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SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 3
Kapitel 3 beginnt (→ Sachenrecht: Besitz, Eigentum, Innehabung) mit alten Rechtskategorien: Besitz, Innehabung, Eigentum, wobei Innehabung und Besitz – als faktische Vorstufen des Rechts – wesentlich älter sind als das (Privat)Eigentum. Das gibt die Möglichkeit, die privatrechtlich wie anderweitig bedeutsame Funktion des Besitzes eingehend darzustellen. Der Besitz wird traditionellerweise im Kontext des Sachenrechts behandelt, obwohl er heute nicht als Recht, sondern bloß als rechtlich geschütztes Faktum verstanden wird; anders noch das ABGB in § 308 (→ Besitz: Tatsache oder Recht?). – Daran schließen weitere alte Rechtsschichten: die Realkontrakte – Darlehen (→ Darlehen und Kredit), Leihe (→ Die Leihe), Verwahrung samt Gastwirtehaftung (→ Verwahrung und Gastwirtehaftung); und zuletzt wird auf die Schenkung (→ Schenkung und Gläubigeranfechtung) eingegangen, die zwar kein Realkontrakt ist, aber rechtsgeschichtlich ebenfalls alt und bedeutsam ist, weil sie die Keimzelle nicht nur der unentgeltlichen, sondern auch der entgeltlichen – und damit der – Verträge ist.
Überblick
A. Sachenrecht: Besitz, Eigentum, Innehabung
I. Die Funktion des Besitzes
1. Zum Besitzbegriff
Der Begriff des Besitzes erscheint zunächst klar und unproblematisch. Man glaubt zu wissen, was gemeint ist. Bei näherem Hinsehen bemerkt man jedoch, dass er Probleme birgt und keineswegs so einfach zu verstehen und zu erklären ist, wie dies zunächst scheint. Schon die einfache Frage, wozu er rechtlich dient und worin der tiefere Sinn seiner Unterscheidung vom Eigentum liegt, bereitet – nicht nur Anfängern – Schwierigkeiten. Die juristische Bedeutung des Besitzes zeigt sich auch darin, dass ihn das ABGB ausführlich regelt; §§ 309–352 ABGB sowie weitere Bestimmungen: etwa §§ 372 ff ABGB.
Juristische Bedeutung des Besitzes
Auch für den Besitz gilt: seine rechtliche Ausformung deckt sich in manchem Punkt nicht mit dem Rechtsgefühl des Volkes, das – wie ein Gschnitzerzitat in der Folge deutlich macht – nicht zwischen Besitz und Eigentum unterscheidet. Das erklärt sich auch daraus, dass unser heutiges Verständnis des Besitzes, wie das vorangestellte Motto von Schey / Klang zeigt, eine Mischung aus römischem, germanischem und naturrechtlichem Denken ist. – Gschnitzer, Sachenrecht 4 (1968):
Rechtsgefühl des Volkes
„Der Laie sagt mit Vorliebe Besitz und meint Eigentum: Haus- und Grundbesitz, sein Besitz, besitzende und besitzlose Volksklassen. – Der Jurist unterscheidet: Besitz, die tatsächliche Macht, und Eigentum, die rechtliche Herrschaft [über eine Sache]. Zwar entspricht es der rechtlichen Ordnung und dem normalen Zustand, dass tatsächliche Macht und rechtliche Herrschaft in einer Hand sind, der Besitzer auch Eigentümer, der Eigentümer auch Besitzer ist. Doch kann beides auseinanderfallen: der Dieb hat Besitz, nicht Eigentum; der Bestohlene Eigentum, nicht Besitz.”
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2. Besitz: Faktischer Sockel des Sachenrechts
Der Besitz ist – bildlich gesprochen – der faktische Sockel des Sachenrechts; aber wie wir sehen werden, nicht nur des Sachenrechts. Er ist – wo immer er auftritt – Schnittstelle zwischen der Welt der Fakten und der Welt des Rechts. Auf dem „tatsächlichen” Fundament (der äußeren Erscheinung), das der Besitz darstellt, bauen vor allem die dinglichen Sachenrechteauf, um ihre gesellschaftlich so wichtige Zuordnungsaufgabe erfüllen zu können, die in der rechtlichen Sachgüter- (zB Eigentum) und Interessenzuordnung(zB Pfandrecht) liegt. Und das Recht duldet es nicht, darf es nicht dulden, dass auch nur an der tatsächlichen Sach(güter)zuordnung – die iVm der für den Besitz charakteristischen äußeren Erscheinung einen ersten Vertrauensschutz begründet –eigenmächtig „gerüttelt” wird. Die funktionale Aufgabe des Besitzes für die staatliche Friedensordnung erscheint als zu wichtig, als dass eigenmächtige Eingriffe, die leicht zu Gewalt führen, in diese Sphäre geduldet werden können. Sach(güter)zuordnung und Friedenssicherung sind daher als Grundwerte der Besitzregeln zu betrachten.
Welt der Fakten – Welt des Rechts
Die Beziehung zu einer Sache kann – wie zu einer Person – eine bloß tatsächliche / faktische oder eine rechtliche sein. Diese schlichte Feststellung ist für unsere Unterscheidung von Besitz und Eigentum aber von Bedeutung. – Der Besitz ist auf der faktischen Ebene angesiedelt, das Eigentum auf der rechtlichen.
Andere Rechtsinstitute und -bereiche knüpfen daher nicht zufällig am Besitz (als faktischem Sockel des Rechts) an, zumal er als rechtlich eingekleidetes Faktum die Vermutung des Rechts an einer Sache enthält: – so die Ersitzung ( → KAPITEL 13: Die Ersitzung) und die Publizianische Klage des § 372 ABGB (→ KAPITEL 8: Schutzinstrumente ) an den rechtmäßigen Besitz. – Der Besitz spielt aber neben dem Sachenrecht auch im Schuldrecht (zB dem Bereicherungsrecht → KAPITEL 5: Ungerechtfertigte Bereicherung) oder im Erbrecht eine bedeutende Rolle; denn hier ist die „Gefahr” groß, dass sich bspw nach dem Tode des Erblassers vermeintlich Erbberechtigte eigenmächtig in den Besitz des Erblassers (= Nachlass) setzen wollen. Die Einweisung ins Erbe soll daher gerichtlich, also staatlich geschehen, um Eigenmacht zu vermeiden und Streit möglichst zu verhindern. Hier zeigt sich das Recht erneut als Friedensordnung. Dieser Gedanke stammt aus dem antiken griechischen Privatrecht. In das Abhandlungs- oder Verlassenschaftsverfahren (→ KAPITEL 17: Einweisung in die Erbschaft ¿ Das Verlassenschaftsverfahren ) werden all jene Sachen und Rechte etc einbezogen, die im Todeszeitpunkt des Erblassers (= Erbfall; § 536 ABGB) von ihm (iSd § 309 ABGB) besessen wurden, wobei Mitbesitz genügt; zB an einem Sparbuch oder Safe.
Besitz: Anknüpfungspunkt für Rechte
Sachgüter- und InteressenzuordnungEs wurde ausgeführt, dass der Besitz – neben seiner friedenssichernden Funktion –die grundsätzliche Aufgabe erfüllt, für die rechtliche Sachgüter- und Interessenzuordnung zu sorgen. – Diese Sachgüterzuordnung kann kurz auch so umschrieben werden: Der Besitz stellt – freilich nur in einer ersten, faktischen Annäherung – klar, wem, was „gehört” oder doch wem ein – wenn auch nur obligatorisches – Recht zum Besitz (an einer Sache) zusteht. (Auch das nur faktische Naheverhältnis zu einer Sache, lässt das Bestehen eines Rechts vermuten. Der Rechtsverkehr achtet auf diese auch nur äußerliche Zuordnung einer Sache, zumal dadurch ein Schutz des Vertrauens auf die äußere Erscheinung geschaffen wird.) – Mit rechtlicher Interessenzuordnung ist folgende (Besitz)Funktion angesprochen:
Sachgüter- und Interessenzuordnung
Der Kanon dinglicher Rechte umfasst unterschiedliche und in ihrer Qualität und Wirkkraft verschieden starke Rechte; häufig steht das dingliche Vollrecht Eigentum (→ KAPITEL 8: Das Eigentum als dingliches Vollrecht) anderen beschränkten dinglichen Rechten (zB einem Pfandrecht oder einer Servitut) gegenüber. So ist es eine häufige Erscheinung, dass der Eigentümer seine bewegliche oder unbewegliche Sache verpfändet. Dann treffen zwei unterschiedlich ausgestaltete dingliche Rechte – zB Eigentum und Pfandrecht – aufeinander. Aufgabe des Besitzes ist es hier, die unterschiedlichen Interessensphären zweier dinglich Berechtigter (an derselben Sache!) – schon im Bereich des Tatsächlichen / durch eine erkennbare faktische Zuordnung – voneinander abzugrenzen; dies etwa dadurch, dass ein gültiges Entstehen des Pfandrechts an beweglichen Sachen deren Übergabe oder Kennzeichnung voraussetzt; Faustpfandprinzip. Durch (Besitz)Übergabe oder Verbücherung wird die partiell andere rechtliche Interessenzuordnung an bestimmten Sachen auch nach außen hin erkennbar gemacht; Publizität. Der Besitz dient in hohem Maße dieser vor allem im Sachenrecht so wichtigen Rechtsfunktion der Erkennbarkeit eines Rechts (schon nach außen hin). – Der Besitz grenzt aber nicht nur die Interessensphären verschiedener dinglich Berechtigter voneinander ab, sondern auch die zwischen dinglich Berechtigten (zB Eigentümern) und bloß (!) obligatorisch / schuldrechtlich Berechtigten (zB Mieter, Pächter, Entlehner), da diese zB zugleich Rechtsbesitzer sind. Der – wenn auch nur obligatorisch vermittelte – Rechtsbesitz wird auch gegenüber dem Eigentümer geschützt.
Publizität und Faustpfandprinzip


Besitzfunktionen
Abbildung 3.1:
Besitzfunktionen
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3. Abgrenzung: Besitz – Eigentum
Vgl die Umschreibung des Unterschieds bei Gschnitzer → Zum Besitzbegriff. – Die terminologische Unterscheidung von Besitz und Eigentum hat also Bedeutung, mag auch das ABGB selbst nicht immer konsequent sein; vgl etwa die Formulierungen der §§ 473 ff oder 858, 1. HalbS ABGB.
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4. Besitz: Tatsache oder Recht?
Über die Frage, ob der Besitz bloßes Faktum / Tatsache oder doch ein Recht ist, wurde viel gestritten. Festzuhalten ist, dass der Besitz, auch wenn er heute als Faktum angesehen wird, rechtlich „eingekleidet” ist und zudem umfassend rechtlich geschützt wird. Der Streit entpuppt sich als einer um Worte.
Zur Zeit der Entstehung des ABGB wurde der Besitz aber zweifellos als Recht angesehen; § 308 ABGB zählt ihn zu den dinglichen Sachenrechten.
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5. Wer ist besitzfähig – Kinder?
Kinder können zwar bestehenden, also bereits erworbenen (!) Besitz (er)halten und sogar „verteidigen” – zB ihr Spielzeug, erwerben können sie dagegen Besitz nicht allein, sondern nur durch ihren gesetzlichen Vertreter, also idR Vater und/oder Mutter. Der Besitzerwerb für Kinder erfolgt nach § 310 ABGB: „nur durch ihren gesetzlichen Vertreter” → KAPITEL 4: Kinder: 0-7. – In diesem (eingeschränkten) Sinne gilt: „Wer rechtsfähig ist, ist [auch] besitzfähig, daher auch Kinder (§ 310 ABGB) und juristische Personen (§ 337 ABGB)”, selbst wenn sie Besitz noch nicht ohne die „Hilfe” anderer erlangen können; Ehrenzweig, Sachenrecht2 59. – Mündige Minderjährige können bereits Besitz erwerben; EvBl 2002/178: Prekarium eines beschränkt Geschäftsfähigen.
Die Verhaltenswissenschaft (Ethologie) lehrt uns, dass auch Tiere und vielleicht auch Pflanzen fremden Besitz – sei es der von Menschen oder zB von anderen Tieren – „achten” und auf eigenem Besitz „bestehen”; so der Hund, der seinen Knochen oder die Katze, die ihren Futternapf verteidigt.
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6. Warum schützt das Gesetz den Besitz?
Das Gesetz schützt den Besitz (vgl §§ 339 ff ABGB), weil er – wie erwähnt – das Sachenrecht bei seiner wichtigen Sach(güter)zuordnung unterstützt und darüber hinaus der Rechtsordnung bei ihrer zentralen Aufgabe als Friedensordnung zu wirken, schon in deren faktischem Vorfeld dient. Er stellt die Verbindung zwischen der „Welt des Rechts” (Sollensbereich) und der „Welt der Fakten” (Seinsbereich) dar. – Inwiefern? Der Besitz macht idR nach außen hin, also tatsächlich, eine auch rechtlich bedeutsame Sach(güter)zuordnung deutlich, indem er einen Schutz des Vertrauens auf die äußere Erscheinung schafft, nämlich: „Wem, gehört vermutlich, was”; oder doch wenigstens: Wem steht an einer Sache ein, wenn auch nur ein obligatorisches, Recht zu: Rechtsbesitz. – Wer eine Sache besitzt, hat nämlich idR dazu auch ein Recht; daher die Regelung des § 323 ABGB: „Der Besitzer einer Sache hat die rechtliche Vermutung eines gültigen Titels [zB eines Miet- oder Leihvertrags] für sich”.
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7. Missbilligung von Selbsthilfe und Eigenmacht
Die Achtung der bestehenden – wenn auch bloß faktischen – Sachgüterzuordnung erscheint dem Gesetz auch insofern wichtig und daher schützenswert, weil dadurch eigenmächtiger Selbsthilfe entgegengetreten wird; sog Selbsthilfeverbot: § 19 ABGB. Unordnung und Unfrieden entstehen nämlich leicht schon dadurch, dass an der faktischen Sach(güter)zuordnung gerüttelt wird. Die weitgehende Unterbindung von Selbsthilfe / Eigenmacht liegt daher im Interesse der Rechtsgemeinschaft! Das Gesetz schützt nämlich den Besitzer nicht nur gegen (nicht berechtigte) dritte Personen, die ebenso wenig wie er Eigentümer der Sache sind, sondern auch gegen den Eigentümer, wenn dieser den Besitz (an „seiner” Sache) eigenmächtig stört; so kann sich der Vermieter des Fahrrads dieses nicht einfach zurückholen, wenn er es selber braucht. Das Gesetz zwingt auch den Eigentümer dazu, wenn nötig den Rechtsweg zu beschreiten (Klage), obwohl ihm an der Sache ein dingliches Recht, nämlich Eigentum zusteht; vgl § 324 ABGB:
„In solchen Fällen muss der behauptende Gegner vor dem ordentlichen Richter klagen, und sein vermeintliches stärkeres Recht dartun. Im Zweifel gebührt [aber] dem Besitzer der Vorzug.”
Der Grund des rechtlichen Schutzes des Faktums Besitz liegt also auch in der Missbilligung von Eigenmacht, im Zurückdrängen verbotener Selbsthilfe durch die Rechtsordnung, die es nicht duldet, dass auch nur in die faktische Sachgüter(zu)ordnung „selbstherrlich” (auch aus einem stärkeren Recht heraus) eingegriffen wird; § 19 ABGB lesen!
Missbilligung von Eigenmacht
Berechtigte, also erlaubte Selbsthilfe wird dadurch aber nicht (völlig) ausgeschlossen; dazu mehr → Zum Begriff erlaubter Selbsthilfe: § 19 ABGB und dort zB JBl 1953, 267: Erlaubte bäuerliche Selbsthilfe gegen wildernde Hunde. – Ein gewisser Umfang von Selbsthilfe ist aber nicht nur im Besitzrecht, sondern bspw auch im Schadenersatzrecht gestattet; vgl SZ 69/214 (1996): Erlaubte Selbsthilfe bei wegen Fahrerflucht des Schädigers gesetzten Verfolgungshandlungen (mit dem Auto); mehr dazu → KAPITEL 9: Lehre vom Schutzzweck der (verletzten) Norm ¿ Rechtmäßiges Alternativverhalten. Zum sog Selbsthilfeverkauf des Handelsrechts → KAPITEL 7: Befreiungshandlungen des Schuldners nach bürgerlichem und Handelsrecht.
Selbsthilfe bedeutet hier: Notwehr(recht); vgl WGGB I 2 § 40: „ ... Selbsthilfe, das ist die im Naturrecht gegründete Notwehre ...” Und ebendort heißt es in § 36 anschaulich: „Eigenmächtige Gewalt verträgt sich nicht mit der öffentlichen Sicherheit.” – Die §§ 36 und 40 (I 2) WGGB waren die Vorläuferbestimmungen des § 19 ABGB.
Notwehr(recht)
Nach dem frühen römischen Recht bestand noch ein erweitertes Recht zur Selbsthilfe (Stein, Römisches Recht und Europa 17, 1996), was zeigt, dass der Staat mit wachsender eigener Macht, die Selbsthilfe zurückdrängt.
Eine wichtige Frage der Rechtsentwicklung und Rechtsphilosophie ist jene nach dem Verhältnis von Selbsthilfe, also individueller Gewalt (anwendung) und ihrer rechtlichen Begrenzung. Natürlich hat sich dieses Verhältnis im Laufe der Jahrtausende gewandelt, aber seit es Recht gibt, war dieses bestrebt, Gewalt und Selbsthilfe – zugunsten einer Klärung offener Fragen durch rechtliche Verfahren der jeweiligen Gemeinschaft – zurückzudrängen. Aus den vielen Bezügen dieser Thematik (man denke nur an das Strafrecht und den Strafvollzug, das Exekutions- oder Vollstreckungsrecht oder das Verhältnis von Frau und Mann, von Eltern und Kindern zueinander) wollen wir jenem des Besitzschutzes, der Besitzstörung näher nachgehen, weil hier frühe Lösungen, zumal des griechischen und idF des römischen Rechts, noch heute erkennbar nachwirken.
In Rom verbot der Praetor durch verschiedene Interdikte jedwede Gewaltanwendung: vim fieri veto. Das älteste Interdikt ist das interdictum uti possidetis. Der Praetor verbot darin, die bestehende Besitzlage gewaltsam, also eigenmächtig (während eines Verfahrens) zu verändern. Dieses interdictum betraf den ager publicus (öffentliches Land), der im Eigentum des römischen Volkes (populus Romanus) stand. Das erleichterte den Einsatz magistrativen imperiums (Hoheitsgewalt) seitens des Praetors. Durch dieses Gewaltverbot des Praetors wurde die bestehende Besitzlage vorläufig stabilisiert und derjenige, der meinte, einen Anspruch auf dieses Land zu haben, musste die Klärung im Rechtsweg anstreben. Die Grundgedanken dieser Regelung stammen aus dem alten Griechenland- – Die Rezeption des römischen Rechts brachte diese Gedanken ins moderne Besitzstörungsverfahren und im Verfahrensrecht entstand aus diesem Besitzprovisorium das Rechtsinstitut der Einstweiligen Verfügung, das mit einer älteren Bezeichnung (noch anschaulich) Provisorialverfahren genannt wurde, weil seine Anordnungen nur vorläufigen Charakters sind. Ausschließliches Ziel auch noch des geltenden gerichtlichen Besitzstörungsverfahrens ist es, den letzten ruhigen Besitzstand zu stabilisieren und nicht etwa rechtliche Klärungen vorzunehmen. Die faktische Natur des Besitzes reicht demnach bis ins Verfahrensrecht.
Laien erscheint die Konsequenz des folgenden Beispiels unverständlich und sie stellt auch ein mitunter schon als problematisch anzusehendes Zurückdrängen von Eigeninitiative und der Wahrnehmung berechtigter Interessen dar. Allein dieses „Opfer” für Einzelne, dient dem Gemeinwohl. Das Besitzkonzept (und sein mit ihm verknüpfter Gewaltverzicht) steht demnach in innerer gedanklicher Verbindung mit dem „Gesellschaftsvertrag” und dem frühen Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft: Dem Gewaltverzicht des Einzelnen im (bloß hypothetisch gedachten!) Gesellschaftsvertrag und der grundsätzlichen Übertragung des (individuellen) Selbsthilferechts des Einzelnen auf die bürgerliche Gesellschaft, steht – gleichsam im Gegenzug – die Zusage der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen stets rechtlichen Schutz und Hilfe zu gewähren, wann immer er dies benötigt; vgl dazu gleich anschließend Martinis Konzept der §§ 6, 7 und 19 ABGB.
Ein einfaches, aber dennoch schwieriges Beispiel: Fahrraddiebstahl
Beispiel
Die §§ 6, 7 sowie § 19 ABGB gehen auf Karl Anton von Martinis rechtsphilosophisches Konzept zurück. Danach besteht ein Zusammenhang zwischen dem in § 7 ABGB geregelten richterlichen Lückenfüllungskonzept (Analogie, natürliche Rechtsgrundsätze → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung), das den Richter zum Entscheiden befähigt, aber auch dazu verpflichtet, weil er im Fall einer Rechtslücke sich (selbst) jene Rechtsgrundlage schaffen kann, die er für seine Entscheidung benötigt; Rechtsverweigerungsverbot (für den Rechtsanwender) und Rechtsgewähranspruch (für den Rechtssuchenden). – Dem entspricht auf der anderen Seite das Selbsthilfeverbot des § 19 ABGB, das sich an den einzelnen Bürger richtet; denn „jedem, der sich in seinem Rechte gekränkt zu sein erachtet, steht es frei, seine Beschwerde vor der durch die Gesetze bestimmten Behörde anzubringen”.
Verknüpfung von bürgerlichem Selbsthilfeverbot und staatlichem Rechtsverweigerungsverbot
§ 19 und die §§ 6, 7 ABGB stehen daher in einem inneren Funktionszusammenhang in unserer Rechtsordnung und beinhalten eine frühe und geniale proto-rechtsstaatliche Lösung Martinis.
Literaturquelle
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8. Zum Begriff erlaubter Selbsthilfe: § 19 ABGB
§ 19 enthält zwar ein grundsätzliches Selbsthilfeverbot, will aber die Selbsthilfe nicht völlig unterbinden. Daher gestattet § 19 ABGB die Notwehr und erlaubt sogar, zusammen mit § 344 ABGB als Antworf auf Gewaltanwendung, eine angemessene Selbsthilfe. Dazu gesellen sich, wie wir sehen werden, im Bereich des Besitzschutzes, Besitzwehr und Besitzkehr.
Notwehr setzt einen gegenwärtigen (oder unmittelbar drohenden) rechtswidrigen Angriff auf sich (selbst), andere Personen oder Sachen voraus; nur dann ist es rechtlich gestattet, „Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben (§ 19)”, wie sich § 344 ABGB ausdrückt. – Der im Zivilrecht geltende Grundsatz der Angemessenheit von Selbsthilfemaßnahmen wird im öffentlichen Recht Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genannt; er reicht über das Selbsthilferecht des § 19 ABGB hinaus und verlangt insbesondere auch ein angemessenes Behördenverhalten – zB der Polizei.
Notwehr
Die §§ 229, 230 dtBGB umschreiben den erlaubten Umfang und die Grenze der Selbsthilfe näher; „ ... [wenn] obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.”
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 62/132 (1989): Tiere sind als Vermögen von Menschen ein notwehrfähiges Gut. – Keine Nothilfebehandlung von Tieren gegen den Willen des Eigentümers ?
So heißt diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um eine gegenwärtige und drohende Gefahr durch eine Sache von sich oder anderen abzuwenden. – Solches Handeln ist (wie Notwehr) nicht rechtswidrig, wenn „die Beschädigung oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht”; § 228 dtBGB.
Sachwehr
Beispiel
Auch ein bestehender Notstand (§ 1306a ABGB → KAPITEL 9: Rechtswidrigkeit) rechtfertigt den Eingriff in fremde Rechtssphäre ( und die damit allenfalls verbundene Verursachung eines Schadens), wenn dadurch eine „unmittelbar drohende Gefahr von sich oder anderen” abgewendet werden soll. – Der zweite Teil des § 1306a ABGB regelt auf der einen Seite erneut den Grundsatz der Angemessenheit / Verhältnismäßigkeit und statuiert auf der andern Seite – nach dem Vorbild des § 1310 ABGB – den Gedanken sozialer Schadenstragung; Billigkeitsschaden, Vermögensvergleich.
Notstand
Beispiel
Ein Vergleich der Notstandsnormen von § 1306a ABGB und § 228 dtBGB zeigt uns die differenziertere soziale Orientierung unseres Gesetzbuchs. Während der Schädiger nach dtBGB den Schaden nur zu ersetzen hat, wenn er „die Gefahr verschuldet” hat, räumt das ABGB dem Richter die Möglichkeit zu einer die konkrete Situation angemessen zu berücksichtigenden Ermessungsentscheidung nach den vom Gesetz angeführten Kriterien ein.
Literaturquelle
Auch die Begriffe Besitzwehr und Besitzkehr regeln den Rahmen erlaubter Selbsthilfe → Was umfasst der Besitzschutz heute? § 344 ABGB ist der Regelungsort. Vor diese Bestimmung setzt das ABGB die Marginalrubrik: „Rechtsmittel zur Erhaltung des Besitzstandes: a) bey dringender Gefahr”. – Satz 1 leg cit lautet:
Besitzwehr und Besitzkehr
„Zu den Rechten des Besitzes gehört auch das Recht, sich in seinem Besitze zu schützen, und in dem Falle, daß die richterliche Hülfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben. (§ 19).”
Das Strafrecht regelt die Notwehr in § 3 StGB:
§ 3 StGB
Abs 1: „Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.”
Abs 2: „Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (Abs. 1) bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder Schrecken geschieht, nur strafbar, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist.”
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9. Die Besitzprivilegien – beatus possidens
Wie die Sachenrechtsprinzipien eine Konsequenz der allgemeinen Zuordnungsaufgabe des Sachenrechts sind (→ KAPITEL 8: Recht der Sachgüterzuordnung), die Pfandrechtsprinzipien sich aus der Funktion des Pfandrechts erklären (→ KAPITEL 15: Prinzipien des Pfandrechts), so sind die BesitzprivilegienFolge der Funktion, die das Privatrecht dem Besitz zuweist. Da – wie erwähnt – die „Tatsache” des Besitzes einer Sache häufig mit dem „Recht” sie zu besitzen einhergeht, gewährt das Gesetz schon dem Besitzer, durchaus funktionsgerecht, gewisse rechtliche Begünstigungen, eben die sog Besitzprivilegien. – Es sind dies:
Nach § 323 ABGB hat der „Besitzer einer Sache die rechtliche Vermutung eines gültigen Titels für sich”; kurz: Er hat die Vermutung eines erworbenen Rechts (an der Sache) für sich; sog Rechtsscheinwirkungdes Besitzes. Zu beachten ist insbesondere auch § 372 ABGB: actio publiciana / Eigentumsklage aus dem rechtlich vermuteten Eigentume des Klägers → KAPITEL 8: Schutzinstrumente . Wer das Gegenteil behauptet, muss dies im Prozess beweisen.
Rechtsscheinwirkung
Zur Rechtsvermutung → Redlicher Besitz. Zu den Arten des Besitzes – rechtmäßig, redlich, echt → Arten des Besitzes: Rechtmäßig, redlich, echt
§ 328 Satz 2ABGB enthält die weitere Rechtsvermutung, dass der Besitzer einer Sache redlich ist (dazu → Redlicher Besitz): „Im Zweifel ist die Vermutung für die Redlichkeit des Besitzes”; Redlichkeitsvermutung.
Redlichkeitsvermutung
Dazu kommt eine weitere Begünstigung des Besitzes, nämlich die, dass der (redliche) Besitzer – Dritten gegenüber – zu Verfügungen über die Sache legitimiert, also insbesondere zur Rechtsübertragung berechtigt (§§ 329 ff ABGB) erscheint; sog Legitimationswirkung des Besitzes → Redlicher Besitz – So beim gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten nach § 367 ABGB, insbesondere dessen 3. Fall → KAPITEL 8: Gesetzliche Voraussetzungen:
Legitimationswirkung
Beispiel
Nach § 324 ABGB steht dem Besitzer – als Folge von § 323 ABGB –im Prozess die günstigere beweisfreie Beklagtenrollezu; Beweiserleichterung. Auch gegen den Eigentümer!
Beweisfreie Beklagtenrolle
Das römische Recht hat die insgesamt bessere Rechtsstellung des Besitzers im Prozess (= günstigere Beklagtenrolle) und den Umstand, dass dem Besitzer bei gleichem (dh gleich starkem) Titel die Sache zuzusprechen war – in pari causa melior est possidentis, rechtssprichwörtlich mit beatus possidens umschrieben.


Die Besitzprivilegien
Abbildung 3.2:
Die Besitzprivilegien
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10. Besitzerwerb an beweglichen und unbeweglichen Sachen
Wir wissen bereits: Was der Besitz(erwerb) für den Erwerb dinglicher Rechte an beweglichen Sachen darstellt, erfüllt (funktional) bei unbeweglichenSachen das Grundbuch(Buchbesitz!); vgl §§ 321, 322 Satz 2 ABGB. – Allerdings kann an Liegenschaften auch außerbücherlicher Besitz erworben werden. So, wenn ein Haus oder eine Eigentumswohnung verkauft und real, also wirklich – zB durch Schlüsselübergabe – übergeben wird, aber dieser Rechtserwerb, aus welchen Gründen auch immer, (noch) nicht ins Grundbuch eingetragen wurde. Besitz(erlangung) und Gefahr(übergang) an Liegenschaften werden in der Praxis häufig schon in Verträgen durch Erklärung (in analoger Anwendung des § 428 ABGB) übertragen. Vgl das Formulierungsbeispiel in einem Liegenschaftskaufvertrag (Pkt III) → KAPITEL 2: Vertragsbeispiele: „Mit Unterfertigung dieses Vertrages gehen Gefahr, Nutzungen und Lasten auf die Käuferin über.”
Die von der Rspr lange (aus Praktikabilitätsgründen) anerkannte Rechtsfigur des außerbücherlichen Liegenschaftseigentums wird heute abgelehnt; vgl aber noch § 23 Abs 1 WEG 1975.


Eigentum – Besitz – Innehabung
Abbildung 3.3:
Eigentum – Besitz – Innehabung
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II. Was ist Gegenstand des Besitzes? – Sachbesitz und Rechtsbesitz
1. Gegenstand des Besitzes
Besitzen kann man nach § 311 ABGB nicht nur körperliche Sachen – zB ein Buch oder ein Haus, sondern auch unkörperliche, insbesondere Rechte → KAPITEL 8: Körperliche und unkörperliche Sachen; zB eine Grunddienstbarkeit, ein Miet- oder Pachtrecht oder das Recht des (Eigentums)Vorbehaltskäufers, den Kaufgegenstand (als dinglicher Anwartschaftsberechtigter noch vor dem Eigentumserwerb → KAPITEL 8: Rechtsstellung des Vorbehaltskäufers) zu benützen. – Das ABGB unterscheidet daher wie das ALR – dem römisch-gemeinen Recht folgend – zwischen Sach- und Rechtsbesitz.
Literaturquelle
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2. Sachbesitz
Sachbesitzer ist nach § 309 ABGB:
• „Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat”, also ihr Inhaber ist; römisches Recht: corpus.
corpus und animus
• ... und darüber hinaus „den Willen hat, sie als die seinige zu behalten”; römisches Recht: animus rem sibi habendi.
Der Begriff der Gewahrsame oder Innehabung spielt auch im Strafrecht eine wichtige Rolle; vgl § 127 StGB (Diebstahl): „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen ... wegnimmt, ... .” Diebstahl setzt Gewahrsamsbruch voraus und ist vollendet, wenn der Täter Alleingewahrsam erlangt hat, also den Besitz (vollständig) entzogen hat.
„Gewahrsame“ im Strafrecht
Das ABGB verlangt für den Erwerb von Sachbesitz – dem römischen Rechte folgend – corpus und (!) animus. Anders das dtBGB (gleich unten), das sich auf das corpus-Element beschränkt.
Die §§ 349 und 352 Satz 1 ABGB umschreiben den sog Mentalbesitz, den ein rüder Pauker einmal mit: „Blöder Hund hofft immer (noch)” umschrieben haben soll. – Sie haben, und wissen das auch, bei einem Spaziergang auf einer Bank ein Buch vergessen. – Worin liegt das besondere des Mentalbesitzes? Vgl § 352 Satz 1 ABGB. Welches (Sach)Besitzkriterium ist hier noch real vorhanden, welches nur noch mental? – Das römische Recht sprach hier von Besitz solo animo; D. 41, 2, 25 pr. (Pomponius): Wenn wir das, was wir besitzen, so verloren haben, dass wir nicht wissen, wo es sich befindet, hören wir auf zu besitzen. – Auch das dtBGB (§ 856) kann hier seine römischrechtlichen Wurzeln nicht leugnen.
Mentalbesitz
Der Besitzbegriff des dtBGB unterscheidet sich von dem des ABGB und damit auch vom römischen Recht. § 854 Abs 1 dtBGB formuliert: „Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben.” – Das dtBGB verlangt demnach für den Erwerb des (Sach)Besitzes kein animus-Element. Auch den Rechtsbesitz kennt das dtBGB im Gegensatz zu ALR und ABGB nicht. Das hängt damit zusammen, dass das dtBGB nur körperliche, nicht aber unkörperliche Sachen kennt → KAPITEL 8: Körperliche und unkörperliche Sachen.
dtBGB
An den abweichenden Besitzbegriff des dtBGB erinnert Art 5 EVHGB: „Für den Besitz [iSd HGB] ist es nicht erforderlich, dass der Inhaber den Willen hat, die Sache als die seinige zu behalten.” – Der Besitzbegriff des öHGB ist demnach ein anderer als der des ABGB. Das hängt damit zusammen, dass das HGB ein deutsches Gesetz ist, das in Österreich 1938 eingeführt wurde. (Früher galt das AHGB.) Aufgabe der EVHGB war es, das dtHGB an das österreichische Zivilrecht (insbesondere das ABGB) anzupassen.
EVHGB
Das Schweizer ZGB folgt auch im Besitzrecht der Linie des dtBGB; vgl Art 919: „Wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache hat, ist ihr Besitzer.”
SchwZGB
Auch der frCC (Art 2228: De la possession) kennt ein corpus- und ein animus-Element. Allein die Unterscheidung des Besitzes zum Eigentum bleibt unscharf und der Besitz und die Stellung des Besitzers insgesamt werden nicht systematisch geregelt. – Die legistische Qualität kann sich nicht annähernd mit dem ABGB messen.
frCC
Der Besitzbegriff des itCC (Art 1140 ff: Del possesso) kennt explizit nur ein corpus-Element. Art 1140: „Besitz ist die Gewalt über eine Sache, die sich in einer der Ausübung des Eigentumsrechts oder eines anderen dinglichen [!] Rechts entsprechenden Betätigung äußert.” (Im Ausübungswillen kann demnach ein Besitzwille erblickt werden!)
itCC
Dieser kleine Ausblick auf die Besitzregelungen anderer Länder vermittelt einen ersten Eindruck von der hohen Qualität der österreichischen Besitzregelung. Sie ist Martins Werk (Entwurf Martini II 2 § 1 und WGGB II 2 § 30) und übertrifft an Prägnanz und Eleganz auch das ALR (I 7 §§ 1 ff).
• § 855 dtBGB: Besitzdiener (= Detentor des ABGB) – „Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat, so ist nur der andere Besitzer.”
deutsche Terminologie
• § 865 dtBGB: Teilbesitzer ist – wer „nur einen Teil einer Sache, insbesondere abgesonderte Wohnräume oder andere Räume, besitzt.”
• § 866 dtBGB: Mitbesitz – „Besitzen mehrere eine Sache gemeinschaftlich, so findet in ihrem Verhältnisse zueinander ein Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um die Grenzen des den einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt.”
• § 868 dtBGB: Mittelbarer Besitz – „Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnisse, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitze berechtigt oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer (mittelbaren Besitz).” – Der mittelbare Besitz des dtBGB entspricht in etwa (!) dem Rechtsbesitz des ABGB; der Verwahrer ist nach ABGB aber nicht Rechtsbesitzer, weil ihm kein Gebrauchsrecht zusteht!
• § 872 dtBGB: „Wer eine Sache als ihm gehörend besitzt, ist Eigenbesitzer.” Davon unterschieden wird der Fremd besitz.


Sach- und Rechtsbesitz(1)
Abbildung 3.4:
Sach- und Rechtsbesitz(1)


Sach- und Rechtsbesitz(2)
Abbildung 3.5:
Sach- und Rechtsbesitz(2)
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3. Rechtsbesitz
Vgl § 312 Satz 2 und § 313 ABGB : Wie erwähnt versteht das ABGB unter Sachen nicht nur körperliche, sondern auch unkörperliche (= Rechte); § 285 iVm §§ 292, 311 ABGB. Gegenstand des Besitzes nach dem ABGB sind daher insbesondere Rechte und Forderungen; Wurzel des Rechtsbesitzes. Der weite naturrechtliche Sachbegriff (§ 285 ABGB), ist demnach Voraussetzung dafür, dass ABGB und ALR den Rechtsbesitz anerkennen.
Vgl dazu gleich unten: Zur historischen Entstehung und Verbreitung des Rechtsbesitzes.
Um ein Recht besitzen zu können, muss es:
Voraussetzungen des Besitzerwerbs
• „dauernder Ausübungzugänglich sein (Ehrenzweig); so zB ein Leih-, Miet-, Pacht- oder ein sonstiges Gebrauchsrecht. „Dauernd” wird iSv zeitlich „längerer”, und zeitlich nicht ganz unbedeutender Rechtsausübung verstanden; „dauernd” iSv immerwährend wäre aber zu viel verlangt.
Besitzer ist und Besitzschutz genießt daher auch der Mieter eines Fahrrads für einen halben Tag; vgl auch Hoyer, Bezugsverträge und Besitzstörung, WBl 1997, 147.
• Zudem wird für die Annahme von Rechtsbesitz gefordert, dass das eingeräumte Recht ein Gebrauchsrecht gewährt; deshalb sind Entlehner, Mieter, Pächter und Vorbehaltskäufer Rechtsbesitzer, nicht dagegen der Verwahrer, dem kein Gebrauchsrecht an der Sache zusteht und der daher nur ihr Sachinhaber ist. (Wird ihm aber der Gebrauch gestattet, ändert sich dadurch auch seine rechtliche Stellung!)
Beispiel
Rechtsbesitz erwirbt man nach § 312 ABGB dadurch, dass man ein Recht im eigenen Namen gebraucht oder – wie Gschnitzer formuliert – es „nach der äußeren Erscheinung ... als das seine ausübt”. – Das trifft auf das geliehene Fahrrad ebenso zu, wie auf die gemietete Wohnung, mag auch nur das Recht zum Besitz (Leih- oder Mietrecht) besessen werden und nicht die Sache (!) selbst. Eine feine Unterscheidung, die Laien nicht geläufig ist. (Der Sachbesitz an der vermieteten Sache steht nach wie vor dem Eigentümer zu!) Dem redlichen Besitzer fehlt der Wille, „die Sache” selbst künftig als die seinige anzusehen. Ein (redlicher) Besitzer will nur das vertraglich eingeräumte Recht als das seine ausüben, also zB das Leih- oder Mietrecht, aber nicht mehr.
§ 312 ABGB: Erwerb von Rechtsbesitz
Auch der Rechtsbesitzer genießt Besitzschutz → Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr: Rechtsprechungsbeispiele. – Im Erstrecken des ursprünglich nur auf Sachen, dann – schon im römischen Recht (dazu gleich unten) – auch auf dingliche Rechte und schließlich – vom Naturrecht – auch auf obligatorische Rechtspositionen erstreckten Besitzschutzes, liegt der tiefere Sinn des Rechtsinstituts „Rechtsbesitz”!
Rechtsbesitzer geniessen Besitzschutz
Beispiel
Das römische Recht kennt schon in klassischer Zeit die quasi possessio, eine Vorstufe unseres Rechtsbesitzes (wie dieser sich dann im ALR – vgl insbesondere I 7 §§ 5, 46 und 77 ff ALR – und später in den §§ 311 ff ABGB findet). Der Begriff leitet seine Berechtigung daraus ab, dass (echte) possessio zunächst nur an res corporales, also körperlichen Sachen möglich war, nicht aber an Rechten, res incorporales. Servituten und usus fructus vermittelten aber als dingliche Rechte Rechtspositionen, die mit keinem – oder doch fast keinem – Sachbesitz im herkömmlichen Sinne mehr verbunden waren. Dennoch entstand das Bedürfnis, diese Rechtspositionen besitzrechtlich zu schützen. So kam es zum Einbeziehen dieser dinglichen Rechtspositionen in den Besitzschutz des römischen Rechts; daher der Begriff quasi possessio.
Zur historischen Entstehung des Rechtsbesitzes
Sie setzen den weiteren Entwicklungsschritt vom Besitzschutz dinglicher zu dem obligatorischer Rechte. – Aber auch Rechtsbesitz iSv Besitz an obligatorischen Rechten ist wesentlich älter als das ABGB und das ALR; der Entwurf Martini II 2 §§ 3-6 (= WGGB II 2 §§ 32-35) kennt ihn ebenso wie der Entwurf Horten (II 21 § 6) und insbesondere auch der Codex Theresianus, der sogar eine detailliertere Regelung als der Entwurf Horten enthält; II 24 Num 14 und 30, aber auch 18, 19, 39, 43 etc. Das beweist den gemeinrechtlichen Ursprung des modernen Rechtsbesitzes.
ALR und ABGB
CodTher II 24 Num 14 enthält die schöne Formulierung: „Nur körperliche Dinge, die leiblich berührt und gegriffen werden können, sind des wahren Besitzes fähig; unkörperliche Dinge hingegen, als Rechten, Gerechtigkeiten und Dienstbarkeiten werden bloß gleichnißweise besessen, also dass, wiewohlen deren Ausübung sich durch leibliche und sichtbare Thaten äußeret, nichtsdestoweniger der Besitz des Rechts selbst nur in dem rechtlichen Verstand besteht.”
ALR und ABGB vermitteln idF den – wenngleich modifizierten – Rechtsbesitz an das dtBGB und schweizerische ZGB weiter; vgl Kaser, Römisches Privatrecht § 19 V und § 28 III 97 (198313). – Dabei erscheint der Ausdehnungsschritt des römischen Rechts von den körperlichen Sachen (res corporales) zu den dinglichen Rechten (res incorporales) entwicklungsgeschichtlich bedeutsamer und für die Zukunft bestimmender, als jener der Naturrechtskodifikationen (ALR und ABGB) zu den obligatorischen Rechten.
Der Rechtsbesitz moderner Prägung ist demnach weder eine „Erfindung” des ABGB, noch eine Neuschöpfung des Naturrechts; vielmehr eine gelungene und äußerst funktionale Weiterbildung des klassischen Besitzschutzes des römischen Rechts durch das Naturrecht, das dadurch auch obligatorische Rechte in den Besitzschutz einzubeziehen vermag. – Wir können daraus lernen, dass es seine Berechtigung hat, wenn das römische Recht seitens des Naturrechts – immer wieder – als ratio scripta angesehen wird, mag auch die römisch-rechtliche Lösung nur durch Vorarbeit der Griechen möglich gewesen sein. Das römische Recht enthält noch aus heutiger Sicht, großartige (Weiter)Entwicklungen, entstanden aus praktischem Bedürfnis, möglich geworden durch schöpferische Juristen.
Rechtsbesitz moderner Prägung
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4. Mehrstufiger Besitz
Sach- und Rechtsbesitz können auch mehreren Personen gleichzeitig an ein und derselben Sache nebeneinander zustehen; man spricht dann – in Anlehnung an deutsche Terminologie (§ 871 dtBGB) – von gestuftem oder mehrstufigem Besitz. Diese Besitzform ist ein Sonderfall des Mitbesitzes → Mitbesitz und Teilbesitz
Beispiel
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5. Mitbesitz und Teilbesitz
Mitbesitz haben mehrere Personen an derselben Sache. Mitbesitz – und zwar sowohl von Sach- wie Rechtsbesitz – ist möglich; zB FreundInnen kaufen gemeinsam ein Auto oder mieten eine Wohnung.
Vom Mitbesitz zu unterscheiden ist der Teilbesitz; er bezieht sich bloß auf einen Sachteil und nicht die ganze Sache. So steht bspw einem Wohnungseigentümer an seiner Wohnung, die rechtlich gesehen ein unselbständiger Teil des Hauses und der Liegenschaft bleibt, Teilbesitz zu (, über den er aber kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung sogar allein verfügungsberechtigt ist). An den für das Rechtsinstitut Wohnungseigentum wichtigen allgemeinen Teilen des Hauses (→ KAPITEL 8: Nutzung von WE-Objekten und allgemeiner Teile der Liegenschaft) dagegen besteht Mitbesitz aller Wohnungseigentümer.
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6. Innehabung / Detention
Inhaber (Detentor) ist, wer eine Sache zwar in seiner (tatsächlichen) Macht oder Gewahrsame hat, aber nicht den Willen hat, diese als die seine zu betrachten und zu behalten.
Die Innehabung beschränkt sich auf das erste Element des Sachbesitzes, das corpus-Element des römischen Rechts. Das zweite Element des Sachbesitzes (animus) fehlt hier. Einem Inhaber ermangelt also der Wille, die Sache als die seinige behalten zu wollen.
corpus-Element
Weil der Inhaber den Besitz zwar für einen anderen (er)halten kann, nicht aber selbst Besitzer ist, wird er mit einem Synonym (nach deutschem Vorbild) auch Besitzdiener genannt.
Der Inhaber hat die Sache nicht in seinem eigenen, „sondern im Namen eines andern inne ...”; § 318 ABGB. Der bloße Inhaber, der nicht zugleich Rechtsbesitzer ist, genießt daher nach ABGB keinen Besitzschutz, hat aber ein Notwehr- und Selbsthilferecht gegen Dritte; nicht aber gegen den, der ihm die Sache überlassen hat, also den Sach- oder Rechtsbesitzer. – Im fehlenden Besitzschutz liegt ein Unterschied zum Besitz.
Inhaber hat Sache „im Namen eines andern inne”
Beispiel
Für die Grenzziehung zwischen Besitz und bloßer Detentionund insbesondere den Umfang der Detention ist auch die Verkehrsauffassung heranzuziehen:
Grenzziehung zwischen Besitz und bloßer Detention
Beispiel


Sachenrechtliche Begriffe
Abbildung 3.6:
Sachenrechtliche Begriffe
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III. Arten des Besitzes: Rechtmäßig, redlich, echt
Neben der Unterscheidung in Sach- und Rechtsbesitz, Allein-, Mit- und Teilbesitz trifft das Gesetz weitere Differenzierungen und knüpft daran wichtige Rechtsfolgen. – Ist der Besitz rechtmäßig, redlich und echt, spricht man von qualifiziertem Besitz, der zB Voraussetzung der Ersitzung ist → KAPITEL 13: Qualifizierter Besitz.
Qualifizierter Besitz


Arten des Besitzes
Abbildung 3.7:
Arten des Besitzes
1. Rechtmäßiger Besitz
§ 316 ABGB: „Der Besitz einer Sache heißt rechtmäßig, wenn er auf einem gültigen Titel, das ist, auf einem zur Erwerbung tauglichen Rechtsgrunde beruht. Im entgegengesetzten Falle heißt er unrechtmäßig.”
Beispiel
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2. Redlicher Besitz
§ 326 ABGB: „Wer aus wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für die seinige hält, ist ein redlicher Besitzer. Ein unredlicher Besitzer ist derjenige, welcher weiß oder aus den Umständen vermuten muss, dass die in seinem Besitze befindliche Sache einem anderen zugehöre ....”
§ 328 ABGB enthält die Rechtsvermutung der Redlichkeit zugunsten des Besitzers; dh Redlichkeit / Gutgläubigkeit des Besitzers wird von Gesetzes wegen angenommen / vermutet. Wer das Gegenteil behauptet, muss dies im Prozess (gegen den Besitzer) beweisen! → Die Besitzprivilegien – beatus possidens: Besitzprivilegien.
Redlichkeitsvermutung
Rechtsvermutung ist die gesetzliche Annahme, dass bei Vorliegen einer (bestimmten) Tatsache, ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht. – Rechtsvermutungen sind entweder (durch jedes Beweismittel) widerlegbar (praesumptio iuris) – zB §§ 23, 138, 155, 163 und nunmehr § 38 ABGB – oder unwiderlegbar (praesumptio iuris ac de iure); zB § 1152 ABGB oder bei der Schenkung (→ Redlicher Besitz: donatio non praesumitur) sowie §§ 1426 ff ABGB (Quittung: begründet Rechtsvermutung über die Zahlung einer Schuld). – Zur Fiktion → KAPITEL 13: Erfüllungsfiktion.
Rechtsvermutung
Zur Rechtsstellung des redlichen Besitzers, insbesondere der Legitimationswirkung des Besitzes vgl die §§ 329 ff ABGB. Kurz: Der redliche Besitzer kann über die Sache (wie ein Eigentümer) verfügen.
Legitimationswirkung
Die Frage der Redlichkeit oder Gutgläubigkeit des Besitzes ist zB eine wichtige Tatbestandsvoraussetzung des § 367 ABGB → KAPITEL 8: Gutgläubiger Eigentumserwerb. Guter Glaube setzt nach der Rspr – zB EvBl 1971/261 oder MietSlg 2172 – die positive Überzeugung von der „Rechtmäßigkeit” oder wenigstens einen entschuldbaren Irrtum voraus. Zweifel oder nur leichte Fahrlässigkeit schließen Gutgläubigkeit bereits aus.
Bedeutung
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1978/76: Versteigerung eines Traktors samt Frontlader und Schaufel.§ 367 ABGB schützt auch bei der gerichtlichen Versteigerung nur den redlichenErwerber, also denjenigen, der iSd § 368 ABGB den Verpflichteten „aus wahrscheinlichen Gründen für den Eigentümer halten konnte”; dabei schadet schon leichte Fahrlässigkeit.
JBl 1980, 589: Versteigerung eines Bürocomputers – Wenn der Verpflichtete in der Versteigerung behauptet, dass die Sache nicht ihm gehört, so schließt schon diese Behauptung den guten Glauben des Bieters aus. Es ist nicht erforderlich, dass der Verpflichtete das Fremdeigentum belegen kann.
MietSlg 4328 (1955): Der gute Glaube juristischer Personen bestimmt sich nach dem guten Glauben ihrer (für sie handelnden) Organe. Zur juristischen Person → KAPITEL 4: Die juristische Person .
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3. Echter Besitz
§ 345 ABGB: „Wenn sich jemand in den Besitz eindringt, oder durch List oder Bitte heimlich einschleicht, und das, was man ihm aus Gefälligkeit, ohne sich einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen gestattet, in ein fortwährendens Recht zu verwandeln sucht; so wird der an sich unrechtmäßige und unredliche Besitz noch überdies unecht; in entgegengesetzten Fällen wird der Besitz für echt angesehen.” – Das römische Recht spricht kurz und bündig von: nec vi, nec clam, nec precario.
Beispiel
Die im Gesetz angesprochene Bittleihe vermittelt nicht die Besitzprivilegien, insbesondere nicht die günstigere Beklagtenrolle im Prozess. – Die Einrede der Unechtheit des Besitzes ist aber – ausnahmsweise – auch im Besitzstörungsverfahren zulässig! → Klagebegehren, Beweislast, Zuständigkeit
Bittleihe
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IV. Besitzschutz – Allgemein
1. Warum wird der Besitz geschützt?
Fassen wir zusammen: Obwohl der Besitz – aus rechtlicher Optik betrachtet – nur eine tatsächliche Beziehung zu einer Sache darstellt, wird er rechtlich geschützt. Die Rechtsordnung als Friedensordnung verfolgt das Ziel, Gewalt und Eigenmacht möglichst auszuschalten, weil daraus leicht Un-Frieden entsteht und schützt daher – als Vorstufe des Rechtsschutzes – schon den bestehenden faktischen Ist-Zustand (= Besitz) und verbietet es, ihn eigenmächtig, dh ohne geordnetes Verfahren, abzuändern; sog Eigenmacht- oder Selbsthilfeverbot.
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2. Was umfasst der Besitzschutz heute?
Wie erwähnt will das grundsätzliche Selbsthilfeverbot des § 19 ABGB nicht jede Selbsthilfe ausschalten. Das wäre weltfremd. Daher belässt auch die moderne Rechtsordnung einen letzten Rest davon bei den unmittelbar von Besitzstörungen Betroffenen und gestattet, wenn auch in eingeschränktem Maße, autonome Selbsthilfemaßnahmen.
Wir unterscheiden insgesamt:
Autonom-individueller und gerichtlicher Besitzschutz
• Einerseits außergerichtliche autonom-individuelle Besitzschutzmöglichkeiten des / der Gestörten:
• Und andrerseits den gerichtlichen Besitzschutz, das Besitzstörungsverfahren → Warum wird der Besitz geschützt?
Anders als dem Besitzer kommt dem Inhaber (Detentor), aber auch dem Prekaristen kein Besitzschutz zu. Häufig ist der Sachinhaber (zB Mieter) aber gleichzeitig auch Rechtsbesitzer, sodass er Besitzschutz genießt. Der Rechtsbesitz erweitert also den Besitzschutz auch auf schuldrechtliche (Rechts)Beziehungen, sofern diese mit Sachinhabung und einem Gebrauchsrecht verbunden sind, wie dies bei Bestandverträgen, der Leihe oder dem Vorbehaltskäufer der Fall ist.
Der Rechtsbesitzer (zB Mieter) erlangt dadurch Schutz gegen Dritte (Drittschutz) – und nicht nur gegen seinen Vertragspartner, wenn diese in seine Rechtsposition eingreifen; etwa:
• Rechtsbesitzer können sich also auch unmittelbar – dh ohne Vermittlung durch den Eigentümer – gegen eine Besitzstörung zur Wehr setzen; vgl § 454 Abs 1 Satz 1 ZPO: „ ... Störung des Besitzstandes bei Sachen und bei Rechten, ...”.
• Nach § 364 Abs 2 ABGB genießen sie auch Immissionsschutz → KAPITEL 8: Die Immissionen ¿ Überblick;
• und bei Schadenszufügung durch Dritte stehen ihnen eigene Schadenersatzansprüche zu → KAPITEL 9: Die Schadenersatzvoraussetzungen.
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3. Was setzt Besitzschutz (allgemein) voraus?
Zunächst eine Besitzverletzung:
Das heisst: Der tatsächliche Besitz muss gestört worden sein, was auch beim Rechtsbesitz möglich ist. Etwa wenn der Rechtsbesitz des Mieters durch nachbarlichen Lärm oder ein anderes störendes Verhalten des Vermieters oder Dritter beeinträchtigt wird.
Besitzverletzung
Zudem muss die Verletzung „eigenmächtig” erfolgt sein. Das heisst, die (Besitz)Verletzung muss ohne Eingriffsrecht, also unbefugt, zugefügt worden sein. – Besteht ein Recht zum Eingriff, liegt keine Eigenmacht vor!
Eigenmacht
Beispiel
Beispiel


Besitzschutz durch Selbsthilfe oder Gericht
Abbildung 3.8:
Besitzschutz durch Selbsthilfe oder Gericht


Beispiele erlaubter Selbsthilfe
Abbildung 3.9:
Beispiele erlaubter Selbsthilfe
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4. Tiefere Gründe des Besitzschutzes: Friedenssicherung
Das ABGB ging einen Mittelweg: Einerseits sollte verbotene Eigenmacht und Selbsthilfe untersagt sowie ein Gewaltverbot statuiert werden; andrerseits wollte der Gesetzgeber erlaubte Selbsthilfe (§§ 19, 344 ABGB; § 3 StGB: Notwehr) nicht völlig unterbinden. Denn es ist ein sehr alter, sogar naturrechtlich fundierter Grundsatz, der es erlaubt, auf Gewalt mit angemessener Gewalt zu antworten – vim vi repellere licet.
vim vi repellere licet
Das Gesetz verbietet grundsätzlich Eigenmacht und untersagt Selbsthilfe, weil das Gewaltmonopol in modernen Staaten allein dem Staate zusteht, der es durch seine Behörden handhabt, allenfalls auch an Private delegiert. Deshalb enthält § 19 ABGB eine Rechtsschutzgarantie: Fühlt sich jemand rechtlich beschwert, kann er sich – so § 19 – mit seiner Beschwerde an die Gerichte / Behörden wenden. Richter haben (!) auf der anderen Seite über (zivil)rechtliche Beschwerden zu entscheiden und dürfen sich dieser Entscheidung nicht entziehen (Rechtsverweigerungsverbot), zumal sie das Lückenfüllungskonzept des § 7 ABGB (→ KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung) in die Lage versetzt selbst dann zu entscheiden, wenn das Gesetz keine Regelung enthält, also lückenhaft ist. Zwischen den §§ 7 und 19 ABGB besteht demnach – wie erwähnt – ein innerer funktionaler Zusammenhang: Einerseits der Rechtsgewähranspruch des Staates samt richterlichem Non-liquet- oder Rechtsverweigerungsverbot, andrerseits das Selbsthilfe- und Gewaltverbot für rechtssuchende Bürger. Diese geniale rechtsfunktionale Verschränkung Martinis – die weder das ALR, noch der frCC kannten – besitzt bereits protorechtsstaatliche Züge.
Gewaltmonopol moderner Staaten
Wir wissen bereits: Das Gesetz schützt Besitzer auch gegen stärker Berechtigte (zB den Eigentümer), weil es Selbsthilfe und Eigenmacht – die immer eine Gefahr für den (Rechts)Frieden darstellen – auch durch den Rechts-”Inhaber” ausschließen will. Dadurch erweist sich der Besitz als wichtiges gesellschaftliches Instrument der Friedenssicherung; Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung. – Das Verbot von Eigenmacht will aber nicht jeden Selbstschutz (des Besitzers) verhindern. § 344 ABGB stellt deshalb klar und gewährt dem Besitzer „in dem Falle, dass die richterliche Hilfe zu spät kommen würde [ausdrücklich das Recht], Gewalt mit angemessener Gewalt abzutreiben”; sog Besitzwehr / Notwehr (§§ 19, 344 ABGB; § 3 StGB: Notwehr). Und in Erweiterung dieses Selbstschutzrechts gestattet man dem Besitzer sogar schon (fast) entzogenen Besitz sogleich / in continenti wieder zurückzugewinnen; sog Besitzkehr. – Es ist also stets zu prüfen, ob das Kriterium des § 344 ABGB für erlaubte Selbsthilfe, dass nämlich „richterliche Hilfe zu spät kommen würde”, erfüllt ist.
Wenn „richterliche Hilfe zu spät kommen würde”
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1953, 267: Erlaubte bäuerliche Selbsthilfe gegen (auf seinem Grund) wildernde Hunde. Bei berechtigter Selbsthilfe (die Hunde wurden erschossen) ist kein Schadenersatz zu leisten. – OGH bejaht analoge Anwendung des JagdG!
EvBl 1967/355: Erneutes Überkleben bereits überklebter Wahlplakate als erlaubte Selbsthilfemaßnahme.
Beispiel


Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr
Abbildung 3.10:
Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr
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V. Gerichtlicher Besitzschutz
1. Worum geht es im Besitzstörungsverfahren?
Wir haben gehört, dass darüber gestritten wurde, ob der Besitz bloße Tatsache oder (auch) ein Recht sei und wissen, dass dieser Streit – wie viele Verabsolutierungen – wenig bringt, weil der Besitz jedenfalls eine Tatsache mit wichtigen rechtlichen Konsequenzen / Rechtswirkungen ist. Eine dieser Konsequenzen zeigt sich im Besitzstörungsprozess, der in der Folge kurz erörtert wird.
Der Besitzstörungsprozess, das sog Possessorium, dreht sich nämlich nicht – und das ist wichtig zu verstehen (!) – um das Recht zum Besitz oder damit zusammenhängende Rechtsfragen (das sog Petitorium; zB Schadenersatz), sondern bloß um die Tatsache des Besitzes; genauer: um die Tatsache des letzten ruhigen Besitz(stand)es und der (erfolgten) Störung des bisher unbeeinträchtigten Besitzes. Dazu gleich mehr.
Possessorium und Petitorium
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2. Tatbestandsvoraussetzungen der Besitzstörung
§ 339 ABGBbestimmt: „Der Besitz mag von was immer für einer Beschaffenheit sein, so ist niemand befugt, denselben eigenmächtig zu stören. Der Gestörte hat das Recht, die Untersagung des Eingriffes ... gerichtlich zu fordern.”
Geschützt wird danach Sach-, wie Rechtsbesitz, aber – und das überrascht immer wieder – auch der unrechtmäßige und unredliche, nicht dagegen der unechte Besitz; vgl dazu das Beispiel oben → Missbilligung von Selbsthilfe und Eigenmacht: Fahrraddiebstahl. – Damit nennt das ABGB die zwei Tatbestandsmerkmale der Besitzstörung: Das Vorliegen einer Besitzverletzung / -störung und von verbotener Eigenmacht.
Beim Beurteilen „verbotener Eigenmacht” spielen wiederum rechtliche Fragen eine Rolle. Verbotene Eigenmacht ist nämlich immer dann anzunehmen, wenn kein Recht bestand, den auch bloß faktischen Besitzstand zu ändern oder auch nur Besitzhandlungen zu setzen.
Beispiel


Besitzstörung – Gerichtlicher Besitzschutz
Abbildung 3.11:
Besitzstörung – Gerichtlicher Besitzschutz


Possessorium und Petitorium
Abbildung 3.12:
Possessorium und Petitorium
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3. Rechtsquellen und Ziele des gerichtlichen Besitzschutzes
Sie finden sich heute nicht nur im ABGB (§§ 339 ff ABGB)., Hauptregelungsort ist vielmehr die ZPO: §§ 454 ff ZPO.
Angepasst an die rechtlich-gesellschaftliche Funktion des Besitzes, dem äußeren Frieden zu dienen, ist es verfahrensrechtliches Ziel des Besitzstörungsverfahrens, die Störung der (tatsächlichen) äußeren Ordnung wiedermöglichst rasch zu beseitigen; vgl auch § 454 ZPO.
Ziel des Besitzstörungsverfahrens
Das Besitzstörungsverfahren ist eine vereinfachte, abgekürzte besondere Verfahrensart vor den Bezirksgerichten, deren Procedere im Vergleich zum ordentlichen streitigen Verfahren erheblich vereinfacht ist; zB kein absoluter Anwaltszwang, mündliches Vorbringen zu Protokoll statt Schriftsätze etc.
Vereinfachtes bezirksgerichtliches Verfahren
Zielsetzungen dieses Verfahrens:
• nach § 459 ZPO „ ... sich darauf zu beschränken, eine einstweilige Norm für den tatsächlichen Besitzstand aufzustellen ...”
Verfahrensziele
• nach § 457 ZPO ist „die Verhandlung ... auf die Erörterung und den Beweis der Tatsache des letzten Besitzstandes und der erfolgten Störung zu beschränken, und es sind alle Erörterungen über das Recht zum Besitze, über Titel, Redlichkeit und Unredlichkeit des Besitzes* oder über etwaige Entschädigungsansprüche [dh Schadenersatzansprüche!] auszuschließen.”
* Nicht angeführt wird hier die „Echtheit” des Besitzes, weshalb diese Einrede auch im Besitzstörungsverfahren erhoben werden kann → Echter Besitz
• Und § 454 ZPO bestimmt: „ ... in welchen das Klagebegehren nur auf den Schutz und die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes [§ 49 Z 4 JN spricht vom „letzten tatsächlichen Besitzstand”] gerichtet ist ...”
Alle diese Fragen konzentrieren sich darauf, möglichst rasch die gestörte faktisch-äußere Ordnung wiederherzustellen, was verlangt, im Besitzstörungsverfahren auf die Klärung von uU langwierigen und schwierigen Rechtsfragen zu verzichten. Daher werden diese erst gar nicht zugelassen.
Um die gestörte äußere Ordnung möglichst rasch wiederherzustellen, verlangt das Gesetz (§ 454 I Satz 1 ZPO) auch, dass Besitzstörungsklagen „innerhalb 30 Tagen anhängig zu machen sind, nachdem der Kläger von der Störung Kenntnis erlangte”.
30 Tage
Diese 30-Tage-Frist ist eine materiell-rechtliche Ausschlussfrist; dh, dass im Gegensatz zu den prozessualen oder formellen Fristen die Zeit des Postlaufs mitzählt → KAPITEL 13: Materielle und formelle Fristen.
Das Besitzstörungsverfahren wird auch als Possessorium bezeichnet, zum Unterschied vom Petitorium oder petitorischen Verfahren, womit das normale streitige Verfahren – der Zivilprozess – gemeint ist, bei dem es primär um Rechtsfragen geht. – Der im „Possessorium” Unterlegene kann aber nachträglich (selbstverständlich) immer noch sein Recht zum Besitz in einem petitorischen Verfahren abklären. Dasselbe gilt für allfällige Schadenersatzansprüche.
Possessorium und Petitorium
Beachte
Nicht ausgeschlossen wird durch § 457 ZPO (der es untersagt, den in § 339 Satz 2 ABGB erwähnten Schadenersatz geltend zu machen), dass Naturalrestitution, also Wiederherstellung des vorigen Besitzstandes / Zustandes gefordert werden kann; Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1647. Darin steckt aber das Anerkennen von Schadenersatz iSd § 1323 ABGB, der primär auf Naturalersatz geht. – Insoferne entpuppt sich die Antinomie nur als eine teilweise.
Wiederherstellung des vorigen Besitzstandes
Rechtssprechungsbeispiel
GlU 9694 (1883): Störung im Besitze des Viehtriebs (1): Unzulässigkeit der Einwendung, dass der Viehtrieb nur gegen Entgelt gestattet wurde (2). – Dieses Urteil stellt ein schönes Beispiel für die Grenze zwischen Possesorium und Petitorium dar. Zu (1): Gestört wurde durch den Beklagten Gutspächter der Rechtsbesitz der Gemeinde A auf Viehtrieb, weil er das Grundstück, über das das Vieh von „Gemeindeinsassen” getrieben wurde, „eingeackert und bebaut und den Viehtrieb untersagt hat”. Das Recht des Viehtriebs ist eine ländliche Grunddienstbarkeit an der Rechtsbesitz bestehen kann. – Zu (2): Die Einwendung des Beklagten, „dass er den Viehtrieb nur gegen eine Vergütung von 4 fl [= Gulden] gestattet habe”, musste vor Gericht gar nicht mehr auf seine Berechtigung geprüft werden, weil es sich dabei um eine ins Petitorium gehörige Rechtsfrage handelte! In 2. Instanz hatte das OLG Lemberg entschieden.
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4. Klagebegehren, Beweislast, Zuständigkeit
Das Klagebegehren (vgl § 226 ZPO) der Besitzstörungsklage geht (so SpR 224) auf:
Wiederherstellung und Schutz des widerrechtlich veränderten (tatsächlichen) Zustands und zusätzlich auf
Unterlassung weiterer, also künftiger Störungen.
Der Kläger hat im Possessorium seinen letzten ruhigen Besitz und die (Tatsache!) der erfolgten Besitzstörung durch den Beklagten zu beweisen. Den Kläger trifft bezüglich dieser klagsbegründenden Voraussetzungen die Beweislast.
Beweislast
Sachlich zuständig für die Einbringung von Besitzstörungsklagen sind die Bezirksgerichte. – Es besteht kein (absoluter) Anwaltszwang; dh man braucht weder für die Klagseinbringung, noch für die Verhandlung einen Rechtsanwalt.
Sachliche Zuständigkeit
Beachte
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5. Gefährdung durch Bauführung oder Einsturz: §§ 340-343 ABGB
Auch in diesen Fällen handelt es sich um Besitzstörungen.
Klagsberechtigt nach § 340 ABGB ist „der Besitzer einer unbeweglichen Sache oder eines dinglichen Rechtes”. Daher auch obligatorisch Berechtigte, also etwa Mieter oder Pächter, die Rechtsbesitzer sind. – Die Klagsführung setzt ferner voraus, dass der Besitzer (zB eines Gebäudes oder andern Werks) „in seinen Rechten gefährdet” wird. Wir haben es hier mit einer vorbeugenden Besitzstörungsklage zu tun, die auch während einer Bauführung zulässig ist. Anzuwenden sind diese Regeln nach § 342 ABGB ebenso auf eine neue Bauführung, wie die „Niederreißung eines alten Gebäudes, oder andern Werkes”.
Klagslegitimation
§ 343 ABGB dehnt diese Regeln – nach römischrechtlichem Vorbild: cautio damni infecti – auf den Fall aus, dass dem Besitzer eines dinglichen Rechts durch einen bereits vorhandenen fremden Bau oder eine andere fremde Sache ein offenbarer Schaden durch den Einsturz der Sache droht und gibt ihm das Recht auf Sicherstellung (nicht auf Beseitigung des gefährlichen Zustands) zu dringen; sog Kautionsklage / Verfahren wegen Sicherstellung.
Cautio damni infecti
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 655: Die Kläger brachten vor, sechs Bäume der Nachbarliegenschaft seien faul und stellten eine latente Gefahr für das Haus der Kläger dar. Die Kläger begehrten daher die Bestellung eines Sicherungspfandrechts im Höchstbetrag von 450.000 S. – Vgl dazu das um Analogie erweiterte Verständnis des § 1319 ABGB → KAPITEL 10: Haftung für Bauwerke: § 1319 ABGB: EvBl 1987/192.
Zur analogen Anwendung des § 1319 ABGB auf Bäume → KAPITEL 11: Rspr-Beispiele für Gesetzesanalogie. Auf Grund dieser Judikatur des OGH sollte es keine Probleme geben, § 343 ABGB ebenfalls analog auf gefährliche Bäume anzuwenden und Sicherstellung zu gewähren. Der Beseitigungsanspruch kann iVm § 1319 ABGB gewährt werden.
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B. Darlehen und Kredit
Der erste Teil dieses Kapitels handelt vom Besitz (A), einer wichtigen Sachenrechtskategorie. Daran schließen die rechtsgeschichtlich alten Realverträge Darlehen, Leihe und Verwahrung an (B, C und D), die eine interessante innerkontraktliche Verbindung von Schuld- und Sachenrecht aufweisen, zumal bei ihnen das schuldrechtliche Titelgeschäft der modalen Übergabe bedarf, soll ein gültiger Real(haupt)vertrag zustande kommen. Titel und Modus bilden bei den Realverträgen gleichsam ein Ganzes. Vertragsschluss und Erfüllung sind miteinander verbunden. Kapitel 3 setzt demnach das Thema von Kapitel 2 fort, das in Punkt A, Kauf und Tausch (als typische Titelgeschäfte), und in Punkt B die Lehre von Titel und Modus behandelt. – Die dieses Kapitel abschließende Schenkung (E) ist zwar kein Realvertrag, kennt aber vergleichbare Probleme in der Praxis, nämlich die Schenkung ohne wirkliche Übergabe: § 943 ABGB.
I. Das Darlehen als Realvertrag
Sie alle haben wohl schon einmal Geld aufgenommen, ‘ausgeliehen’. Wenn schon nicht von einer Bank, so doch bei einem Freund, einer Freundin oder von Bekannten. Vielleicht trifft auch auf Sie zu, dass Sie bisher glaubten genau zu wissen, was Sie tun, und müssen nun feststellen, dass es dabei – rechtlich – Neues zu entdecken gilt. – Geregelt ist das Darlehen, das natürlich auch schon die Babylonier, Ägypter und Griechen kannten, das mutuum des römischen Rechts, in den §§ 983 ff ABGB. Das Darlehen war seit Jahrtausenden „das” Geld- und Kreditgeschäft, wobei zu beachten ist, dass nicht jedes Kreditgeschäft Darlehen ist; vgl etwa den Kauf auf Borg / Kreditkauf: § 1063 ABGB → KAPITEL 2: Kreditkauf.
Zum Begriff „Kreditierung” und seiner Abgrenzung (von Stundung, Verzug etc) → KAPITEL 7: Fälligkeit, Mahnung, Stundung, Kreditierung.
1. Sach- oder Gelddarlehen
Wenn sie sich von einem/er FreundIn Geld ‚ausleihen’ ist das Darlehen, nicht Leihe. Dasselbe gilt, wenn sie sich vertretbare Sachen – etwa Brot, Milch oder Zigaretten – ‚ausborgen’. Sie wollen und müssen später Sachen gleicher Art und Güte zurückgeben (→ Gesetzliche Definition), nicht etwa dieselben Sachen; denn die Nahrungsmittel wollen sie essen, die Zigaretten rauchen. Auch das ist Darlehen, wenngleich Sach- und nicht wie im ersten Fall Geld darlehen; vgl § 984 ABGB. – Der Sprachgebrauch entspricht hier also häufig nicht der korrekten rechtlichen Terminologie!
Darlehen kommt sprachlich von Dar-leihen. Der Begriff / das Rechtsinstitut Leihe war (noch) im Mittelalter wesentlich bedeutsamer, weitverbreitet und vielgestaltiger als heute → Die Leihe Ihr Begriffsinhalt war weiter, weil nicht nur das unentgeltliche Überlassen von Sachen in dieser Rechtsform möglich war, sondern die Leihe auch entgeltliche Überlassungsformen einschloss; bspw die im Mittelalter wichtige (Grund)Leihe gegen Zehent, Fronden, Natural- oder Geldzinsen. Von Bedeutung war die mittelalterliche Leihe ganz besonders im Liegenschaftsrecht, wo sie neben dem Eigentum eine wichtige und variantenreiche Rechtsform der Grundüberlassung darstellte. – An diesen viel weiteren Begriffsinhalt der Leihe erinnert noch der Begriff des Darlehens, der Dar-leihe. Während die Leihe heute notwendig unentgeltlich ist, kommt das Darlehen noch heute entgeltlich und unentgeltlich vor. – Der häufig falsche Sprachgebrauch erinnert wohl noch an dieses ältere Verständnis der Leihe!
Etymologie und Rechtsgeschichte
Neuere Gesetzbücher haben den alten Realvertrag Darlehen – der mit seiner modalen Übergabsverpflichtung noch das Misstrauen gegenüber Rechtsakten widerspiegelt, die nicht Zug um Zug erfüllt werden – zugunsten des Kredit(eröffnungs)vertrags aufgegeben, der bereits Konsensualvertrag ist. § 488 dtBGB – ähnlich Art 312 SchwOR – regelt als Darlehen, was wir Kreditvertrag nennen.
Realverträge sterben ab
§ 983 ABGB: „Wenn jemandem verbrauchbare Sachen unter der Bedingung übergeben werden, daß er zwar willkürlich darüber verfügen könne, aber nach einer gewissen Zeit eben so viel von derselben Gattung und Güte zurück geben soll; so entsteht ein Darlehensvertrag. Er ist mit dem, obgleich ebenfalls verbindlichen Vertrage (§ 936), ein Darlehen künftig zu geben, nicht zu verwechseln.”
Gegenüberstellung von § 983 ABGB und § 488 dtBGB
§ 488 dtBGB: „(1) Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet, einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung gestellte Darlehen zurückzuerstatten.
(2) Die vereinbarten Zinsen sind, soweit nicht ein anderes bestimmt ist, nach dem Ablauf je eines Jahres und, wenn das Darlehen vor dem Ablauf eines Jahres zurückzuerstatten ist, bei der Rückerstattung zu entrichten.
(3) Ist für die Rückerstattung des Darlehens eine Zeit nicht bestimmt, so hängt die Fälligkeit davon ab, dass der Darlehensgeber oder der Darlehensnehmer kündigt. Die Kündigungsfrist beträgt drei Monate. Sind Zinsen nicht geschuldet, so ist der Darlehensnehmer auch ohne Kündigung zur Rückerstattung berechtigt.”
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2. Gesetzliche Definition
„Wenn jemandem verbrauchbare [und zugleich vertretbare; das ABGB kennt diesen Begriff noch nicht → KAPITEL 8: Vertretbare und unvertretbare Sachen] Sachen unter der Bedingung übergeben werden, dass er zwar willkürlich darüber verfügen könne, aber nach einer gewissen Zeit ebenso viel von derselben Gattung und Güte [römisches Recht: tantundem eiusdem generis] zurückgeben soll; so entsteht ein Darlehensvertrag ...”; §§ 983, 992 ABGB.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 4/24 (1922): § 992 ABGB – „Darlehen, die nicht über Geld, sondern über andere verbrauchbare Gegenstände geschlossen werden ...”; hier: Blei aus Akkumulatoren.
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3. Terminologie
Die Personen des Darlehensvertrags heißen DarlehensgeberIn (§ 987 ABGB: Darleiher) und DarlehensnehmerIn; § 1001 ABGB spricht noch von Anleiher.
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4. Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit
Ein Darlehen kann entgeltlich oder unentgeltlich gegeben werden; § 984 ABGB. Im letzten Fall spricht man von Freundschaftsdarlehen.
Es wird üblicherweise in Form von Zinsen geleistet, kann aber auch in Gewinnanteilen bestehen; sog partiarisches oder Beteiligungsdarlehen. Dazu gleich mehr. – Die Höhe der Zinsen ist zu vereinbaren.
Darlehensentgelt
Es gibt gegenwärtig keine Zinsenhöchstgrenzen in Österreich. Daher besteht die Gefahr wucherischer Vereinbarungen; vgl aber § 879 Abs 2 Z 4 (Wucher) und § 934 ABGB: Verletzung über die Hälfte.
Sie betragen im Zivilrecht 4% (§ 1000 Abs 1 iVm § 1333 Abs 1 ABGB), nach Handelsrecht (§ 1333 Abs 2 ABGB iVm § 352 HGB: 8% + Basiszinssatz) und im Wechsel- und Scheckrecht 6%. – Häufig werden aber (in der Praxis) höhere als die gesetzlichen Zinsen vertraglich vereinbart; sog bankmäßige Zinsen. – § 1000 ABGB idF von BGBl I 2002/118 (in Geltung ab 1.8.2002) enthält eine neue Zinsenregelung; vgl auch § 49a ASGG. § 1000 Abs 2 regelt die Entrichtung von Zinseszinsen und verlangt dafür ausdrückliche Vereinbarung. Abs 3 regelt die Frist zur Zahlung von Zinsen.
Gesetzliche Zinsen
Worin bestehen die Zinsen beim Sachdarlehen? Vgl dazu Codex Justinianus 4, 32, 23: Konstitution der Kaiser Diokletian und Maximian aus dem Jahre 294 n.C. – „Bei Darlehen von Öl und Früchten aller Art hat man sich durch die Ungewissheit der Preise bewogen gefunden, Zinsen in demselben Stoffe zuzulassen.”
Partiarisches Darlehen
• Ein Beteiligungs- oder partiarisches Darlehen wird angenommen, wenn das Darlehensentgelt nicht in festen Zinsen, sondern in einem festgelegten Gewinnanteil besteht; zB 15 % des erzielten Reingewinns. Hier erfolgt die Geldhingabe gegen Gewährung einer vereinbarten Gewinnbeteiligung.
Das Beteiligungsverhältnis zieht Auskunfts- und Rechnungslegungsansprüche nach sich. Abzugrenzen ist diese Darlehensform von der Stillen Gesellschaft; dazu gleich mehr. Aber auch von der GesbR → KAPITEL 12: Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts.
Die Beteiligungs- oder partiarischen Verträge umfassen neben dem partiarischen Darlehen auch noch andere Arten der Gewinnbeteiligung; zB kann dies auch eine einmalige Prämie sein, die für einen Geschäftsabschluss gezahlt wird: Zur Handelsvertreter- oder Maklerprovision → KAPITEL 13: Direkte Stellvertretung: Anwendungsbereich.
Die Stille Gesellschaft (§§ 178-188 HGB) ist – zum Unterschied vom Beteiligungsdarlehen – eine Gesellschaft. Der stille Gesellschafter / Teilhaber beteiligt sich am Handelsgewerbe eines anderen mit einer Einlage. Diese Einlage geht – wie übergebenes Geld beim Darlehen – in das Eigentum des Geschäftsherrn, des sog tätigen Teilhabers über. Es wird also nicht wie bei OHG oder KG ein gemeinsames Gesellschaftsvermögen gebildet. Der „Stille” ist aber am erwirtschafteten Gewinn beteiligt. Die Stille Gesellschaft ist keine Handelsgesellschaft, da sie kein Handelsgewerbe betreibt. Die Geschäftsführung steht dem tätigen Teilhaber zu, der das Geschäft im eigenen Namen betreibt und sich rechtsgeschäftlich allein berechtigt und verpflichtet. Der stille Gesellschafter haftet auch nicht für Unternehmensschulden. Er besitzt aber Kontrollrechte (wie ein Kommanditist) und ist am Gewinn und (!) Verlust beteiligt, wobei die Verlustbeteiligung ausgeschlossen werden kann. – Die Stille Gesellschaft ist vom partiarischen Darlehen und der KG abzugrenzen.
Stille Gesellschaft
Von der typischen wird die atypische Stille Gesellschaft unterschieden, die als GesbR angesehen wird: Bei ihr wird im Gesellschaftsvertrag (→ KAPITEL 12: Der Gesellschaftsvertrag) vereinbart, dass der Stille Gesellschafter / Teilhaber bei der Auflösung der Gesellschaft und bei der Auseinandersetzung schuldrechtlich so gestellt wird, als gehörte das Gesellschaftsvermögen beiden Gesellschaftern gemeinsam. In diesem Fall ist steuerlich eine Mitunternehmerschaft anzunehmen.
Atypische Stille Gesellschaft
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5. Schuldrechtliche Beziehung
Gschnitzer, SchRBesT 3 (1963): „Die Art des Gegenstandes macht das Darlehn zum einfachsten aller Schuldverträge: Es kommt nicht auf das individuelle Stück an, und der Gebrauch kann nur durch Verbrauch geschehen. Daher erwirbt der Schuldner [= Darlehensnehmer] Eigentum [durch Übergabe] und muss nicht dieselben Stücke, sondern nur dieselbe Art und Menge zurückstellen. Ist das Darlehn gegeben, so entstehn Pflichten nur auf einer Seite”, nämlich der des Darlehensnehmers in Form von Rückgabe- und Zahlungspflichten.
Das Darlehen ist ein einseitig verpflichtender Vertrag, contractus unilateralis → KAPITEL 5: Einseitige Rechtsgeschäfte.
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6. Sachenrechtliche Beziehung
Der Darlehensnehmer wird Eigentümer, Besitzer und Inhaber, der Darlehensgeber bleibt nur schuldrechtlich (rück)forderungsberechtigt und trägt das damit verbundene Risiko der Zahlungsunfähigkeit oder –unwilligkeit des Schuldners. Daher werden häufig zusätzliche Sicherungsmittel () vereinbart.
Zur „Rollen”-Bedeutung von Gläubiger und Schuldner im Schuldrecht → KAPITEL 7: Schuld und Forderung.


Realkontrakte – Übersicht
Abbildung 3.13:
Realkontrakte – Übersicht
Das römische Recht unterschied innerhalb der Realkontrakte zwischen den Nominat- oder benannten Realkontrakten – zu ihnen zählten Darlehen (mutuum), Leihe (commodatum), Verwahrung (depositum) und Pfandvertrag (pignus) – und Innominat- oder unbenannten Realkontrakten, bei denen durch die Leistung einer Seite ein klagbarer Anspruch auf Gegenleistung der anderen Seite entstand und dieses Rechtsverhältnis nicht unter einen anderen Kontraktstypus fiel. Der Schuldvertrag kam auch bei den Innominatrealkontrakten nicht schon durch die korrespondierenden Willenserklärungen (den Konsens) der Vertragsparteien, sondern erst durch die reale Leistung einer Seite zustande. Mit Vertragsschluss entsteht auch die Verpflichtung zur Gegenleistung. Als Leistungsinhalte kamen bei den Innominatrealkontrakten in Betracht: Bis Justinian galten der Tausch- (permutatio) und Trödelvertrag (Verkaufsauftrag: contractus aestimatoriae; vgl noch § 1083 ABGB) als Innominatrealkontrakte, dann wurden sie den Konsensualkontrakten zugezählt.
Nominat- und Innominatrealkontrakte
do ut des = Sachleistung gegen Sachleistung;
do ut facias = Sachleistung gegen Dienstleistung;
facio ut des = Dienstleistung gegen Sachleistung;
• und schließlich facio ut facias = Dienstleistung gegen Dienstleistung.
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7. Das Darlehen als Realvertrag
Das heißt: Ein gültiger Darlehens(haupt)vertrag setzt voraus:
• Einerseits die vertragliche Willenseinigung der Parteien (= Konsens) und zusätzlich (!),
• die reale (dh wirkliche) Übergabe des Darlehensgegenstandes: Dies geschieht idR durch Zuzählung der Darlehensvaluta (= des Geldes) bei barer Übergabe von Geld oder durch (wirkliche Durchführung der) Überweisung / Gutschrift auf das Konto des Darlehensnehmers.
Ein gültiger Darlehens(haupt)vertrag setzt also beides voraus: Willenseinigung + reale (= wirkliche) Übergabe. Man kann auch sagen, dass beim Real(haupt)vertrag Titel und Modus ein vertragliches Ganzes bilden. In der Übergabe liegt aber auch ein Publizitätsakt.
Darlehens(haupt)vertrag
Fehlt die Übergabe, bedeutet dies aber nicht, dass eine solche Vereinbarung ungültig ist. In diesem Fall lässt § 983 Satz 2 ABGB, wenn der Abschluss eines Darlehensvertrags gewollt ist, aber keinen Darlehenshauptvertrag, sondern bloß einen Darlehensvorvertrag iSd § 936 ABGB entstehen → KAPITEL 6: Der Vorvertrag: § 936 ABGB.
Darlehensvorvertrag
Zum (Gegensatz)Begriff des Konsensualvertrags → KAPITEL 2: Kauf und Tausch als Konsensualverträge.
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8. Schuldschein und Quittung
Über die Zuzählung eines Darlehens wird häufig ein Schuldschein zur Beweissicherung ausgestellt; vgl dazu § 1001 ABGB und das folgende Beispiel:
Schuldschein


Schuldschein


Hiemit bestätige ich, dass mir Frau Maria B. (Bregenz, Seeufer 12) den Betrag von 10.500 € (zehntausend und fünfhundert Euro) als Darlehen gewährt und übergeben hat und ich diesen Betrag angenommen habe. – Der übergebene Betrag wird vierteljährlich mit 5,5 Prozent verzinst. – Die Fälligstellung des Darlehens erfolgt mittels Kündigung, wofür folgendes vereinbart wird: a) die Kündigungsfrist beträgt 3 Monate; b) das Darlehen ist zunächst 3 Jahre unkündbar.
Dornbirn, am 9.11.2003
Als Darlehensnehmer / Schuldner: Hans Fröhlich, Feldkirch, Bahnhofstraße 2
Unterschrift
Ein Schuldschein ist ein Beweis- und kein Wertpapier (wie zB der Wechsel oder der Scheck) → KAPITEL 15: Der Wechsel.
Beweis- und nicht Wertpapier
Wertpapiere sind Urkunden, die den Wert des Rechts, das sie verbriefen, verkörpern. Man sagt kurz: Das Recht aus dem Papier, folgt dem Recht am Papier. Die Ausübung des Rechts aus einem Wertpapier ist daher an den Besitz des Papiers / der Urkunde gebunden. Nicht so die Geltendmachung einer Darlehensforderung, mag über sie auch ein Schuldschein ausgestellt worden sein. Die Darlehensforderung kann (in diesem Fall) auch auf andere Weise als durch Vorweis des Schuldscheins bewiesen und geltend gemacht werden; zB durch Zeugen. Aber der Schuldschein erleichtert den Beweis!
Vom Schuldschein zu unterscheiden ist die Quittung; §§ 1426 ff ABGB. Die Quittung dient wie der Schuldschein als Beweis(urkunde). Sie begründet (§ 1427 ABGB) eine Rechtsvermutung (→ Redlichkeitsvermutung) der Bezahlung, und zwar auch der Zinsen. – Art 8 Nr 9 EVHGB regelt die Empfangsvollmacht des Überbringers einer Quittung → KAPITEL 13: Erteilung der Vollmacht.
Quittung
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9. Fälligkeit und Dauer des Darlehens
Das Darlehen schafft zwischen den Vertragsparteien eine Dauer(rechts)beziehung, wobei die Dauer / Fälligkeit entweder von vornherein ausdrücklich vereinbart wird (zB: „Rückzahlung am ...”) oder durch den Zweck des Darlehens (zB Zahlung unverzüglich nach Rückkehr von der Amerikareise) oder schließlich durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung (sog Fälligkeitskündigung, richtig handelt es sich dabei um eine Mahnung, also Fälligstellung iSd § 1334 ABGB) bestimmt wird.
Eine Besonderheit bei der Darlehensrückzahlung stellen sog endfällige Darlehen dar. Bei ihnen werden bis zur endgültigen Fälligkeit des Darlehens nur Zinsen zurückbezahlt, die geborgte Summe dagegen erst am Ende der Laufzeit. Finanziert wird das idR mit einem Anlageprogramm in Fremdwährung; zB Schweizer Franken oder Yen. Solche Darlehen / Kredite sind riskant/er, denn sie lohnen sich nur, so lange die Anlagerendite höher ist als der Kreditzinssatz; und bei Fremdwährungsveranlagung spielt das Wechselkursrisiko eine entscheidende Rolle. Das mussten viele Kreditnehmer, die Yen- oder Schweizer Franken-Kredite aufgenommen hatten zur Kenntnis nehmen. Mit dem Anstieg der Wechselkurse für diese Fremdwährungen, stiegen auch die Zinsen und der ursprünglich verführerisch niedrige Zinssatz änderte sich beträchtlich und damit auch die Rückzahlungsbelastung; Doppelbelastung: Wechselkursanstieg + Zinserhöhung. – Daher: Achtung!
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10. Vorzeitige Rückzahlung?
Beim entgeltlichen / verzinslichen Darlehen ist die von den Parteien vereinbarte Zahlungszeit nach ABGB für beide Teile verbindlich; dh: der Darlehensnehmer ist zu vorzeitiger Rückzahlung nicht verpflichtet, aber – anders als beim unverzinslichen Darlehen – wegen des Zinsen- / Anlageinteresses des Darlehensgebers (= Gläubiger) auch nicht berechtigt! – Eine Ausnahme macht nunmehr § 33 Abs 8 BWG iVm § 12a KSchG, die Verbraucher berechtigen, ihre Verbindlichkeiten aus einem Verbraucherkreditvertrag ganz oder teilweise auch vorzeitig zu erfüllen → KAPITEL 2: Vorzeitige Rückzahlung von Verbraucherkrediten (§ 12a).


Verbraucher-Kreditvertrag und Darlehen
Abbildung 3.14:
Verbraucher-Kreditvertrag und Darlehen
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11. Wertsicherung
Wird ein Darlehen mit längerer Laufzeit eingeräumt, wird der innere (Geld)Wert der Darlehenssumme häufig durch eine Wertsicherungsklausel (→ KAPITEL 15: Wertsicherung) – die aber ausdrücklich vereinbart werden muss – gesichert.
Denn die Gefahr der Geldentwertung (von staatlichem Geld mit Zwangskurs) trägt der Gläubiger; SZ 3/61 oder HS 1609. Will der Gläubiger das nicht, muss er sich dagegen vertraglich absichern.
Gefahr der Geldentwertung
Wertsicherungsklauseln legen heute idR der Berechnung einen Index – zB den Lebenshaltungskosten- oder Verbraucherpreisindex – zugrunde. Höhere (Bank)Darlehen werden häufig zusätzlich durch die Bestellung einer Hypothek gesichert. – Für den Verzug mit der Rückzahlung von Darlehensraten und/oder -zinsen wird in der Praxis gerne ein „Terminsverlust“ vereinbart → KAPITEL 2: Vertragsbeispiele: Link.
Indexklauseln
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12. Formfreiheit
Darlehensverträge sind grundsätzlich formfrei, können also mündlich wie schriftlich gültig geschlossen werden; § 883 ABGB. Die Parteien können aber eine besondere Form vertraglich vereinbaren; sog gewillkürte Form: § 884 ABGB. Und in der Praxis werden Darlehensverträge grundsätzlich schriftlich geschlossen. – Eine Art Ersatzfunktion für die Formfreiheit des Darlehens erfüllt der Schuldschein → Schuldschein und Quittung Darüber hinaus ist ein Realkontrakt (→ Das Darlehen als Realvertrag) weniger formbedürftig als ein bloßer Konsensualvertrag.
Sie bedürfen aus Gründen des Gläubigerschutzes eines Notariatsakts; § 1 Abs 1 lit b NZwG.
Darlehensverträge zwischen Ehegatten
Sie bestehen für Verbraucherkredite und Ehegattenkredite → KAPITEL 2: Kreditgeschäfte von Ehegatten (§ 25).
Schriftformerfordernisse nach dem KSchG
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13. Abgrenzungen des Darlehens
Vom Darlehen haben sich im Laufe seiner langen Anwendung eine Reihe von Rechtsinstituten emanzipiert, weil der Realvertrag Darlehen dem Rechtsverkehr in manchem zu behäbig war. – Es kam zu Vereinfachungen und Differenzierungen. Zu nennen sind:
• der Kredit(eröffnungs)vertrag → Der Kredit(eröffnungs)vertrag;
• der Spareinlagenvertrag nach den §§ 31 f BWG → Spareinlagenvertrag – Sparbuch;
• das partiarische Darlehen und
• die Stille Gesellschaft (§§ 178-188 HGB) → Entgeltlichkeit oder Unentgeltlichkeit; und schließlich
• der (Gehalts)Vorschuss → KAPITEL 12: Der Entgeltvorschuss.


Darlehen: §§ 983 ff ABGB
Abbildung 3.15:
Darlehen: §§ 983 ff ABGB
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II. Der Kredit(eröffnungs)vertrag
1. Atypische Neuschöpfung
Im Schuldrecht herrscht Vertragsfreiheit → KAPITEL 5: Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Das führte dazu, dass die Praxis neben dem alten im Gesetz geregelten Realkontrakt Darlehen, eine einfachere, modernere Rechtsfigur entwickelte: den Kredit(eröffnungs)vertrag als bloßen Konsensualvertrag. Er ermöglicht in mancher Hinsicht eine flexiblere Kreditierung und kam einem modernen Wirtschaften entgegen.
So wurde insbesondere in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, bedingt durch Kapital- und Rohstoffmangel, der Kaufpreis für eingeführte Rohstoffe kreditiert und der Lieferant durch einen Eigentumsvorbehalt gesichert; Lieferungskredit → KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt als Warensicherungsmittel.
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2. Umschreibung durch den OGH
Der OGH umschreibt in JBl 1981, 90 den Unterschied zum Darlehen: Danach ist der Kredit(eröffnungs)vertrag ein Konsensualvertrag eigener Art, der auf die Begründung eines zweiseitigen Dauerschuldverhältnisses gerichtet ist. Er ist kein Darlehnsvertrag, weil dieser ein Realvertrag ist, bei dem der verbindliche Abschluss erst mit dem Erbringen der vereinbarten (Sach)Leistung zustande kommt (§ 983 ABGB); aber auch kein Darlehensvorvertrag, da der Wille der Parteien nicht bloß auf den künftigen Abschluss eines Hauptvertrags gerichtet ist, sondern bereits auf unmittelbare Kreditgewährung ohne neuerlichen Vertragsschluss. Der Krediteröffnungsvertrag lässt zwischen den Parteien ein Kreditverhältnis (= Dauerschuldverhältnis) entstehen, dessen gegenseitige Leistungen darin bestehen, dass für eine bestimmte Zeit Kredit in bestimmter Höhe – sog Kreditrahmen – gegen entsprechendes Entgelt zur Verfügung gehalten wird.
Die historische Entwicklung verlief, wie wir am Beispiel von Darlehen und Kredit(eröffnungs)vertrag sehen, von den noch schwerfälligeren Realkontrakten zu den „moderneren” und „einfacheren” Konsensualkontrakten. Ein Zwischenentwicklungsschritt führte – wie uns das römische Recht zeigt – über sog Verbalkontrakte, bei denen die gewünschte Rechtswirkung eines Vertrags von einer rituell-verbal genau festgelegten Wort(ab)folge / Wortwahl abhing; Beispiel: die Stipulation des römischen Rechts – „spondesne …? – spondeo”.
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3. Optionsrecht des Kreditnehmers
Beim Kredit(eröffnungs)vertrag ruft der Kreditnehmer den im Vertrag – also beidseitig – vereinbarten Kredit einseitig aufgrund eines ihm eingeräumten Gestaltungsrechts ab; dies ist Option → KAPITEL 6: Vorvertrag <-> Option.
Nach Kreditzuzählung wendet die Rspr auf den Kreditvertrag Darlehensrecht an. Das ist nichts anderes als Gesamt- oder Rechtsanalogie; § 7 ABGB → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
Eine Aufzählung der vielfältigen Bankgeschäfte findet sich in → KAPITEL 5: Beispiel: Bankgeschäfte als Beispiel für rechtsgeschäftliche Neuschöpfungen bedingt durch die Vertragsfreiheit.
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4. Der Kontokorrentkredit
Ein praktisch wichtiger Anwendungsfall des Kreditvertrags ist – vor allem für Kaufleute – der Kontokorrentkredit. Ein Kontoinhaber kann über den Aktivstand des Kontos hinaus bis zu einer vereinbarten Höchstgrenze – sog Kreditrahmen – verfügen und wird dadurch im Ausmaß des in Anspruch genommenen Kredits Kreditnehmer; vgl NZ 1985, 230: Berechtigung des Kreditnehmers sein Konto (ohne die ansonst nötige Deckung) zu überziehen.
Eine gesetzliche Umschreibung des revolvierenden (Verbraucher)Kontokorrentkredits enthält nunmehr § 33 Abs 3 BWG:
(Verbraucher)Kontokorrentkredit
„ ... sind Kredite in laufender Verrechnung, bei denen der Verbraucher im Rahmen der vereinbarten Laufzeit über den Kreditvertrag oder Teile davon frei und wiederholt verfügen kann.”
Beispiel
Für die Kontoüberziehung verlangen Kreditinstitute bankmäßige Zinsen. Daneben sind individuelle Vereinbarungen möglich. – Die Konditionen, insbesondere die Zinsen, für gegebene Kredite sind bei den einzelnen Kreditinstituten unterschiedlich und wechseln immer wieder, was einen Vergleich bei Inanspruchnahme nahe legt; zu unterscheiden sind Schalter- oder Wohnkredite, drei oder fünf-Jahres-Fix-Kredite sowie Hypothekar- und Lombardkredite etc.
Kontoüberziehung
Darunter versteht man einen Kredit, bei dem der Kreditnehmer – Zug um Zug (mit der Kreditgewährung) – den Kredit durch Waren, Wertpapiere oder Edelmetalle besichert.
Lombardkredit
Eine gesetzliche Umschreibung der Kontokorrentvereinbarung gibt § 355 HGB(§ 1430 ABGB enthält einen bürgerlichrechtlichen Ansatz des kaufmännischen Kontokorrent): Der kaufmännische Geschäftsverkehr / das Handelsrecht kennt ein besonderes Aufrechnungs- und Abrechnungsverfahren zwischen Kaufleuten, die in ständiger Geschäftsbeziehung stehen. Hier kommt es nicht zu einer laufenden Auf- und Abrechnung zwischen den einzelnen Forderungen und Gegenforderungen (Schuldposten), sondern zu einer periodisch globalen Abrechnung und Aufrechnung zu einem vereinbarten Zeitpunkt; sei es monatlich, halbjährlich oder jährlich. Zum festgelegten Zeitpunkt wird der Saldo festgestellt, das ist die Differenz zwischen der Summe der Forderungen und Gegenforderungen, und abgerechnet. Nur die Differenz wird geschuldet und in der Folge bezahlt. Die sich deckenden (Forderungs)Beträge werden vereinbarungsgemäß kompensiert; zur Aufrechnung → KAPITEL 15: Aufrechnung / Kompensation.
Was bedeutet Kontokorrent?
Die Praxis sichert Kontokorrentkredite / Krediteröffnungen häufig durch Höchstbetragshypotheken; § 14 Abs 2 GBG → KAPITEL 2: Ausnahmen vom Spezialitätsgrundsatz.
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5. Der Verbraucherkredit
Anders als in der BRD / EU fehlte in Österreich lange eine Regelung des Verbraucherkredits. Diese Lücke schloss das mit 1.1.1994 in kraft getretene BankwesenG 1993 (BWG), das in § 33 Regeln für Verbraucherkredit- und in § 34 für Verbrauchergirokontoverträge trifft.
Nach § 33 Abs 2 BWG bedürfen Verbraucherkreditverträge „unbeschadet der Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts [vgl Ratenbrief!] ... der Schriftform”; und dort wird dem Verbraucher auch das Recht eingeräumt vom Kreditinstitut schon den Entwurf „des in Aussicht genommenen Vertrages” verlangen zu können. Darüber hinaus hat der Verbraucherkreditvertrag – wie der Ratenbrief – einen bestimmten Inhalt aufzuweisen: Gesamtbelastung, Kostenelemente, effektiver Jahreszinssatz, eine allfällige Zinsgleitklausel sowie Anzahl und Höhe der Fälligkeitszeitpunkte der rückzuzahlenden Teilbeträge.
Schriftform + Inhaltsbestimmung
§ 35 BWG meint eine verständliche Klarstellung der effektiven Verzinsung, die bislang oft kryptisch gehandhabt wurde.
„Preisaushang und Werbung”
§ 36 BWG statuiert besondere Sorgfaltspflichten für derartige Geschäftsbeziehungen → Geschäftsbeziehung zu Jugendlichen: § 36 BWG
„Geschäftsbeziehungen zu Jugendlichen”
§ 37 BWG trifft nunmehr eine Klarstellung der sog „Wertstellung” → Sog Wertstellung: § 37 BWG
Wertstellung
Nach § 33 Abs 8 BWG sind Verbraucher nunmehr berechtigt, ihre Verbindlichkeiten aus einem Verbraucherkreditvertrag ganz oder teilweise vorzeitig zu erfüllen; dazu kommt die Regelung des § 12a KSchG: Ausnahmen: zB bestimmte Gebäudekredite, hypothekarisch gesicherte Kredite und solche, die den Betrag von 25.000 ı (310.000 S) übersteigen.
Vorzeitige Rückzahlung
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6. Kreditgeschäfte mit Ehegatten, Verbrauchern etc
§§ 25a KSchG; 25b KSchG (Kreditverbindlichkeiten von Verbrauchern), § 25c KSchG (Warnpflicht gegenüber Mitschuldnern, Bürgen oder Garanten – sog Interzession → KAPITEL 15: Interzession), § 25d KSchG: Mäßigungsrecht.
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7. Geschäftsbeziehung zu Jugendlichen: § 36 BWG
Kreditinstitute haben gegenüber Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht beendet haben, unter anderem folgende Sorgfaltspflichten zu beachten:
Ohne ausdrückliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters keine Ausgabe von Karten für Bargeldbezug sowie Scheckkarten vor Vollendung des 18. Lebensjahrs, bei Vorliegen regelmäßiger Einkünfte nicht vor Vollendung des 17. Lebensjahrs.
Scheckkarten
Der Geldbezug von Jugendlichen durch Geldausgabeautomaten / Bankomat ist auf wöchentlich 400 ı (früher 5.000 S)zu begrenzen.
Bankomat
Vor Ausgabe von Scheckformularen an Jugendliche hat das Kreditinstitut die Ordnungsgemäßheit der bisherigen Kontogestion, insbesondere den gegenwärtigen Kontostand, zu prüfen.
Scheckformulare
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8. Sog Wertstellung: § 37 BWG
Kreditinstitute haben Rückzahlungen aus Verbraucherkreditverträgen, Einzahlungen und Überweisungen auf Verbrauchergirokonten und auf Sparurkunden spätestens mit dem ersten Werktag (Wertstellungstag) zu berücksichtigen, der dem Kalendertag, an dem die Beträge tatsächlich einlangen, folgt.
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9. Alternativen zum Bankkredit
Gilt insbesondere für Kaufleute: – Privatdarlehen; – Beteiligung eines stillen Gesellschafters (§ 178 HGB); – Gründung einer GmbH, an der zB der (investierende) Unternehmer und der Geldgeber als gemeinsame Gesellschafter beteiligt sind. – Als weitere Möglichkeit ist für Kaufleute die Errichtung einer KG zu nennen (§ 161 HGB); Kommanditisten bringen Kapital ein. – Auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 1175 ff ABGB) kommt in Betracht. – Zum Factoring → KAPITEL 14: Das Factoring.
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10. Deutschland
Hier galt – in Umsetzung einer EG-RL – ein eigenes VerbraucherkreditG (VerbrKrG) vom 17.12.1990. Es sah für Kreditverträge Schriftform vor (§ 4), schrieb weitgehend den Vertragsinhalt vor (§ 4) und gewährte Verbrauchern ein gesetzliches Widerrufsrecht binnen einer Woche (§ 7). – Dieses Gesetz diente den einschlägigen Bestimmungen des öBWG als Vorbild. Es wurde im Rahmen der Schuldrechtsreform ins dtBGB eingearbeitet; vgl nunmehr §§ 491 ff dtBGB: Verbraucherdarlehensvertrag § 495 dtBGB kennt ein Widerrufsrecht.
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11. Internetbanking
Auch Bank- und Kreditgeschäfte werden heute über das Internet angebahnt und abgewickelt; sog Internetbanking: Finanzplanung, Überweisungen, Spar- und Kreditgeschäfte, Wertpapiertransaktionen. – Vgl auch die Hinweise → KAPITEL 2: Internet und Recht.


Der Kredit(eröffnungs)vertrag
Abbildung 3.16:
Der Kredit(eröffnungs)vertrag
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III. Spareinlagenvertrag – Sparbuch
Die Entwicklung des Kapitalmarkts und der Börsen schien das Ende des Sparbuchs oder doch seine Unattraktivität rascher als erwartet herbeizuführen. Die schwere Krise dieser Bereiche in der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart relativiert aber diese nur scheinbar unumkehrbare Entwicklung. – Sparbuch, Bausparen und festverzinsliche Wertpapiere werden daher wohl auch künftig für jene ihre Attraktivität behalten, die auch künftig „ruhig schlafen” wollen und ihren Spieltrieb anderweitig befriedigen.
1. Sparbuch oder Sparurkunde
§ 31 Abs 1 BWG gibt eine Legaldefinition der Sparurkunde, so nennt das Gesetz das Sparbuch; danach sind:
„Spareinlagen ... Geldanlagen bei Kreditinstituten, die nicht dem Zahlungsverkehr, sondern der Anlage dienen und als solche nur gegen die Ausfolgung von besonderen Urkunden (Sparurkunden) entgegengenommen werden dürfen. Sparurkunden können auf Überbringer oderauf eine bestimmte Bezeichnung, insbesondere auf Namen, lauten.”
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2. Der Spareinlagenvertrag
Rechtsgrundlage der Beziehung zwischen Kreditinstitut und SparerIn bildet der Spareinlagenvertrag , der in der Praxis vielerlei Varianten aufweist; zB Laufzeit / Bindungen (6 Monate, 24 Monate, 36 Monate) und Verzinsung (verschiedene Zinshöhe; mit oder ohne Zinsgarantie); – Dem Spareinlagenvertrag liegt ein Darlehen des Sparers an das Kreditinstitut zugrunde. Der Parteiwille geht dabei auf Geschäftsbesorgung (Auftrag) + sichere Verwahrung der Gelder + Zinsertrag, also Anlage des übergebenen Geldes. Der Spareinlagenvertrag ist ein typisches Dauerschuldverhältnis und erzeugt zudem – das Geld geht idR ins Eigentum des Kreditinstituts über – ein Treuhandverhältnis.
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3. Arten von Sparbüchern
Das Gesetz selbst nennt in § 31 Abs 1 Satz 2 BWG die verschiedenen Arten von Sparbüchern und unterscheidet:
Hier ist der Berechtigte im Sparbuch genannt. Die Bank hat aber die Identität nach § 32 Abs 4 BWG grundsätzlich nicht zu prüfen, kann dies aber. Das Namenssparbuch ist ein sog Rekta- oder Namenspapier, das durch Zession übertragen wird.
Namenssparbuch
Daneben sieht das BWG die Möglichkeit vor, dass das Sparbuch „auf eine bestimmte Bezeichnung" lautet; zB einen Phantasienamen. Praktisch ist das vor allem in der Variante des Losungswortes; zB „Lisa” oder „Sonne”. Die Bekanntgabe eines „Losungswortes” oder der „Unterschriftsleistung" sind Möglichkeiten, um ein Sparbuch gegen Missbrauch (zB Diebstahl) zu schützen. Verfügungen über die Spareinlage dürfen dann nur gegen Angabe des Losungswortes oder Abgabe der Unterschrift vorgenommen werden. – Sowohl Inhaber- wie Namenssparbücher können mit einem Losungswort versehen werden. – Die rechtlich gültige Übertragung erfolgt hier durch Übergabe des Sparbuchs + Bekanntgabe des Losungsworts.
Losungswort oder Unterschriftleistung
Der 1. Juli 2002 brachte das Ende der alten Inhaber-Sparbücher.
Ende der alten Inhaber-Sparbücher
Die neuen Sparbücher
Namenssparbuch (neu)
Losungswort-Sparbuch (neu)
Einlagen und Überweisungen von Beträgen, die über 15.000 Euro = 200.000 S liegen, dürfen nur nach erfolgter Identitätsprüfung des Kunden durchgeführt werden. Auch bei Abhebungen hat eine Identitätsprüfung des Kunden zu erfolgen.Bis zu einem maximalen Guthabensstand von 15.000 Euro (200.000 S) können Einlagen und Überweisungen ohne Identifikation durchgeführt werden. Werden durch Zinsengutschriften diese 15.000 Euro (200.000 S) überschritten, ist dies nicht schädlich. Abhebungen können unter Nennung des Losungswortes erfolgen.


Das Sparbuch (1)
Abbildung 3.17:
Das Sparbuch (1)


Das Sparbuch (2)
Abbildung 3.18:
Das Sparbuch (2)
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4. Das Sparbuch als Wertpapier
Das Sparbuch ist ein Wertpapier. Das bedeutet: Das Recht am Papier und aus dem Papier kann grundsätzlich nur durch Vorlage des Sparbuchs geltend gemacht werden; nach § 32 Abs 2 BWG dürfen insbesondere „Auszahlungen ... nur gegen Vorlage der Sparurkunde geleistet werden”. – Einzahlungen dagegen dürfen auch dann entgegengenommen werden, wenn die Sparurkunde nicht gleichzeitig vorgelegt wird.
Ein- und Auszahlungen
Im Falle des ‚Verlustes’ eines Sparbuchs– zB Diebstahl oder es wird verloren – sieht § 31 Abs 4 BWG nunmehr vor: Nach Meldung des Verlustes ist dieser in den Aufzeichnungen des Kreditinstituts zu vermerken; innerhalb von 4 Wochen darf dann keine Auszahlung erfolgen. Diese Regelung stellt eine Vereinfachung gegenüber der Kraftloserklärung von Urkunden nach dem KraftloserklärungsG 1951, BGBl 1951/86, dar.
Verlust eines Sparbuchs – Kraftloserklärung
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5. Vorrecht von Kreditinstituten
Sparurkunden dürfen nach § 31 Abs 2 BWG „ausschließlich von den zum Spareinlagengeschäft berechtigten [Kreditinstituten] ausgegeben werden.” – Die Bezeichnungen „Sparbuch”, „Sparbrief” etc sind gesetzlich geschützt.
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6. Geldwäscherei
Die §§ 40, 41 BWG treffen Bestimmungen gegen „Geldwäscherei”; danach besteht ua die Pflicht der Kreditinstitute bei Einzahlungen ab mindestens 15.000 Euro = 200.000 S die Identität des Kunden festzuhalten. – Weitere Vorschriften sind geplant.
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7. Unterschiedliche Konditionen
Die verschiedenen Kreditinstitute gewähren ganz unterschiedliche Konditionen für Spareinlagen; sie liegen bspw bei täglich fälligem Geld (= jederzeit abhebbar) derzeit zwischen 1,25 und 2,75%; bei 6-monatiger Bindung zwischen 1,50 und 3,25% und bei Kapitalsparbüchern, je nach Bindungsdauer (24-60 Monate) zwischen 3,50 und 4,25%. Bausparen (6 Jahre) ebenfalls mit 4,50% + staatliche Prämie (derzeit zwischen 3 und 8%). – Neben den Zinsen unterscheiden sich auch die anderen Konditionen für Kredite oder Spareinlagen beträchtlich. Ein Vergleich ist daher lohnend.


Geld auf österreichischen Sparbüchern
Abbildung 3.19:
Geld auf österreichischen Sparbüchern
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8. Sparbuchanonymität und Bankgeheimnis
Auch wenn die Anonymität von Sparbüchern in Österreich nunmehr beseitigt wurde, bedeutet das nicht, dass die finanzielle Sphäre des Sparers ungeschützt ist. Etwa 90 Prozent der ca 24,5 Mio Sparbücher in Österreich waren anonym, dh, dass das Kreditinstitut den Sparbuchkunden nicht kennen musste.
Anonymität
Das Bankgeheimnis regelt dagegen das Rechtsverhältnis zwischen Kreditinstitut und Dritten. Es verbietet Mitarbeitern des Kreditinstituts bankgeschäftliche Auskünfte an Dritte zu erteilen. Durchbrochen werden kann das Bankgeheimnis aber im gerichtlichen Strafverfahren und im Finanzstrafverfahren oder wenn ein Kunde der Aufhebung ausdrücklich zustimmt. Auch im Verlassenschaftsverfahren gilt das Bankgeheimnis nicht.
Bankgeheimnis
Der Wegfall der Sparbuch-Anonymität wird künftig die Kosten des Erbens insoferne erhöhen, zumal dadurch – anders als bisher – Namenssparbücher in den Nachlass fallen, wovon insbesondere die Notare (Gebühren!) und der Staat (Erbschaftssteuer) profitieren. – Bisher war es weit verbreitet, wenngleich illegale Praxis, Sparbuchguthaben unter den Erben ohne Einbeziehung ins Verlassenschaftsverfahren zu verteilen. Das stellte zwar keine Steuerhinterziehung dar, zumal mit der Begleichung der KEST auch die Erbschaftssteuer bezahlt wird, aber es minderte die Kosten (Notar) der Nachlassverwaltung.
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C. Die Leihe
Wir alle kennen die Leihe aus Kindheitstagen. Dennoch: Auch bei so einfachen Rechtsinstituten gibt es – wie wir sehen werden – die eine oder andere rechtliche Besonderheit zu entdecken. – Entliehen wird alles Mögliche: Spielzeug, Kleidung, Schmuck, ein Fahrrad oder Auto, die Zeitung des Zugnachbarn oder der Einkaufswagen im SB-Laden. Aber kann man auch eine Wohnung oder gar ein Haus, also unbewegliche Sachen, entlehnen oder verleihen?
I. Die Leihe als Realkontrakt
Auch die Leihe – geregelt in den §§ 971 ff ABGB – ist (wie im römischen Recht: commodatum) Realvertrag und kommt daher erst mit Einräumung der Gewahrsame am Leihgegenstand (also idR durch dessen Übergabe) zustande. – Das bloße Versprechen der Gebrauchsüberlassung ist wiederum – wie beim Darlehen – nur Vorvertrag iSd § 936 ABGB; vgl § 971 Satz 2 ABGB.
1. Legaldefinition des § 971 ABGB
„Wenn jemandem eine unverbrauchbare Sache bloß zum unentgeltlichen Gebrauche auf eine bestimmte Zeit übergeben wird; so entsteht ein Leihvertrag ...”
Entgegen dem Gesetzeswortlaut lässt man auch Leihe auf unbestimmte Zeit zu. Als Dauerschuldverhältnis braucht sie dann zur Beendigung die Kündigung.
Beispiel
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2. Terminologie
Die Personen des Leihvertrags heißen: – VerleiherIn und EntlehnerIn.
Der Begriff „Leihe” wird nicht selten in der Umgangssprache unrichtig gebraucht. Es wird von Leiharbeit ( → KAPITEL 12: Arbeitnehmerüberlassung), Leihbücherei, Leihauto, Leihfirma, Leihvideo, Kostümverleih usw gesprochen. Gemeint ist in diesen Fällen aber regelmäßig (entgeltliche) „Miete”, zumal hier ein Entgelt zu entrichten ist, die Leihe – heute – aber notwendig unentgeltlich ist. – Geringfügiges „Entgelt” nimmt der Leihe aber nicht den Charakter der Unentgeltlichkeit. Das gleiche gilt für vorübergehende Entgeltlichkeit; zB Geldeinsatz von 0,5 ı, um im SB-Laden einen Einkaufswagen benützen zu können, der bei Rückstellung des Wagens rückerstattet wird.
Zum weiten Begriff der Leihe im Mittelalter → Sach- oder Gelddarlehen und das diesem Pkt vorangestellte Eingangsmotto von R. Hübner.
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3. Gegenstand der Leihe
Anders als beim Darlehen sind Gegenstand der Leihe stets unverbrauchbare Sachen; zB ein Buch, eine Bluse, ein Anzug / Kostüm, ein Fahrrad oder Ring. Die „Leihe” eines Päckchens Papiertaschentücher wäre dagegen Darlehen! Anders als beim Darlehen ist nämlich bei der Leihe dieselbe Sache zurückzustellen. – Die zur Leihe übergebene Sache kann aber beweglich oder unbeweglich sein. Man kann also auch Haus oder Wohnung ver- oder ausleihen.
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II. Rechte und Pflichten des Entlehners
Nach § 972 ABGB erwirbt der Entlehner das Recht, „den ordentlichen oder [im Vertrag] näher bestimmten Gebrauch von der Sache zu machen”; also Fahrrad oder Auto zu benützen, ein Buch zu lesen, das Kleid am Ball zu tragen. – Der Gebrauch der entlehnten Sache hat aber schonend zu erfolgen; man spricht vom ordentlichen Gebrauch des Leihgegenstands. So dürfen EntlehnerIn den Leihgegenstand insbesondere nicht weiterverleihen, darin läge vielmehr ein widerrechtlicher Gebrauch der Sache. Der Leihgegenstand ist auch vereinbarungsgemäß, also zeitgerecht zurückzustellen. Der vereinbarte Gebrauch darf auch nicht ausgeweitet werden, vielmehr ist am bedungenen Gebrauch festzuhalten.
Beispiel
1. Gefahrtragung und Haftung
Nach § 979 ABGB haftet der Entlehner für den „durch sein Verschulden verursachten” Schaden. Gehaftet wird für omnis culpa, also ab leichter Fahrlässigkeit → KAPITEL 9: Verschulden (culpa).
§ 980 ABGB regelt den Fall, dass der Entlehner das „Lehnstück” verliert und den Wert erlegt. Das Gesetz räumt ihm dadurch „noch kein Recht [ein], dasselbe, wenn es wieder gefunden wird, gegen den Willen des Eigentümers für sich zu behalten, wenn dieser bereit ist, den empfangenen Wert zurückzugeben.” – Was räumt das Gesetz dem Entlehner damit bis zur Rückgabe des Geldes ein? – Ein Zurückbehaltungsrecht iSd § 471 ABGB → KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB.
EntlehnerIn haften nicht für (unverschuldeten) Zufall; zB beim ausgeliehenen Fahrrad bricht (unerwartet) eine Felge, das ausgeliehene Kostüm wird vom Kellner beschmutzt, der entliehene Pkw hat trotz ordnungsgemäßen Abstellens eine Delle am Kotflügel, der ausgeliehene Schi bricht beim normalen Gebrauch. Die Gefahr / das Risiko einer unverschuldeten (= zufälligen) Beschädigung der Sache trägt nach wie vor der Verleiher als Eigentümer. Der Eigentümer trägt nämlich nach dem Gesetz den Zufall selbst; § 1311 Satz 1 ABGB → KAPITEL 9: Schadenersatz und Zufall: § 1311 ABGB: „Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet”.
Haftung für Zufall
Vom Zufall zu unterscheiden ist aber der gemischte Zufall / casus mixtus. Gemischter Zufall meint: Verschulden des Entlehners und Zufall treffen zusammen; was etwa dann anzunehmen ist, wenn EntlehnerIn den Leihgegenstand vereinbarungswidrig, also widerrechtlich weiterverleiht oder den vereinbarten Gebrauch – eigenmächtig – ausweitet und der Gegenstand dabei zufällig (also ohne sonstiges persönliches Verschulden des Entlehners) Schaden leidet; zB durch Dritte beschädigt wird. Auch die §§ 979 (Verwahrung) und 460 ABGB (Pfandrecht) kennen eine Haftung für gemischten Zufall.
Gemischter Zufall
Beispiel
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2. Beweislastumkehr
Mehr zu Beweislast und Beweislastumkehr → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung.
Da zwischen EntlehnerIn und VerleiherIn eine vertragliche Beziehung besteht, kommt bei Beschädigung des entlehnten Gegenstands die Beweislastregel des § 1298 ABGB zur Anwendung und nicht die des § 1296 ABGB; Beweislastumkehr (Gesetz lesen!). Das bedeutet, dass ein/e EntlehnerIn die eigene Schuldlosigkeit beweisen muss! Das ist nicht immer leicht.
Rechtssprechungsbeispiel
GlU 9700 (1883): Klage auf Schadenersatz im Falle der Zurückstellung einer geliehenen Sache (zwei Ochsen) in verschlimmertem Zustande: Beweislast. – OGH: „Der Beweis, dass die Beschädigung ohne [Verschulden des Entlehners] und durch einen von ihm nicht zu verantwortenden Zufall erfolgt sei, ist ... vom Entlehner zu erbringen, weil derjenige, welcher vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner Vertragspflicht ohne sein Verschulden gehindert worden sei, nach § 1298 ABGB ... dies zu beweisen hat.” – Tiere sind daher in ebendemselben gesunden Zustand zu restituieren, in dem sie übergeben wurden; andernfalls greift § 979 ABGB.
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3. Gebrauchs- und Erhaltungskosten
Wer trägt die Benzinkosten, wenn ein Moped oder Auto verliehen wird, wer die Stromkosten einer geliehenen Wohnung? – Benzin- und Stromkosten gehören zum ordentlichen Gebrauchund sind vom Entlehner zu tragen! Darin liegt kein Entgelt! Zum schonenden Gebrauch gehört auch die Pflicht der normalen Erhaltung der Sache: Reinigen und Lüften der Wohnung, Warten eines Motorrads bei längerem Gebrauch (Service etc), die (anteiligen) Betriebskosten für eine geliehene Wohnung, die Futter- und Pflegekosten für ein geliehenes Tier. Anders ist das, wenn ein Tier in Verwahrung gegeben wird → Zur sachen- und schuldrechtlichen Rechtsstellung des Verwahrers
Pflicht der normalen Erhaltung: Ordentlicher Gebrauch
Für außerordentliche Erhaltungskosten hat der / die EntlehnerIn aber nicht aufzukommen; jedoch besteht Vorschusspflicht des Entlehners. Das Bezahlte hat der Verleiher dem Entlehner „gleich einem redlichen Besitzer” (§ 981 ABGB) zu vergüten. Zu § 982 ABGB → Wechselseitige Ansprüche nach Rückstellung
Außerordentliche Erhaltungskosten
Beispiel
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4. Rückstellungspflicht
EntlehnerIn müssen nach Ablauf der Leihzeit dieselbe Sache zurückgeben; grundsätzlich in dem Zustand, in dem sie übergeben wurde. Dh, dass die geliehene Wohnung bei längerem Gebrauch allenfalls auszumalen, für ein Kfz uU ein Service zu machen ist.
Der Verleiher hat nicht das Recht die „verlehnte Sache vor Verlauf der Zeit und vor geendigten Gebrauche”, also früher zurückzuverlangen; selbst dann nicht, wenn er sie selbst dringend braucht; § 976 ABGB. – Anderes gilt nach § 977 ABGB für den Entlehner: Er ist berechtigt „die entlehnte Sache auch vor bestimmter Zeit zurückzugeben”, aber nicht, wenn dies dem Verleiher „beschwerlich” ist.


Darlehen – Vergleich der Rechtsstellung – Leihe
Abbildung 3.20:
Darlehen – Vergleich der Rechtsstellung – Leihe
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III. Das Dauerschuldverhältnis: Leihe
Die Dauer der Leihe bestimmt sich nach der Vereinbarung, die häufig nur schlüssig erfolgt; § 863 ABGB. Als Dauerschuldverhältnis wird sie idR auf bestimmte Zeit – zB für 1 Monat – oder zu einem bestimmten Zweck – Leihe von Schiern für eine Schitour, eines Abendkleids für einen Ball – vereinbart. Fehlt eine solche Vereinbarung, liegt Leihe auf unbestimmte Zeit vor (§ 973 ABGB), die allenfalls – wenn kein Einvernehmen erzielt werden kann – durch Kündigung (→ KAPITEL 6: Bedeutung der Unterscheidung) beendet werden muss.
Lesen Sie die im Hinblick auf die Leihdauer interessante Beweislastregel des § 975 ABGB: Den Entlehner trifft nämlich die Beweislast für den behaupteten längeren Gebrauch.
Beweislastregel
§ 978 ABGB statuiert ein vorzeitiges Rückforderungsrecht des Verleihers bei vereinbarungswidrigem Gebrauch.
Vorzeitiges Rückforderungsrecht des Verleihers
Das in § 971 ABGB verlangte Kriterium, dass die Übergabe des Leihgegenstands „auf eine bestimmte Zeit” erfolgt, wird von der Rechtspraxis – wie erwähnt – stark gelockert. Schon § 974 ABGB hilft dabei, wenn er sagt: „Hat man weder die Dauer, noch die Absicht des Gebrauches bestimmt ...” – Die scheinbar strenge Zeitbestimmung in § 971 wird daher schon vom ABGB in Richtung Bestimmbarkeit der Zeit erweitert. Die Grenzziehung zur Bittleihe /Prekarium ( → Bittleihe / Prekarium) wird dadurch freilich unschärfer.
Bestimmbarkeit der Zeit
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IV. Wechselseitige Ansprüche nach Rückstellung
Für allfällige Ansprüche von Verleiher und Entlehner nach Rücknahme / -stellung des Leihstücks gegeneinander ist § 982 ABGB zu beachten. Ersatzansprüche des Verleihers (zB wegen „Missbrauchs” oder „übertriebener Abnutzung”) sowie allfällige Rückvergütungsansprüche des Entlehners wegen gemachter außerordentlicher Aufwendungen (→ Gebrauchs- und Erhaltungskosten) sind innerhalb von 30 Tagen (!) geltend zu machen: Präklusivfrist → KAPITEL 13: Die Befristung.
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V. Kein Zurückbehaltungsrecht an entlehnten Sachen
Entlehnte Sachen sind nach § 1440 ABGB kein Gegenstand des Zurückbehaltungsrechts; zu § 471 ABGB → KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB. Vgl aber → Gefahrtragung und Haftung: § 980 ABGB.
Mit der Formulierung in § 982 letzter HalbS ABGB: „.., so ist die Klage erloschen” wird eine Präklusivfrist (→ KAPITEL 13: Die Befristung) statuiert, die nicht einmal eine Naturalobligation entstehen lässt.
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VI. Bittleihe / Prekarium
Worin liegt der Unterschied zur (echten) Leihe? –Diese Sonderform liegt vor, wenn ein/e VerleiherIn die entlehnte Sache – vereinbarungsgemäß – jederzeit nach Willkür zurückfordern kann; § 974 ABGB. Die freie Widerruflichkeit muss aber nicht ausdrücklich vereinbart sein und kann sich auch aus den Umständen ergeben; schlüssige / konkludente Vereinbarung iSd § 863 ABGB. Die Gesetzesformulierung ist aber wenig aussagekräftig:
„Hat man weder die Dauer, noch die Absicht des Gebrauches bestimmt; so entsteht kein wahrer Vertrag, sondern ein unverbindliches Bittleihen (Prekarium), und der Verleiher kann die entlehnte Sache nach Willkür zurückfordern.”
Heute erblickt man – entgegen § 974 ABGB – in der Bittleihe einen Vertrag. Daher wendet die Rspr auch bei Bittleihen die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB an.
Vertrag
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 47: Bei einer Bittleihe trifft den Prekaristen die Pflicht zur Rückstellung des überlassenen Objekts in unversehrtem Zustand; er hätte gemäß § 1298 ABGB zu beweisen, dass er eine Beschädigung nicht verschuldet hat. Hier hatte der Kläger dem Beklagten auf dessen Anregung das Lenken seines Pkw zu einer gemeinsamen Fahrt überlassen.
OGH 11. 6. 2002, 1 Ob 67/02p, EvBl 2002/178: Gemeinde Wien erlaubt einem beschränkt Geschäftsfähigen (Stufe eines mündigen Minderjährigen) über 40 Jahre lang eines ihrer Grundstücke zur Ablagerung von Blumen als Prekarium zu benützen. Als die Gemeinde das Grundstück zurückfordert, wendet er Ersitzung ein. – OGH: Nach § 310 ABGB kann auch ein mündiger Minderjähriger Besitz erwerben, da vermutet wird, dass er die dafür nötige Einsichtsfähigkeit besitzt. OGH verneint aber im konkreten Fall die Redlichkeit, da auch einem beschränkt Geschäftsfähigen klar sein musste, dass kein gültiger Titel zum Eigentumserwerb vorlag; vgl § 345 ABGB: nec vi nec clam nec precario.
PrekaristIn werden aber im Gegensatz zum/r EntlehnerIn nicht als Rechtsbesitzer angesehen, sondern nur als Sachinhaber, obwohl ein Gebrauchsrecht besteht. Dieses jederzeit widerrufliche Gebrauchsrecht wird offenbar als zu schwach angesehen. Die Bittleihe vermittelt daher auch nicht die Besitzprivilegien → Bittleihe / Prekarium
Kein Rechtsbesitz
Das Prekarium kommt – wie die Leihe selbst – bei beweglichen und unbeweglichen Sachen, aber auch bei Rechten vor.
Prekarium woran?
Beispiel
Praktisch bedeutsam ist die Abgrenzung des Prekariums von der Miete, da ein Prekarist keinen Mieterschutz genießt → KAPITEL 6: Soziales Miet- und Pachtrecht. – Miete ist entgeltlich, das Prekarium dagegen unentgeltlich; geringfügiges Entgelt (sog Anerkennungszins) schadet aber nicht. Zahlung des Betriebskostenanteils an einer Wohnung ändert nichts an der Bittleihe → Bittleihe / Prekarium
Praktische Bedeutung der Abgrenzung
Für die Abgrenzung zur Miete entscheidet nach der Rspr nicht die von den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern ihre wahre Absicht; § 914 ABGB. – Die Vermutung spricht nicht für Bittleihe, sondern für Miete; außer zB bei freiwilliger Aufnahme Obdachloser auf deren Bitte: EvBl 1947/441 = MietSlg 38. Das führt immer wieder zu Rechtsunsicherheit und Streit.


Leihe – Vergleich der Rechtsstellung – Verwahrung
Abbildung 3.21:
Leihe – Vergleich der Rechtsstellung – Verwahrung
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D. Verwahrung und Gastwirtehaftung
I. Verwahrung
In der Praxis kommt der Verwahrungsvertrag (§§ 957 ff ABGB) häufig vor. Man denke an Kino, Theater, Oper, verschiedene Verwahrungsgeschäfte der Banken, aber vor allem den gastgewerblichen Bereich, der in einem Fremdenverkehrsland eine bedeutende Rolle spielt. –Verwahrung ist zudem häufig Nebenpflicht anderer Verträge; zB von Kauf- und Werkverträgen. Das gilt für Kino und Theater (Werkvertrag!) und das Reparaturgewerbe ebenso wie für das Kommissionsgeschäft zwischen einem Verlag und einer Buchhandlung, die in Kommission übernommene Bücher sorgfältig zu verwahren hat.
Gschnitzers Eingangsbeispiel
Beispiel
1. Verwahrung als Realkontrakt
Auch die Verwahrung – im römischen Recht: depositum – ist Realvertrag. Es gilt daher auch hier, was zu Darlehen und Leihe ausgeführt wurde; vgl § 957 Satz 2 ABGB.
Terminologie: Verwahrer (Depositar) und Hinterleger (Deponent).
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2. Definition und Umschreibung
Das Gesetz formuliert: „Wenn jemand eine fremde Sache in seine Obsorge übernimmt; so entsteht ein Verwahrungsvertrag.” – Das Übernehmen in (eigene) Obsorge lässt demnach den Verwahrungsvertrag als Hauptvertrag entstehen. Zurückzustellen ist die „anvertraute Sache” (§ 961 ABGB), also (wie bei der Leihe und anders als beim Darlehen) dieselbe Sache.
Als Übergabsformen für den Realvertrag Verwahrung kommen neben der körperlichen und symbolischen Übergabe auch die Übergabsformen des § 428 ABGB (Übergabe durch Erklärung), ausgenommen das Besitzkonstitut, in Betracht.
Übergabsformen
Die Verwahrung kommt entgeltlich und unentgeltlich vor; § 969 ABGB.
Entgeltlich und unentgeltlich
Wie erwähnt kommt Verwahrung häufig als vertragliche Nebenpflicht vor. Damit ist gemeint, dass die vertragliche Hauptleistung nicht auf Verwahrung, sondern zB wie beim Kauf auf Übergabe / Leistung des Kaufgegenstandes gerichtet ist. Daneben trifft aber beim Kauf nach § 1061 ABGB den Verkäufer auch die gesetzliche Nebenpflicht, „die Sache bis zur Zeit der Übergabe sorgfältig zu verwahren ...”. – Verwahrung als Nebenpflicht kann auch stillschweigend / konkludent (§ 863 ABGB) bedungen werden; zB im Gastgewerbe, aber auch bei anderen Gewerbetreibenden wie einer Kraftfahrzeugwerkstätte, einer Putzerei / Reinigungsanstalt oder einem Uhrmacher usw.
Häufig vertragliche Nebenpflicht
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3. Was ist Gegenstand der Verwahrung?
Gegenstand der Verwahrung sind – nur (!) – Sachen, nicht Personen. Die Bitte in Gschnitzers Beispiel, auf das Töchterchen während des Urlaubs aufzupassen, führt daher zu keinem Verwahrungsvertrag!
Verträge über die „Verwahrung” von Kindern, überhaupt die Aufnahme von Kindern in Kindergärten / Horten udgl, kann keinem der im Gesetz geregelten Vertragstypen eindeutig zugeordnet werden, enthält aber überwiegend Elemente des Werkvertrags. Geschuldet wird darin nicht nur Obsorge, sondern ähnlich dem Werkvertrag ein Erfolg. Verwandt ist dieser Vertragstypus mit dem Alten(heim)- oder Pflege(heim)Vertrag.
Alten- und Pflegeheime sowie „Verwahrung” von Kindern
Literaturquelle
Verwahrt werden können bewegliche wie unbewegliche Sachen (§ 960 ABGB), vertretbare wie unvertretbare, verbrauchbare wie unverbrauchbare. – Auch Tiere sind Gegenstand der Verwahrung; Tierheim / -asyl, aber auch bei Freunden.
Bewegliche und unbewegliche Sachen
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1995/8: § 961 ABGB (§§ 285a, 964, 1165, 1298 ABGB) – Vertrag über die Verwahrung von Tieren: Der Vertrag über die Verwahrung von Tieren verpflichtet den Verwahrer zur Verpflegung, Versorgung und Verwahrung der Tiere sowie zu deren Rückgabe nach der Verwahrungszeit; er enthält damit auch Elemente eines Werkvertrags. (Zu den Mischverträgen → KAPITEL 5: Gemischte und atypische Verträge) – Hat der Verwahrer seine Verwahrungspflicht schuldhaft verletzt, so dass er die Tiere nach Vertragsablauf nicht mehr zurückgeben kann, verliert er seinen Entgeltanspruch für die Verwahrung, nicht aber den Anspruch auf Erstattung der tatsächlich aufgewendeten Verpflegungs- und Versorgungskosten. – Sachverhalt: Die Klägerin hatte ihre 3 Katzen in Pflege und Verwahrung der Beklagten gegeben und hiefür durch 15 Monate vereinbarungsgemäß 4.000 S monatlich, also insgesamt 60.000 S gezahlt. Als sie Ende 1990 die Rückgabe der Katzen begehrte, waren diese nicht mehr vorhanden. Die Beklagten behaupteten, dass ihnen die Katzen entwischt seien. – Die Klägerin forderte die Rückerstattung des frustrierten Pflegeaufwandes von 60.000 S aus dem Titel des Schadenersatzes und der Bereicherung, weil die Beklagten den Geschäftszweck (Rückgabe der Katzen) wider Treu und Glauben verhindert hätten. – Die Beklagten behaupteten, dass ihnen die Katzen am 27.12.1990 entwischt seien, weil durch einen umfallenden Holzstoß ein Fenster zerbrochen sei.
Von der regulären Verwahrung ist die uneigentliche Verwahrung (depositum irregulare) zu unterscheiden. Sie spielt bei der Verwahrung vertretbarer Sachen, insbesondere von Geld eine Rolle. Typisches Beispiel ist die Hinterlegung von Geld, das (mit dem des Verwahrers) vermengt wird, wodurch der Verwahrer Eigentum erwirbt; vgl § 371 iVm den §§ 369, 370 ABGB. – Man behandelt das depositum irregulare heute als Darlehen. Zurückgestellt werden hier nicht dieselben Sachen, sondern – wie beim Darlehen – Sachen gleicher Art und Güte!
depositum irregulare
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4. Zur sachen- und schuldrechtlichen Rechtsstellung des Verwahrers
Durch den Verwahrungsvertrag erwirbt ein Verwahrer weder Eigentum oder Besitz (!), noch ein Gebrauchsrecht; er ist vielmehr bloßer (Sach)Inhaber mit der Pflicht, die anvertraute Sache vor Schaden zu bewahren (Obsorge); § 958 ABGB. – Die Garderobefrau darf also während der Kinovorstellung nicht mit ihrem Mantel spazieren gehen!
Was geschieht, wenn einem/r VerwahrerIn auf eigenes Verlangen oder freiwilliges Anerbieten des Hinterlegers der Gebrauch gestattetwird? – Die Antwort findet sich in § 959 ABGB: Es kommt dann zu einer Änderung des Rechtsgrundes / Novation → KAPITEL 7: Novation oder Neuerungsvertrag: Aus der Verwahrung wird Leihe und bei vertretbaren Sachen entsteht – wie eben ausgeführt – ein Darlehen.
Gebrauch kann gestattet werden
Wird dem Verwahrer zugleich ein anderes, auf die anvertraute Sache sich beziehendes Geschäft aufgetragen, so wird er als ein Gewalthaber angesehen: §§ 1002 ff ABGB; § 960 Satz 2 ABGB. Es liegt dann ein Mischvertrag vor → KAPITEL 5: Gemischte und atypische Verträge.
Mischverträge
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5. Verwahrerpflichten
Primär trifft den Verwahrer die Obsorgepflicht. Das ist die Pflicht, die anvertraute Sache – durch die jeweilige Zeit – sorgfältig zu bewahren und vor Schaden zu beschützen; § 961 ABGB.
Überlege: Welche Pflichten treffen den Verwahrer einer Wohnung, eines Hauses mit Garten oder eines Tieres?
Die Obsorgepflicht dient auch zur Abgrenzung des Verwahrungsvertrags von anderen Vertragstypen, etwa dem Mietvertrag.
Abgrenzung des Verwahrungsvertrags
Zur Abgrenzung und Rechtsnatur des Garagen-Kurzparkvertrags: Sprung / König, RdW 1985, 235. Sie verstehen den Garagen-Kurzparkvertrag, mangels Vorliegen einer Obsorgepflicht als reinen Mietvertrag, (→ KAPITEL 6: Der Bestandvertrag: Miete und Pacht), wenden auf diesen Vertragstypus aber die Haftungsbestimmungen der §§ 970 ff ABGB an → Ausdehnung auf Stallungen, Garagen und Badeanstalten
Garagen-Kurzparkvertrag
Das ABGB gebraucht den Begriff der „Obsorge” nicht nur beim Verwahrungsvertrag (für Sachen), sondern in § 1309 ABGB auch für Personen → KAPITEL 10: Obsorge und überdies im Kindachsftsrecht → KAPITEL 16: Das Kindschaftsrecht.
Rückstellungspflicht des Verwahrers. – Nach Verlauf der bestimmten (entweder von vornherein zeitlich oder durch den Zweck bestimmt – zB Leihgabe für die Dauer der Ausstellung eines Museums) Zeit hat der Verwahrer die Sache dem Hinterleger „in eben dem Zustande, in welchem er sie übernommen hat, und mit allem Zuwachse [also zB Früchten oder Tierjunge!] zurückzustellen”; § 961 ABGB. Allenfalls ist zu kündigen; § 963 ABGB: auch von Verwahrerseite!
Rückstellungspflicht des Verwahrers
Nach § 962 ABGB muss der Verwahrer dem Hinterleger die Sache auf dessen Verlangen „auch noch vor Verlauf der Zeit” zurückstellen und kann nur den Ersatz des ihm dadurch verursachten Schadens begehren. – Dh: Ein Hinterleger kann seine Sache jederzeit zurückverlangen; zB Kinobesucherin verlässt das Kino früher, weil ihr der Film nicht gefällt. Der Verwahrer kann dagegen grundsätzlich „die ihm anvertraute Sache nicht früher zurückgeben”; der Garderobier kann nicht schon während der Vorstellung nach Hause gehen. Beachte aber § 962 letzter Satz ABGB: Kann die Kinobesucherin, wenn sie früher geht, anteilig ihr Entgelt zurückverlangen?
„auch … vor Verlauf der Zeit” zurückstellen
Nach §§ 964 f ABGB haftet der Verwahrer dem Hinterleger für den aus Unterlassung der ihm obliegenden Obsorge entstandenen Schaden:
Haftung des Verwahrers
• Und zwar haftet der Verwahrer schon ab leichter Fahrlässigkeit; römisches Recht: omnis culpa,
nicht aber für Zufall; § 1311 ABGB.
• Wie der Entlehner haftet der Verwahrer auch für gemischten Zufall (casus mixtus); zB ein Verwahrer trägt selbst den ihm anvertrauten Ring, verleiht ihn oder gibt ihn einem anderen ohne Not in Verwahrung, wobei der Ring beschädigt wird oder verloren geht.
§ 965 ABGB umschreibt den gemischten Zufall näher: „ ... von der hinterlegten Sache Gebrauch gemacht, ... sie ohne Not und ohne Erlaubnis ... einem Dritten in Verwahrung gegeben; oder die Zurückstellung verzögert.” Leidet die Sache dabei Schaden, „welchem sie bei dem Hinterleger nicht ausgesetzt gewesen wäre; so kann er keinen Zufall vorschützen, und die Beschädigung wird ihm zugerechnet.”
Beispiel
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6. Pflichten des Hinterlegers
Erfolgte die Verwahrung entgeltlich, hat der Hinterleger das Entgelt zu leisten; § 969 ABGB. – Daneben hat der Hinterleger dem Verwahrer den durch die Sache allenfalls zugefügten Schaden und jene Aufwendungen zu ersetzen, die dieser den Umständen nach für erforderlich halten durfte; § 967 ABGB.
Beispiel
Nach § 967 letzter Satz ABGB können die „wechselseitigen Forderungen des Verwahrers und Hinterlegers ... nur binnen dreißig Tagen von der Zeit der Zurückstellung angebracht werden.” – Dem Verwahrer steht (wie dem Entlehner, vgl § 982 ABGB) nach § 1440 ABGB kein Zurückbehaltungsrecht (§ 471 ABGB) zu.
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7. Verjährung
Der Anspruch auf Rückstellung der in Verwahrung gegebenen Sache selbst verjährt in 30 Jahren.
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8. Sonderformen der Verwahrung
Sie spielen im Handelsrecht insbesondere im Bank- und Kreditsektor (DepotG 1987, BGBl 650), aber auch bei Spediteuren, Frachtführern oder dem Kommissionsgeschäft eine bedeutende Rolle.
Beim Sonderdepot (§ 2 DepotG) werden Wertpapiere des Hinterlegers gesondert von denen der Bank verwahrt; bei/der Sammeldepot / -verwahrung (§§ 4 ff DepotG) werden Wertpapiere derselben Art zusammen mit eigenen Beständen der Bank verwahrt. Die Hinterleger sind Miteigentümer am Sammelbestand.
Sammeldepot, Sonderdepot
Der Schrankfachvertrag, den ein/e BankkundeIn mit einem Kreditinstitut abschließt, ist – jedenfalls überwiegend – nicht Verwahrung, sondern Miete. Die Bank hat Mitsperre. Im praktischen Schrankfach, meist in allgemein zugänglichen Räumen von Kreditinstituten gelegen, können Sparbücher, Urkunden oder kleine Wertgegenstände aufbewahrt werden. Dafür ist jährlich Entgelt / Miete zu entrichten. – Davon zu unterscheiden ist der unentgeltliche „Sparbuchfachvertrag” zwischen Bank und Kundschaft, der als Leihe oder Prekarium zu qualifizieren ist und eine Serviceleistung der Bank darstellt.
Schrankfachvertrag
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II. Gesetzliche Gastwirtehaftung
Wie angedeutet, sind die Bestimmungen der Verwahrung für ein Fremdenverkehrsland wie Österreich von großer Bedeutung und im besonderen für Tirol als Branchenleader. In Tirol gibt es etwa 6.000 Beherbergungs- und Gastronomiebetriebe, die jährlich ca 40 Mio Gästenächtigungen bewältigen. Damit ist Tirol eines der tourismusintensivsten Länder der Welt. Pro Jahr und Einwohner kommen etwa 60 Gästenächtigungen. Tirol erlöst aus dem Reiseverkehr rund 4,4 Mrd ı (60 Mrd S). – Erstaunlicherweise bestehen in Bezug auf die gesetzlich geregelte Gastwirtehaftung – trotz ihrer Einfachheit – weitverbreitete falsche Vorstellungen.
1. Vertragstypus
Der Gastaufnahme- oder Beherbergungsvertragist ein typischer Mischvertrag, der Elemente der Miete (Zimmer), des Kaufs (Speisen, Getränke etc), des Werkvertrags (verschiedene Dienstleistungen) und eben auch der Verwahrung (zB des Gepäcks) umfasst. – Eine schuldhafte Verletzung dieser Vertragspflichten macht den Gastwirt schon nach den allgemeinen Grundsätzen des Schadenersatzrechts ersatzpflichtig. Von dieser Vertragshaftung des Gastwirts ist die in der Folge behandelte gesetzliche „Gastwirtehaftung” der §§ 970-970c, § 1316 ABGB zu unterscheiden.
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2. Tatbestandsvoraussetzungen
Nach dem Gesetz haften „Gastwirte, die Fremde beherbergen, ... als Verwahrer, für die von den aufgenommenen Gästen eingebrachten Sachen ....”
„… beherbergen”
Dies sind demnach:
Gesetzliche Haftungsvoraussetzungen
Gastaufnahme mit Beherbergung (also Übernachtung) und in diesem Zuge
• das Einbringen von Sachen / Gästegepäck.
Als „eingebracht” gelten nach § 970 Abs 2 Satz 1 ABGB Sachen, die dem Wirte oder einem seiner Leute übergeben oder an einen von diesen angewiesenen oder hiefür bestimmten Ort gebracht wurden; zB Kfz-Abstellung, Verwahrung von Gepäck in der Rezeption.
Gastwirte und die ihnen gleichgestellten Personen können jedoch nach § 970 Abs 1 Satz 1 ABGB einen sog Freibeweis führen, wenn sie „beweisen, daß der Schaden
Freibeweis
weder durch sie oder einen ihrer Leute verschuldet
noch durch fremde, in dem Hause aus- und eingehende Personen verursacht ist.”
Da ein solcher Beweis kaum zu erbringen ist, bleibt es meist bei der gesetzlichen Haftung des Gastwirts.
Auch diese Beweislastregelung macht die Bedeutung der Beweislast deutlich. Dazu mehr → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung.
§ 970 Abs 1 Satz 2 ABGB schränkt die Haftung des Gastwirts bei Mitverschulden des Gastes ein; § 1304 ABGB.
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3. Keine Anwendung der Gastwirtehaftung ...
Die gesetzliche Gastwirtehaftung gilt daher nicht für Kaffeehäuser, Bars udgl, weil diese ihre Gäste nicht beherbergen. Für in Gasthäusern, Hotels, Pensionen, Restaurants etc etwa im Rahmen der Mahlzeiteinnahme abgelegte Kleidung wird nach diesen Vorschriften – mangels Beherbergung – ebenfalls nicht gehaftet.
Beispiel
Verwahrungsverträge werden häufig auch schlüssig oder stillschweigend geschlossen; § 863 ABGB. Bloße Hilfestellung beim Ablegen von Kleidungsstücken durch das Personal reicht dazu aber nicht aus.
§ 863 ABGB
Sie haben sich vielleicht schon gefragt, welche Bewandtnis es mit dem häufig anzutreffenden Anschlag in Lokalen hat: „Für Garderobe wird nicht gehaftet.” – Dieser Anschlag stellt nur klar, was von Gesetzes wegen ohnehin gilt. Der Gastwirt haftet im beschriebenen Normalfall auch ohne einen solchen Anschlag nicht! Solche Hinweise wollen den Gast nur anhalten, für die Sicherheit abgelegter Kleidung selbst zu sorgen und bringen nur die bestehende Gesetzeslage zur Kenntnis.
„Für Garderobe wird nicht gehaftet.”
Legen Sie daher einen teuren Mantel zB über den Sessel und weisen Sie gegenüber dem Personal, welches das verhindern will, auf die bestehende Rechtslage hin!
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4. Unscharfe Regelungsränder
Die Grenze für die Reichweite der Gastwirtehaftung ist unscharf. Man wendet ihre Regeln auch auf Pensionen, Schutzhütten, Sanatorien sowie größere Privatzimmervermieter (SZ 51/158: Beispiele) an, nicht aber auf Krankenanstalten / Kliniken oder Schlafwagenunternehmen.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 47/11 (1974): „Allgemeine Krankenanstalten sind Gastwirten, die Fremde beherbergen, nicht gleichzustellen .... die Gastwirtehaftung kann unmittelbar oder analog nur angenommen werden, wenn Gäste zum Zwecke der Beherbergung aufgenommen werden und diese Leistung wesentlicher Inhalt und Zweck des Betriebs ist, nicht aber dann, wenn die Unterbringung nicht zum Zwecke der Beherbergung, sondern zur Ermöglichung oder zur Erleichterung einer ärztlichen Behandlung oder Betreuung gewährt wird.” (?) – Frage: Wie steht es um die Haftung, wenn einer Patientin in einer Krankenanstalt durch einen Einschleichdieb Geld gestohlen wird? Eine Verschuldenshaftung aus dem jeweiligen Vertrag heraus ist immer noch denkbar!
SZ 51/158 (1978): Für die Haftung des Privatzimmervermieters in einem über 18 Betten verfügenden Betrieb ist § 970 ABGB analog anzuwenden.; Diebstahl von Reisegepäck und Wertgegenständen aus dem in der Garage abgestellten Pkw des Gastes. Zur Frage des Miverschuldens (§ 1304 ABGB).
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5. Ausdehnung auf Stallungen, Garagen und Badeanstalten
§ 970 Abs 2 Satz 2 ABGB erstreckt die Gastwirtehaftung auf:
• „Unternehmer, die Stallungen und Aufbewahrungsräume halten, für die bei ihnen eingestellten Tiere und Fahrzeuge”.
Zum Garagen-Kurzparkvertrag → Verwahrerpflichten – Auf sog Tierpensionen findet diese Regelung Anwendung.
• § 970 Abs 3 ABGB stellt Wirten die Besitzer von Badeanstalten gleich.
Beispiel
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6. Haftungsausschluss?
Die Gastwirtehaftung statuiert zwingendes Recht (→ KAPITEL 1: Nachgiebiges und zwingendes Recht); vgl § 970a Satz 1 ABGB: „Ablehnung der Haftung durch Anschlag ist ohne rechtliche Wirkung.” – Das gilt natürlich auch für modernere Mitteilungsmethoden als einen „Anschlag”.
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7. Haftungsbegrenzungen
Die Gastwirtehaftung für allgemein eingebrachte/s (also nicht in gesonderte Verwahrung übernommene/s) Kostbarkeiten, Geld und Wertpapiere ist der Höhe nach mit 7.500 S (550 ı) beschränkt. Dadurch soll ein Anreiz geschaffen werden, Wertsachen (zB Geld oder Schmuck) dem Gastwirt in gesonderte Verwahrung zu geben; § 970a Satz 2 ABGB: Gesetz lesen!
Kostbarkeiten, Geld und Wertpapiere
Aber auch die Haftung von Gastwirten etc für andere als (Wert) Sachen (zB Kleidung, Fotoausrüstung) ist durch Bundesgesetz (BGBl 1921/638 idgF BGBl 1989/343, Art XVII) beschränkt; und zwar auf den Höchstbetrag von 15.000 S (1.100 €), der jedoch nicht zur Anwendung gelangt, wenn für bestimmte Sachen mit dem Gastwirt ein besonderer Verwahrungsvertrag geschlossen wurde.
Haftung für andere als (Wert)Sachen
Diese allgemeine Haftungsbeschränkung entspricht nicht mehr den Anforderungen der Zeit und ist nicht tourismusfreundlich. In der Praxis werden daher häufig „höhere” (Haftpflicht)Versicherungen abgeschlossen.
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8. Geltendmachung des Ersatzanspruchs
Nach § 970b ABGB erlischt der Ersatzanspruch aus der Gastaufnahme, wenn der Beschädigte nach erlangter Kenntnis von dem Schaden nicht ohne Verzug dem Wirt die Anzeige macht. – Das gilt nicht, wenn der Wirt die Sachen zur Aufbewahrung übernommen hatte.
Zu den Präklusivfristen → KAPITEL 13: Die Befristung.
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9. Zurückbehaltungsrecht – § 970c ABGB
Gastwirten, die fremde beherbergen, steht nach dieser Gesetzesstelle zur Sicherung ihrer Forderungen aus der Beherbergung und Verpflegung sowie ihrer „Auslagen für die Gäste” das Recht zu, „die eingebrachten Sachen zurückzuhalten”; Retentionsrecht → KAPITEL 15: Das Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB.
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E. Schenkung und Gläubigeranfechtung
I. Die Schenkung: §§ 938 ff ABGB
Die Schenkung ist uns aus Kindheitstagen vertraut; vgl das zur Leihe Gesagte. Geschenkt wird viel: zwischen Eltern und Kindern, Kindern untereinander, unter FreundenInnen, in Beziehungen. Geschenkt oder gespendet wird für alle möglichen Zwecke.
Wie der Kaufvertrag Prototyp der entgeltlichen / synallagmatischen Verträge ist, ist die Schenkung das Paradigma der unentgeltlichen. Wir haben gehört, dass die heute so gegensätzlichen Ausprägungen von entgeltlichen und unentgeltlichen Verträgen eine gemeinsame (Entstehungs)Geschichte haben → KAPITEL 2: Historische Entwicklung.
1. Definition
„Ein Vertrag, wodurch eine Sache jemandem unentgeltlich überlassen wird, heißt eine Schenkung”; § 938 ABGB. – Die Schenkung (römisches Recht: donatio) ist Konsensual-, nicht Realvertrag; §§ 938 ff ABGB.
Die §§ 939–942, 944 und 945 ABGB sollten gelesen werden.
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2. Terminologie
Wir sprechen von: SchenkerIn und Beschenkte/r oder GeschenknehmerIn.
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3. Vertragsnatur der Schenkung
Die Schenkung ist Vertrag – und zwar Schuldvertrag – und bedarf daher der Annahme. Man muss sich also nichts schenken lassen!
Die Schenkung begründet zwischen den Vertragsparteien obligatorische Rechte und Pflichten. Als Vertrag kommt die Schenkung durch korrespondierende, also übereinstimmende Willenserklärungen der Vertragsparteien zustande, wobei die Willenseinigung darauf gerichtet ist, dass der Schenkende dem Beschenkten eine Sache unentgeltlich überlässt und dieser dem beipflichtet; wobei dies auch durch bloße Erklärung iSd § 428 ABGB oder schlüssiges Verhalten (§ 863 ABGB) erfolgen kann.
Die Schenkung ist ein Vertrag, aber nur ein einseitig verpflichtender! Verpflichtet aus dem Vertrag wird aber nur ein Vertragsteil, nämlich der Schenkende. – Beschenkte treffen keine rechtlichen Pflichten.
Vertrag: einseitig verpflichtender
Zur Einteilung der Rechtsgeschäfte → KAPITEL 5: Einteilung und Abgrenzung.
Beispiel
Die Zuwendung muss mit Schenkungswillen in Schenkungsabsicht (römisches Recht: animus donandi) erfolgen: Ein Überlassen von Geldbeträgen zu Werbezwecken (Sponsoring, zB für Kultur- oder Sportzwecke) ist daher keine Schenkung → Die Schenkung: §§ 938 ff ABGB Das ist auch steuerrechtlich von Bedeutung.
animus donandi
Aus der Vertragsnatur der Schenkung ergibt sich, dass ein (bereits) angenommenes Geschenk ohne (neuerliche) Zustimmung nicht (einseitig) zurückgegeben werden kann. Auch die Rückgabe des Geschenks bedarf daher erneuter Zustimmung, jedenfalls rechtlich.
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4. Im Zweifel ist keine Schenkung anzunehmen
Es ist nicht immer leicht festzustellen, ob Schenkung oder ein anderes – vielleicht ähnliches – Rechtsgeschäft gewollt war; zB eine unentgeltliche Darlehensgewährung oder Leihe. Vgl die Auslegungsregel des § 915, 1. HalbS ABGB, wonach bei „einseitig verbindlichen Verträgen … im Zweifel angenommen [wird], dass sich der Verpflichtete eher die geringere als die schwerere Last auflegen wollte”.
§ 915, 1. HalbS ABGB
Das römisch-gemeine Recht entwickelte nicht zufällig eine Rechtsvermutung: donatio non praesumitur – Schenkung wird nicht vermutet; vielmehr – und das ist zu ergänzen! – muss eine Schenkung im Zweifel vom Beschenkten bewiesen werden! Beschenkte trifft also die Beweislast!
donatio non praesumitur
Zur Rechtsvermutung → Redlicher Besitz
Folgende einseitige Rechtsakte sind nicht Schenkung:
Dereliktion (§ 362 ABGB);
Ausschlagung der Erbschaft und Erbverzicht (§ 551 ABGB) → KAPITEL 14: Das Factoring;
einseitiger Verzicht / Schulderlass (§ 1444 ABGB).
§ 939 ABGB enthält eine Auslegungsregel: „Inwiefern eine Verzichtleistung eine Schenkung sei”.
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5. Sachen als Gegenstand der Schenkung
Geschenkt werden können nur Sachen iwS des § 285 ABGB; also auch Forderungen, ganz allgemein Rechte (zB Immaterialgüterrechte, Miet- oder Pachtrechte), Dienstleistungen, Anwartschaften, Gesellschaftsanteile (zB Geschäftsanteil an einer GmbH, Aktien), Gesamtsachen (wie Bibliothek oder Unternehmen), aber auch Chancen, wie ein Lotto- oder Totoschein.
Beispiel
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6. Form der Schenkung?
Die Schenkung ist in gewisser Hinsicht formbedürftig, nämlich dann, wenn das Geschenk nicht „gleich” übergeben wird.
943 ABGB, in seiner ursprünglichen Fassung, statuierte für das (bloße) Schenkungsversprechen – also die mündlich zugesagte, aber noch nicht vollzogene Schenkung – die einfache (!) Schriftform:
Schenkungsversprechen
„Aus einem bloß mündlich, ohne wirkliche Übergabe geschlossenen Schenkungsvertrag erwächst dem Geschenknehmer kein Klagerecht. Dieses Recht muss durch eine schriftliche Urkunde begründet werden.”
Die einfache Schriftform des ABGB wurde durch das NZwG 1875 (§ 1 Abs 1 lit d) zum Notariatsakt verschärft. Schenkungsversprechen ohne wirkliche Übergabe bedürfen daher heute des Notariatsakts, sonst ist ein solcher Vertrag sogar ungültig. Die Sanktion des ABGB hatte noch in bloßer Unklagbarkeit einer solchen Schenkung bestanden (§ 1432 ABGB); dh es entstand bloß eine natürliche Verbindlichkeit / Naturalobligation → KAPITEL 7: Naturalobligationen.
Steigerung der Formerfordernisse
Die heute bestehende strengere Formpflicht (samt Sanktion) auch für einfachste Schenkungen erscheint in ihrer Ausnahmslosigkeit überzogen und widerspricht dem Rechtsgefühl des Volkes. Eine gewisse Rechtfertigung der geltenden Regelung liegt aber im Gläubigerschutz, der freilich für kleine Schenkungen kein Argument darstellt. – Die hier dargestellte gesetzliche Formpflicht bei Schenkungen ohne wirkliche Übergabe, rückt die Schenkung in die Nähe der Realkontrakte! Diese Formpflicht will Druck ausüben, das Geschenk wirklich, dh real zu übergeben, also den Vertrag rasch zu erfüllen! Wohl auch deshalb, um unnötigen Streit zu vermeiden. – Worin liegt der Unterschied zum Realkontrakt? Einerseits ist das formlose Schenkungsversprechen (ohne wirkliche Übergabe) ungültig, wenn die gesetzliche Form nicht eingehalten wird, während bei Realverträgen (ohne Übergabe) wenigstens ein Vorvertrag (vgl § 983 ABGB uH auf § 936 ABGB → KAPITEL 6: Der Vorvertrag: § 936 ABGB) zustande kommt; andererseits kennen Realverträge keine explizite Form; bei ihnen wird nur der unmittelbare reale Vollzug des Titelgeschäfts gefordert!
Rechtsgefühl versus Gläubigerschutz
Beispiel
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7. „Wirkliche Übergabe” iSd ABGB und NotZwG
Nicht alle Übergabsarten, sondern nur jene, bei denen zum Konsens ein sinnfälliges, nach außen kenntliches Naheverhältnis / Gewahrsame des Beschenkten hinzutritt, sind als „wirkliche” Übergabe anzusehen, die einerseits einen gültigen Schenkungsvertrag entstehen und andrerseits Eigentum übergehen lassen. Von den Übergabsarten für bewegliche Sachen reichen hin:
• § 426 ABGB (körperliche Übergabe),
• § 427 ABGB (Übergabe durch Zeichen);
• § 428 ABGB (alle Übergabsarten durch Erklärung mit Ausnahme des Besitzkonstituts; also Übergabe kurzer Hand und Besitzanweisung) → KAPITEL 2: Übergabe durch Erklärung.


Formzwang des Schenkungsvertrags
Abbildung 3.22:
Formzwang des Schenkungsvertrags
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1999/47: Die Übergabe einer Bausparvertragsurkunde, die auf den Namen des Übergebers lautet und diesen und seine Erben als bezugsberechtigt ausweist, bedeutet für sich allein keine „wirkliche Übergabe” iSd § 943 ABGB, weil dem Übernehmer mit diesem Akt nicht die vollständige Verfügungsgewalt über das Bausparguthaben eingeräumt wird.
SZ 54/51 (1981): Zur wirklichen Übergabe einer Postspareinlage genügt die Übergabe des Postsparbuchs ohne Berechtigungskarte nicht. Befindet sich diese bei einem Dritten, kann der Schenkende den Dritten anweisen, die Berechtigungskarte an den Geschenknehmer herauszugeben oder für diesen innezuhaben. Zur „wirklichen Übergabe” führt der OGH aus: „Wirkliche Übergabe bedeutet nichts anderes als das Gegenteil einer bloßen Zusicherung. Zusicherung und wirkliche Übergabe können dabei zeitlich auseinanderfallen.”
SZ 22/27 (1949):Diese E ist ein berühmtes und anschauliches Beispiel für die Bedeutung der Frage, ob ein Geschenk „wirklich”, dh gültig übergeben wurde. Diese E betrifft die schenkungsweise Übergabe bankmäßig verwahrter Sachen (in einer Schweizer Bank) durch Bekanntgabe des Losungswortes „Bob cracler”. – Sachverhalt: Der Schenker (L.T.) war Jude. Durch Vermittlung eines Schweizers war es ihm gelungen, Wertgegenstände bei der L.-Bank in Zürich zu hinterlegen. Die Hinterlegung erfolgte mittels des Losungswortes „Bob cracler”. Kurz vor seinem Abtransport nach Theresienstadt schenkte L.T. am 14.7.1942 der Klägerin aus Dankbarkeit die im Depot der Schweizer Bank hinterlegten Wertgegenstände und teilte ihr das Losungswort mit. – Der OGH erkannte die Schenkung als gültig an und erblickte in der Bekanntgabe des Losungswortes eine „Art des Besitzkonstitutes ..., [die] im [ABGB] aber keine ausdrückliche Regelung gefunden hat (§ 428 ABGB). Wohl aber kennt das deutsche bürgerliche Gesetzbuch [in § 931] die Abtretung des Herausgabeanspruches..., [wonach] die Übergabe einer Sache, die sich im Besitz eines Dritten befindet, dadurch ersetzt werden kann, dass der Eigentümer dem Erwerber den Anspruch auf Herausgabe der Sache abtritt. Sonach wird der Erwerber mit der Abtretung Eigentümer, die Zustimmung des Dritten ist nicht erforderlich; die Abtretung kann formlos erfolgen, auch durch schlüssige Handlungen; die Anzeige an den Besitzer ist nicht notwendig ....”
OGH 6. 12. 2001, 2 Ob 274/01k (Anm Wagner), JBl 2002, 451: Eine alte Frau verschenkt auf den Todesfall einem befreundeten Rechtsanwalt einen Tabernakelkasten. Der Beschenkte besteht darauf, sie solle ihn bis zu ihrem Tod in ihrer Wohnung behalten. Bei Freundschaftsbesuchen erwähnt die Frau immer wieder die Schenkung. Nach ihrem Ableben verweigert die Erbin die Herausgabe, worauf der Anwalt auf Herausgabe klagt. – OGH: Dem Schutzzweck § 943 ABGB – nämlich den Schenker vor Übereilung zu schützen – wird auch durch ein Besitzkonstitut bezüglich der verschenkten Sache Genüge getan, wenn der Geschenkgeber durch spätere Erklärungen die Ernstlichkeit des Schenkungswillens wiederholt dargetan hat. – OGH betrachtet daher die Schenkung als gültig, obwohl die Form des Notariatsaktes nicht eingehalten wurde; – § 956 ABGB iVm § 1 NotzwG – materielle Derogation. Zum Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und Erbin: OGH betrachtet Erbin als unredliche Besitzerin und gewährt dem Rechtsanwalt einen Verwendungsanspruch nach § 1042 ABGB. (?)
Dazu ist anzumerken, dass die Abtretung des Herausgabeanspruchs als Eigentumsübertragungsart dem ABGB fremd ist. Sie läuft auf die Eigentumsübertragung durch Zession hinaus. Der OGH folgt hier Klang in Klang2 II 32. Gschnitzer, Sachenrecht 18 (1968) merkt dazu berechtigterweise an, dass diese Übertragungsform „die Grenze zwischen Schuld- und Sachenrecht” verwischt. Auch durch die Annahme einer Besitzanweisung wäre dieses Ergebnis erreichbar gewesen.
Abtretung des Herausgabeanspruchs?
Für Liegenschaften genügt nach der Rspr als „wirkliche Übergabe” auch die außerbücherliche (!) Übergabe; zB die Übergabe der Schlüssel für die geschenkte Eigentumswohnung. – Eigentum daran wird aber erst durch Verbücherung erworben!
Außerbücherliche Übergabe von Liegenschaften
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 45 (mit krit Anm von Hoyer): Ist das eine Liegenschaft betreffende formlose Schenkungsversprechen durch bücherliche Einverleibung des Beschenkten erfüllt worden, kann nicht mehr auf Rückübertragung des Eigentumsrechts wegen ursprünglich fehlender Notariatsaktsform geklagt werden.
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8. Haftung des Schenkers?
Das ABGB lässt in § 945 die Rechtsfolgen – wie andernorts: vgl etwa § 1419 ABGB – offen. Sie werden heute iS einer Rechtsmängel- und Schadenersatzhaftung verstanden. In § 945 ABGB kann zudem eine Haftung für cic (→ KAPITEL 6: Cic ¿ culpa in contrahendo) erblickt werden, die zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet.
Schenkende haften nicht für Sachmängel. Ein bekanntes Rechtssprichwort verdeutlicht dies: „Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins Maul!” – Man muss sich nichts schenken lassen. Wurde das Geschenk aber angenommen, bleibt es dabei.
Gewährleistung
§ 945 ABGB enthält aber eine Haftung für Rechtsmängel: „Wer wissentlich eine fremde Sache verschenkt, und dem Geschenknehmer diesen Umstand verschweigt, haftet für die nachteiligen Folgen”; zB für Schäden wegen allfälliger Rechtsvertretungs- oder Verfahrenskosten.
Rechtsmängelhaftung
Frage: Erwirbt der Beschenkte Eigentum? – Wenn ja, wonach oder wonach nicht? Zu den Voraussetzungen des § 367 ABGB → KAPITEL 8: Gutgläubiger Eigentumserwerb.
Beachte
Die Rspr lässt Schenkende über § 945 ABGB hinaus (arg: „wissentlich”) nach allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen auch für Schäden einstehen, die sie – zB durch Verschenken einer gefährlichen Sache (etwa von gefährlichem Spielzeug) – voraussehen konnten; und zwar auch dann, wenn kein Vorsatz vorliegt. Rechtspolitisch sinnvoll erschiene eine Haftungsbeschränkung auf grobe Fahrlässigkeit, obwohl sie das ABGB nicht kennt; vgl aber § 521 dtBGB. Ein Heranziehen der deutschen Rechtsfigur der positiven Vertragsverletzung, wenn Rechtsgüter des Beschenkten durch das Verschenken einer mangelhaften Sache Schäden nehmen, erscheint aber überflüssig. Zu den positiven Vertragsverletzungen → KAPITEL 7: Zur sog positiven Vertragsverletzung: Link.
Schadenersatzrechtliche Haftung
Beispiel
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9. Unwiderruflichkeit von Schenkungen?
„Schenkungsverträge dürfen idR nicht widerrufen werden”; § 946 ABGB. Beachte auch den Kinderreim: „ ... schenken, schenken, nimmer geben”! Von diesem Grundsatz macht jedoch das Gesetz selbst Ausnahmen und sieht in folgenden Fällen die Möglichkeit eines – einseitigen! – Schenkungswiderrufs (Anfechtung) vor:
• Wegen Dürftigkeit des Schenkers: § 947 ABGB (nötiger Unterhalt mangelt);
• wegen groben Undanks des Beschenkten: § 948 ABGB (gerichtlich strafbare Verletzung an Leib, Ehre, Freiheit, Vermögen);
• wegen Verkürzung des schuldigen Unterhalts: § 950 ABGB;
• wegen Pflichtteilsverkürzung (der gesetzlichen Erben): § 951 ABGB;
• wegen nachgeborener Kinder: § 954 ABGB;
• wegen Verkürzung der Gläubiger: anstelle § 953 ABGB, der überholt ist, sind die Bestimmungen von AnfO und KO zu beachten. Dazu → Die Gläubigeranfechtung
• § 1247 Satz 2 ABGB regelt die Rückforderbarkeit von Verlobungsgeschenken → KAPITEL 16: Rückgabe der Verlobungsgeschenke.
• Zum Widerruf gemischter Schenkungen → Arten der Schenkung
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10. Gesetzliche Grenzen für Schenkungen
Nach § 944 ABGB ist gegenwärtiges Vermögen zur Gänze verschenkbar, zukünftiges aber nur zur Hälfte.
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11. Arten der Schenkung
Hand- oder Realschenkung: Vertrags(ab)schluss und Erfüllung fallen (zeitlich) zusammen; vgl Hand- oder Realkauf.
Gemeinnützige Schenkungen; zB an den Staat, Religionsgemeinschaften oder wohltätige Vereine oder Institutionen.
Anstands-, Gelegenheits-, Pflichtschenkungen: sie erfolgen idR nicht aus Freigebigkeit, sondern entspringen Anstand oder Sitte; zB unter KollegenInnen im Betrieb.
Werbegeschenke und Warenproben: zB kleiner Farbfernseher für Zeitungsabo; früher: Verbot durch ZugabenG 1934. Heute ist allenfalls Wettbewerbswidrigkeit nach UWG zu prüfen.
Belohnende / remuneratorische Schenkung (§ 940 ABGB); zB LebensretterIn (Leistung des/r Beschenkten war Motiv für Freigebigkeit des/r Schenkenden). – Zum Motivirrtum → KAPITEL 5: Der Motivirrtum.
• Zur Abgrenzung der Schenkung vom Sponsorvertrag → KAPITEL 5: Gemischte und atypische Verträge: Mischverträge.
Wechselseitige Schenkungen; § 942 ABGB: Hier wird vereinbart, „dass der Schenkende wieder beschenkt werden muß”. Hier „entsteht keine wahre Schenkung im Ganzen; sondern nur in Ansehung des übersteigenden Wertes.”
• Die gemischte Schenkung bildet „einen, aus einem entgeltlichen und unentgeltlichen vermischten, Vertrag”; § 935 ABGB. Es kommt für die Annahme einer gemischten Schenkung darauf an, dass die Parteien wenigstens einen Teil der Leistung schenken wollen. Der entgeltliche Vertragsteil kann zB Kauf oder Tausch sein. – Auch gemischte Schenkungen kann der Geschenkgeber nach der Rspr entweder ganz – zB nach § 948 ABGB – widerrufen oder die (Rück)Zahlung der als geschenkt anzusehenden Wertdifferenz verlangen. – Zu gemischten Schenkungen kommt es bei bäuerlichen oder gewerblichen Übergabs- (→ KAPITEL 17: Erbrecht und Gesellschaft), aber auch Leibrentenverträgen: §§ 1284 ff ABGB → KAPITEL 2: Leibrentenvertrag.
Schenkung unter (einer) Auflage (§ 603 iVm § 956 ABGB): Sie bleibt Schenkung, weil die Auflage (= Bestimmung des Schenkenden wie das Geschenk zu verwenden ist) keine Gegenleistung darstellt, sondern nur sicherstellen will, dass das Geschenk iSd Schenkenden verwendet wird; zB Geld für Studienaufenthalt in den USA. Erfüllung der Auflage kann aber verlangt werden. – Es existiert keine gesetzliche Regelung für diese Schenkungsart. Mehr zur Auflage → KAPITEL 13: Die Auflage.
Beispiel
§ 1270 Satz 3 ABGB bezeichnet den (bewussten) Verlierer einer Wette, „dem der Ausgang [der Wette] vorher bekannt war”, als einen „Geschenkgeber”.
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12. Schenkung auf den Todesfall
Vgl § 603 iVm § 956 ABGB: Sie ist ein Mittelding zwischen einer Schenkung unter Lebenden und einer Verfügung von Todes wegen. Der Schenkungsvertrag wird hier schon zu Lebzeiten geschlossen, er soll aber erst nach dem Tode des/r Schenkenden erfüllt werden. – Die Schenkung ist hier Titel für den späteren Eigentumserwerb, für den noch die Übergabe des Geschenks als Modus nötig ist. Der Anspruch des/der Beschenkten ist ein obligatorischer; zu diesen Fragen: Beispiele.
Schenkungsvertrag zu Lebzeiten
Das ABGB von 1811 verlangt für die Gültigkeit einer Schenkung auf den Todesfall:
ABGB von 1811 – Rspr
• einerseits einen Widerrufsverzicht des/der Schenkenden und zusätzlich
Schriftlichkeit (des Schenkungsversprechens),
• was von der Judikatur (in Entsprechung zu § 943 ABGB) zur Notariatsaktspflicht gesteigert wurde. Das führt in der Praxis zur Ungültigkeit vieler Schenkungen!
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 2000, 48 (§§ 956, 364c ABGB): Das Fehlen eines Widerrufsverzichts macht eine Schenkung auf den Todesfall grundsätzlich unwirksam. Ein Veräußerungs- und Belastungsverbot zugunsten des Beschenkten hat aber eine dem Widerrufsverzicht gleichkommende Warn- und Beweisfunktion und bewirkt daher die Gültigkeit der Schenkung.
NZ 1985, 69 = HS 14.742: Die Schenkung auf den Todesfall ist ein Vertrag, weshalb der Beschenkte eine stärkere rechtliche Stellung besitzt als ein Vermächtnisnehmer; NZ 1966, 28.
JBl 1977, 258: Schenkungen auf den Todesfall können „wie jede andere Schenkung widerrufen werden.”
SZ 69/108 (1996): Zum Eigentumsübergang bedarf es der Übergabe der geschenkten Sache an den Beschenkten.
JBl 1981, 593 oder SZ 69/108 (1996): Schenkungen auf den Todesfall sind keine Schenkungen iSd § 785 ABGB → Schenkungsanrechnung
SZ 57/91 (1984): Der Wirksamkeit als Schenkung auf den Todesfall steht nicht entgegen, dass die Schenkung unter der Bedingung des Vorablebens des Schenkers erfolgt.
SZ 65/68 (1992): Eine Schenkung auf den Todesfall ist eine unbedingte, mit dem Tod des Erblassers / Geschenkgebers als Anfangstermin terminisierte Schenkung, die erst nach dem Tod des Erblassers aus dessen Nachlaß erfüllt werden soll.
SZ 65/113 (1992): Der Beschenkte ist [in Bezug auf das bereits konkretisierte Geschenk] Gläubiger des Nachlasses.
EvBl 1962/285: Nach der Einantwortung ist der Beschenkte Gläubiger der Erben.
JBl 2002, 451: Tabernakelkastenfall – Vgl dazu oben → „Wirkliche Übergabe” iSd ABGB und NotZwG
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13. Schenkungsanrechnung
Literaturquelle
Die Frage der Schenkungsanrechnung spielt im Erbrecht eine Rolle; vgl aber etwa auch § 11 Erbschafts- und SchenkungssteuerG. Es geht allgemein um die erbrechtliche Anrechnung von Vorempfängen erbberechtigter oder anderer Personen, die bspw noch zu Lebzeiten des Erblassers Schenkungen oder andere Zuwendungen erhalten haben, die ohne Anrechnung andere erb-, pflichtteils- oder unterhaltsberechtigte Personen (die nichts oder weniger vorweg erhalten haben) benachteiligen würden. – Es geht dabei um einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit → KAPITEL 18: Austeilende und ausgleichende Gerechtigkeit. Bedeutsam ist unsere Frage vornehmlich für Kinder, Geschwister, aber auch Gatten.
Problem
Das ABGB regelt die Behandlung der Anrechnung von Vorempfängen an mehreren Stellen:
Gesetzliche Regelungen
• § 757 Abs 3 ABGB: „In den Erbteil des Ehegatten ist alles einzurechnen, was dieser durch Ehepakt oder Erbvertrag aus dem Vermögen des Erblassers erhält.”
• § 758 ABGB: Der/Das gesetzliche Voraus(vermächtnis) des Ehegatten wird nach hA nicht auf den Erbteil angerechnet.
• § 785 ABGB: Schenkungsanrechnung bei der Nachlassberechnung auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten Kindes oder eines Ehegatten; ausgenommen sind nach leg cit Abs 3 Schenkungen, „die früher als zwei Jahre vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen gemacht worden sind”.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 35/40 (1962): § 785 ABGB bezweckt die Gleichstellung aller pflichtteilsberechtigten Kinder.
SZ 44/30 (1971): Schenkungsabsicht iSd § 785 ABGB ist schon gegeben, wenn zwischen der Leistung des Erblassers und einer Gegenleistung ein so erhebliches Missverhältnis besteht, dass sich der Erblasser darüber klar gewesen sein musste.
JBl 1976, 425: Voraussetzung für einen Anspruch nach den §§ 785, 951 ABGB ist immer eine Vermögensverschiebung, die ganz oder teilweise vom Tatbestand der Schenkung iSd § 938 ABGB erfasst wird.
SZ 69/13 (1996): Für die Festsetzung des Schenkungspflichtteils ist auf den Erbanfall und nicht auf den Zeitpunkt der Zuteilung abzustellen. – Es ist dabei zu fragen, welchen Wert die Verlassenschaft hätte, wenn die Schenkung unterblieben wäre.
NZ 1993, 13 = EF 68.985: Bei einer gemischten Schenkung (→ Arten der Schenkung) ist der geschenkte Teil anrechenbar.
• § 787 ABGB: Anrechnung auf den Pflichtteil; vgl etwa EvBl 1999/12: Anrechnung von Schenkungen bei der Pflichtteilsberechnung nach dem bäuerlichen Sondererbrecht → KAPITEL 17: Das bäuerliche Erbrecht als Anerbenrecht.
• §§ 788, 789 ABGB: zB Anrechnung von Heiratsgut, Ausstattung, Bezahlung von Schulden eines volljährigen Kindes, Pflichtteilsvorschuss etc.
• §§ 790-793 ABGB: Anrechnung auf den Erbteil bei der gesetzlichen Erbfolge. Nach § 790 Satz 1 ABGB erfolgt eine Anrechnung im Rahmen der Erbfolge von Kindern aus einem letzten Willen nur dann, wenn dies vom Erblasser „ausdrücklich verordnet” wird.
• § 796 Satz 2 ABGB: Anrechnung auf den gesetzlichen Unterhaltsanspruch des Ehegatten nach dem Tode des Erblassers.
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14. Die Schenkungsanfechtung
Vgl dazu die Ausführungen; zur Gläubigeranfechtung → Die Gläubigeranfechtung
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II. Die Schenkungssteuer
Schenkungen sind nach dem Erbschafts- und SchenkungssteuerG 1955, BGBl 141 idgF steuerpflichtig. Der Schenkungsbegriff des Steuerrechts ist weiterals der des bürgerlichen Rechts. Unter ihn fallen nicht nur Schenkungsverträge iSd § 938 ABGB, sondern auch jede andere freigebige Zuwendung unter Lebenden.
Bei Schenkungen unter Lebenden entsteht die Steuerschuld mit dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung; § 12 Abs 1 Z 2 leg cit.
Entstehen der Steuerschuld
Der Steuersatz unterliegt einer doppelten Progression; einerseits richtet er sich nach der Höhe des Erwerbs, andrerseits nach der Steuerklasse: zB: Steuerklasse I – Ehegatte und Kinder → KAPITEL 5: Die Erbschafts- und Schenkungssteuer (ErbSt).
Eine Novelle des Erbschafts- und SchenkungssteuerG (I 2000/42 und weitere Gesetze) brachte wichtige Änderungen: Teurer wurde insbesondere das Schenken und Vererben von Grundstücken für die künftig (ab 1.1.2001) der dreifache Einheitswert zur Bemessung herangezogen wird. Dies soll zu Mehreinnahmen von ca 1 Mrd Schilling führen. Das führte im Herbst 2000 zu einem Schenkungs(vertrags)boom.
Novelle
Beispiel
Schenkung eines Einfamilienhauses
An ...Bis Ende 2000ab. 1.1.2001
ein Kind I. Steuerklasse8.250 S28.450 S
Lebensgefährten V. Stuerklasse39.760 S143.700 S
ein Enkelkindbisher 10%mindestens 16%
Literaturquelle
Literaturquelle


Steuerklassen: § 7 ErbStG
Abbildung .22:
Steuerklassen: § 7 ErbStG
* Die Steuerbegünstigung setzt eine aufrechte Ehe voraus; Lebensgefährten, geschiedene Gatten oder Verlobte fallen nicht unter diesen Begriff und gehören zur Steuerklasse V.


Steuer


§ 1. (1) Der Steuer nach diesem Bundesgesetz unterliegen
  1. der Erwerb von Todes wegen,
  1. Schenkungen unter Lebenden,
  1. Zweckzuwendungen.
(2) Soweit nichts Besonderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften dieses Gesetzes über den Erwerb von Todes wegen auch für Schenkungen und Zweckzuwendungen, die Vorschriften über Schenkungen auch für Zweckzuwendungen unter Lebenden.
§ 7. (1) Nach dem persönlichen Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser werden die folgenden fünf Steuerklassen unterschieden: ...
§ 14 behandelt sog Freibeträge, § 15 Steuerbefreiungen. So sind Schenkungen an Ehegatten, Kinder, Enkel und Urenkel bis zu einem Betrag von 2.200 ı (30.000 S) steuerfrei. – Für Ehegatten gelten noch besondere Steuerbefreiungen, wie zB Schenkungen unter Lebenden bis 7.300 ı (100.000 S) oder Schenkungen zwecks Schaffung von Wohnraum, um das dringende Wohnbedürfnis der Ehegatten (bis 150 m2) zu befriedigen. Steuerfrei bleiben weiters zB Hausrat, körperliche bewegliche Sachen von (kunst)geschichtlichem oder wissenschaftlichem Wert, wenn sie mindestens 20 Jahre im Familienbesitz sind etc.


Erbschafts- und Schenkungssteuer: Berechnung
Abbildung 3.23:
Erbschafts- und Schenkungssteuer: Berechnung
Nach § 8 Abs 3 beträgt die Steuer ohne Rücksicht auf die Höhe der Zuwendung: an gemeinnützige inländische jurPn sowie inländische Institutionen gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgemeinschaften: 2,5 Prozent. Zuwendungen an nicht unter lit a fallende Privatstiftungen durch den Stifter selbst 5 Prozent, und wenn der Stifter eine Privatstiftung ist: 2,5 Prozent. Nach § 8 Abs 4 erhöht sich der Steuersatz um (weitere) 2 oder 3,5 Prozent, wenn durch die Zuwendung Grundstücke erworben werden; sog Grunderwerbssteuer-Äquivalent. Nach § 3 Abs 1 Z 2 GrEStG unterliegt nämlich der unentgeltliche Erwerb von Liegenschaften nicht der Grunderwerbssteuer.
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III. Die Gläubigeranfechtung
Im Zusammenhang mit der Schenkung ist auch die Gläubigeranfechtung in und außerhalb von Konkursen zu erwähnen. Schuldner versuchen immer wieder Gläubiger durch Schenkungen zu verkürzen.
1. AnfO und KO
Dem Anfechtungsrecht nach der Anfechtungsordnung (AnfO) und der Konkursordnung (KO) kommt die Aufgabe zu, das den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung stehende Vermögen des Schuldners gegen Vorgänge zu schützen, die geeignet sind, die Chancen der Gläubigeranspruchsdurchsetzung zu verringern oder überhaupt unmöglich zu machen. Verständlicherweise spielt das Instrumentarium des Anfechtungsrechts in und außerhalb des Konkurses gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine besonders wichtige Rolle. Ein neuer Anwendungsbereich ist der Schenkungsanfechtung im Sozialrecht erwachsen → Schenkungsanfechtung und Sozialhilfe – Die rechtshistorischen Wurzeln des Anfechtungsrechts reichen bis ins römische Recht zurück; actio Pauliana.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 19. 12. 2000, 5 Ob 254/00i, SZ 73/203 = JBl 2001, 721: Überschuldeter Vater schenkt seinen minderjährigen Kindern eine Liegenschaft, um diese dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. – OGH: Für die Kenntnis der Benachteiligungsabsicht bei der Schenkungsanfechtung kommt es grundsätzlich auf die Gutgläubigkeit des gesetzlichen Vertreters oder Kollisionskurators an. Hat aber der von der gesetzlichen Vertretung ausgeschlossene Vater einen gutgläubigen Kollisionskurator für den Minderjährigen als Werkzeug missbraucht, wird die Kenntnis des Vaters dem Minderjährigen zugerechnet.
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2. Anfechtung außerhalb des Konkurses
Rechtsquelle: – AnfO, Kaiserliche VO vom 10. Dezember 1914, RGBl 1914/337
§ 1. Rechtshandlungen, die das Vermögen eines Schuldners betreffen, können außerhalb des Konkurses nach den folgenden Bestimmungen zum Zwecke der Befriedigung eines Gläubigers angefochten und diesem gegenüber als unwirksam erklärt werden.
a) wegen Benachteiligungsabsicht
§ 2. Anfechtbar sind:
. Alle Rechtshandlungen, die der Schuldner in der dem anderen Teile bekannten Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, in den letzten zehn Jahren vor der Anfechtung vorgenommen hat;
. alle Rechtshandlungen, durch welche die Gläubiger des Schuldners benachteiligt werden und die er in den letzten zwei Jahren vor der Anfechtung vorgenommen hat, wenn dem anderen Teile die Benachteiligungsabsicht bekannt sein musste;
. alle Rechtshandlungen, durch welche die Gläubiger des Schuldners benachteiligt werden und die er in den letzten zwei Jahren vor der Anfechtung gegenüber seinem Ehegatten – vor oder während der Ehe – oder gegenüber anderen nahen Angehörigen oder zugunsten der genannten Personen vorgenommen hat, es sei denn, dass dem anderen Teile zur Zeit der Vornahme der Rechtshandlung eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners weder bekannt war noch bekannt sein musste;
b) wegen Vermögensverschleuderung
4. die im letzten Jahre vor der Anfechtung vom Schuldner eingegangenen Kauf-, Tausch- und Lieferungsverträge, sofern der andere Teil in dem Geschäfte eine die Gläubiger benachteiligende Vermögensverschleuderung erkannte oder erkennen musste.
§ 3. Anfechtbar sind folgende, in den letzten zwei Jahren vor der Anfechtung vorgenommene Rechtshandlungen:
1. unentgeltliche Verfügungen des Schuldners, soweit es sich nicht um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung, um gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke oder um Verfügungen in angemessener Höhe handelt, die zu gemeinnützigen Zwecken gemacht wurden oder durch die einer sittlichen Pflicht oder Rücksichten des Anstandes entsprochen worden ist;
...”
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3. Anfechtung nach der Konkursordnung: §§ 27-43 KO
Literaturquelle
§ 27 KO zieht den Rahmen:
„Rechtshandlungen, die vor der Konkurseröffnung vorgenommen worden sind und das Vermögen des Gemeinschuldners betreffen, können ... angefochten und den Konkursgläubigern gegenüber als unwirksam erklärt werden.”
Allgemein zum Konkurs → KAPITEL 19: Der Konkurs.
• wegen Benachteiligungsabsicht des Gemeinschuldners Rechtshandlungen bis zu 10 Jahre vor Konkurseröffnung (§ 28 Z 1 KO);
• wegen Vermögensverschleuderung 1 Jahr vor Konkurseröffnung (§ 28 Z 4 KO);
• unentgeltliche Verfügungen 2 Jahre vor Konkurseröffnung (§ 29 KO).
• Anfechtbar sind bspw auch vorgenommene Sicherstellungen (zB Pfandrechte) oder Befriedigungen eines Gläubigers, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Antrag auf Konkurseröffnung oder in den letzten 60 Tagen vorher gewährt wurden; § 30 KO.
Das Anfechtungsrecht steht dem Masseverwalter zu; § 37 Abs 1 KO. Die Anfechtung wird durch Klage binnen 1 Jahres nach Konkurseröffnung oder Einrede geltend gemacht; § 43 Abs 1 und Abs 2 KO. – Die Anfechtung ist auch gegen Erben und andere Rechtsnachfolger iSd § 38 KO zulässig.
MasseverwalterAngefochten werden können
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4. Schenkungsanfechtung und Sozialhilfe
Von praktischer Bedeutung ist die Schenkungsanfechtung auch im Sozialhilferecht der Länder. Danach können Schenkungen, die ein Sozialhilfeempfänger innerhalb der letzten Jahre vor Eintritt der Bedürftigkeit (oder auch nach der Beendigung von Leistungen) gemacht hat, vom Sozialhilfeträger angefochten werden. Die Anfechtungstatbestände und -fristen sind länderweise verschieden.
Sozialhilfe
Wien (§ 26 WSHG 1972, LGBl 1973/11 idgF) kennt eine zweijährige, das Burgenland (§ 46 BgldSHG, LGBl 2000/5), Niederösterreich (§ 41 NÖSHG 1999, LGBl 2000/15) und Oberösterreich (§ 48 OÖSHG 1998, LGBl 2) eine fünfjährige Frist und die Steiermark kennt wie Tirol, Vorarlberg, Kärnten und Salzburg keine Regelung, sondern ficht in Einzelfällen nach der AnfO an.
Ersatz durch den Geschenknehmer
Beispiel: NÖ
NÖSHG: § 41. (1) Hat ein Hilfeempfänger innerhalb der letzten fünf Jahre vor Beginn der Hilfeleistung, während oder drei Jahre nach der Hilfeleistung Vermögen verschenkt oder sonst ohne entsprechende Gegenleistung an andere Personen übertragen, so ist der Geschenknehmer (Erwerber) zum Kostenersatz verpflichtet, so weit der Wert des Vermögens das Fünffache des Richtsatzes für Alleinstehende übersteigt.
(2) Die Ersatzpflicht ist mit der Höhe des Geschenkwertes (Wert des ohne entsprechende Gegenleistung übernommenen Vermögens) begrenzt.
Durch den Wegfall der Sparbuchanonymität ab 1.11.2000 können Träger (Länder und Sozialämter) leichter auf das Vermögen von Sozialhilfe- und Pflegegeldbeziehern greifen, die bisher durch die Anonymität der Sparbücher geschützt waren. Langen eigenes Einkommen und/oder Pension nicht aus, um die vom Heim erbrachten Pflegeleistungen zu finanzieren, wird auf das Vermögen (insbesondere auch Sparbücher) des/der Betreuten zurückgegriffen. – Allenfalls gemachte Schenkungen können – wie ausgeführt – angefochten werden.
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