbefohlenen Gutachten binnen 4 Wochen anher zu senden, um dieselbe S. Majestät ehrerbietigst unterlegen zu können.

Mittwrosky

Von der k.k. Studien Hofkommission
Wien am 24. Jänner 1829

Freyhr. Cazan

Tiroler Landesarchiv, Jüngeres Gubernium, Geheime Präsidiale, Serie I. Signatur XXIII 23, Irreligiöse Studenten. 

Im Jahr 1828 kam es zu einer polizeilichen Untersuchung gegen den Professor für Philosophie Johann Niederstetter. Die Anklage gegen ihn lautete, er habe in seinen Vorlesungen Dogmen der katholischen Kirche in Frage gestellt und beispielsweise auf „die Schwierigkeiten in der Auferstehungslehre“ hingewiesen aber auch „aus den Klassikern Stücke erotischen Inhalts zur Erklärung gewählt und selbst über die österreichische Regierung seine Unzufriedenheit geäußert“. Ins Rollen war diese Untersuchung gekommen, weil bei einem Studenten, der als Zögling des Stifts Wilten die philosophischen Kurse an der Universität besuchte, Briefe abgefangen wurden, in denen der Professor als „Naturphilosoph“ bezeichnet wurde und in denen die Studenten gleichzeitig Zweifel an ihrem Glauben geäußert hatten.

In der Folge wurden sowohl Niederstetter als auch zahlreiche Studenten von der Polizeibehörde sowie vom bischöflichen Ordinariat in Brixen verhört und Nachforschungen angestellt. Während die Polizei in Innsbruck die Vorwürfe für übertrieben und nicht gerechtfertigt ansah, witterte das bischöfliche Ordinariat einen gefährlichen Irrglauben unter den Studenten in Innsbruck und sah in Niederstetter eine wesentliche Ursache dafür. Wenngleich Niederstetter letztendlich keine eindeutige Verfehlung nachgewiesen werden konnte, so wurde er schließlich – wohl auch um ihn aus der Schussbahn zu nehmen – an die Universitätsbibliothek in Wien versetzt: Dort hatte er keinen direkten Kontakt zu Studenten und stellte somit keine Gefahr mehr dar, und dennoch konnte der Staat seine Fähigkeiten ausnutzen.

Die Quelle zeigt, wie sehr die staatlichen und kirchlichen Behörden die Universitäten in der Zeit des Vormärz überwachten und argwöhnisch darauf blickten, dass den Studenten keine die kirchlichen Dogmen und die staatlichen Autoritäten infrage stellenden Lehren vermittelt wurden. Auch der Besuch von Gasthäusern sollte so weit als möglich eingeschränkt werden, da diese als Hort von unsittlichen Handlungen galten. Die Untersuchung verdeutlicht auch, wie vielfältig die Überwachungs­methoden der Behörden waren und wie rasch auch nur das kleinste Vergehen sofort geahndet wurde.

​(Christof Aichner)

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