Kapitel 4 | |
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Wir
haben in Kapitel 1 die Rechtsordnung kennen gelernt und gehört,
dass sie mit einem Synonym auch als Recht im objektiven Sinn bezeichnet
wird, wovon es das Recht im subjektiven Sinn zu unterscheiden gilt.
Dieses Recht im subjektiven Sinn besteht aus der Summe jener rechtlichen (Einzel)Befugnisse,
die konkret einzelnen Rechtssubjekten zustehen. Die Rechtsordnung
besteht nämlich nicht um ihrer selbst Willen, sondern ist für die
Menschen, die Rechtssubjekte, gemacht. Sie sollen sich ihrer bedienen,
um ihre gesellschaftlichen – dh persönlichen, wirtschaftlichen, kulturellen
etc – Zwecke zu verfolgen. | Überblick |
In der Folge werden zuerst das Rechtssubjekt, die natürliche
Person und dabei insbesondere die Begriffe der Rechts- und Handlungsfähigkeit
besprochen (A.), die auch für die juristische Person (B.), die im
Anschluss behandelt wird, von Bedeutung sind. Abschließend werden
die Persönlichkeitsrechte (C.) dargestellt und Pkt D. gewährt Einblick
in Stand und Entwicklung der „Rechtlich beachtlichen Zustände und
Eigenschaften des Menschen”. | |
Hier wird auch das rechtliche Entstehen des Individuums,
des gesellschaftlich autonomen Einzelmenschen, angesprochen, das
sich – nach früher Entwicklung im antiken Griechenland: Beginn mit Solon
594/3 v. C. – erst im späten 18. Jhd endgültig von seinen vielfältigen
gesellschaftlichen Beschränkungen und politischen Gängelungen zu
befreien beginnt. Diese rechtliche und politische Emanzipation des
Einzelnen und sein Herauslösen aus Familie und Geschlechtsverband
ermöglichte, auf staatlich-politischer Ebene, ein direktes und unvermitteltes
Inbeziehungtreten von Einzelnem und dem sich in seiner modernen
Ausprägung erst entwickelndem Staat: Es entsteht erstmals in Europa
der rechtlich unwiderruflich freie und politisch bereits weithin,
privatrechtlich bereits vollkommen gleiche Staats-Bürger, der wiederum
Voraussetzung für das Entstehen der Demokratie ist. – Die privatrechtliche
Entwicklung zum freien und gleichen Rechtssubjekt ermöglicht demnach
erst das Entstehen einer demokratischen Entwicklung. | |
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Wichtig für
das Verständnis der hier behandelten Fragen erscheint am Beginn
der Ausführungen zur natürlichen Person R. Hübners (Grundzüge des
Deutschen Privatrechts, 19305) Einsicht, wonach
die „heutige einfache und übersichtliche Gliederung des Personenrechts,
die darauf beruht, dass jeder Mensch als Rechtssubjekt anerkannt
wird, ... erst der neueren Kulturentwicklung” angehört. – Die Entwicklung
war schwierig und bis zuletzt politisch umkämpft. Hübner führt aus (aaO
50): | Von ständischer Schichtung zur
Gleichberechtigung aller Rechtssubjekte |
„Die heutige einfache und übersichtliche Gliederung
des Personenrechts, die darauf beruht, dass jeder Mensch als Rechtssubjekt
anerkannt wird, gehört erst der neueren Kulturentwicklung an. Auch
das deutsche Recht hat in seinen Anfängen die Menschen keineswegs
als rechtlich gleichwertige Wesen behandelt. Manchen Klassen versagte
es überhaupt jeden rechtlichen Wert, anderen legte es nur einen
geminderten bei. Erst allmählich wurde dieser Standpunkt … überwunden.
Damit fielen Gegensätze und Unterscheidungen, die einst für das
Volksleben tiefgreifende Bedeutung besessen hatten. Vor allem die ständische
Schichtung, die der mittelalterlichen Welt ihr Gepräge
verlieh, und gegen die auch die Lehre des Christentums von der sittlichen
Gleichheit der Menschen nicht aufzukommen vermochte, wenngleich
tiefer blickende Geister wie Eike von Repgow die rechtliche Gleichheit
aller Menschen als religiös-sittliche Forderung anerkannten …. Erst
das Naturrecht führte diese Anschauung zum endgültigen
Sieg. Unter der Herrschaft seiner Ideen wurde die Hörigkeit aufgehoben,
die feudale Ständegliederung beseitigt, die Gleichberechtigung der
Bekenntnisse durchgesetzt.” | |
Die
Entwicklungsgeschichte des § 16 ABGB – der (privat)rechtlichen Keimzelle
eines modernen, bereits menschen- und grundrechtlich orientierten
Verständnisses der Rechtsperson – verlief wie ein Krimi. | |
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Unter
Rechtsfähigkeit wird die Fähigkeit verstanden, Träger von
Rechten und Pflichten zu sein. | |
| Abbildung 4.1: Rechtsfähigkeit |
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Die Rechtsordnung
verleiht heute wie früher dem Menschen seine Rechtsfähigkeit. Der Mensch, die natürliche
Person – uzw jeder (!) Mensch – ist heute aber geborenes
Rechtssubjekt; dh er ist automatisch mit seiner Geburt
(ohne Unterschied, ob gesund oder krank, arm oder reich) Rechtssubjekt
und damit Träger von Rechten und Pflichten; § 16 ABGB. – Neben dem
Menschen, der natürlichen (Rechts)Person, ist aber
auch die juristische Person Rechtssubjekt; gleichsam
ein (von der Rechtsordnung) gekorenes. Auch die juristische Person
ist Trägerin eigener Rechte und Pflichten. Wir werden davon handeln.
Diese Rechtssubjekte – natürliche wie juristische Personen – sind
ua Träger konkreter Rechte, eben subjektiver (Privat)Rechte; zB
ist Frau X oder die A-GmbH Eigentümerin einer Liegenschaft oder
Herr Y Erbe (nach dem Tod seines Vaters). – Subjektive Rechte richten
sich (inhaltlich) gegen andere Rechtssubjekte oder betreffen unmittelbar Rechtsobjekte
/ Sachen. | Unterscheidung:
Rechtssubjekt und Rechtsobjekt |
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| Abbildung 4.2: Rechtssubjekte und Rechtsobjekte: Sachen |
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•
Rechtssubjekt ist
zu aller erst der Mensch (als natürliche Person),
aber auch die juristische Person (als rechtliches
Kunstgebilde der Rechtsordnung). | |
•
Rechtsobjekte sind die Sachen iwS
des § 285 ABGB. | |
Die Bedeutung der Unterscheidung
liegt darin, dass die Rechtsordnung Rechtssubjekte mit Rechtsfähigkeit
ausstattet, nicht dagegen Rechtsobjekte. Rechtsobjekte sind nur
(passive) Bezugspunkte von Rechten und Pflichten, die Rechtssubjekten
zustehen, nicht aber Träger eigener subjektiver Rechte und Pflichten. | Bedeutung
der Unterscheidung |
Die starre Grenzziehung des § 285 ABGB zwischen
Person und Sache, wurde durch § 285a ABGB etwas gemildert. Die Stringenz
dieser begrifflichen Trennung besitzt nämlich – wie wir heute klarer sehen
– auch Nachteile. | Grenzziehung
des
§ 285 ABGB |
| Übergänge zwischen Rechtssubjekt und Rechtsobjekt |
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2. Zur natürlichen
und juristischen Person | |
Die Rechtsordnung richtet sich
mit ihren Ge- und Verboten an den Menschen. Der Mensch ist
der natürliche Adressat des Rechts. Er ist primäres Rechtssubjekt.
– Seine Stellung im Recht erlangt der Mensch aber – wie erwähnt
– durch die (jeweilige) Rechtsordnung, die aber heute inhaltlich bereits
vielfach gebunden ist; innerstaatlich wie durch supra- und internationale
Normen; zB EMRK, künftige EU-Verfassung. Die Rechtspersönlichkeit
/ Rechtsfähigkeit / Rechtssubjektivität wird aber (unter Wahrung
kultureller Standards, deren Verletzung das Widerstandsrecht auslöst) grundsätzlich
von der Rechtsordnung verliehen, was heute insbesondere für juristische
Personen von Bedeutung ist. – Im Privatrecht stellen die §§ 16 ff
ABGB klar, dass jeder Mensch Rechtspersönlichkeit / Rechtsfähigkeit
besitzt, also Rechtssubjekt ist. In Deutschland schützt Art 1 BonnGG 1949
die Menschenwürde. – Das Verleihen der Rechtsfähigkeit
durch die Rechtsordnung steht demnach heute nicht mehr im Belieben
des Staates. Das war aber nicht immer so. Die Geschichte lehrt uns,
dass historische Rechtsordnungen die Rechtsfähigkeit in sehr unterschiedlichem
Maße gewährt haben; es gab Sklaverei, Hörigkeit, Halbfreie usw.
Vgl auch → Die
Antike
| §
16 ABGB, Art 1 BonnGG |
Zur Sklaverei und ständischen Gliederungen:
Vgl auch Kaser, Römisches Privatrecht § 13 (198313)
sowie Hübner, Grundzüge des deutschen Privatrechts § 13 (19305).
– Zur Ehrenrettung der Griechen muss erwähnt werden, dass namhafte
Denker bereits damals anders dachten und der aufklärerische Ansatz
zu Gleichheit und Rechtssubjektivität für alles Menschliche aus
der attischen Aufklärung stammt. Es brauchte aber mehr als 2000
Jahre, um diese Ideen zu verwirklichen. Platon etwa diskutierte
(uH auf Homer, Odysse 17, 322 f) in den „Nomoi” (776b-778a) die Sklaverei
kritisch. Eine besonders schöne Stelle findet sich dort 777d. Und
im „Ion” des Euripides lesen wir: „Denn was den Sklaven Schande
bringt, ist einzig der Name. Sonst in allem ist der Sklave mit wackerm
Sinn nicht schlechter als der Freie”. | |
In Bezug
auf die Rechtsfähigkeit enthält das ABGB (von 1811)
– Dank K.A.v. Martini – gegenüber dem ALR von 1794
( → KAPITEL 1: Die
drei großen Kodifikationen) bereits eine deutliche Weiterentwicklung,
indem es in § 16 bereits jedem Menschen die gleiche Rechtsfähigkeit
zuerkennt, während das ALR (I 1
§ 1) noch von einer ständisch abgestuften Rechtsfähigkeit ausgeht: | ABGB und ALR |
„Der Mensch wird, insofern er gewisse Rechte
in der bürgerlichen Gesellschaft genießt, eine Person genannt.” | |
Während heute jeder Mensch zeitlebens
volle Rechtsfähigkeit besitzt, bestehen im Bereich der juristischen
Personen Abstufungen. Es gibt dort nicht nur die Voll- Rechtsfähigkeit,
sondern auch eine Teil- Rechtsfähigkeit; und zwar
sowohl im Privatrecht, wie im öffentlichen Recht. | Voll-
und Teilrechtsfähigkeit |
Vgl einerseits § 26 ABGB (grundsätzliche Gleichstellung
juristischer mit natürlichen Personen) und andrerseits früher zB
§ 3 UOG 1993: Teilrechtsfähigkeit von Universitäten, Fakultäten,
Instituten und Kliniken etc, die aber nunmehr in eine Vollrechtsfähigkeit
umgewandelt wurde. | |
Die
Rechtsfähigkeit betrifft sowohl die privatrechtliche Stellung
von Rechtssubjekten in der Rechtsordnung – zB ihre allgemeine Geschäfts-,
Testier- oder Ehefähigkeit, als auch deren öffentlichrechtliche
Position; zB Wahlrecht, Steuerpflicht, Staatsbürgerschaft. | RF
betrifft privat-, und öffentlichrechtliche Stellung |
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Neben dem Menschen,
der natürlichen Person, gibt es also Rechtsgebilde,
die ebenfalls Rechtssubjektivität / Rechtsfähigkeit besitzen: die juristischen
Personen, als rechtlich gebündelte, wirtschaftliche oder
kulturelle Interessenträger. Durch ihre rechtliche Institutionalisierung
wird ihnen Dauer und Bestandskraft verliehen; zB einem Verein. –
Freilich können rechtliche Kunstgebilde wie es juristische Personen
nun einmal sind, nicht selbst für sich handeln. Sie benötigen Organe → Die
juristische Person handelt durch Organe Aber
auch natürliche Personen sind nicht von Geburt an selbst handlungsfähig;
dazu gleich mehr. | Rechtssubjekt und HF |
Person kommt
etymologisch aus dem griechischen Kulturkreis; Ethik des Panaitios,
der wiederum auf platonische Vorbilder zurückgriff: aus „prósopon”
wurde lateinisch „persona” / personare, durchtönen; persona heißt
nämlich auch (Schauspiel)Maske (!), ist also das, was aus dem Inneren
des Menschen durchtönt, durch die äußere Hülle des Menschen nach
Außen dringt, die äußere Fassade / Haut, das Gesicht des Menschen
„passiert”. – Das moderne Verständnis der menschlichen Person ist
allerdings umfassender. Eine andere, ältere Wurzel des modernen
Personsbegriffs ist das griechische Wort átomos:
der Einzelne, Unteilbare, dessen lateinische Übersetzung zum in-dividuum wurde. | á-tomos (in-dividuum) und persona |
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§ 26 ABGB stellt
natürliche und juristische Personen grundsätzlich gleich; dh: das
Eigentum an einer Liegenschaft kann Herrn oder Frau Müller, aber
auch einem Verein, einer GmbH oder der öffentlichen Hand (Bund,
Land, Gemeinde) zustehen. Trotz dieser fortschrittlichen grundsätzlichen
Gleichstellung juristischer mit natürlichen Personen werden wir
sehen, dass die dadurch eröffneten Möglichkeiten rechtlich noch
nicht ausgeschöpft wurden. Mehr zur juristischen Person → Die
juristische Person
| Gleichstellung
juristischer mit natürlichen Personen |
3. Beginn
und Ende der natürlichen Person | |
Das Rechtssubjekt Mensch beginnt
mit der vollendeten Geburt und endet mit dem Tode,
wobei der Eintritt des Todes – dessen Kriterien bislang gesetzlich
nicht geregelt sind – heute Probleme bereitet; früher Herz-Kreislauf-Tod
heute Hirntod. | |
| Abbildung 4.3: Beginn und Ende der natürlichen Person |
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| Abbildung 4.4: Der Lebensbeginn – Geburt |
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Lebendgeburt
wird aber nach § 23 ABGB vermutet; praesumtio iuris / einfache Rechtsvermutung. | Lebendgeburt |
| Abbildung 4.5: Was ist eine Rechtsvermutung? |
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Das Personenstandsrecht
dokumentiert staatlich die existentiellen und zugleich rechtlich
bedeutsamen Stationen des menschlichen Lebens: Geburt, Heirat und
Tod → KAPITEL 17: Das
Personenstandsrecht. | Personenstandsrecht |
Vom
bürgerlichen war der sog Klostertod zu unterscheiden.
Er besagte, dass im Mittelalter Personen, die in einen Nonnen- oder
Mönchsorden eintraten, mit der Ablegung der feierlichen Gelübde
„von der Welt für Tod erachtet” wurden; Glosse zum Sachsenspiegel.
Der Eintritt ins Kloster beseitigte insbesondere die Vermögensfähigkeit
der Person; zB Verlust der Testierfähigkeit mit der Folge, dass
das Vermögen eines Religiosen seinen Blutsverwandten zufiel. Künftiger
Vermögenserwerb war ausgeschlossen; auch nicht durch das Kloster.
Anders das kanonische Recht, das die Vermögensfähigkeit auf das
Kloster übergehen ließ. – Während das ALR (II 11 §§ 1199 f) den
Klostertod noch kannte und das dtBGB (Art 87 EG zum BGB) Erwerbsbeschränkungen
der toten Hand übernahm, kennt das ABGB und seine Vorstufen weder
den bürgerlichen, noch den Klostertod; vgl Zeiller, Gibt es nach
den österreichischen Gesetzen einen bürgerlichen Tod?, in: Wagners
Zeitschrift 2 (1826) 161 ff. Unser öffentliches Recht kennt aber noch
die Möglichkeit der rechtlichen Beschränkung der sog „toten Hand”;
vgl Art 6 Abs 2 StGG 1867: „Für die tote Hand [d.i. die Kirche]
sind Beschränkungen des Rechtes, Liegenschaften zu erwerben und
über sie zu verfügen, im Wege des Gesetzes aus Gründen des öffentlichen
Wohles zulässig.” – Bedeutung besitzt das aber nicht mehr. | Bürgerlicher und Klostertod |
Der frCC von 1804 kannte
noch das Rechtsinstitut des bürgerlichen Todes (la
mort civile; Art 22 f), das aber mit Gesetz von 1854 abgeschafft
wurde. Danach wurde ein (noch lebender) Mensch rechtlich so behandelt,
als wäre er schon gestorben. Er verlor dadurch seine Eigenschaft
als (Rechts)Person. Gründe dafür waren zB eine lebenslange strafrechtliche
Verurteilung (sog Kapitalstrafe) oder – seit der Französischen Revolution
– auch Emigration. Der bürgerliche Tod zog auch den Vermögensverfall
nach sich (Verlust des Eigentums) und eine bestehende Ehe galt als gelöst.
Eine solche Person durfte weder Vormund noch Zeuge sein etc. Kurz:
Die Rechtsfähigkeit wurde diesen Personen aberkannt. – Das germanische
Recht kannte als Parallele dazu Friedlosigkeit und Acht,
das antike griechische Atimie (Ehrlosigkeit) und Asebie (Gottlosigkeit),
das römische Recht die capitis deminutio (maxima) und
die infamia sowie das Kirchenrecht Bann und Exkommunikation.
Auch das englische Recht kannte lange den civil death (R.
Hübner). – Allgemein zur Bedeutung der Ehrminderung → Besonders
geschützte Werte, Zustände und Eigenschaften
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4. Nasciturus:
ABGB und StGB | |
Das ABGB lässt die Rechtspersönlichkeit des
Menschen nicht schlagartig mit der Geburt beginnen, sondern kennt
– dem ALR und dem römisch-gemeinen Recht folgend – gewisse Vor-Wirkungen: | Vor-Wirkungen
der RF |
Nach
den §§ 22, 23 ABGB besitz schon die Leibesfrucht / nasciturus besitzt
in gewisser Hinsicht Rechtspersönlichkeit. Sie kann aber nur Rechte
erwerben, nicht dagegen mit Pflichten belastet werden. Man kann
also nicht schon mit Schulden auf die Welt kommen. | Leibesfrucht |
Relevant ist
§ 22 ABGB bspw für die Erbfolge. Zugunsten des
beim Tod des Erblassers bereits gezeugten Kindes kann zB testiert
werden. – Auch künftige Unterhaltsansprüche Ungeborener
und allfällige (eigene) Ersatzansprüche wegen Tötung
des/r Unterhaltspflichtigen (zB § 1327 ABGB) oder auch Verletzung
der Leibesfrucht stehen zu (§ 1325 ABGB); zB wenn eine Verletzung
oder Ansteckung während der Schwangerschaft erfolgte. | Bedeutung |
§
22 ABGB: „Selbst ungeborene Kinder haben von dem Zeitpunkte ihrer
Empfängnis an einen Anspruch auf den Schutz der Gesetze. Insoweit
es um ihre und nicht um die Rechte eines Dritten zu tun ist, werden
sie als Geborene angesehen; ein totgeborenes Kind aber wird in Rücksicht
auf die ihm für den Lebensfall vorbehaltenen Rechte so betrachtet,
als wäre es nie empfangen worden.” | |
| Abbildung 4.6: Lebensschutz: Leibesfrucht |
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| Abbildung 4.7: Einschränkungen des § 22 ABGB |
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In
diesem Zusammenhang sind auch die §§ 96, 97 StGB zu beachten: Straflosigkeit
des Schwangerschaftsabbruchs. – Wir sehen daraus, dass
schon der Beginn der menschlichen Existenz in einem rechtlichen
Spannungsverhältnis steht. Nach hA ist die Abtreibung innerhalb
der ersten 3 Monate, wenn sie von einem Arzt vorgenommen wird, nicht
rechtswidrig; für manche bedeutet die Regelung des Strafrechts aber
nur Straffreiheit. | Schwangerschaftsabbruch |
(1)
Die Tat ist nach § 96 nicht strafbar, | § 97 Abs Z 1 StGB |
1. wenn der Schwangerschaftsabbruch innerhalb
der ersten drei Monate nach Beginn der Schwangerschaft
nach vorhergehender ärztlicher Beratung von einem Arzt vorgenommen
wird; oder | |
2. wenn der Schwangerschaftsabbruch zur
Abwendung einer nicht anders abwendbaren ernsten Gefahr für das Leben
oder eines schweren Schadens für die körperliche oder seelische
Gesundheit der Schwangeren erforderlich ist oder eine ernste Gefahr
besteht, dass das Kind geistig oder körperlich schwer geschädigt
sein werde, oder die Schwangere zur Zeit der Schwängerung unmündig
gewesen ist und in allen diesen Fällen der Abbruch von einem Arzt
vorgenommen wird; oder ... | |
(2) Kein Arzt ist verpflichtet, einen Schwangerschaftsabbruch
durchzuführen oder an ihm mitzuwirken, es sei denn, dass der Abbruch
ohne Aufschub notwendig ist, um die Schwangere aus einer unmittelbar
drohenden, nicht anders abwendbaren Lebensgefahr zu retten. Dies
gilt auch für die im Krankenpflegefachdienst, in medizinisch-technischen Diensten
oder in Sanitätshilfsdienst tätigen Personen. | |
(3) Niemand darf wegen der Durchführung
eines straflosen Schwangerschaftsabbruchs oder der Mitwirkung daran oder
wegen der Weigerung, einen solchen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen
oder daran mitzuwirken, in welcher Art immer benachteiligt werden. | |
| Anonyme Geburt |
5. Tod und Todeserklärung | |
Der
Tod bedeutet das Ende der Rechtsperson Mensch. Er wird grundsätzlich
durch eine Amtsperson (Amtsarzt) – zB den Gemeindearzt – festgestellt,
die darüber eine öffentliche Urkunde ausstellt: Totenschein. | |
| Rechtsstellung des Leichnams |
Ist die übliche Feststellung des Todes nicht möglich, kommt
es zur Todeserklärung. Rechtsgrundlage ist das TodeserklärungsG
1950. Regelungen kannten aber schon das ABGB von 1811 und
das Westgalizische Gesetzbuch (WGGB) von 1797. – Anlass für die
Todeserklärung ist Verschollenheit, was meint:
lange, nachrichtenlose Abwesenheit. Man unterscheidet Kriegs-, See-, Luft-
und eine allgemeine Gefahrenverschollenheit: Hochwasser, Erdbeben,
Feuer usw. | |
Als Vorbild für spätere Regelungen wirkte
das
ius
postliminii des römischen Rechts: Geriet ein Römer in
Kriegsgefangenschaft, wurde er idR zum Sklaven. Seine Rechtsstellung
während der Kriegsgefangenschaft war durch einen Schwebezustand
gekennzeichnet: Gelang es dem Gefangenen, seine Freiheit wieder
zu gewinnen, wurde er so behandelt, als hätte er seine Rechte behalten;
starb er, galten seine Rechte schon mit der Gefangennahme als erloschen.
– Nach der fictio legis Corneliae (~ 80 v. C.)
blieb das vor Gefangennahme errichtete Testament in Kraft, eine
Annahme, die später vom Prätor auf die Intestaterbfolge erstreckt
wurde; mehr bei M. Kaser, Römisches Privatrecht § 15 II 2 (198313). | |
Zunächst
wird im Außerstreitverfahren ein Abwesenheitskurator bestellt. Der
Todeserklärungsbeschluss des Gerichts begründet die widerlegbare
(Rechts)Vermutung des Todes; § 19 TEG. § 10 TEG führt aus, dass
bis zu diesem Zeitpunkt eine Lebensvermutung gilt. Zur Rechtsvermutung → KAPITEL 3: Redlicher
Besitz.
Als rechtliche Folge des Todeserklärungsbeschlusses gelten: | Wirkung |
• die Erbfolge als
eingetreten, | |
•
höchstpersönliche Rechte als erloschen,
und | |
• eine bestehende Ehe als aufgelöst. | |
Das EheG enthält in den §§ 43, 44 eine originelle
Lösung für den Fall, dass der für tot erklärte Gatte doch noch lebt und
zurückkommt; zB nach einem Krieg. Der mittlerweile wieder verheiratete
Teil kann zwischen den folgenden Möglichkeiten wählen: Entweder
die zweite Ehe weiterzuführen oder zum ersten Gatten zurückkehren. | |
Eine
Besonderheit enthält § 11 TEG: Sog Kommorientenpräsumtion.
– Kommen mehrere Personen in gemeinsamer Gefahr (zB Unfälle, Katastrophen,
aber auch Selbstmord) um, gelten sie als gleichzeitig verstorben.
Diese Personen kommen daher für eine gegenseitige Erbfolge nicht
in Betracht. | Kommorientenpräsumtion |
| Abbildung 4.8: Das Lebensende – Tod |
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| Abbildung 4.9: Todeserklärung: TEG 1950 |
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II. Die
Handlungsfähigkeit | |
Handlungsfähigkeit
ist die Fähigkeit, Rechte und Pflichten durch eigenes (!) Handeln zu erwerben.
Sie besteht aus: | |
• der Geschäftsfähigkeit und | |
• der Deliktsfähigkeit
→ Die
zivilrechtliche Deliktsfähigkeit
| |
Rechtsfähigkeit bedeutet nämlich nicht,
dass eine Person schon allein rechtsgültig handeln kann. Das setzt
vielmehr Handlungsfähigkeit voraus. | |
Minderjährige (§
21 ABGB) bedürfen daher, wollen sie sich verpflichten, grundsätzlich
der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters und juristische Personen
handeln rechtswirksam (überhaupt) nur durch ihre Organe. Aber auch volljährige
Personen schließen gültige Rechtsgeschäfte nur dann, wenn
sie bei deren Abschluss handlungs- und daher geschäftsfähig waren,
was nicht immer der Fall ist; zB Alkohol, Drogen, Krankheiten, Alter
/ Demenz können das ausschliessen → Die
Sachwalterschaft Die
Geschäftsfähigkeit fehlt etwa auch volljährigen Personen, für die
ein Sachwalter ( → Die
Sachwalterschaft)
bestellt wurde. Aber auch Personen für die kein Sachwalter bestellt
wurde, müssen beim Geschäftsabschluss geschäftsfähig gewesen sein,
sonst ist das Geschäft ungültig. § 869 ABGB verlangt wahre
Einwilligung
→ KAPITEL 5: Allgemeine
Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse.
Das Risiko der Ungültigkeit des Geschäfts (wegen fehlender Geschäftsfähigkeit)
trägt demnach – wie bei Minderjährigen – grundsätzlich der Vertragspartner
des Geschäftsunfähigen. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Vertragspartner
die Geschäftsunfähigkeit kannte oder kennen musste, sondern nur
auf die Tatsache, ob die betreffende Person geschäftsfähig war oder
nicht. Das stellt für diesen Personenkreis einen starken Schutz
dar, der unserem Privatrecht durch Martini zugeführt worden war.
Nicht zu unrecht wurde daher gesagt, dass der soziale Gehalt des
ABGB, durch den es sich vom dtBGB unterscheidet, sein Werk war.
– All das mag zunächst befremdend und fast geheimnisvoll klingen,
aber wir werden diese Fragen noch eingehender besprechen. Behauptet
aber jemand, dass er beim Geschäftsabschluss nicht geschäftsfähig
war, muss er das allerdings beweisen, was Schwierigkeiten bereiten
kann. | Fehlende
HF macht Rechtsakte ungültig |
Eine Frau ist manisch-depressiv, steht aber
(noch) nicht unter Sachwalterschaft → Die
Sachwalterschaft In
einer manischen Phase kauft sie teuren Schmuck, Kleider und Möbel
im Gesamtwert von mehr als 30.000 Euro ein, obwohl sie diese Sachen nicht
braucht. – Kann sie (etwa durch ein psychiatrisches Gutachten, noch
besser durch Gerichtsbeschluss) beweisen, dass sie zur Zeit der
Vertragsschlüsse nicht geschäftsfähig war, sind die geschlossenen
Verträge ungültig und „rückabzuwickeln”. Das von einer geschäftsunfähigen
Person geschlossene Geschäft ist absolut nichtig → KAPITEL 5: Wie
wirkt Nichtigkeit?.
– In der Praxis wird, in Unkenntnis der Rechtslage oder aus Scham,
oft anders verfahren. Der Rechtsschutz Geschäftsunfähiger wäre zu
effektuieren. | |
1. Allgemeines
zur Geschäftsfähigkeit – Altersstufen | |
Geschäftsfähigkeit ist
die Fähigkeit, sich selbst durch eigenes (!) rechtsgeschäftliches
Handeln zu berechtigen oder zu verpflichten. | |
Mit ihren altersbedingten
Beschränkungen der Handlungsfähigkeit (und insbesondere der GF)
will die Rechtsordnung nicht bevormunden, sondern schützen; dies
um Nachteile vom betroffenen Personenkreis möglichst abzuwenden.
– § 21 Abs 1 ABGB drückt dies aus, wenn es dort heißt: | Was bezweckt
das Gesetz mit den Altersstufen? |
„Minderjährige ... stehen unter dem besonderen
Schutz der Gesetze.” | |
| Abbildung 4.10: Geschäftsfähigkeit: § 21 ABGB |
|
| Abbildung 4.11: Geschäftsfähigkeit: § 151 ABGB |
|
Von
den Betroffenen wird dies oft anders empfunden. Das Gesetz will
aber mit seinen schützenden Anordnungen mangelnde Reife, fehlende
geschäftliche Erfahrung, Unbedachtheit und Leichtsinn ausgleichen.
– Dies auf verschiedene Weise, dh mit unterschiedlicher
Rechtsfolgeanordnung: | Unterschiedliche Rechtsfolgeanordnung |
•
Entweder, dass überhaupt kein
Vertrag zustande kommt und damit idR auch keine Rechtsfolgen und
insbesondere Verpflichtungen für Minderjährige eintreten. – Dies
ist die normale Rechtsfolge, wenn sich Minderjährige alleinverpflichten
wollen. Ein sie verpflichtendes Geschäft bedarf eben grundsätzlich
wenigstens der nachträglichen Genehmigung des gesetzlichen Vertreters;
§ 151 Abs 2 ABGB iVm § 865 ABGB. | |
•
Oder,
es entstehen nur in unproblematischem Umfang und
in einem eng überschaubaren Bereich Rechtsfolgen,
dh Verpflichtungen für Minderjährige; so etwa nach § 151 Abs 3 ABGB. | |
•
Oder – das galt bisher – schließlich dadurch,
dass die nicht volljährige Person zwar nicht ganz ungeschoren, aber
noch mit einem „blauen Auge” davonkommt: § 866
ABGB. Dh, dass der unter Täuschung des Vertragspartners geschlossene
Vertrag zwar nicht zugehalten, also erfüllt werden muss, weil er
– mangels voller Geschäftsfähigkeit – nicht gültig zustande gekommen
ist, wohl aber für den sog Vertrauensschaden einzustehen
ist → §
866 ABGB aF: Vortäuschung der Volljährigkeit Diese Bestimmung wurde leider durch das
KindRÄG 2001 aufgehoben. | |
Die Rechtsordnung unterscheidet vier charakteristische Altersstufen und
schreibt ihnen im Rahmen der Handlungsfähigkeit in unterschiedlichem
Umfang die Fähigkeit zu, Rechtsgeschäfte abschließen zu können (= Geschäftsfähigkeit)
und für eigenes Handeln verantwortlich zu sein (= Deliktsfähigkeit).
– Geschäftsfähig ist also – bei der Rechtsfähigkeit ist das anders
– nicht jede Person. | |
Als Minderjährige bezeichnet
das Gesetz Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet haben.
Diese Altersgruppe steht „unter dem besonderen Schutz der Gesetze”;
§ 21 ABGB. – Die gesetzlichen Regeln der Geschäftsfähigkeit sind
unsystematisch über das ABGB verstreut. Die wichtigsten, auf die
in der Folge eingegangen wird, finden sich in den §§ 21, 151, 152,
153, 154 und 865 (866) ABGB. | |
Das Strafrecht (insbesondere
das JGG 1988) kennt als weitere Altersgruppe: Jugendliche
→ Die
zivilrechtliche Deliktsfähigkeit :
Deliktsfähigkeit. – Auch das BWG 1993 kennt diese
(Alters)Kategorie. | JGG und BWG kennen „Jugendliche” |
Unmündige Personen werden strafrechtlich sogar besonders
geschützt; vgl etwa: § 195 StGB – Entziehung eines Minderjährigen
aus der Macht des Erziehungsberechtigten; § 196 StGB – Vereitelung
behördlich angeordneter Erziehungsmaßnahmen; § 197 StGB – Verlassen
eines Unmündigen. | |
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Vgl
auch EvBl 1999/101: Einem Unmündigen fehlt es an der nötigen Reife,
die ... Tragweite eines Selbsttötungsentschlusses zu
erfassen und sein Verhalten dieser Einsicht gemäß auszurichten.
Mangels eines dem Unmündigen zurechenbaren Sterbewillens ist daher
eine ihm bei der Selbsttötung geleistete Hilfe nicht als Mitwirkung
am Selbstmord (§ 78 StGB), sondern als Mord (§ 75 StGB) zu beurteilen. | |
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Die Geschäftsfähigkeit
erscheint (in den einzelnen Bereichen der Rechtsordnung) in unterschiedlichen
rechtlich-begrifflichen Ausformungen/Etikettierungen: Erbfähigkeit
(zB § 538 ABGB), Testierfähigkeit (§ 569 ABGB), Prozessfähigkeit
(§ 1 ff ZPO), Wechselfähigkeit, Ehefähigkeit
(§ 1 EheG), Strafmündigkeit sind besondere Erscheinungsformen
der hier behandelten allgemeinen Geschäftsfähigkeit. | Ausformungen
der
allgemeinen GF |
Die
Geschäftsfähigkeit war in der Rechtsgeschichte sehr
unterschiedlich ausgestaltet; so war noch im Mittelalter die Erb-
und Lehensfähigkeit typisch von der körperlichen Verfassung abhängig:
Zwerge, Verkrüppelte, Blinde oder Aussätzige waren in ihrer Geschäftsfähigkeit
eingeschränkt, während dies heute keinen Einfluss mehr hat. Auch
die Geschäftsfähigkeit von Frauen war lange beschränkt; vgl etwa
Sachsenspiegel, Landrecht 4 und die Feststellung R. Hübners → Die
natürliche Person
| Rechtsgeschichte |
| Abbildung 4.12: Geschäftsfähigkeit: Altersstufen |
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| Abbildung 4.13: Geschäftsfähigkeit von Kindern |
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| Abbildung 4.14: Geschäftsfähigkeit unmündiger Minderjähriger |
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| Abbildung 4.15: Geschäftsfähigkeit mündiger Minderjähriger |
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2. Die Geschäftsfähigkeit
im einzelnen: Altersstufen | |
Aus der Schritt für Schritt erfolgenden
Erweiterung der Geschäftsfähigkeit Minderjähriger lässt sich die
Intention des Gesetzgebers herauslesen, junge Menschen mit zunehmendem
Alter an die volle rechtliche Verantwortlichkeit heranzuführen und
bis dorthin effizient zu schützen. | |
Kinder sind grundsätzlich vollkommen
geschäftsunfähig und können sich allein
weder berechtigen noch verpflichten. Sie können (selbst) nicht einmal
Schenkungen annehmen. – Rechtsgeschäfte dieser Personengruppe sind
ungültig; und zwar absolut nichtig: §§ 21 Abs 1, 151 Abs 1, 865
Satz 1 ABGB, §§ 2 und 102 EheG. – Eine kleine Ausnahme statuiert
aber § 151 Abs 3 ABGB. | |
Das gleiche gilt auch für Personen über
7 Jahre und Erwachsene, die den Gebrauch der Vernunft nicht haben. | |
Die Konsequenz dieser
von der Rechtsordnung angeordneten vollkommenen Geschäftsunfähigkeit
von Kindern ist die, dass sie nur durch ihren gesetzlichen
Vertreter Rechte erwerben und Pflichten eingehen können;
dazu gleich unten. | |
Lesetip: Zur interessanten Entwicklungspsychologie
von Säuglingen und Kleinkindern – Daniel N.
Stern, Die Lebenserfahrung des Säuglings
(19986); – M.
Dornes, Der kompetente Säugling (1993). | |
Die erwähnte geringfügige Ausnahme des
§ 151 Abs 3 ABGB besagt folgendes: Auch Kinder können kleine
Geschäfte des Alltags gültig schließen, wenn: | Ausnahme
des
§ 151 Abs 3 ABGB |
•
diese Geschäfte von
„Minderjährigen [ihres] Alters üblicherweise geschlossen”
werden und diese zudem | |
• nur „eine geringfügige Angelegenheit
des täglichen Lebens” betreffen. | |
Das Rechtsgeschäft
wird unter diesen Voraussetzungen „mit der Erfüllung der das Kind
treffenden Pflichten rückwirkend rechtswirksam”; also idR dann,
wenn das Kind bezahlt. | |
Aus § 151 Abs 3 ABGB
drängt sich ein Analogieschluss (Größenschluss:
Argumentum a maiori ad minus → KAPITEL 11: Analogieformen)
insofern auf, als Kinder sinnvollerweise auch berechtigt sein sollten,
sie ausschließlich berechtigende, altersübliche und geringfügige
Schenkungen (sofern sie dem Kindeswohl entsprechen) anzunehmen. Rspr
und Lehre lehnen das aber bislang eher ab, ohne dafür ernsthafte
Gründe anführen zu können. | |
| |
| |
Sie
können sich bereits allein berechtigen, sich aber
immer noch nicht ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
verpflichten: § 151 Abs 1 ABGB und § 865 Satz 2 und 3 ABGB;
Ausnahme wiederum § 151 Abs 3 ABGB: altersangepasst. | Unmündige Minderjährige:
7-14 |
Die Zustimmungspflicht des
gesetzlichen Vertreters zu verpflichtenden Rechtsgeschäften Minderjähriger
(dazu mehr bei den mündigen Minderjährigen) reicht demnach von der
Altersgruppe der 7jährigen bis zur Großjährigkeit! | |
Sie
können sich wie unmündige Minderjährige bereits allein berechtigen,
aber ebenfalls noch nicht (generell allein) verpflichten.
Noch immer ist grundsätzlich die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
nötig. – Es bestehen jedoch schon wichtige Ausnahmen:
Zu dem auch für diese Personengruppe geltenden (freilich altersmäßig
angepasst) § 151 Abs 3 ABGB gesellen sich die §§ 151 Abs 2 und 152
ABGB (zB Ferialjob: Kauf eines Fahrrads). – Auf diese Erweiterungen
der Geschäftsfähigkeit wird noch eingegangen. | Mündige Minderjährige: 14-18 |
Für die Notwendigkeit
der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters kommt
es ausschließlich darauf an, ob das Geschäft Minderjährige rechtlich
(auch) verpflichtet, mag die Verpflichtung auch
nur (wie bei der Rückgabeverpflichtung des Entlehners) geringfügig
sein; vgl § 865 Satz 2 ABGB: „wenn sie eine damit verknüpfte
Last [= Verpflichtung] übernehmen oder selbst etwas versprechen”. | Notwendigkeit
der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters |
Unter „ Last” iSd § 865
Satz 2 ABGB sind nicht nur Gegenleistungen zu verstehen;
auch sonstige Verpflichtungen (mögliche Haftung, Versicherungs-
oder Pflegekosten eines Tieres oder Gebühren / Steuern) fallen darunter.
– Minderjährige ab dem 7. Lebensjahr können zwar Schenkungen
annehmen, aber nur dann, wenn damit keine Belastung verbunden
ist; vgl dazu gleich unten SZ 54/20: Schenkung von Reitpferden.
Man spricht in solchen Fällen von einer belastenden Schenkung; dazu → §
154 Abs 3 ABGB:
§ 154 ABGB. | „Last”
iSd Gesetzes |
Gesetzliche Vertreter sind beide (wenn
auch geschiedene) Elternteile minderjähriger ehelicher Kinder
(§ 144 ABGB), die Mutter oder der Vater des
minderjährigen unehelichen Kindes allein (§ 166 ABGB) oder beide
(unehelichen) Eltern nach § 167 ABGB; oder – wenn sonst
kein gesetzlicher Vertreter vorhanden ist – der Vormund ( → KAPITEL 16: Vormundschaft
und Kuratel)
und allenfalls ein Sachwalter nach § 269 ABGB
iVm §§ 273, 273a ABGB. | Wer
ist gesetzlicher
Vertreter? |
Nach § 149 Abs 1 ABGB haben: „Die Eltern ...
das Vermögen eines minderjährigen Kindes mit der Sorgfalt
ordentlicher Eltern zu verwalten. Sie haben es in seinem
Bestand zu erhalten und nach Möglichkeit zu vermehren; Geld ist
nach den Vorschriften über die Anlegung von Mündelgeld anzulegen.”
Vgl dazu die §§ 230 ff ABGB. | |
Die Zustimmung (=
Oberbegriff) des gesetzlichen Vertreters heißt, wenn sie vor oder
bei Geschäftsabschluss gegeben wird, Einwilligung,
wenn nachträglich, Genehmigung. | Zustimmung |
Schließen Minderjährige ein sie verpflichtendes
und daher zustimmungsbedürftiges Geschäft ohne Einwilligung ihres
gesetzlichen Vertreters, ist das Geschäft schwebend un-wirksam,
aber nicht nichtig!; sog hinkendes Rechtsgeschäft /
negotium claudicans. – Beide Parteien bleiben vorläufig an das Geschäft
gebunden, für keine Partei entstehen aber zunächst Erfüllungspflichten!
Denn rechtsgeschäftliche „Bindung” ist nicht gleichzusetzen mit
vertraglicher „Verpflichtung”: Hier bestehen bereits Erfüllungspflichten
aus einem gültig geschlossenen Vertrag heraus! – Zu beachten ist
§ 865 Schlusssatz ABGB: „Bis diese Einwilligung erfolgt, kann der
andere Teil [d.i. der Geschäftspartner des Minderjährigen] nicht
zurücktreten ...” Der Geschäftspartner des Minderjährigen kann jedoch
dem gesetzlichen Vertreter des Minderjährigen eine angemessene
Erklärungsfrist setzen, nach deren Ablauf seine Bindung
erlischt; § 865 Satz 3 ABGB. Auch der Minderjährige kann nicht zurücktreten,
er ist ja noch nicht geschäftsfähig. Nur der gesetzliche Vertreter
kann seine Genehmigung verweigern (iSd § 863 ABGB:
demnach auch durch Stillschweigen), wozu er nicht einmal einen Grund
anführen muss. Damit wird das bislang schwebend unwirksame Geschäft
endgültig unwirksam. | Sog
hinkendes
Rechtsgeschäft |
Wie
werden übliche Verträge zwischen Eltern / Vormündern und den von
diesen gesetzlich vertretenen minderjährigen Kindern / Mündeln /
geistig Behinderten / Pflegebefohlenen geschlossen? | Verträge zwischen Eltern und Kindern … |
Dies ist ein
praktisch häufiger Fall: ZB ein oder beide Elternteile schenken
ihrem Kind etwas. Dieser einfache Vorgang ist rechtlich relativ
kompliziert. Kurz: Vater oder Mutter beschenken ihr Kind, indem
sie als gesetzliche Vertreter des Kindes die eigene Schenkung an
das Kind annehmen. Dies ist ein sog Insichgeschäft /
Selbstkontrahieren. Solche Geschäfte sind nicht beliebig möglich,
hier aber im Regelfall gültig, weil zum Vorteil des Kindes; zu den
Voraussetzungen → KAPITEL 13: Insichgeschäfte. – Die Rolle von Vater und Mutter ist danach
gespalten: Einerseits sind sie Schenkende, andrerseits gesetzliche
Vertreter ihrer Kinder. Das Insichgeschäft schließen sie mit sich
selber: als schenkende Eltern (einerseits) und als gesetzliche Vertreter
ihrer Kinder (andrerseits). Das Gesetz (§ 271 ABGB) sieht für solche
Fälle an und für sich vor, dass ein sog Kollisionskurator zu
bestellen ist. Die gelebte Rechtspraxis reduziert aber § 271 ABGB
teleologisch darauf, dass – den allgemeinen Regeln für Insichgeschäfte
entsprechend – ein Kollisionskurator nur dann zu bestellen ist,
wenn die Interessen des Minderjährigen gefährdet sind, also wirklich eine
Interessenkollision(sgefahr) besteht. – Schenken zB Onkel / Tante
oder Großeltern dem Kind etwas, liegt der Fall schon „etwas” einfacher:
Diese Personen können Kinder dadurch gültig beschenken, dass zB
die Eltern die Geschenke für ihre Kinder als deren gesetzliche Vertreter
– ausdrücklich oder schlüssig – annehmen. Die Kinder (nicht die
Eltern) erwerben dadurch Besitz (animus rem sibi habendi) und Eigentum!
– Zu beachten ist aber stets
§ 154 Abs 3 ABGB!; sog belastende Schenkung. Vgl das folgende Beispiel
SZ 54/20. – Durch Übergabe der Geschenke an die Kinder erlangen
diese Besitz; vgl § 310 Satz 2 ABGB: Genauer – sie können den über
ihre Eltern erlangten Besitz (er)halten → KAPITEL 3: Wer
ist besitzfähig ¿ Kinder?. | |
|
SZ 54/20 (1981): „Bei Abschluss
eines Schenkungsvertrages [zwischen Vater und
minderjährigen Sohn] wird im allgemeinen eine Gefährdung der Rechte
des Minderjährigen auszuschließen und demnach die Bestellung eines
Kollisionskurators [= ein vom Gericht bestellter Kurator, der die
allenfalls kollidierenden Interessen von Minderjährigem und gesetzlichem
Vertreter abwägt und entscheidet] für den Minderjährigen entbehrlich
sein, insbesondere wenn es sich um die üblichen Schenkungen von
Gebrauchsgegenständen handelt. Im vorliegenden Fall kann davon aber
nicht gesprochen werden. Die Schenkung von Reitpferden bringt
für einen Minderjährigen nicht nur Vorteile mit sich, sondern es
sind damit auch beträchtliche wirtschaftliche Lasten verbunden,
so etwa die Kosten der Fütterung, der ärztlichen Betreuung der Pferde
und einer abzuschließenden Haftpflichtversicherung. In einem solchen
Fall muss die Zulässigkeit des Abschlusses des Rechtsgeschäfts durch
den gesetzlichen Vertreter in Form des Selbstkontrahierens verneint
werden, weil die Gefahr einer Beeinträchtigung der Interessen des
Minderjährigen besteht. Ob und unter welchen Bedingungen das Rechtsgeschäft
für den Minderjährigen überhaupt noch als vorteilhaft anzusehen
ist, hätte der Kollisionskurator zu beurteilen.” | |
|
|
EvBl
1971/106: Ein Mietvertrag zwischen Vater und minderjährigem
Sohn bedarf zur Gültigkeit der Bestellung eines Kollisionskurators.
Ist diese [Bestellung] unterblieben, würde auch eine nachträgliche pflegschaftsgerichtliche
Genehmigung des Vertrags nicht ausreichen. (?) | |
|
| |
Die Zustimmung
des gesetzlichen Vertreters macht den Vertrag rückwirkend (also
bezogen auf den Abschlusszeitpunkt) gültig, wenn
die Zustimmung nicht schon beim Abschluss des Geschäfts vorliegt.
– Abzustellen ist dabei für die Wirksamkeit auf den Zugang der Zustimmungserklärung beim
Geschäftspartner. – Die Zustimmungserklärung des gesetzlichen Vertreters
kann nach § 863 ABGBauch schlüssig / konkludent
oder stillschweigend erfolgen! – ZB: Mutter oder Vater bewundern
das neue Fahrrad des Kindes und loben es für den „guten” Kauf. | Wirkung
der Zustimmung des gesetzlichen Vertreters |
| |
| |
3. Ausnahmen für
mündige Minderjährige | |
Danach können
mündige Minderjährige (also ab dem vollendeten 14. Lebensjahr) über: | |
• Sachen, die ihnen
„zur freien Verfügung überlassen” sind, und | |
• über ihr „Einkommen aus eigenem Erwerb” | |
• „so weit verfügen und sich verpflichten,
als dadurch nicht die Befriedigung ihrer Lebensbedürfnisse [=
Lebensunterhalt] gefährdet wird”. | |
| |
Nach EFSlg 48.360
handelt es sich bei § 151 ABGB um Ausnahmen von der allgemein geltenden beschränkten
Geschäftsfähigkeit Minderjähriger, weshalb diese Verfügungs- und
Verpflichtungsbefugnisse im Interesse des Schutzes Minderjähriger
einschränkend – dh zu ihrem Vorteil – auszulegen sind. | |
Der Begriff der „
Verfügung” bedeutet
mehrerlei: Im Erbrecht wird von letztwilligen Verfügungen gesprochen,
womit insbesondere das Testament gemeint ist. Im Sachenrecht –
und das wird hier vornehmlich angesprochen – bedeutet „verfügen”
das Setzen (sachen)rechtlich verbindlicher Rechtsakte und Erklärungen
zum Erwerb oder zur Übertragung dinglicher Rechte. | Verfügung |
| |
Der Abschluss
von Arbeitsverträgen: Mündige Minderjährige können bereits
allein (einfache) Arbeitsverträge abschließen; nicht erfasst von
dieser Erweiterung der Geschäftsfähigkeit werden aber „Lehr- oder sonstige
Ausbildungsverträge”. – Nach § 152 Satz 2 ABGB kann der
gesetzliche Vertreter des Kindes „das durch den Vertrag begründete
Rechtsverhältnis [aber] aus wichtigen Gründen [zB Angst vor schlechtem
Umgang, aber auch befürchteten Gesundheitsschäden] vorzeitig lösen”,
dh außerordentlich kündigen. | |
Bei berufstätigen, also bereits selbst
verdienenden mündigen Minderjährigen geht die Rspr davon aus, dass
sie schon „möglichst selbständig” für ihren Unterhalt
sorgen (und die Eltern dadurch entlastet werden) sollen; vgl § 140
Abs 3 ABGB. – Diese Faustregel gilt als Richtschnur der Praxis für
das Beurteilen der von mündigen Minderjährigen selbständig abgeschlossenen
Geschäfte / Verpflichtungen. – Alles, was dieses Ziel gefährdet,
ist unwirksam. | Berufstätige
Minderjährige |
| |
Diese
Bestimmung wurde leider durch das KindRÄG 2001, BGBl I 135, mit
1. Juli 2001 aufgehoben. Die österreichische Legistik war nicht
(wie bei den bisherigen Absenkungen des Volljährigkeitsalters) in
der Lage, das in § 866 aF ABGB vorgesehene Alter (von 18 Jahren)
auf 16 oder 17 Jahre zu senken und dadurch den rechtspolitisch interessanten
Gehalt dieser Norm, die vor allem erzieherisch-präventiv und nicht
sanktionierend wirkte, zu erhalten. Die Ministerialbürokratie stellte
sich damit ein Armutszeugnis aus. | §
866 ABGB aF: Vortäuschung der Volljährigkeit |
Ich streiche die Ausführungen zu dieser
Bestimmung im Buch deshalb nicht, sondern setze die Ausführungen
nur in Kleindruck, weil sie der Rspr weiterhin als Analogiebasis
dienen können und dadurch die Chance besteht, § 866 aF ABGB (wenigstens
bis zu einem gewissen Grad) zu reanimieren. – Die Vernunft ist ja
zum Glück weiterhin eine Rechtsquelle iSd ABGB. | |
Eine
wichtige Ausnahme (von der ansonsten bestehenden rechtlichen Folgenlosigkeit
eines allein vom Minderjährigen abgeschlossenen verpflichtenden
Rechtsgeschäfts) enthielt § 866 aF ABGB: „Wer nach Vollendung des [achtzehnten]
Lebensjahrs listigerweise vorgibt, dass er Verträge zu schließen
fähig sei, und dadurch einen anderen, der darüber nicht leicht Erkundigung
einholen konnte, hintergeht, ist zur Genugtuung verpflichtet.” | |
Oben wurde diese Norm als Beispiel dafür angeführt, dass
Minderjährige zwar das von ihnen geschlossene Geschäft nicht zuhalten,
also den Vertrag nicht erfüllen müssen, aber auch nicht ganz ungeschoren,
vielmehr nur „mit einem blauen Auge” davon kommen. Darin steckt
– neben dem erzieherischen Aspekt – auch ein gewisser Schutz für
den Geschäftspartner des Minderjährigen! | |
Vertragspartner
von Minderjährigen schützen sich gegen derartige Hintergehung dadurch,
dass sie Anschrift, Telefon- oder Faxnummer etc oder einen Ausweis
verlangen, um sich erkundigen zu können. | |
Das Gesetz
verpflichtete Minderjährige in § 866 aF ABGB „zur Genugtuung”. Dies
wird als cic-Haftung verstanden und bedeutet Ersatz des
Vertrauens-, nicht des Erfüllungsschadens.
Der Vertrag kommt also nicht gültig zustande und ist daher auch
nicht zu erfüllen, aber es ist zB vom Minderjährigen Spesenersatz
zu leisten; zB für die Produktbestellung, Transport- und Bearbeitungskosten
etc. | |
| |
Die Rechtsfolgeanordnungen des
ABGB sind oft sehr knapp, ja lapidar kurz; es obliegt der Rspr sie
auszuführen; zB was unter „ ... ist zur Genugtuung verpflichtet”
zu verstehen ist. Vgl neben § 866 aF ABGB etwa auch § 1419 ABGB
(Gläubigerverzug → KAPITEL 7: Gläubiger-
oder Annahmeverzug): „ ... so fallen die widrigen Folgen auf
ihn.” – Oder § 1009 ABGB (Vollmachtsüberschreitung des sog falsus
procurator): „ ... so haftet er für die Folgen”. | |
•
„Vollendung des [ bisher 18.]
Lebensjahrs”; | Tatbestandsvoraussetzungen
des
§ 866 ABGB waren: |
•
listige Vorspiegelung, Verträge
schließen zu können und | |
•
Hintergehung eines anderen,
der darüber „nicht leicht Erkundigung einholen konnte”. | |
Mündige Minderjährige
sind nach § 569 ABGB schon testierfähig; allerdings
insoferne beschränkt, als sie nur mündlich vor Gericht oder notariell
testieren können; Gesetz lesen. – Die volle Testierfähigkeit wird
mit Vollendung des 18. Lebensjahrs erreicht. | Mündige
Minderjährige sind beschränkt testierfähig |
4. § 154 ABGB:
Stufenförmige Zustimmung | |
Ausgegangen
wird von einem ehelichen Kind in aufrechter Ehe. | |
Dieser Paragraph staffelt in seinen drei
Absätzen das Ausmaß der Zustimmung des „gesetzlichen Vertreters”
in charakteristischer Weise: | Zustimmungsstaffelung
in
§ 154 ABGB |
•
ein Elternteil
(Abs 1), | |
•
beide Elternteile (Abs 2), | |
•
beide Elternteile +
Gericht (Abs 3). | |
Wir
haben gehört, dass eine selbständige rechtsgeschäftliche Verpflichtung
Minderjähriger grundsätzlich nicht möglich ist; es bedarf vielmehr
stets der Zustimmung wenigstens eines Elternteils. | |
§ 154 Abs 1 ABGB: „Jeder Elternteil ist
für sich allein berechtigt und verpflichtet, das Kind zu vertreten;
seine Vertretungshandlung ist selbst dann rechtswirksam, wenn der
andere Elternteil mit ihr nicht einverstanden ist.” | |
Es schadet
also der Gültigkeit des Geschäfts nicht, wenn ein Elternteil zustimmt
und der andere dagegen ist. – Gelingt es zB der Tochter, ihren Vater
um den Finger zu wickeln und bleibt die Mutter konsequent bei ihrem
Nein bezüglich des Mopedkaufs, ist das Rechtsgeschäft dennoch gültig.
Der Vater hat zugestimmt, mag seine Zustimmung auch erzieherisch
und „familienpolitisch” falsch gewesen sein. | |
Hier werden taxativ, also erschöpfend, „Vertretungshandlungen
und Einwilligungen” aufgezählt, die der Zustimmung beider
Elternteile bedürfen: | |
• Änderung
des Vor- oder Familiennamens des Kindes; | |
• Eintritt oder Austritt in eine Kirche oder
Religionsgesellschaft bis 14 Jahre; mit 14 Jahren wird das Kind
religionsmündig (§ 5 ReKEG); | |
•
Übergabe in fremde Pflege; | |
• Erwerb einer Staatsangehörigkeit oder Verzicht
auf eine solche; | |
• vorzeitige Lösung eines Lehr-, Ausbildungs-
oder Dienstvertrags; | |
• schließlich die Anerkennung der Vaterschaft
zu einem unehelichen Kind. | |
Gesetzlicher Vertreter ist
bei aufrechter Ehe jeder Elternteil, also Mutter oder Vater. – Für
nichteheliche Kinder kommt die Obsorge grundsätzlich der Mutter
allein zu (§ 166 ABGB); Vertretungshandlungen und Einwilligungen
nach § 154 Abs 2 ABGB stehen hier somit der Mutter allein zu. –
Leben nicht verheiratete Eltern mit dem Kind in dauernder häuslicher
Gemeinschaft (Lebensgemeinschaft), kann das Gericht auf gemeinsamen
Antrag der Eltern beiden die Obsorge übertragen; § 167 ABGB. Auch
darauf ist § 154 ABGB anwendbar. | |
Dieser
Absatz bringt eine weitere, rechtspolitisch wichtige,
Zustimmungssteigerung! – Um das Kindeswohl zu
sichern, ordnet das Gesetz an, dass in bestimmten Fällen – es geht
um Vermögensangelegenheiten, die nicht
zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehören – nicht einmal
die Zustimmung beider Elternteile ausreicht, sondern dass zusätzlich das (Pflegschafts)Gericht zustimmen muss!
– Diese Bestimmung ist das Ergebnis praktischer Erfahrung, die gezeigt
hat, dass nicht alle Eltern bloss ans Kindeswohl denken, wenn sie
über Kindesvermögen verfügen wollen. Eigene Geldsorgen können –
wie das gleich folgende Beispiel zeigt – das Kindeswohl allzuleicht
in den Hintergrund treten lassen. | |
Gesetzestext: „Vertretungshandlungen und Einwilligungen
eines Elternteils in Vermögensangelegenheiten, bedürfen zu ihrer
Rechtswirksamkeit der Zustimmung des andern Elternteils und der
Genehmigung des Gerichts, sofern die Vermögensangelegenheit nicht
zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb gehört.” | |
| |
Verweigert das Gericht seine Zustimmung,
macht dies das Geschäft rückwirkend unwirksam. | |
Nach § 144 ABGB haben die Kindeseltern
das Vermögen des Kindes zu verwalten. Sie sollen dabei nach Vorstellung
des Gesetzgebers „einvernehmlich” vorgehen. – §
154 Abs 3 ABGB stellt eine begründete Ausnahme von dieser Regel
dar. – Wird durch eine Rechtshandlung das Vermögen des Kindes vermehrt,
ohne dass damit gleichzeitig die Gefahr von Belastungen verbunden
ist, kommt eine Versagung der gerichtlichen / Pflegschaftsbehördlichen
Genehmigung aus Gründen des Kindeswohls nicht in Betracht; EvBl
1998/202. | Verwaltung
des Kindesvermögens |
Nicht
jede (Geld)Angelegenheit ist Vermögensangelegenheit iSd Gesetzes. | Was sind Vermögensangelegenheiten? |
| |
Auch hier ist stets das Wohl des
Minderjährigen zu beachten! Die Grenzziehung ist nicht immer einfach,
zumal nach der Rspr auch Geschäfte „von größerer Wichtigkeit” in
den Rahmen des ordentlichen Wirtschaftsbetriebs fallen können. Nach
der Rspr (das zeigt uns, dass blosse Gesetzeskenntnis oft nicht
ausreicht) ist bei der Beurteilung der Frage, ob das abgeschlossene
Geschäft ein solches des ordentlichen oder außerordentlichen Wirtschaftsbetriebs
ist, abzuwägen, ob die übernommene Verpflichtung in einem angemessenen
Verhältnis zur Höhe des Einkommens des Minderjährigen im Zeitpunkt
des Geschäftsabschlusses stand; EFSlg 29.106. | Was
gehört zum ordentlichen
Wirtschaftsbetrieb? |
§ 154 Abs 3 ABGB zählt demonstrativ,
also beispielhaft, jene Vermögensangelegenheiten auf, die der (pflegschafts)gerichtlichen
Genehmigung bedürfen, weil sie nicht zum ordentlichen Wirtschaftsbetrieb
zählen: | |
•
die Veräußerung
oder Belastung von Liegenschaften (wie in unserem Beispiel!
Vgl auch § 232 ABGB); | |
•
Gründung, Erwerb, Umwandlung,
Veräußerung, Auflösung oder Änderung des Gegenstandes eines
Unternehmens; | |
• der Eintritt in eine oder
die Umwandlung einer Gesellschaft oder Genossenschaft; | |
•
der Verzicht auf ein Erbrecht; | |
•
die Annahme einer mit Belastungen verbundenen
Schenkung; vgl die folgende E: SZ 54/20 | |
• oder die Ablehnung eines Schenkungsanbots. | |
|
SZ 54/20 (1981): Vater schenkt
Sohn zwei Reitpferde (Stute Sevilla + Hengst Waldemar).
– OGH: „Die Schenkung bedarf zu ihrer Rechtswirksamkeit der pflegschaftsbehördlichen
Genehmigung, da sie für den Minderjährigen mit beträchtlichen wirtschaftlichen
Lasten verbunden ist: zB Kosten der Fütterung, der tierärztlichen
Betreuung, Haftpflichtversicherung etc.” | |
|
|
OGH 16. 2. 2000, 7 Ob 312/99d, EvBl 2000/137:
Zwei Minderjährige werden bei einem Verkehrsunfall verletzt und
erhalten 15.000 S und 40.000 S Schmerzengeld. Eltern beantragen Befreiung
von der Pflicht zur jährlichen Rechnungslegung gem § 150
ABGB. – OGH: Eine betragsmäßige Untergrenze für die Rechnungslegungspflicht
der Eltern fehlt zwar; ein Ausufern (und der damit einhergehende
Eindruck einer „obrigkeitlichen Gängelung”) kann aber durch einen
Befreiungsantrag verhindert werden. Diesem ist dann stattzugeben,
wenn im Einzelfall gegen eine ordentliche Verwaltung der Eltern
keine Bedenken bestehen, was der OGH hier annimmt. | |
|
Dieser Absatz wurde durch das KindRÄG 2001 neu eingefügt
und bestimmt, dass in den Fällen der Abs 1-3, also „bei
Fehlen” der jeweils nötigen Zustimmung,
das volljährig gewordene Kind nur dann daraus „wirksam
verpflichtet wird, wenn es schriftlich erklärt,
diese Verpflichtungen als rechtswirksam anzuerkennen”. – Der Gläubiger
kann dafür eine angemessene Frist setzen. – Damit wurde eine bereits
geübte Praxis gesetzlich normiert. | |
| |
Der Gesetzgeber will – wie erwähnt
– Minderjährige durch die Einschränkung ihrer Geschäftsfähigkeit
schützen, sie unter den besonderen Schutz der Gesetze stellen. Dieser Minderjährigenschutz
erlischt mit Erreichung der Volljährigkeit, die derzeit
mit vollendetem 18. Lebensjahr eintritt; § 21 Abs 2 ABGB. | Erlöschen
des
Minderjährigenschutzes |
Die Volljährigkeitsgrenze liegt seit 2001
bei 18 Jahren, und lag bis dorthin seit 1973 beim
vollendeten 19. Lebensjahr. Vor 1973 wurde man
mit vollendetem 21. Lebensjahr volljährig, nach
dem ABGB (1811) erst mit 24 Jahren und nach dem römischen
Recht lag die Grenze bei 25, bei den Griechen aber
schon – die Grenze war hier noch eine individuell zu bestimmende
– bei etwa 18 Jahren. | |
Volljährige Personen
können sich allein berechtigen und verpflichten;
Ausnahme: bspw Sachwalterschaft (§ 273 ABGB) → Die
Sachwalterschaft –
Alle Verpflichtungen, die volljährige Personen eingehen, haben sie
nunmehr voll zu erfüllen, denn sie sind, wie man das früher nannte,
zu ihren Jahren gekommen. | Volle
rechtsgeschäftliche Verantwortung |
Synonyma
für Volljährigkeit sind: Großjährigkeit und Eigenberechtigung. | Synonyma |
Volljährigkeit
ist nicht zu verwechseln mit Selbsterhaltungsfähigkeit:
vgl § 140 Abs 3 ABGB; diese kann früher (zB „Kind” arbeitet schon
und verdient angemessen) oder später (zB „Kind” studiert) als die
Volljährigkeit eintreten und auch wieder wegfallen; zB „Kind” wird
arbeitslos oder unfallbedingt arbeitsunfähig. | Selbsterhaltungs-fähigkeit |
|
OGH 12.1.1993, 4 Ob 502/93 (§ 140
ABGB) – Selbsterhaltungsfähigkeit einer 19jährigen während
eines Auslandsaufenthalts als Au-pair-Mädchen? Mit einem
monatlichen Taschengeld von ca 2.500 S sowie Kost und Quartier ist
die Unterhaltsberechtigte unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse
des Vaters (27.000 S Monatseinkommen bei Mehraufwand wegen Invalidität)
nicht selbsterhaltungsfähig. | |
|
|
JBl 1999, 725: Zur Unterhaltspflicht
der Eltern nach erreichter Volljährigkeit des Kindes. –
Dabei sind auch die Lebensverhältnisse des Kindes zu berücksichtigen
(Selbsterhaltungsfähigkeit). | |
|
|
ZVR 1998/20: Zur Selbsterhaltungsfähigkeit
eines behinderten berufstätigen” Kindes”.
Anspruch auf Unterhaltsentgang beim Unfalltod des Vaters. | |
|
•
Eine weitere
Konsequenz liegt darin, dass die sog Obsorgepflicht der
Eltern erlischt (§ 172 ABGB); vgl § 144 ABGB. Neu ist die
Bestimmung des § 172 Abs 2 ABGB (KindRÄG 2001), dass der gesetzliche
Vertreter dem volljährig gewordenen Kind dessen Vermögen sowie alle
dessen Person betreffenden Urkunden und Nachweise zu übergeben hat.
– Wechselseitige (latente) Unterhalts- und Beistandspflichten bleiben
davon aber unberührt; vgl
§§ 142, 143 ABGB. – Auch eine Vormundschaft erlischt
mit Eintritt der Volljährigkeit; § 251 ABGB. | Weitere
Konsequenzen der Selbsterhaltungsfähigkeit |
•
Volljährigkeit tritt
in Bezug auf die persönlichen Verhältnisse auch durch die Eheschließung
Minderjähriger vor dem vollendeten 18. Lebensjahr ein;
§ 175 ABGB → KAPITEL 16: Ehefähigkeit und Eheverbote. Das gilt allerdings nur (solange die Ehe
dauert) hinsichtlich der persönlichen Verhältnisse des minderjährigen
Kindes, nicht für vermögensrechtliche Fragen, für die auch verheiratete
Minderjährige weiterhin der Zustimmung ihres gesetzlichen Vertreters
(nicht des Gatten) bedürfen. | |
•
Die Minderjährigkeit konnte bisher verlängert (§
173 ABGB) oder verkürzt (§ 174 ABGB, sog Volljährigkeitserklärung)
werden; das KindRÄG 2001 hat diese Bestimmung aufgegeben. – Bis
zur Volljährigkeit gilt nunmehr aber § 154b ABGB. | |
| Abbildung 4.16: Volljährigkeit im ABGB |
|
III. Die
zivilrechtliche Deliktsfähigkeit | |
Die
zivilrechtliche Deliktsfähigkeit ist – wie die Geschäftsfähigkeit
– Teil der Handlungsfähigkeit. Auch die Deliktsfähigkeitsgrenze,
die beim vollendeten 14. Lebensjahr liegt, will
junge Menschen vor dem harten Zugriff des Rechts schützen. | |
Andere Rechtsordnungen, etwa das dtBGB idgF,
kennen eine andere Deliktsfähigkeitsgrenze. Dessen § 828 lässt die
Deliktsfähigkeit mit dem vollendeten 7. Lebensjahr beginnen. – Im
Rahmen der Europäisierung des Privatrechts erschiene ein Absenken
der ABGB-Grenze auf 7 Jahre bedenkenswert. Selbstverständlich in
Abstimmung mit
§ 1310 ABGB. Eine Unterschreitung der neuen Deliktsfähigkeitsgrenze
sollte dann aber ausgeschlossen sein. | |
Zivilrechtliche
Deliktsfähigkeit meint die Fähigkeit, für eigenes rechtswidriges
Verhalten (zivilrechtlich) einstehen zu müssen,
also schadenersatzpflichtig zu werden. | |
Zivilrecht und Strafrecht gehen
hier aber insoferne unterschiedliche Wege, als die 14-Jahresgrenze
für das Strafrecht eine absolute ist, die nicht unterschritten werden
kann, während das Zivilrecht – über § 1310 ABGB ( → KAPITEL 10: Der
sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB)
– auch eine Haftung Minderjähriger unter 14 Jahren kennt. – Das
flexible Abstellen auf eine Verantwortlichkeit ohne starre Altersgrenze
(Diskretionsfähigkeit, dazu gleich mehr) geht auf K.A.v. Martini zurück;
vgl dazu auch → Haften
Eltern für ihre Kinder?
| Zivilrecht und Strafrecht |
| |
Diese Altersgruppen
sind auch zivilrechtlich grundsätzlich deliktsunfähig. Jedoch ist
– wie erwähnt – nach der Zurechnungsregel des § 1310 ABGB das Mass
der persönlichen Einsicht – zB bei Verkehrsunfällen oder Verletzungshandlungen
– jeweils konkret zu prüfen, was bedeutet, dass eine Unterschreitung
der 14-Jahresgrenze möglich ist. Dabei geht die Rspr sogar sehr
weit! – Aber auch 12-Jährige wissen bereits, dass man andere nicht
(schwer) verletzen, nicht stehlen oder fremdes Gut zerstören darf.
Insoferne erweist sich die zivilrechtliche Regel gerade heutzutage
als sehr modern und der erste Eindruck täuscht! – Vgl damit die
oben erwähnte Wertungsbasis des § 866 ABGB aF!) Mehr dazu → §
866 ABGB aF: Vortäuschung der Volljährigkeit
| Kinder und unmündige Minderjährige |
Die zivilrechtliche
Rspr rechnet Minderjährigen / Kindern nach § 1310 ABGB ( → KAPITEL 10: Der
sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB)
sehr früh – nämlich noch unter 6 Jahren! – schadensstiftendes Verhalten
zu. Die Rspr des Zivilrechts behandelt junge Menschen also strenger
als das Strafrecht, das die Strafmündigkeit konsequent
mit 14 Jahren ansetzt und zudem für Jugendliche (also bis zum vollendeten
18. Lebensjahr) eine mildere Behandlung vorsieht; Jugendstrafrecht.
Unter 14 Jahren können Jugendliche daher strafrechtlich nicht verfolgt
werden. Das ist sinnvoll. – Auch im Zivilrecht ist es aber möglich,
in schwierigen Fällen Erziehungsmaßnahmen nach
dem JugendwohlfahrtsG / JWG 1989 (BGBl Nr 161) zu verhängen; vgl
§§ 26 ff JWG: „Hilfen zur Erziehung”. Das ist praktisch bedeutsam:
1997 wurden bspw in Österreich etwa 22.000 Minderjährige von Jugendwohlfahrtsbehörden
(auf Grund einer Vereinbarung mit den Eltern oder einer gerichtlichen
Verfügung) betreut. Anlässe dafür waren Scheidung, Alkoholismus
der Eltern oder schlicht Verhaltensauffälligkeiten. Der Großteil
dieser Minderjährigen lebt aber noch bei den Eltern, nur ein Drittel bei
Pflegefamilien → KAPITEL 16: Die
Pflegekindschaft. Die Hauptaufgabe der Jugendwohlfahrt liegt
in psycho-sozialer Hilfe. | |
Klammer/Mikosz (Hg),
Psychologie in der Jugendwohlfahrt. Konzepte, Methoden, Positionen (2001);
– Werneck/Werneck-Rohrer (Hg),
Psychologie der Familie. Theorien, Konzepte, Anwendungen (2000). | |
Begehen noch nicht Deliktsfähige eine Straftat,
kann der von ihnen zugefügte Schaden zwar uU zivilrechtlich (nach §
1310 ABGB) zugerechnet werden, nicht aber eine strafrechtliche Verurteilung
erfolgen. In Österreich wäre also ein Fall wie der des 11-jährigen
Schweizer Jungen Raoul gar nicht möglich gewesen,
der wegen Inzestverdachts (Spiel mit der eigenen Schwester) in ein
US-Gefägnis gesteckt wurde. Er wäre in Österreich strafunmündig
gewesen. Die einzige Konsequenz hätte darin bestehen können, dass
der Pflegschaftsrichter tätig geworden wäre, wenn die Eltern sich
um das Kind nicht hinreichend kümmerten, was hier aber gar nicht
zutraf. Ein Kind kann allenfalls unter Aufsicht des Jugendamts gestellt
werden und im äußersten Fall könnten den Eltern Erziehungsrechte
entzogen werden. Dabei ist aber stets das Kindeswohl (§
178a ABGB) zu beachten; vgl die §§ 176 ff ABGB: Entziehung und Einschränkung
der Obsorge. | |
„Im Sinne dieses Bundesgesetzes
ist | Diskretions- und
Dispositionsfähigkeit |
. Unmündiger:
wer das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat; | |
. Jugendlicher:
wer das 14, aber noch nicht das 19. Lebensjahr vollendet hat; | |
. Jugendstraftat:
eine mit gerichtlicher Strafe bedrohte Handlung, die von einem Jugendlichen
begangen wird; ... | |
„Unmündige, die eine mit Strafe bedrohte Handlung begehen,
sind nicht strafbar. | |
Abs 2: Ein Jugendlicher, der eine mit Strafe bedrohte Handlung
begeht, ist nicht strafbar, wenn | |
1. er aus bestimmten
Gründen noch nicht reif genug ist, das Unrecht der Tat einzusehen
[sog Diskretionsfähigkeit] oder nach dieser Einsicht
zu handeln [sog Dispositionsfähigkeit], | |
2. er vor Vollendung des [16. Lebensjahrs] ein Vergehen
begeht, ihn kein schweres Verschulden trifft und nicht aus besonderen
Gründen die Anwendung des Jugendstrafrechts geboten ist, um den
Jugendlichen von strafbaren Handlungen abzuhalten, ...” | |
§ 4 Abs 2 JGG definiert
zwei auch für das Zivilrecht wichtige Begriffe: Die sog Diskretions- und die Dispositionsfähigkeit! | |
Sie
sind zivilrechtlich uneingeschränkt deliktsfähig;
§ 153 ABGB. – Das Zivilrecht kennt keine dem Strafrecht vergleichbare
Schutzzone bis zur Volljährigkeit. | |
Bei (vorübergehender) Sinnesverwirrung besteht
generell – also auch für Volljährige! – keine Deliktsfähigkeit;
§ 1307 ABGB (sog actio libera in causa) ist jedoch zu beachten. | |
| |
Das Beurteilen der
Deliktsfähigkeit psychisch Kranker oder geistig
Behinderter bestimmt sich – sie mögen unter Sachwalterschaft
stehen oder nicht – immer nach ihrem jeweiligen Zustand: Auch
für sie kommt daher eine Haftung nach § 1310 ABGB in Betracht. Handeln
in lichten Augenblicken (sog lucida intervalla) ist – unabhängig
von § 1310 ABGB – beachtlich und macht ersatzpflichtig → KAPITEL 10: Der
sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB. | Psychisch Kranke
und geistig Behinderte |
Eine
bestehende Sachwalter- oder Patientenanwaltschaft berührt
die Deliktsfähigkeit also nicht; sonst entstünde ein Freibrief für
unerlaubtes Handeln. Vielmehr ist im Einzelfall zu prüfen, ob die
nötige Einsicht gegeben war! Andernfalls müssten sich Kriminelle
nur unter Sachwalterschaft stellen lassen, um ihre Ziele zu verfolgen
und nichts befürchten zu müssen. | |
| Abbildung 4.17: Zivilrechtliche Deliktfähigkeit, Personengruppen |
|
2. Haften
Eltern für ihre Kinder? | |
Nach österreichischem
Privatrecht haften Eltern grundsätzlich nicht für
deliktisches Verhalten ihrer Kinder. Sie haften vielmehr nur
dann schadenersatzrechtlich, wenn sie nach § 1309 ABGB schuldhaft (!)
ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben; dazu → KAPITEL 10: Aufsichtspflichtverletzung.
– Diese Akzentuierung ist wichtig, wird aber häufig falsch dargestellt.
Vgl etwa die häufig anzutreffende, aber missverständliche, Baustellentafel: | Auf
die Akzentsetzung kommt es an! |
„Betreten der Baustelle verboten. Eltern
haften für ihre Kinder”. | |
Die
Konsequenz daraus ist die, dass (bei fehlender Haftung der Eltern)
uU der / die Minderjährige nach § 1310 ABGB persönlich haftet. Greift
auch § 1310 ABGB nicht, geht der Geschädigte leer aus. Der Schaden
stellt für ihn dann einen Zufall iSd § 1311 ABGB dar → KAPITEL 9: Schadenersatz
und Zufall: § 1311 ABGB. | Konsequenz |
Die
Regel des § 1309 ABGB gilt übrigens nicht nur für Eltern, sondern
allgemein für aufsichtspflichtige Personen wie
Lehrer/innen in Schulen oder das Personal in Kindergärten, aber
auch in Krankenanstalten sowie in Alten- oder Pflegeheimen → KAPITEL 10: Aufsichtspflichtverletzung.
– Die Aufsichtspflicht mag unmittelbar auf
Gesetz (Kinder) oder auf vertraglicher Vereinbarung (zB
Kindergarten) beruhen. | §
1309 ABGB gilt auch für andere „Aufsichtsverhältnisse” |
Die Aufsichtspflicht darf
dabei aber nicht überspannt werden, worauf die
Rspr zu recht achtet! – Vgl die Beispiele im Rahmen der Darstellung
des § 1309 ABGB in Kapitel 10. | Kein Überspannen der Aufsichtspflicht |
Der tiefere Grund der Haftung Minderjähriger etc
nach § 1310 ABGB liegt darin, dass das rationalistische Naturrechtsdenken
(Entwurf Martini + WGGB), dem diese Norm entstammt, als allgemeinen
Haftungsgrund nicht das Verschulden (des Schädigers),
sondern das ”Vertheidigungsrecht” des Geschädigten (gegen
Verletzungen seiner Person und seines Vermögens) ansieht. Das führt
zu Haftungen wie der in § 1310 ABGB, die allerdings auf 3 Fälle eingeschränkt
ist; Billigkeitshaftung, Vermögensvergleich etc. Dazu auch § 1310
ABGB: → KAPITEL 10: Der
sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB. | |
| |
| Abbildung 4.18: Zivilrechtliche Deliktsfähigkeit |
|
| Abbildung 4.19: Natürliche Person (1) |
|
| Abbildung 4.20: Natürliche Person (2) |
|
| |
Neu bearbeitet von Elisabeth Villotti | |
| |
1. Historische
Entwicklung | |
Die EntmündigungsO
1916 regelte erstmals gemeinsam, was nunmehr Sachwalterschaft (Nov zum
ABGB: BGBl 1983/136 und Art I BGBl I Nr 135/2000) und UnterbringungsG /
UbG 1990 (BGBl 155) getrennt regeln. Die Reform der EntmO wurde
– trotz ursprünglich hoher legistischer Qualität – immer drängender.
Zum einen war es erklärtes Reformziel, den Personenkreis der Entmündigten
zu „ entstigmatisieren”. Aber auch das in der EntmO
geregelte sog Anhalteverfahren psychisch Kranker
in psychiatrischen Anstalten bedurfte dringend der Reform; das UbG
1990 brachte sie → Das
Unterbringungsgesetz 1990 Das UbG, das gegen den Widerstand der Medizin
beschlossen wurde, betont den Persönlichkeitsschutz psychisch Kranker. | EntmündigungsO |
Mit dem KindRÄG 2001 wurde
auch das Sachwalterrecht mit Wirkung vom 1.7.2001 novelliert. Die
wichtigsten Neuerungen betreffen die Personensorge, das Verbot der
Zustimmung zur Sterilisation, die Haftung des Sachwalters und dessen
Entschädigung sowie die Einkommens- und Vermögensverwaltung. | |
Die Termini „Sachwalter”
und „Sachwalterschaft” sind unglücklich
gewählt. Denn es steht nicht eine Sache, sondern ein Mensch als
betroffene Person im Mittelpunkt. – In der Praxis besteht deshalb
häufiger Erklärungsbedarf, da sich Laien unter diesen Begriffen
nichts vorstellen können. | Terminologie? |
Die Vorschriften über die Sachwalterschaft modifizieren
die gesetzlichen Bestimmungen über die Handlungsfähigkeit (insbesondere
die Geschäftsfähigkeit) für psychisch kranke und geistig behinderte
volljährige Personen. – Eine Sachwaltschaft sollte abernur dann
eingerichtet werden, wenn keine andere Unterstützung möglich ist; Subsidiarität der
Sachwalterschaft. Sie stellt nämlich einen massiven Eingriff in
die Rechte einer Person dar und sollte das letzte Mittel sein!
| Modifikationen
der HF |
Das
Sachwalterrecht brachte im Vergleich zur EntmO als Novum eine verstärkte
Möglichkeit der | Aufgaben von Sachwaltern |
•
Personen(für)sorge,
beschränkt sich also nicht auf bloße | |
•
Vermögensvorsorge. | |
Im Vordergrund steht das „Wohl des Betroffenen”
und nicht das der Erben oder naher Angehöriger. Der Sachwalter ist
verpflicht, dem Gericht in bestimmten Abständen Rechnung zu legen;
das Gericht kann ihn aber davon befreien. Er ist weiters verpflichtet
Belege etc. zu sammeln und aufzubewahren. | |
Beseitigt wurde (von Anfang an, also bereits
1983) durch das Sachwalterrecht der frühere Entmündigungstatbestand der Verschwendung(ssucht);
Alkohol- und Drogenmissbrauch, querulatorisches Verhalten oder Verschwendungssucht
allein stellen demnach keinen ausreichenden Grund für die Bestellung
eines Sachwalters dar. Wohl aber, wenn sich daraus psychiatrische
Krankheitssymptome ableiten lassen. Vgl unten EvBl 1999/11. – Im
Zeitalter der „Süchte” und Abhängigkeiten muss das als Nachteil
angesehen werden: In Österreich gibt es etwa 20.000 Drogenabhängige,
11.000 Medikamentensüchtige, 330.000 Alkoholkranke (und weitere
900.000 Alkoholgefährdete; 8000 sterben jährlich) und etwa 2 Mio
Raucher; Quelle: Der Standard, 1. Oktober 2003, S. 10. | |
| |
Rechtstatsächliches
zur Sachwalterschaft: 1995 waren es 25.208,
Ende 1997 gab es in Österreich 33.791 Sachwalterschaften
und 1999 bereits 34.804. Dies entspricht einer
Steigerung von mehr als 30%, wobei ca 63% von nahestehenden Personen,
ca 19% von Rechtsberufen und lediglich etwa 15% von Vereinssachwaltern
ausgeübt wurde. (Parlamentarische Anfragenbeantwortung des Justizministers
vom Juni 1999.) – Ziel des Sachwalterrechts war eine Verringerung
besachwalteter Personen, tatsächlich ist die Tendenz aber stark
steigend. | |
Eine Ursache dieser Entwicklung ist die demoskopische Entwicklung
in Österreich; eine andere die fehlende und rigide Personalpolitik
in der Altenpflege. Hier besteht dringender Handlungsbedarf! Es
müssten Qualitätsstandards in den Heimen, zB durch ein BundesheimvertragsG,
geschaffen werden. So regen immer wieder Altenheime für Heimbewohner
Sachwalterschaften an, um deren Taschengeld (43 ı / Monat) zu verwalten.
Diese Aufgabe müßte aber eigentlich von einer im Heim angestellten
Sozialarbeiterin wahrgenommen werden, wozu aber meist die Mittel fehlen.
Diese reichen meist nicht einmal für genügend Pflegepersonal. Deshalb
der Versuch durch „Sachwalterschaft” Defizite auszugleichen. | |
Als Grundsatz für Sachwalterbestellungen muss
gelten: Nur wenn nach strenger Prüfung der Voraussetzungen kein
Zweifel an der Notwendigkeit einer solchen Maßnahme besteht, soll
zu dieser Maßnahme gegriffen werden; vgl § 273 Abs 2 ABGB: | Grundsatz
für
Sachwalterbestellungen |
„Die Bestellung eines Sachwalters
ist unzulässig, wenn der Betreffende durch andere
Hilfe, besonders im Rahmen seiner Familie oder von Einrichtungen
der öffentlichen oder privaten Behindertenhilfe, in die Lage versetzt
werden kann, seine Angelegenheiten im erforderlichen Ausmaß zu besorgen.” | |
2. Beispiele aus
Praxis und Rspr | |
| |
|
EvBl 1999/11: Voraussetzungen für
die Bestellung eines Sachwalters – Der Missbrauch von Alkohol bildet
ebenso wie die Verschwendungssucht – im Gegensatz
zur Rechtslage bis 1983 – keinen Anlass zum Schutz des Betroffenen
einzuschreiten, es sei denn, dass sich aus dem Alkoholmissbrauch ein
Indiz für eine psychische Erkrankung ergibt. Ein unschlüssiges,
aber nicht absurdes Prozessvorbringen allein indiziert aber noch
nicht eine psychische Erkrankung, genauso wenig wie beleidigende
Äußerungen. Für einen Querulanten ist nur dann ein Sachwalter zu
bestellen, wenn dieser sich durch sein Querulieren selbst Schaden
zufügt. | |
|
|
OGH 12. 9. 2002, 6 Ob 218/02f:
Ein in Deutschland lebender Österreicher hatte nach deutschem
Betreuungsrecht einen Betreuer (= Sachwalter) erhalten.
Er übersiedelt idF nach Österreich. – OGH: Der Beschluss des deutschen
Gerichts entfaltet in Österreich mangels internationaler, bilateraler
oder europarechtlicher Bestimmungen weder automatisch noch durch
gerichtliche Anerkennung Wirkung. In Österreich ist ein neuer Sachwalter
zu bestellen. | |
|
3. Gesetzliche
Regelung: §§ 269, 273–283 ABGB; §§ 236–252, 266 AußStrG | |
Oben
wurde angeführt, dass Rechtsgeschäfte nur dann gültig geschlossen
werden, wenn die beteiligten Parteien geschäftsfähig waren. Dort
wurde auch erwähnt, dass auch Rechtsgeschäfte volljähriger Personen
ungültig sind, wenn diese, auch ohne unter Sachwalterschaft zu stehen,
das Geschäft in einem Zustand abgeschlossen haben, der ihnen ihre
Geschäftsfähigkeit genommen hat; § 869 ABGB. | |
|
Vgl das Beispiel → Die
Handlungsfähigkeit am
Anfang: Manisch- depressive Frau tätigt
in einer „Hochphase” teure Anschaffungen (Kaufverträge), die sie
nicht braucht. Solche Vorfälle werden allerdings idR dazu führen, dass
über eine solche Person in der Folge die Sachwalterschaft verhängt
wird. | |
|
|
OGH 12. 2. 2002, 5 Ob 22/02z, JBl 2002, 655:
Schwer Alkoholkranker und dadurch psychisch beeinträchtigter
Mann hebt von seinem Konto über 250.000 S ab; fünf Monate zuvor
war ihm ein Sachwalter bestellt worden. Der Verbleib der Gelder
kann nicht geklärt werden. Der Sachwalter klagt die Bank auf neuerliche
Auszahlung; § 1424 Satz 2 ABGB. – OGH setzt sich mit der Beweislast
für den Wegfall der Bereicherung bei Zahlung an einen Geschäftsunfähigen
auseinander. OGH wendet nicht § 1298 ABGB an. Die Beweislast für
die berechtigte Auszahlung trifft die Bank; für die Frage des Verbleibs
des Geldes hingegen den Betroffenen. Er hat zu beweisen, dass das
Geld nicht zu seinem Nutzen verwendet wurde. – Beachte die verschiedene
Beweislast für verschiedene Beweisthemen. | |
|
Was eben ausgeführt wurde muss erst recht gelten, wenn eine
Person psychisch oder geistig behindert ist.
– Dafür trifft das im ABGB geregelte Sachwalterrecht Vorsorge. Das
Gesetz umschreibt die Voraussetzungen einer Sachwalterbestellung
folgendermassen: | Gründe der
Sachwalterbestellung |
„Vermag
eine volljährige Person, die an einer Psychischen Krankheit leidet
oder geistig behindert ist, alle oder einzelne ihrer Angelegenheiten
nicht ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen, so
ist ihr auf ihren Antrag oder von Amts wegen dazu ein Sachwalter
zu bestellen”; § 273 Abs 1 ABGB. | |
Die Unterscheidung
in § 273 Abs 1 ABGB zwischen „psychischer Krankheit” und „geistiger Behinderung” ist
schwierig und weniger ein juristisches, als ein medizinisches Problem. | |
Dies
darf aber nur erfolgen, wenn – wie ausgeführt – andere Abhilfe nicht
möglich ist; § 273 Abs 2 Satz 1 ABGB: sog Subsidiarität der
Sachwalterbestellung. | |
Die
bloße Behauptung der Notwendigkeit einer Sachwalterbestellung ist
für die Einleitung eines Verfahrens nicht hinreichend. Die Anhaltspunkte
müssen vielmehr konkret und begründet sein und haben sich auf die
psychische Krankheit oder die geistige Behinderung und die sich
daraus ergebende Notwendigkeit der Sachwalterbestellung zum Schutz
der betreffenden Person zu beziehen. Fehlen solche Anhaltspunkte,
ist ein Verfahren nach § 236 AußStrG nicht einzuleiten. – Das Gesetz
(§ 237 AußStrG) verpflichtet den Richter überdies zur persönlichen Anhörung Betroffener;
JBl 1999, 332. „Rolle” des Sachwalters | |
Ein Sachwalter übernimmt
rechtlich etwa die Rolle von Eltern oder einem alleinerziehenden Elternteil
als gesetzlicher Vertreter; ihm kommt aber auch
die Aufgabe zu, bei verpflichtenden Rechtsgeschäften der unter Sachwalterschaft
stehenden Person zuzustimmen oder diese zu genehmigen. Er ist gesetzlicher
Stellvertreter: → KAPITEL 13: Entstehungsquellen
der Vertretungsmacht. – Die Vertretungsmacht des Sachwalters
beruht mittelbar auf Gesetz, wird aber unmittelbar richterlich erteilt → KAPITEL 13: Entstehungsquellen
der Vertretungsmacht. | |
Psychisch
kranke oder geistig behinderte Personen müssen – das ist eine weitere
Voraussetzung für eine Sachwalterbestellung – zudem außerstande
sein, „alle oder einzelne ihrer
Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu
besorgen”; § 273 ABGB. | Umfang
der
Sachwalterschaft |
Weiters ist der Sachwalter
verpflichtet persönlichen Kontakt mit Betroffenen
zu halten und sich darum zu bemühen, die nötige ärztliche und/oder soziale
Betreuung zugänglich zumachen;
§ 282 Abs. 2 ABGB. – Der Sachwalter betreut aber nicht selbst. Die
Personensorge räumt dem Sachwalter auch keine Zwangsbefugnisse ein
und besteht unabhängig von seinem zu besorgenden allgemeinen Wirkungskreis. | Personensorge |
Mit der Novelle zum KindRÄG 2001, wurde
der Versuch unternommen, die Personensorge praxisnäher
zu gestalten. | |
Von der Personensorge
ist die (ersatzweise) Zustimmung zu einer Heilbehandlung
→ KAPITEL 10: Partner
des Behandlungsvertrags nicht
umfasst. Hiezu muss der Sachwalter vom Gericht mittels Beschluss
bestellt werden. Eine ersatzweise Zustimmung ist nur möglich, wenn
durch medizinisches Gutachten die fehlende Einsichts- und Urteilsfähigkeit
des Betroffenen festgestellt wird und ein weiteres fachärztliches
Gutachten die Notwendigkeit der vorzunehmenden Heilbehandlung bejaht.
Bei Gefahr in Verzug ist der behandelnde Arzt jedoch verpflichtet,
die erforderlichen medizinischen Maßnahmen zu setzten; vgl § 8 KAKuG. | Heilbehandlung |
|
RdM 2002/63: Behandlungszustimmung
zu einer Elektrokonvulsivbehandlung durch den Sachwalter
– „Die Einwilligung einer Person, die infolge einer psychischen
Erkrankung oder geistigen Behinderung nicht in der Lage ist, die
Notwendigkeit der Vornahme einer Heilbehandlung und die Bedeutung
ihrer Verweigerung frei zu beurteilen, kann durch die Bestellung
eines endgültigen oder einstweiligen Sachwalters substituiert werden.
Das Gericht hat sich dabei auf die Genehmigung oder Nichtgenehmigung
der Einwilligung des Sachwalters zur Heilbehandlung zu beschränken.
Dem Gericht kommt die Kompetenz zu, die Einwilligung der betroffenen
Person oder des Sachwalters zu ersetzen oder den Eingriff selbst
anzuordnen, wobei die Tätigkeit des Sachwalters im Interesse des
Betroffenen, also zu dessen Wohl (§ 21 ABGB), zu erfolgen hat. Sie
soll möglichst den Willen des Betroffenen verwirklichen. Allerdings
darf dies nicht zur einzigen Maxime der Handlung eines Sachwalters
werden. [?] Für die Entscheidung eines Sachwalters müssen von der
Willensbildung und Willensentscheidung des Betroffenen unabhängige
objektive Gründe ausschlaggebend sein. [?] Die Verweigerung der
Einwilligung in eine Heilbehandlung (hier Elektroschock) darf nicht
allein auf dem widerstrebenden Standpunkt des Betroffenen beruhen,
sondern muss durch andere objektivierbare Gründe fundiert sein.
Lägen solche Gründe vor, wäre die Enthebung des Sachwalters in Erwägung
zu ziehen.” – Diese Ausführungen des OGH überzeugen nicht vollends
und fördern wohl eher eine autoritäre Praxis als das am Grundgedanken
der Selbstbestimmung orientierte Wohl Betroffener. | |
|
| |
Ein weiteres wichtiges Ziel der Reform des Sachwalterrechts
bestand von allem Anfang an darin, Sachwalterschaften nicht pauschal
und undifferenziert – wie früher im Rahmen der Entmündigung – zu
verhängen, sondern sie möglichst konkret an das Maß der jeweiligen
Behinderung anzupassen. – Die Reformerwartungen haben sich diesbezüglich
aber nicht erfüllt. | |
Trotz Bemühens des Gesetzgebers, die vom
Sachwalter zu besorgenden Angelegenheiten möglichst individuell
auf die Bedürfnisse des Betroffenen anzupassen und somit dessen
Handlungsfähigkeit möglichst zu erhalten, wurde fast die Hälfte
aller Sachwalterschaften für „alle Angelegenheiten”
bestellt. – Die Zahlen einer Parlamentarischen Anfragenbeantwortung
des Justizministers mit Stichtag 30. 9. 1999 lauten: 22.787 für
alle Angelegenheiten; 11.012 für einen bestimmten Kreis von
Angelegenheiten und nur 1.005 für eine Angelegenheit. | |
Je
nach Behinderung sowie Art und Umfang der zu besorgenden Angelegenheiten ist
der Sachwalter nach § 273 Abs 3 ABGB zu bestellen für: | Mögliche Aufgabenkreise von Sachwaltern |
• Die Besorgung „einzelner
Angelegenheiten”; zB Beantragung der Pension, Wohnungsauflösung; | |
• einen bestimmten Kreis von Angelegenheiten;
zB Einkommens- und Vermögensverwaltung; oder für die Besorgung | |
•
„aller Angelegenheiten” einer
behinderten Person. | |
4. Was
bewirkt die Sachwalterschaft? | |
Die Sachwalterschaft beschränkt die Geschäftsfähigkeit:
Die behinderte Person kann „innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters
ohne dessen ausdrückliche, konkludente oder stillschweigende Einwilligung
rechtsgeschäftlich weder verfügen [zB jemandem eine Servitut einräumen], noch
sich verpflichten” (zB Abschluss eines Kaufvertrags); § 273a Abs
1 ABGB. – Der Sachwalter muss – wie allgemein bei minderjährigen
Personen – bei Geschäften, bei denen die behinderte Person Verpflichtungen
eingeht, zustimmen oder genehmigen. Ausgenommen sind wiederum kleine
Alltagsgeschäfte; § 273a Abs 2 ABGB iVm § 151 Abs 3 ABGB. – Das
Gericht kann bestimmen, dass die §§ 151 Abs 2 und 152 ABGB auch
bei einer Sachwalterschaft anzuwenden sind. | |
|
OGH 13. 11. 2001, 5 Ob 185/01v: Beschränkte
Handlungsfähigkeit vor Sachwalterbestellung: „…Bei der
zeitlichen Erfassung dieses Zustandes ist … Vorsicht geboten. Gemäß
§ 17 ABGB wird [auch] die Geschäftsfähigkeit einer Person so lange
als bestehend angenommen, als nicht die gesetzmäßige Beschränkung
bewiesen ist. … Diese Vermutung, dass jeder erwachsene Mensch voll
handlungsfähig ist, aber auch Gründe der Rechtssicherheit gebieten
es, die Indizwirkung einer notwendig gewordenen Sachwalterbestellung
für eine anzunehmende Beschränkung der Handlungsfähigkeit des Betroffenen
in der Regel maximal ein Jahr vor dem Bestellungsakt auszudehnen,
sofern nicht konkrete Belege für einen bereits länger anhaltenden
Zustand beschränkter Handlungsfähigkeit vorliegen. …” | |
|
|
OGH 29. 11. 2001, 2 Ob 100/01x, EvBl 2002/83:
14jähriger wird bei einem Autounfall schwer verletzt und
bleibt idF geistig behindert. Fast 13 Jahre später klagt die Mutter
auf Schadenersatz. Der Verjährungseinrede hält
sie entgegen, es hätte dem Verletzten ein Sachwalter zur Erhebung
der Schadenersatzklage beigegeben werden müssen. Außerdem wendet
sie mangelnde Vorhersehbarkeit der Dauerfolgen ein. – OGH entscheidet
nicht in der Sache selbst, stellt aber zum ersten Argument klar,
dass einer Person erst ab vollendetem 14. Lebensjahr ein Sachwalter
bestellt werden kann. Mündige Minderjährige können zudem nur für
jene Geschäfte unter Sachwalterschaft gestellt werden, in denen
sie selbst rechtswirksam tätig werden könnten; ansonsten haben auf
Grund der Familienautonomie und der Eltern-Kind-Beziehung die Eltern
ihre Rolle als gesetzliche Vertreter wahrnehmen; Verweis auf legistische
Tendenz, die mit KindRÄG 2001 Gesetz wurde. Zum zweiten Argument
führt der OGH aus: Treten Dauerfolgen vor Erreichen der Volljährigkeit
ein, ist die objektive Kenntnismöglichkeit dem gesetzlichen Vertreter
zuzurechnen; treten sie erst danach ein und bedarf der Kläger zu
diesem Zeitpunkt eines Sachwalters, ist § 1494 ABGB anzuwenden. | |
|
|
OGH 26.2.2003, 3 Ob 75/02d: Bescheidene
Schenkung an den in Not geratenen Sohn der Betroffenen
ist möglich, da weder derzeit noch zukünftig der angemessene Unterhalt
der Betroffenen gefährdet ist. – OGH erkannte, dass die in § 149
Abs 1 ABGB (iVm § 282 ABGB) eingefügte Einschränkung „sofern das Wohl
des Kindes nicht anderes erfordert” (KindRÄG 2001), den Zweck hat,
den Grundsatz der Vermögenserhaltung und Vermögensvermehrung flexibel
zur „Befriedigung aktueller Bedürfnisse” zu durchbrechen. „Hier
wird der Grundsatz Bedürfnis vor Vermögensvermehrung nicht selten
das dem Wohl des Pflegebefohlenen Förderlichste sein …[V]or allem
älteren Menschen [kann] auch ein vorsichtiger Verbrauch des Vermögens
zzum Zweck der Bedürfnisbefriedigung dem Wohl des Betroffenen besser
dienen … als eine weitere Vermehrung, wovon letztlich nur die Erben
profitieren. Die Erhaltung des Vermögens ist nicht Selbstzweck,
sondern am Wohl und Interesse des Betroffenen zu messen.. Diese
Abwägung ist einzelfallbezogen.” | |
|
|
OGH 26. 2. 2003, 3 Ob 75/ 02d: Nahe
Angehörige haben kein Einsichtsrecht in
den Sachwalterschaftsakt, wenn sie nicht ein ausreichendes
rechtliches Interesse glaubhaft machen können. Wobei im Sachwalterverfahren
besonders sorgfältig zwischen dem Schutz des Privat- und Familienlebens
des Betroffenen einerseits und dem rechtlichen Interesse Dritter
abzuwägen ist. | |
|
Unter
Sachwalterschaft stehende Personen haben das Recht „von
beabsichtigten wichtigen Maßnahmen die ihre Person oder
ihr Vermögen betreffen vom Sachwalter rechtzeitig verständigt zu
werden und sich innerhalb angemessener Frist zu äußern”;
§ 273 a Abs 3 ABGB. | Verständigungspflicht |
Für Eheschließungen bedürfen
unter Sachwalterschaft stehende Personen der Zustimmung des Sachwalters,
die uU vom Gericht ersetzt werden kann. – Zur einvernehmlichen
Scheidung NZ 1996, 339: | Eheschließung – Adoption |
”Wer in der in der Geschäftsfähigkeit beschränkt
ist, bedarf gemäß § 3 Abs 1 EheG zur Eingehung der Ehe – und damit
auch zur Erhebung des Scheidungsbegehrens – der Einwilligung seines
gesetzlichen Vertreters. Die Erklärung des Einvernehmens nach §
55 EheG ist aber Ausübung eines höchstpersönlichen Rechtes, wofür
die natürliche Einsichts- und Urteilsfähigkeit des Ehegatten erforderlich
ist. Fehlt diese Einsicht oder verweigert der Ehegatte das Einvernehmen,
so kann letzteres weder durch einen Sachwalter, noch durch das Pflegschaftsgericht
ersetzt werden.” | |
Unter Sachwalterschaft stehende Personen können auch nicht adoptieren;
Umkehrschluss aus
§ 179 Abs 1 ABGB. Vgl die folgende E. | |
|
OGH 30. 1. 2002, 7 Ob 328/01p:
„Eine Person, die für irgendeine Angelegenheit [?] einen Sachwalter
hat, kann nicht adoptieren, weil sie nicht als
eigenberechtigt anzusehen ist (§ 179 Abs 1 ABGB e contrario). Auch
der Sachwalter gemäß § 273 ABGB kann einen Adoptionsvertrag namens
der Vertretenen nicht abschliessen.” | |
|
Sie
wird – wie erwähnt – durch die Sachwalterschaft nicht berührt; dh
Delikte werden zugerechnet, wenn sie von einer unter Sachwalterschaft
stehenden Person in zurechnungsfähigem Zustand begangen wurden,
sonst nicht. | Deliktsfähigkeit |
|
VwGH 20.9.2000: UVS verurteilt
einen besachwalteten, an Debilität leidenden Mann
wegen Fahrens eines PKW ohne Lenkerberechtigung und Überschreitung
der zulässigen Höchstgeschwindigkeit. Debilität sei lediglich
Milderungsgrund. Zurechnungsfähigkeit ist aber unbedingte Voraussetzung
der Strafbarkeit. Liegen Indizien in Richtung mangelnder Zurechnungsfähigkeit
zur Tatzeit vor, ist die Einholung eines medizinischen SV-Gutachtens
notwendig. | |
|
|
LG Innsbruck, 6. 11. 2001: Frau
leidet an Schizophrenie mit Fremd- und Selbstgefährdung.
Sie verletzt eine Krankenschwester schwer. Keine Bestrafung, sondern
Einweisung in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, da
die Frau zum Zeitpunkt der Tat nicht diskretions- und dispositionsfähig
war. | |
|
Zur Testierfähigkeit: § 568 iVm
§ 566 ABGB; wie mündige Minderjährige nur mündlich vor Gericht oder
einem Notar. – Zur tauglichen Testamentszeugenschaft:
§ 591 ABGB. | Testierfähigkeit
etc |
Personen, die unter Sachwalterschaft
stehen, behalten ihr aktives und passives Wahlrecht (§
24 NR-WahlO wurde mit Urteil vom 30.9.1988 durch den VfGH aufgehoben). | Wahlrecht |
Sie können
nicht beschränkt werden; zB Recht auf persönliche Freiheit, das
Recht auf körperliche Unversehrtheit, Wahrung des Briefgeheimnisses
etc; vgl oben NZ 1996, 339. | Höchstpersönliche Rechte |
Die Fixierung eines dementen
Heimbewohners im Altersheim verstößt gegen das
BVG zum Schutz der persönlichen Freiheit. – Die Schaffung einer Heimanwaltschaft für
Alters- und Pflegeheime wäre zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte
der Heimbewohner sinnvoll. Das UbG ist hier nicht anwendbar → Das
Unterbringungsgesetz 1990
| |
Ausdrücklich untersagt wurde
nunmehr die (ersatzweise) Zustimmung zur Durchführung einer Sterilisation; §
282 Abs 3 ABGB. Grundsätzlich kann eine Sterilisation nur
vorgenommen werden, wenn die einsichts- und urteilsfähige Person
dem selbst zustimmt. Eine ersatzweise Zustimmung mit
pflegschaftsgerichtlicher Genehmigung ist nur möglich,
wenn die Betroffene nicht einsichts- und urteilsfähig ist und ein
dauerhaftes körperliches Leiden vorliegt, das mit Eintritt der Schwangerschaft
eine ernste Gefahr für das Leben oder eine schwere Schädigung der Gesundheit
bedeuten würde; sog medizinische Indikation. | Sterilisation |
| |
|
Zur bisherigen
Praxis vgl SZ 50/161 (1977): Vater,
der Sachwalter seiner behinderten Tochter ist, befürchtet
Schwangerschaft. Diese ist unfähig eine Willenserklärung
abzugeben. OGH: Die Einwilligung zur Sterilisation kann durch den
gesetzlichen Vertreter mit Zustimmung des Pflegschaftsgerichts ersetzt
werden, wenn besondere Umstände den Eingriff rechtfertigen. | |
|
5. Zur
Person des Sachwalters | |
Zu bestellen ist immer nur ein Sachwalter
für eine/n Betroffene/n; eine Aufteilung der Agenden auf zwei Personen
ist weder zulässig noch sachgerecht; EvBl 2000/11. | |
Die
Betreuung durch geschulte Personen der Vereinssachwalterschaft garantiert
den höchsten Standard und sollte ausgebaut werden. Für die finanzielle Unabhängigkeit
des”Vereins” wäre zu sorgen. Anzustreben
wäre ein festes Budget des „Vereins”, das dieser autonom verwaltet.
Das würde der Gängelung durch den BMfJ ein Ende setzen. | Vereinssachwalterschaft |
•
Bei der
Bestellung von Sachwaltern ist auf die persönlichen Bedürfnisse Behinderter
Bedacht zu nehmen; § 280 ABGB. – Nach § 281 ABGB ist möglichst „eine
geeignete, ihr nahestehende Person” zu bestellen; zB beide Elternteile
(§ 154 ABGB) oder der Ehegatte, für ältere Personen „die Kinder”.
– Der Sachwalter ist zur Verschwiegenheit verpflichtet. | |
•
Sind
Rechtskenntnisse erforderlich, ist eine rechtskundige Person (Rechtsanwalt
oder Notar) als Sachwalter zu bestellen; § 281 Abs 3 ABGB. – Es
stellt einen Missstand dar, dass bspw Rechtsanwälte zu viele Sachwalterschaften
(100 und mehr!) übernehmen. Auszubauen wäre statt dessen die Vereinssachwalterschaft. | |
•
§ 283 Abs 2
ABGB sieht die Möglichkeit einer sog Vereinssachwalterschaft vor.
Damit ist gemeint, dass ein Sachwalterverein, der für die konkrete
Betreuung einer behinderten Person eine bei ihm angestellte natürliche Person
namhaft macht, als Sachwalter bestellt wird. – Hinsichtlich der
Rechte und Pflichten des Sachwalters ist
§ 282 ABGB zu beachten. Der Sachwalter hat danach die Personensorge,
besonders auch die ärztliche und soziale Betreuung zugänglich zu
machen (nicht selbst durchzuführen!) und über das Vermögen des Behinderten
dem Gericht jährlich Rechnung zu legen; § 282 iVm § 238 und § 150
ABGB. | |
6. Haftung von
Sachwaltern | |
Erleiden Betroffene
durch eine Pflichtverletzung des Sachwalters einen Schaden, haftet
der Sachwalter nach den Regeln des ABGB und wird schadenersatzpflichtig,
wobei wie auch sonst leichte Fahrlässigkeit genügt. | Haftung nach ABGB |
Das KindRÄG 2001 sieht aber nunmehr ein Mäßigungsrecht oder
den gänzlichen Erlass durch das Gericht vor, wenn
es den Sachwalter bei Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere
des Grades des Verschuldens oder eines besonderen Naheverhältnisses
unbillig hart träfe. – Auf professionelle Sachwalter, wie Rechtsanwälte,
Notare und Vereinssachwalter ist diese Bestimmung aber nicht anzuwenden.
Für diese Personen gilt vielmehr die erhöhte Sorgfaltspflicht des
§ 1299 ABGB: Sachverständigenhaftung. | Mäßigung
oder Erlass |
|
OGH 22. 10. 2001, 1 Ob 197/01d, JBl 2002, 304 = EvBl 2002/42:
Gericht bestellt für Betroffenen Sachwalter und verfügt gerichtliche Sparbuchsperre.
Sachwalter gibt Betroffenem Sparbuch und teilt ihm das Losungswort
mit. Angestellter der Bank übersieht die Sperre und zahlt über 300.000
S aus. – OGH: Schadenersatz ist hier nach allgemeinem Schadenersatzrecht
und nicht nach AHG zu prüfen, da in concreto der Sachwalter eigenverantwortlich
handelte. Der Sachwalter haftet aber nicht für den der Bank entstandenen Schaden,
weil Eigenverschulden vorliegt. | |
|
| |
Soweit die Lebensbedürfnisse des Betroffenen nicht gefährdet
sind, kann das Gericht dem Sachwalter für seine Tätigkeit eine Entschädigung oder
bei besonderen beruflichen Kenntnissen ein Entgelt zusprechen.
Weiters kann ihm Aufwandersatz, wie Porto etc,
zuerkannt werden. – Damit wurde mit dem KindRÄG 2001 der bisher
bestehende Grundsatz der Unentgeltlichkeit beseitigt. | |
Dies ist in der Praxis vor allem dann problematisch,
wenn Betroffene die Sachwalterschaft als massive persönliche Einschränkung
sehen, für die sie jetzt auch noch bezahlen müssen. | |
|
OGH 22. 10. 2001, 1Ob 298/00f, JBl 2002, 308:
Pflegschaftsgericht genehmigt Rechtsanwalt als Sachwalter jährlichen Belohnungsanspruch.
Die unter Sachwalterschaft stehende Frau erhebt Schadenersatzklage
nach AHG gegen den Bund (als Rechtsträger des Gerichtes)
wegen Ermessensüberschreitung. – Die Bestimmung der Belohnung des
Sachwalters obliegt dem pflichtgemäßen Ermessen der Gerichts; eine unrichtige,
jedoch vertretbare Rechtsauffassung begründet keinen Amtshaftungsanspruch. | |
|
8. Beendigung der
Sachwalterschaft | |
Die
Sachwalterschaft endet mit dem Tod der behinderten Person (§
283 ABGB); beim Tod des Sachwalters ist vom Gericht
ein neuer zu bestellen. – Bedarf der Behinderte keiner Hilfe mehr (Wegfall
des Verhängunggrundes), ist der Sachwalter auf Antrag oder von Amts
wegen zu entheben; § 283 Abs 2 ABGB. | |
|
OGH 28. 6. 2001, 2 Ob 271/00t, JBl 2002, 42:
Nach einem Autounfall mit Kopfverletzungen wird
der Verletzte psychisch krank sodass ihm ein Sachwalter bestellt
wird. Nach seinem Tod – über 4 Jahre nach dem Unfall – bringen seine
Erben eine Schadenersatzklage nach § 1325 ABGB ein. Beklagter wendet
Verjährung ein. – OGH: Die Ablaufhemmung gem §
1494 ABGB greift ein, wenn die psychische Erkrankung oder geistige
Behinderung zumindest von solcher Art ist, dass deswegen zur Durchsetzung oder
Abwehr von Ansprüchen ein Sachwalter zu bestellen wäre. Dies gilt
auch in dem Fall, dass ein Sachwalter bestellt wurde, dieser aber
keine angemessenen Vertretungshandlungen gesetzt hat. (Vgl auch
EvBl 2000/2.) | |
|
|
OGH 7. 8. 2002, 7 Ob 81/02s, JBl 2003, 306:
Rechtsanwalt ist Sachwalter eines an paranoiden Persönlichkeitsstörungen
leidenden Mannes und beantragt Enthebung, da der
Betreute ihn immer wieder der Unfähigkeit bezichtigt und zwischen
den beiden Feindschaft bestehe. – OGH prüft, ob Rechtsanwalt eine „besonders
geeignete Person” iSd § 189 Abs 2 ABGB sei und ob ein Fall der „Unzumutbarkeit”
vorliege. OGH hält Rechtsanwälte generell für „besonders
geeignete Personen”, was in dieser Allgemeinheit wohl anzuzweifeln
ist. Weiters qualifiziert der OGH – was konsequent ist – die konkrete
Tätigkeit als „unzumutbar”. – Auszubauen wäre in Österreich die Vereinssachwalterschaft,
da nur diese Institution wirklich adäquate Voraussetzungen für die
Betreuung des hier betroffenen Personenkreises erfüllt. Allein die
Tatsache, dass Anwälte 100 und mehr Sachwalterschaften übernehmen,
zeigt die Fehlentwicklung in Österreich drastisch auf. – OGH stellt
interessante Überlegungen zu intertemporalen Rechtsfragen an. | |
|
| |
Das Sachwalterbestellungsverfahren ist
in den §§ 236–248 AußStrG, die Rechtsmittel (Rekurs und außerordentlicher
Revisionsrekurs) gegen die Sachwalterbestellung in den §§ 249, 250 AußStrG
geregelt. | |
|
OGH 12. 2. 2002, 5 Ob 22/02z, JBl 2002, 655:
Schwer Alkoholkranker und dadurch psychisch beeinträchtigter
Mann hebt von seinem Konto über 250.000 S ab; fünf Monate zuvor
war ihm ein Sachwalter bestellt worden. Der Verbleib der Gelder
kann nicht geklärt werden. Der Sachwalter klagt die Bank auf neuerliche
Auszahlung; § 1424 Satz 2 ABGB. – OGH setzt sich mit der Beweislast
für den Wegfall der Bereicherung bei Zahlung an einen Geschäftsunfähigen
auseinander. OGH wendet nicht § 1298 ABGB an. Die Beweislast für
die berechtigte Auszahlung trifft die Bank; für die Frage des Verbleibs
des Geldes hingegen den Betroffenen. – Beachte die verschiedene
Beweislast für verschiedene Beweisthemen. | |
|
| Abbildung 4.21: Alte Menschen in West- und Mitteleuropa |
|
V. Das
Unterbringungsgesetz 1990 | |
Von Elisabeth Villotti | |
| |
| |
Die
Aufnahme psychisch kranker Personen in eine – wie es früher hieß
– „Irrenanstalt”, wurde in Österreich erstmals
durch die Entmündigungsordnung 1916 (RGBl 207)
gesetzlich geregelt; später kamen Bestimmungen des KAG,
BGBl 1957/1 dazu, die bspw die Tätigkeit der Organe der Sicherheitsbehörden
und der ärztlichen Dienste bei der Aufnahme in eine „Krankenanstalt
für Geisteskrankheiten” (§§ 49-54) regelten. Die EntmO 1916 war
ein – damals – modernes Gesetz; sie unterschied zwischen voller (=
Gleichstellung mit Kindern unter 7 Jahren) und beschränkter Entmündigung
(= Gleichstellung mit mündigen Minderjährigen ab 14 Jahren). – Das UbG
1990, BGBl 155 fasst zusammen, bringt diesen Bereich auf
den neuesten rechtlichen und medizinischen Stand und betont insbesondere
den wichtigen Persönlichkeitsschutz psychisch Kranker. Das heißt
natürlich noch nicht, dass in der Praxis deswegen alles schon zum
besten stünde! Der Widerstand der Medizin gegen dieses Gesetz ist
– nach wie vor – groß und offenbart geringes Verständnis für existentielle
und zugleich sensible rechtliche wie menschliche Probleme. Das UbG
ist am 1.1.1991 in Kraft getreten. | Rechtsgeschichte |
| |
•
Schutz
der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker; | |
• Verstärkung eines kompensatorischen Rechtsschutz (bedürfniss)es
untergebrachter Kranker; | |
• Zurückdrängen von Zwang und | |
•
Kontrolle der ärztlichen Tätigkeit. | |
3. Wichtige Bestimmungen
des UbG | |
(1) Die Persönlichkeitsrechte
psychisch Kranker, die in eine Krankenanstalt aufgenommen werden,
sind besonders zu schützen. Die Menschenwürde psychisch Kranker
ist unter allen Umständen zu achten und zu wahren. | §
1: Schutz der
Persönlichkeitsrechte |
(2) Beschränkungen von Persönlichkeitsrechten sind nur zulässig,
soweit sie im Verfassungsrecht, in diesem Bundesgesetz oder in anderen
gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen sind.” | |
|
OGH 23. 1. 2002, 9 Ob 3/02k, RdM 2002/62:
Ein mit Zustimmung [?] des Patienten erfolgter Transport in
eine andere psychiatrische Anstalt kann nicht als unzulässiger
Eingriff in dessen Persönlichkeitsrechte angesehen werden, auch
wenn die Zustimmung über Anraten eines Arztes erteilt wird. | |
|
„Die
Bestimmungen dieses Bundesgesetzes gelten für Krankenanstalten und
Abteilungen für Psychiatrie (im folgenden Anstalt), in denen Personen
in einem geschlossenen Bereich angehalten oder sonst Beschränkungen
ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen werden (im folgenden Unterbringung).” | Geltungsbereich: § 2 |
Das UbG gilt nicht in Alten- und Pflegeheimen etc → Zur
Person des Sachwalters Der
VfGH hat mit Erk vom 28. 6. 2003, G 208,/02-16, entschieden, dass
der Bund für die Regelung von Freiheitsbeschränkungen in Pflegeheimen
zzuständig ist. Dem war ein langwieriger Kompetenzkonflikt zwischen
Bund und Ländern vorausgegangen. Um die Lebensqualität für alte
und behinderte Menschen in Pflegeheimen und sonstigen Einrichtungen
zu verbessern, müssen im gesamten Bundesgebiet einheitliche Voraussetzungen
für Freiheitsbeschränkungen gelten. | |
|
SZ 71/10 (1998): Nach der Rspr
des VwGH ist eine in eine Anstalt eingelieferte Person in
die Anstalt „aufgenommen”, sobald sie durch Anstaltspersonal
Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit unterworfen wird. Dies gelte
unabhängig davon, ob die nach § 10 Abs 1 UbG unverzüglich zu erstellenden
ärztlichen Zeugnisse auch tatsächlich erstellt wurden und der Aufnahmevorgang
damit rechtmäßig war. Der OGH hat die Auffassung des VwGH seiner
E 2 Ob 25/97h ausdrücklich gebilligt; an ihr ist auch weiterhin festzuhalten;
vgl auch Barta/Ganner (Hg),
Alter, Recht und Gesellschaft 183. | |
|
„In
einer Anstalt darf nur untergebracht werden, wer | § 3: Voraussetzungen der Unterbringung |
1. an einer psychischen Krankheit leidet und im Zusammenhang
damit sein Leben oder seine Gesundheit oder das Leben oder die Gesundheit
anderer ernstlich und erheblich gefährdet und | |
2. nicht in anderer Weise, insbesondere außerhalb einer
Anstalt, ausreichend ärztlich behandelt oder betreut werden kann.” | |
|
RdM
1999, 89
ff und VwGH
27. 11. 2001, 2000/ 11/0320, RdM 2003/49: Unterbringung
ohne Verlangen – Begründungspflicht des Amtsarztes: „…
Das im § 3 Z 1 UbG enthaltene Erfordernis, dass das Leben oder die
Gesundheit des psychisch Kranken oder anderer ‚ernstlich’ gefährdet
sein müssen, bedeutet, dass ein hohes Mass der Wahrscheinlichkeit
des Schadenseintrittes gegeben sein muss. Eine bloss vage Möglichkeit
einer Selbst- oder Fremdgefährdung reicht nicht aus … Die ernstliche
Gefährdung muss – ebenso wie die weiteren Unterbringungsvoraussetzungen
(insbesondere die psychische Krankheit, das Fehlen der Behandlungs-und
Betreuungsmöglichkeit außerhalb einer Anstalt) – in der vom Arzt
gem. § 8 UbG ausgestellten Bescheinigung begründet werden. Die im
§ 8 zweiter Satz UbG normierte Begründungspflicht soll die Nachvollziehbarkeit
der Bescheinigung sicherstellen und damit deren Überprüfung ermöglichen. Ein
blosses Ankreuzen formularhafter Bescheinigungen genügt dem Begründungserfordernis
nicht. Es ist insbesondere festzuhalten, aus welchem Verhalten und
welchen medizinischen Zustandsbildern sich die psychische Krankheit
erschliessen lässt, worin die ernstliche und erhebliche Gefährdung
besteht und welche Alternativen geprüft bzw. kontaktiert wurden.” | |
|
|
OGH 7 Ob 590/91, 4 Ob 542/91, 8 Ob 593/91: Geistige
Behinderung führt nicht zur Unterbringung, außer es liegen
im Zeitpunkt der Unterbringungsentscheidung Symptome
einer psychischen Erkrankung vor.
| |
|
|
LGZ
Wien , 29. 6.
1996: „Die Unterbringung psychisch
Kranker wegen bloßer Behandlungsbedürftigkei t
oder Verwahrlosungsgefahr ist ebenso wenig zulässig
wie eine Unterbringung als „Maßnahme der Fürsorge”. Behandlungsbedürftigkeit
kann eine Unterbringung erst dann rechtfertigen, wenn sie zu einer besonders
schweren und ernstlichen Gefährdung der Gesundheit führt .... Die
mit einer Unterbringung verbundenen Beschränkungen der Persönlichkeitsrechte
dürfen im Verhältnis zu der aus der Krankheit drohenden Gefahr nicht
unangemessen sein.” | |
|
|
LG Salzburg 5. 3. 1997, 21 R 66/97w:
Die bloß vage Möglichkeit einer Selbst- und Fremdgefährdung ist
für eine Unterbringung nicht ausreichend. | |
|
|
SZ 68/117, OGH 6 Ob 546/95: Es
müssen vielmehr konkrete Gefährdungen vorliegen. Ein Fall der Selbstgefährdung
liegt bei anorexia nervosa (Magersucht) vor, wenn
die Verweigerung der Nahrungsaufnahme auf psychogene, rational nicht
erklärbare Ursachen zurückzuführen ist und periodisch immer wieder
eine völlige Uneinsichtigkeit des Patienten in die Krankheit auftritt.
In diesem Fall handelt es sich um eine psychische Erkrankung. | |
|
|
OGH 27. 2. 2001, 1 Ob 251/oov: Fremdgefährdung liegt
auch vor, wenn ein selbstmordgefährdeter, aggresiver Mann Rettungspersonal
mit dem Umbringen bedroht | |
|
„(1) Eine Person, bei
der die Voraussetzungen der Unterbringung vorliegen, darf auf eigenes
Verlangen untergebracht werden, wenn sie den Grund und die Bedeutung
der Unterbringung einzusehen und ihren Willen nach dieser Einsicht
zu bestimmen vermag. | §
4: Unterbringung auf Verlangen |
(2) Das Verlangen muss vor der Aufnahme eigenhändig schriftlich
gestellt werden. Dies hat in Gegenwart des mit der Führung der Abteilung
betrauten Arztes oder seines Vertreters (im folgenden Abteilungsleiter)
sowie eines weiteren Facharztes für Psychiatrie und Neurologie oder
für Neurologie und Psychiatrie (im folgenden Facharzt) zu geschehen. | |
(3) Das Verlangen kann jederzeit, auch schlüssig, widerrufen
werden. Auf dieses Recht hat der Abteilungsleiter den Aufnahmewerber
vor der Aufnahme hinzuweisen. Ein Verzicht auf das Recht des Widerrufs
ist unwirksam.” | |
Sachwalterschaft|Regelt die Unterbringung unter
Sachwalterschaft stehender Personen. | |
„Die Unterbringung auf Verlangen darf nur sechs
Wochen, auf erneutes Verlangen aber insgesamt längstens
zehn Wochen dauern; für das erneute Verlangen gelten die §§ 3 bis
6 sinngemäß. Eine Verlängerung der Unterbringung über diese Frist
hinaus ist nicht zulässig.” | |
„Eine Person
darf gegen oder ohne ihren Willen nur dann in eine Anstalt gebracht
werden, wenn ein im öffentlichen Sanitätsdienst stehender Arzt oder
ein Polizeiarzt sie untersucht und bescheinigt, dass die Voraussetzungen
der Unterbringung vorliegen. In der Bescheinigung sind im einzelnen
die Gründe anzuführen, aus denen der Arzt die Voraussetzungen der
Unterbringung für gegeben erachtet.” | |
|
OGH, 1 Ob 251/00v 27. 2. 2001.
In der gem. § 8 UbG zu erstellenden Bescheinigung ist unbedingt
zu erörtern, ob und welche Alternativen zur Unterbringung bestünden”. | |
|
|
VwGH 8. 8. 2002, 99/11/0327, RdM 2002/50:
Unterbringung ohne Verlangen – Fesseln durch Sicherheitskräfte zulässig?
Das Anlegen von Handschellen durch Sicherheitskräfte im Rahmen einer
Amtshandlung ist nur gerechtfertigt, wenn sie „unbedingt” erforderlich
ist; mwH. | |
|
„(1) Zur Besorgung der nach diesem Bundesgesetz
dem Gericht übertragenen Aufgaben ist das Bezirksgericht zuständig,
in dessen Sprengel die Anstalt liegt. Dies gilt auch bei Kranken,
hinsichtlich deren ein Pflegschaftsverfahren bei einem anderen Gericht
anhängig ist. | § 12: Zuständigkeit des Gerichtes
und Verfahren |
(2) Das Gericht entscheidet im Verfahren außer Streitsachen.” | |
Zur
Vertretung des Kranken werden Patientenanwälte bestellt. | |
|
EvBl 2000/96: §§ 14 Abs 1 und 33
ff UbG – Umfang der Vertretungsbefugnis des Patientenanwalts: Der
Patientenanwalt ist bei der Unterbringung ohne Verlangen nicht auf
die Wahrnehmung der Rechte nach den §§ 33 bis 39 UbG beschränkt.
Seine Vertretungsbefugnis umfasst auch andere subjektive Rechte, die
dem Kranken nach sonstigen Bestimmungen zustehen (zB Grundrechte).
Die Vertretungsbefugnis ist aber auch auf die Wahrnehmung solcher
Rechte zu beschränken, die mit der Unterbringung in einem unmittelbaren
und typischen Zusammenhang stehen. | |
|
Über
den Begriff Patientenanwaltschaft herrscht – woran
der Bundes- und einzelne Landesgesetzgeber nicht unschuldig sind,
Verwirrung. Obwohl das (Bundes)Gesetz diesen Begriff für das UbG
reservierte, wird er regelmäßig mit der Patientenvertretung nach
dem KAKuG und den Ld-KAG vermengt; Überblick: Persönlichkeitsrechte → Persönlichkeitsrechte
– Überblick
| Patientenanwaltschaft |
Darüber hinaus
regelt das UbG zahlreiche weitere Detailfragen, wie: §§ 19, 20 (Anhörung
des Kranken); Verfahrensregeln (§§ 22 ff); § 33 (Beschränkung der
Bewegungsfreiheit); § 34 (Verkehr mit der Außenwelt); §§ 35 ff (ärztliche
Behandlung); § 39 (Einsicht in die Krankengeschichte) etc. | |
| Abbildung 4.22: Alten- und Pflegeheime (1) |
|
| Abbildung 4.23: Alten- und Pflegeheime (2) |
|
| |
Mit der Nov zum UbG 1997 wurde die sog „GES-Kartei”
(Geisteskranken-Kartei), in der bisher ohne gesetzliche Grundlage
polizeiliche Daten über Personen gesammelt wurden, die zwangsweise
in die Psychiatrie gebracht worden waren, erstmals gesetzlich geregelt.
Diese Aufzeichnungen mussten bis Ende 1997 vernichtet werden. | |
Vgl. § 57 Sicherheitspolizeigesetz (SPG): Demnach ist die
Sammlung von Daten über eine Person gestattet, die einen gefährlichen
Angriff begangen hat und zu befürchten ist, sie werde im Falle einer
gegen sie geführten Amtshandlung einen gefährlichen Angriff gegen
Leib und Gesundheit oder Freiheit begehen. Dabei ist eine gerichtliche
Verurteilung ebenso wenig notwendig wie Strafmündigkeit des Betroffenen;
sog „Gefährdungsdatei”. | |
| |
|
Ein eindringliches
Beispiel enthält JBl 1999, 325: Amtshaftung
wegen Entweichenlassens eines gefährlichen Geisteskranken,
der in der Folge zur Wohnung seiner Eltern zurückkehrt und diese
in Brand setzt. | |
|
| |
B. Die
juristische Person |
| |
Die
Bedeutung juristischer Personen in modernen Gesellschaften ist enorm.
Sie liegt nicht nur im Bereich der Wirtschaft, sondern auch im Eröffnen
der Möglichkeit, vielfältige kulturelle Zwecke – man denke nur an
das Vereins- oder Stiftungswesen – durch Personenmehrheiten oder
organisierte Vermögensmassen autonom verfolgen zu können. | Bedeutung |
Der
Entwicklungsweg zur juristischen Person lehrt uns den Gedanken verfolgen,
dass durch diese Rechtsschöpfung das schwache Wollen und Vermögen
des Einzelnen rechtlich gestärkt und an seine Stelle ein potenter/er
Gemeinwille treten soll, der vom schwankenden Einzelwillen und -vermögen
unabhängig ist. Das geht so weit, dass auch der Tod einzelner natürlicher
Personen dem so entwickelten juristischen Gebilde nichts mehr anhaben
kann. Es hat sich auch von seinen Gründern gelöst und führt ein
rechtliches Eigenleben. An die Stelle des individuellen (rechtlichen)
Handelns tritt in der Entwicklung das kollektive (Gemeinwille),
das als Garant von Stärke, Ausdauer und als eine Art von Unsterblichkeit
verstanden werden kann. – Dazu kommt, dass durch das „Abschotten” der
Haftung das Privatvermögen geschützt werden kann; Trennungsprinzip
bei der Schuldenhaftung. | Entwicklung |
Dagegen
spricht nicht die erst sehr junge Umkehrung dieser Entwicklung:
nämlich die Möglichkeit der Einpersonengesellschaft → Einpersonengesellschaft? Tiefenpsychologisch
ist in solchen Zusammenschlüssen sowohl der Versuch zu erkennen, der
Vereinzelung (und der damit oft verbundenen ICH-Schwäche) zu entgehen;
also eine dionysische Tendenz, wie auf der anderen Seite eine appollinische
Tendenz mit dem Ziel aktiver Lebensform und Lebensbeherrschung.
Mit anderen Worten: Die nüchterne Rechtsform der juristischen Person
vereint in ihren konstruktiven Tiefenschichten Elemente von Eros
und Thanatos iS Sigmund Freuds. In der Bildung von rechtlicher
Gemeinschaft und Vereinigung liegt ein Mittel gegen Zerstreuung,
Vereinzelung, Untergang, Auflösung, Schwäche und Tod. | Eros und Thanatos |
| Abbildung 4.24: Ausdifferenzierung der Rechtspersönlichkeit: Von der natürlichen zur juristischen Person |
|
Die theoretische Auseinandersetzung
um die juristische Person ist bis heute nicht zur Ruhe gekommen.
Strittig ist dabei insbesondere die Grenzziehung zwischen (voll
entwickelter) juristischer Person und rechtlichen Gebilden, denen
eine eigene Rechtsfähigkeit (bislang) fehlt (insbesondere OHG und
KG, aber auch GesbR → KAPITEL 12: Die Gesellschaft
bürgerlichen Rechts),
die aber doch schon manches können, was sonst nur juristische Personen
vermögen. Man nennt sie daher auch quasijuristische Personen. Sie
sind teilrechtsfähig; vgl § 124 HGB: OHG. Vgl nunmehr auch die sog
Erwerbsgesellschaften: OEG und KEG. | Theoretische
Auseinandersetzung |
| |
1. Zur Entwicklungsgeschichte | |
Die Einsicht, dass
nicht nur natürliche, sondern auch juristische Personen eine eigene
volle Rechtspersönlichkeit – nach dem Vorbild der natürlichen Person
– besitzen, ist alt, bereitete der Rechtswissenschaft aber noch
im 19. Jhd und später (in vielen Einzelfragen) Probleme; vgl aber
schon § 26 ABGB. – Erklärungsversuche waren lange zu umständlich
und schwerfällig. Dabei hat es derartige Rechtsgebilde früh gegeben,
zumal der öffentliche Zusammenschluss von Menschen nach einer solchen
Rechtsform verlangte (Staatsentstehung) und auch der Haus- oder
Sippenverband derart organisiert war. | |
| |
Zu den ältesten selbständigen
Rechtsgebilden dieser Art zählten die Verwandtschaftsverbände, Dörfer,
Städte / Polis (in Griechenland) und schließlich auch der Staat.
– Man sprach ihnen die Fähigkeit zu, Verträge zu schließen, Eigentum
zu erwerben und die Gerichte anzurufen. Das Vorbild für die Rechtsfähigkeit
juristischer Verbindungen aller Art war aber allemal der Mensch, die
natürliche Person; vgl § 26 ABGB. – Schwierigkeiten bereitete das
juristische Ausdifferenzieren des Gebildes juristische Person. Schritte
zum heutigen Verständnis waren folgende „Theorien”: | |
Die Theorie
der fingierten Rechtsperson (Fiktionstheorie): Danach fingiert
das Recht bloß die Rechtsfähigkeit der juristischen Person, behandelt
diese nur so wie eine natürliche Person, ohne sie dieser aber grundsätzlich
gleichzustellen. – Kurz: Man tut rechtlich nur so, als besitze die
juristische Person eigene Rechtspersönlichkeit. Diese Theorie, die
auf Innozenz III (Papst von 1198-1216) zurückgeht, wurde noch im
19. Jhd vertreten und C.F.v. Savigny (1779-1861) und G.F. Puchta
(1798-1846) tragen sie „ganz unbefangen” vor; vgl Eugen Ehrlich. | |
Nach G.W.F. Hegel (1770-1831)
ist der Staat „ein Abstractum, der seine selbst nur allgemeine Realität
in den Bürgern hat, aber er ist wirklich …”; Vorlesungen über die
Philosophie der Geschichte 92 (Reclam UB 4881, 1997). Man kann von
einer Repräsentantentheorie Hegels sprechen. Rechtlich
besteht danach aber kein Zweifel, dass der Staat (und seine Erscheinungsformen)
eine juristische Person des öffentlichen Rechts ist. | Hegel |
Theorie
des subjektlosen Zweckvermögens (Brinz: 1820-1887): Brinz deckte
die (bis dahin nicht bewusste) Fiktion auf, meinte aber, es sei
nicht nötig, dass ein (Rechts)Subjekt als Träger des Vermögens vorhanden
sei. Das Vermögen werde nicht durch die Rechtsperson, sondern einen
bestimmten „Zweck” zusammengehalten. So gehöre das Vermögen einer
Gemeinde nicht einem oder mehreren Menschen, sondern es gehöre niemandem,
werde aber durch seinen Zweck, dem es gewidmet sei, zusammengehalten. | Brinz |
Auf
Brinz folgt die Interessentheorie Rudolph v. Iherings (1818-1892):
Recht ist für Ihering das durch Klage geschützte (wirtschaftliche)
Interesse. Rechtssubjekt sei der, dem ein subjektives Recht zustehe.
Bei der juristischen Person meinte Ihering nicht, diese selbst sei
Rechtssubjekt, sondern die Menschen, denen das Vermögen der juristischen
Person gehöre und denen sie Vorteile bringe. Seine Lehre wird daher
auch als Genießertheorie bezeichnet, weil er meinte
die eigentlichen Rechtsträger seien die Mitglieder, die Genießer
der juristischen Person. | Ihering |
Schließlich
formuliert Otto v. Gierke (1841-1921) die germanistische Theorie
der realen Verbandsperson: Für Gierke sind das Rechtssubjekt
bei juristischen Personen nicht die einzelnen Menschen, sondern
Menschengruppen, soziale Organismen, sei es eine Stadt, eine Gemeinde,
der Staat oder Vereine. Die ältesten Rechtspersonen dieser Art seien
Familie und Sippe. Er betont aber bereits, dass die juristische
Person „wirkliche Person” mit eigenem Willen sei und soziale Realität
besitze. | Gierke |
Die
Synthese Eugen Ehrlichs (1862-1922): „Alle vier
[Theorien] haben recht. Jede von ihnen hat eine bestimmte Seite
beleuchtet, blieb aber einseitig.” – Ehrlich betont neben der eigenen
Rechtspersönlichkeit der juristischen Person (wie wir sie noch heute
verstehen), dass es darum gehe, das Vermögen der juristischen Person
seinem Zwecke nicht zu entfremden; dies entspricht der aus dem angloamerikanischen
Recht stammenden ultra vires-Lehre, wonach Organe
juristischer Personen die juristische Person nur dann gültig verpflichten
können, wenn sie korrekt, also statutengemäß handeln; dazu mehr
bei Gschnitzer, AT2 291. | Ehrlich |
Heute
betrachten wir folgende Kriterien als Kennzeichen
einer (vollausgereiften) juristischen Person: | Moderne Kriterien |
• Die Fähigkeit selbständiger
(gemeinsamer) Interessenverfolgung
→ Juristische
Person: Mittel zweckmäßiger Interessenverfolgung
| |
• Das Vorhandensein von Organen (→ Die
juristische Person handelt durch Organe ),
und zwar solcher | |
•
Schließlich
das Trennungsprinzip bei der (Schulden)Haftung → Haftung und → Haftungsfreistellung
der Mitglieder
| |
2. Gleichstellung
mit natürlichen Personen | |
Wir haben gehört,
dass der Mensch als Rechtsperson Träger von Rechten und Pflichten
ist. – Neben dem Menschen, der natürlichenPerson,
gibt es aber noch eine andere Erscheinungsform der Rechtsperson,
die ebenfalls Träger von Rechten und Pflichten, also rechtsfähig
ist: die juristische Person, die früher auch als moralische Person
bezeichnet wurde. Dieser juristischen Person weist die Rechtsordnung,
konkret § 26 ABGB, idR „gleiche Rechte mit den einzelnen
Personen”, also natürlichen Personen, zu. „IdR” meint:
Die rechtliche Gleichstellung von natürlichen und juristischen Personen
ist eine weitgehende, wo immer sinnvolle, wenn auch keine vollständige. | |
Das liegt in der Natur der Sache:
Denn juristische Personen können bspw nicht Träger von Familienrechten
sein und sie können weder im natürlichen Sinne sterben (Tod), noch
etwas (aktiv) vererben, wohl aber (passiv) erben. Die Auflösung
einer juristischen Person wird aber wie der Tod einer physischen
Person behandelt (GH 1930, 231). Wie weit auf der anderen Seite
die Gleichstellung geht, zeigt etwa der Umstand, dass auch juristischen
Personen Persönlichkeitsrechte (§ 16 ABGB) zustehen; so haben ein
Verein oder eine GmbH zB eine (wirtschaftliche) Ehre, die sie gegen
unberechtigte Angriffe verteidigen können; § 1330 ABGB → KAPITEL 10: Zivilrechtlicher
Schutz der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes:
§ 1330 ABGB.
Auch ihr Name (Firma: §§ 17 ff HGB) ist geschützt und sie sind uU
Träger von Urheber(persönlichkeits)-, Patent- oder Markenrechten.
Soweit nötig steht juristischen Personen auch der verfassungsrechtliche
Grundrechtsschutz zu; zB Gleichheit vor dem Gesetz oder Unverletzlichkeit
des Eigentums → Grundrechte
und Privatrecht
| Juristische
Personen
als Rechts-Träger |
3. Wie entstehen
juristische Personen? | |
Nicht
alle juristischen Personen entstehen auf die gleiche Weise. Juristische
Personen des öffentlichen Rechts entstehen durch Gesetz oder Verordnung,
bei juristischen Personen des Privatrechts sind zwei Rechtsakte
zu unterscheiden: | Zwei Rechtsakte |
• Ein privatrechtlicher
(Gründungs)Akt; etwa der Gesellschaftsvertrag bei einer
Gesellschaftsgründung oder die „Gründungsvereinbarung nach dem neuen
VereinsG (§ 2 Abs 1); und | |
•
ein öffentlichrechtlicher Anerkennungsakt. | |
Auf diesen öffentlichrechtlichen Anerkennungsakt gelangen
– je nach Art der juristischen Person – folgende Gründungssysteme zur
Anwendung gelangen: | Gründungssysteme |
•
Das Konzessionssystem:
Die Entstehung der juristischen Person ist an eine konstitutive,
also rechtsbegründende behördliche Genehmigung gebunden. Hier besteht
kein Anspruch auf Verleihung der Rechtsfähigkeit. – Dieses System
fand bis Ende 1999 Anwendung auf sog Wirtschaftsvereine, also solche,
die auf Gewinn gerichtet waren; Beispiel: Vereinspatent
1852. | |
Vgl
dazu § 2 VereinsG 1951: „Vereine und Gesellschaften,
welche auf Gewinn berechnet sind, dann alle Vereine für Bank- und
Kreditgeschäfte sowie Versicherungsvereine auf Gegenseitigkeit,
Sparkassen und Pfandleihanstalten sind von der Wirksamkeit dieses
Gesetzes ausgenommen und unterliegen den besonderen für sie bestehenden
Gesetzen.” – Zu diesen Sondergesetzen neben dem Vereinspatent 1852
gehören etwa das AktienG 1965 (BGBl 98) oder für politische Parteien
das ParteienG 1975 (BGBl 404): § 1 ParteienG sichert durch eine
Verfassungsbestimmung die Freiheit der Gründung von und die Beteiligung
an politischen Parteien. Die Rechtsfähigkeit einer politischen Partei entsteht
mit Hinterlegung der Satzung beim BMfJ; § 1 Abs 4 ParteienG. – So
ist wohl auch das Entstehen von Vereinen zu verstehen: Erwerb der
Rechtsfähigkeit mit Hinterlegung der Bildungsanzeige und einem ab
diesem Zeitpunkt bestehendem Untersagungsrecht des Staates. | |
•
Das Normativsystem:
Die beabsichtigte Gründung (einer juristischen Person) muss hier
angezeigt werden. Sind aber die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt,
besteht ein Rechtsanspruch auf Zuerkennung der Rechtspersönlichkeit.
Auch hier ist der staatliche Gründungsakt konstitutiv,
dh die juristische Person erlangt erst durch ihn Rechtspersönlichkeit.
– Anwendung findet das Normativsystem auf: Kapitalgesellschaften,
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften. Sie erlangen heute Rechtspersönlichkeit
durch Eintragung ins Firmenbuch. | |
| |
•
Das Anzeige- oder Anmeldesystem:
Es gilt für sog ideelle, d.s. nicht auf Gewinn gerichtete, Vereine.
Rechtsgrundlage ist nunmehr das VereinsG 2002.
Inhaltlich liegt das Anmeldesystem zwischen dem Normativsystem und
dem System freier Bildung juristischer Personen. – Das Gesetz schreibt
vor, was in den Statuten zu regeln ist. Es genügt derzeit, dass
gewisse Mindesterfordernisse geregelt werden. Das „Wie” bleibt den
Gründern überlassen. Behördliche Anmeldung des Gründungsaktes ist
aber erforderlich. Die (Vereins)Behörde nach § 13 Abs 1 VereinsG innerhalb
von 4 (längstens 6) Wochen die Vereinsbildung untersagen, wenn der
Vereinszweck oder die Vereinseinrichtungen gesetz- oder rechtswidrig
sind; zB staatsfeindliche Tätigkeit. – Bei Nichtvorliegen einer
Gesetz- oder Sittenwidrigkeit kann die Behörde vor Ablauf der 4
(6) Wochenfrist den Verein auch ausdrücklich zur Aufnahme seiner
Tätigkeit auffordern; § 13 Abs VereinsG. | |
Streitig ist hier, wann die juristische
Person entsteht; schon durch den gültigen privatrechtlichen Gründungsakt
oder erst durch den öffentlichrechtlichen Anerkennungsakt? – Sinnvollerweise
ist davon auszugehen, dass der positive öffentlichrechtliche Anerkennungsakt
den privatrechtlichen Gründungsakt rückwirkend bestätigt oder versagt. | |
| |
•
System der freien Bildung juristischer
Personen: Danach entsteht die juristische Person nicht durch
einen öffentlichrechtlichen Akt, sondern ausschließlich durch privatrechtlichen
Gründungsakt. In Österreich gelangt dieses System bislang nicht
zur Anwendung; str. – Realistisch sollte anerkannt werden, dass
ein staatliches Kontroll- und Untersagungsrecht bestehen muss. | |
4. Selbständige
rechtliche Existenz | |
Die juristische
Person besitzt Rechtsfähigkeit und führt eine selbständige rechtliche
Existenz; sie ist eine eigene Rechtsperson mit
eigenen Rechten (zB der X-Verein ist grundbücherlicher Eigentümer
der Liegenschaft Y) und Pflichten (zB Schulden) und von den natürlichen
Personen, die ihr angehören (zB Vereinsmitgliedern) oder die für
sie handeln (Organe), rechtlich unabhängig. | |
Dies zeigt sich
deutlich daran, dass die juristische Person fortbesteht, auch wenn
die ihr angehörenden natürlichen Personen – zB die Vereinsmitglieder
oder GmbH-Gesellschafter – wechseln. Bei einem „normalen” Verein
treten neue Mitglieder bei, andere scheiden – aus welchen Gründen
auch immer – aus. Von diesem (personellen) Wechsel bleibt die juristische
Person unberührt, was zeigt, dass sie im Vergleich zu einem unorganisierten
und rechtlich nicht koordinierten Zusammenwirken von Einzelpersonen
eine deutlich höhere Bestandskraft erlangt. – Man sagt, die juristische
Person sei auf Dauer angelegt, wozu ihre Organisation
beiträgt. | |
| |
Die Universitäten waren
in Österreich bislang keine voll ausgebildeten juristischen Personen,
besaßen aber als unselbständige Anstalten Teilrechtsfähigkeit.
Das hat sich mit dem UG 2002, BGBl I 120 geändert; sog Vollrechtsfähigkeit.
Als juristische Personen des öffentlichen Rechts sind
sie nunmehr voll geschäftsfähig und können alle Arten von Verträgen
schließen sowie Vereine, Stiftungen oder Gesellschaften gründen.
Neu geregelt hat das UG 2002 auch die Rahmenbedingungen für Vereinbarungen
der Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit. | Universitäten |
Die Vereinsgründung ist
zivilrechtlich ein Vertrag; freilich nicht nur
ein zweiseitiges, sondern idR ein mehrseitiges Rechtsgeschäft; dazu → KAPITEL 5: Einteilung
nach ihrer Entstehung.
Das gilt auch für die Gründung einer GmbH oder AG; vgl § 26 Satz
1 ABGB: „Die Rechte der Mitglieder einer erlaubten Gesellschaft
unter sich werden durch den Vertrag ... bestimmt.” | Vereinsgründung |
| Abbildung 4.25: Privatrechtliche Gesellschaftsformen |
|
| |
Wir
müssen die juristische Person strikt von den Menschen trennen, die
ihr angehören; ihren Mitgliedern und Organen. Das ist für die Frage
der Haftung von größter Bedeutung: Für Verbindlichkeiten / Schulden
der juristischen Person haftet nämlich grundsätzlich nurdie
juristische Person und nicht etwa auch die natürlichen Personen,
die ihr angehören; zB die Vereinsmitglieder, Aktionäre, GmbH-Gesellschafter
oder ihre Organe. – Das bereitet immer wieder Verständnisschwierigkeiten. | |
Vgl
nunmehr § 24 VereinsG 2002: „(1) Verletzt ein Mitglied
eines Vereinsorgans unter Missachtung der Sorgfalt eines
ordentlichen und gewissenhaften Organwalters seine gesetzlichen
oder statutarischen Pflichten oder rechtmäßige Beschlüsse eines
zuständigen Vereinsorgans, so haftet es dem Verein für den daraus
entstandenen Schaden nach den §§ 1293 ff ABGB; dies gilt sinngemäß
auch für Rechnungsprüfer. Bei der Beurteilung des
Sorgfaltsmaßstabs ist eine Unentgeltlichkeit der Tätigkeit zu berücksichtigen.
Vereinsmitglieder sind in ihrer Eigenschaft als Teilnehmer der Mitgliederversammlung
keine Organwalter. | |
(2) Organwalter können insbesondere schadenersatzpflichtig
werden, wenn sie schuldhaft 1. Vereinsvermögen zweckwidrig verwendet,
2. Vereinsvorhaben ohne ausreichende finanzielle Sicherung in Angriff
genommen, 3. ihre Verpflichtungen betreffend das Finanz- und Rechnungswesen
des Vereins missachtet, 4. die Eröffnung des Konkursverfahrens über
das Vereinsvermögen nicht rechtzeitig beantragt, 5. im Fall der
Auflösung des Vereins dessen Abwicklung behindert oder vereitelt
oder 6. ein Verhalten, das Schadenersatzpflichten des Vereins gegenüber Vereinsmitgliedern
oder Dritten ausgelöst hat, gesetzt haben. | |
(3) Die Ersatzpflicht tritt nicht ein, wenn die Handlung
auf einem seinem Inhalt nach gesetzmäßigen und ordnungsgemäß zustande
gekommenen Beschluss eines zur Entscheidung statutengemäß zuständigen
Vereinsorgans beruht. Die Ersatzpflicht entfällt jedoch nicht, wenn
der Organwalter dieses Vereinsorgan irregeführt hat. | |
(4) Für Rechnungsprüfer gelten die Haftungshöchstgrenzen
des § 275 Abs. 2 HGB sinngemäß.” | |
Als Faustregel lässt
sich festhalten: Die Schulden der juristischen Person sind nicht
die Schulden ihrer Mitglieder und (!) – umgekehrt – die Schulden
ihrer Mitglieder sind (erst recht) nicht die Schulden der juristischen
Person. | Faustregel |
Vgl schon das römische Recht: Ulpian D. 3, 4,
7, 1: Si quid universitati debetur, singulis non debetur: nec quod
debet universitas singuli debent. | |
| |
6. Die
juristische Person handelt durch Organe | |
Eines unterscheidet
die juristische Person grundlegend von der natürlichen Person: sie
kann für sich selbst nicht handeln, weil sie – trotz ihres realen
rechtlichen Daseins – dennoch bloß ein rechtliches Kunstgebilde
ist, dem zunächst nur eine „papieren-rechtliche” Existenz zukommt. | |
Aber
auch in diesem Punkt lassen sich Parallelen zur natürlichen
Person feststellen. Auch natürliche Personen können trotz
ab der Geburt verliehener Rechtsfähigkeit zB erst ab einem gewissen
Alter rechtlich selbständig gültig handeln; Altersstufen der Geschäftsfähigkeit.
Bis dorthin handeln zB die Eltern oder die Mutter (kurz: der gesetzliche
Vertreter) für das Kind oder müssen doch für gewisse Geschäfte ihre
Zustimmung geben. Die natürliche Person ist zwar von Geburt an rechtsfähig,
aber noch nicht handlungsfähig. Bei juristischen Personen bleibt
„dieser” – für natürliche Personen transitorische – Zustand gleichsam
bestehen. | Parallelen zur natürlichen Person |
Man sagt – und das ist für das Verständnis unserer Rechtsfigur
von Bedeutung – die juristische Person handle durch ihre Organe. | |
Organe bestehen aus einer oder mehreren (natürlichen!) Person/en,
die kraft Satzung oder Statut der juristischen Person für diese
handeln und sie durch ihr Handeln (unmittelbar) berechtigen und/oder
verpflichten können. | |
Organe juristischer Personen haben bestimmte Aufgaben wahrzunehmen;
zB prüfen die Rechnungsprüfer des Vereins die Vereinsgebarung,
der Vorstand (nach neuer Diktion = Leitungsorgan)
leitet den Verein. – Dieses Handeln der Organe hat zur Folge, dass
die Rechtsfolgen unmittelbar und direkt die juristische Person selbst
treffen und nicht etwa das handelnde Organ (etwa den Geschäftsführer
einer GmbH) oder sonst jemanden; etwa gar ein einfaches Vereinsmitglied. | |
| |
Juristische Personen entwickeln also ein dem Menschen vergleichbares
Eigenleben, das „bewusste” wie „unbewusste” Seiten besitzt. | |
| |
Mitglieder juristischer Personen können
sowohl natürliche wie juristische Personen (!)
sein; das ist nicht mit der Organbestellung zu verwechseln! – Ist
eine juristische Person aber Mitglied einer anderen juristischen
Person, kann sie in dieser (als juristischer Person) keine Organrolle
übernehmen. | |
| |
| Abbildung 4.26: Organtypen juristischer Personen |
|
Die Organe juristischer Personen
weisen – bei unterschiedlicher Bezeichnung in den einzelnen Gesetzen
(VereinsG 1951, GmbHG 1906, AktG 1965, GenG 1873, PSG 1993) – typologisch
eine Dreiteilung auf, wobei dem jeweiligen Organtypus
unterschiedliche Aufgaben / Kompetenzen zugewiesen sind. Wir unterscheiden: | Organtypen und
Organaufgaben |
Ein Leitungsorgan (zB
Vereinsvorstand, Vereinsobmann; GeschäftsführerIn einer GmbH; Vorstand
einer AG oder Genossenschaft). | |
Kompetenz:
Geschäftsführung (nach innen) + Vertretung (nach außen). | |
| |
Das
Leitungsorgan muss nunmehr nach § 5 Abs 3 VereinsG aus mindestens
zwei natürlichen Personen bestehen. Man spricht dann von Kollektivorgan
und Kollektivvertretung. | |
Nach § 17 Abs 3 PSG
„ ... sind sämtliche Mitglieder des Stiftungsvorstands nur gemeinschaftlich
zur Abgabe von Willenserklärungen und zur Zeichnung
für Privatstiftungen befugt.” Vgl auch § 18 Abs 2 GmbHG – Zur Abgabe von Willenserklärungen
gegenüber juristischen Personen genügt es idR, dass diese
– bei Kollektivvertretung – gegenüber einem Mitglied (zB des Vorstands)
abgegeben werden; so ausdrücklich § 17 Abs 3 Satz 3 PSG. | |
•
Ein Kontrollorgan (zB
Rechnungsprüfer des Vereins; Aufsichtsrat einer GmbH, AG und Genossenschaft). | |
Kompetenz: Kontrolle, Überprüfung der gesamten Tätigkeit
des Leitungsorgans. | |
•
Und ein Basisorgan,
dem sämtliche Mitglieder / Gesellschafter / Aktionäre einer juristischen Person
angehören; beim Verein die Mitgliederversammlung, bei der GmbH die
Generalversammlung, bei der AG die Hauptversammlung der Aktionäre. | |
Kompetenz: Bestellung der anderen Organe. | |
Daneben gibt es bei einzelnen juristischen Personen
noch Sonderorgane, wie beim Verein das „Vereins-Schiedsgericht”. | |
Die Organbestellung
erfolgt typischerweise von unten nach oben;
dh bspw: | |
• Beim Verein (→ Der
Verein)
wählt das Basisorgan (= Mitgliederversammlung) die anderen Vereinsorgane;
also den/die Vorstand(smitglieder) und ein allfälliges Aufsichtsorgan
sowie die Rechnungsprüfer; Schiedsgericht je nach Statutenregelung. | |
•
Bei
der GmbH bestellt die Generalversammlung den /
die Geschäftsführer/in und kann diese auch jederzeit abberufen sowie
(bindende) Weisungen erteilen. – Auch die Wahl, Entsendung und Abberufung
von Aufsichtsratsmitgliedern erfolgt – allerdings nur zu 2/3 der
Mitglieder – durch Gesellschafterbeschluss, 1/3 der Mitglieder wird
vom Betriebsrat entsandt; Arbeitnehmervertreter. Die Wahl eines/r
Aufsichtsratsvorsitzenden (samt Vertretern) erfolgt entweder durch
die Generalversammlung oder den Aufsichtsrat selbst. – Die Bestellung
eines Aufsichtsrates bei der GmbH ist nicht obligatorisch, sondern
hängt von ihrer „Größe” ab; § 29 GmbHG. | |
Die betriebliche Mitbestimmung –
geregelt im ArbeitsverfassungsG 1974 – wird vielfach noch nicht
richtig verstanden und daher zu wenig geschätzt und genützt. Sie
gehört daher adaptiert und ausgebaut. | |
| Abbildung 4.27: Organbestellung bei juristischen Personen |
|
Diese Unterscheidung meint: | Selbstorganschaft
– Fremdorganschaft |
• Von Selbstorganschaft wird
gesprochen, wenn die jeweilige juristische (oder quasijuristische) Person
ihre Organe mit Mitgliedern aus ihrer Mitte bestellt. Das ist typisch
für Vereine. | |
• Bei Kapitalgesellschaften dagegen kommt häufig
die Fremd- oder Drittorganschaft vor;
dh: Nichtgesellschafter werden zu Organträgern bestellt. Die Kapitalgesellschaft
holt sich auf diese Weise (best)qualifiziertes Personal zur Verfolgung
ihrer Zwecke. | |
7. Zur
Rechts- und Handlungsfähigkeit | |
Juristische Personen
sind rechtsfähig – dh sie selbst sind Träger eigener
Rechte und Pflichten. Sie sind aber auch handlungsfähig (also
geschäfts- und deliktsfähig); dh sie können durch „eigenes” Handeln
Rechte und Pflichten erwerben, aber auch zivilrechtliche Delikte
begehen! Juristische Personen können auch Besitz erwerben
und ersitzen → KAPITEL 13: Die
Ersitzung. | |
Verliehen wird die Rechtsfähigkeit juristischen
Personen von der Rechtsordnung; vgl § 26 ABGB, der zwischen „erlaubten”
und „unerlaubten” Gesellschaften unterscheidet und unerlaubten Gesellschaften
(zB solchen die „offenbar der [Staats]Sicherheit, öffentlichen Ordnung
oder den guten Sitten widerstreiten”) die Rechtsfähigkeit abspricht: | §
26 ABGB |
„Unerlaubte Gesellschaften haben als solche
keine Rechte, weder gegen die Mitglieder, noch gegen andere, und
sie sind unfähig, Rechte zu erwerben.” | |
| |
§ 879 ABGB Das
ABGB von 1811 erwähnte die Sittenwidrigkeit nur in § 26. § 879 ABGB
aF führte nur beispielhaft ungültige Verträge und Abs 2 des § 879
wurde erst durch die III. TN (1916) eingefügt. | |
Gewerbeberechtigung
Nach § 9 GewO können juristische Personen ein Gewerbe ausüben.
Sie müssen jedoch einen „Geschäftsführer oder Pächter”
bestellen. – § 11 Abs 1 GewO: | Gewerbeberechtigung |
„Die Gewerbeberechtigung einer juristischen
Person endigt, wenn die juristische Person untergeht.” | |
| |
Nicht alle Rechtsgebilde,
zu denen sich (mehrere) Menschen zusammenschließen, sind juristische Personen.
Manchen dieser Gebilde fehlt die (eigene) Rechtsfähigkeit,
was zur Folge hat, dass nicht dieses Gebilde selbst zum Träger von
Rechten und Pflichten wird, sondern es nur die einzelnen zusammenwirkenden
natürlichen Personen sind. – Beispiele für solche Gebilde, denen keine
eigene oder doch nach hA keine voll entwickelte Rechtspersönlichkeit
zukommt, sind: | Nicht
jede „Gesellschaft” ist eine juristische Person |
•
Die Gesellschaft
bürgerlichen Rechts / GesbR (§§ 1175 ff ABGB) und als Beispiel
für sie die ARGE (Arbeitsgemeinschaft) → KAPITEL 12: Die Gesellschaft
bürgerlichen Rechts. | ARGE |
| |
|
EvBl 2000/84 – lässt es mittlerweile
aber zu, dass zwischen dem Gesellschafter einer GesbR und
der Gesellschaft ein Bestandvertrag zustande
kommt; und der dtBGH gewährte dieser Rechtsform aus Praktikabilitätsgründen
sogar Prozessfähigkeit: BGH
II ZR 331/00, 29.1.2001. | |
|
|
Zur Erstreckung
der Deliktshaftung auf die GesbR durch den OGH → Auch
Personengesellschaften haften: EvBl 2000/84. | |
|
•
OHG / Offene Handelsgesellschaft:
§§ 105 ff HGB; | OHG,
KG etc |
•
KG / Kommanditgesellschaft:
§§ 161 ff HGB; | |
•
die Stille Gesellschaft (§§
178 ff HGB) oder | |
•
die Erwerbsgesellschaften nach
dem ErwerbsgesellschaftenG (EGG) 1990, nämlich O(ffene)EG und K(ommandit)EG.
– § 3 Abs 1 ÄrzteG 1998 (BGBl I 169) bestimmt nunmehr in seiner
novellierten Fassung, dass die selbständige Ausübung des ärztlichen
Berufs auch in der Rechtsform der Gruppenpraxis als
eingetragene Erwerbsgesellschaft zulässig ist. | |
Die Personengesellschaften (insbesondere OHG
und KG) werden als Quasi-juristische Personen bezeichnet,
weil sie kraft besonderer gesetzlicher Anordnung (§ 124 HGB) rechtlich
schon „sehr viel können”, was sonst eigentlich nur juristische Personen
können, in der Haftung aber das Trennungsprinzip nicht (voll) verwirklicht
haben. | Quasi-juristische
Personen |
Für das Handeln von Personen(handels)gesellschaften
gilt der Grundsatz der Einstimmigkeit, doch kann der Gesellschaftsvertrag
auch Mehrheitsentscheidungen zulassen, wobei die „Mehrheit” grundsätzlich
nach Köpfen, aber auch nach Kapitalanteilen berechnet werden kann;
auch andere Verteilungsschlüssel sind erlaubt. (Beachte den Unterschied
zum Mit- und Wohnungseigentum, wo die Mehrheit nach rechnerischen
Anteilen bestimmt wird! → KAPITEL 8: Eigentumsformen und → KAPITEL 8: Wohnungseigentum:
WEG 2002)
– Die Höhe des Kapitalanteils bestimmt demnach nicht unbedingt die
tatsächliche Verfügungsmacht in einer Personengesellschaft, zumal
die Herrschaftsrechte bei personalistisch organisierten Handelsgesellschaften
durch Gesellschaftsvertrag frei gestaltet werden können. Das Know-How
einer Person kann höher bewertet werden, als ihre Kapitaleinlage. | Handeln
von
Personengesellschaften |
Das Gesellschaftsvermögen von Personenhandelsgesellschaften,
also insbesondere von OHG und KG, steht – heute unbestritten – im Gesamthandeigentum ( → KAPITEL 8: Gesamt(hand)eigentum)
aller Gesellschafter; Art 7 Nr 9 EVHGB spricht von „gemeinschaftlichem
Vermögen”. Dieses Vermögen wird den Gesellschaftern als Sondervermögen derart
zugeordnet, dass diese nur gemeinsam darüber verfügen können. Der
einzelne Gesellschafter kann also nicht wie bei ideellem Miteigentum
( → KAPITEL 8: Schlichtes
oder ideelles Miteigentum) allein über seinen Anteil / Bruchteil
verfügen und kann insbesondere nicht Teilung verlangen; Art 7 Nr
10 EVHGB. Während früher sogar bestritten wurde, dass es Anteile am
Gesellschaftsvermögen von Personenhandelsgesellschaften gibt, unterscheidet
man heute zwischen: – Anteil(en) am Gesellschaftsvermögen als Ganzem
und – Anteil(en) an einzelnen Gegenständen des Gesellschaftsvermögens; vgl
Art 7 Nr 10 Abs 1 EVHGB. – Der einzelne Gesellschafter ist also
gesamthänderischer Miteigentümer der Sachen, Mitgläubiger der (Gesellschafts)Forderungen
und Mitinhaber sonstiger Rechte des Gesellschaftsvermögens. – Einem
ausscheidenden Gesamthänder verbleibt nur ein schuldrechtlicher
Abfindungsanspruch. | |
| Geschäftsfähigkeit
von Gemeinden |
| Abbildung 4.28: Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: § 867 ABGB |
|
Der sog ruhende
Nachlass / die Verlassenschaft / hereditas iacens (also
das Vermögen Verstorbener vom Tod bis zur Einantwortung) wird nach
hA als eine Art juristische Person angesehen; freilich nur als transitorische,
also zeitlich begrenzte, da mit Einantwortung (gerichtliche Einweisung
ins Erbe → KAPITEL 17: Einweisung
in die Erbschaft ¿ Das Verlassenschaftsverfahren ) der Nachlass ins Eigentum des/der Erben
übergeht; vgl GlUNF 6774 (1914) oder EvBl 1960/350. | |
Ähnliches
gilt für das sog Sammelvermögen; vgl Ehrenzweig
I/12, 200. Insgesamt erscheint aber manche der
hier anstehenden Fragen noch nicht voll durchdacht. – Eine gesetzliche
Regelung erschiene wegen der praktischen Bedeutung dieses Bereichs
wünschenswert. | |
Bei Sammlungen aller Art (sei
es von Gütern / Sachen und insbesondere Geld) stellt sich immer
wieder die Frage: „Gehört” das Gesammelte (anteilig) noch den Spendern?
(Wohl kaum! Und oft lässt sich gar nicht mehr feststellen, wer,
wie viel gespendet hat. Eine Lösung in manchen Fällen könnte es
aber sein, bis zur Zweckerreichung noch Miteigentum der
Spender anzunehmen und bis zur sachgemäßen Verwendung
der Spenden eine Mengenvindikation zuzulassen. Bei Einzahlung mit
Erlagschein, Sammellisten oder sonst in nachvollziehbarer Weise
getätigten Spenden, erscheint dies als gangbarer Weg.) Oder gehen
die Spenden gleich ins Vermögen der Sammler über? Das Gesammelte
kann aber wohl idR auch nicht als Privatvermögen der Sammler betrachtet
werden, weshalb es oft vorzuziehen ist, ein selbständiges (zweckgebundenes) Sammelvermögen oder
auch treuhändisches (Gesamthand)Eigentum der Sammler anzunehmen.
– Und was soll gelten, wenn zB der Zweck einer Sammlung – bspw die
Errichtung des geplanten Denkmals oder eine Entwicklungshilfeaktion
– nicht erreicht wird? Gschnitzer (AT1 95)
nimmt in solchen Fällen fiduziarisches / treuhändisches Eigentum
der Sammler mit Zweckbindung an. Das erscheint für manche Fälle
sachgerecht. | |
Schwierigkeiten bereitet bei der Beurteilung des
Sammelvermögens aber uU sein vorübergehender / transitorischer
Charakter, zumal häufig ein dauerhafter Zweck fehlt. Allein
das gilt auch für den ruhenden Nachlass. – Im Zweifel sollte das
Sammelvermögen daher als eine Art – wenn auch nur transitorische
– juristische Person betrachtet werden. (Zu seiner „Erklärung” bietet
sich die „Theorie” des subjektlosen Zweckvermögens von Brinz an → KAPITEL 4: ¿Theorien¿ ).
Bei Verfehlen des Sammlungszwecks wäre daher das Sammelvermögen,
falls (wie regelmäßig) kein Ersatzzweck bestimmt wurde – analog
zum Vereinsrecht (§ 30 bs 2 VereinsG) –
für einen möglichst verwandten oder gemeinnützigen Zweck zu verwenden.
Für allfällige Schulden, die im Zusammenhang mit
der Sammlung stehen, haften die Sammler grundsätzlich persönlich
und anteilig, allenfalls sogar solidarisch; Gschnitzer, aaO und
SZ 8/138 (1926): Haftung der Mitglieder eines Interessentenausschusses
(Kommité) oder SZ 52/109 (1979): Solidarische Haftung der Mitglieder
einer Straßenbau ARGE als GesbR. | |
In Österreich existieren übers Jahr verteilt ca 500 größere
Spendeninitiativen. Auskünfte beim Österreichischen Institut
für Spendenwesen (ÖIS); Internetadresse:
http://www.spendeninstitut.at/.
Das Institut führt eine Statistik, wofür und wieviel die Österreicher
spenden: Kinder, Behinderte, Tiere, Umwelt, Hunger in der Welt etc.
Diskutiert wird die Einführung eines Gütesiegels für Spendenorganisationen,
das es in anderen Ländern schon gibt, um Missbräuche einzuschränken.
– Gespendet und gesammelt wird für einmalige Zwecke (zB Wohltätigkeitsveranstaltungen),
wie in der Form ganzjähriger Aufrufe, die idR von juristischen Personen
getragen werden; zB Caritas oder Aidshilfe. Beispiele für ganzjährige
Spendenaufrufe: ‚Nachbar in Not’ (PSK-KNr 7600111), ‚SOS-Kinderdorf’ (PSK-KNr
2390000), ‚Menschen für Menschen’ (PSK-KNr 7199000), ‚Amnesty International’
(PSK-KNr 1030000), ‚Aidshilfe’ (BA-KNr 24011553400), ‚Volkshilfe
Österreich’ (PSK-KNr 1740400), ‚CARE Österreich’ (PSK-KNr 1236000)
etc. | |
Hinter Sammelaktivitäten stehen häufig juristische
Personen; zB Amnesty International, UNICEF-Kinderhilfswerk,
Caritas, Volkshilfe. Das kontinuierlich sich durch Spenden verändernde
Sammelvermögen erwirbt hier die juristische Person, die auch über
die gespendeten Beträge – wenngleich häufig zweckgebunden – Verfügungsberechtigung
erlangt. Nicht selten wird in solchen Fällen eine Schenkung (unter
Auflage → KAPITEL 3: Arten
der Schenkung) der jeweiligen Verwendung – zB Erdbebenopfer
– anzunehmen sein. Das bei bestimmten Sammelaktionen hereinkommende
Vermögen wird häufig als treuhändisches Vermögen (zB mit Anderkontenführungspflicht)
anzusehen sein. | |
II. Warum gibt es
juristische Personen? | |
1. Juristische
Person: Mittel zweckmäßiger Interessenverfolgung | |
Juristische Personen
dienen einer zweckmäßigen Rechts- und Interessenverfolgung;
sei es, dass mehrere Personen eine politische Partei gründen wollen
oder einen Fußballklub oder – seltener – einen Kulturverein; sei
es, dass sie gemeinsame wirtschaftliche Ziele verfolgen und ihr
Vermögen, das allein dafür nicht ausreicht, zusammenlegen, um eine
GmbH oder AG zu gründen. – Die Rechtsordnung verleiht seit alters
her all diesen Gebilden und Zielsetzungen bei Einhaltung der von ihr
aufgestellten Regeln aus rechtstechnischen und -praktischen Überlegungen
heraus ihre Unterstützung; dh sie verleiht Rechtsfähigkeit. | |
| |
Dies
hat ua dazu geführt, dass bestimmten Rechtsgebilden von der Rechtsordnung
nur Teilrechtsfähigkeit verliehen wurde; so kann
zB die OHG (und damit auch die KG)
Liegenschaftseigentum erwerben und unter ihrem Namen klagen und
beklagt werden (§ 124 HGB), obwohl sie keine juristische Person
ist. | Teilrechtsfähigkeit |
Teilrechtsfähig waren lange auch die Universitäten
als Körperschaften öffentlichen Rechts. | |
In
anderer Hinsicht – und das wird heute für die Annahme einer juristischen
Person für wesentlich gehalten, nämlich der Ausgestaltung ihrer Haftung,
zeigt sich, dass die OHG keine juristische Person ist. Bei ihr haften
nämlich die Gesellschafter für Gesellschaftsschulden auch persönlich
mit ihrem ganzen (Privat)Vermögen und nicht nur die Gesellschaft.
– Die klare Trennung der Haftung zwischen juristischer Person und
ihren Mitgliedern ist also etwas für die Annahme einer juristischen
Person wichtiges und charakteristisches; sog Trennungsprinzip. | Haftung |
| |
2. Haftungsfreistellung
der Mitglieder | |
| |
Ein anderer – attraktiver – Grund sich der Rechtsform
einer juristischen Person (insbesondere der GmbH, aber auch eines
Vereins) zu bedienen ist die damit einhergehende grundsätzliche
Haftungsfreistellung der Mitglieder der juristischen Person und
bei der GmbH zusätzlich die beschränkte Haftung der Gesellschaft
selbst; sie heißt eben nicht zufällig Gesellschaft mit beschränkter Haftung;
vgl dazu aber die folgenden Ausführungen. | |
Bei einer juristischen
Person haftet nämlich – wie wir schon gehört haben – grundsätzlich
nur diese selbst für Gesellschaftsschulden und nicht etwa die natürlichen
Personen oder Organe, die ihr angehören; Trennungsprinzip.
Nur ausnahmsweise, nämlich bei Missbrauch dieser Rechtsform, kann auf
die hinter der juristischen Person stehenden – Missbrauch treibenden
– Gesellschafter / Mitglieder „durchgegriffen” werden; sog Haftungsdurchgriff. | Trennungsprinzip
– Nur ausnahmsweise: Haftungsdurchgriff |
Dieser – gesetzlich bislang nicht
geregelte und von der österreichischen Rspr nur selten angewendete
– Haftungsdurchgriff bildet eine Art Notventil, wenn die Rechtsform
einer juristischen Person missbräuchlich (insbesondere zur Gläubigerschädigung)
verwendet wird. Dadurch wird den – andernfalls leer ausgehenden
– Gläubigern ausnahmsweise doch Zugang, eben ein „Durchgriff” auf
das gesamte (also auch private!) Vermögen der Gesellschafter eingeräumt.
– In den USA wird anschaulich von „piercing the corporate veil”
gesprochen. Man lässt in schwerwiegenden Missbrauchs- oder Umgehungsfällen
Gesellschafter von Kapitalgesellschaften in entsprechender Anwendung
der §§ 105 und 128 HGB wie OHG-Gesellschafter haften; vgl etwa dtBGHZ
22, 226 (230) und 95, 330 (Autokran). Für Österreich vgl Jabornegg,
Die Lehre vom Durchgriff, WBl 1989, 1 und 43 sowie Gschnitzer, AT 337
(19922) uH auf § 26 ABGB und darauf, dass es einen Haftungsdurchgriff
auch bei natürlichen Personen (Strohmann!) gibt. | piercing
the corporate veil |
|
ecolex 1992, 707:
Unter Durchgriffshaftung (besser: Haftungsdurchgriff) wird die private
Zusatzhaftung von Verbandsmitgliedern für Schulden der Verbandsperson
verstanden. Aus Anlass der Haftungserstrekkung wird der mit der
selbständigen Rechtsperson verbundene Schutzschild der Haftungsbeschränkung zur
Seite geschoben, sodass Gesellschaftsgläubiger zusätzlich die Mitglieder
der Gesellschaft persönlich mit ihrem Privatvermögen in Anspruch
nehmen können. | |
|
Durch
die Gründung einer juristischen Person schränkt man also das eigene
Risiko ein, schließt Haftung aus; genauer: vermeidet eigene persönliche
Haftung. Im Falle einer Exekution oder eines Konkurses haftet dann
zB nur das (Gesamt)Vermögen der GmbH, nicht aber das Privatvermögen der
Gesellschafter für die Schulden. – Man spricht in diesem Zusammenhang
neben dem Trennungsprinzip auch von einem Haftungsprivileg zugunsten
der Gesellschafter und Organe juristischer Personen. | Haftungsprivileg |
Gesellschafter haften bei juristischen
Personen – jedenfalls nicht bei GmbH und AG – auch nicht mit ihrer
getätigten „Einlage”, da diese ins Eigentum der
juristischen Person übergeht und gar nicht mehr im Vermögen der
Gesellschafter steht. Gesellschafter haben vielmehr in Bezug auf
eine getätigte Einlage nur einen schuldrechtlichen Anspruch gegen
die Gesellschaft. (Der Unterschied zwischen Schuld- und Sachenrecht
wird hier deutlich.) – Nicht zu verwechseln damit ist, dass Gesellschafter
uU einen Vermögensverlust erleiden, wenn die juristische Person
Schulden macht und in Konkurs geht, da sie ihr Geld in die Gesellschaft
„gesteckt” haben. | Wem
gehört die Einlage? |
Die
Bezeichnung GmbH / Gesellschaft mit beschränkter
Haftung ist insofern (leicht) irreführend, als sie für ihre Schulden mit
ihrem jeweiligen Gesamtvermögen haftet; dh insofern (als Rechtsperson)
unbeschränkt. Berechtigt ist die Bezeichnung „beschränkte
Haftung” aber insofern, als das Publikum damit gewarnt
werden soll, dass das Gesetz nur ein Mindeststammkapital von 35.000 ı
(500.000 S) vorschreibt; dh: es muss nicht mehr Vermögen als dieser
Betrag (als Haftungsgrundlage) vorhanden sein! Das gilt es bei Rechtsgeschäften
mit GmbH’s zu bedenken. | Bezeichnung GmbH |
Nach
§ 10 Abs 3 GmbHG ist für die Eintragung einer neu gegründeten GmbH
ins Firmenbuch die schriftliche Bestätigung eines Kreditinstituts
nötig, dass die Stammeinlage tatsächlich bar (!) einbezahlt wurde
und sich in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet. –
Die Bank haftet Dritten (im Außenverhältnis) für die Richtigkeit dieser
Bestätigung. | Stammeinlage |
Auch
in Bezug auf die Haftung von Gesellschaftern kann die Bezeichnung
GmbH leicht zu Unklarheiten führen. Daher soll festgehalten
werden: Gesellschafter haften für Gesellschaftsschulden weder beschränkt,
noch unbeschränkt, sondern überhaupt nicht! Gesellschafter besitzen im
Rahmen ihres obligatorischen Mitgliedschaftsrechts an der Gesellschaft
bloß einen sog Wertanteil am jeweiligen Gesellschaftsvermögen.
Über einzelne Bestandteile des Gesellschaftsvermögens kann ein Gesellschafter
nicht direkt, sondern nur im Rahmen seines Mitgliedschaftsrechts verfügen.
Der Umfang dieser Verfügungsrechte richtet sich dabei grundsätzlich
nach der Größe des Wertanteils am Gesellschaftsvermögen. Das „Stimmgewicht”
der Aktionäre (§ 114 Abs 1 AktG) und GmbH-Gesellschafter (§ 39 Abs
2 GmbHG) bestimmt sich daher grundsätzlich nach dem Nennwert ihres
Kapitalanteils. Durch Gesellschaftsvertrag (vgl § 39 Abs 2 GmbHG)
können aber abweichende Regelungen getroffen werden! | Wertanteil |
Das
erfolgt bspw durch den Syndikatsvertrag, durch den die Ausübung
des Stimmrechts in (Kapital)Gesellschaften geregelt werden kann.
Der Syndikatsvertrag ist eine zulässige und uU sinnvolle Ergänzung
des Gesellschaftsvertrags. Bindungswidrig abgegebene Stimmen sind
aber wirksam und berechtigen grundsätzlich nicht zur Anfechtung des
auf solche Art zustande gekommenen Beschlusses; EvBl 2000/23. | Syndikatsvertrag |
| |
Das zur Haftung
juristischer Personen allgemein Ausgeführte gilt auch für ihre Organe.
Auch sie haften für Gesellschaftsschulden nicht.
– Davon zu unterscheiden ist, wenn ein Organ gesetz-, statuten-
oder vertragswidrig handelt und dadurch der juristischen Person
– sei es ein Verein (§ 24 VereinsG 2002) oder eine GmbH – Schaden
zufügt. Der juristischen Person steht in diesem Fall ein zivilrechtlicher
Schadenersatzanspruch gegen das schuldtragende Organ zu. Ähnliches
gilt bei Verstößen gegen das Strafrecht, nur steht hier der Strafanspruch
dem Staate zu. Organe können also unter den allgemeinen Voraussetzungen
(persönlich) strafrechtlich belangt werden; zB grob fahrlässige
Beeinträchtigung von Gläubigerinteressen, Veruntreuung, Diebstahl
etc. | Organe
haften nicht für Gesellschaftsschhulden |
Immer
schärfer stellt sich eine rechtspolitische und rechtsphilosophische
Frage, nämlich die, ob nur Menschen, also natürliche Personen, oder
auch ihre Organisationen, also auch juristische Personen, Adressaten
staatlicher und moralischer Normen, insbesondere von Strafvorschriften
sein können. Die Meinungen (im Strafrecht) gehen bisher auseinander.
Eine strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen existiert
bisher in Österreich und Deutschland bislang
nicht oder nur in ersten Ansätzen; nach § 30 des dtOrdnungswidrigkeitenG
(das entspricht unserem VStG 1925) kann nunmehr aber auch eine juristische
Person bußgeldpflichtig werden. (Auch die USA und Canada kennen
eine Strafbarkeit juristischer Personen.) Nur der Mensch als natürliche
Person ist bislang Adressat des österreichischen Strafrechts. Strafrechtlich
zur Verantwortung gezogen werden können bisher immer nur jene Menschen
/ Organe juristischer Personen, die für die juristische Person handeln.
– Nur in Ausnahmefällen haftet eine juristische Person / Unternehmen
zB für eine Geldstrafe, zu der ein Organ wegen einer strafbaren
Handlung verurteilt wurde, die es im Zusammenhang mit der Unternehmenstätigkeit
begangen hat; zB nach § 35 MedienG. Überlegt wird aber mittlerweile
auch ein ”Abschöpfen” deliktisch erlangter Gewinne juristischer
Personen, um das organisierte Verbrechen effektiver bekämpfen zu
können. – Das österreichische Strafrecht und Verwaltungsstrafrecht
hinkt hier der rechtlichen Entwicklung hinterher. – An die grundsätzliche
zivilrechtliche Gleichstellung natürlicher und juristischer Personen
schon nach § 26 ABGB (1811!) ist daher zu erinnern. | Strafrechtliche Verantwortung juristischer Personen? |
|
ZAS 2001, 152/18(VwGH – verstSenat
mwH): Eine juristische Person (GmbH) hat im Verwaltungsstrafverfahren
Parteistellung (Rspr-Änderung) – Der Geschäftsführer der GmbH war
wegen Übertretungen des AuslBG zu einer Geldstrafe verurteilt und
idF ausgesprochen worden, dass die GmbH für die Geldstrafen zur
ungeteilten Hand mit dem Geschäftsführer hafte. | |
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3. Einpersonengesellschaft? | |
Die
Idee der juristischen Person verlangt eine Personenmehrheit;
dennoch wurde von der Praxis schon bisher die Einpersonen-GmbHunter gewissen
Voraussetzungen zugelassen. | Personenmehrheit |
So explizit § 20 Abs 4 StGB und § 9 VStG:
Separat erlassener Bescheid begründet eine Solidarhaftung der juristischen
Person. | |
Eine Rolle spielte dies zB dann, wenn zwar ursprünglich
zwei oder mehrere Gesellschafter existierten, in der Folge aber
sämtliche Gesellschaftsanteile in einer Hand vereinigt wurden. Häufig
wurde das Erfordernis der Personenmehrheit schon bisher dadurch
umgangen, dass sich Firmengründer, die sich für eine GmbH entschieden
hatten, einen sog Strohmann suchten (oft ein Familienmitglied),
um in den Genuss der beschränkten Haftung zu gelangen. | |
Das ist seit 1996
nicht mehr nötig, zumal es durch das EU-GesellschaftsRÄG, BGBl 304/1996
auch Einzelpersonen erlaubt ist, eine GmbH zu gründen.
Dies soll das Entstehen kleiner Unternehmen in Europa fördern. | Einpersonen-GmbH |
§ 3 GmbHG, der die Voraussetzungen der Eintragung
einer GmbH ins Firmenbuch regelt, bestimmt nunmehr in Abs 2 lapidar:
„Wird die Gesellschaft nur durch eine Person errichtet, so wird
der Gesellschaftsvertrag durch die Erklärung über die Errichtung
der Gesellschaft ersetzt. Auf diese Erklärung sind die
Vorschriften über den Gesellschaftsvertrag sinngemäß anzuwenden.”
– Vgl nunmehr auch § 18 Abs 5 und 6 GmbHG. | |
Eine weitere
bedeutsame Änderung für GmbH’s besteht darin, dass – mit Ausnahme
kleiner GmbH’s – eine verpflichtende Jahresabschlussprüfung eingeführt
wurde. Prüfungspflichtig sind GmbH’s künftig dann, wenn mindestens
2 der 3 in der Folge angeführten Merkmale in zwei aufeinanderfolgenden
Jahren überschritten werden: – 37 Mio ı Bilanzsumme, – 74 Mio ı
Umsatzerlöse im Jahr vor dem Abschlussstichtag, – 50 Arbeitnehmer
im Jahresdurchschnitt. Diese Regelung soll die Insolvenzprophylaxe
verbessern. | |
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OGH 11. 2. 2002, 7 Ob 315/01a, JBl 2002, 526(Anm
Karollus): Alleingesellschafter und Geschäftsführer einer Ein-Personen-GembH verpflichtet
sich persönlich und zur ungeteilten Hand zur Rückzahlung eines Bank-Kredits
an die GembH. Der Klage auf Zahlung hält er einen Verstoß gegen
§§ 25 b ff KSchG entgegen. – OGH verneint Verbrauchergeschäft des
Alleingesellschafters der Ein-Personen-GesmbH (im Gegensatz zu seiner
Judikatur zur Mehr-Personen-GembH). | |
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4. Europäische
wirtschaftliche Interessenvereinigung: EWIV | |
Mit
VO des Rates vom 25.7.1985 über die Schaffung einer Europäischen
wirtschaftlichen Interessenvereinigung (kundgemacht in ABl Nr L
199 vom 31.7.1985, 1f) wurde erstmals eine auf Gemeinschaftsrecht
beruhende vom nationalen Recht unabhängige, supranationale Gesellschaftsform
als Kooperationsform zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit von
Unternehmen geschaffen. Die EWIV ist für kleinere und mittlere Unternehmen
gedacht. Zur Europa-AG → Die
Societas Europaea (SE) oder Europa-AG
| |
Bei dieser nicht nationalen Unternehmensform
müssen mindestens 2 Mitglieder ihre Haupttätigkeit in verschiedenen Mitgliedsstaaten
haben, Unternehmen aus Nicht-EG-Staaten können nicht Mitglied werden.
Die EWIV ist als Personengesellschaft konstruiert
(mit Organisationselementen einer Kapitalgesellschaft), wobei in
Österreich nach dem EWIV-AusführungsG, BGBl 1995/521, das Recht
der OHG (§§ 105 ff HGB) subsidiär anzuwenden ist, wie überhaupt
immer dann nationales Recht heranzuziehen ist, wenn der Gründungsvertrag
der EWIV eine Regelung nicht vorsieht. – Wie die OHG besitzt die
EWIV nur Teilrechtsfähigkeit. Im Unterschied zur
OHG können auch Nichtmitglieder Geschäftsführer sein, sog Fremdorganschaft.
Sie ist Vollkaufmann (nicht aber notwendigerweise ihre Mitglieder).
Da ihr Zweck lediglich die Unterstützung und Koordinierung der wirtschaftlichen
Tätigkeit ihrer Mitglieder (Mitgliedsunternehmen) ist, ist sie nur
Hilfsorganisation und keine Organisationsform für primäre wirtschaftliche
Tätigkeit. Sie hat daher nicht den Zweck, Gewinne für sich selbst
zu erwirtschaften und darf insbesondere keine Lenkungsfunktionen
ausüben; Konzernleitungsverbot. | |
Als Kooperationsform von Unternehmungen innerhalb der Gemeinschaft
ist sie zur Überwindung rechtlicher und psychologischer Hemmnisse
im internationalen Geschäftsverkehr gedacht und bietet sich insbesondere
für kleinere und mittlere Unternehmen an; zB zur Kooperation in
Forschung und Produktentwicklung, zur gemeinsamen Organisation von
Einkauf, Kundendienst, Vertrieb, Fortbildung, Werbung, Marketing,
Transport etc. Auch freie Berufe können diese Form des Zusammenschlusses
wählen, etwa Rechtsanwälte, Architekten oder Ärzte. (Innerstaatlich dienen
dazu bei uns die Erwerbsgesellschaften.) | |
5. Die
Societas Europaea (SE) oder Europa-AG | |
Die Arbeiten an einer europäischen Aktiengesellschaft sind
lange an der wichtigen Frage der Arbeitnehmermitbestimmung gescheitert.
Nach 30-jährigen Verhandlungen hat die EU am Ende des Jahres 2000
die Europa-AG beschlossen; Statut für eine Europäische Aktiengesellschaft.
Sie ist eine Rechtsform für transnationale Unternehmen und soll
künftig grenzüberschreitende Fusionen und die Gründung von Holdinggesellschaften
( → Holding) in Europa erleichtern. Nach Schätzungen
der EU-Kommission wird die neue Europa-AG den Unternehmungen Kostenersparnisse
von jährlich rund 30 Mrd ı bringen. – Die Umsetzungsfrist beträgt
drei Jahre. | |
Das Mindestkapital für die SE beträgt 120.000
ı. Steuerlich unterliegen SE den jeweiligen nationalen
Vorschriften am Sitz der Gesellschaft oder der Zweigniederlassung.
Die SE muss in dem Mitgliedstaat registriert werden,
in dem sich ihre Hauptverwaltung befindet. Die erwähnte Kostenersparnis für
Unternehmen mit Niederlassungen in mehreren Mitgliedstaaten ergibt
sich daraus, dass solche Unternehmen nunmehr auf Grund einheitlicher
europarechtlicher Regeln fusionieren und mit einem einheitlichen
Management und Berichtssystem überall in der EU tätig werden können.
Künftig müssen nicht mehr mit erheblichem Zeit und Kostenaufwand
mehrere (ein Netz von) Tochtergesellschaften errichtet werden, für
die bisher unterschiedliche nationale Regelungen galten. | |
Vier Gründungsmöglichkeiten: | |
• Durch Verschmelzung von
zwei oder mehr AGs aus mindestens zwei Mitgliedstaaten. | |
• Bildung einer SE-Holdinggesellschaft,
an der AGs oder GmbHs aus mindestens zwei EU-Staaten beteiligt sind. | |
• Gründung einer SE-Tochtergesellschaft durch
Gesellschaften aus mindestens zwei EU-Ländern. | |
•
Umwandlung einer AG, die seit
mindestens zwei Jahren eine Tochtergesellschaft in einem andern
Mitgliedstaat hat, in eine SE. | |
| |
| Abbildung 4.29: Die GesbR: §§ 1175ff ABGB |
|
| Abbildung 4.30: GmbH – StammG von 1906 |
|
| Abbildung 4.31: Offene Handelsgesellschaft: §§ 105 ff HGB |
|
| Abbildung 4.32: Kommanditgesellschaft/KG: §§ 161 ff HGB |
|
| Abbildung 4.33: Sonderform der KG: GmbH & CoKG |
|
III. Zur
Deliktsfähigkeit juristischer Personen | |
1. Für welchen
Personenkreis ist einzustehen? | |
An die grundsätzliche
Gleichstellung juristischer mit natürlichen Personen in § 26 ABGB
sei erinnert. Daher sollte es nicht überraschen, dass juristische
Personen auch deliktsfähig sind. – Verschieden beantwortet wurde
im Laufe der Zeit (dh seit Inkrafttreten des ABGB) aber die Frage,
für das Handeln welches Personenkreises juristische Personen deliktisch
einzustehen haben. | |
2. Drei Phasen
der Judikaturentwicklung | |
Die Rspr nahm seit 1812 in Bezug auf den Personenkreis,
der eine juristische Person deliktisch verpflichten kann, unterschiedliche
Positionen ein, die kurz dargestellt werden: | |
•
Erste Phase: Die juristische
Person haftet für alle ihre Gehilfen,
derer sie sich bedient; das war die Meinung der ursprünglichen österreichischen
Judikatur bis knapp nach 1900. – Diese Judikaturphase nahm § 26
ABGB ernst, was für Geschädigte günstig war. | Erste
Phase |
|
GlUNF 1279 (1901) –
Zur Haftung juristischer Personen für das Verschulden ihrer Organe
– Schüler wird von Pferdeausfuhrwagen einer Genossenschaftsmolkerei überfahren
und schwer verletzt.
Kläger = Schüler A
Beklagter = (Genossenschafts)Molkerei B. | |
|
•
Zweite
Phase: Die juristische Person haftet hier nur für
ihre statutarischen Organe, dh einen deutlich engeren Personenkreis;
also zB nur für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder. – Diese Meinung
setzte sich in den Jahren bald nach 1900 unter dem Einfluss des
dtBGB durch, das 1900 in Kraft getreten war und eine derartige Regelung
getroffen hatte. | Zweite Phase |
§
31 dtBGB: „[Haftung des Vereins für seine Organe] Der Verein ist
für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des
Vorstandes oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter
durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtung begangene,
zum Schadensersatze verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt.” | |
•
Dritte Phase: Eine Mittelmeinung
bildete sich in den 1960iger-Jahren heraus: Danach haften juristische
Personen nicht nur für ihre statutarischen Organe, sondern auch
für andere wichtige Personen, deren sie sich zur
Durchführung ihrer Aufgaben bedienen; sog Machthaber-
oder Repräsentantenhaftung; vgl § 337 ABGB. | Dritte
Phase |
| |
|
JBl
1972, 312 = SZ 44/45 (Schwedenbombenfall):
§§ 26, 1295, 1313a, 1315, 1330 Abs 2 ABGB; § 503 Z 2 ZPO: Eine juristische
Person (die damals genossenschaftlich organisierte Nachrichtenagentur APA) haftet
für verschuldete, deliktische Schadenszufügung durch einen selbständig
arbeitenden Sachbearbeiter, der nicht verfassungsmäßiges Vertretungsorgan
(Vorstandsmitglied) ist, wenn die Wichtigkeit der Sache die (unterbliebene)
Überwachung durch ein solches Organ erfordert hätte; wahrheitswidrige
Tatsachenfeststellung durch einen Redakteur: Organisationsmangel.
– Die Beweislast des Klägers erstreckt sich nicht auf das Nichtbestehen
von Anhaltspunkten für die Wahrheit der verbreiteten Tatsachen;
vielmehr steht dem Beklagten der Entlastungsbeweis des Bestehens
solcher Anhaltspunkte offen, mit dem er das Fehlen der von § 1330
Abs 2 ABGB geforderten groben Fahrlässigkeit dartun kann ....Kläger
= Geschädigte Fa Niemetz (Erzeuger der Schwedenbomben) Beklagter
= APA (= Austria Presse Agentur), eine Genossenschaft. | |
|
|
EvBl 1999/128: § 34 GmbHG – Geltendmachung
von Ersatzansprüchen gegen einen Gesellschaftergeschäftsführer durch
den anderen Gesellschafter in einer Zweipersonen-GmbH. | |
|
|
JBl 1998, 713 mwH: Der eine Straßenbaustelle
betreuende bauleitende Ingenieur ist Repräsentant des ausführenden
Unternehmens; für sein Verschulden haftet dieses auch deliktisch
unbedingt, also ohne die Beschränkungen des § 1315 ABGB. | |
|
|
Vgl auch das obiter
dictum zur Repräsentantenhaftung juristischer Personen in OGH 20. 12. 2000, 7 Ob 271/00d, JBl 2001, 525: Altpapiercontainer. | |
|
| Abbildung 4.34: Deliktsfähigkeit juristischer Personen |
|
3. Auch
Personengesellschaften haften | |
Die Rspr zur Deliktshaftung
juristischer Personen lässt auch Personengesellschaften (OHG und KG)
für das Handeln ihrer Vertreter – insbesondere der persönlich haftenden
Gesellschafter – deliktisch einstehen und erstreckt die Haftung
auf die GesbR
| |
|
SZ 28/69: OHG-Gesellschafter fälscht
bei Unternehmensveräußerung Inventur und Bilanz → KAPITEL 7: Entscheidungsbeispiele
¿ Leistungsstörungen –
E-Beispiele. | |
|
|
SZ 48/107 = JBl 1978, 87: Kunden-Pkw wird
von Arbeitnehmern einer OHG auf Weisung des Geschäftsführers
unsachgemäß abgeschleppt und dabei beschädigt. | |
|
|
EvBl 2000/84:
Erstreckung dieser Haftung auf die GesbR
→ KAPITEL 12: Die Gesellschaft
bürgerlichen Rechts. | |
|
IV. Arten juristischer
Personen | |
1. Juristische
Personen des privaten und öffentlichen Rechts: | |
Juristische
Personen des Privatrechts sind zB: Verein, GmbH,
AG und Stiftung. – Sie entstehen durch Rechtsgeschäft/Vertrag. | |
Juristische Personen des öffentlichen
Rechts: Gemeinden, Länder, Bund, die verschiedenen Kammern,
öffentliche Fonds, Sozialversicherungsträger etc. – Sie entstehen
durch Gesetz, Verordnung oder Verwaltungsakt, also durch Hoheitsakt. | |
2. Personenverbände
und Vermögensmassen | |
Personenverbände /
-verbindungen / -vereinigungen (Körperschaften / Korporationen,
Gesellschaften) mit Rechtspersönlichkeit: Wie der Begriff andeutet,
handelt es sich um Zusammenschlüsse von Personen. In und für derartige
Personenverbindungen handeln nicht alle Mitglieder gemeinsam – das
wäre zu umständlich, sondern für sie werden statutenmäßig bestellte
Organe tätig. Diese Organe führen die „Geschäfte”.
– Dieser Typus der juristischen Person besitzt somit eine eigene
Organisation; der „Wille” der juristischen
Person wird in den Organen nach dem Mehrheitsprinzip gebildet. | Personenverbände |
| |
Vermögensmassen /
-gesamtheiten mit Rechtspersönlichkeit: Sie verfügen über keine
Mitglieder, vielmehr wird ein (Sonder) Vermögen,
das einem bestimmten Zweck – durch Widmungsakt – dienen soll, von
der Rechtsordnung mit Rechtsfähigkeit ausgestattet. Typisches Beispiel
ist die Stiftung; zu nennen sind aber auch diverse Fonds.
– Wir kennen diese Art juristischer Personen, die oft auch gemeinnützigen
Zwecken dienen; zB Waisenhaus-, Studierenden-, Wissenschafts-, Forschungs-,
Kultur- oder religiösen Zwecken dienende Stiftungen. Oder: „Nationalfonds
der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus” (eingerichtet
mit Gesetz). | Vermögensmassen |
Das österreichische
Recht kennt verschiedene Stiftungsarten: | Stiftungsarten |
•
einerseits, als jüngste
Form, seit 1993 die Privatstiftung (PSG, BGBl 694); | |
• daneben existieren für gemeinnützige und wohltätige
Stiftungen nach den LandesstiftungsG und das Bundesstiftungs-
und FondsG (BStFG 1974, BGBl 1975/11). | |
| Abbildung 4.35: Arten juristischer Personen |
|
| |
| |
Vor zehn Jahren wurde ein neues PrivatstiftungsG beschlossen,
womit eine Lücke im österreichischen (Privat)Rechtssystem geschlossen
wurde; denn bis zum Inkrafttreten des PSG konnten Stiftungen nur
nach dem BStFG errichtet werden, das eine Beschränkung auf gemeinnützige
und wohltätige Zwecke kannte. Solche Stiftungen bedurften zu ihrer
Entstehung einer verwaltungsbehördlichen Genehmigung (sie unterliegen
zudem einer verwaltungsbehördlichen Kontrolle), während Privatstiftungen
nach § 7 Abs 1 PSG – ähnlich wie eine Handelsgesellschaft – durch Eintragung
ins Firmenbuch entstehen. | PrivatstiftungsG
1993 |
Als Vorbild dienten ausländische Beispiele;
etwa die Schweiz und Liechtenstein. Nunmehr kann auch ausländisches Vermögen
in österreichische Privatstiftungen eingebracht werden. Bereits
im ersten Jahr der Geltung des PSG sollen ca 150 Milliarden Schilling
nach Österreich (zurück)geflossen sein. | |
Privatstiftungen
können neben wissenschaftlichen, künstlerischen oder Forschungszwecken ebenso familiären, sozialen oder karitativen Zielen
dienen. – Primär dient die Privatstiftung jedoch den privaten Interessen
des Stifters und seiner Familie; sog Versorgungsstiftung.
Nunmehr sind auch gemischte Zwecke / Ziele möglich.
Wie in den EB zur RV bemerkt wird, liegt der Stiftung der Gedanke
zugrunde, dass mit einem „eigentümerlosen” Vermögen ein
bestimmter Zweck besser und dauerhafter erreicht werden kann, als
wenn das Vermögen mit dem Schicksal des Stifters und seiner Rechtsnachfolger
verbunden bliebe. – Grundlage der Privatstiftung ist kein Vertrag,
sondern die einseitige Willenserklärung des Stifters. – Die Stiftung
hat keine Gesellschafter oder Mitglieder (wie zB ein Verein) und
auch der Stifter selbst verliert den Zugriff auf das gestiftete
Vermögen, das künftig eigenen Gesetzen folgt. Typischerweise hat
die Privatstiftung aber Begünstigte, die einen
Rechtsanspruch auf eine (finanzielle) Ausschüttung nur bei einem
entsprechenden Stifterwillen haben. | Versorgungsstiftung |
Das
PSG 1993 kennt eine Reihe rechtlich interessanter Bestimmungen: | Interessante Bestimmungen des PSG und Beispiele |
§
35 (Errichtung einer Privatstiftung auf bestimmte Zeit); | |
–
§ 29 (Haftung der Mitglieder von Stiftungsorganen); | |
–
§ 28 (Innere Ordnung von Stiftungsorganen); | |
–
§ 39 (Formerfordernisse für Stiftungserklärungen etc); | |
–
§ 16 (Zeichnungsvorschrift); | |
– vgl auch
die unten wiedergegebenen §§ 1-7 PSG. | |
| |
(1) „Stiftungen im Sinne dieses
BundesG sind durch eine Anordnung des Stifters dauernd gewidmete
Vermögen mit Rechtspersönlichkeit, deren Erträgnisse der
Erfüllung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke dienen.” | § 2 BStFG –
Begriff der Stiftung: |
(2)
„Gemeinnützig im Sinne dieses BundesG sind solche Zwecke,
durch deren Erfüllung die Allgemeinheit gefördert wird.
Eine Förderung der Allgemeinheit liegt insbesondere vor, wenn die
Tätigkeit der Stiftung dem Gemeinwohl auf geistigem, kulturellem,
sittl, sportl oder materiellem Gebiet nützt. Der Stiftungszweck
gilt auch dann iS dieses BundesG als gemeinnützig, wenn durch die
Tätigkeit der Stiftung nur ein bestimmter Personenkreis gefördert
wird.” | |
(3) „Mildtätig iS dieses BundesG sind solche Zwecke, die
darauf gerichtet sind, hilfsbedürftige Personen zu unterstützen.” | |
Fonds im Sinne
dieses BundesG sind durch eine Anordnung des Fondsgründers nicht
auf Dauer gewidmete Vermögen mit Rechtspersönlichkeit,
die der Erfüllung gemeinnütziger oder mildtätiger Zwecke (§ 2 Abs
2 und 3) dienen.” | |
Beachte: Fonds
unterscheiden sich auch insoferne von der Stiftung, als beim Fonds
der sog Kapitalstock (im Laufe der Zeit) aufgebraucht werden kann,
bei der Stiftung dagegen erhalten bleiben muss. | |
(1) Die Privatstiftung
im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ein Rechtsträger, dem vom Stifter
ein Vermögen gewidmet ist, um durch dessen Nutzung, Verwaltung und
Verwertung der Erfüllung eines erlaubten, vom Stifter bestimmten Zwecks
zu dienen; sie genießt Rechtspersönlichkeit und muss ihren Sitz
im Inland haben. | |
(2) Eine Privatstiftung darf nicht [Abgrenzung!] | |
1. eine gewerbsmäßige Tätigkeit, die über eine bloße Nebentätigkeit
hinausgeht, ausüben; | |
2. die Geschäftsführung einer Handelsgesellschaft übernehmen; | |
3. persönlich haftender Gesellschafter einer Personengesellschaft
des Handelsrechts oder einer eingetragenen Erwerbsgesellschaft sein. | |
Der
Name einer Privatstiftung hat sich von allen im Firmenbuch eingetragenen
Privatstiftungen deutlich zu unterscheiden; er darf nicht irreführend
sein und muss das Wort „Privatstiftung” ohne Abkürzung enthalten. | |
(1) Stifter einer
Privatstiftung können eine oder mehrere natürliche oder juristische
Personen sein. Eine Privatstiftung von Todes wegen kann nur einen
Stifter haben. | |
(2) Hat eine Privatstiftung mehrere Stifter, so können die
dem Stifter zustehenden oder vorbehaltenen Rechte nur von allen
Stiftern gemeinsam ausgeübt werden, es sei denn, die Stiftungsurkunde
sieht etwas anderes vor. | |
(3) Rechte des Stifters, die Privatstiftung zu gestalten,
gehen nicht auf die Rechtsnachfolger über. | |
(4) Wer einer Privatstiftung nach ihrer Entstehung Vermögen
widmet (Zustiftung), erlangt dadurch nicht die Stellung eines Stifters. | |
Der
Privatstiftung muss ein Vermögen im Wert von mindestens 1 Mio Schilling
gewidmet werden. | |
Begünstigter
ist der in der Stiftungserklärung als solcher Bezeichnete. Ist der
Begründer in der Stiftungserklärung nicht bezeichnet, so ist Begünstigter,
wer von der vom Stifter dazu berufenen Stelle (§ 9 Abs 1 Z 3), sonst
vom Stiftungsvorstand als solcher festgestellt worden ist. | |
(1)
Die Privatstiftung wird durch eine Stiftungserklärung errichtet;
sie entsteht mit der Eintragung in das Firmenbuch. | |
(2) Für
Handlungen im Namen der Privatstiftung vor der Eintragung in das
Firmenbuch haften die Handelnden zur ungeteilten Hand. | |
V. Rechtstatsächliches
zur jurP | |
Die Bedeutung juristischer Personen spiegelt
sich in der Statistik: | |
| Abbildung 4.36: Firmengründungen in Österreich |
|
| Abbildung 4.37: Rechtsformen österreichischer Unternehmen (2001) nach Anzahl
der Unternehmen |
|
| |
| Abbildung 4.38: Vereine in Österreich: Nach Bundesländern |
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Neu bearbeitet von Kristin
Nemeth
| |
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1. Neuregelung
des Vereinsrechts – VerG 2002 | |
Mit 1.7.2002 ist in Österreich ein neues VerG in Kraft getreten.
Während im VerG 1951 nur öffentliches Vereinsrecht geregelt war,
enthält das neue G erstmals auch privatrechtliche Bestimmungen; zB
betreffend Haftung und Geschäftsfähigkeit. Der österreichische Gesetzgeber
ist damit einer langjährigen Forderung nach mehr Rechtssicherheit
im Vereinsrecht nachgekommen. Bei den Neuregelungen handelt es sich
vielfach nicht um materiell neues Recht, sondern es wurden bereits
geltende Grundsätze der Rspr und Vereinspraxis gesetzlich festgeschrieben.
In einigen Bereichen hat der Gesetzgeber freilich auch eindeutig
Stellung bezogen. | |
Aus
öffentlichrechtlicher Sicht kam es zu einer Neuregelung der Behördenzuständigkeit,
von der sich der Gesetzgeber va mehr Effizienz und Bürgernähe erwartet:
Während die Zuständigkeiten in 1. Instanz bislang zwischen Landeshauptmann
und Sicherheitsdirektion verteilt waren, sind Vereinsbehörden
1. Instanz nunmehr die Bezirksverwaltungsbehörden. 2. und letzte
Instanz ist die Sicherheitsdirektion. | Neuregelung der Behördenzuständigkeit |
Ebenfalls neu ist
die Verpflichtung zur Einrichtung eines zentralen und öffentlichen Vereinsregisters beim
Bundesministerium für Inneres; die Bezirksverwaltungsbehörden sind
zur Führung eines lokalen Registers verpflichtet. | Vereinsregister |
Das VerG neu trat am 1.7.2002 in Kraft.
Der neuen Rechtslage entgegenstehende Statuten sind bis spätestens 30.6.2006
anzupassen; vgl § 33 VerG. | |
| |
Vereine gehören in Österreich seit langem zum Rechtsalltag
und werden zu den verschiedensten Zwecken gegründet: zB Kultur-,
Sport-, soziale oder politische Vereine. | |
Die Vereinsgründung steht natürlichen und juristischen
Personen, Inländern wie Ausländern offen.
Die Erlangung von Rechtspersönlichkeit ist dabei schon aus Praktikabilitätsüberlegungen vorteilhaft,
wenn man an die Anmietung eines Vereinslokals, den Abschluss von
Kaufverträgen oder die Eröffnung von Bankkonten denkt. Vertragspartner
wird in solchen Fällen immer der Verein. | |
Die Rechtsform des Vereins steht aber
nur zur Verfolgung ideeller Zwecke zur Verfügung; § 1 Abs 1 VerG.
Ein Verein darf niemals auf Gewinn berechnet sein. Dies schließt
freilich gewinnbringende oder unternehmerische Tätigkeiten des Vereins
nicht aus, solange diese dem ideellen Vereinszweck untergeordnet
sind; Nebenzweckprivileg; § 1 Abs 2 VerG. | Nur zur Verfolgung
ideeller Zwecke |
|
Unschädlich ist
es also, wenn die Tätigkeit des Vereins zu einer Senkung der Verwaltungskosten
der Mitglieder führt; „Vorarlberger Rechenzentrum” VfSlg 8844/1980. Die Ausschüttung
von Gewinnen an die Mitglieder sprengt hingegen den ideellen Vereinszweck. | |
|
In Fällen einer unternehmerischen Tätigkeit des
Vereins ist auf die Anwendung einschlägiger Sondergesetze (zB HGB,
GewO) bedacht zu nehmen. Ein Verein kann auch Unternehmer iSd §
1 KSchG sein. | |
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Das VerG 2002 unterscheidet zwischen Errichtung und Entstehung
des Vereins. | |
Die Errichtung des
Vereins erfolgt durch die Vereinbarung von Statuten.
Diese Gründungsvereinbarung stellt zivilrechtlich
einen mehrseitigen Vertrag dar ( → KAPITEL 5: Ein-,
zwei- und mehrseitige Willenserklärungen)
und ist Grundlage für die Tätigkeit und die Organisation des Vereins;
§ 2 Abs 1 VerG. | Errichtung des Vereins |
Die Statuten müssen bestimmte, zwingend
vorgeschriebene Mindestinhalte aufweisen; § 3 Abs
2 VerG: | Mindestinhalte
der Statuten |
-
Name des
Vereins,
| |
-
Sitz des Vereins,
| |
- eine klare und umfassende Umschreibung des Vereinszwecks,
| |
- die für die Verwirklichung des Zwecks vorgesehenen Tätigkeiten und
die Art der Aufbringung finanzieller Mittel,
| |
- Bestimmungen über den Erwerb und die Beendigung
der Mitgliedschaft,
| |
- die Rechte und Pflichten der Vereinsmitglieder,
| |
- die Organe des Vereins und
ihre Aufgaben, insbesondere eine klare und umfassende Angabe, wer
die Geschäfte des Vereins führt und wer den Verein nach außen vertritt,
| |
- die Art der Bestellung der Vereinsorgane und
die Dauer ihrer Funktionsperiode,
| |
- die Erfordernisse für gültige Beschlussfassungen durch
die Vereinsorgane,
| |
- die Art der Schlichtung von Streitigkeiten aus
dem Vereinsverhältnis,
| |
- Bestimmungen über die freiwillige Auflösung des
Vereins und die Verwertung des Vereinsvermögens im Fall einer solchen
Auflösung.
| |
Der Name des
Vereins muss einen Schluss auf den Vereinszweck zulassen
und darf nicht Anlass zu Verwechslung mit Namen anderer Vereine
oder Rechtsformen geben; § 4 Abs 1 VerG. | Vereinsname |
Der Vereinssitz muss
im Inland liegen und sich mit dem tatsächlichen
Sitz der Hauptverwaltung des Vereins decken, § 4 Abs 2 VerG. – Dies
schließt nicht aus, dass auch Inhaber einer anderen als der österreichischen
Staatsbürgerschaft Vereine nach dem VerG gründen können. | Vereinssitz |
Über die gesetzlichen Mindestinhalte hinaus
sind die Gründer in der Gestaltung der Statuten frei; Privatautonomie
§ 3 Abs 1 VerG. Es empfiehlt sich, die Statuten klar, widerspruchsfrei
und lükkenlos zu formulieren. Da es sich bei der Gründungsvereinbarung
um einen zivilrechtlichen Vertrag handelt, ist für dessen Auslegung
§ 914 ABGB anzuwenden. | Gestaltung
der Statuten |
Bei lückenhafter Statutenregelung
wird – im Sinne ergänzender Vertragsauslegung – vielfach auf die
konkrete Praxis des Vereinslebens Bedacht genommen; sog Observanz. | Observanz |
|
EvBl 1968/380: Hier war die Wahl
der Vereinsleitung in den Vereinsstatuten nicht explizit geregelt,
doch hatte sich im Verein dazu eine ständige Übung entwickelt, von
der nicht ohne weiteres abgegangen werden konnte. | |
|
Die Gründer oder – wenn solche bereits
bestellt sind – die organschaftlichen Vertreter des Vereins haben
der Vereinsbehörde die Vereinserrichtung schriftlich anzuzeigen.
Dies hat unter Angabe ihres Namens, ihres Geburtsdatums und -orts
sowie ihrer für die Zustellung maßgeblichen Anschrift zu erfolgen; 1
Exemplar der Statuten ist beizulegen; § 10 VerG. | Anzeige an die
Vereinsbehörde |
Bereits bestellte organschaftliche Vertreter haben zudem
ihre Funktion und den Zeitpunkt ihrer Bestellung anzugeben. Sofern
bereits vorhanden, ist auch die für Zustellungen maßgebliche Anschrift
des Vereins bekannt zu geben. – Die früher für die Gründer gebräuchliche
Bezeichnung Proponenten wird vom neuen VerG nicht
mehr verwendet. | |
Die Vereinsbehörde
hat die Vereinsgründung mit Bescheid zu untersagen, wenn der
Verein nach seinem Zweck, seinem Namen oder seiner Organisation gesetzwidrig wäre.
Ergeht binnen 4 (in Ausnahmefällen 6) Wochen kein Untersagungsbescheid,
ist dies als Einladung zur Aufnahme der Vereinstätigkeit zu verstehen.
Die Behörde kann eine solche Einladung auch vor Fristablauf mittels Bescheid
ausdrücklich aussprechen; § 13 Abs 1 und 2 VerG. | Entstehung des Vereins |
Rechtsfähigkeit erlangt der Verein mit
Ablauf der vierwöchigen Frist oder durch einen vorher erlassenen
positiven Bescheid. | |
Die vor Erlassung des VerG 2002 geführte
Diskussion, ob ein Verein bereits mit Vereinbarung der Statuten
Rechtspersönlichkeit erlangt, ist damit gegenstandslos. – Der Verein
verliert seine Rechtspersönlichkeit mit Eintragung seiner Auflösung
im Vereinsregister; ist Vermögen abzuwickeln, mit Eintragung der
Beendigung der Abwicklung; § 27 VerG; vgl auch OGH 8.11.2001 6 Ob
188/01t. | |
Deutschland kennt im Gegensatz zu Österreich
zwei Vereinstypen: Den (rechtsfähigen) eingetragenen Verein
– eV (§§ 21 ff dtBGB) und den nicht rechtsfähigen
Verein nach § 54 dtBGB, der nicht ins Vereinsregister eingetragen wird
und den Regeln der dtGesbR (§§ 705 ff dtBGB) unterstellt wird. | |
Die
Vereinsmitgliedschaft wird durch den Beitritt(svertrag) erworben,
der auch konkludent erfolgen kann; § 863 ABGB. | Vereinsmitgliedschaft |
| |
Durch den Beitritt wird ein personenrechtliches Verhältnis
zwischen Mitglied und Verein begründet. Die genaue Regelung der
damit verbundenen Rechte (Stimmrecht, Recht der Teilnahme an Veranstaltungen
des Vereins ...) und Pflichten (insbesondere Beitragszahlungspflicht)
ist den Statuten zu entnehmen. Jedes Mitglied hat das Recht, vom
Leitungsorgan jederzeit die Ausfolgung der Statuten zu verlangen;
§ 3 Abs 3 VerG. | |
Das VerG 2002 nennt in § 5 als zwingend einzurichtende Organe: | |
• die Mitgliederversammlung zur
gemeinsamen Willensbildung und | |
• das Leitungsorgan. | |
Die Benennung der Organe ist nicht zwingend
vorgeschrieben; gängige Bezeichnungen für das Leitungsorgan sind etwa
Vorstand oder Präsidium. – Bei großen Vereinen mit
einer Vielzahl von Mitgliedern kann statt der Mitgliederversammlung
ein Repräsentativorgan vorgesehen werden; vgl §
5 Abs 2 VerG. | |
Das Leitungsorgan
(§ 5 Abs 3 VerG) führt die Geschäfte des Vereins und vertritt den
Verein nach außen. Es muss aus mindestens 2 natürlichen
Personen bestehen, was eine gewisse Kontrollfunktion gewährleisten
soll; „vier Augen sehen mehr als zwei”. | Leitungsorgan |
Das VerG stellt es aber frei, die Geschäftsführungs-
und Vertretungsbefugnisse auf jeweils eigene Organe aufzuteilen und
mehrere Organe mit Leitungsfunktion vorzusehen. Auch eine Ressortverteilung innerhalb
eines Organs ist möglich. | |
Sehen die Statuten nichts anderes vor, ist im Zweifel von Gesamtgeschäftsführung und Gesamtvertretung auszugehen;
dh dass alle Mitglieder des Leitungsorgans zusammen – wenngleich
nicht unbedingt gleichzeitig – agieren müssen; vgl § 6 VerG. Die
Statuten können demgegenüber zB auch die alleinige Vertretungsbefugnis
durch den Obmann vorsehen. | |
Dem steht das Vier-Augen-Prinzip nicht entgegen,
da dieses lediglich eine Kontrollfunktion im Inneren gewährleisten
soll. | |
Abgesehen von der Frage der Gesamt- oder Einzelvertretung
kann die Vertretungsbefugnis des Leitungsorgans Dritten
gegenüber nicht wirksam beschränkt werden. Einem
Vertragspartner des Vereins gegenüber gilt somit weder eine Betragsbeschränkung
noch eine in den Statuten vorgesehene Gegenzeichnungspflicht eines
anderen Organwalters oder angestellten Geschäftsführers. Im Innenverhältnis
sind Beschränkungen freilich wirksam und machen das Organ dem Verein gegenüber
ersatzpflichtig. | |
Eine ähnliche Formalvollmacht gibt es etwa im
HGB in Form der Prokura (§ 49 HGB). Diese dient – wie die Neuregelung
im VerG – dem Schutz des Rechtsverkehrs. | |
Die Einrichtung eines Aufsichtsorgans ist
fakultativ; § 5 Abs 4 VerG. | Aufsichtsorgan |
Wird ein Aufsichtsorgan eingerichtet, so
dürfen seine Mitglieder keinem Organ außer der Mitgliederversammlung angehören,
dessen Geschäfte Gegenstand der Aufsicht ist. Wird im Verein eine
gewisse Anzahl an Arbeitnehmern überschritten, müssen sie im Aufsichtsorgan
entsprechend vertreten sein. | |
Zu den Pflichten des Aufsichtsorgans vgl zB § 21 Abs 4 VerG. | |
Das VerG 2002 enthält detaillierte Regelungen betreffend
die finanzielle Gebarung des Vereins; §§ 20-22 VerG. Eine sorgfältige Rechnungslegung gehört
zu den Hauptaufgaben des Leitungsorgans: Dieses hat jedenfalls für
die Aufzeichnung der laufenden Einnahmen und Ausgaben zu sorgen;
bei großen Vereinen ist ein Jahresabschluss zu erstellen. | |
Groß ist ein Verein, wenn seine Einnahmen
oder Ausgaben an 2 aufeinanderfolgenden Rechnungsjahren jeweils
den Betrag von 1 Mio ı überschreiten; § 22 Abs 1 VerG. Diese Regelung
greift frühestens 2005. | |
Für die Überprüfung der Finanzgebarung durch das Leitungsorgan
hat jeder Verein mindestens zwei Rechnungsprüfer zu
bestellen; § 5 Abs 5 VerG. Diese müssen keine Organe des Vereins
sein. Große Vereine haben einen professionellen Abschlussprüfer zu
bestellen; § 5 Abs 5 und § 22 VerG. | |
Für die Unabhängigkeit der Rechnungs- und Abschlussprüfer
gilt das zum Aufsichtsorgan gesagte. – Die Haftung der Rechnungsprüfer ist
wie die der Abschlussprüfer (§ 275 HGB) zahlenmäßig beschränkt;
§ 24 Abs 4 VerG. | |
Wie bei allen juristischen Personen gilt auch beim Verein
das Trennungsprinzip; § 23 VerG: Für Vereinsschulden
haftet grundsätzlich nur das Vereinsvermögen. | Haftungsfragen
und
Trennungsprinzip |
Die
umstrittene Frage der Durchgriffshaftung, die auch
beim Verein relevant werden kann, blieb auch im neuen VerG ungeregelt;
ist sohin wie bislang Sache von Rspr und Lehre. |
Durchgriffshaftung |
Werden
von den Gründern oder bereits bestellten Organen in der Zeit zwischen
der Errichtung des Vereins und seiner Entstehung Rechtsgeschäfte
im Namen des Vereins abgeschlossen, haften die Handelnden persönlich
zur ungeteilten Hand; sog Handelndenhaftung §
2 Abs 4 VerG. – Die so abgeschlossenen Geschäfte sind bis zur Entstehung
des Vereins schwebend unwirksam; vgl die Parallele
zum Abschluss von Rechtsgeschäften Minderjähriger → Die
Handlungsfähigkeit Die
aus diesen Geschäften resultierenden Rechte und Pflichten gehen
aber mit seiner Entstehung automatisch auf den Verein über. |
Handelndenhaftung |
§ 24 VerG regelt die Verantwortlichkeit der Organe für
Schäden, die sie dem Verein in ihrer Eigenschaft als Organwalter
(schuldhaft) zufügen. Es gelten die allgemeinen Regeln des Schadenersatzrechts.
– Nach der neuen Regelung ist dabei die Ehrenamtlichkeit und somit
die Tatsache, dass eine Organwalterschaft idR unentgeltlich erfolgt,
entsprechend zu berücksichtigen. Leider lässt der Gesetzgeber
mit dieser – grundsätzlich erfreulichen – Neuregelung weiterhin
offen, wie die Rspr diese Haftungsbeschränkung handhaben soll. | Verantwortlichkeit
der Organe |
Die Haftung
des Organwalters gegenüber dem Verein entfällt,
wenn die schadenauslösende Handlung auf einem gültigen Beschluss des
in diesem Bereich nach den Statuten zuständigen Organs beruht; vgl
§ 24 Abs 3 VerG und OGH 14.3.2002 6 Ob 134/01a (noch nach alter
Rechtslage; das Organ hafte dann nur, wenn es seiner Informations- und
Warnpflicht nicht nachkomme oder der Beschluss der Generalversammlung
gesetz- oder sittenwidrig sei). Billigung durch das Aufsichtsorgan
reicht aber jedenfalls nicht. | Haftung des Organwalters entfällt |
Ein von der Mitgliederversammlung ausgesprochener Verzicht auf
Schadenersatzansprüche (man spricht hier auch von der „Entlastung”
des Vereinsvorstands) wirkt zwar im Innenverhältnis, ist
Gläubigern des Vereins gegenüber aber unwirksam. | |
| |
| |
Im
Einklang mit der überkommenen Rechtslage schreibt auch das VerG
2002 vor, dass die Statuten eine Schlichtungseinrichtung (zB „Vereinsschiedsgericht”)
zur Regelung vereinsinterner Streitigkeiten vorzusehen haben; §
3 Abs 2, § 8 VerG. Diese entscheidet sowohl in rechtlichen Angelegenheiten
(Ausschluss eines Mitglieds, Verhängung einer Vereinsstrafe) als
auch in anderen Vereinsstreitigkeiten. | Vereinsstreitigkeiten und Vereinsstrafen |
Um den ordentlichen Rechtsweg auszuschließen ist freilich
die Einrichtung eines (echten) Schiedsgerichts iSd §§ 577 ff ZPO
nötig. Die Entscheidungen einer statutarisch eingerichteten Schlichtungsstelle
unterliegen demgegenüber der Kontrolle durch die Zivilgerichte.
Es steht den Betroffenen frei, eine Entscheidung der Schlichtungsstelle
auf ihre Vereinbarkeit mit den Statuten oder ihre Sittenwidrigkeit
hin überprüfen zu lassen. Voraussetzung dafür ist aber, dass der
vereinsinterne Instanzenzug ausgeschöpft wurde. | |
|
JBl 1989, 655: Ausschluss aus der
Salzburger Jägerschaft für zwei Jahre wegen Verletzung der Jägerehre (Vereinsmitglied
verkaufte um je 700 DM den Abschuss von Hausziegenböcken,
die für Alpenziegen ausgegeben wurden); | |
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JBl 1987, 391: Ausschluss aus Haflingerzuchtverein; | |
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SZ 54/116 (1981):Strafe für Genossenschaftsmitglied
– Bauer lieferte verwässerte Milch an Molkerei. | |
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VII. Konzern und
Holding – Fusion und Spaltung | |
Juristische
Personen führen im Wirtschaftsleben nicht immer ein Einzelleben,
sondern sind mitunter Teil oder auch nur Rädchen komplizierter und
verschachtelter Wirtschaftsimperien, die auch dazu
verwendet werden, um Verantwortung und Beteiligungen zu verdunkeln;
vgl den WEB-Bautreuhand-Immag-Skandal in Salzburg (Bernd Schiedek
& Co), wodurch 25.000 Anleger von Hausanteilsscheinen um ca
2,1 Mrd Schilling geschädigt wurden. (Der Standard, 26.11.1997,
S. 11) – Der Sinn solcher Gebilde liegt freilich darin, klare wirtschaftliche
Lenkungs- und Entscheidungsstrukturen mit
rechtlichen Mitteln zu erreichen. | |
| |
„Große” wirtschaftliche Unternehmungen
werden häufig als Konzerne geführt. – Konzerne bestehen
aus mehreren rechtlich selbständigen Unternehmungen. Man unterscheidet
idR ein herrschendes oder Mutter- und die beherrschten oder
Tochterunternehmen: | |
Typisch
ist die Mehrheitsbeteiligung; das herrschende Unternehmen
besitzt die Anteilsmehrheit an einem oder mehreren anderen Unternehmen. | Mehrheitsbeteiligung |
Eine andere Möglichkeit
– ohne Mehrheitsbeteiligung) – besteht durch Abschluss eines sog Beherrschungsvertrags,
der in die Treuhand übergeht. | |
§ 15 AktG und
§ 115 GmbHG geben eine wörtlich gleiche Legaldefinition
des Konzerns: | |
„(1) Sind rechtlich selbständige Unternehmen zu wirtschaftlichen
Zwecken unter einheitlicher Leitung zusammengefasst, so bilden sie
einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen.” | |
„(2) Steht ein rechtlich selbständiges Unternehmen auf Grund
von Beteiligungen oder sonst unmittelbar unter dem beherrschenden
Einfluss eines anderen Unternehmens, so gelten das herrschende und
das abhängige Unternehmen zusammen als Konzern und einzeln als Konzernunternehmen:” | |
| |
| Abbildung 4.39: Konzern: Brauerei-AG |
|
| |
Ein anderer
Begriff in diesem Zusammenhang ist die Holding(-Gesellschaft),
deren Gegenstand das „Halten” von Beteiligungen an anderen
Unternehmen ist. – Diese Beteiligung kann eine Mehrheits-
oder Minderheits beteiligung sein. Die Holding
fasst oft verwandte Firmen eines Großunternehmens
zusammen. Ein Beispiel liefert die 1996 erfolgte Zusammenführung
der Austria-Collegialität-Versicherung und der Bundesländer-Versicherung
unter einem Holding-Dach (BARC); der Firmenname ist nunmehr UNIQUA. | |
3. Multinationale
Konzerne | |
Überschreitet
eine Konzernbeteiligung mehrfach nationale Grenzen, spricht man
von einem multinationalen Konzern. Multinationale Konzerne stellen
mittlerweile international einen großen Machtfaktor dar. | |
„Regierungen, soweit sie demokratisch gewählt
sind, und deren Bevölkerungen haben an Entscheidungsgewalt verloren,
zugunsten eng vernetzter tyrannischer Privatinteressen.” | |
Nach dem World Investment Report 1994 der UNCTAD (United
Nations Conference of Trade and Development) kontrollieren gegenwärtig
weltweit etwa 37.000 Muttergesellschaften über 200.000 „Töchter”
in anderen Ländern. Das Auslandsvermögen der „Mütter” wird auf 52,8
Billionen S geschätzt. – Häufig beschäftigen Großunternehmen im
Ausland wesentlich mehr Mitarbeiter als im Heimatland. (Die Tendenz
ist weiter steigend.) So zählt Nestlé-Schweiz nur ca 7.000 Beschäftigte,
weltweit aber 218.000. – IBM beschäftigt in den USA immerhin 143.000
seiner insgesamt 300.000 Mitarbeiter. (Stand 1994) – Diese Zahlen
veranschaulichen die Bedeutung juristischer Personen im internationalen
Wirtschaftsleben. | |
Noam Chomsky,
Profit Over People. Neoliberalismus und globale Weltordnung (Europa
Verlag, 2000). | |
4. Fusion
/ Verschmelzung und Spaltung | |
Schließlich soll noch ein Begriff erwähnt werden,
der in der gesellschaftsrechtlichen Praxis immer wieder eine Rolle
spielt: die Fusion. Man versteht darunter die Vereinigung
(verschiedener) Kapitalgesellschaften zu einer neuen Gesellschaft;
also aus zwei oder drei Gesellschaften wird eine. Dies geschieht
durch Gesamtrechtsnachfolge der neuen Gesellschaft
in alle Rechte und Pflichten der bisherigen Gesellschaften unter
Ausschluss der Liquidation (§ 96 GmbHG) der bisher bestehenden Gesellschaften. | |
Die
Liquidation – ein weiterer gesellschaftsrechtlicher Begriff – dient
der ordnungsgemäßen Abwicklung einer Gesellschaft,
die aufgelöst wurde (zB §§ 84 ff GmbHG); sei es
durch Zeitablauf, Gesellschafterbeschluss, Fusion (§ 96 ABGB) oder
Konkurs etc. – Inhaltlich besteht sie in einer Verwertung der Aktiva
der aufgelösten Gesellschaft und der Befriedigung der Gläubiger
der Gesellschaft sowie der Zahlung eines allfälligen Überschusses
an die Gesellschafter. Die Abwicklung erfolgt durch Liquidatoren. | Liquidation |
| |
Das
Gesellschaftsrecht kennt aber nicht nur die Verschmelzung / Fusion,
sondern auch die Spaltung von Kapitalgesellschaften;
SpaltungsG, BGBl 1996/304, Art XIII. Das SpaltungsG regelt in 18
Paragraphen die Voraussetzungen und Rechtsfolgen einer Spaltung.
Dabei sind verschiedene Formen zu unterscheiden: Spaltung unter
Beendigung oder unter Fortbestand der übertragenden Gesellschaft.
§ 15 trifft bspw Anordnungen zum Schutz der Gläubiger. | Spaltung |
C. Die
Persönlichkeitsrechte |
| |
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| |
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1. Ziel des rechtlichen
Persönlichkeitsschutzes | |
Die Person ist Kristallisationspunkt der menschlichen
Identität und einer sich lebenslang weiter entwickelnden Selbstdefinition;
E. Erikson. Die Person als Zentrum des menschlichen Wesenskerns
angemessen zu schützen, ist daher eine wichtige Aufgabe des (Privat)Rechts,
das diese gemeinsam mit anderen Bereichen der Rechtsordnung, etwa
dem Strafrecht und dem Verfassungs- und Verwaltungsrecht (zB Medienrecht,
UbG, KAKuG) erfüllt. | |
In Österreich hat das bürgerliche Recht deutlich
früher als das öffentliche Recht die Bedeutung eines effizienten Schutzes
der menschlichen Persönlichkeit – sowohl gegenüber dem Staat, als
auch zwischen Bürgern und Bürgerinnen, also „unter sich” iSd § 1
ABGB – erkannt. Martinis Entwurf (1796), der in
das WGGB 1797 einfloss, kannte schon einen unverzichtbaren Kern
von Grund- und Persönlichkeitsrechten; vgl die diesem Pkt vorangestellten
Bestimmungen des Entwurfs Martini I 2 §§ 1, 2. Zeiller dagegen
wollte auch den Rest dieser Bestimmungen, den späteren § 16 ABGB,
streichen. | Früher Schutz im bürgerlichen
Recht |
Wellspacher führt dazu aus: „Der größte Teil der angeführten
naturrechtlichen Prinzipien ist im letzten Stadium der Kodifikationsgeschichte
auf Antrag Zeillers gestrichen worden.” […] „Dann beantragt Zeiller
die Weglassung der naturrechtlichen Bestimmungen, im Wesentlichen
mit der Begründung, dass derartige Lehrsätze nicht in ein Zivilgesetzbuch
gehören. Nur bezüglich der angeborenen Rechte meinte Zeiller, man
solle, um ‚allen missdeutungen, besonders der auswärtigen, vorzubeugen,
an einem schicklichen Orte der Einleitung sagen: dass von der obersten Macht
sowohl die angeborenen Rechte, die jedem durch die Vernunft bekannt
sind, als auch die erweblichen durch die Gesetze gesichert werden.
Dadurch würde zugleich der Grund angegeben, warum man die angeborenen
Rechte nicht aufzuzählen brauche’.” – Wellspacher merkt dazu an:
„Der zarten Rücksichtnahme auf das Ausland haben wir es demnach
zu verdanken, dass die angeborenen Menschenrechte im § 16 ABGB.
zur Anerkennung gelangt sind.” Vgl auch meine Ausführungen, in: Barta / Palme / Ingenhaeff (Hg),
Naturrecht und Privatrechtskodifikation (1999). | |
Die „angebornen Rechte”
der österreichischen Kodifikationsgeschichte waren, was heute oft
nicht mehr verstanden wird, die vom rationalen Naturrechtsdenken,
dem Vernunftrecht, vehement geforderten Menschenrechte. Sie brachten
schon in das Privatrecht des 18. Jhd – neben Freiheit und Achtung
der Menschenwürde – den wichtigen Gleichheitsgedanken ein, der auch
für das Privatrecht noch heute bestimmend ist. | |
Der rechtliche
Persönlichkeitsschutz beginnt aber schon im antiken Griechenland mit
Solon (594/3 v.C.), der erstmals und auf Dauer in Attika / Athen
die Schuldknechtschaft beseitigte und damit irreversibel die bürgerliche Freiheit einführte
und daneben privatrechtlich bereits Gleichheit schuf
und dadurch die Umrisse des modernen Rechtssubjekts kreierte. –
Auf dieser Grundlage wurde der erste Persönlichkeitsschutz durch
die sog Hybrisklage geschaffen. | Griechenland – Hybrisklage |
| |
In freien
Gesellschaften gibt es keine Alternative zur Akzeptanz und
Achtung des Individuums. Nur Gesellschaften, die das Individuum
(eine lateinische Übersetzung des griechischen átomos = der Unteilbare
iSv Einzelperson) ernst nehmen, bieten Schutz vor autoritären und
menschenverachtenden Tendenzen. Und in der Bedeutung des Individuellen
kann es keine Unterschiede oder Ausnahmen geben: Europäer sind nicht
wertvoller als Araber oder Afrikaner und Frauen und Kinder um nichts
weniger wertvoll als Personen männlichen Geschlechts. Rechtliche
Über- und Unterordnungen im Bereich des Individuellen darf es auch
künftig nicht geben; Gefahren lauern aber allenthalben: zB bei der
sog Organallokation, der Gentechnik oder nur im Steuerrecht. | Achtung des Individuums |
In dieser Einsicht
liegt die Bedeutung des privatrechtlichen Persönlichkeitsschutzes,
der nur gemeinsam mit den öffentlichrechtlichen – und zwar nationalen,
supra- und internationalen ( → Der
Beitrag des öffentlichen Rechts)
– Schutzinstrumenten seine Aufgabe erreichen kann. – Der Schwerpunkt
der privatrechtlichen Persönlichkeitsrechte liegt auf dem Schutz
der Privat- und Intimsphäre (Schutz der Privatheit
von Individuen), reicht aber bis in den Bereich der wirtschaftlichen
Interessen des Einzelnen hinein, zumal diese für die Freiheit jedes
Individuums von Bedeutung sind; vgl § 1330 Abs 2 ABGB oder das umfassende
Eigentumsverständnis der §§ 353 ff ABGB, das verfassungsrechtlich
noch brach liegt. | |
Obwohl § 16 ABGB zum Urbestand
des ABGB zählt, brauchte es sehr lange, bis dieser normative „Schatz”
judikativ gehoben wurde. Der Durchbruch in Österreich erfolgte erst
in den 1970er Jahren, beeinflusst durch die Rspr des dtBGH (insbesondere
den sog Herrenreiterfall), die wiederum durch die
wichtige Judikatur des dtBVerfG vorangetrieben
wurde; Lüth-Urteil (1958) oder Volkszählungs-Urteil 1983. Dem dtBVerfG
gebührt auch das Verdienst, die im Bonner GG niedergelegte Gleichberechtigung
der Geschlechter (gegen einen zögerlichen Gesetzgeber und widerstrebende
Zivilgerichte) durchgesetzt zu haben. Österreich zog erst in der
Kreisky-Broda-Ära nach. Die Vermittlung in Österreich erfolgte durch
Franz Gschnitzers, AllgT (19661); vgl
auch die umfangreiche Darstellung in: Gschnitzer, AllgT 182-223
(19922). | §
16 ABGB |
Der
späte judikative Rückgriff auf den effizienten Persönlichkeitsschutz
durch die §§ 16 und 17 ABGB ist umso erstaunlicher, als bspw bereits
die ABGB-FS von 1911 (II 163) den Beitrag von Emanuel Adler enthält:
„Die Persönlichkeitsrechte im allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuch”.
Und ebendort (I 173 ff) finden sich die wichtigen Ausführungen Moriz Wellspachers,
„Das Naturrecht und das ABGB”, die ebenfalls auf § 16 ABGB eingehen.
– Zuvor hatte allerdings die unter dem Einfluss von C.F.v. Savigny stehende Historische
(Rechts)Schule das Bestehen subjektiver Persönlichkeitsrechte
überhaupt geleugnet und damit eindrucksvoll ihre (theoretisch verbrämte) Weltfremdheit
unter Beweis gestellt; arg: Rechtsmacht an der eigenen Person sei
undenkbar. In Österreich wurde dieses Gedankengut von Joseph Unger vertreten:
System I 496 ff und 504 ff (18764); | Widerstand der Historischen (Rechts)Schule |
| |
Beigetragen
zur Missachtung des seit 1797 in Österreich gesetzlich geregelten
Persönlichkeitsschutzes, hat aber auch die weithin bestehende und
lang anhaltende überhebliche Geringschätzung naturrechtlichen
Gedankenguts (seit der Mitte des 19. Jhds), die ebenfalls
von der Historischen Rechtsschule gefördert wurde,
idF aber auf das Konto des erstarkenden Rechtspositivismus geht.
Schließlich hat in Österreich das seit den 1930er-Jahren auf fruchtbaren
Boden gefallene nationalsozialistische Gedankengut,
für das der Einzelne nichts, das Volk aber alles bedeutete, einen
menschen- und persönlichkeitsrechtlichen Individualschutz – wie
ihn die §§ 16 und 17 ABGB konzipiert hatten – unmöglich gemacht.
Und anders als in Deutschland kam es in Österreich nach 1945 auch
nicht zu einer Renaissance des Naturrechtsdenkens, das einen effizienten
Rückgriff auf die menschenrechtliche Substanz der §§ 16 und 17 ABGB
gefördert hätte; Otte, Die Naturrechtsrechtsprechung der Nachkriegszeit
(angekündigt). | Rechtspositivismus etc |
Umso erstaunlicher ist es, dass auch nach dieser historisch
bewegten Entwicklung des österreichischen Persönlichkeitsschutzes
namhafte Vertreter des österreichischen Privatrechts die
Bedeutung der §§ 16 ff ABGB immer noch nicht hinreichend erkannt
haben und bspw nicht vorbehaltlos ein in § 16 ABGB verwirklichtes
„allgemeines Persönlichkeitsrecht” annehmen. Man kann da nur sagen:
„Lernen Sie Geschichte”. – Fortschrittlicher denkt die Rspr,
die in diesem bedeutenden Fragenbereich volle Unterstützung verdient.§
16 ABGB: Sitz eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts – Generalklausel. | |
Zum
Schutz der menschlichen Persönlichkeit, ihrer Würde und Individualität
(Menschenwürde) wurden also zivilrechtliche Persönlichkeitsrechte
entwickelt. – § 16 ABGB wird heute als Sitz eines allgemeinen
Persönlichkeitsrechts verstanden. Aus diesem allgemeinen
Persönlichkeitsrecht fließen nach wohl schon herrschendem Verständnis
bei Bedarf neue einzelne / konkrete Persönlichkeitsrechte, wie zB
das Recht am eigenen Bild oder das Recht an der eigenen Stimme oder das
Recht auf einen würdigen Tod oder auf informationelle Selbstbestimmung → Recht
auf informationelle Selbstbestimmung
| Menschenwürde |
| |
§
16 ABGB wird immer dann als Generalklausel für
den Persönlichkeitsschutz herangezogen, wenn bislang keine konkrete
gesetzliche Norm diesen Schutz gewährt. – Daneben dient diese Bestimmung
auch als Argumentationshilfe und Eingangstor für das Einfließen
der Grundrechte
→ Grundrechte
und Privatrecht –
Wie aus einem Steinbruch werden bei Bedarf neue Quader aus dem Muttergestein
des § 16 ABGB gebrochen, um eine sichtbar gewordene Bresche / Lücke in
der rechtlichen Schutzmauer zu schließen. Das moderne Leben (Wirtschaftsmacht,
Mediengesellschaft, rücksichtslose Arbeitswelt und Politik) sorgt
immer wieder für Schutzlücken, die dank des § 16 ABGB geschlossen werden
können, wenn man das „will”. | Generalklausel |
|
JBl 1990, 734(Duldungs- und Mitwirkungspflichten
des Sozialversicherten im Bereich medizinischer Versorgung – Zumutbarkeit
einer Operation): § 16 ABGB ist nicht bloß Programmsatz,
sondern Zentralnorm unserer Rechtsordnung mit normativem, subjektive
Rechte gewährendem Inhalt und schützt in seinem Kernbereich die
Menschenwürde. – Dieses Verständnis des § 16 ABGB durch den OGH
verdient volle Zustimmung. | |
|
2. Der
Beitrag des öffentlichen Rechts | |
Der heute
grundlegende Schutz der menschlichen Persönlichkeit wird in unserer
Rechtsordnung auf verschiedene Weise verwirklicht; Privatrecht und öffentliches
Recht leisten dazu ihren spezifischen Beitrag. – Ein modernes
Verständnis verlangt nach einer funktionalen Harmonisierung von
Privatrecht (Persönlichkeitsrechten) und öffentlichem Recht (Grundrechte),
die in Österreich bislang noch nicht gelungen ist. So wie das Privatrecht
von einer bloß mittelbaren Einwirkung der Grundrechte wegkommen
muss ( → Was
bedeutet „mittelbare” Einwirkung?), braucht auch das Grundrechtsverständnis
eine Öffnung. Dies schon deshalb, weil bspw die Freiheit
des Einzelnen längst nicht mehr nur vom Staate und seinen
Organen gefährdet wird, sondern auch von „privaten” Mächten; das
mögen politische Parteien oder Multis sein. Gegen solche Akteure
auf (Grund)Schutz verzichten zu müssen, erscheint nicht mehr zeitgemäß.
– Die vom dtBVerfG eingeschlagene Entwicklung sollte uns Vorbild
sein. | |
Das Verfassungsrecht wirkt
insbesondere durch die Grundrechte, von denen einige
beispielhaft genannt werden sollen; StGG 1867:
– Art 5: Das Eigentum ist unverletzlich; – Art 6: Niederlassungsfreiheit,
Freiheit des Liegenschaftsverkehrs, insbesondere des Liegenschaftserwerbs,
Freiheit der Erwerbstätigkeit; – Art 8: Schutz der persönlichen
Freiheit (ergänzt durch das BVG über den Schutz der persönlichen
Freiheit, BGBl 1988/684); – Art 9: Schutz des Hausrechts; – Art
10: Schutz des Briefgeheimnisses; – Art 11a: Schutz des Fernmeldegeheimnisses;
– Art 12: Versammlungs- und Vereinsfreiheit; – Art 13: Schutz der
freien Meinungsäußerung innerhalb der gesetzlichen Schranken (Zensurverbot);
– Art 14: Volle Glaubens- und Gewissensfreiheit; – Art 17: Die Wissenschaft
und ihre Lehre ist frei; – Art 17a: Freiheit der Kunst; – Art 18:
Freiheit der Berufswahl; – Art 19: Schutz von Minderheiten – „Alle
Volksstämme des Staates sind gleichberechtigt und jeder Volksstamm
hat ein unverletzliches Recht auf Wahrung seiner Nationalität und
Sprache”. – Vgl auch – Art 7 B-VG: Gleichheit aller Bundesbürger
vor dem Gesetz; – Art 83 B-VG: Recht auf den gesetzlichen Richter:
„Niemand darf seinem gesetzlichen Richter entzogen werden.” | |
Anders als das Privatrecht,
das in § 16 ABGB eine Generalklausel für Persönlichkeitsrechte kennt,
gibt es bislang keine Grundrechts-Generalklausel,
wenngleich das sinnvoll wäre (Übernahme der §§ 16, 17 ABGB!); vgl dagegen
Art 1 (Schutz der Menschenwürde) und Art 2 („Jeder hat das Recht
auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit ...”) des BonnerGG
1949. Daran zeigt sich die vergleichsweise größere Flexibilität
und Funktionalität des Privatrechts. – Zur sog (mittelbaren) Drittwirkung
der Grundrechte auf das Privatrecht → Grundrechte
und Privatrecht
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Einen ausdrücklichen Schutz
der Persönlichkeitsrechte psychisch Kranker in Krankenanstalten
statuiert das UbG 1990 (§ 1) → Das
Unterbringungsgesetz 1990 –
§ 5a KAKuG (BGBl 1993/801), ausgeführt durch Landes-Ausführungsgesetze
(zB § 9a TirKAG, LGBl 1995/82) statuiert Patientenrechte , als
spezifische Persönlichkeitsrechte. – Andere wichtige Bereiche sind
etwa das DSG 2000 → Datenschutz oder
das MedG
→ §§
6 ff MedG
| Beispiele
aus dem Verwaltungsrecht |
§§ 75 ff StGB
(Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben: § 75 Mord; § 76 Totschlag;
§ 80 fahrlässige Tötung; § 83 Körperverletzung usw); – §§ 99 ff
(Strafbare Handlungen gegen die Freiheit); – §§ 111 ff (Strafbare
Handlungen gegen die Ehre: § 111 Üble Nachrede, § 113 Vorwurf einer
schon abgetanen gerichtlich strafbaren Handlung, § 115 Beleidigung);
– §§ 118 ff (Verletzungen der Privatsphäre und bestimmter Berufsgeheimnisse:
§ 118 Verletzung des Briefgeheimnisses und Unterdrückung von Briefen,
§ 119 Verletzung des Fernmeldegeheimnisses, § 120 Missbrauch von
Tonaufnahme- oder Abhörgeräten, § 121 Verletzung von Berufsgeheimnissen,
§ 122 Verletzung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses). | |
Auch das Völkerrecht / internationale Recht
schützt seit geraumer Zeit die Persönlichkeit des Menschen. Vgl
etwa: – die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte
und Grundfreiheiten – EMRK (BGBl 1958/210): Die
Konvention selbst stammt vom 4.11.1950, das 1. ZP vom 20.3.1952:
ZB – Art 2: Leben; – Art 3: Folter, unmenschliche und erniedrigende
Strafe oder Behandlung; – Art 4: Sklaverei; – Art 5: Freiheit und
Sicherheit; – Art 6: Recht auf ein faires Verfahren etc; – Art 8:
Achtung des Privat- und Familienlebens, der Wohnung und des Briefverkehrs
uvam; – Art 11: Vereinsfreiheit und die – UNO-Deklaration
der Menschenrechte vom 10.12.1948. | |
EU: Die neue EU-Verfassung wird
eine „Grundrechtscharta” enthalten und damit auf supranationaler
Ebene den Grundrechtsschutz der einzelnen EU-Bürger/innen stärken. | |
3. Der Beitrag
des Privatrechts | |
Im Privatrecht schützt einerseits das ABGB selbst
– zB §§ 16, 17, 43, 1325 ff, 1328 und 1329, 1330 uam – die menschliche
Persönlichkeit, wie andererseits auch andere Privatrechtsnormen:etwa
§ 78 UrhG (Recht am eigenen Bild) und in Analogie dazu das Recht
an der eigenen Stimme (Gschnitzer). – Den tiefen menschlichen Gehalt
der §§ 16, 17 ABGB verdanken wir Karl Anton von Martini; vgl das
Pkt C vorangestellte Motto. | |
Das BonnerGG 1949 formuliert:
Art 1 Abs 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu
achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlicher Gewalt”;
und Art 2 Abs 1 GG: „Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt
und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz
verstößt”. | BonnerGG 1949: Schutz der Menschenwürde |
SchwZGB:
Art 27 Abs 1: „Auf die Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit kann
niemand ganz oder zum Teil verzichten”; Art 27 Abs 2 SchwZGB: „Niemand
kann sich seiner Freiheit entäußern ...”; Art 28 Abs 1 SchwZGB: „Wer
in seinen persönlichen Verhältnissen unbefugterweise verletzt wird,
kann auf Beseitigung der Störung klagen ...”. | |
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4. Wirkung: Absoluter
Rechtsschutz | |
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5. Ermittlung von
Schutzinhalten und Schutzgrenzen | |
Die
Grenzen des konkreten Persönlichkeitsschutzes müssen jeweils durch Interessenabwägung abgesteckt
werden. – Dazu hat sich Albert Ehrenzweig (I/12,
127) grundlegend geäußert: | Interessenabwägung |
„Der Schutz der Persönlichkeit, namentlich der
Gefühlssphäre, darf nicht überspannt werden. Nicht nur die eigene Freiheit,
auch die des anderen ist ein Persönlichkeitsrecht. Wo die Grenze
liegt, darüber entscheidet nicht der doktrinäre Begriff, sondern
die gerechte Abwägung der widerstreitenden Interessen.” | |
So ist bspw im Rahmen des Schutzes nach
§ 78 UrhG (Recht auf das eigene Bild) zwischen dem berechtigten Informationsinteresse
der Öffentlichkeit und dem privaten Schutzbedürfnis
des Einzelnen abzuwägen, was nicht immer leicht ist. Diese
Abwägung ist vor allem für die Politik von Bedeutung. Auch das Privatleben
von Politikern und Künstlern ist selbstverständlich geschützt. –
Andrerseits hat die Bevölkerung ein Recht über wichtiges unterrichtet
zu werden, was mit ihrer Amtsführung zu tun hat. | Informationsinteresse versus
Schutzbedürfnis |
|
RfR
1989, 37 (Erk des VfGH): Waldheim-Interview
im ORF: „Die Grenzen akzeptabler kritisch-provokanter Fragestellung
sind in Bezug auf einem im öffentlichen Leben stehenden Politiker
grundsätzlich weitergezogen als bezüglich einer Privatperson.” Waldheim
war gefragt worden: „Herr Bundespräsident, bitte in einem Bereich,
in dem wir kein Erinnerungsproblem haben ...” Der VfGH erblickte
im Bescheid der Rundfunkkommission, der eine Verletzung des in §
2 RfG statuierten Objektivitätsverbots angenommen hatte, eine Verletzung
des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung. | |
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EvBl 1995/96: Missbrauch
von Personenbildnissen
→ Rechtsprechungsbeispiele
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OGH und
„Baukartell-Vorwürfe” des Grünabgeordneten Peter
Pilz (Aus: Der Standard, 18.6.1999, S. 55): Bauaffäre:
Verfassungsexperte (Heinz Mayer / Wien) kritisiert OGH-Entscheidung
– Meinungsfreiheit am Würgeband: ‚Haltet den Mund,
Kritiker!’ | |
Unter dieser oder einer ähnlichen Überschrift
berichteten die Medien in den vergangenen Tagen über eine E des
OGH. Was war geschehen? Ein Abgeordneter zum Wiener Landtag hatte
im Vorjahr im Rahmen einer Pressekonferenz sinngemäß behauptet,
ein der Gemeinde Wien nahestehendes Bauunternehmen sei Mitglied
eines Wiener Baukartells und der Vorstand sei über die gesamten
Praktiken informiert. | |
Zum Beleg wurden Unterlagen vorgelegt und auch
dem Kontrollamt der Stadt Wien übermittelt .... Das Unternehmen
reagierte prompt ...: Es klagte den Mandatar auf Kreditschädigung
(100 Mio Schilling) und beantragte die Erlassung einer einstweiligen
Verfügung, mit der dem Abgeordneten verboten wird, die genannten
Behauptungen ‚und gleichartige ähnliche kreditschädigende Äußerungen
zu verbreiten’. Das Erstgericht erließ diese Verfügung antragsmäßig.
Wenig später verhängte die Stadt Wien u.a. über das klagende Unternehmen
eine Bausperre. Daraufhin hob das Gericht die einstweilige Verfügung
auf: Es sei ‚einer breiteren Öffentlichkeit und im übrigen auch
gerichtsnotorisch bekannt ..., dass die Klägerin in ... Bieterabsprachen
verwickelt ist’. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung;
es bezog sich dabei auch auf einen Kontrollamtsbericht der Stadt
Wien, in dem dieses zum Ergebnis kam, dass die vom Abgeordneten
übermittelten Unterlagen ‚Aufzeichnungen über Bieterabsprachen’
seien. Das Kontrollamt brachte seinen Bericht auch der Stadt Wien
zur Kenntnis. Nun war der Oberste Gerichtshof am Zug: Das Unternehmen
wehrte sich gegen die Aufhebung der einstweiligen Verfügung; es
sei weiterhin in seinem guten Ruf gefährdet, wenn der Abgeordnete
seine Vorwürfe verbreite. Damit fand es beim 6. Senat des OGH Verständnis;
dieser setzte die"\f1 einstweilige Verfügung und damit das Redeverbot
wieder in Kraft. Mit einer ganz und gar überraschenden Begründung:
Es sei zwar die Auftragssperre und auch der Kontrollamtsbericht
‚ein Indiz für die Richtigkeit der Vorwürfe’, dies bedeute aber
nicht, dass die Gefährdung weggefallen sei. Nur wenn feststünde,
dass die Vorwürfe ‚allen denkmöglichen Kunden’ bekannt geworden
seien ‚und eine allgemeine negative Ansicht darüber bestünde, dass
die Vorwürfe ... stimmen’, sei eine Gefährdung des guten Rufes des
Unternehmens auszuschließen. Dies sei aber nicht ‚zwingend’ anzunehmen.
Dieser Beschluss – so H. Mayer – reicht in seiner Bedeutung weit
über den Anlassfall hinaus. Er trifft praktisch jedermann, insbesondere
auch die Presse. Seine Begründung ist ein juristischer Skandal ....
Mit Befremdung muss man zunächst feststellen, dass dem Obersten
Gerichtshof die verfassungsrechtliche Dimension seiner Entscheidung
offenbar vollkommen verborgen blieb; davon, dass diese Entscheidung
in das Grundrecht der Meinungsfreiheit eingreift, ist nicht einmal
andeutungsweise die Rede. Das ist unverständlich; haben sich doch
andere Senate des OGH in den letzten Jahren wiederholt und gewissenhaft
mit dem Grundrecht der freien Meinungsäußerung und mit der dazu
ergangenen Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte
(EGMR) auseinandergesetzt. Insbesondere der 4. Senat: Dieser hat
etwa im Jahre 1996, dem EGMR folgend, klargestellt, dass der Schutz
der Meinungsfreiheit gerade solchen Meinungen gilt, die ‚gegen den
Strom schwimmen’ und Teile der Bevölkerung verletzen, schokkieren
oder beunruhigen. Eine Demokratie ist nämlich nur möglich, wenn
eine offene geistige Auseinandersetzung gewährleistet ist. Auf diesen
demokratietheoretischen Aspekt Meinungsfreiheit hat etwa der 7.
Senat des OGH bereits im Jahre 1991 hingewiesen und beigefügt, dass
es nicht zulässig sei, ‚Kritiker durch strafrechtliches oder zivilrechtliches
Vorgehen mundtot’ zu machen. Auch damit folgte der OGH der Lehre
und der Judikatur des EGMR. Freilich hat auch die Meinungsfreiheit
Grenzen; sie darf etwa dann eingeschränkt werden, wenn dies zum
Schutze des guten Rufes in einer demokratischen Gesellschaft notwendig
ist. Im Zweifel muss eine Interessenabwägung stattfinden, eine Einschränkung
der Meinungsfreiheit darf, so EGMR in einem Urteil 1992, immer nur
eine eng begrenzte Ausnahme sein. All dies wurde in der Rechtswissenschaft
und in der Judikatur des EGMR, des Verfassungsgerichtshofs und auch des
OGH in den letzten Jahrzehnten erarbeitet und gehört heute zum verfassungsrechtlichen
Lehrbuchwissen. Umso erstaunlicher, dass dies dem 6. Senat des OGH
gänzlich verborgen blieb. Hat der OGH nicht gesehen, dass ein sanktioniertes
Verbot, bestimmte Dinge zu sagen, eines der wichtigsten demokratischen Grundrechte
beeinträchtigt? Bringt man das auf den Punkt, was von der Meinungsfreiheit
nach dieser Entscheidung überbleibt, dann ist es dies: Eine Kritik,
die den guten Ruf eines anderen beeinträchtigen könnte, ist dann
zulässig, wenn sie allgemein bekannt und geteilt ist. Dies muss
aber ‚feststehen’! ... Man kann nur hoffen, dass diese Auffassung
vereinzelt bleibt und dass die künftige Judikatur des OGH das Grundrecht der
Meinungsfreiheit von diesem Würgeband wieder befreit. Sonst wird
es still in diesem Land. Gespenstisch still." | |
– Der Schutz der Meinungsfreiheit
durch die Rspr scheint sich aber zu wandeln. So wurde Prof. Anton Pelinka in
erster Instanz für folgende Aussagen zur Person Jörg Haiders strafrechtlich
verurteilt (§§ 111 Abs 1 und 2 und 115 Abs 1 StGB: Üble Nachrede
und Beleidigung): Haider hat in seiner Karriere immer wieder Aussagen
gemacht, die als Verharmlosung des Nationalsozialismus zu werten
sind. Er hat einmal die Vernichtungslager ‚Straflager’ genannt.
Insgesamt ist Haider verantwortlich für eine Salonfähigkeit bestimmter
nationalsozialistischer Positionen und bestimmter nationalsozialistischer
Äußerungen." (Mai 1999 im italienischen TV) – Das OLG Wien (24.
BS 244/2000) hat Pelinka 2001 aber freigesprochen; vgl Informationen
der Gesellschaft für politische Aufklärung Nr 69/2001, 6 f. | |
Zur mittelbaren Einwirkung der Grundrechte
auf das Privatrecht → Grundrechte
und Privatrecht
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Die Probleme um den Schutz der Rechtspersönlichkeit
des Menschen sind heute grundsätzlich gelöst. Offene Fragen bestehen
aber noch am Beginn, gleichsam in der Phase des Noch-nicht-(ganz)-Menschseins
(§ 22 ABGB) und bei den Nachwirkungen der menschlichen Existenz,
also der Phase des Nicht-mehr-Menschseins. – Wen wundert es, dass
die gesellschaftliche und religiöse Einfärbung des jeweiligen Betrachters
zu unterschiedlichen Ergebnissen führt? | Offene
Fragen |
Zur
ersten Gruppe gehört vor allem das menschlich schwierige Problem
der Abtreibung, zur letzteren das des postmortalen
Persönlichkeitsschutzes. Allein die Gegensätze sind nicht
mehr so schroff wie früher. Damit soll nicht gesagt sein, dass die
Fragen des Persönlichkeitsrechtsschutzes in all ihren Details schon
befriedigend gelöst werden, zumal immer wieder neue Herausforderungen
auftreten, die es im Geiste des § 16 ABGB zu lösen gilt; zB im Bereich
der Gentechnik, des Rechts auf informationelle
Selbstbestimmung, der Frage der Verbindlichkeit von Patiententestamenten oder
dem Umfang und der Durchsetzung von Geheimhaltungs- und Verschwiegenheitspflichten.
– Das Instrumentarium zur Lösung dieser Fragen ist vorhanden, wir
müssen es nur zum Wohle der Menschen anwenden. | |
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SZ
57/98 (1984): Sohn verlangt Herausgabe
der Krankengeschichte seiner verstorbenen Mutter. | |
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II. Persönlichkeitsrechte
– Überblick | |
§
26 ABGB stellt juristische Personen grundsätzlich den natürlichen
Personen gleich; das gilt auch für den Persönlichkeitsschutz, der
– soweit möglich und sinnvoll – auch juristischen Personen zuerkannt
wird; zB nach § 1330 ABGB: Ehre. Die Rspr erstreckt diesen Schutz
auch auf Personengesellschaften (OHG, KG, GesbR etc), mögen diese
auch keine voll entwickelten oder überhaupt keine juristischen Personen
sein. | |
1. Recht auf Leben,
Gesundheit, Erwerbsfähigkeit | |
Rechtsquellen:
§ 22, §§ 1325–1327 ABGB + Art 2 EMRK, §§ 75 ff StGB. | |
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2. Recht auf einen
würdigen Tod | |
Dieses mittlerweile
bedeutende Persönlichkeitsrecht wurde zunächst aus § 16 ABGB abgeleitet und
erst idF gesetzlich festgeschrieben; vgl nunmehr § 5a Z 9 KAKuG
( → Persönlichkeitsschutz
im Medizinbereich) samt Landesausführungsgesetzen. | |
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Kraft
ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung in § 62a KAKuG ist es gestattet,
Verstorbenen – so sie zu Lebzeiten keine gegenteilige Anordnung
(sog Widerspruchserklärung) abgegeben haben – einzelne Organe und
Organteile zu entnehmen, um damit anderen Menschen zu helfen; Organtransplantation.
Zur historischen Interpretation dieser Norm → KAPITEL 18: Weltbild, Menschenbild und Menschenwürde ¿ Zur
Rolle der Medizin in modernen Gesellschaften.
– Nach dem KAKuG muss derzeit für eine Organentnahme nicht die Zustimmung der
Angehörigen eingeholt werden. Die Grenze der Pietät ist aber zu
beachten, zumal Missstände in anderen Ländern bekannt sind; Handel
mit ‘lebenden’ Organen. Näheres bei Barta,
in Barta / Ernst / Moser (1994).
– Gesetzlich geregelt ist in Österreich derzeit nur die Toten-,
nicht dagegen die Lebendspende. Auch viele andere wichtige Fragen des
Transplantationsrechts sind ungeregelt. | Organtransplantation |
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3. Schutz der geschlechtlichen
Selbstbestimmung und Freiheit | |
Mit
BGBl 1996/759 wurde vor § 1328 ABGB auch eine neue Überschrift eingefügt
und dadurch endlich ein präziser gefasstes Persönlichkeitsrecht
in diesem praktisch so wichtigen Bereich geschaffen. | §§ 1328, 1329 ABGB |
| |
Vgl dazu die §§ 17, 39, 33 ABGB iVm Art 7 B-VG
etc. – Die Entstehung dieses auch privatrechtlich so bedeutenden
Gesichtspunktes verdanken wir den alten Griechen (Solon). | |
5. Recht
eine (nichteheliche) Lebensgemeinschaft einzugehen | |
Auch
dieses Recht wird auf § 16 ABGB gestützt. | |
|
SZ
64/106 ( Ausgedinge – Aufnahme
eines Lebensgefährten in die Wohnung?): 1975 war der Hof
dem Sohn übergeben worden. Der Sohn hatte seinen Eltern das übliche
Ausgedinge eingeräumt. Nach dem Tod des Vaters / Altbauers geht
die Witwe / Mutter des Übernehmers mit einem anderen Mann eine Lebensgemeinschaft
ein. Das führte in der Folge zum Streit des Sohnes mit seiner Frau
und schließlich klagte die Schwiegertochter die Schwiegermutter
darauf, die Gestattung des weiteren Bewohnens des Hauses durch ihren
Lebensgefährten zu unterlassen. Der OGH wies dieses Klagebegehren
mit der Begründung ab, dass es ein Persönlichkeitsrecht sei, eine
Lebensgemeinschaft einzugehen und dass die Aufnahme eines Lebensgefährten
in die Ausgedingswohnung nur dann untersagt werden kann, wenn dies
von den Parteien schon im Vertrag so gewollt und vereinbart war.
Zum Ausgedinge → KAPITEL 8: Das
Ausgedinge. | |
|
6. Ehre,
wirtschaftliches Fortkommen, Kreditfähigkeit | |
| |
7. Urheber- und
Patentschutz | |
Vgl § 4 PatG; § 6 PatG:
Schutz der Erfinderehre; §§ 19 ff UrhG: Schutz
des sog Urheberpersönlichkeitsrechts. | |
| |
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Er erfasst bspw auch Tagebücher;
§ 77 UrhG. | |
9. Persönlichkeitsschutz
im Medizinbereich | |
Die
Rspr gewährt auch Persönlichkeitsrechte im Rahmen der ärztlichen
Behandlung und überhaupt im Rahmen der Beziehung „Recht und Medizin”:
zB ärztliche Aufklärungspflicht, Verschwiegenheitspflicht, Einsicht
/ Herausgabe / in die/der (eigene/n) Krankengeschichte oder überhaupt
das Recht auf ein/en würdiges/n Sterben / Tod. – Hier geht es um
das immer wieder verkannte Selbstbestimmungsrecht von Patienten,
das von Medizinern oft nicht verstanden wird. | Selbstbestimmungsrecht von Patienten |
| |
Eine
Novelle zum KAKuG, BGBl 1993/801 schuf erstmals Patienten(persönlichkeits)rechte für
den Bereich der öffentlichen Krankenanstalten, die von den Ländern
in L-KAG auszuführen waren; vgl etwa § 9a TirKAG, LGBl 1995/82 in
Ausführung des § 5a KAG. Danach haben die Träger der Krankenanstalten
ua sicherzustellen, dass: | Patienten(persönlichkeits)rechte |
„1. Pfleglinge Informationen über die ihnen
zustehenden Rechte erhalten sowie ihr Recht auf Einsicht
in die Krankengeschichte und die Herstellung von Abschriften oder Ablichtungen davon
ausüben können; | |
2. Pfleglinge ihr Recht auf Aufklärung und Information über
die Behandlungsmöglichkeiten samt Risiken ausüben können; ... | |
6. auf Wunsch des Pfleglings eine psychologische
Unterstützung möglich ist; | |
7. die Intimsphäre der
Pfleglinge ausreichend gewahrt ist; ... | |
9.
ein würdevolles Sterben sichergestellt ist und
Vertrauenspersonen Kontakt mit dem Sterbenden pflegen können; ... | |
11. bei der stationären und ambulanten Versorgung von Kindern
eine möglichst kindergerechte Ausstattung der Krankenräume gegeben
ist; ...” | |
Zur Unterstützung
von Patienten wurden schon 1993 (KAKuG) Patientenvertretungen geschaffen,
die gerne mit den Patientenanwaltschaften ( → Das
Unterbringungsgesetz 1990 )
verwechselt werden. Wichtige Aufgabe der Patientenvertretungen ist
es ua Patienten bei der Durchsetzung allfälliger Schadenersatzansprüche
aus unterlaufenen Behandlungsfehlern behilflich zu sein. – Zur Arzt-
oder Medizinhaftung und zum Behandlungsvertrag → KAPITEL 10: Behandlungsvertrag
¿ Medizinhaftung. | |
10. Achtung des
religiösen Empfindens und des Pietätsgefühls | |
Vgl § 39 ABGB. – Dieses
Recht kollidiert immer wieder mit der Freiheit der Kunst; Art 17a
StGG 1867. | |
| |
11. Recht
auf das eigene Bild: § 78 UrhG | |
Der praktisch
bedeutsame Bildnisschutz wird analog auf den Schutz
der eigenen Stimme ausgedehnt, das gesprochene Wort (Gschnitzer);
SZ 65/134: dazu gleich unten. | |
| |
|
SZ 65/134 (1992): Tonbandaufnahme
einer geschäftlichen Besprechung unter vier Augen (zwischen Geschäftsführer
und Außendienstmitarbeiter) ohne Zustimmung des Gesprächspartners
stellt einen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht dar und ist rechtswidrig.
Arbeitsrechtlich begründet ein solches Verhalten eine Vertrauensunwürdigkeit
iSd § 27 Z 1, 3. Fall AngG und berechtigt zur Entlassung. – OGH
stützt sich in dieser E ua auf Koziol, nicht aber Gschnitzer, von
dem dieser Schutz erstmals gefordert wurde; vgl AT1 72
(1966). | |
|
| |
§ 43 ABGB: Schutz genießen
natürliche und juristische Personen. Vgl auch §§ 17 ff HGB: Firmenschutz. | |
|
EvBl 1985/38: Unbefugter Namensgebrauch
eines Rechtsanwalts. Unzulässige „Namensanmaßung” eines
Rechtsanwalts, der im Briefkopf seines
Kanzleipapiers neben seinem eigenen Namen auch noch den Namen eines
andern Rechtsanwalts – seines ehemaligen Kanzleikollegen – anführt
und dadurch den irrigen Eindruck einer in Wahrheit nicht (mehr)
bestehenden Kanzleigemeinschaft hervorruft. – Abgrenzung zwischen
einer „Namensanmaßung” und einer bloßen „Namensnennung”. | |
|
Der Name bezeichnet
den Menschen, die natürliche Person, festigt seine Identität. Durch
den Namen unterscheidet er sich von anderen Individuen. Namensschutz
bedeutet daher rechtlich: Identitätsschutz. Namensschutz
spielt nicht nur bei natürlichen Personen, sondern auch bei juristischen
Personen eine wichtige Rolle; auch die Firma und die Unternehmensbezeichnung
etc werden geschützt. – Es lässt sich sagen: Der „Name” schützt
die Identität von Rechtssubjekten und hilft diese voneinander unterscheiden. | Identitätsschutz |
Die Vorschriften des Namensrechts
sind idR öffentlichrechtlicher Natur, das Privatrecht räumt den
einzelnen Rechtssubjekten aber ein subjektives Privatrecht
zum Schutz des Namens ein. – Darin liegt die Bedeutung
des § 43 ABGB. Diese Ebenen sind zu unterscheiden! | |
Der bürgerliche Name besteht aus dem Vor-
und Familiennamen; beide sind geschützt. Der Name ist
ein höchstpersönliches Recht und kann daher weder
veräußert noch vererbt werden; vgl aber den unten wiedergegebenen
„Radetzky-Fall”, der uns zeigt, dass über die wirtschaftliche Verwendung
eines Namens durch andere ein Gestattungsvertrag abgeschlossen
werden kann. Der Name kann also mit Zustimmung des Namensinhabers
zu Werbezwecken verwendet werden und das Handelsrecht lässt Firmen(namens)übertragungen
zu. | Bürgerlicher
Name |
Mit
Gesetz vom 3.4.1919, StGBl 211 – sog AdelsaufhebungsG –
wurde es österreichischen Staatsbürgern untersagt, Adelsbezeichnungen
zu führen. Manche glauben aber darauf nicht verzichten zu können.
Die Praxis ist großzügig und übergeht die rechtswidrige Verwendung
von Adelsbezeichnungen in Tauf-, Hochzeits- oder Todesmitteilungen. | AdelsaufhebungsG |
Geschützt wird
aber nicht nur derFamilienname, sondern auch: | Weiter Namensschutz |
•
Der Deck- oder Künstlername vgl
neben § 43 ABGB etwa §§ 12, 61, 68 UrhG oder § 3 MedG; | |
•
der sog Vulgär- oder Hofname; | |
•
der Name juristischer Personen; | |
•
aber auch Geschäfts- und Etablissementbezeichnungen; | |
Zum
handelsrechtlichen Firmenschutz vgl § 17 HGB iVm § 37 HGB: Die Firma ist
der Name des Kaufmanns „unter dem er im Handel seine Geschäfte betreibt
und die Unterschrift abgibt. Ein Kaufmann kann unter seiner Firma klagen
und beklagt werden”. | Firmenschutz |
•
und nunmehr der
Domain-Name im
Internet, insbesondere auf Homepages → KAPITEL 2: Rechtliche
Probleme des Domain
Namens:
H. Ortner. | |
| |
|
EvBl 2000/113 (§ 43 ABGB – Zum Charakter
des Domain-Namens): Domain-Namen, die einen Namen enthalten
oder namensmäßig anmuten, haben Kennzeichnungs- und Namensfunktion.
Der Domain-Name identifiziert einen bestimmten Computer im Internet.
Er fällt demnach unter den Schutz des § 43 ABGB. | |
|
|
OGH 21. 12. 1999, 4 Ob 320/99h („
ortig-Fall”),
SZ 72/207 = EvBl 2002/107: Im Gründungsstadium befindlicher Dachverband
für Internetanbieter will Akronym”ortig” als
Domainnamen („ortig.at”) verwenden. Der Kläger, der diesen
Familiennamen trägt und darunter Internetdienstleistungen anbietet,
klagt aus § 43 ABGB auf Unterlassung. – OGH: Domainnamen, die einen
Namen enthalten oder namensmäßig anmuten (hier: „ortig”), haben
Kennzeichnungs- und Namensfunktion; sie fallen demnach unter den Schutz
des § 43 ABGB. Es gilt das Prioritätsprinzip [immer?], weshalb der
OGH die Verwendung der Internetadresse „ortig.at” untersagt; und
das, obwohl der geschützte Unternehmer selbst seinen Namen nicht
als Internetadresse verwendet. (E überzeugt nicht restlos.) | |
|
|
OGH 22. 3. 2001, 4 Ob 39/01s, EvBl 2001/155:
Die Verwendung eines Namens für eine Internet-Domain beeinträchtigt
die berechtigten Interessen des Trägers der diesen Namen führenden
Institution, wenn auf der dazu gehörigen Website „Insider-Informationen”
dieser Institution angeboten werden, die den Bruch der Amtsverschwiegenheit
nahe legen; hier: „rechnungshof.com”, „rechnungshof.org”,
„rechnungshof.net”. Es liegt somit ein Verstoß
gegen das Namensrecht des § 43 ABGB vor. Überlegenswert
erschiene ein Abstützen über §§ 16, 26 iVm 43 ABGB. | |
|
| Namensgebung
und Namensänderung |
Neben § 43 ABGB gewähren
auch Normen außerhalb des ABGB, etwa: §§ 30, 37 HGB; § 9 UWG; §§
12, 51 ff MarkSchG, Namensschutz. | |
|
SZ 55/145 (1982): Barbara
Rütting-Brot: Wer den Namen eines anderen ohne dessen Einwilligung
zur Kennzeichnung von Waren im Handelsverkehr verwendet, begeht
eine Kennzeichenverletzung iSd § 56 MarkSchG iVm § 12 leg cit. | |
|
|
OGH 15. 6. 2000, 4 Ob 85/00d („
Radetzky-Fall”), JBl 2001, 54: Der Großvater des
Beklagten erhielt vom Vater des Klägers (Josef Graf Radetzky) die
Erlaubnis zur Verwendung des Familiennamens für seinen Weinhandel.
Der Kläger begehrt nun vom Beklagten, die Verwendung des Namens
„Radetzky” zu unterlassen. – OGH: Wegen der Höchstpersönlichkeit
des Namensrechts kann die Gestattung der Namensverwendung
nicht als Veräußerung, sondern nur als
Verzicht als die Geltendmachung von Unterlassungs- und Schadenersatzansprüchen
gegen den Begünstigten angesehen werden. Dieser Gestattungsvertrag bindet
auch den (Gesamt) Rechtsnachfolger des Gestattenden (=Kläger). Diese
E lehrt uns, ebenso wie das Firmenrecht, dass es dogmatisch vorzuziehen
ist, nicht das gesamte „Spektrum” des Namensschutzes als höchstpesönlich
anzusehen. Vorzuziehen ist es vielmehr, von einem höchstpersönlichen
Kern des Namensrechtes auszugehen und darüber hinaus, daran angelagert,
auch nicht-höchstpersönliche Bereiche des Namensschutzes anzunehmen.
Dadurch würde auch der „auf Verwandtschaft” mit dem Urheberrecht,
dem Patentrecht etc Rechnung getragen. | |
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| |
Vgl § 1 DSG 2000 (Verfassungsbestimmung)
– Mit dem Tatbestandsmerkmal „personenbezogene”
wird immer wieder Missbrauch getrieben, um sich bestehender Verpflichtungen
zu entledigen. Es ist Aufgabe der Rspr hier – wo immer möglich –
für Klarheit zu sorgen. | Schutz personenbezogener
Daten |
„Jedermann
hat Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen
Daten, soweit er daran ein schutzwürdiges Interesse, insbesondere
im Hinblick auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, hat”
(Abs 1). | § 1 DSG 2000 |
Die anderen Absätze des § 1 DSG enthalten
ein Recht auf Auskunft, Richtigstellung und Löschung
eigener Daten. § 1 Abs 6 DSG bringt (unmittelbar) die Drittwirkung
des Grundrechts auf Datenschutz, also dessen Geltung im Bereich
privatrechtlicher Beziehungen, zum Ausdruck; verfassungsrechtliche
Garantie des ordentlichen Zivilrechtswegs. – Im Bereich der Hoheitsverwaltung
können sich Betroffene mit Individualbeschwerde an die Datenschutzkommission wenden;
§ 14 DSG. | Richtigstellung
und Löschung etc |
Der Schutz des DSG erstreckt
sich auf natürliche und juristische Personen sowie
Zwischenformen – unabhängig von der Staatsbürgerschaft; § 3 DSG. | Schutz
umfasst nat und jurPn |
| |
Hier werden üble
Nachrede, Verspottung, Verleumdung,
Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs sanktioniert.
– § 9 MedG regelt das Recht der Entgegnung; § 10
MedG die nachträgliche Mitteilung über den Ausgang eines Strafverfahrens. | |
| |
| |
15. Recht
auf informationelle Selbstbestimmung | |
Dieses neue Persönlichkeitsrecht versucht das Schreckgespenst
des gläsernen Menschen, auf dessen „Daten” von verschiedenen
Seiten zugegriffen werden kann, zu bannen; zB Patientenkarte. –
Hier erscheint es aber künftig wichtig, das Kind nicht mit dem Bade
auszugießen. | |
„Die Vernetzung von Medizin, Wirtschaft
und Verwaltung bildet den ganzen Bürger als Datengestalt ab, welche
den Angriffen von Kommerz und Staat völlig wehrlos ausgeliefert
ist: Das fürchten nicht nur Bürgerrechtler.” – Der Spiegel, Nr 11/11.3.1996,
S. 74. – In Österreich liegt dzt ein Entwurf eines BG betreffend
Übertragungssicherheit beim elektronischen Austausch von Gesundheitsdaten
und Einrichtung eines Informationsmanagement-GesundheitstelematikG
(BMSG unter GZ 70.101/22-VII/B/10/02) vor; RdM 2002, 121. | |
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16. Verschwiegenheitspflichten | |
Sie dienen
in sehr unterschiedlichen Bereichen der Rechtsordnung ebenfalls
dem Persönlichkeitsschutz: Etwa § 9 Abs 2 RAO, § 54 ÄrzteG 1998,
Art 20 Abs 3 B-VG (Amtsverschwiegenheit für Beamte) uvam. | |
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OGH 25. 9. 2001, 4 Ob 206/01z, EvBl 2002/32:
Gegen einen Erzeuger von Faustfeuerwaffen ist ein Finanzstrafverfahren anhängig.
In einer Zeitschrift erscheint ein Artikel mit Informationen, die
nur aus dem Finanzstrafakt stammen können. Der Waffenproduzent klagt
den Medieninhaber auf Schadenersatz. – OGH: § 48a BAO schützt auch
das Interesse der Partei an der Geheimhaltung des Akteninhalts und ist
deshalb als Schutznorm iSd § 1311 ABGB zu werten.
Die Verletzung eines Schutzgesetzes verpflichtet nicht nur zu Schadenersatz,
sondern auch zur Unterlassung. | |
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III. Wie
werden Persönlichkeitsrechte geschützt? | |
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Anspruchsberechtigt
sind vorrangig Betroffene, deren berechtigte Interessen
verletzt wurden. Eine Musterregelung zur Durchsetzung aller Persönlichkeitsrechte
trifft § 43 ABGB → Wie
werden Persönlichkeitsrechte geschützt? – Ist die in ihrem Persönlichkeitsrecht
verletzte Person bereits verstorben, trifft § 78 UrhG (Recht am
eigenen Bild) eine grundsätzliche, analogiefähige Regelung dafür, wer nach
dem Tod einer Person für den allenfalls nötigen (Persönlichkeitsrechts)Schutz
sorgen kann. Es sind nahe Angehörige, was nicht mit
Verwandtschaft zu verwechseln ist! Die Frage der Rechtswahrnehmung
solcher Persönlichkeitsrechte erscheint aber noch nicht endgültig
geklärt und verbesserungsfähig. Kant bspw ( → Sog
postmortale Persönlichkeitsrechte)
plädiert in Übernahme einer solonischen (von Plutarch überlieferten)
Lösung, die aber ungenannt bleibt (!), für eine Popularklage
zur Ehrenrettung Toter, was wie die folgenden Beispiele
zeigen, für manche Fälle wichtig wäre. – Bedenkenswert erschiene
eine von § 78 UrhG unabhängige Regelung (bspw in einem neu zu schaffenden
§ 43 Abs 2 ABGB), die Weiterentwicklungen enthalten könnte. | |
Das wäre auch insoferne überlegenswert, als §
78 UrhG bezüglich der Rechtsdurchsetzung postmortaler Persönlichkeitsrechte
auf nahe Angehörige abstellt, die aber – wie wir wissen – mitunter
auch selbst fragwürdige Handlungen setzen. – Vgl etwa die Herausgabe
persönlicher Aufzeichnungen Ingeborg Bachmanns durch
Angehörige; Die Zeit, Nr 41, 5. Okt 2000, S. 61. | |
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Als Muster
der Rechtsdurchsetzung von Persönlichkeitsrechten dient
§ 43 ABGB, der durch die III. TN (1916) eingefügt wurde. Dort wird
unterschieden zwischen einem: | |
•
Unterlassungsanspruch (für
den Verschulden keine Voraussetzung ist) und einem | |
•
Schadenersatzanspruch,
der Verschulden voraussetzt. | |
Wie bei anderen absoluten Rechten (zB den Immaterialgüterrechten)
erzeugt ihre Verletzung Ansprüche auf Unterlassung künftiger Eingriffe
und auf Beseitigung dauerhafter Störungen; EvBl 1999/58: Zum Beseitigungsanspruch
des Markeninhabers. | |
Der Unterlassungsanspruch beinhaltet auch einen Feststellungsanspruch in
Bezug auf den Persönlichkeitseingriff und damit zusammenhängend,
den Anspruch auf Beseitigung der Beeinträchtigung; zB Widerruf.
– Der Schadenersatzanspruch strebt iSd § 1323 ABGB weitestgehende
Wiederherstellung des früheren Zustandes an. Aber dies ist – wie
wir wissen – bei weitem nicht immer möglich, worauf es perfide Menschen
auch anlegen; denn: „Ist der Ruf einmal ruiniert, ...” | |
3. Sog
postmortale Persönlichkeitsrechte | |
Der
Persönlichkeitsschutz des Menschen beginnt – wie wir gehört haben
– in gewisser Weise bereits vor der Geburt (Schutz der Leibesfrucht
/ nasciturus; § 22 ABGB) und endet konsequenterweise auch nicht
abrupt mit dem Tod. | |
|
SZ 57/98 (1984):
Postmortales
Persönlichkeitsrecht – Aus dem zwischen dem Patienten und
dem Träger der Krankenanstalt bestehenden Behandlungsvertrag ergibt
sich die vor allem aus therapeutischen Gründen einschränkbare Verpflichtung
des Trägers der Krankenanstalt, dem Patienten Einsicht in
die Krankengeschichte zu
gewähren. – Eine Verpflichtung zur Gewährung der Einsicht kann nach Abwägung
der Interessen, insbesondere auch von Persönlichkeitsrechten des
Verstorbenen auf Wahrung seiner Geheimsphäre, auch den Erben und
nahen Angehörigen gegenüber bestehen. Die Berechtigung der Weigerung
kann durch Einholung eines Sachverständigengutachtens überprüft
werden. Kläger = Sohn und Erbe der Verstorbenen – Beklagter = Krankenanstaltsträger
(W-KH). | |
|
|
OGH 29. 8. 2002, 6 Ob 283/01p („Omofuma-Fall
II”), JBl 2003, 114:
Im Mittagsjournal von Ö1 wird über den FPÖ-Wahlkampf berichtet,
wobei ein FPÖ-Politiker (Beklagter) mit Bezug auf den verstorbenen M.
Omofuma die Äußerung tätigt: „Ich hätte mir gewünscht, dass ein
Regierungsmitglied mal die Frage gestellt hätte, was hat denn dieser
Drogenhändler, der da ums Leben gekommen ist, alles an unseren Kindern
verbrochen, denen er Drogen verabreicht hat? Denen er das Leben
ruiniert hat.” – Tatsächlich sind keine Fakten bekannt, die diese
Aussage rechtfertigen. Die 4-jährige Tochter Omofumas klagt auf
Unterlassung und Widerruf nach § 1330 ABGB. – OGH verneint eigene
Persönlichkeitsverletzung der Tochter, bejaht aber die postmortale
Persönlichkeitsrechtsverletzung des Vaters der Klägerin. | |
|
Die
historischen Wurzeln des modernen postmortalen Persönlichkeitsrechtsschutzes
schienen mir lange Zeit bei Kant (Metaphysik der Sitten, Rechtslehre)
zu liegen, der das Hinterlassen eines guten Namens nach dem Tode
–
bona
fama defuncti – für schutzwürdig hält. Vgl aber schon das
lateinische Sprichwort:
De mortuis
ni(hi)l nisi bene. – In Wahrheit handelt es sich um eine
(nicht gekennzeichnete!) Übernahme Kants aus dem antiken griechischen
Recht (Solon: 594/3 v. C.), die über Plutarchs Solonbiographie in
Erinnerung geblieben ist. – Dafür gilt das oben Gesagte. | Historische Wurzeln |
| Durchsetzung postmortaler Persönlichkeitsrechte |
Ein wichtiger Anwendungsbereich
des postmortalen Persönlichkeitsrechts betrifft die Frage der sog
Totenfürsorge,
die grundsätzlich nach dem mutmaßlichen Willen Verstorbener auszurichten
ist. Die hier angesprochenen Fragen betreffen die Art – zB Erd-
oder Feuerbestattung – und den
Ort des Begräbnisses und
idF auch die Fragen von
Exhumierung und
Grabverlegung. Die
Orientierung der Rspr am mutmaßlichen Willen des Verstorbenen bedeutet
nichts anderes, als ein anerkennen eines postmortalen Persönlichkeitsrechts
in diesen Fragen; so nunmehr ausdrücklich JBl 2000, 110. | |
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JBl 2000, 110: Exhumierung und
Feuerbestattung: Sylvia G: Die Eltern der im Oktober 1996 tödlich
verunglückten Sylvia G. waren geschieden und lebten
an verschiedenen Orten. Auf Initiative des Vaters (Klägers) wurde
die Tochter in einem Einzelgrab in N. beerdigt. Die Mutter (Beklagte)
hatte sich diesem Plan zunächst nicht widersetzt, obwohl sie wusste,
dass ihre Tochter mehrmals geäußert hatte, daß sie nicht beerdigt,
sondern feuerbestattet werden wollte. Um dem Wunsch der Tochter
doch noch zu entsprechen leitete die Mutter, die die Grabstätte
bereits für 10 Jahre bezahlt und das Grab hauptsächlich gepflegt
hatte, im März 1998 die Exhumierung und Feuerbestattung in
die Wege. Dem widersetzte sich der klagende Vater und begehrte,
die Beklagte schuldig zu erkennen, „sich einseitiger Verfügungen
über die Leiche zu enthalten und insbesondere die beabsichtigte
Enterdigung und anschließend Feuerbestattung zu unterlassen. – Der
OGH gab der Revision des Klägers nicht Folge und verwies auf seine
ähnlich gelagerte Vor-E SZ 45/133 (1972), begründete jedoch die
dort nur kurz skizzierte Lösung näher. Der OGH betont aber erneut,
daß die Entscheidung über die Totenfürsorge – ohne Rücksicht auf
die jeweilige Erbenstellung – den nächsten Angehörigen zustehe.
„Dabei ist vom wirklich bestehenden Näheverhältnis im Einzelfall
auszugehen.” – Hier hatte die verunglückte Tochter bis zuletzt einen
intensiveren Kontakt zur Mutter unterhalten, während der Vater nur
einen unregelmäßigen Kontakt zu seiner Tochter gehabt hatte. | Erd-
oder Feuerbestattung? |
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IV. Grundrechte
und Privatrecht | |
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1. § 16 ABGB als
Einfallspforte für Grundrechte – Mittelbare Grundrechtsbindung | |
Da
§ 16 ABGB heute als Generalklausel für Persönlichkeitsrechte zu
verstehen ist, auf die bei Bedarf zurückgegriffen werden kann, ist
im österreichischen Privatrecht das Heranziehen verfassungsrechtlicher
Grundrechte nicht so dringlich wie bspw in Deutschland, wo Art 1
Abs 3 und Art 20 Abs 3 des BonnerGG 1949 – mangels einer Regelung
von Persönlichkeitsrechten im dtBGB – eine unmittelbare Geltung
der Grundrechte auch für das Privatrecht vorsehen. – Das österreichische
Privatrecht verfügt demnach über einen autonomen – sich selbst ergänzenden
– Persönlichkeitsrechtsschutz, der bei Bedarf aus dem als Generalklausel
fungierenden § 16 ABGB gewonnen werden kann. Die Grundrechte sind
dabei hilfreich, mag auch die Generalklausel des ABGB den Vorteil
besitzen, nicht nur vom Gesetzgeber, sondern auch von der Rspr flexibel
gehandhabt werden zu können. | |
Von Bedeutung ist
das zB für die Glaubens- und Gewissensfreiheit (dazu
gleich ZVR 1996/48 = EFSlg 78.508), die Meinungs-, Berufs-
und Erwerbs- oder die Niederlassungsfreiheit,
aber etwa auch für das Abstecken der Versammlungsfreiheit;
Art 12 StGG iVm Art 11 EMRK. Ein wichtiger Bereich, in dem der verfassungsmäßige
und internationale Grundrechtsschutz überholtes Gesetzesrecht beseitigt
hat, ist das sog Kindschaftsrecht. Hier hat der EuGMR
durch Auslegung des Art 8 EMRK (Fälle: „Marckx” gegen Belgien, EuGRZ
1979, 454 und „Inze” gegen Österreich, EuGMR, ÖJZ 1988, 177 – in
welchem eine Verletzung der Art 14 EMRK und Art 1 des 1. ZPEMRK durch
Österreich festgestellt wurde) die Gleichstellung unehelicher mit
ehelichen Kindern im Erbrecht vorbereitet. | |
2. Was
bedeutet „mittelbare” Einwirkung? | |
„Mittelbare”
Einwirkung meint, dass die Grundrechte nicht direkt, sondern bloß
durch Vermittlung einer Privatrechtsnorm, auf privatrechtliche Fragen
einwirken und hier angewandt werden; etwa
§ 16 oder § 879 ABGB. – Der Gesetzgeber ist nämlich verpflichtet,
den vom jeweiligen Grundrecht geforderten Schutz(bereich) auch gegenüber
Eingriffen von Privatpersonen abzusichern. Diese Aufgabe obliegt
den ordentlichen Gerichten (insbesondere dem OGH). | |
Diese Verfassungsbestimmung ordnet ausnahmsweise
ausdrücklich eine unmittelbare Geltung oder –
wie das auch genannt wird – eine sog Drittwirkung des Grundrechts
auf Datenschutz für das Privatrecht an. | §
1 Abs 6 DSG |
Über die
sog „Wertschleusen” der §§ 16, 879 oder 1295 ABGB
fließen nach hA allgemeine Wertvorstellungen verfassungsmäßig garantierter
Grundrechte in das österreichische Privatrecht ein. – Die Grundrechte
sind daher im Rahmen der privatrechtlichen Auslegung und Lückenfüllung zu beachten. | Wertschleusen |
Die im Grundrechtskatalog verankerten
Grundwerte unserer Rechtsordnung fließen also (mittelbar) ins Privatrecht
ein, soweit das Privatrecht selbst solche Grundwerte normativ nicht
(explizit) entwickelt hat und daher auch nicht berücksichtigen kann.
Auf diese Weise kann die Einheit der Rechtsordnung gewahrt
und sichergestellt werden, dass fundamentale Wertbezüge der Rechtsordnung
bis zur Basis der Normpyramide (Lehre vom Stufenbau) vordringen. | Einheit der
Rechtsordnung |
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OLG
Ibk 1R 159/94 (ZVR 1996/48 = EFSlg 78.508):
Eine junge Frau, die als Kindergärtnerin arbeitete, wird
bei einem Autounfall schwer verletzt und kann in der Folge ihren
Beruf nicht mehr (voll) ausüben. Sie ist Mitglied der Zeugen
Jehovas und weigert sich im Rahmen der Heilbehandlung
nach dem Unfall, dass ihr Fremdblut in Form einer Bluttransfusion
zugeführt wird, was die Heilung verzögert und zu vermehrten Schmerzen
führt. – Die gegnerische Versicherung will diese Mehrkosten nicht
bezahlen, was vom OLG uH auf das Grundrecht der Religionsfreiheit
(Art 14 Abs 1 StGG 1867) abgelehnt wird. – Das Verhalten der jungen
Frau (= Ablehnung fremder Blutzufuhr) wird deshalb nicht als MitverschuldeniSd
§ 1304 ABGB und Verletzung der Schadensminderungspflicht
angesehen, weil ein solches Verständnis den Grundrechtsschutz der Religionsfreiheit unterlaufen
würde. Das OLG Ibk lehnt daher zurecht eine Minderung des Schadenersatzes
nach § 1304 ABGB (Mitverschulden) ab. Man kann daher auch sagen:
Im konkreten Fall überdeckt das einschlägige Grundrecht, die sonst
(dh an und für sich) zur Anwendung gelangende Privatrechtsnorm des
§ 1304 ABGB. – Diese sog Drittwirkung der Grundrechte macht in Bezug
auf die Gesetzesauslegung deutlich, dass der konkrete Interpretationsvorgang
alle Ebenen / Schichten des Stufenbaus der Rechtsordnung (mit)umfasst
und nicht auf das Privatrecht beschränkt ist. – Soweit internationale
Normen unmittelbar anwendbares staatliches Recht darstellen (zB
die Europäische Menschenrechtskonvention / EMRK) sind auch diese
Normen im Rahmen der privatrechtlichen Rechtsfindung angemessen
zu berücksichtigen. | |
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Äußerst problematisch
im Zusammenhang mit einem grundrechtskonformen Schutz der Glaubens-
und Gewissensfreiheit (Religionsfreiheit) ist die E des OGH: JBl 2000, 179: Kein Unterlassungsanspruch
gegen eine staatlich (offenbar zu Unrecht erfolgte) Sektenwarnung – Sri
Chinmoy-Bewegung (mit rechtpolitisch beherzigenswerter
Anm von Kalb). | |
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EvBl 1998/187: § 1 UWG – Zur Sittenwidrigkeit gefühlsbetonter
Werbung (Opferlicht). Der OGH führte aus: Die mögliche
Sittenwidrigkeit einer an das Gefühl der Kunden appellierenden Werbung
ist durch eine Gegenüberstellung der Wertungen zu ermitteln, die
sich einerseits aus den Grundrechten des Werbenden auf Freiheit
der Berufsausübung und Meinungsäußerung und andrerseits aus den
Grundrechten, insbesondere den Persönlichkeitsrechten, des Umworbenen
als eines „aufgeklärten Verbrauchers” ergeben. | |
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SZ 69/179 (1996): Die Entziehung
der Obsorge allein wegen der Mitgliedschaft der Mutter bei der Scientologie-Kirche widerspricht
den Art 8 Abs 1 und 14 EMRK. | |
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Die Blockade der Zufahrtsstraße
zu einem Bauplatz ( → KAPITEL 9: Kausalität
/ Verursachung)
ist unter bestimmten Voraussetzungen nicht friedlich iSd Art 11
EMRK und kann daher nach Ansicht des OGH nicht mit dem Grundrecht
der Versammlungsfreiheit gerechtfertigt werden.
Es ging um die „ennsnahe Trasse” der Phyrn-Autobahn; OGH 25.3.1999, 6 Ob 201/98x. | |
|
|
SZ 71/96 (1998): Meinungsfreiheit
(Art 10 EMRK und Art 13 StGG): Tierquälerei – Legebatterie
→ KAPITEL 10: Weitere
Beispiele. | |
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3. Zur
sog Drittwirkung von Grundrechten | |
Unter dem Begriff der sog Drittwirkung von Grundrechten
wird eine über den Bereich hoheitlicher Beziehungen hinausreichende
Geltung der Grundrechte verstanden, insbesondere auch ihre Geltung
im Privatrecht. – Dabei werden zwei Stufen unterschieden: | |
•
Die
sog Fiskalgeltung der Grundrechte: Der Staat und
seine Erscheinungsformen tritt nicht nur hoheitlich auf, sondern
auch privatwirtschaftlich (→ KAPITEL 1: Die
sog Privatwirtschaftsverwaltung);
dennoch steht auch hinter dem nicht hoheitlichen Handeln des Staates
Macht und Einfluss. Daher wird auch für diesen Bereich heute weitgehend
die unmittelbare Geltung der Grundrechte gefordert (und weiterhin
anerkannt). | Fiskalgeltung |
•
Eine
noch darüber hinausreichende allgemeine Drittwirkung der
Grundrechte wird heute zwar immer wieder gefordert, ist aber derzeit
noch nicht anerkannt. Es bleibt demnach vorerst bei der bloß „mittelbaren”
Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht. – In Einzelfällen,
wie dem eben erwähnten § 1 Abs 6 DSG 2000 ordnet der (Verfassungs)Gesetzgeber
aber ausdrücklich eine „unmittelbare” Drittwirkung dieses speziellen
Grundrechts an. | allgemeine Drittwirkung |
Das idF kurz dargestellte Verständnis von der
Gewährleistungsfunktion der Grundrechte macht die Lehre von der mittelbaren
Einwirkung der Grundrechte zwar nicht überflüssig, was auch für
normativen „Einfallsschleusen” wie die §§ 16 oder § 879 ABGB gilt.
– Das Umsetzungsbewusstsein könnte aber vertieft werden. | |
4. Zur sog Gewährleistungsfunktion
der Grundrechte | |
| |
Schon bisher wurde angenommen, dass
die Grundrechte auf das Privatrecht einwirken. Freilich war es bisher
hA, dass dies bloß „mittelbar” erfolgt → Was
bedeutet „mittelbare” Einwirkung? Versuche
wie dieser, die ein effizienteres Einwirken der Grundrechte oder
– wie man besser sagen sollte – ein harmonisches Zusammenspiel
von Grundrechten und Privatrecht einzuleiten, sind daher
zu begrüßen. Die Gerichte setzten sich mit dieser Problematik zusehends
mehr auseinander; vgl etwa OLG Ibk, ZVR 1996/48: Religionsfreiheit
( → Was
bedeutet „mittelbare” Einwirkung?). Diese Auseinandersetzung verläuft allerdings
nicht friktionsfrei, wie der Fall Peter Pilz (Meinungsfreiheit)
beweist → Ehre,
wirtschaftliches Fortkommen, Kreditfähigkeit Ein neues, funktionaleres und vertieftes
Verständnis des Zusammenwirkens von Privatrecht und öffentlichem
Recht erscheint daher nötig, zumal es in Österreich entwicklungsgeschichtlich
das bürgerliche Recht war, das versucht hatte, einen solchen inneren
und funktionalen Zusammenhang herzustellen; freilich zunächst nicht sehr
erfolgreich, denn Martinis berühmte Einleitung, der die Funktion
eines Verfassungssurrogats zukommen sollte, wurde von Zeiller &
Co weithin liquidiert! | Harmonisches Zusammenspiel von Grundrechten
und Privatrecht |
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Überlegenswert wäre es nach wie vor, §
16 Satz 1 – möglichst iVm § 17 – ABGB
in den Verfassungsrang zu heben, um dadurch (ohne großen
Aufwand) eine Generalklausel für den Grundrechtsschutz zu erhalten;
H. R. Klecatsky. | § 16 Satz 1 ABGB in den Verfassungsrang
heben? |
Das Problem der Gewährleistungslehre von
Monika Hinteregger liegt darin, dass diese Lehre der typisch österreichischen
Situation der Grundrechte – nämlich deren mangelhafter und vor allem
lückenhafter Ausprägung – nicht gerecht wird, und kein Mittel aufweist,
die Enge der bestehenden Situation aufzubrechen. (Eine gewisse Abhilfe schafft
freilich, wie die Praxis zeigt, die EMRK samt ZP.) Dort dagegen,
wo eine grundrechtliche oder EMRK-Regelung existiert, leistet diese
Lehre Vorbildliches. – Nach diesem Verständnis, verpflichten die
Grundrechte den Staat (und seine Organe), die in ihnen verbrieften
gesellschaftlich-rechtlichen Grundwerte – zB Freiheit – generell zu
gewährleisten; im Privatrecht wie im öffentlichen Recht. Das entspricht
auch der Intention der EMRK; vgl etwa deren Art 8, 10 oder 14. | |
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Das bedeutet bspw: "Das
Bestehen bestimmter privatrechtlicher Ansprüche, wie der Unterlassungsanspruch
bei Eigentumseingriffen oder das Recht eines Elternteils
auf persönlichen Kontakt mit dem Kind, können dann als
Erfüllung der staatlichen Verpflichtung verstanden werden, das Grundrecht
auf Eigentum oder das Grundrecht auf Achtung des Privat- und Familienlebens
zu schützen. Die privatrechtlichen Normen stellen
damit ein Instrument zur Verwirklichung des von den Grundrechten
der Rechtsordnung abverlangten Individualrechtsschutzes dar.
Bleibt der Privatrechtsgesetzgeber hinter dem von der Verfassung
vorgegebenen Mindestschutzstandard zurück, so stellt bereits das
Fehlen eines privatrechtlichen Instruments eine Grundrechtsverletzung
dar. Die Rsp ist dann schon von Verfassungs wegen angehalten, eine
solche Rechtsschutzlücke im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden
Interpretationsspielraums zu schließen .... | |
Auch
die Begründung des Kontrahierungszwangs [g Kapitel 5.C.II.1.,
S. 308] zwischen Privaten kann in diesem Sinne verstanden werden.
Nach geltendem Recht kann ein Kontrahierungszwang durch Gesetz ausdrücklich angeordnet
sein. Ein Kontrahierungszwang wird aber darüber hinaus von Lehre
und Rsp immer dann angenommen, wenn bei Ausübung einer Monopolstellung
auf Grund faktischer Übermacht eines Beteiligten bei bloß formeller Parität
die Möglichkeit einer Fremdbestimmung besteht. Bei Vorliegen dieser
Voraussetzung besteht eine Verpflichtung zum Vertragsabschluß, außer
der Monopolist kann Gründe vorbringen, die eine Weigerung sachlich rechtfertigen.
Lehre wie Rsp leiten den Kontrahierungszwang für private Unternehmer
aus § 1295 Abs 2 ABGB, dem Verbot sittenwidriger Schädigung, ab.
Für Unternehmen der öffentlichen Hand wird der Kontrahierungszwang dagegen
unmittelbar aus dem Gleichheitssatz abgeleitet. | |
Unter der Prämisse der Gewährleistungspflichten stellt die
Anerkennung des Kontrahierungszwangs auch für private Unternehmen
das Ergebnis einer Pflicht des Staates dar, die grundrechtlich abgesteckte
Freiheitsposition desjenigen, der auf den Vertrag angewiesen ist,
zu gewährleisten. Die grundrechtlich verbürgte Privatautonomie des
Monopolisten wird aufgehoben, um die ebenfalls grundrechtlich geschützte
Freiheitssphäre der auf die Leistung angewiesenen Person, zu garantieren.
Auf ihrer Seite streiten der Gleichheitssatz, das Grundrecht auf
Eigentum und das Grundrecht auf Erwerbsfreiheit. Die Entscheidung
über den Kontrahierungszwang als Ergebnis einer Abwägung beider
Grundrechtspositionen ist dann nicht nur privatrechtlich erwünscht,
sondern verfassungsrechtlich gesollt." (Hinteregger, aaO 752) | |
Fazit: – "Für die Anwendung und Auslegung des Privatrechts ist
der Grundrechtsschutz den ordentlichen Gerichten überantwortet.
Da eine Anrufung des VfGH gegen grundrechtsverletzende Akte der
Gerichtsbarkeit im österr Recht nicht vorgesehen ist, bleibt betroffenen
Personen nur die Inanspruchnahme der von der MRK vorgesehenen Rechtsschutzeinrichtungen
bzw die Hoffnung auf ein Wort des Gesetzgebers." | |
– "Das Verhältnis von Privatrecht und Grundrechten
gewinnt durch die Anerkennung von grundrechtlichen Gewährleistungspflichten
des Gesetzgebers eine neue Dimension. Der Blickpunkt
des Interesses wendet sich dabei von der Abwehr möglicher Beeinträchtigungen
von Grundrechtspositionen durch Normen des Privatrechts hin zur Funktion
des Privatrechts, für den Schutz und die nähere Ausgestaltung von
grundrechtlich verbürgten Freiheitspositionen zu sorgen. Die damit
verbundene Pflicht des Gesetzgebers, den verfassungsrechtlich gebotenen
Mindeststandard an Schutz zu gewährleisten, begründet auch eine
Pflicht der Rsp, im Rahmen des ihr zur Verfügung stehenden Interpretationsspielraums
für den Schutz dieser Grundrechtspositionen zu sorgen." (Hinteregger,
aaO 753; Hervorhebungen von mir) | |
Dieses zu befürwortende Verständnis eines funktionaleren
Zusammenwirkens von Grundrechten und Privatrecht, aber auch von
der diesbezüglich aktiveren Rolle der ordentlichen Zivilgerichte
wird hoffentlich zu einer mutigeren und lebendigeren Auslegungs-
und Entscheidungstätigkeit unserer Gerichte führen und vielleicht
früher oder später auch zur Überwindung der Lehre von der bloß "mittelbaren
Einwirkung" der Grundrechte auf das Privatrecht. Auch diesbezüglich
liegt aber maßdie Hoffnung in europäischen Lösungen. | |
V. Rechtsprechungsbeispiele | |
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§ 78 UrhG –
Bildnisschutz (gekürzt): ”Zum
Wohl ein guter Tropfen”: SZ 44/104
(1971) Kläger = auf Plakat Abgebildeter
Beklagter = werbende Firma In einer Zeitung wurde für eine Weinwerbung unter dem
Titel „Zum Wohl ein guter Tropfen” ua ein Bild des Klägers verwendet,
das ihn beim Besuch eines Heurigen zeigte. In einem Text neben dem
Bild hieß es: „Kaum ein Weinliebhaber, der sich bis ins hohe Alter
sein tägliches Tröpferl Wein nehmen ließe. Und bei Gesunden haben
die Ärzte nichts dagegen.” Das Ziel der Reportage war die Werbung
für den Weinkonsum bei bestimmten Produzenten und im allgemeinen.
Der Klage auf Unterlassung wurde stattgegeben, die Begehren auf
Zuspruch einer Entschädigung und auf Herausgabe des Films und der
Negativa wurden abgewiesen. Weiters wurde dem Kläger die Befugnis
zugesprochen, den Urteilsspruch binnen 14 Tagen auf Kosten des Beklagten
zu veröffentlichen. – Aus der Begründung des OGH: „Der Fall, dass
das Bildnis einer Person ohne deren Einwilligung zu Werbezwecken
verwendet wird, kann geradezu als Musterbeispiel einer herabsetzenden
Bildnisveröffentlichung gelten; dies nicht nur hinsichtlich des
Gegenstandes, für den geworben wird, der allerdings im vorliegenden
Fall nichts Anstößiges enthält, als auch in Anbetracht der Tatsache,
dass regelmäßig Personen, die nicht gerade die Interessen, für die
geworben wird, vertreten, hiefür ihr Bildnis nicht unentgeltlich
zur Veröffentlichung preiszugeben pflegen. Sich dem Verdacht ausgesetzt
zu sehen, sein Bildnis entgeltlich für Werbezwecke zur Verfügung
zu stellen, wie dies im vorliegenden Fall für die Bildnisveröffentlichung
zutrifft, verstößt eindeutig gegen dessen berechtigte Interessen.
Ein Verstoß der beklagten Partei gegen § 78 UrhG liegt demnach vor.” | |
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EvBl 1995/96: § 78 UrhG– Missbrauch
von Personenbildnissen Durch § 78 UrhG soll jedermann
gegen einen Missbrauch seiner Abbildung in der Öffentlichkeit, also
namentlich dagegen geschützt werden, dass er durch die Verbreitung
seines Bildnisses bloßgestellt, dass dadurch sein Privatleben der
Öffentlichkeit preisgegeben oder sein Bildnis auf eine Art benützt
wird, die zu Missdeutung Anlass geben kann oder entwürdigend oder
herabsetzend wirkt. – Schutz von Bildnissen „aus dem Bereich der
Zeitgeschichte” nach deutschem und nach österreichischem Recht.
Kläger = öffentlich Abgebildeter Beklagter = hat Bild des Klägers
veröffentlicht. | |
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§ 1330 ABGB – Recht
auf Ehre (gekürzt): ”Ratschen-Fall”: SZ 56/63 = EvBl 1983/91 (1983):
Kläger = gekränkte Frau Beklagter = kränkender Mitbewohner
„Die Klägerin behauptete,
die Beklagte mache sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit bei
Verwandten und auch bei fremden Leuten schlecht. Sie behauptet, die
Klägerin sei eine „Ratschen”, sei verlogen, sei eine missratene
und charakterlose Frau, uä. Obwohl die Klägerin ohne Erfolg protestiert
habe, setzte die Beklagte ihre herabsetzenden Äußerungen über die
Klägerin fort. Die Klägerin begehrte von der Beklagten die Unterlassung
der behaupteten herabsetzenden Äußerungen.” Der OGH gewährt dem
in seiner Ehre Verletzten – bei Vorliegen einer Wiederholungsgefahr –
den Anspruch auf Unterlassung, auch wenn die in § 1330 Abs 2 ABGB
geforderten Voraussetzungen nicht vorliegen, weil das Recht auf
Ehre als Persönlichkeitsrecht absoluten Schutz genießt.” | |
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Recht
am eigenen Bild – SZ 22/47 (1949): Photo
eines Lueskranken wird in einem medizinischen Lehrbuch
ohne Zustimmung des Patienten vom behandelnden Professor veröffentlicht.
Die Bildunterschrift lautete: „Luetisches Geschwür der rechten Stirn”.
Kläger = Abgebildeter Beklagter = Autor des Lehrbuchs | |
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SZ
48/73 (1975):
Fotomodell:
Veröffentlichung des Berufsbildes eines Fotomodells im Négligé im Zusammenhang
mit einer Abtreibung in der Kronenzeitung. – Unzulässig: § 78 UrhG. | |
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SZ 55/12 (1982): Reinhard
K.: Werbeprospekt mit Berufsfußballer des SK Rapid. – Unzulässig:
§ 78 UrhG | |
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JBl 1974, 529 (1973): Plattenumschlag:
Schallplattencover zeigt Konzertsängerin, die im Fernsehfilm „Das
war André H.” aufgetreten war, ohne deren Einverständnis mit entblößter
Brust. – Unzulässig: § 78 UrhG | |
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| Berühmte deutsche En und ein schwedischer Fall |
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BGHZ 26/51 (1958): Herrenreiterfall
– Recht auf das eigene Bild + Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Kläger = Mitinhaber einer Brauerei in K. Er betätigt sich als „Herrenreiter
auf Turnieren”.
Beklagter = Herstellerin eines pharmazeutischen Präparats, das nach
Vorstellung weiter Bevölkerungskreise auch der Hebung der sexuellen
Potenz dient.
Sachverhalt: Die Beklagte hat zur Werbung für dieses Produkt ein
Plakat mit der Abbildung eines Turnierreiters verbreitet, dem ein
Originalfoto des Klägers zugrunde lag. Das Foto war vom Presseverlag
S auf einem Reitturnier gemacht und in der Folge ohne Einwilligung
des Klägers für Werbezwecke verwendet worden. – Der BGH sprach 10.000,?
DM Schadenersatz zu; immaterieller Schaden: Schmerzengeld. | |
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BGHZ 30/2 (1959): Caterina
Valente – Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts
Kläger = Caterina Valente Beklagter = vertrieb Präparate, die zum
Reinigen und Befestigen von Zahnprothesen dienen. Sachverhalt: In
einer Zeitschrift ließ die Beklagte eine Werbeanzeige veröffentlichen,
in der die angeblichen Erlebnisse einer (nicht genannten) Sängerin
geschildert und gleichzeitig die Erzeugnisse der Beklagten angepriesen
wurden. – Das geschah ohne Wissen der Betroffenen. Der Werbetext
lautete: „Wenn ich auch nicht so berühmt wurde wie meine große Kollegin
X, so war doch die Bühne meine Welt. – Ich sage, war, denn eines
Abends geschah etwas Furchtbares: Ich stand auf der Bühne eines
bekannten süddeutschen Hauses und sang gerade mein Erfolgslied ...
Dabei löste sich plötzlich die Oberplatte meines künstlichen Gebisses
vom Gaumen, und nur ein blitzschneller Griff bewahrte sie vor dem
Herausfallen ... Mein Auftritt war eine schreckliche Blamage, die
meine Karriere und Existenz zerstörte.” | |
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BGHZ 35/54 (1961): Ginsengwurzelfall –
Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und Namensrechts
Kläger = ao Professor für Völker- und Kirchenrecht an der Universität
Graz Beklagter = vertreibt ein Kräftigungsmittel, das Ginseng enthält
Sachverhalt: Von einem Koreaaufenthalt hatte der Kläger einige Ginseng-Wurzeln
mitgebracht, die er einem befreundeten Pharmakologen in Deutschland
zur Verfügung stellte. Dieser erwähnte in einem wissenschaftlichen
Aufsatz über Ginseng-Wurzeln die Tatsache, dass er „durch die liebenswürdige
Unterstützung” des Klägers in den Besitz echter koreanischer Ginseng-Wurzeln
gekommen sei. Dies führte dazu, dass der Kläger in einem populär
wissenschaftlichen Aufsatz, neben Prof H ua Wissenschaftlern als
einer der bekanntesten Ginseng-Forscher Europas bezeichnet wurde. –
Die Beklagte erwähnte dies in Werbeprospekten für dieses Mittel.
Der Kläger hatte 10.000 DM als Genugtuung für die erlitten Kränkung
gefordert und 8.000 DM zugesprochen erhalten, weil seine Namensnennung
in Werbeträgern (es wurden auch ca 250.000 Werbeprospekte verteilt)
im Zusammenhang mit einem Präparat, das als sexuelles Kräftigungsmittel
diene, dazu geeignet sei, seine wissenschaftliche Autorität zu beeinträchtigen
und er „in der Öffentlichkeit, vor allem bei den Studenten, lächerlich
gemacht wurde”. | |
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| Ein aktuelles Beispiel aus der Presse |
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D. Rechtserhebliche
Zustände und Eigenschaften von
Menschen |
Für die
Entwicklung der idF behandelten rechtlich relevanten Zustände und
Eigenschaften von Menschen spielt heute das öffentliche Recht eine
zentrale Rolle. In der Rechtsgeschichte war es oft umgekehrt: Das
Privatrecht schritt mit der Entwicklung voran, das öffentliche Recht
folgte oft erst wesentlich später nach. Das war in Österreich bei
den „angebornen Rechten” des § 16 ABGB, den Menschenrechten so,
die erst spät zu verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechten
des öffentlichen Rechts wurden (StGG 1867 und EMRK), während sie
im Privatrecht in Ansätzen schon in Martinis Entwurf eines bürgerlichen
Gesetzbuchs (1796) aufscheinen und idF ins WGGB 1797 und das ABGB
(1811) einfließen. – Heute gelangen Grundrechts-Werte nach hA über
normative „Wertschleusen“ des bürgerlichen Rechts – insbesondere
die §§ 16, 879 und 1295 Abs 2 ABGB, aber auch § 1 UWG – ins Privatrecht;
sog mittelbare Drittwirkung der Grundrechte → Was
bedeutet „mittelbare” Einwirkung?
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Grundsätzlich
sollte bedacht werden, dass der
Persönlichkeitsschutz,
je nach Normstufe und Geltungsbereich in dem er geregelt wird, unterschiedlich
ausgestaltet ist, wenngleich alle Regelungen die Würde des einzelnen
Menschen rechtlich schützen wollen. Unterschiede bestehen aber insoferne,
als die Persönlichkeitsrechte des Privatrechts unmittelbar personenbezogen
sind (zB Recht auf Ehre oder geschlechtliche Selbstbestimmung oder
Recht am eigenen Bild und auf die eigene Stimme), während die verfassungsrechtlich
gewährleisteten Grundrechte vornehmlich auch politische Werte (zB
Wahlrecht oder Recht politische Parteien zu gründen) schützen und
insbesondere das Verhalten des Einzelnen zu Staat und Gesellschaft
miteinbeziehen. Die privatrechtlichen Persönlichkeitsrechte (in
verschiedenen Feldern), der europäische Menschenrechtsschutz (EMRK) und
die UNO-Aktivitäten zur Effizienz und Ausbreitung
der Menschenrechte auf der ganzen Welt, sind wichtige und unverzichtbare
Teile eines künftigen
Humanismus, für den es, trotz grosser
Enttäuschungen mit diesem Leitbild, keine Alternative gibt. | Persönlichkeitsschutz |
Auf nationaler
Verfassungsebene tun dies die sog
Grundrechte (niedergelegt
insbesondere im StGG von 1867, RGBl 142), die zwischen bloßen
Bürgerrechten und Menschenrechten unterscheiden;
vgl die Art 4 (öffentliche Ämter sind für alle Staatsbürger gleich
zugänglich) und 14 (Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann)
StGG 1867. | Grundrechte als Bürger- und Menschenrechte |
Der österreichische Grundrechtskatalog ist längst nicht
mehr auf der Höhe der Zeit. Es ist in den 50 Jahren nach dem Zweiten
Weltkrieg nicht gelungen, einen modernen Grundrechtskatalog zu schaffen,
mag auch das Bonner GrundG (1949, BGBl I, S. 1) als Beispiel vor
Augen gestanden haben. Es deutet auch nichts darauf hin, dass es
politisch gelingen könnte, das Versäumte politisch nachzuholen.
Österreichs Grundrechtshoffnungen richten sich daher auf eine europäische
Lösung. Ein erster Schritt wurde mit der EU-Verfassung realisiert,
deren verbindlicher Bestandteil die bisher unverbindliche EU-Grundrechtscharta
werden soll. | |
R. Dworkin, Bürgerrechte ernstgenommen (Frankfurt,
1984); Originalausgabe: Taking Rights Seriously (Harvard University
Press, 1978); J. Braun, Rechtsphilosophie im 20. Jhd. Die Rückkehr
der Gerechtigkeit (2001). | |
Auf europäischer
Ebene sind insbesondere zu unterscheiden: Die „
Konvention zum Schutze der Menschenrechte und
Grundfreiheiten” vom 4. November 1950, BGBl 1958/210; EMRK:
Europäische Menschenrechtskonvention. – Die EMRK steht innerstaatlich
im Verfassungsrang und besteht aus dem Hauptvertrag, der „Konvention”
und mittlerweile mehreren (verfassungsändernden) Zusatzprotokollen
(ZP) Die von der EMRK gewährleisteten Rechte stellen subjektive-öffentliche
Rechte dar und sind daher individuell durchsetzbar. Zuständig ist
der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in
Straßburg. | Europäische Ebene |
Die EU hat im Dezember 2000 auf dem EU-Gipfel in Nizza eine EU-Grundrechtscharta verabschiedet.
Sie gewährt keine subjektiven Rechte und ist daher keine rechtliche
Basis für individuelle Rechtsansprüche. Sie besitzt aber Bedeutung
für die Auslegung des EU-Rechts, insbesondere durch den EuGH in
Luxemburg, und soll Teil der neuen
EU-Verfassung werden. | |
Daneben existiert weltweit als UNO- Deklaration die
„
Allgemeine Erklärung der Menschenrechte”
von 1948. | UNO |
I. Der Mensch als
Rechtsperson | |
Wir
haben gehört, dass der Weg zu einem modernen Verständnis
der Rechtssubjektivität das Ergebnis eines langen rechtshistorischen
Prozesses war und wollen uns nun – ohne Vollständigkeit anzustreben
– ansehen, welche Bereiche und Stationen dabei besonders wichtig
waren. | |
Zur frühen Entwicklung einer allgemeinen Rechtsfähigkeit
für alle Menschen in Österreich durch § 16 ABGB → §
16 ABGB –
Zum Entstehen der Rechtssubjektivität / Rechtsfähigkeit im „modernen”
Sinn in der griechischen Antike: Barta, „Graeca
non leguntur?” – Zum Ursprung des europäischen Rechtsdenkens im
antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005). | |
| |
In
Erinnerung zu rufen gilt es zunächst das historische Faktum, dass
die europäische Kultur, und damit auch ihr Recht, aus antiken
Sklavengesellschaften entstanden ist. Im alten Griechenland und
in Rom war nicht jeder Mensch rechtsfähig und daher Rechtssubjekt.
Neben dem (Polis)Bürger als Rechtssubjekt existierte auch die Rechtskategorie
Sklave/in, was – cum grano salis – nichts anderes meint, als: der Mensch
als Sache. Sklaven/innen konnten ge- und verkauft, im Allein-
oder Miteigentum stehen, verliehen, verschenkt oder verpfändet werden.
In alter Zeit besaß der Eigentümer auch das ius vitae ac necis,
also das Recht über Leben und Tod zu bestimmen. – Diese, die Rechtsfähigkeit
/ Rechtssubjektivität von Menschen ausschließende oder doch entscheidend
mindernde, Rechtskategorie der
Sklaverei – die allerdings große (Ausformungs)Unterschiede
kannte – wirkte in den verschiedensten Bereichen der Rechtsordnung
und bei verschiedensten Personengruppen nach und noch das mittelalterliche
deutsche Recht versagt ganz oder beschränkt bestimmten Personengruppen
die Rechtsfähigkeit: bspw Juden, Alten, Kranken, Ehrlosen, Frauen und
Minderjährigen. | Sklaverei |
| |
Schon in der griechischen
Antike gab es aber auch wichtige Entwicklungsschritte, die zum Teil sogar
schon sehr früh gesetzt wurden. So beseitigte Solon bereits 594/3
v. C. die Schuldknechtschaft und untersagte damit
ein für allemal, dass attische / athenische Bürger ihrer Freiheit verlustig
gehen konnten. Die Verpfändung des eigenen Leibes wurde untersagt.
– Solon war es auch, der das „moderne” Rechtssubjekt bereits in
der Antike geschaffen hat. – Früh wuchs auch in Athen die Isonomie heran,
die Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, die zuerst privatrechtlich
und dann politisch-öffentlichrechtlich voll verwirklicht wurde.
Parallel dazu entwickelte sich die Teilhabe aller (!) Bürger
am Staatsgeschehen (der Polis), was von Perikles Demokratia
genannt wurde. – Das griechische Recht war insgesamt sehr hoch entwickelt
und die Behauptung, das europäische Rechtsdenken entstamme ausschließlich
dem römischen Recht, ist eine Geschichtslüge. | Solon |
Näheres in meinem bereits mehrfach erwähnten
Buch „Graeca non leguntur”? – Zum Ursprung des europäischen Rechtsdenkens
im antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005). | |
2. Schritte zum
„modernen” Rechtssubjekt
ab dem 18. Jhd | |
Wichtige, wenngleich
historisch oft erst spät gesetzte, Schritte auf dem Weg zum modernen Rechtssubjekt
waren in Österreich: | Vorarbeit Joseph II |
• Die
Aufhebung der
Folter 1776;
Preußen hatte unter Friedrich dem Großen bereits 1740 und 1754 die
Folter beseitigt; | |
• die Ablehnung der
Todesstrafe im
ausgehenden 18. Jahrhundert durch namhafte österreichische Wissenschaftler wie
K.A.v. Martini oder J.v. Sonnenfels; | |
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| |
• die
Aufhebung der
Leibeigenschaft 1781
durch Joseph II, | |
• das ebenfalls von Joseph II erlassene
Toleranzpatent 1781; | |
• das
Erbfolge- und
Ehepatent Josephs
II von 1783; | |
• die
Bauernbefreiung und
Grundentlastung von
1848 → KAPITEL 15: Persönliche,
dingliche und beschränkte Haftung. Sie erfolgte in Preußen bereits 1807:
Aufhebung der Erbuntertänigkeit. | |
Alle diese Schritte trugen dazu bei, das „moderne” Rechtssubjekt auch
rechtlich als autonomes Individuum zu entwickeln, das heute auch
in seiner Persönlichkeit umfassend geschützt wird. | Das „moderne”
Rechtssubjekt |
Mit der Anerkennung individualrechtlich ausformbarer
„angeborner Rechte” im bürgerlichen Recht (Menschenrechte), beginnt
sich erstmals in der Rechtsgeschichte der Mensch als Rechtsperson
voll zu etablieren. Dies iS eines Bezugspunkts individueller Persönlichkeitsrechte.
Es gelingt damit das Rechtssubjekt Mensch – als Träger von Rechten
und Pflichten – um eine neue Dimension zu bereichern: den Schutz
der eigenen Person. Ansätze auch dazu finden sich allerdings schon
in der griechischen Antike. Er wird – und darin liegt Martinis genialer
Ansatz – sowohl öffentlichrechtlich, als auch privatrechtlich angelegt
und im Rahmen gegebener Möglichkeiten umgesetzt. Seit langem war
der Mensch als Rechtssubjekt – und damit als Träger von familien-,
erb-, schuld- und sachenrechtlichen Rechtspositionen – anerkannt
gewesen; bislang fehlte aber rechtlich ein das Individuum selbst
konstituierender Schutz der Rechtsperson Mensch als Einzelnem. Martini
erkannte die Bedeutung dieses neuen Ansatzes für das Privatrecht.
Es war nur konsequent und naheliegend, die primär völkerrechtliche
und rechtsphilosophische Lehre der angebornen Rechte (Menschenrechte),
ins Privatrecht zu transferieren und ihr in „neuer” Umgebung einen
Anwendungsbereich zu verschaffen. Welche dogmatischen Schwierigkeiten
dieser Paradigmenwechsel der Zivilistik aber noch in der zweiten
Hälfte des 19. Jhds gemacht hat, beweist das Verhalten Joseph Ungers (1828-1913)
und der Rechtshistorischen Schule in Österreich. Diese im 19. Jhd
– dogmatisch wie politisch – mächtige Rechtsschule leugnete historisch
willkürlich ein subjektives Recht an der eigenen Person, da nach
ihrer Auffassung eine Rechtsmacht an der eigenen Person undenkbar
war. Für J. Unger und seine Gefolgsleute besaß § 16 ABGB keine Bedeutung;
vgl schon Gschnitzer, AT 182 (1992 2).
Mehr bei Barta, in: Barta / Pallaver / Rossi (Hg),
Storia, Istitutioni e diritto in Carlo Antonio de Martini (1726-1800).
– Diese ablehnende Haltung gegenüber dem Individuum als Träger von
Persönlichkeitsrechten erklärt auch, weshalb sich der mit dem WGGB
(I 2 § 29; dazu gleich unten) und dann mit § 16 ABGB etablierende
Persönlichkeitsrechtsschutz in Österreich trotz früher gesetzlicher
Verankerung judikativ erst so spät – nämlich erst in den 1970er-Jahren
(!) – entfalten konnte, wozu allerdings weitere Umstände beitrugen;
vgl die Rspr-Beispiele bei Gschnitzer, AT 183 f (19922).
Die in WGGB I 2 § 29 genannten Menschen- und Persönlichkeitsrechte
umschreiben den Kern, der von Martini wohl bis zuletzt für unveränderbar
angesehenen naturrechtlich fundierten Menschen- und Persönlichkeitsrechte.
Sie waren von Martini nach 1792 als Verfassungssurrogate gedacht. | |
Die Überschrift des „Zweyten Hauptstücks” des „Ersten Theils”
des WGGB lautete: „Von den Rechten der Personen”.
Sie steht vor § 28. Damit treten erstmals nicht die Pflichten, sondern
die Rechte der Menschen in den Vordergrund. Der „Unterthan” des
Josephinischen Gesetzbuchs – das gilt auch noch für Hortens Entwurf
und den Codex Theresianus – mutierte evolutiv zur (Rechts)Person,
dem bürgerlichrechtlichen Rechtssubjekt. | |
I 2 § 28: „Menschen, die sich in eine bürgerliche Gesellschaft
vereinigen, legen deswegen weder ihre natürlichen Pflichten, noch
die ihnen angebohrnen Rechte ab. Nur eine gewisse Richtung und Beschränkung
dieser Rechte findet in sofern Statt, als sie zur Erreichung der
allgemeinen Wohlfahrt nothwendig ist.” | |
I 2 § 29: „Zu den angebohrnen Rechten der Menschen gehören
vorzüglich das Recht sein Leben zu erhalten, das Recht die dazu
nöthigen Dinge sich zu verschaffen, das Recht seine Leibes und Geisteskräfte
zu veredeln, das Recht sich und das Seinige zu vertheidigen, das
Recht seinen guten Leumund zu behaupten, endlich das Recht mit dem, was
ihm ganz eigen ist, frey zu schalten und zu walten.” | |
II. Besonders
geschützte Werte, Zustände und Eigenschaften | |
Bestimmte rechtliche Grundwerte – etwa Freiheit und Gleichheit –
sind „unteilbar”. Dh: das jeweilige Rechtsprinzip gäbe sich selbst
auf, würde es zwischen der Freiheit des einen und der anderer, Unterschiede
machen. Von Gesetzes wegen! – Rechtlich gilt daher zB das Prinzip
der Freiheit aller Rechtsgenossen/innen. Tatsächlich sieht das wieder
anders aus: Da sind zB manche nach wie vor „gleicher” und „freier”
als andere. | |
1.
Gleichheit vor dem Gesetz | |
Während
es heute rechtlich keine
Standesunterschiede mehr gibt – früher
sprach man von Ebenbürtigkeit: zB bei Eheschließungen, bestanden
diese auch bei uns bis zum Ende der Monarchie in gewisser Hinsicht
fort. Immerhin bestimmte das StaatsgrundG über
die allgemeinen Rechte der Staatsbürger vom 21.12.1867, RGBl 142: | Standesunterschiede |
”Vor dem Gesetz sind alle Staatsbürger gleich.” | |
Und Art 7 Abs 1 B-VG idF von 1929 betont dies erneut: | |
„Alle Bundesbürger sind vor dem Gesetz gleich.
Vorrechte der Geburt, des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und
des Bekenntnisses sind ausgeschlossen.” | |
Art 7 Abs 2 B-VG gestattet seit 1998 | |
„Maßnahmen zur faktischen Gleichstellung
von Frauen und Männern insbesondere durch Beseitigung tatsächlich
bestehender Ungleichheit”. | |
Und Abs 3 leg cit sieht nunmehr vor, dass
Amts- und
Berufsbezeichnungen sowie
akademische Grade das
Geschlecht des/der Amtsinhaber/in zum Ausdruck bringen können. | |
Das Privatrecht in Österreich war der Entwicklung des öffentlichen
Rechts vorausgeeilt, hatte doch schon die Josephinische Gesetzgebung
(1786, 1783 etc) allen Bürgern Freiheit und in gewisser Weise (zB
im Erbrecht und weiten Teilen des Familienrechts) auch schon Gleichheit
gebracht, was Martini in seinem Entwurf (1796) und dem WGGB (1797)
festigt und ausbaut. Das ABGB hat das weitgehend übernommen. | |
Der
Gleichheitsgrundsatz will,
indem er Gleichheit anordnet, Ungleichheit und Diskriminierung verhindern.
Damit soll aber nicht ausgedrückt werden, dass eine unterschiedliche
rechtliche Regelung / Behandlung aus sachlichen Gründen nicht möglich
oder erwünscht wäre. Vielmehr soll rechtlich Gleiches durchaus gleich
und Ungleiches aber ungleich behandelt werden. Nur ungerechtfertigte
Differenzierung iSv Diskriminierung soll
ausgeschlossen werden. | Gleichheitsgrundsatz |
| |
Die internationale Staatengemeinschaft hat sich insbesondere
nach dem Zweiten Weltkrieg ebenso wie die im Europarat versammelten
Staaten Europas der Menschenrechte und dabei auch des Gleichheitsgrundsatzes
angenommen: | Internationale
und nationale Rechtsakte |
| Allgemeine Erklärung der Menschenrechte
1948 (UNO-Deklaration) |
• Art 1 – „Alle Menschen
sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren ...” Art 7 – Gleichheit
vor dem Gesetz; Art 16 Z 1 – Gleiche Rechte von Mann und Frau in
der Ehe und bei deren Auflösung etc. | |
| |
Art 14:
„Der Genuss der in der vorliegenden Konvention festgelegten Rechte
und Freiheiten ist ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere
im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den
politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer
Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im
Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist.” | Europäische Konvention zum Schutz
der Menschenrechte und Grundfreiheiten 1950 |
BGBl 460/1969: Art 4 Z 3 „ ... gleiches Entgelt für gleichwertige
Arbeit” für Männer und Frauen; | |
BundesG
vom 23.2.1979 über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben
( GleichbehandlungsG), BGBl 108: § 2 Abs 1 : „Auf
Grund des Geschlechtes darf im Zusammenhang mit einem Arbeitsverhältnis
niemand unmittelbar oder mittelbar diskriminiert werden.” – § 3
sieht die Errichtung einer Gleichbehandlungskommission vor, § 3a
eine Anwältin für Gleichbehandlungsfragen. Vgl → KAPITEL 12: Gleichbehandlung
von Frauen und Männern. | |
• UN-Erklärung der
Rechte des Kindes (1959) | |
•
UN-Konvention
über die Rechte des Kindes (1989) | |
• UN-Konvention zu den politischen Rechten der
Frau (1952) | |
• UN-Erklärung gegen die Diskriminierung aus
rassischen Gründen (1962) uam. | |
| |
2. Geburt, Stand,
Klasse, Rasse, Sprache etc | |
Neben dem Gleichheitsgrundsatz
gibt es aber noch weitere rechtlich bedeutsame Eigenschaften des Menschen,
die entweder in der Rechtsgeschichte Bedeutung besaßen oder noch
heute wichtig sind; etwa: | |
Heute
sind nach Art 7 Abs 1 Satz 2 B-VG Vorrechte der Geburt ausgeschlossen,
der Geburtsstand des Adels wurde aufgehoben, das Führen von Adelsbezeichnungen
mit Gesetz von 1919 (Nr 211) untersagt. – Auch das wurde privatrechtlich
viel früher entwickelt, in Österreich durch K. A. v. Martini, der
sowohl in seinen Entwurf von 1796 wie in das WGGB 1797 bereits angeborene,
also Menschenrechte aufgenommen hatte; zu § 16 ABGB → §
16 ABGB Das
ABGB hatte, zum Unterschied vom preußischen ALR, das noch eine geburtsständische
Rechtssubjektivität vermittelte, allen Menschen gleiche angeborene
Rechte zugesprochen; § 16 ABGB. | Geburt |
Das
römische Recht war noch stark standes- oder statusorientiert; status
libertatis (Geburt als Freie/r oder Sklave/in) + status
civitatis (Bürger oder Nichtbürger) + status familiae (zB
Hausvater oder Hauskind oder uxor in manu) + Geburtsstand als Patrizier oder Plebejer:
die lex Canuleia (445 v. Chr.) hebt aber das bestehende Eheverbot zwischen
Patriziern und Plebejern auf. Man nennt solche Gesellschaften daher
Statusgesellschaften. – In
Statusgesellschaften wurde
man in einen Bereich der Gesellschaft hineingeboren und blieb dort
zeitlebens. Statusgesellschaften waren gesellschaftlich nicht durchlässig,
sondern starr. – Der historische Weg aus den bis ins 18. Jahrhundert
reichenden Statusgesellschaften zur modernen bürgerlichen Gesellschaft
verlief nach der „Formel”: from status – via contract –
to (modern) civil society ( H.S.
Maine / Barta). | Statuslehre |
| |
Der Geburtsstand spielte
bis ins 19./20. Jahrhundert eine rechtliche und gesellschaftliche
Rolle; zB bei der Ämtervergabe in Staat und Kirche. Auch der Erwerb
bestimmter Liegenschaften war lange dem Adel vorbehalten. Für Eheschließungen
galt – wie erwähnt – das Prinzip der Ebenbürtigkeit und lange der
sog politische Ehekonsens (iS einer Prüfung ausreichenden Vermögens
der Brautleute durch die Gemeinde). | Geburtsstand |
Bis in die jüngste Vergangenheit spielte die uneheliche
Geburt als gesellschaftlicher (vor allem von der Kirche
gehüteter) Makel eine Rolle; vgl aber nunmehr § 162 Satz 1 ABGB
(völlige erbrechtliche Gleichstellung mit ehelichen Kindern seit
1.1.1991): | Uneheliche
Geburt |
”Die uneheliche Geburt kann einem Kind an
seiner bürgerlichen Achtung und an seinem Fortkommen keinen Abbruch
tun.” | |
Die unter Joseph II diesbezüglich ihrer Zeit vorausgeeilte
Entwicklung wird nach seinem Tod durch den Einfluss von Kirche und
Adel wieder zurückgenommen. | |
Er verbietet Benachteiligungen
auch im Hinblick auf den Geburtsstand, der nicht
mit dem Berufsstand zu verwechseln ist: zB Arbeitnehmer/in,
Kaufmann, Geistlicher, Soldat, Beamter, Bauer. | Stand, Klasse,
Rasse, Sprache, Geschlecht etc |
Benachteiligungen
sind untersagt, sachliche Differenzierungen sind danach aber zulässig;
zB hat sich für Arbeitnehmer ein eigenes Arbeitsrecht entwickelt,
für Kaufleute das Handelsrecht (HGB). | |
Zu Recht wird heute festgestellt,
dass eine neue Klassengesellschaft im Entstehen ist.
Konsum und Lebensstil besitzen klassenprägende Kraft. Die „neue
Klassenbildung” ist eine Folge neuer sozialer Ungleichheit; Stichworte: „Zweidrittelgesellschaft”,
„neue Armut”
etc. Politisch wird diese Entwicklung von konservativen Kräften
gerne verdrängt. – Bildung und Besitz sind immer
noch die Grundlage des Entstehens einer Klassengesellschaft. Der Begriff
der „Klasse” ist nicht – wie viele meinen – ein
kommunistischer. Er ist wesentlich älter und wurzelt in der schottischen
Aufklärung; A. Smith etc. Das Konstatieren einer neuen Klassengesellschaft
darf nicht mit dem alten Begriff des Klassenkampfes verwechselt
werden, was aber nicht ausschliesst, dass dieser wiederum entsteht.
Für das Bewältigen unserer gesellschaftlichen Probleme ist jedoch
ein neues und sensibles Klassenbewusstsein nötig. Zu diesen Fragen:
– P. Nolte, Die Ordnung der deutschen Gesellschaft (2000). | Klassen- oder
Schichtzugehörigkeit |
Sie ist nach verschiedenen
gesetzlichen Vorschriften untersagt; so insbesondere nach Art 7
des Staatsvertrags 1955 oder schon nach Art 19 des StGG 1867. | Rassische
oder sprachliche Diskriminierung |
Vor allem alte Rechte
(Griechenland, Rom, Germanen etc) treffen starke Unterscheidungen
nach dem Geschlecht. Frauen besaßen häufig keine
volle Rechts- oder Handlungsfähigkeit, sondern unterstanden einer
väterlichen oder ehemännlichen Gewalt; besonders ausgeprägt die
römischrechtliche manus, munt (Deutsches Recht). Manche Gebiete
des Privatrechts benachteiligten Frauen sehr lange; so kam es im
Anerbenrecht ( → KAPITEL 17: Das
bäuerliche Erbrecht als Anerbenrecht) erst 1990 zur Gleichstellung. Andrerseits
hat das Arbeitsrecht aber wichtige und differenzierende Schutzbestimmungen für
Frauen entwickelt: Frauen- und Mutterschutz. | Geschlecht |
Auch das öffentliche Recht diskriminierte Frauen lange:
So erhalten sie in Österreich das Wahlrecht erst 1918, die Männer
schon 1906. Beamtenstellen waren lange Männern vorbehalten. | |
Vgl §
39 ABGB, „wonach die Verschiedenheit der Religion ...
auf die Privatrechte keinen Einfluss hat”. Art 7 B-VG (1920/1929)
iVm Art 14 StGG („Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist
Jederman gewährleistet.”) und den Art 8 und 14 EMRK sichert diesen
Schutz verfassungsrechtlich ab. – Das Eherecht des ABGB von 1811
war noch konfesionell ausgerichtet; dh der Staat orientierte sich
am Religionsbekenntnis der Eheschließenden, insbesondere dem katholischen
Eherecht. Erst das dtEheG 1938 brach mit diesem überholten Grundsatz. |
Religion |
| |
| |
Ein BundesG von 1985, BGBl Nr 155, regelt
die religiöse Kindererziehung:
| Religiöse
Kindererziehung |
„§ 1. Über die religiöse Erziehung eines
Kindes bestimmt die freie Einigung der Eltern, soweit ihnen die
Pflege und Erziehung zustehen. Die Einigung ist jederzeit widerruflich
und wird durch den Tod eines Ehegatten gelöst.” | |
„§ 2. (1) Besteht eine solche Einigung nicht oder nicht
mehr, so gelten auch für die religiöse Erziehung die Vorschriften
des ABGB über die Pflege und Erziehung. | |
(2) Es kann jedoch während bestehender Ehe von keinem Elternteil
ohne die Zustimmung des anderen bestimmt werden, dass das Kind in
einem anderen als dem zur Zeit der Eheschließung gemeinsamen Bekenntnis
oder in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen, oder dass ein
Kind vom Religionsunterricht abgemeldet werden soll. | |
(3)
Wird die Zustimmung nicht erteilt, so kann die Vermittlung oder
Entscheidung des Vormundschaftsgerichts beantragt werden. Für die
Entscheidung sind, auch soweit ein Fall des § 176 ABGB nicht vorliegt,
die Zwecke der Erziehung maßgebend. Vor der Entscheidung sind die
Ehegatten sowie erforderlichenfalls Verwandte, Verschwägerte und
die Lehrer des Kindes zu hören, wenn es ohne erhebliche Verzögerung
oder unverhältnismäßige Kosten geschehen kann. Das Kind ist zu hören,
wenn es das zehnte Jahr vollendet hat.” | |
„§ 5. Nach der Vollendung des vierzehnten Lebensjahrs steht
dem Kind die Entscheidung darüber zu, zu welchem religiösen Bekenntnis
es sich halten will. Hat das Kind das zwölfte Lebensjahr vollendet,
so kann es nicht gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis
als bisher erzogen werden.” [Diese Lösung stammt aus dem ALR 1794.] | |
§ 28 ABGB aF bestimmte, dass man den „vollen
Genuss der bürgerlichen Rechte ... durch die Staatsbürgerschaft”
erwirbt, deren Erwerb und Verlust die §§ 29-32 ABGB aF regelten.
Das ist auch insoferne erwähnenswert, weil daraus hervorgeht, dass
das ABGB in seiner ursprünglichen Fassung – nach heutigem Verständnis
– auch öffentlichrechtliche Regelungen enthielt. (Die Grenzziehung
zwischen öffentlichem und privatem Recht verlief damals anders.)
– Heute regelt ausschließlich das dem öffentlichen Recht zuzuzählende
StaatsbürgerschaftsG (BGBl 1985/311) Erwerb und Verlust der Staatsbürgerschaft. |
Staatsbürgerschaft
– Fremde |
| |
§
33 ABGB (vgl schon ALR Einl §§ 34 ff insbesondere § 41 und WGGB
I 2 § 55) handelt noch heute von den „Rechte[n] der Fremden”
und vertritt – für das Privatrecht – eine fortschrittliche Position: | Fremde |
„Den Fremden kommen überhaupt gleiche bürgerliche
Rechte und Verbindlichkeiten mit den Eingebornen zu.” | |
Vgl jedoch die Einschränkung in Satz 2: Gegenseitigkeit.
Etwas zurückhaltender war der Code Civil; Art 11. | |
Das kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass
Fremde in der Rechtsgeschichte lange Zeit auch (privat)rechtlich
nicht gleichgestellt waren. Das öffentliche Recht hat die rechtliche
Andersbehandlung Fremder in wichtigen Bereichen bis heute beibehalten.
Rechtsgeschichtlich ist das
Fremdenrecht ebenso eine griechische
Entwicklung wie das Völkerrecht und das Handelsrecht. | |
| |
Auch
der Wohnsitz ist im (Privat)Recht von Bedeutung. | Wohnsitz |
Vgl § 66 JN: „Der allgemeine Gerichtsstand einer
Person wird durch deren Wohnsitz bestimmt. Der
Wohnsitz einer Person ist an dem Orte begründet, an welchem sie
sich in der erweislichen oder aus den Umständen hervorgehenden Absicht
niedergelassen hat, dasselbst ihren bleibenden Aufenthalt zu nehmen.” | |
| Erfüllungsort |
Vgl auch das IPRG: § 9 Abs 2 (gewöhnlicher Aufenthalt)
und ebendort Abs 3 (Wohnsitz und gewöhnlicher Aufenthalt); § 10
bestimmt als Personalstatut juristischer Personen den tatsächlichen
Sitz ihrer Hauptverwaltung. (Am Personalstatut orientieren sich
ferner die §§ 14 (Todeserklärung), 15 (Entmündigung / Sachwalterschaft)
oder 16 Abs 2 (Form der Eheschließung im Ausland) usw. | |
Art 6 StGG
schützt grundrechtlich die Niederlassungsfreiheit.
Danach kann: |
Niederlassungsfreiheit |
„Jeder Staatsbürger ... an jedem Orte des
Staatsgebietes seinen Aufenthalt und Wohnsitz nehmen, Liegenschaften jeder
Art erwerben und über dieselben frei verfügen [Freiheit des Liegenschaftsverkehrs,
insbesondere des Liegenschaftserwerbs], sowie unter den gesetzlichen
Bedingungen jeden Erwerbszweig ausüben [Freiheit der Erwerbsbetätigung].” | |
Die Niederlassungsfreiheit ist auch europarechtlich garantiert;
vgl Art 52 ff EGV oder Art 31 ff EWR-Abk. | |
|
OGH 6.10.2000, 1 Ob 12/00: Ein
deutscher Staatsbürger, der sich in Tirol niederlässt, um dort einem
Erwerb aufgrund der europarechtlich garantierten Niederlassungsfreiheit nachzugehen,
brauch für die Genehmigung eines Liegenschaftskaufvertrags weder
ein wirtschaftliches, noch ein soziales, noch ein kulturelles Interesse
(des Landes Tirol) nachzuweisen. | |
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Die
Minderung der Ehre einer Person wirkte früher noch
viel stärker auf den Rechtszustand einer Person ein und tut es –
wenngleich abgeschwächt – noch heute. Betroffen davon war früher
insbesondere auch die Rechtsfähigkeit. Wir dürfen nicht vergessen,
dass die Rechtsfähigkeit noch heute grundsätzlich als von der Rechtsordnung
verliehen anzusehen ist; vgl jedoch § 16 ABGB: | Ehre |
So kannte
das griechische Recht die
asébeia, das römische
Recht die
infamía (vgl
noch heute: infam!), welche Betroffene mehr oder weniger aus der
Rechtsgemeinschaft ausschloss; eine Verurteilung in bestimmten Fällen
(zB auch aus bloßen Zivilrechtsklagen wie depositum / Verwahrung
oder mandatum / Auftrag) machte infam. – Auch das germanische und alte
deutsche Recht legte seit alters her großen Wert auf den
Besitz der (vollen) Ehre: Seiner Ehre verlustig geht der feige Krieger
(Ausschluss vom Opfer und der Volksversammlung etc), aber auch bestimmte Verurteilungen
führten zu Ehrverlust; Friedlosigkeit oder Acht bedeuteten
einen vollständigen Verlust der Rechtsfähigkeit. Rechtlos war /
wurde man entweder aufgrund ehrenrühriger Handlungen (zB Diebstahl
oder Raub mit der Folge entehrender Strafen) oder aufgrund bestimmter
persönlicher Verhältnisse oder Eigenschaften (zB uneheliche Geburt,
schimpfliches Gewerbe wie Spielleute oder unehrbarer Lebenswandel).
Vgl auch → Beginn
und Ende der natürlichen Person – Noch das ABGB und andere
Privatrechtsnormen kennen Sanktionen im Zusammenhang mit ehrenrührigem
Verhalten / Handeln; vgl etwa § 49 EheG („ehrloses oder unsittliches
Verhalten” ist ein Scheidungsgrund), § 74 EheG (Verwirkung des Unterhaltsanspruchs
durch „ehrlosen oder unsittlichen Lebenswandel”), § 768 Z 4 ABGB (Enterbung
durch „anstößige Lebensart”); vgl auch § 948 ABGB: Schenkungswiderruf
wegen groben Undanks, der ua auch Ehrverletzungen sanktioniert. | |
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