Kapitel
9 | |
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Karl
Anton von Martini zählte das Recht, erlittenen Schaden ersetzt verlangen
zu können zu den „angebohrnen” oder „Grundrechten” jedes Menschen.
Es stand für ihn neben dem Recht sein Leben und seine Ehre zu verteidigen,
sich die nötigen Mittel für den Lebensunterhalt zu beschaffen, seine
Anlagen und Fähigkeiten zu entwickeln und zu veredeln oder Verträge
schließen zu dürfen. Der Schaden mochte vom Schädiger verschuldet
oder unverschuldet zugefügt worden sein. Daher war dieses Recht
auf Ersatz erlittener Schäden nicht am Beginn der Ausführungen über
den (grundsätzlich Verschulden des Schädigers voraussetzenden) Schadenersatz
geregelt, sondern am Beginn des Gesetzbuchs, im Rahmen von Martinis
„Einleitung”, die ein Grundrechtssurrogat darstellte: „Von den Rechten
der Personen”. Das war weder unsystematisch noch inkonsequent gedacht.
Im Gegenteil: Weil Schaden im Bereich der Gesatmrechtsordnung und
insbesondere allen Teilbereichen des bürgerlichen Rechts (aus Vertrag
oder Delikt) zugefügt werden konnte, wurde die Generalklausel für
die Ersatzpflicht erlittener Schäden an die Spitze des Gesetzbuchs
gestellt. Martinis Entwurf von
1796 und das WGGB von 1797 regeln daher das „Grundrecht” einer Person, erlittenen
Schaden ersetzt zu verlangen, nicht am Beginn des 13. Hauptstücks
des III. Teils, das dem 30. Hauptstück des ABGB entspricht, sondern
zentral im 2. Hauptstück des I. Teils, der „Von den bürgerlichen
Rechten und Pflichten überhaupt” handelt und der eine Art „Allgenmeinen
Teil“ darstellt; I 2 §§ 8 ff Entwurf Martini und I 2 § 35 WGGB.
An der Eliminierung von Martinis „Einleitung” durch Martinis Schüler
und Protegé Zeiller leidet unser Schadenersatzrecht bis heute. | Überblick |
Ein
solches, vernunftrechtlich vermitteltes Verständnis des Schadenersatzrechts
hätte eine stets an alle Entwicklungen und Anforderungen anpassbare
rechtliche Grundlage geboten. Nur ein solches Konzept, das von Zeiller
entweder nicht mehr verstanden oder abgelehnt wurde, vermag auch
die im ABGB schließlich enthaltenen ungeordneten Fälle einer Erfolgs-
oder Nichtverschuldenshaftung (§§ 1310, 1318, 1333 iVm 1334) sowie
die Übergänge zwischen Verschuldens- und Erfolgshaftung (die Beweislastumkehr
in den §§ 1319 und 1320), trotz einer allgemein statuierten Verschuldenshaftung
hinreichend zu erklären. Das souveräne naturrechtlich fundierte
Schadenersatzverständnis Martinis lässt auch die Frage des Drittschadenersatzes
und seines noch existenten Rudiments in § 1295 ABGB („Jedermann
…”) in einem andern Licht erscheinen. – Die Brüche und Verwerfungen,
die das österreichische Schadenersatzrecht in Theorie und Praxis
bis heute plagen, haben auch in diesem unglücklichen Umbau von Martinis
Konzept durch Zeiller ihren Grund. – Es liegt an uns, eine Annäherung
an das ursprüngliche Konzept oder doch eine Wiederherstellung des ursprünglich
Angestrebten herbeizudenken; zB durch erneute Aufnahme einer Generalklausel
für Gefährdungshaftungen in das ABGB: der Ort könnte § 1295 ABGB
sein. Sei es für die nähere Zukunft im Rahmen des ABGB, was näher
liegt, sei es in fernerer Zukunft im Rahmen eines europäischen Zivilgesetzbuchs. | |
A. Schadenersatzrecht
– Allgemeiner Teil |
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Rechtsquellen:
§§ 1293 ff ABGB und zahlreiche SonderGe: zB EKHG, AHG, DNHG, PHG. | |
1. Abgrenzung
vom Strafrecht | |
Das
Schadenersatzrecht spielt in der Praxis eine wichtige Rolle. Angeblich
betreffen mehr als die Hälfte aller Privatrechtsfälle dieses Rechtsgebiet
oder weisen wenigstens „auch” einen namhaften schadenersatzrechtlichen
Bezug auf. Die rechtlichen Konsequenzen und die Härte des Schadenersatzrechts
werden – verglichen mit dem Strafrecht – häufig unterschätzt. Tatsächlich
sind privatrechtliche Sanktionen oft härter, als die des Strafrechts. | |
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Das Verhältnis
von Zivilrecht und Strafrecht bedarf am Beginn des Schadenersatzrechts
einer kurzen Erörterung: Zum einen sind die Zusammenhänge evident,
ja im Volk fehlt ein Bewusstsein für die nötige Unterscheidung.
Entgegen dieser Einschätzung besitzt das Zivilrecht, gesellschaftlich
gesehen, eine wesentlich größere Bedeutung. Das äußert sich in der
Inanspruchnahme beider Rechtsgebiete durch die Bevölkerung, die
bei etwa 10-12:1 zugunsten des Zivilrechts iwS liegt. Von Bedeutung
ist die Unterscheidung aber vor allem auch für die gerichtliche Zuständigkeit,
die zwar in beiden Bereichen bei den ordentlichen Gerichten liegt,
aber dies in ganz unterschiedlicher inhaltlicher und verfahrensrechtlicher
Ausgestaltung: Zivil- (ZPO) und Strafgerichte (StPO). Für beide
Bereiche existieren in Österreich – wie in den meisten anderen Ländern
– materiellrechtliche Kodifikationen; ABGB 1811 und StGB 1975. Auch
die Aufgaben von Zivil- und Strafrecht unterscheiden sich, wenngleich
auch wichtige funktionale Verbindungen und „Doppelgleisigkeiten”
bestehen; Prävention ( → „Warum”
ist Schaden zu ersetzen?),
Schutz der Ehre und der körperlichen Unversehrtheit hier wie dort.
Während der Strafanspruch dem Staate zusteht und dies dadurch zum Ausdruck
gelangt, dass der Staats-Anwalt als öffentlicher Ankläger auftritt
(kollektiver Schutz und Ausgleich), fällt das Geltendmachen von
Schadenersatzansprüchen grundsätzlich in die freie Entscheidung
Geschädigter; individueller Ausgleich. | Zivilrecht und Strafrecht |
In
Bezug auf die Gerechtigkeit ( → KAPITEL 18: Recht und Gerechtigkeit)
lässt sich sagen, dass das Zivilrecht insbesondere die gestörte
rechtliche Beziehung zwischen Geschädigten und Schädigern wiederherstellen
will (intersubjektiv-ausgleichende Gerechtigkeit), während das Strafrecht
die Störung der Rechtsbeziehung zwischen Täter/in und der Gemeinschaft
ausräumen will (gesellschaftlich-ausgleichende Gerechtigkeit), was
verständlicherweise auf sehr unterschiedliche Weise geschehen kann
und daher immer wieder für Diskussionen sorgt. – Hinzuweisen ist
hier auf die Bedeutung eines humanen Strafvollzugs. | Gerechtigkeit |
Wer sich ein Bild davon machen will, wie noch im angeblich
aufgeklärten Europa zu Beginn der zweiten Hälfte des 18. Jhds die Todesstrafe an
Mördern vollzogen wurde, der lese die ersten Seiten des Buchs von
M. Foucault, Überwachen und Strafen (stw 184, 199210).
Das war aber nicht nur in Frankreich so. Die allerchristlichste Herrscherin Maria
Theresia hatte noch 1768 ein neues Strafgesetzbuch erlassen
(Constitutio Criminalis Theresiana), die sog Nemesis Theresiana,
welches die gleichen grausamen Foltern und Strafen enthält; mit
glühenden Zangen zwicken, Beinschienen anlegen, auf’s Rad flechten,
Vierteilen usw. Nicht das Christentum hat schließlich diese grausamen
Strafen menschlicher gestaltet – humanisiert wie wir heute sagen,
sondern das in der zweiten Hälfte des 18. Jhds stärker das gesellschaftliche
Dunkel erhellende Licht der aufklärerischen Vernunft. – Bei Foucault finden
sich auch weitere interessante Hinweise auf die Entwicklung des
Strafens. Übrigens auch die Folter hat in Österreich erst Maria
Theresias aufgeklärter Sohn Joseph II abgeschafft. | |
Noch in unserer Zeit zeigt sich immer wieder, wie sehr die Zustände
in Haftanstalten zu wünschen übrig lassen. Ich habe es
selber in Innsbruck als Rechtspraktikant erlebt, dass mir Gefangene
ihre Striemen am Rücken gezeigt haben, die ihnen vom „Personal”
oder Mithäftlingen geschlagen worden waren und niemand von den Verantwortlichen,
denen ich dies gemeldet hatte, fand es der Mühe Wert, etwas dagegen
zu unternehmen. – Menschlichkeit sollte aber, trotz aller normativen
und rechtsfunktionalen Unterschiede, ein verbindender „Zug” von
Strafrecht und Schadenersatzrecht sein. Sich darum zu bemühen ist
uns allen zur Aufgabe gestellt. | |
Zur Abgrenzung des Schadenersatzrechts
vom Strafrecht vgl § 1338 ABGB: Danach sind Schadenersatz- und Strafrecht
strikt voneinander zu trennen. Die beiden Rechtsbereiche werden
aber von Laien häufig in einen Topf geworfen. Nicht zu verwechseln
ist dabei, dass ein und derselbe Sachverhalt – zB ein schwerer Verkehrsunfall
mit Personenschaden, der zB auf Alkoholisierung zurückzuführen ist
– häufig sowohl schadenersatzrechtliche wie strafrechtliche Folgen
hat; dazu können verwaltungs(straf)rechtliche Sanktionen treten. | |
Sowohl im Schadenersatzrecht, als auch im Strafrecht wird
von Verantwortlichkeit oder Haftung gesprochen. | |
Gustav Radbruch führt in seinen Erläuterungen zur „Peinlichen
Gerichtsordnung Kaiser Karl V von 1532” (Reclam 2990/90a, 1960),
der sog „
Carolina”,
zu Entwicklung und Verhältnis von Privatrecht und
Strafrecht aus: | Zum
Verhältnis von
Privat- und StrafR:
Historische Entwicklung |
„Das Mittelalter hatte
die privatrechtliche Auffassung des Strafrechts nie
ganz zu überwinden vermocht, die im Verbrechen vornehmlich
eine Verletzung der zunächst verletzten Privatperson,
in der Strafe wesentlich ein Recht dieses
Verletzten erblickte, nicht des Staates. Es wirkte auf
lange hinaus nach, daß eine Wurzel des Strafrechts die Privatrache des
Verletzten, ablösbar durch Bußzahlung des Verbrechers,
gewesen war. [Im antiken Griechenland fand dagegen
die „Verstaatlichung” der Privatrache bereits unter Drakon und Solon
statt; Ende 7., Anfang 6. Jhd v. C.] Das ganze Mittelalter hindurch
ließ sich die Privatrache in Gestalt der Fehde trotz
aller kirchlichen und staatlichen Landfrieden nicht unterdrücken.
Und wie ehemals die Privatrache, so war jetzt auch die staatliche
Strafe ablösbar durch Geld und fromme Werke. Da hatte etwa im zweiten
Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts … einer namens Hans Ganser den Kriegsknecht
Ludi Schnetz ein Pulvermennli genannt, der ihn mit hitzigem Streich und
Stich zu Tode verwundet. Was geschah dem Täter? Die Witwe des Erschlagenen
ist mit einer Buße von zehn Kronen zufrieden (denn er war von je
ein Taugenichts gewesen), und der Totschläger tut, die brennende
Kerze in der Hand, an der Kirchtür öffentliche Buße. | G. Radbruch |
Die privatrechtliche Auffassung des Strafrechts kommt aber
vor allem in der zivilprozessualen Auffassung des Strafprozesses zum
Ausdruck. Wenn sich der Gläubiger nicht selbst regt – der Staat
von sich aus kümmert sich um seine Schuldforderung nicht: wo
kein Kläger, da kein Richter. Das galt damals auch für
den Strafprozeß. Hatte also der Verletzte nicht Mut oder Macht genug,
um die Klage wagen zu dürfen, so blieb das Verbrechen ungeahndet.
Hatte er aber die Klage wirklich erhoben, so war der Beklagte näher
zum Beweise: Das Verbrechten bleibt ungeahndet, wenn der Schuldige
Gewissenlosigkeit und Freunde genug hat, um sich durch Reinigungseid mit
Eideshelfern von der Klage freizuschwören.” (AaO 3 f) – Die Carolina
„schied von sich aus die Straftaten, die nur ‚bürgerlicher’ Strafe,
d.h. der an den Verletzten zu zahlenden Privatstrafe unterlagen,
oder zwar staatlich zu strafen waren, aber nicht peinlich, d.h.
nicht an Leben, Ehre, Leib und Gliedern, also vor allem das Polizeiunrecht,
wie es dann in den Reichspolizeiordnungen seine gesonderte Behandlung
fand”. (AaO 14) – Auch im Beweisrecht ist der „zivilprozessuale
Gedanke der Verteilung der Beweislast zwischen den Parteien ...
im Strafprozeß der Carolina noch nicht überwunden”. Die Beweislast
für die Einrede der Notwehr trägt noch der Angeklagte. Im Zweifel
wird auch nicht – wie heute – freigesprochen [Die Ansätze der rechtsstaatlichen
Strafrechtsmaxime „in dubio pro reo” stammen aus dem Rechtsdenken
im alten Griechenland; Aischylos], sondern verurteilt; aaO 16. | |
Der eben erst erfolgte Schritt von „reiner” Strafe
zur
Diversion rückt das Strafrecht erneut
näher an das – private – Schadenersatzrecht heran. Das lehrt uns,
dass die weitverbreitete Auffassung, wonach sich das Schadenersatzrecht aus
dem Strafrecht entwickelt habe, insofern korrigiert werden muss,
als das Strafrecht selbst, sich aus dem ursprünglich privatrechtlich
verstandenen Racheanspruch des Einzelnen entwickelt und der staatliche
Strafanspruch erst viel später dieser älteren Wurzel entwachsen
ist. – Zum römischen XII-Tafelgesetz → „Warum”
ist Schaden zu ersetzen?
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Die Verbindlichkeit
zur Schadenersatzleistung ist – anders als Strafen nach
dem StGB – vererblich; § 1337 ABGB: „ ... haftet
auf dem Vermögen, und geht auf die Erben über.” | Vererblichkeit
der Schadenersatzverpflichtung |
„Schaden“
wird – der Begriff gibt dem hier behandelten Teilgebiet des bürgerlichen
Rechts seinen Namen – wie wir wissen, auf vielfältige Weise erlitten
und zugefügt: | Schaden |
Ich stürze mit dem
neuen Fahrrad und verletze mich und das Rad ist obendrein kaputt
(Körperverletzung + Sachschaden); – Käufer zahlt Kaufpreis nicht
(Vermögensschaden des Verkäufers); – ein Kaufmann bestellt Waren, der
Lieferant liefert jedoch (schuldhaft) verspätet oder schlecht, sodass
der Kaufmann seine Kunden nicht beliefern kann, wodurch ihm ein
(Vermögens)Schaden entsteht; – ich werde vom Arzt / in einer Klinik
falsch behandelt und erleide dadurch große Schmerzen (§ 1325 ABGB:
Körper- + immaterieller Schaden / Schmerzengeld); – durch die mir
zugefügte Körperverletzung (zB bei einem Autounfall), können auch
andere / dritte Personen (zB Angehörige oder mein Arbeitgeber oder
Familienangehörige) einen Schaden erleiden: § 1327 ABGB: Dritt-
oder mittelbarer Schaden → Drittschäden –
Mehr zum Schadensbegriff → Schadensbegriff,
Schadensarten, Schadensfeststellung
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2. „Warum”
ist Schaden zu ersetzen? | |
Die Frage „Warum” Schaden zu ersetzen ist, ist eine uralte
Frage des Rechtsdenkens und zugleich eine der Gerechtigkeit und
Rechtsphilosophie. – Die Antwort war im Laufe der Jahrtausende verständlicher
Weise nicht immer dieselbe. IdF soll kurz auf die „Prinzipien“ eingegangen
werden, die der Rechtfertigung von Schadenersatz dienen: | |
Das Schadenersatzrecht
ist Teil der ausgleichenden Gerechtigkeit (iustitia commutativa ( → KAPITEL 18: Austeilende
und ausgleichende Gerechtigkeit),
die es als Aufgabe des Rechts betrachtet, gestörtes Gleichgewicht ausgleichend
wiederherzustellen. Diese Aufgabe stellt sich im Schadenersatzrecht
wie im Strafrecht, wobei im Strafrecht die das geschehene Unrecht
ausgleichende Strafe im Vordergrund steht; der Ausgleich wird zudem
vornehmlich mit der Gemeinschaft hergestellt. Für das Strafrecht
hat diesen Zusammenhang G.W.F. Hegel betont. – Zur Schadensverlagerung
als rechtlichem Ausgleich → Schadensverlagerung
als rechtlicher Ausgleich
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Im Zivilrecht findet der Ausgleichsgedanke mehrfach
auch außerhalb des Schadenersatzrechts Anwendung: Bspw im Rahmen
der Leistungsstörungen (Verzug, Gewährleistung etc → KAPITEL 7: Die
Leistungsstörungen),
und überhaupt bei den synallagmatischen Verträgen ( → KAPITEL 2: Gegenseitige
Pflichten aus dem Kaufvertrag ¿ Das Synallagma),
wo Leistung und Gegenleistung notwendigerweise (unter Einbeziehung
des Äquivalenzgedankens) miteinander verknüpft sind; und zwar so,
dass die eine Leistungsverpflichtung gar nicht (erst) entsteht,
wenn aus irgend einem Grund nicht gleichzeitig die andere mitentsteht
(genetisches Synallagma) und – nach Vertragsschluss – dasselbe für
den Leistungsaustausch gilt; funktionelles Synallagma. Vgl auch
die Kondiktionen / ungerechtfertigte Bereicherung → KAPITEL 5: Ungerechtfertigte
Bereicherung.
Dem Ausgleichsdenken verpflichtet sind etwa auch die Besitzregeln
der §§ 309 ABGB, wonach der redliche Besitzer weniger zurückzustellen
hat, als der unredliche, weil hier in das Ausgleichsdenken Gerechtigkeitsüberlegungen
einfließen. | |
Eine erste und
wichtige Antwort auf die Frage, „warum” Schaden zu ersetzen ist,
gibt heute wie vor 2500 Jahren (Aischylos) der Präventionsgedanke,
wonach Schaden von vorneherein mittels der Sanktionsdrohung verhindert
werden soll. – Das moderne Schadenersatzrecht ist sich nicht immer
der Bedeutung des Präventionsgedankens bewusst gewesen. Er ist aber
nach wie vor wichtig, mag er inhaltlich auch modifizierbar und weiterentwickelbar
sein; denn es gehört zu den grundlegenden Aufgaben des (Privat)Rechts,
Rechtsverstöße möglichst schon vorbeugend zu verhindern → KAPITEL 1: Die
Staats- und Rechtsfunktionen:
Orientierungsfunktion des Rechts. | |
Dies hat Aischylos erkannt, der in den „Eumeniden”
(Vers 699) der Göttin Athene folgenden Satz in den Mund legt: „Denn
welcher Mensch, der nichts mehr fürchtet, bleibt gerecht?” | |
Der nicht auf das zivile Schadenersatzrecht beschränkte
Präventionsgedanke tritt in doppelter Gestalt in Erscheinung, nämlich
als: | |
•
General-
und als | |
•
Spezialprävention. | |
Die
aus Präventionsgründen im Strafrecht verhängte Strafe, die im Schadenersatzrecht
zugesprochene Schadenersatzleistung enthalten im Bereich der Spezialprävention
über diese Rechtsakte hinaus ein weiteres Ziel: Die Chance zur Neuorientierung
des Straftäters oder Schädigers. Insofern enthält das richterliche
Urteil auch einen – wenn auch bescheidenen – therapeutischen Aspekt. | |
Auch
der Vergeltungsgedanke spielt – nach wie vor –
eine Rolle; Talionsprinzip: „Auge um Auge, Zahn um Zahn” (Exodus:
21, 24); Wie du mir, so ich dir. Der Talionsgedanke taucht erstmals
bei Hammurabi von Babylon (1728-1686 v. C.) auf und meint: Vergeltung
von Gleichem mit Gleichem. – Man darf den alten Vergeltungs- oder
Retorsionsgedanken aber nicht nur als primitiv und grausam verstehen,
ist er doch in der Frühzeit der menschlichen Entwicklung grundsätzlich
– funktional – notwendig gewesen, weil es noch keinen staatlichen
Rechtsschutz und vor allem lange kaum eine staatliche Rechtsdurchsetzung
gegeben hat. Diese interessante und für das Entstehen von Staat
und Recht fundamentale Entwicklung lässt sich nirgends besser nachvollziehen
als im alten Griechenland. | |
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Auch
der ältere Vergeltungs- oder Privatrachegedanke enthält bereits
präventive Aspekte; soll doch die drohende Vergeltung abschreckend
wirken. – Noch das römische XII-Tafel-Gesetz (8, 2 und 3) kannte
den Talionsgedanken. Er war nicht so primitiv, wie das auf den ersten
Blick erscheinen mag: Einerseits enthält die Anordnung („ ..., ni
cum eo pacit, ...”) eine sichtliche Aufforderung zu privater Einigung,
die – gelang sie – Privatrache durch Zufügung desselben Unrechts
ausschloss. Darüber hinaus enthält die Formel (vgl Kasten) ein Übermaßverbot
für die noch erlaubte Privatrache; vgl § 19 ABGB: „ ... Grenzen
der Notwehr überschreitet ...”. Schließlich sollten die festen Buß(geld)sätze
sowohl die Einigung erleichtern, als auch die Privatrache überhaupt
möglichst ausschließen. – Schadenersatz und Strafrecht sind aber
ersichtlich noch nicht getrennt, sondern bilden ein gemeinsames
Blut- und Deliktsrecht. | XII-Tafel-Gesetz |
Manthe, Geschichte des Römischen Rechts 55 (2000) 8, 2: Si membrum rupsit, ni cum eo pacit, talio esto. | Wenn jemand einen Körperteil verletzt, so soll ihm
dasselbe geschehen, wenn er sich nicht mit ihm einigt. | 8, 3: Manu fustive si os fregit libero, CCC, si servo,
CL poenam subito. | Wenn jemand mit der Hand oder einem Knüppel einem
Freien einen Knochen bricht, so soll er 300 As Bußen zahlen, bei
einem Sklaven 150. |
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| Soziale oder
Billigkeitsüberlegungen |
3. Vertrags-
und Deliktshaftung | |
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Eine wichtige Unterscheidung – ja eine
zentrale Weichenstellung – des österreichischen Schadensrechts betrifft
die zwischen Vertrags- und Deliktshaftung. Bereits der Codex Hammurapi
(~ 18. Jhd v.C.) unterschied streng zwischen vertraglichen und außervertraglichen
Rechtsbeziehungen. – Ein Schaden entsteht nämlich nach § 1295 Abs
1, 2. HalbS ABGB entweder: | § 1295
Abs 1,
2. HalbS ABGB |
•
aus Vertrag (zB
Hoteldiener verletzt Hotelgast, der bereits gebucht hat oder: der
Lieferant A liefert aus Schlamperei an seinen Vertragspartner B
überhaupt nicht oder zu spät); oder | |
•
aus Delikt,
dh ohne Zusammenhang mit einem Vertrag; zB Hoteldiener verletzt
beim Abladen von Gästegepäck einen Passanten oder ein Autofahrer
stößt einen Fußgänger nieder. – Beim Delikt wird eine allgemeine
Verhaltenspflicht (zB StVO, StGB), die gegenüber jedermann besteht,
übertreten und nicht wie bei der Vertragsverletzung eine konkrete,
selbstbestimmte Pflicht gegenüber dem Vertragspartner. – Man spricht
hier von deliktischem/r Verhalten / Schadenszufügung und versteht
im Zivilrecht darunter grundsätzlich ein schuldhaftes zu Schadenersatz
verpflichtendes Verhalten ohne vertragliche, rechtsgeschäftliche
oder diesen Haftungsgründen ähnliche Grundlage. | |
Der Gegensatz ist aber nicht ganz so schroff ausgebildet
als man meinen könnte. So kennen wir mit der cic ( → KAPITEL 6: Cic
¿ culpa in contrahendo)
ein gesetzliches Schuldverhältnis, das zwar keine vertragliche, aber
doch eine vertragsähnliche und nicht nur eine deliktische Beziehung
schafft und auch die Verträge mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter ( → Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) erzeugen rechtlich eine mittelbare Vertragsbeziehung,
die eigentlich gar nicht besteht. Und die sog Drittschäden ( → Drittschäden) wiederum
erweitern den Kreis der deliktisch Haftenden. – Aber die Rspr zieht
auch immer wieder Grenzen; vgl das folgende Rspr-Beispiel. | |
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OGH 14. 12. 2000, 7 Ob 252/00k, JBl 2001, 457:
Schadenersatzanspruch des Rechtsschutzversicherers gegen den Rechtsanwalt
des Versicherten, der durch eine nicht ordentliche Vertretung unnötige
Prozesskosten verursacht hatte: Keine Vertragshaftung,
da zwischen Rechtsschutzversicherer und Rechtsanwalt regelmäßig
kein direktes Vertragsverhältnis entsteht und der OGH auch keinen
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter annimmt. (?) – OGH verweist
auf deliktischen Schadenersatz: §1299 ABGB. | |
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Die für das ABGB (und auch noch das
ALR) charakteristische Unterscheidung in Schadenersatz/Schuldverhältnisse
aus Vertrag (ex contractu) und aus Delikt (ex
delicto) ist nicht so selbstverständlich wie sie vielleicht
erscheinen mag. | ex contractu
oder ex delicto |
Das dtBGB von 1900 bspw
hatte sein Schadenersatzrecht zunächst ausschließlich deliktisch
konzipiert und unterstellte „Vertragsschäden” – iSv Schuld- oder
Forderungsverletzungen – grundsätzlich nicht seinem Schadenersatzrecht.
Zur dadurch nötig gewordenen problematischen Neuschöpfung der sog
positiven Vertrags- oder Forderungsverletzung → KAPITEL 7: Zur
sog positiven Vertragsverletzung.
– Erst die 2002 in Kraft getretene deutsche Schuldrechtsreform hat dies
weitgehend korrigiert. | |
Die Konsequenzen dieser
– eher unscheinbaren – Unterscheidung in Vertrags- und Deliktshaftung sind
bedeutend und dürfen nicht unterschätzt werden. Sie liegen einerseits
in unterschiedlicher: | Konsequenzen |
•
Beweislastverteilung nach
den §§ 1298 (Vertrag) oder 1296 (Delikt) ABGB und andrerseits | |
•
in
unterschiedlicher Gehilfenhaftung der §§ 1313a
(Vertrag) und 1315 (Delikt) ABGB. | |
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Im Rahmen
der Fallbehandlung ( → KAPITEL 11: Falllösung)
sollte daher stets darauf geachtet werden, welche Anspruchsgrundlage
auf den Sachverhalt anzuwenden ist, und auch nach dieser Unterscheidung
gefragt werden, wobei vertragliche vor deliktischen Ansprüchen zu
prüfen sind. | |
Aber auch bloß deliktische
Schadenszufügung lässt zwischen Schädiger und Geschädigtem
ein (in der Folge – vgl § 1298 ABGB – besonders geschütztes) Schuldverhältnis
entstehen, allerdings (nur) ein gesetzliches. | Gesetzliches
Schuldverhältnis |
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Die
Verpflichtung des § 1323 ABGB zu Naturalersatz ( → Was
heißt Naturalrestitution?)
gilt für die Delikts- wie die Vertragshaftung; vgl dort SZ 19/205
(1937): Klosettmitbenützung. | Naturalersatz |
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4. Schadenersatz
und Zufall: § 1311 ABGB | |
Ersatz für einen erlittenen Schaden zu
erlangen, ist nicht selbstverständlich. Für viele Schäden des täglichen
Privat- und Berufslebens gibt es keinen Ersatz; zB für den verlorenen
Schlüsselbund, die gestohlene Kreditkarte, das verletzte Knie nach
einem Sturz. – Es gilt nämlich der rechtliche Grundsatz: Jeder hat
seinen Schaden selbst zu tragen. Diese beispielhaft genannten Schäden
stellen für Betroffene – rechtlich gesehen – einen Zufall dar und
„Zufall [trifft nach § 1311 ABGB] denjenigen, in dessen Vermögen
oder Person er sich ereignet”. Diese Schadenstragungsregel ist alt. Schon
das römische Recht formuliert: casum sentit dominus; dh: Zufälligen
Schaden trägt der Eigentümer bei dem er eintritt. | casum
sentit dominus |
Rechtshistorisch
stammt die Unterscheidung/Abgrenzung zwischen vorsätzlichem und unvorsätzlichem (=einheitliche
Fahrlässigkeit) Verhalten sowie idF vom Zufall aus
dem alten Griechenland. – Während die Trennung zwischen vorsätzlichem
und unvorsätzlichem Verhalten gesetzlich bereits auf Drakon (624/3
v. C.) zurückgeht (gewohnheitsrechtlich ist sie deutlich älter),
ist unser (Rechts)Begriff des Zufalls erstmals in der griechischen Rhetorik
(Anaximenes von Lampsakos, der Rhetor) der 2. Hälfte des 4. Jhds
v. C. (~ 340 v. C.) nachweisbar. Aristoteles baut diese Ansätze
in seiner „Nikomachischen Ethik” und „Rhetorik” aus und der Peripatos
führt die Befassung mit diesen Fragen fort. Von hier gelangt die
Unterscheidung ins römische Recht; D. 9, 2: ad legem Aquiliam. (Die lex
Aquilia wird gewöhnlich in das Jahr 287 v. C. gesetzt.) Der Vollständigkeit
halber sei erwähnt, dass die Unterscheidung von Fahrlässigkeitsgraden
auch dem klassischen römischen Recht noch unbekannt war und erst
Justinianischen Ursprungs ist. – In der Kodifikationsgeschichte
des ABGB hat sich K. A. v. Martini eingehend mit der rechtlichen
Bedeutung des Zufalls befasst. | Rechtsgeschichte |
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§ 1311 ABGB | |
„Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen
Vermögen oder Person er sich ereignet. Hat aber jemand den Zufall
durch ein Verschulden veranlasst [1]; hat er ein Gesetz, das den
zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten [2]; oder,
sich ohne Not in fremde Geschäfte gemengt [3]; so haftet er für
allen Nachtheil, welcher außer dem nicht erfolgt wäre.” | |
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[1] regelt den sog gemischten Zufall (casus
mixtus), der bspw bei der Leihe oder der Verwahrung eine praktische Rolle
spielt; [2] behandelt die praktisch wichtige Übertretung
eines sog Schutzgesetzes, die sowohl haftungsrechtlich
als auch beweislastmäßig von grosser Bedeutung ist ( → Beweislast
und Anspruchsdurchsetzung);
[3] untersagt grundsätzlich die Geschäftsführung ohne Auftrag
→ KAPITEL 12: Geschäftsführung
ohne Auftrag. | |
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OGH 25. 9. 2001, 4 Ob 206/01z, EvBl 2002/32:
Gegen einen Erzeuger von Faustfeuerwaffen ist ein Finanzstrafverfahren anhängig.
In einer Zeitschrift erscheint ein Artikel mit Informationen, die
nur aus dem Finanzstrafakt stammen können. Der Waffenproduzent klagt
den Medieninhaber auf Schadenersatz. – OGH: § 48a BAO schützt auch
das Interesse der Partei an der Geheimhaltung des Akteninhalts und ist
deshalb als Schutznorm iSd § 1311 ABGB zu werten.
Die Verletzung eines Schutzgesetzes verpflichtet
nicht nur zum Schadenersatz, sondern auch zur Unterlassung. | |
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Zufall kann durch menschliches
Verhalten (vgl die Beispiele oben), aber auch Naturereignisse wie
Hagelschlag oder Frostschäden eines Waldes bedingt sein. – Zufall
in Bezug auf menschliches Verhalten ist rechtlich das, was einer
Person nicht mehr als Verschulden zugerechnet werden kann, was also
„unterhalb” der Verschuldens(zurechnungs)grenze liegt. | Menschliches
Verhalten oder Naturereignisse |
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Rechtlicher Zufall spielt
aber nicht nur im Schadenersatzrecht eine Rolle; vgl nur § 1104
ABGB, wo bestimmt wird, dass dann, „wenn die in Bestand genommene
Sache wegen außerordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche,
großer Überschwemmungen, Wetterschläge, oder wegen gänzlichen Misswachses
gar nicht gebraucht oder benützt werden kann, [weder] der Bestandgeber zur
Wiederherstellung”, noch Mieter oder Pächter zur Zahlung des Miet-
oder Pachtzinses verpflichtet sind. – Oder: § 1117 ABGB (Aufkündigung
des Bestandvertrags) und § 1168a ABGB (Werkvertrag). | Zufall spielt nicht nur im Schadenersatzrecht
eine Rolle |
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5. Schadensverlagerung
als rechtlicher Ausgleich | |
Um Schadenersatz
erlangen zu können und nicht (rechtlich) Zufall annehmen zu müssen,
braucht es aber mehr, als das Vorliegen eines Schadens, nämlich
auch eine besondere (Gesetzes)Norm, die eine Schadensverlagerung
/ -überwälzung gestattet. – Das Schadenersatzrecht ist nun jener
Rechtsbereich, der diese Schadensverlagerungs-
oder Schadensüberwälzungsnormen enthält. Eine wesentliche
Funktion des Schadenersatzrechts liegt im Verwirklichen
des (Schadens)Ausgleichsgedankens. Das Ausgleichsprinzip ist für
das Schadensrecht zentral → „Warum”
ist Schaden zu ersetzen?
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Darin liegt auch eine Anwendung des für
das Rechtsdenken so wichtigen Gegenseitigkeits- oder Reziprozitätsdenkens;
dazu im Rahmen der Zug um Zug-Leistungspflicht → KAPITEL 2: Spielarten
des Kaufvertrags. | |
6. Geltendmachung
von Schadenersatzansprüchen – Verjährung: § 1489 ABGB | |
Schadenersatzansprüche müssen vom Geschädigten
geltend gemacht werden. Wenn nicht anders möglich, durch gerichtliche
Klage. Dabei ist § 1489 ABGB zu beachten. | |
Nach
§ 1489 ABGB, der seine geltende Fassung durch die III. TN erhalten
hat, muss „jede Entschädigungsklage” innerhalb von 3 Jahren geltend
gemacht werden. Andernfalls ist sie verjährt. Diese Frist beginnt
ab der Zeit zu laufen, „zu welcher der Schade und
[!] die Person des Beschädigers dem Beschädigten
bekannt wurde, der Schade mag durch Übertretung einer Vertragspflicht oder
ohne Beziehung auf einen Vertrag [also bloß deliktisch!] verursacht
worden sein.” – Ist dagegen zB einem Beschädigten (sein) Schade
oder die Person des Schädigers nicht (voll) bekannt (dazu gleich
unten: Spät- oder Folgeschäden), verjährt der Schadenersatzanspruch
erst in 30 Jahren. | 3- oder 30-jährige
Verjährungsfrist |
Allgemein
zur Verjährung → KAPITEL 13: Die
Verjährung. – „Schade” und „Beschädiger” müssen also bekannt
sein. – Es kommt daher immer wieder vor, dass Fälle eingeklagt werden,
die 10, 20 oder mehr Jahre zurückliegen. Das hat seinen Grund im
Tatbestand des § 1489, Satz 2 ABGB, also darin, dass Geschädigten
entweder der Schaden selbst – entweder ganz oder doch in seinem
wesentlichen Umfang – oder der Schädiger unbekannt geblieben sind. | |
Die 3-jährige
Verjährungsfrist gilt also nur, wenn der Geschädigte weiß, dass
ein Schaden vorliegt und wie er zustande gekommen ist. Ein/e Geschädigte/r
muss nach der Rspr ohne nennenswerte Mühe auf ein Verschulden des
Schädigers schließen können, also Schaden und Schädiger insoweit kennen,
dass eine Klage mit Aussicht auf Erfolg erhoben werden kann. Dazu
gehört das Wissen von Namen und Anschrift des Ersatzpflichtigen
und die Kenntnis des Ursachenzusammenhangs. Die bloße Mutmaßung
über das Vorliegen verschuldensbegründender Umstände reicht nicht
aus, um den Lauf der Verjährungsfrist beginnen zu lassen. | 3-jährige Verjährungsfrist |
| |
Im
Extremfall können also Schadenersatzansprüche bis zur absoluten
Verjährungsgrenze von 30 Jahren eingeklagt werden, mögen
dann auch Beweisfragen uU schon schwer zu klären sein. | Absolute Verjährungsgrenze |
Reformpläne: Es wurde überlegt, diese Grenze
auf 10 Jahre abzusenken, was besser unterbleibt; vgl nur den (gleich unten
wiedergegebenen) Sachverhalt von: JBl 2000, 169 (Hepatitis-C-Infektion). | |
Die kurze Verjährungsfrist
beginnt zwar nach der Rspr auch dann zu laufen, wenn noch nicht
der ganze Umfang des Schadens bekannt war; dh dass bei Klagserhebung
zB noch nicht die volle Schadenshöhe bekannt sein muss. – Kommen
aber nicht vorhersehbare neue Wirkungen eines Schadensfalls
hervor, beginnt erst mit deren Kenntnis eine neue Verjährungsfrist
zu laufen; zB Eintritt einer neuen Krankheit: vgl SZ 71/5 (gleich
unten). | |
Der
Verjährung von Ersatzansprüchen bei künftigen, jedoch voraussehbaren
Schäden kann durch Feststellungsklage (§
228 ZPO) begegnet werden. Das ist insbesondere von Bedeutung, wenn
(im Klagszeitpunkt der angestellten Leistungsklage) mit noch nicht
(näher) spezifizierbaren Spätschäden zu rechnen ist. Das Klagebegehren
in einem solchen Fall lautet dann darauf, dass der Schädiger für
die bislang bekannten Schadensfolgen und darüber hinaus auch für
alle künftigen mit dem Schadensereignis zusammenhängenden weiteren
Folgen einzustehen habe. Vgl auch → Schmerzen(s)geld: Schmerzengeld. | Feststellungsklage |
Für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach
§ 228 ZPO muss der Kläger sein rechtliches Interesse (= Rechtsschutzbedürfnis)
an einer zeitlich umgehenden gerichtlichen Feststellung nachweisen.
Dadurch sollen künftige Prozesse vermieden werden. – Eine Feststellungsklage
ist zudem nur zulässig, wenn keine Leistungs- oder Rechtsgestaltungsklage
möglich ist. Zu den verschiedenen Klagstypen → KAPITEL 19: Das
Verfahren erster Instanz. | |
|
SZ 44/115 (1971): § 1489 ABGB –
Kenntnis von Schaden und Schädiger (Guter Leitsatz!). | |
|
|
| |
|
|
JBl 2000, 169:
Schadenersatzansprüche eines Blutspenders wegen Hepatitis-C-Infektion.
Bloße Verdachtsmomente bezüglich des Kausalzusammenhangs zwischen
Blutplasmaspenden und Hepatitis-C-Infektion können keinesfalls mit
der für den Beginn des Laufs der Verjährungsfrist gemäß § 1489 ABGB erforderlichen
Kenntnis gleichgesetzt werden. Eine Infektion, die zunächst zu einer
nicht mit besonderen Schmerzen verbundenen Erkrankung führt, die
scheinbar folgenlos abheilt und erst ca 16 Jahre später schwerste
Leberschädigungen hervorruft, löste keinesfalls die Verpflichtung
zur Erhebung einer Leistungsklage verbunden mit einem Feststellungsbegehren
aus. – Dieser Fall zeigt, dass der Plan, die absolute Verjährungsgrenze
auf 10 Jahre abzusenken, überdacht werden sollte. Ähnliche Probleme
könnten sich mit der BSE-Krankheit ergeben. Vgl auch das Beispiel
des Blindenhundes „Amos” → KAPITEL 7: Gewährleistungsfristen
¿ Geltendmachung. | |
|
7. Die
rechtshistorische Bedeutung der lex Aquilia | |
Die lex Aquilia (~ 287/6 v. C.) kann als wichtige Keimzelle
des europäischen Schadenersatzrechts betrachtet werden. Dieses römische
Gesetz behandelte zwar nur den Ersatz aus deliktischer Sachbeschädigung,
aber aus seiner praktischen Anwendung entstanden die noch heute
begrifflich gültigen Schadenersatz(zurechnungs)elemente, nämlich:
Schaden, Kausalität, Verschulden und Rechtswidrigkeit. | |
Darin liegt die rechtshistorische Bedeutung
der lex Aquilia, deren Regeln über die Rezeption des gemeinen-römischen
Rechts (ius commune) bis zu den großen vernunftrechtlichen Kodifikationen
in Preußen, Österreich und Frankreich ( → KAPITEL 1: Die
drei großen Kodifikationen)
unmittelbare Bedeutung besaßen und in Italien und Frankreich wird
noch heute von responsabilità Aquiliana oder responsabilité Aquilienne
iS einer Haftung aus unerlaubter Handlung gesprochen. | |
Die im Rahmen der Anwendung der lex Aquilia entwickelten
deliktischen Schadenszurechnungsvoraussetzungen wurden schließlich
(nach griechischem Vorbild) auch auf Schadenersatzansprüche aus
Vertrag übertragen, wodurch einheitliche schadenersatzrechtliche
Zurechnungsregeln für die Haftung ex delicto und
ex
contractu ( → Vertrags-
und Deliktshaftung) entstanden. | |
Erst das dtBGB von 1900 und diesem folgend
das Schweizer OR haben dieses gemeinrechtliche,
bewährte Fundament verlassen, indem – wenig glücklich – ein ausschließlich
deliktisches Schadenersatzrecht geschaffen wurde; zu den Folgen → Vertrags-
und Deliktshaftung –
Das dtBGB hat aber mit der sog Schuldrechtsreform 2001, in deren
Rahmen auch das Schadenersatzrecht geändert wurde (hier: 2. SchadenersatzrechtsänderungsG,
das mit 1. 8. 2002 in Kraft getreten ist), diesen Fehler zum Teil
korrigiert. Der neu gefasste § 253 dtBGB, dem ein zweiter Absatz
angefügt wurde, hat die Kluft zwischen vertraglichen und deliktischen
Schadenersatzansprüchen verringert indem er Schmerzengeldansprüche
jetzt auch bei Vertragsverletzungen und in der Gefährdungshaftung
(wie in Österreich seit jeher) gewährt. Auch der neue § 280 dtBGB
hat durch seine Generalklausel für vertraglichen Schadenersatz die
Kluft verringert; vgl auch die §§ 249 ff dtBGB. – Eine künftige
europäische Privatrechtsordnung sollte jenen Weg gehen, dem schon das
ALR und das ABGB gefolgt waren und der sich bewährt hat. | |
| |
Das
römische Recht gewährte Schadenersatzansprüche aus deliktischer
Sachbeschädigung (Verletzung von Sklaven und Beschädigung sonstiger
Sachgüter – damnum iniuria datum, dh durch Rechtsverstoß zugefügter
Schaden) mittels der actio legis Aquiliae.
| actio legis Aquiliae |
| |
Gaius: Institutionen 3, 210* (Übersetzung von Bürge) Si quis hominem alienum alienamve quadrupedemve pecudem
iniuria occiderit, quanti id in eo anno plurimi fuit, tantum aes
ero dare damnetur. | Wer eine fremde männliche oder weibliche Person oder
ein vierfüßiges Herdentier widerrechtlich getötet hat, der soll
durch Urteil verpflichtet werden, dem Eigentümer soviel Geld zu geben,
wie es in diesem Jahr am meisten wert gewesen war. | Ceterarum rerum praeter hominem et pecudem occisos
si quis alteri damnum faxit, quod usserit fregerit ruperit iniuria,
quanti ea res erit in diebus triginta proximis, tantum aes ero damnas
dare esto. | Für die übrigen Sachen – ausgenommen getötete Personen
oder Herdentiere – gilt, daß wenn einer dem andern dadurch Schaden zugefügt
hat, indem er widerrechtlich anzündete, brach oder zerstörte, so
soll dieser verpflichtet sein, dem Eigentümer soviel Geld zu geben,
wie diese Sache in den nächsten dreißig Tagen wert sein wird. |
| |
Das
erste Kapitel der lex Aquilia sanktioniert die
widerrechtliche Tötung fremder Sklaven und vierfüßiger Herdentiere;
das dritte Kapitel erfasste – allgemeiner – alle Sachbeschädigungen,
die durch urere (Brennen), frangere (Brechen)
und rumpere (Zerreißen, Zerstören) zugefügt wurden.
– Der Schaden musste aber, um ersetzt werden zu können: | Urere, frangere, rumpere |
Das schuf (zunächst) Probleme, führte aber idF zu einer
beachtlichen Entwicklung. | |
Keine (Zurechnungs)Probleme brachte die Anwendung der lex
Aquilia mit sich, wenn der Kausalzusammenhang zwischen Schädiger
und Geschädigtem klar zutage lag, also ein – wie wir heute sagen
würden – unmittelbarer war. Anders, wenn der Schaden
bloß mittelbar oder indirekt zugefügt worden war.
Berühmt ist der Fall (Ulpian D. 9, 2, 29, 5), dass ein angebundenes
Schiff dadurch verloren geht, dass nur das Befestigungsseil
durchtrennt wird, ohne dass sonstige Schadenshandlungen gesetzt
werden. Ein anderes – ebenfalls von Ulpian: D. 9, 2, 11, 5 berichtetes
– Beispiel betrifft die später auch vom ABGB in § 1320 ausdrücklich
geregelte Tierhalterhaftung: Ein nicht an der Leine
geführter Hund wird gereizt und beißt einen Sklaven. Diese und weitere
Fälle gaben Anlass zur rechtlichen Weiterentwicklung. | |
Entwicklungsschritte über
den Wortlaut der lex Aquilia hinaus: | weitere
Entwicklungsschritte |
Anwendung auf Schadenersatzansprüche aus Vertrag; | |
• durch ein Handeln und
nicht bloß durch ein Unterlassen des Schädigers
herbeigeführt worden sein; | |
• und zudem musste der (Sach)Schaden unmittelbar dh
ohne kausal vermittelnde Zwischenursachen herbeigeführt worden sein: damnum
corpore corpori datum. | |
• Erstreckung auf Fälle in welchen der Schaden
durch Unterlassung verursacht wurde; | |
• Erstreckung auf bloß mittelbare Verursachung,
bei welcher der Schädiger nicht unmittelbar auf die beschädigte Sache
einwirkte, sondern auf eine andere Person oder Sache, und erst dadurch
der Schaden bewirkt wurde; zB im Hundefall!; | |
• Nach Kaser wurde die Klage schon in klassischer
Zeit auch auf freie Personen angewandt. Ursprünglich
fand nämlich auf Freie nur das Zwölf Tafel-Gesetz Anwendung; Tafel
VIII 2: Si membrum rup(s)it, ni cum eo pacit ... → „Warum”
ist Schaden zu ersetzen?. | |
• Erhalten geblieben ist bis heute der Grundgedanke
einer ersatzmäßigen Einschränkung bloß mittelbar verursachter
Schäden. Noch heute bereitet der mittelbare oder Drittschaden
(→ Drittschäden) Schwierigkeiten, mag sich auch das Verständnis,
was als mittelbarer und was als unmittelbar verursachter Schaden
anzusehen ist, geändert haben. – Die Entwicklung ist bis heute nicht
abgeschlossen. | |
| Abbildung 9.1: Schadenersatzrecht:§§ 1293 ff ABGB |
|
| Abbildung 9.2: Entstehung von Schadenersatzansprüchen |
|
| Abbildung 9.3: Schadenersatz: gesetzl Schuldverhältnis |
|
| Abbildung 9.4: „Warum” ist Schaden zu ersetzen? |
|
| Abbildung 9.5: Schadenersatzrecht – Strafrecht |
|
II. Die
Schadenersatzvoraussetzungen | |
Neben
dem Vorliegen eines Schadens verlangt das ABGB grundsätzlich drei
weitere Voraussetzungen – also insgesamt vier, um Schadenersatz
erlangen zu können: nämlich Kausalität, Verschulden und Rechtswidrigkeit.
– Diese Anspruchsvoraussetzungen werden im Prozess
genau geprüft. Man spricht von den vier allgemeinen Voraussetzungen
der Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen. | |
Die einfach gehaltenen
Schadenersatzvoraussetzungen des ABGB werden von
manchem Vertreter der Theorie ungebührlich aufgebläht
und didaktisch fragwürdig vermehrt, ja mitunter ins Unverständliche
verkehrt. An die Stelle der erhofften Orientierung tritt bei Studierenden
dann oft Verwirrung. Das Schadenersatzrecht bietet nämlich ohnehin
die Gefahr der Verkomplizierung, die leider immer wieder mit Qualität
verwechselt wird. Gerade heute gilt aber: Einfachheit ist gefragt! | Einfach und daher klar gehaltene
Schadenersatzvoraussetzungen des ABGB |
Hinzuweisen ist allerdings darauf, dass sich die einzelnen
Schadenersatzvoraussetzungen seit 1812 selbstverständlich entwickelt
haben. So wurden während des 19. und 20. Jahrhunderts nicht nur
verschiedene (Kausal)Zurechnungslehren geschaffen ( → Kausalität
/ Verursachung),
sondern auch im Bereich der Rechtswidrigkeit etwa die Lehre vom
Schutzzweck der verletzten Norm (sog Rechtswidrigkeitszusammenhang → Lehre
vom Schutzzweck der (verletzten) Norm – Rechtmäßiges Alternativverhalten)
und das rechtmäßige Alternativverhalten. Allein diese neuen Entwicklungen
sollten didaktisch weiterhin im Mutterschoß der ursprünglichen Zurechnungsvoraussetzungen
belassen und nicht zu autonomen Voraussetzungen hochstilisiert werden.
– Ähnliches gilt für den Schadensbegriff, der sich – auf Grund seiner
gesellschaftlichen Werteinschlüsse (wrongful life, wrongful birth!)
– ebenfalls beträchtlich weiterentwickelt hat. Dazu gleich mehr. | |
Es müssen
– kumulativ – vorliegen: | „Vier” Voraussetzungen |
(1) Schaden
| |
Frage: Ist ein Schaden entstanden? – Welcher? (ZB: Vertraglich
<-> deliktisch, Personen- <-> Vermögensschaden, materieller
<-> immaterieller Schaden etc) | |
(2) Kausalität
| |
Frage: Ist der Schaden vom Schädiger oder ihm zurechenbaren
Personen (durch eine Handlung oder Unterlassung) verursacht worden?
– Äquivalenz, Adäquanz, ThdwB etc | |
(3) Verschulden
| |
Frage: Wurde der Schaden schuldhaft zugefügt? (Welcher Verschuldensgrad?)
– Bei Gefährdungshaftungen entfällt dieses Kriterium. | |
(4) Rechtswidrigkeit
| |
Frage: War die Handlung oder Unterlassung des Schädigers
rechtswidrig? – Rechtswidrigkeit setzt einen Normverstoß voraus!
Konkret: Einen Verstoß gegen gesetzliche Ge- oder Verbote oder einen
Vertrag. – Auch dieses (Zurechnungs)Kriterium fehlt bei Gefährdungshaftungen,
zumal der Schade hier im Rahmen einer erlaubten Tätigkeit und ohne
Verschulden zugefügt wird. | |
Hier angesiedelt ist der Rechtswidrigkeitszusammenhang /
Lehre vom Schutzzweck der Norm und rechtmäßiges Alternativverhalten. | |
1. Schadensbegriff,
Schadensarten, Schadensfeststellung | |
§ 1293 Satz 1 ABGB
umschreibt den Begriff des Schadens: | |
„Schade heißt [danach] jeder Nachteil, welcher
jemandem am Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden
ist.” | |
§ 1293
ABGB enthält neben dem Schadensbegriff auch noch
eine grundlegende Weichenstellung hinsichtlich der beiden großen
Gruppen von Schäden; nämlich die Einteilung in Vermögens- und Personenschäden,
die gleichberechtigt nebeneinander gestellt werden, was oft zu wenig
beachtet wird. § 1295 Abs 1, 1. HalbS ergänzt diese Weichenstellung
iS einer grundsätzlichen Verschuldenshaftung und
statuiert im 2. HalbS die für das österreichische Schadensrecht
charakteristische Haftung ex contractu und ex
delicto
→ Vertrags-
und Deliktshaftung
| §§
1293, 1295 ABGB: wichtige
Weichenstellungen |
Die Personen- oder Nichtvermögensschäden (wie
sie auch genannt werden) werden vom ABGB nicht grundsätzlich, vielmehr
nur in ihrer Durchsetzbarkeit bevorzugt, weil sie ohne umfängliche
Einschränkung des Ersatzes ab leichter Fahrlässigkeit begehrt werden
können, während Vermögensschäden in Bezug auf ihre
umfängliche Durchsetzung (wirklicher Schaden / damnum emergens oder
entgangener Gewinn / lucrum cessans) einer Verschuldensstaffelung
unterliegen. Rspr und Schrifttum schränken den Ersatz von Vermögensschäden
idR darüber hinaus noch dadurch ein, dass sog „reine” Vermögensschäden
(überhaupt) nicht ersetzt werden; dazu → Schadensbegriff,
Schadensarten, Schadensfeststellung –
Kein Unterschied besteht zwischen diesen Schadensgruppen aber hinsichtlich
der Beweislastregeln der §§ 1296 und 1298 ABGB und der Gehilfenhaftung
der §§ 1313a und 1315 ABGB. Diese Differenzierungen besitzen – cum
grano salis – nur für die Unterscheidung zwischen Vertrags- und
Deliktshaftung Bedeutung. | Personen- und
Vermögensschäden |
Die hA hat aus dieser grundsätzlichen
Weichenstellung der §§ 1293 und 1295 ABGB – im Kielwasser der dtBGB-Dogmatik
– unnötig etwas anderes gemacht und interpretiert diese Grundaussagen
unseres Schadenersatzrechts restriktiv und contra legem.
Und das seit langem. Das mochte für das dtBGB – mit seiner deliktischen
Schadenskonzeption – hingehen, passt aber nicht für das ABGB. Damit
ist aber nicht gesagt, daß zwischen Personen- und Vermögensschäden
und zwischen vertraglicher und deliktischer Haftung keine Unterschiede
bestehen sollen und ferner ebensowenig, daß kein Korrektiv zur (Umfangs)Begrenzung
von Vermögensschäden zur Verfügung stehen soll. Aber es sollte ein
Korrektiv sein, das die Grundsätze unseres Schadenersatzrechts nicht
unnötig missachtet. Praktikable Einschränkungen und Ergebnisse lassen
sich auch hier mit dem Ehrenzweigschen Konzept vom Schutzzweck der
Norm erzielen. Das Ergebnis bestünde in ABGB-Konformität: Personen-
und Vermögensschäden wären grundsätzlich gleichermaßen zu entschädigen, und
zwar unabhängig davon, ob ein Schaden ex contractu oder ex delicto
zugefügt wurde. Ein solches Verständnis könnte den bislang „diskriminierten
Vermögensschaden” wenigstens teilweise rehabilitieren. Zurückgedrängt
werden könnte dadurch die Bedeutung der Unterscheidung, ob ein deliktisch
zugefügter Schaden ein absolut geschütztes Rechtsgut betrifft oder
nur einen (reinen) Vermögensschaden herbeigeführt hat; dazu → Schadensbegriff,
Schadensarten, Schadensfeststellung Ein
weiterer Vorteil bestünde darin, künftig nicht mehr in unnötiger
Abhängigkeit von der deutschen Rechtsdogmatik zu stehen. Ein solches Verständnis
hätte insbesondere auch Auswirkungen auf das Verständnis des Drittschadens:
§ 1295 ABGB → Drittschäden
| Begrenzung
von Vermögensschäden |
Die Stromkabelfälle und
die bislang unbefriedigend gelösten Leasingfälle könnten zwanglos
in den Schutzbereich des – nunmehr österreichisch verstandenen –
Vermögensschadens einbezogen werden. Schließlich ersparte man sich in
der zuletzt zaghaft entschädigten Fallgruppe der Schockschäden Dritter
( → Was
versteht die Rspr unter Körperverletzung?) unnötigen Begründungsaufwand. Vgl auch
unten: Schadensarten (Vermögens- und Nichtvermögensschäden). | |
|
SZ
65/41 (1992): Der Schadensbegriff des
ABGB umfasst jeden Zustand, der rechtlich als Nachteil anzusehen
ist. Das ist jeder Zustand, an dem ein geringeres rechtliches Interesse
besteht, als am bisherigen Zustand. | |
|
|
EvBl 1986/86: Schaden einer
GmbH ist jede dem Unternehmenszweck widersprechende, in
Geld messbare Beeinträchtigung des Vermögens, der Tätigkeit oder
der Organisation der Gesellschaft und des von ihr betriebenen Unternehmens. | |
|
|
SZ 52/146 (1979): Es muss sich
aber bereits um einen konkreten Schaden handeln.
Die bloß theoretische Möglichkeit eines künftigen Schadenseintritts
reicht nicht aus. | |
|
|
SZ 25/132 (1952): Das schädigende
Ereignis kann auch einen Vermögensvorteil herbeiführen, der dann dem
Schadensstifter zugute kommt und dessen Ersatzpflicht verringert;
sog Vorteilsausgleichung: der Schädiger muss dies
aber durch eine entsprechende Einwendung geltend machen (ZVR 1973/7),
weil die Vorteilsausgleichung nicht von Amts wegen berücksichtigt
wird. | |
|
|
GlU 5678 (1875): Der Schaden kann
auch im Verlust von Regressrechten oder im Entstehen
von Verpflichtungen gegen einen Dritten bestehen
(GlU 9654: 1883). | |
|
|
SZ 52/146 (1979): Wird ein durch
die Bauordnung vorgeschriebener Seitenabstand des Hauses
zum Nachbargrund nicht eingehalten, entsteht dieser Schaden
bereits mit der Verletzung des subjektiv-öffentlichen Nachbarrechts
und nicht erst mit dem Geltendmachen des Anspruchs auf Einhaltung
des Seitenabstands. | |
|
|
JBl
1988, 779: Der Entgang von Reiseerlebnissen
und Reiseeindrücken ist kein materieller Schaden. (?) | |
|
|
SZ 41/79 (1968) = ZVR 1969/147: Fällig
wird eine Schadenersatzforderung erst, wenn sie der Geschädigte
dem Schädiger gegenüber zahlenmäßig bestimmt, also einmahnt. | |
|
Was ein ersatzfähiger
Schaden ist – das gilt für Personen- und Vermögensschäden
– bestimmt nicht allein der Geschädigte, sondern die Rechtsordnung,
deren „Urteil” wiederum wertorientiert und gesellschaftsabhängig
getroffen wird. Die Meinungen wandelten sich im Laufe der Zeit; sozialer
Wandel. – Der normative Schadensbegriff hat sich nicht
nur im Laufe der Zeit gewandelt, sondern unterscheidet sich auch
in den einzelnen Ländern und ihren Rechtsordnungen auf interessante
Weise! Das gilt auch für rechtlich so verwandte Länder, wie Österreich
und Deutschland; vgl die Beispiele E. Kramers, in: AcP 200 (2000)
397 f. | Sozialer Wandel
des Schadensbegriffs |
|
EvBl 1999/114: Zur Ersatzfähigkeit
unerlaubter Vorteile – Danach sind unerlaubte Vorteile,
die ohne das schädigende Ereignis erzielt worden wären, vom Schädiger
grundsätzlich nicht zu ersetzen. Würde sich doch die Rechtsordnung
selbst widersprechen, wenn sie schadenersatzrechtlich solche Vorteile
zuerkennen wollte, deren Unerlaubtheit sie an anderer Stelle selbst
normiert hat; Vermeidung von Wertungswidersprüchen – Gedanke der
Einheit der Rechtsordnung → KAPITEL 11: Methode
und Einheit der Rechtsordnung.
Im konkreten Fall beruhte aber der dem Kläger entgangene Verdienst
auf einem gültig abgeschlossenen Vertrag, weshalb sich der Schädiger
nicht auf diese Rechtsfigur berufen konnte. | |
|
|
Umstritten ist nach wie vor die Frage, ob die Geburt
eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes einen Schaden
darstellt, während nach Ansicht des OGH die Geburt eines
schwer behinderten Kindes für dessen Eltern jedenfalls
einen Schaden bedeutet; JBl 1999, 593
→ KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10.
Vgl neben den unten angegebenen Arbeiten von Sabine Engel auch Fenyves
/ Hirsch, Zur Deckung der Ansprüche aus „wrongful life” und „wrongful
birth” in der Arzthaftpflichtversicherung, RdM 2000, 10 mwH. Die
dogmatische Begründung bereitet aber immer noch Schwierigkeiten
und beschäftigte sogar das dtBundesverfassungsgericht: | |
|
| |
Oder:
Bei Einführung der gesetzlichen Unfallversicherung in den 80er Jahren
des vorigen Jahrhunderts wurden nur Arbeitsunfälle ieS ersetzt,
nicht aber Berufskrankheiten, deren rechtliche
Anerkennung erst nach dem Ersten Weltkrieg erfolgte. Das industrielle
Bewusstsein der Gesellschaft nahm es in Kauf, dass auch schwerste
Gesundheitsschäden, eben beruflich bedingte Krankheiten, die zwar
nachweislich betrieblich verursacht, aber nicht auf einen Unfall
im technisch-juristischen Sinn (also eine plötzliche, äußere und
gewaltsame Einwirkung) zurückzuführen waren, sondern zB auf längerfristige
betriebliche Schadstoffeinwirkungen (wie Quecksilbervergiftungen), nicht
entschädigt wurden. | |
|
Ein anderes Beispiel für
gesellschaftlichen Wandel in diesem Bereich, stellt die bewegte
unterschiedliche Behandlung sog Drittschäden ( → Drittschäden)
durch die Rspr dar, die sich laufend verändert; vgl dazu das OGH-Urteil
(EvBl 1994/135) → KAPITEL 5: Entscheidungsbeispiele:
Bereicherungsrecht. | |
|
|
Vgl auch SZ 58/80 (1985): Vergewaltigung (gleich
unten). | |
|
|
Zur Schadensberechnung
von Betreuungsleistungen: OGH
6 Ob 143/98t, JAP 1999/2000, H. 2, 79:
Tatsächlich erbrachte Betreuungsleistungen sind vom Schadenersatzpflichtigen
zu ersetzen. Sie sind konkret zu berechnen und daher nach den individuellen
Umständen zu bewerten. In Abweichung zur bisherigen Rspr scheidet
bei Pflege durch einen Familienangehörigen eine abstrakte Schadensberechnung
aus, der die Kosten von mehreren qualifizierten Pflegepersonen zugrunde
gelegt wird. Dies bedeutet eine weitere Abkehr von der langjährigen
Rspr des OGH, wonach auch die Kosten für tatsächlich nicht erbrachte
Heilungsmaßnahmen (zB Operationen) ersetzt wurden, weil der Schaden
eben schon mit dem Eintritt der vermehrten Bedürfnisse entstehe;
vgl etwa noch ZVR 1990/160. Von dieser heftig kritisierten Linie
(vgl schon Gschnitzer, JBl 1955, 305) ging der OGH nunmehr ab. Unterbleibt
eine Heilbehandlung, wird auch kein Ersatz geleistet; vgl Apathy,
Fiktive Operationskosten, RZ 1986, 285. – Zur weiteren Sinnhaftigkeit der
Rechtsfigur der abstrakten Rente → Die
abstrakte Rente
| |
|
Schadenersatz
setzt einen Schaden voraus. – Wie aber
wird Schaden berechnet ? | |
• Zum Ersatz von Personenschäden
→ Schadensbegriff,
Schadensarten, Schadensfeststellung
| |
•
Vermögensschäden werden durch Differenzrechnung ermittelt. | |
Vermögensschäden entstehen entweder durch
eine Wertminderung von Gütern (zB Sachbeschädigung), der Verhinderung
einer sonst eintretenden Vermögensvermehrung (zB Fehler eines Anlageberaters)
oder dadurch, dass neue Verbindlichkeiten/Kosten entstehen; zB Reparaturkosten
für ein beschädigtes Auto oder einen getätigten sog Rettungsaufwand
zur Vermeidung eines drohenden, wenngleich noch nicht eingetretenen
Schadens. Die Rspr zählt auch diesen grundsätzlich zum ersatzfähigen
Schaden; vgl etwa SZ 39/115 (1966) oder ZVR 1973/110. – Diesbezüglich
besteht ein Wertungswiderspruch der Rspr beim Schutz sog absolut
geschützter Rechtsgüter (vgl JBl 1999, 49 → KAPITEL 5: §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung),
der nicht im selben Ausmaß gewährt wird, was nicht einsichtig erscheint. | |
In all diesen
Fällen wird ein Vermögensschaden durch Differenzrechnung ermittelt:
Verglichen wird dabei die Lage vor und nach dem Schadenseintritt.
Ist diese schlechter als jene, bedeutet die ermittelte Differenz
einen Schaden. | Differenzrechnung |
|
OGH 28. 9. 2000, 2 Ob 255/00i, EvBl 2001/56:
Bei einem vom Beklagten verschuldeten Autounfall wird die
Klägerin schwer verletzt und kann aufgrund der Unfallfolgen ihren
Beruf als Ordinationshilfe bei einem Zahnarzt nicht mehr ausüben.
Sie lässt sich zur Heilmasseurin umschulen und klagt auf Ersatz
des für den Zeitraum der Umschulung entgangenen Verdienstes und
der Umschulungskosten. Der Beklagte wendet Vorteilsausgleichung aufgrund
des als Masseurin erzielbaren wesentlich höheren Einkommens ein.
– OHG spricht Umschulungskosten und Verdienstentgang während der
Umschulung zu und lehnt den Einwand des Beklagten bezüglich des
Vorteilsausgleichs ab. Grundsätzlich ergibt sich eine Anrechnung aller
durch das Schadensereignis verursachten Vorteile beim Interessenersatz
durch die Schadensberechnung mittels Differenzmethode.
Die Berücksichtigung von Vorteilen kommt jedoch nur gegenüber sachlich
und zeitlich kongruenten Schadenersatzansprüchen in Betracht. Im
konkreten Fall ist der Vorteil mit dem Schaden wegen Verdienstentgangs
nicht zeitlich und hinsichtlich der Umschulungskosten auch nicht
sachlich kongruent. | |
|
|
OGH 23. 5. 2000, 4 Ob 17/00d („Künettenbrücke”), SZ 73/82 = EvBl 2000/196: Ein Unternehmer
führt Tiefbauarbeiten vor einer Gärtnerei durch u übernimmt auch
den Bau einer Künettenbrücke mit 9 t Tragfähigkeit über die Baugrube
für den Lkw der Gärtnerei. Als die Brücke jedoch unter dem Lkw teilweise einbricht,
stützt der Schwiegervater des Gärtners den Lastwagen bis zum Eintreffen
der Feuerwehr mit einer Winde ab. Durch weiters Nachgeben der Holzpfeiler
der Brückenkonstruktion wird die Winde weggescheudert und verletzt
den Schwiegervater am Fuß. – OGH: Der Schädiger haftet grundsätzlich
auch für bei der Rettung (sowie bei nicht von vornherein
untauglichen Rettungsversuchen zur Verhinderung weiterer Schäden)
eintretende weitere Schäden, wenn diese Maßnahmen nicht außerhalb
des Adäquanzzusammenhangs liegen. Das folge aus der psychischen
Kausalität des Verhaltens des Täters für die auf Rettung gerichtete
Willensbetätigung des Retters. (Richtiges Ergebnis, verfehlte Begründung.) | |
|
Schadensermittlung
durch Differenzmethode nach F. Gschnitzer: | Differenzmethode
nach
F. Gschnitzer |
Gschnitzer fragt: Wie stünde der Betroffene ohne das Schadensereignis?
– Besser? Dann hat er dadurch einen Nachteil erlitten, ist geschädigt.
– Wir vergleichen also zwei Lagen miteinander: Die wirkliche, die
durch das Schadensereignis eingetreten ist und die gedachte, hypothetische
Lage, die ohne Schadenseintritt bestehen würde. – Ist die wirkliche,
bestehende Lage gegenüber der gedachten zum Nachteil des Betroffenen,
sprechen wir von Schaden und schädigendem
Ereignis. | |
| |
| |
Steht fest, dass der Geschädigte einen Schaden
iSd § 1293 ABGB erlitten hat, lässt sich aber die Höhe des Schadens
nicht ohne weiteres feststellen, besteht nach § 273 ZPO die Möglichkeit
einer richterlichen Einschätzung des Schadens. Dieser Weg
wurde bspw in der eben erwähnten E des OGH 6 Ob 143/98t (Betreuungsleistungen)
und ebenso in EvBl 1977/82 ( → KAPITEL 5: Regeln
zur rechtlichen Behandlung neuer Vertragsformen)
beschritten. | |
|
§ 273 Abs 1 ZPO | |
Wenn feststeht, dass einer Partei der Ersatz
eines Schadens oder des Interesses (dazu → KAPITEL 6: Rechtsgeschichtliche
Entwicklung)
gebürt oder dass sie sonst eine Forderung zu stellen hat, der Beweis
über den streitigen Betrag des zu ersetzenden Schadens oder Interesses
oder der Forderung aber gar nicht oder nur mit unverhältnismäßigen
Schwierigkeiten zu erbringen ist, so kann das Gericht auf Antrag
oder von amtswegen selbst mit Übergehung eines von der Partei angebotenen
Beweises diesen Betrag nach freier Überzeugung festsetzen. Der Festsetzung
des Betrages kann auch die eidliche Vernehmung einer der Parteien
über die für die Bestimmung des Betrages maßgebenden Umstände vorausgehen. | |
|
Die Beweislast für
den eingetretenen Schaden trägt im deliktischen
Bereich grundsätzlich der Geschädigte; er erbringt
den Beweis zB durch ein Gutachten über den Verlauf, die Schadenshöhe und
die Folgen eines Kfz-Unfalls. Mehr zur Beweislast → Beweislast
und Anspruchsdurchsetzung
| |
Als großer Einteilungsgesichtspunkt lassen
sich – wie erwähnt – folgende Schädengruppen anführen: | Schadensarten
– Überblick |
•
Vermögensschäden und Nicht-Vermögens- oder Personenschäden
| |
•
Zur Unterscheidung
in unmittelbare und mittelbare oder Drittschäden
→ Drittschäden,
S.. Zur entwicklungsgeschichtlichen Bedeutung der lex Aquilia → Die
rechtshistorische Bedeutung der lex Aquilia
| |
•
Zur Abgrenzung zwischen Vertrauensschaden (auch
negatives Vertragsinteresse genannt) und (Nicht)Erfüllungsschaden (auch
positives Vertragsinteresse genannt) vgl EvBl 1977/228: | |
„Die
Beklagte übersieht, dass den Vertrauensschaden...
nur derjenige begehren kann, der auf die Gültigkeit einer abgegebenen
Erklärung oder auf das Zustandekommen eines Vertrages vertraut hat,
obwohl die Erklärung ungültig war oder der Vertrag nicht zustande
kam; in diesem Fall hat der Schädiger den Vertrauenden so zu stellen,
wie er stünde, wenn er mit der Gültigkeit seiner Verpflichtung nicht
gerechnet hätte. Ist jedoch der Schaden durch Nichterfüllung einer
gültig begründeten Leistungsverpflichtung entstanden, so hat der
Schädiger den Zustand herzustellen, der im Vermögen des Geschädigten
bei gehöriger Erfüllung (positives Erfüllungsinteresse oder Nichterfüllungsinteresse)
bestünde (Gschnitzer in Klang2 IV/1,
172 ...). Im konkreten Fall ist dem Kläger ein Schaden durch die
Nichteinhaltung einer von der Beklagten übernommenen Vertragspflicht
entstanden; der Kläger kann daher von der Beklagten [den Nichterfüllungsschaden]
begehren.” | |
Sie bedeuten
einen Nachteil an geldwertem Gut oder Rechten; vgl §§ 1331, 1333
ABGB: zB eine Delle im Auto, die Zerstörung eines EDV-Programms
oder einer Gewinn- oder Verdienstchance. Bei Vermögensschäden geht
es um in Geld ausdrückbare, also messbare Änderungen im Vermögen des
Geschädigten; sei es in Bezug auf einen bestimmten Vermögensteil
(zB ein beschädigtes Kfz) oder das Gesamtvermögen des Geschädigten. | |
Innerhalb
der Vermögensschäden wird – im Hinblick auf die Formen/Inhalte von
deren Ersatz – unterschieden zwischen: | Formen des Ersatzes bei Vermögensschäden |
•
wirklichem
/ erlittenem oder positivem Schaden (damnum
emergens) und dem | |
•
entgangenen
Gewinn (lucrum cessans); | |
•
dazu tritt nach § 1331 ABGB unter bestimmten
Voraussetzungen der Ersatz des Werts der besonderen Vorliebe
→ Verschulden
(culpa)
| |
Über die Höhe des Ersatzes –
ob bloß der wirkliche Schaden oder auch der entgangene Gewinn zu
ersetzen ist – entscheidet nach dem ABGB der Grad des Verschuldens
mit dem der Schädiger den Schaden herbeigeführt hat → Verschulden
(culpa)
| Höhe
des Ersatzes |
|
Die vom Bauherrn
dem Unternehmer nach § 1168 Abs 1 ABGB zu ersetzenden Stehzeiten sind
ein wirklicher (Vermögens)Schaden, den die Demonstranten nur dann
zu ersetzen haben, wenn fest steht, dass das Bauvorhaben fertiggestellt
wird. Der Vermögensnachteil ist nach dem Zeitpunkt der Schadensfestestellung
– das ist der Schluss der gerichtlichen Verhandlung erster Instanz
– zu ermitteln; OGH
25.3.1999
→ „Verdienstentgang”
| |
|
| |
Zu
beachten ist, dass nach hA (vgl schon oben → Vermögensschäden)
– bloße Vermögensschäden nicht im selben Ausmaß entschädigt werden,
wie Personenschäden: Diese Haltung ist zwar dem ABGB – wie ausgeführt
– fremd, hat sich aber im Anschluss an dt Lehre und Rspr durchgesetzt.
In Österreich wäre auf Grund der §§ 1293 und 1295 ABGB eigentlich
etwas anderes zu erwarten. – Vermögensschäden werden im Unterschied
zu Eingriffen in absolut geschützte Rechtsgüter – darunter werden
verstanden: Leib und Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit, geschlechtliche
Selbstbestimmung, Persönlichkeitsrechte, Eigentum – deliktisch (grundsätzlich
nicht, sondern) nur ausnahmsweise entschädigt. Dies obwohl es das
ABGB nahe legt, sowohl das Vermögen als auch absolute Rechtsgüter
eines Geschädigten vertraglich und (!) deliktisch zu schützen. | Beschränkter Ersatz von Vermögensschäden |
Als „reine”oder
„bloße” Vermögensschäden werden
Schäden bezeichnet, bei denen weder ein Personen-, noch ein (realer)
Sachschaden vorliegt; vgl etwa SZ 67/17: Wissentlich unrichtige
Auskunft über Empfängnismöglichkeit begründet keinen Anspruch
des Kindesvaters eines unehelichen Kindes gegen dessen Mutter auf
Ersatz der für das Kind zu erbringenden Unterhaltsleistungen; Ablehung
eines ersatzfähigen Vermögensschadens. – Reine Vermögensschäden
werden auch nicht nach dem EKHG (§ 1) und nach dem PHG (§ 1Abs 1)
ersetzt. | |
Die Rspr gewährt bislang
nur in folgenden Fallgruppen einen Ersatzanspruch bei deliktischer Vermögensschädigung: | Fallgruppen |
•
bei Schutzgesetzverletzung iSd
§ 1311 ABGB; | |
•
im Falle einer absichtlich sittenwidrigen oder listigen
Schädigung iSd §§ 1295 Abs 2, 1300 und § 874 ABGB; | |
•
und bei mutwilliger Prozessführung iSd
§ 408 ZPO. | |
| |
Sie betreffen
insbesondere auch immaterielle Nachteile an der Person;
Körperverletzungen oder Verletzungen von Ehre, Freiheit oder geschlechtlicher
Selbstbestimmung. Die Situierung des
§ 1328 ABGB (Verletzung der geschlechtlichen Selbstbestimmung) erscheint
glücklich, zumal dieser Tatbestand eingebettet ist in die Bereiche
Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Ehrverletzung, die bei
dieser Deliktsform häufig gemeinsam zur Anwendung gelangen. – Das
ABGB fasst sie in den §§ 1325-1330 zusammen; vgl auch → Die
einzelnen Tatbestände: Das
ABGB bezeichnet die Gruppe der Nicht- oder Personenschäden auch
als ideelle Schäden, weil sie vorwiegend immaterielle Güter betreffen.
Obwohl immaterielle Güter eigentlich nicht in Geld ausdrückbar sind,
dies iSv exakt messbar, werden sie dennoch – vor allem durch das
Schmerzengeld des § 1325 ABGB – in Geld ersetzt. | Nicht-Vermögens-
oder Personenschäden |
| |
An und für sich ist es nicht
(ganz) korrekt, den Begriff des immateriellen Schadens nur auf Personenschäden
zu beziehen, da § 1331 ABGB ( → Vermögensschäden)
auch für den Bereich des Vermögensschadens mit dem Ersatz des Werts
der besonderen Vorliebe eine Form des Ersatzes immaterieller Schäden
kennt. – Dennoch ist diese Gleichsetzung üblich. | Zum Begriff
„immaterielle Schäden” |
Immaterielle Schäden
werden von der Rspr nur dort ersetzt, wo dies das Gesetz ausdrücklich
anordnet; so etwa in
§ 1325 ABGB und § 12 Abs 1 Z 4 EKHG (Schmerzengeld → Schmerzen(s)geld),
aber auch nach § 1331 ABGB: Wert der besonderen Vorliebe / Affektionsinteresse. | |
Nach
neuerer Rspr gewährt der OGH auch bei Freiheitsberaubung (§
1329 ABGB) und § 1328 ABGB (Verletzung der geschlechtlichen
Selbstbestimmung; Nov, BGBl 1996/759) den Ersatz des immateriellen
Schadens. – Vgl nunmehr auch die geplanten gesetzlichen Erweiterungen
für sog Trauerschäden, entgangene Urlaubsfreude
usw → Was
versteht die Rspr unter Körperverletzung?
| |
Das Schrifttum erblickt
im Passus des § 1323, 2. HalbS ABGB: „ ... Tilgung der verursachten
Beleidigung” eine grundsätzliche Anordnung zum Ersatz immaterieller
Schäden (= Schmerzengeld als Teil der vollen Genugtuung). – Anders
aber (noch) die Rspr! | |
|
Vgl
zum lange verweigerten Ersatz des ideellen Schadens bei Vergewaltigung (sog
Notzucht!?, ein juristischer Begriff, der tiefenpsychologisch Abgründe
eröffnet) die folgende E: – SZ 58/80 (1985) = JBl 1986, 114 – Leitsatz:
§§ 1328, 1325 ABGB – Bei Vergewaltigung gebührt Schmerzengeld auch
für seelische Schmerzen; solche können sich auch daraus ergeben,
dass die Vergewaltigung in der Umgebung des Opfers bekannt geworden
ist. OGH sprach vergewaltigter Frau Entschädigung für psychisches
Übel zu. Eine Frau in einem kleinen Innviertler Dorf hatte ein schreckliches
Erlebnis: sie wurde vergewaltigt. Die Folgen: mehrtägige arge Schmerzen,
Krankenstand, vor allem aber schwere psychische Störungen in Form starker
Depressionen, vegetativer Störungen und krasser Angstzustände. Der
Täter wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt, in einem
darauffolgenden Zivilprozess, der vom Kreisgericht Ried im Innkreis
bis zum OGH ging, verlangte die Frau ein Schmerzengeld von 120.000
S. Die 1. Instanz sprach ihr rund die Hälfte, nämlich 65.000 S zu,
das OLG Linz bereits 95.000 S. Und der OGH, vom Beklagten wegen
Reduzierung der Forderung angerufen, bestätigte das Urteil der 2.
Instanz. – In der Entscheidung des Höchstgerichts (7 Ob 566/85)
heißt es ua: „Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, vertritt
die neue Lehre einheitlich den Standpunkt, dass auch im Falle einer
echten Notzucht der Ersatz immaterieller Schäden gebührt. Bei der
Feststellung solchen immateriellen Schadens ist die subjektive Berechnung
Grundsatz. Es sind Dauer und Intensität des erlittenen Ungemachs,
aber auch die psychophysische Situation des Betroffenen, die Beschaffenheit
seiner Gefühlswelt, seine Empfindsamkeit und die Schwankungsbreite seiner
Psyche zu berücksichtigen. Insbesondere sind auch die soziale Stellung,
die kulturellen Bedürfnisse und die beruflichen Verhältnisse des
Verletzten zu berücksichtigen. Die Funktion des Schmerzengeldes
besteht im wesentlichen im Aufwiegen von Unlustgefühlen. Diese sind
nach der Person des Verletzten zu bewerten, weshalb richtigerweise
nur eine subjektive Berechnung in Betracht kommt. Es ist immer auf
die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Vor allem bei Schädigung
infolge von Freiheitsberaubung berücksichtigt die Rspr subjektive
Umstände. – Mit Recht haben daher die Vorinstanzen auch in Betracht
gezogen, dass im vorliegenden Fall die Vergewaltigung der Klägerin
nicht praktisch anonym geblieben ist, wie dies idR in einer Großstadt
der Fall sein wird, sondern dass der Angriff durch eine Personihrer
unmittelbaren Nachbarschaft erfolgte und dieses Ereignis zur Kenntnis
einer kleinen Gemeinde, in der die beiden handelnden Personen allgemein
bekannt sind, gelangte, so dass, wie dies gerade in Landgemeinden
häufig der Fall ist, seitens der Bevölkerung Parteinahmen, auch
zum Teil gegen die Klägerin, erfolgten, was zu einer weiteren psychischen
Belastung der Klägerin führen musste.” (Anm: Die Mutter des Täters
hatte das Kaufhaus, in dem die Klägerin arbeitete, aufgesucht und
diese dort beschimpft. Auch die Dorfbevölkerung legte zum Teil eine
ablehnende Haltung der Klägerin gegenüber an den Tag!) – Der OGH
stützt seine neue Judikatur zu den §§ 1328 und 1329 ABGB auch auf
Art 5 Abs 5 EMRK und erkennt nunmehr auf den Ersatz des immateriellen
Schadens, spricht also Schmerzengeld zu. Die Rspr des OGH in Bezug
auf den Ersatz immateriellen Schadens war lange widersprüchlich;
bis etwa zur Jhd-Wende [1900] sprach der OGH großzügig immateriellen
Ersatz zu; dann – unter Einfluss des dtBGB [§ 253] – lehnte er diesbezüglich
Ersatz bis zur Mitte der 80er Jahre kategorisch ab. Das lehrt uns
wie abhängig rechtliche Kausalurteile von gesellschaftlichen Werturteilen
sind. Man kann auch sagen: Rechtliche Kausalität ist (auch) gesellschaftliche
Kausalität. – Anstoß erregt hatte schon (neben der geschilderten
Haltung des OGH zu Vergewaltigungen) die Rspr des OGH gegenüber
KZ-Opfern, deren Ansprüche auf immateriellen Schadenersatz wegen
Freiheitsbeschränkung er ebenfalls – trotz mehrfacher Bemühungen
Heinrich Klangs, der selber im KZ Theresienstadt und Mitglied des
OGH war – abgelehnt hatte. Vgl nunmehr die novellierte Fassung des §
1328 ABGB!sung des §
1328 ABGB!sung des §
1328 ABGB!sung des §
1328 ABGB! | Verwaltigung |
|
| Abbildung 9.6: Voraussetzungen des Schadenersatzanspruchs |
|
| Abbildung 9.7: Was heißt Schaden? |
|
| Abbildung 9.8: Schadensermittlung: Differenzmethode |
|
2. Kausalität
/ Verursachung | |
Nach der Frage, ob ein Schaden eingetreten
ist, ist auch danach zu fragen, ob dieser jemandem kausal
zugerechnet werden kann. | |
Ein Schaden muss vom Schädiger
verursacht, sein Verhalten muss kausal sein. Das Gesetz definiert Kausalität
traditioneller Weise aber nicht, setzt sie vielmehr voraus; vgl
die §§ 1294, 1295 ABGB: „ ...zugefügt”, „ ...verursacht worden”.
– Entgegen dem ersten Anschein ist auch diese Frage nicht immer
einfach zu beantworten. Denn: Nicht jede (Schadens)Bedingung / Ursache,
die gesetzt wird, macht rechtlich auch verantwortlich, dh: wird
haftungsmäßig zugerechnet. Und umgekehrt wird uU ein Verhalten zugerechnet,
das naturwissenschaftlich vielleicht gar nicht kausal für den Schadenseintritt
war → Natürliche
und juristische Kausalität – Es ist Aufgabe der rechtlichen Kausalitäts-
oder Zurechnungskonzepte aus der Vielfalt realer – dh physikalischer,
psychischer und gesellschaftlicher – Schadensbedingungen die rechtlich
relevanten herauszufiltern. | |
Kelsen berichtet in seinem lesenswerten Werk
ua von folgender Begebenheit: „Bei Erdbeben beobachten die Guaimi-Indianer einen
eigenartigen Brauch, dem Adrian de Santo Tomas als Augenzeuge beiwohnte.
Während einer Nacht fand um die Mitternachtsstunde ein Erdbeben
statt, das die indianische Begleitmannschaft des Padre in große
Unruhe, ja offenbar in Zorn versetzte .... Denn sie griffen sofort
zu ihren Waffen und zielten nach dem Himmel. Auf die Frage des Padre
nach der Bedeutung dieser Handlungsweise entgegneten ihm die Eingeborenen,
der Gott Noncomala habe die Erde töten wollen, und da seien sie
ihrer Mutter zu Hilfe gekommen. Diese wäre nämlich schon längst
zerstört worden, wenn sie ihr nicht immer in ähnlichen Fällen ihren
Beistand gewährt hätten.” – Ein Beispiel gesellschafltichen Kausalitätsdenkens,
das auch wir noch pflegen, wenngleich in anderen Gebieten. Noch
um die Mitte des 19. Jhds wurde sog „Totbeten” als (straf)rechtlich
kausal angesehen. | H. Kelsen, Vergeltung und Kausalität
(1982) |
Das,
was in der rechtlichen Fachsprache verkürzt mit „Kausalität” bezeichnet
wird, wird korrekter mit Schadens- Zurechnung benannt.
Denn mit Kausalität im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinn
hat das – wie wir gehört haben – nicht immer etwas zu tun. Wir haben
es mit rechtlicher „ Kausalität”
zu tun. Eine Schadenszurechnung – ein neutraler
Begriff, der sowohl für verschuldete, wie unverschuldete Schädigungen
passt und ebenso für schadensverursachendes Verhalten des (unmittelbaren)
Schädigers selbst, wie das anderer Personen, für die er allenfalls einzustehen
hat (zB für Gehilfen), dh sich zurechnen lassen muss – erfolgt nämlich
mitunter auch dann, wenn nicht der Ersatzpflichtige selbst kausal
war, sondern nur sein Gehilfe; vgl §§ 1313a, 1315 ABGB: sog Haftung
für fremdes Verschulden / Verhalten (Gehilfenhaftung) → KAPITEL 10: Die
Gehilfenhaftung.
Im Falle des § 1315 ABGB beruht die rechtliche Wertung der vom Gesetz
vorgenommenen Schadenszurechnung nicht einmal primär auf Kausalüberlegungen, sondern
der Annahme von objektiviertem Auswahlverschulden (culpa in eligendo).
Darin steckt der Vorwurf, der Ersatzpflichtige hätte seine Gehilfenwahl
sorgfältiger vornehmen sollen. | Schadens-Zurechnung |
Im Rahmen der Gefährdungshaftung haftet
bspw der Kfz-Halter auch dann für einen Schaden, wenn nicht er selbst, sondern
ein anderer (Lenker) mit dem Auto gefahren ist, ohne dass auch nur
ein Auswahlverschulden anzunehmen ist. Hier ist jener Schaden zu
vertreten, der durch das gefährliche Betriebsmittel verursacht (aber
nicht verschuldet!) wurde. | |
Juristische
Kausalität baut zwar auf der allgemeinen, naturwissenschaftlich-philosophischen
Kausalität auf, deckt sich damit aber nicht vollständig. Es bestehen,
von der Rechtswissenschaft wenig reflektiert, Unterschiede zum naturwissenschaftlichen
Kausalitätsdenken; vgl nur die §§ 1301, 1302 ABGB: Haftung mehrerer
Schädiger : Sonderformen der Kausalität (1). | Natürliche
und juristische Kausalität |
Die Diskrepanz zwischen diesen beiden (Kausalitäts)Bereichen
hat in den letzten Jahrzehnten – bedingt durch den Fortschritt und
die Verfeinerung naturwissenschaftlicher Methoden – abgenommen;
vgl etwa die Vaterschaftsfeststellung, die heute bei über 99 Prozent
Treffsicherheit liegt! Aber auch der technische Fortschritt wird
diesen Unterschied nicht völlig aufheben; vgl nur „Kausalität” /
besser Zurechnung durch Unterlassung oder Haftung für fremdes Verschulden.
Die Jurisprudenz sollte aber nur dort „eigene” Wege gehen, wo dies
aus Funktionsgründen der Rechtsordnung nötig erscheint. – Die im
Anschluss dargestellten rechtlichen Kausal(zurechnungs)konzepte
verfolgen somit funktional genuin juristisch-wertende Ziele. | |
Die von der öRspr früher verwendete Kausalformel: „ Keine
juristische ohne medizinische (oder naturwissenschaftliche) Kausalität”
war rechtslogisch unhaltbar, wurde aber von der Theorie, die auch
in anderen (Kausalitäts)Fragen inkonsequent ist – zB bei der sog
Unterbrechung des rechtlichen Kausalzusammenhangs → KAPITEL 9: Sonderformen der Kausalität:
Sonderformen (6), hingenommen. | |
| |
| „Eigene” Wege rechtlicher „Zurechnung”: |
•
Im Rahmen der Haftung mehrerer Schädiger (§§
1301, 1302 ABGB) → KAPITEL 9: Sonderformen der Kausalität, Sonderformen (1); | |
•
bei
der Gehilfenhaftung (als Haftung für fremdes Verschulden) → KAPITEL 10: Die
Gehilfenhaftung. | |
•
bei der Kausalität der Unterlassung (§
1294 ABGB) → Sonderformen der Kausalität: Sonderformen (5); | |
• bei der Zurechnungsfigur der Unterbrechung
des Kausal- oder besser Zurechnungszusammenhangs
→ Sonderformen der Kausalität: Sonderformen
(6) sowie | |
• der Unterscheidung zwischen unmittelbarem oder
bloß mittelbarem Ursachenzusammenhang, was seit
der lex Aquilia (→ Die
rechtshistorische Bedeutung der lex Aquilia) eine Rolle spielt und noch heute im Rahmen
der Drittschadensliquidation (→ Drittschäden)
von Bedeutung ist. | |
• Ersatz von Vorsorgekosten des
Geschädigten → Betriebsreservekosten
| |
• Im gesamten Bereich des Ersatzes immaterieller Schäden;
§§ 1325 ff ABGB → KAPITEL 9: Was
ist nach § 1325 ABGB zu ersetzen?. | |
Die rechtliche
Verhaltenszurechnung – (zivil)rechtliche Kausalität umfasst: | Rechtliche Kausalität umfasst |
•
positives Tun / Handeln sowie | |
•
Unterlassen
/ Nicht-Tun / Nicht-Handeln → Sonderformen der Kausalität:
Sonderformen (5). | |
Während
sich das Straf- und Zivilrecht mit
Fragen des rechtlichen Kausalitätsdenkens früh und eingehend auseinandergesetzt
haben, fehlt ein vergleichbares Befassen mit Kausalitäts- und Zurechnungsfragen
im Kernbereich des öffentlichen Rechts weitgehend. (Eine wichtige
Ausnahme stellt die – freilich zivilrechtlich inspirierte – ThdwB
des Sozialversicherungsrechts dar; dazu meine Habilschrift: Kausalität
im Sozialrecht, 1983.) Gerade aus diesem Bereich stammt aber der (rechts)positivistische
Anspruch der Lückenlosigkeit der Rechtsordnung. Hier besteht demnach nicht
nur eine Rechts-, sondern auch eine Denk-Lücke. | Kausal(zurechnungs)konzepte |
Besser wird von rechtlichen Zurechnungskonzepten und
nicht – wie üblich – von Kausalitäts-Theorien gesprochen.
Das juristische Kausalitätsdenken kann nämlich keinen Anspruch darauf
erheben, dass es wissenschaftstheoretisch den Anforderungen moderner
wissenschaftlicher Theoriebildung entspricht. – Die Rechtswissenschaft
geht mit wissenschaftstheoretischen Begriffen wie Theorie, Hypothese,
Gesetz udgl oft leichtfertig um. | |
| |
Die Äquivalenz-
oder Bedingungslehre, auch conditio-sine-qua-non-Konzept
genannt, arbeitet mit folgender Zurechnungsformel: Kausal ist danach
jede (Schadens)Bedingung, die nicht hinweggedacht werden kann (= c[onditio] s[ine] qu[a] n[on]!),
ohne dass auch der (eingetretene) Erfolg / Schaden entfiele. | Die
sog Äquivalenztheorie |
Dieses
Kausalkonzept – das alle Bedingungen gleich behandeln will: daher
Äqui-valenz! – ist theoretisch unbrauchbar, weil es eine viel zu
geringe Selektionsleistung erbringt und dadurch insgesamt zu viel
zu weiten kausalen Zurechnungen führt: Auch die Eltern eines Mörders
sind danach „kausal” für den Mord. Die praktisch nötigen Haftungseinschränkungen
müssen erst wieder durch andere Zurechnungskriterien – insbesondere
das Verschulden – geleistet werden. Wo es kein Verschulden gibt,
wie in der Gefährdungshaftung, versagt das Konzept noch deutlicher.
Daher: Dieses Kausalkonzept ist brauchbar für eine praktische Zurechnungs-Erstinformation,
liefert aber keine theoretisch befriedigende allgemeine oder gar
endgültige Zurechnungsregel. | Bewertung |
Aus alter Gewohnheit und mangelndem Theoriebewusstsein
wird dieses Zurechnungskonzept, das in seiner ursprünglichen Fassung
auch bei Unterlassungen versagte – bei ihnen muss nämlich nicht
etwas weg-, sondern etwas hinzugedacht werden!, aber weiterhin theoretisch
mitgeschleppt; vgl nur Koziol / Welser, II12 290
f oder Apathy / Riedler III 118 (20022),
die meinen, das ABGB setze diese Lehre „voraus”, was historisch
schon deshalb unrichtig ist, weil dieses Kausalkonzept damals noch
gar nicht existierte. | |
Beim Adäquanzkonzept
kommt es auf die generelle Eignung einer Handlung oder Unterlassung (eines
Verhaltens), einen bestimmten Erfolg herbeizuführen, an; sog typische
Schadensverursachung: also die Wahrscheinlichkeit und Vorhersehbarkeit
eines Kausalverlaufs und daraus folgend des Schadenseintritts. Ausgeschlossen
werden sollen dadurch a-typische Kausalverläufe;
zB leichter Schlag auf den Kopf führt zu Schädelbruch wegen eines
sog Papierschädels. – Das Adäquanzkonzept ist bestrebt, praktikable
(Haftungs)Zurechnungsgrenzen zu ziehen und erzielt dabei akzeptable
Erfolge, die idR auch wissenschaftlich überzeugen; vgl EFSlg 20.240:
folgende Beispiele. Zurecht stützen sich Rspr und OGH daher auf
dieses Zurechnungskonzept. – In der Praxis wurden verschiedene Adäquanz(bereichs)lehren
entwickelt und etabliert. Zu den Wahrscheinlichkeitsvoraussetzungen des
Kausalitätsnachweises im Rahmen des Adäquanzurteils → KAPITEL 9: Kausalitätsspektrum „Kausalitätsspektrum”. | |
| |
|
JBl
1971, 89 (1970): Verkehrswidriges
Abstellen eines Pkw im Kreuzungsbereich – §§ 1295, 1311
und 1304 ABGB; § 24 Abs 1 lit d StVO 1960: Eine Handlung des Beklagten
(verkehrswidriges Abstellen eines Pkw) ist Ursache für den Schaden,
wenn dieser ohne die Handlung nicht eingetreten wäre [Äquivalenzaussage].
– Nach der Adäquanztheorie tritt die Haftung für
alle Folgen eines schuldhaften Verhaltens ein, wenn es sich nicht
um solche handelt, deren Eintritt nach der Erfahrung des Lebens
ganz unwahrscheinlich war. – Das Halte- und Parkverbot an Kreuzungen
dient sowohl der Flüssigkeit als auch der Sicherheit des Verkehrs.
Es will gerade das Einbiegen anderer Fahrzeuge erleichtern, so dass
der bei einem solchen Vorgang (durch Anfahren) eintretende Schaden
innerhalb des Schutzzwecks der verletzten Norm liegt. – Schadensteilung
1:1 zwischen dem unachtsam Einbiegenden und dem unerlaubt Parkenden. | |
|
|
EFSlg 20.240 (1973):
Schwere Gehirnverletzung eines Hochschülers. Die
Grenze, bis zu der dem Schädiger eine Haftung für die Folgen seiner
Handlung zugemutet werden kann, wird durch die Adäquanz bestimmt;
JBl 1966, 619 ua. Hienach besteht eine Haftung für alle Folgen eines
schuldhaften Verhaltens, mit denen in abstracto gerechnet werden
muss. Sie besteht nur nicht für den atypischen Erfolg.
Es genügt dabei, dass die generelle Eignung einer Ursache, den Schaden
herbeizuführen, von jedem vernünftigen Menschen erkannt werden konnte,
mag auch die Einzelfolge gerade nicht erkennbar gewesen sein, wenn sie
nur nicht außerhalb der allgemein menschlichen Erfahrung liegt.
– Dadurch, dass zwischen [vom Schädiger gesetzter] Bedingung und
[eingetretenem] Erfolg eine freie menschliche Handlung [eines Dritten] tritt,
wird der Kausalzusammenhang nicht unterbrochen,
wenn mit dieser hinzutretenden Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf
der Dinge als wahrscheinlich gerechnet werden konnte; JBl 1966,
473; ZVR 1971/224 ua. – Es liegt keineswegs außerhalb jeglicher
menschlicher Erfahrung, sondern entspricht vielmehr dem gewöhnlichen
Lauf der Dinge, dass eine schwere Gehirnverletzung (schwere Gehirnerschütterung
und Quetschung des Stirnhirns) mit mehrjährig anhaltenden Gedächtnis-
und Konzentrationsstörungen bei einem Hochschüler zu Prüfungsmisserfolgen
und Studienverzögerungen führen können, und es ist auch keineswegs
als atypische Folgeerscheinung anzusehen, wenn die Studienordnungen
verschiedener Universitäten die mehrfache Wiederholung einer nicht
bestandenen Prüfung nicht zulassen. In der Unterlassung eines von
vornherein aussichtslosen Gesuches an das zuständige Ministerium
um Zulassung zu einer zweiten Wiederholungsprüfung liegt keine Verletzung
der Schadensminderungspflicht. – Da der Kläger das von ihm nach
dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ohne den Unfall erzielbare Einkommen
nicht beziehen konnte und infolge des Unfalles zur Erreichung gleichartiger
Fachqualifikationen und Berufschancen sein Studium neu beginnen
und hiefür 8 Semester aufwenden musste, gebührt ihm der Ersatz des
durch den Unfall entgangenen Einkommens sowie der Mehrkosten für
sein unfallbedingt verlängertes Studium, wobei ihm das während des
Studiums tatsächlich erzielte Einkommen in Abzug zu bringen war. | |
|
|
Die Rspr
leitet aus § 1304 ABGB auch die Verpflichtung des
Geschädigten ab, den eingetretenen Schaden möglichst gering zu halten
und die Folgen einer Beschädigung nicht durch Unterlassung möglicher Abhilfe
zu vergrößern oder zu verlängern; sog Schadensminderungs-
oder Rettungspflicht
→ Mitverschulden:
§ 1304 ABGB – Vom
Adäquanznexus umfasst sind daher auch Schäden im Rahmen von Rettungsaktionen;
vgl zB SZ 73/82 = EvBl 2000/196:
Künettenbrücke. | |
|
|
EvBl
1957/219: § 1293 ABGB (adäquate Kausalität; Vereitlung
der Hofübergabe infolge Verletzung des (Hof)Anwärters kann
entgangener Gewinn sein, Rechtsanspruch und sichere Anwartschaft;
strafrechtlich festgestelltes Verschulden muss noch nicht auffallende
Sorglosigkeit sein). Der Kläger – ein Landwirtssohn –
macht mit der vorliegenden Klage einen Schadenersatzanspruch aus
einem Verkehrsunfall geltend. Er behauptet insbesondere, er hätte
den elterlichen Hof übernehmen sollen; die Übergabe sei beschlossene
Sache und für die nächste Zeit in Aussicht genommen gewesen. Infolge
seiner durch den Unfall eingetretenen Verkrüppelung hätten die Eltern
den Hof nicht ihm (dem Kläger), sondern seinem jüngeren Bruder übergeben.
Durch die vereitelte Hofübernahme habe er, berechnet nach dem Verkehrswert
des Hofes, einen Verlust von 500.000,- S erlitten. Er anerkennt
sein eigenes Verschulden an dem Unfall mit 50% und begehrt Zuspruch
der Hälfte des genannten Betrages. ( ...) – Zur Frage des adäquaten Kausalzusammenhangs:
Der Verkehrsunfall gehört, geht man von den vom Erstgericht noch
nicht geprüften Klagsbehauptungen aus, auch hinsichtlich des Verlustes
der Nachfolge in den elterlichen Hof zur Schadensbedingung, dh der
Verkehrsunfall und die durch ihn unmittelbar verursachte Verletzung
des Klägers könne nicht weggedacht werden, ohne dass dieser Schaden
wegfiele [Äquivalenzformel]. Es kann daher kein Zweifel bestehen,
dass, immer die Richtigkeit der Klagsbehauptungen unterstellt, der
Verkehrsunfall eine condicio sine qua non für das
Unterbleiben der Hofübergabe bildet. Die sog Adäquanz ist nicht eine
Forderung der Kausalität [wie die Äquivalenz??], sondern die Ermittlung
einer Grenze, bis zu der dem Urheber eine Haftung für die Folgen
seiner Handlung oder Unterlassung billigerweise zugemutet werden
kann ( ...). Um adäquat zu sein, muss eine Ursache im allgemeinen
und nicht nur unter besonders eigenartigen, unwahrscheinlichen und
nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge außer Betracht zu lassenden
Umständen zur Herbeiführung des eingetretenen Erfolges geeignet
sein ( ...). Adäquanz ist nicht gleichbedeutend mit Voraussehbarkeit,
die Theorie des adäquaten Ursachenzusammenhanges fordert nicht,
dass der Schädiger den Schaden vorausgesehen hat oder es konnte
…. Durch das Erfordernis der Adäquanz sollen nur ganz ungewöhnliche
Ursachenverkettungen, mit denen im praktischen Leben niemand zu
rechnen pflegt, ausgeschlossen werden. Dass aber nach der bäuerlichen
Mentalität als Hofübernehmer ein gesunder Nachkomme gegenüber einem
kranken oder verkrüppelten bevorzugt wird, ist bekannt und ein Brauch
…. Es hat auch der OGH bereits in der Entscheidung 2 Ob 727/53 in
einem ähnlichen, sich vom vorliegenden Fall im Grunde nur dadurch
unterscheidenden Rechtsstreit, dass dort wegen Vergebung des Hofes
an einen anderen nicht der Ersatz der entgangenen Erträgnisse begehrt
worden ist, den Kausalzusammenhang zwischen einem Unfall und der
darum unterbliebenen Hofübergabe angenommen. | |
|
|
JBl 1999, 533: Zurechnung von Folgeunfällen
nach einem Auffahrunfall. | |
|
|
OGH 14. 9. 1999, 4 Ob 216/99i
(„Der
Kurzschluss„), EvBl 2000/41:
Heizungsanlage eines Wohnblocks fällt wegen eines Kurzschlusses
aus, worauf der Gatte der Hausbesorgerin beim zuständigen EVU anruft. Ein
Techniker sagt zu, umgehend zu kommen und ersucht den Anrufer, vor
dem Haus auf ihn zu warten. Auf dem Weg entschließt sich der Techniker
dann aber doch dazu, zuerst zur Trafostation zu fahren, weil er
einen allgemeinen Stromausfall vermutet. Da er nicht so rasch erscheint,
begibt sich der Anrufer in den Keller des Hauses zum Schalterschrank,
öffnet diesen und im selben Moment schaltet der Techniker den Hauptleistungsschalter
der Trafostation wieder ein. Dadurch entsteht ein Lichtbogen, der
den Anrufer schwer verletzt. – OGH qualifiziert die interne Betriebsanleitung
des EVU (das Technikern vorschreibt, zuerst zum Anrufer zu fahren)
nicht als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB. OGH verneint auch die Vorhersehbarkeit
des Adäquanzurteils. (?) | |
|
| Abbildung 9.9: Kausalfilter |
|
Die ThdwB gilt im Bereich des Sozial(versicherungs)rechts
insbesondere in der gesetzlichen Unfallversicherung und darüber
hinaus im öffentlichen Recht. Sie ist ein von der deutschen und österreichischen
Rspr adaptiertes – leistungsfähiges – Adäquanz(bereichs)konzept,
das immer wieder missverstanden wurde; zB von Th. Tomandl. Vgl dazu
auch die oben gemachten Hinweise. | Die
Theorie der wesentlichen Bedingung/ThdwB |
Es
handelt sich dabei um ein bereichsspezifisch adaptierbares Kausalkonzept
iS einer Gefahrkreislehre für gefahrgeneigte Betriebe,
die idF auch im Strafrecht Bedeutung erlangte. – Dabei wird ein
doppeltes Kausalurteil gefällt, das heute im gesamten Haftpflichtrecht
Verwendung findet, ohne dass meist noch bekannt ist, woher dieses
Konzept kommt. Gefragt wird nach | Moderne Gefahrkreislehre |
•
der haftungsbegründenden und | |
•
der haftungsausfüllenden
Kausalität. | |
Jene fragt, ob der durch einen Betriebsunfall
eingetretene Schaden mit dem betrieblichen Gefahrenkreis zusammenhängt;
diese prüft, ob zB die eingetretene Verletzung eine kausale Folge
gerade dieses Unfallgeschehens war. Dadurch gelingt unter anderm
eine überzeugende Abgrenzung sog Anlageleiden / Leidensdispositionen
wie Meniskus, Bandscheiben- oder Bruchleiden etc. | Beurteilung
von Anlageleiden |
| |
| Abbildung 9.10: Kausalität/Verursachung |
|
| Abbildung 9.11: Die großen Zurechnungskonzepte |
|
§ 1301 ABGB normiert Zurechnungsregeln, wenn ein widerrechtlich
zugefügter Schaden von mehreren Personen verantwortet
werden muss, weil sie gemeinschaftlich – unmittelbar oder mittelbar –
durch „Verleiten [Anstiften], Drohen, Befehlen, Helfen, Verhehlen
u. dgl.; oder auch nur durch Unterlassung der besonderen Verbindlichkeit
das Übel zu verhindern”, zum Schadenseintritt beigetragen haben.
– Es geht hier um die Schadensherbeiführung durch (mehrere) Mittäter, Teilnehmer oder Nebentäter,
sei es im Rahmen einer vertraglichen oder einer deliktischen Beziehung. | Sonderformen der Kausalität |
| (1)
Haftung mehrerer Schädiger: §§ 1301, 1302 ABGB |
§ 1302 ABGB
legt die Rechtsfolgen bei Schädigung durch mehrere Schädiger fest
und unterscheidet dabei: | Lösung des § 1302 ABGB |
• Wurde der Schaden fahrlässig herbeigeführt
und (!) lassen sich die (Ursachen)Anteile bestimmen,
verantwortet „jeder nur den durch sein Versehen verursachten Schaden”; Anteilshaftung. | |
•
Wurde
der Schaden dagegen vorsätzlich zugefügt oder (!)
lassen sich die Anteile der Mittäter nicht
bestimmen, „so haften alle für einen, und einer für alle”; Solidarhaftung.
Der letzte HalbS des § 1302 ABGB statuiert ein Regressrecht desjenigen,
der den Schaden ersetzt hat; § 896 ABGB. | |
|
Wirtshausrauferei mit
tödlichem Ausgang, ohne dass feststellbar ist, von wem die vorsätzliche
schwere Körperverletzung stammt. – Lösung: Alle Raufbolde werden
(zivilrechtlich) verantwortlich gemacht! Und zwar solidarisch! Auch
das Strafrecht trifft diese Lösung; vgl § 91 StGB: Raufhandel mit
schwerer Körperverletzung. | |
|
|
ZVR 1998/6 (Jochbeinbruch):
Für den Schaden eines Gewaltopfers, das beim Versuch, für seinen
von zwei Tätern misshandelten Begleiter Hilfe zu holen, von einem
dritten Täter angegriffen und verletzt wird, haften die drei Täter
solidarisch. | |
|
|
JBl 2000, 113 (§§ 1295, 1301, 1311
ABGB; § 286 StGB): Die Pflicht, mit Strafe bedrohte Handlungen zu
verhindern, besteht nicht nur im Interesse der Allgemeinheit,
sondern verfolgt auch einen individuellen Schutzzweck gegenüber
demjenigen, der durch die strafbare Handlung in seinen Rechten bedroht wird.
§ 286 StGB ist ein Schutzgesetz iwS. Der Geschädigte kann daher
vom Täter Schadenersatz schon nach § 1295 Abs 1 ABGB verlangen.
§ 286 StGB begründet aber auch eine Handlungspflicht iSv § 1301 ABGB. | |
|
|
OGH 22.2.2001, 6 Ob 307/005: Interview-Hompage → KAPITEL 10: Weitere
Beispiele. | |
|
§ 1302
ABGB liegt eine Haftung für bloßen Kausalitätsverdacht zugrunde,
weil unter konkret gefährlichen Verhältnissen gehandelt wurde. Das
führt auch zu einer Änderung der Beweislast. Der unter
solchen Umständen Handelnde muss beweisen, dass er den Schaden nicht
verursacht hat. – Diese Überlegungen gelten auch für die alternative,
kumulative und überholende Kausalität. | (2) Alternative Kausalität |
| |
Also: Jede Einzelursache konnte den Erfolg alleine herbeiführen;
es ist aber nicht mehr feststellbar, wer – zB von den beiden Jägern
– den Schaden bewirkt hat. | |
Solidarhaftung,
also gemeinsame Haftung aller, die eine derart potentielle Ursache
gesetzt haben; also zB beide Jäger, die geschossen haben. Der OGH
geht uH auf F. Bydlinski (FS Frotz 1993) und die §§ 1302 und 1304
ABGB von einer Schadensteilung aus, wenn das schuldhafte
Verhalten eines Schädigers mit einem vom Geschädigten zu vertretenden
Zufall zusammentrifft; so JBl 1996, 181. – Das Konzept alternativer
Kausalität findet auch auf die Gefährdungshaftung Anwendung; vgl
JBl 1997, 529. | Lösung |
ZB ein Umweltschaden – mehrere
Emittenten setzen (Teil)Ursachen und führen den Schaden nachweislich
erst gemeinsam / kumulativ herbei; etwa verschiedene (Industrie)Abwässer
töten den Fischbestand eines Flusses. Wiederum liegt konkret gefährliches
Handeln mehrerer vor. – Schwer zu ermitteln sind oft die Verursachungsanteile
der Schädiger. | (3)
Kumulative Kausalität |
|
GlUNF 370 (1898): „ ... Der durchgeführte
Zeugenbeweis hat ergeben, dass der ihm [sc dem Gärtner] an jenem
Tage entstandene Schaden sowohl durch das Hagelwetter,
als durch das Eindringen der Pferde [des 14. Artillerieregiments]
entstanden ist, ohne dass sich mit Sicherheit feststellen ließe,
welchen Antheil an der Schadenswirkung auf die eine oder die andere
Ursache zurückzuführen wäre ....” | |
|
|
Demonstrationshaftung (Phyrrntal-Autobahn):
Die Solidarhaftung einzelner Demonstranten hängt vom jeweiligen
Tatbeitrag ab, der auch in der intellektuellen Förderung (psychische
Kausalität!) der unmittelbaren Täter bestehen kann. Dazu sind die
Regeln des Anscheinsbeweises heranzuziehen; OGH
25.3.1999
→ „Verdienstentgang”
| |
|
Anwendung
der Rechtsfolgenlösung des § 1304 ABGB! → Mitverschulden:
§ 1304 ABGB –
Das bedeutet: Lassen sich die einzelnen Schadensbeiträge kausal
bestimmen, wird anteilsmäßig, wenn nicht: solidarisch gehaftet. | Lösung |
| |
Hierher gehören die sog Anlageleiden.
– Zwei Kausalreihen sind zu unterscheiden: | (4) Überholende / hypothetische
Kausalität |
• Eine schon bestehende
körperliche Anlage / sog Leidensdisposition (= Kausalreihe
1: konkret zB eine schwere Krankheit wie ein Krebs- oder Herzleiden);
und | |
• zweitens – ein davon unabhängiges Schadensereignis,
etwa ein Autounfall (= Kausalreihe 2). | |
Dabei stellt sich folgendes Problem: Hätte das Schadensereignis
der Kausalreihe 2 (zB Autounfall) den Schaden – zB den Tod – nicht
schon früher herbeigeführt, wäre es auch durch die sich weiter entwickelnde
Kausalreihe 1 (das Anlageleiden) unabhängig davon bewirkt worden;
wenngleich zeitlich später. – Frage: Was, also welche Anteile des
eingetretenen Schadens sind der Kausalreihe 1, welche der Kausalreihe
2 (= dem Schädiger) rechtlich zuzurechnen? | |
| Abbildung 9.12: Überholende oder hypothetische Kausalität |
|
Das
Zivilrecht lässt – anders zB Bereiche des Sozialrechts (gesetzliche
UV) – den Verursacher der Kausalreihe 2 nur insoweit haften, als
nicht die Kausalreihe 1 den Schaden ebenfalls herbeigeführt hätte;
also zB Unterhaltszahlung für 5 Jahre, weil dann auch nach der
Kausalreihe 1 der Tod eingetreten wäre. | Lösung |
Von überholender Kausalität
wird insoferne – zurecht! – gesprochen, weil Kausalreihe 2, die
zeitlich ältere Kausalreihe 1 „überholt”, also (zeitlich) rascher
wirkt und jenen Erfolg früher herbeiführt, den auch Kausalreihe
1 bewirkt hätte, wenn auch zeitlich später. – Von hypothetischer Kausalität
kann insoferne gesprochen werden, als die Entwicklung von Kausalreihe
1 nicht real, sondern nur angenommenerweise (nach Wahrscheinlichkeitsüberlegungen)
beurteilt werden kann, zumal diese Kausalentwicklung real nicht
zum Abschluss gelangt ist. – Worin liegt der Unterschied zur kumulativen
Kausalität? Bei dieser wirken die verschiedenen Schadensursachen
etwa gleichzeitig, bei der überholenden Kausalität, zeitlich versetzt. | |
|
Der OGH wird mit
derlei Kausalkonstellationen immer wieder konfrontiert; vgl etwa JBl 1999, 246 (Behandlungsfehler – Nierenversagen)
uH auf SZ 69/199 = EvBl 1997/86 mwH:
„Die Ersatzpflicht des realen Schädigers beschränkt sich bei Zutreffen
dieses Einwandes [sc der überholenden Kausalität] auf jene Nachteile
des Geschädigten, die durch die zeitliche Vorverlegung des Schadens
entstanden sind. Dem Schädiger werden dabei die Schadensfolgen bis
zu jenem Zeitpunkt zugerechnet, in dem die Erkrankung oder deren
entgültige Folgen, wie hier das Nierenversagen, auch sonst eingetreten
wären. Für die Berücksichtigung dieses Einwandes muss allerdings
nach der Rspr ... feststehen, daß der gleiche Erfolg auch ohne das
schädigende Ereignis (hier den festsgestellten Kunstfehler) eingetreten
wäre. An dieser Ansicht ist auch weiterhin festzuhalten. Entgegen
der Auffassung der Vorinstanzen genügte daher die Bekl ihrer diesbezüglichen
Beweispflicht nicht, wenn sie lediglich eine ‚überwiegende Wahrscheinlichkeit’
des Schadenseintritts ohne den ihr angelasteten ärztlichen Kunstfehler
unter Beweis stellen könnte; vielmehr obliegt ihr hierfür der volle
Beweis, dh zumindest der diesem gleichzusetzende Beweis höchster
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ....” | |
|
|
OGH 26. 2. 2002, 1 Ob 175/01v, JBl 2002, 720:
Bauarbeiten am Hausdach führen zu Wassereinritt und idF zum Absturz
der über 100 Jahre alten Deckenstuckatur in einer Wohnung des obersten
Stockwerks. – OGH bereitet didaktisch vorbildlich die Abgrenzung
von alternativer, kumulativer und hypothetischer Kausalität auf.
Für die Berücksichtigung überholender Kausalität muss danach feststehen,
dass der gleiche Erfolg auch ohne das (reale) Schadensereignis „zu
einem bestimmten Zeitpunkt” eingetreten wäre; es genügt nicht, dass
der Erfolg „irgendwann” eintreten wird (zeitliche Bestimmbarkeit). | |
|
| Abbildung 9.13: Sonderformen der Kausalität |
|
Vgl § 1294 Satz 1 ABGB oder
§ 1301 ABGB: Auch im Bereich der Kausalität der Unterlassung besteht
ein Unterschied des Rechtsdenkens zum Kausalitätsverständnis der
Naturwissenschaften. Diese Art der Kausalität gibt es nur im Rechtsdenken,
das den Unterlassenden aufgrund einer bestehenden rechtlichen (Handlungs)Vorschrift
verantwortlich macht. Wir haben es hier, wie beim Adäquanzkonzept
oder der ThdwB, nicht mit naturwissenschaftlicher Kausalität, sondern
mit wertender juristischer Zurechnung zu tun. Zielführend erscheint
es daher, diesen Denkansatz einerseits als Adäquanzbereichskonzept
zu verstehen und ihn zusätzlich mit der Lehre vom Schutzzweck der Norm
zu kombinieren. | (5)
Kausalität der Unterlassung |
| |
| |
Vgl zu dieser
Problematik etwa die Ausführungen in EFSlg 20.240 (1973) → Adäquanzkonzept :
E-Beispiele zur Adäquanz: | (6)
Unterbrechung des Kausalzusammenhangs |
„Dadurch, dass zwischen
[der vom Schädiger gesetzten] Bedingung und [dem eingetretenen]
Erfolg eine [vom Schädiger unabhängige] freie menschliche Handlung
tritt, wird der Kausalzusammenhang nicht unterbrochen, wenn mit
dieser hinzutretenden Ursache nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge
als wahrscheinlich gerechnet werden konnte ....” – In diesem Sinne
auch JBl 1987, 524 (Bausperre) → KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
E-Beispiele (Link). | |
Unterbrochen wird der (grundätzlich zurechenbare) Kausalzusammenhang dagegen,
wenn unabhängig vom Schädiger ein anderer Dritter zeitlich später
vorsätzlich in die bereits laufende (vom Schädiger ausgelöste) Kausalkette
eingreift. Die dadurch bewirkten (Kausal)Folgen (nicht auch die
von ihm bis dorthin zu vertretenden) werden dann dem Erstschädiger
nicht mehr (voll) zugerechnet. | |
Die allgemeine Polemik gegen diese Zurechnungsfigur
ist sowohl theoretisch wie ergebnismäßig unbegründet; wie Koziol
etwa Reischauer in Rummel2 Rz 19 zu
§ 1295 ABGB. Die von Reischauer getroffene Unterscheidung zwischen
Kausalitäts- und Wertungsfragen ist antiquiert. | |
| |
| |
Der OGH anerkennt zu recht unsere Rechtsfigur; vgl etwa
E 5.4.1999, 10 Ob S 423/98y: Unterbrechung / Lösung des betrieblichen
Zusammenhangs durch eine allein wesentliche Alkoholisierung des
sich auf dem Heimweg befindlichen Arbeitnehmers. | |
Die Zurechnungsfigur der Unterbrechung des
Kausalzusammenhangs erscheint von besonderer Bedeutung für alle Gefahrkreis(zurechnungs)lehren,
daher zB auch für das EKHG und überhaupt alle Gefährdungshaftungen,
also den Haftpflichtsektor. – Das Versicherungsrecht kennt die Gefahrerhöhung
(durch den Versicherten), die den Versicherer leistungsfrei macht. | |
Die rechtliche Beachtlichkeit
auch bloß psychisch vermittelter Kausalzusammenhänge ist seit langem
gesichert und gewinnt neuerdings wieder an Bedeutung; zB Trauerschäden;
diese Zurechnung muss mit Augenmaß erfolgen. | (7)
Psychische Kausalität: |
Im Strafrecht wurde noch im 19. Jhd (!)
das Totbeten als mögliche relevante Ursache betrachtet; Nachweise
bei Barta, Kausalität
im Sozialrecht I 240, 698 (1983). | |
Zu denken ist an Fälle
wie einen Herzinfarkt aus Angst bei Operationsvorbereitungen,
nach einem Verkehrsunfall oder während eines heftigen Sturms; –
ein peripheres Trauma iVm psychischer Erregung, etwa einem heftigen
Schreck; – vgl auch JBl 1999, 49: Haftung des Drohenden für Vorsorgemaßnahmen
des Bedrohten → Sonderformen der Kausalität; – ZVR 1995/46: Angstneurose eines
Kleinkindes ausgelöst durch einen unfallbedingten längeren
Krankenhausaufenthalt der Mutter → Was
versteht die Rspr unter Körperverletzung? –
Vgl nunmehr auch die sog Trauerschäden ( → Was
versteht die Rspr unter Körperverletzung?),
die zeigen, dass die psychische Kausalität sowohl unmittelbar wie
bloß mittelbar Geschädigte treffen kann. | |
Die Grenze zum Drittschaden ist zu beachten. | |
Die
Kausalität des Schädigers für den eingetretenen Schaden muss im
deliktischen und vertraglichen Bereich grundsätzlich vom Geschädigten
bewiesen, dh wenigstens wahrscheinlich gemacht werden, also nicht
nur möglich erscheinen! | Kausalität und Beweislast: |
Hinsichtlich
des Wahrscheinlichkeitsmaßstabs besteht Uneinigkeit
in Rspr und Schrifttum über die Voraussetzungen (= das Ausmaß),
also den erforderlichen Grad der Wahrscheinlichkeit. Dadurch werden
beliebige Entscheidungen möglich. | Wahrscheinlichkeitsmaßstab |
Grundsätzlich sollte ein Kausalzusammenhang aber bloß
wahrscheinlich gemacht werden müssen, was früher auch von
der Rspr angenommen wurde, mittlerweile aber unter dem Einfluss von
Schrifttum und Verfahrensrecht in Richtung hohe und höchste Wahrscheinlichkeit
„verschoben” wurde. Das stellt keinen Fortschritt dar. Begnügt man
sich aber mit schlichter Wahrscheinlichkeit, was hier vertreten
wird, ist die Grenze zur blossen „Möglichkeit” scharf zu ziehen, wie
dies in der Folie „Kausalitätsspektrum” dargestellt wurde. Darüber
bleibt dem Schädiger auch hier der Nachweis des Gegenteils. | |
| Abbildung 9.14: Kausalitätsspektrum |
|
| |
|
JBl 1953, 18: Zur Frage der Substitution
im Medizinbereich. OGH begnügt sich mit blosser Wahrscheinlichkeit.
Nicht klar unterschieden wird zwischen blosser Möglichkeit und (schlichter)
Wahrscheinlichkeit. | |
|
|
JBl 1999, 246 (Nierenversagen):
Gelingt der Nachweis, dass der ärztliche Behandlungsfehler die Wahrscheinlichkeit
des Schadenseintritts nicht bloß unwesentlich erhöhte, obliegt dem
Schädiger der volle Beweis, dass die erwiesene Vertragsverletzung
im konkreten Fall für die nachteiligen Folgen mit größter Wahrscheinlichkeit
unwesentlich geblieben sei. | |
|
|
JBl 2002, 720: Wassereintritt durch
Bauarbeiten führt zu Absturz der Dekkenstuckatur –
Die Behauptungs- und Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen
der überholenden Kausalität trägt der Schädiger der überholenden
Ursache. | |
|
Die Kausalitätsbeweislast gilt für Verschuldens-
wie Nichtverschuldenshaftungen. Moderne Haftpflichtgesetze erleichtern
Geschädigten den (technisch) oft nur schwer zu erbringenden Beweis
durch Verursachungsvermutungen, wozu Auskunftspflichten treten
können. | Verursachungsvermutungen
etc |
| |
| |
| |
Das ABGB steht
grundsätzlich auf dem Standpunkt der Verschuldenshaftung; §§ 1306,
1294, 1295, 1296. Verschulden meint rechtlich vorwerfbares Verhalten.
– Um rechtlich als Verschulden vorwerfbar zu sein, muss ein Verhalten
aber auch (im Hinblick auf die Schadensherbeiführung) voraussehbar sein.
Diese für die Annahme von Verschulden grundsätzlich nötige (individuelle) Voraussehbarkeit
deckt sich nicht mit der generellen Voraussehbarkeit der im Rahmen
der Kausalitätsprüfung zu beurteilenden adäquaten Verursachung;
EvBl 2000/41. | Rechtlich
vorwerfbares und voraussehbares Verhalten |
Mitunter geht das Gesetz aber von der hier beschriebenen
individuellen Voraussehbarkeit ab und verlangt – unabhängig davon
– das Einhalten objektiver, also genereller Standards; so in § 1299
ABGB: Sachverständigenhaftung → KAPITEL 10: Die
Sachverständigenhaftung. | |
Das ABGB baut – dem römisch-gemeinen Recht und
dem ALR folgend – grundsätzlich auf einer gestaffelten, graduell
abgestuften Verschuldenshaftung auf (§ 1295 Abs
1 ABGB), kennt aber auch schon Nichtverschuldenstatbestände; vgl
zB § 1306 iVm § 1318 ABGB. | Abgestufte
Verschuldenshaftung |
Die wichtigsten Nicht-Verschuldenshaftungen
finden sich jedoch außerhalb des ABGB. Man spricht – je nach Ausgestaltung
– von Erfolgs-, Gefährdungs-, Kausal- oder Eingriffshaftungen: zB
EKHG, PHG, § 364a ABGB. Bei ihnen fehlt das Verschulden als Haftungsvoraussetzung!
Dazu → Verschuldens-
und Nichtverschuldenshaftungen
| |
Nach dem ABGB wird
grundsätzlich ab leichter Fahrlässigkeit voll (!) gehaftet.
Das Gesetz selbst kennt aber Ausnahmen; zB § 1319a ABGB (sog Wegehalterhaftung:
ab grober Fahrlässigkeit) oder § 67 Abs 2 VersVG: Haftung nur bei
Vorsatz. – Regressregeln (zB nach ASVG, AHG, OrgHG) reduzieren die
Haftung auf grobe Fahrlässigkeit. | Haftung ab leichter
Fahrlässigkeit |
Das
ABGB unterscheidet: | |
Vorsatz =
böse Absicht, lat dolus; § 1294 ABGB versteht darunter die Verursachung
eines Schadens „mit Wissen und Willen”. | Vorsatz |
Die zentrale Unterscheidung zwischen vorsätzlichem und unvorsätzlichem Handeln
geht auf das griechische Rechtsdenken (Drakon 623/22 v. C.) zurück;
ebenso die erst im 4. Jahrhundert v. C. (Anaximenes v. Lampsakos,
ein Zeitgenosse des Aristoteles) erfolgte Abgrenzung des Verschuldens
vom Zufall. – Aristoteles kannte zudem auch schon,
anders als die Römer, Abstufungen innerhalb des Vorsatzes. | |
Fahrlässigkeit meint
Versehen, lat culpa. § 1294 ABGB spricht von Handeln „aus schuldbarer Unwissenheit”
oder „aus Mangel der gehörigen Aufmerksamkeit, oder des gehörigen
Fleisses”. – Fahrlässig handelt, wer die gebotene Sorgfalt außer
Acht lässt; vgl §§ 1296 und 1297 ABGB. Sie enthalten interessante
Verschuldensvermutungen. Unterschieden wird im Bereich der Fahrlässigkeit
zwischen: | Fahrlässigkeit |
•
leichter Fahrlässigkeit
iS eines kleinen Sorgfaltsverstoßes, der auch sorgfältigen Menschen
bisweilen unterläuft und | |
•
grober Fahrlässigkeit iSv auffallender
Sorglosigkeit, die einem sorgfältigen Menschen nicht passiert. | |
Die Unterscheidung von Fahrlässigkeitsgraden
kannte weder das griechische, noch das klassische
römische Recht. Die Unterscheidung ist vielmehr erst byzantinisch-justinianischen
Ursprungs. | |
StrafrechtDas
Strafrecht gliedert insbesondere innerhalb des höchsten Verschuldensbereichs
(Vorsatz) stärker als das Zivilrecht und unterscheidet: •
Absicht: stärkste Form des
Vorsatzes: § 5 Abs 2 StGB; | | •
Wissentlichkeit:
§ 5 Abs 3 StGB; | | •
einfacher oder unbedingter
Vorsatz: § 5 Abs 1, 1. HalbS StGB; | | •
bedingter
Vorsatz oder dolus eventualis (§ 5 Abs
1, 2. HalbS StGB) als Grenzfall zur Fahrlässigkeit: Wenn der Täter
die Verwirklichung des Tatbildes „ernstlich für möglich hält und
sich mit ihr abfindet”. | |
| |
|
Arten des
Verschuldens – Rspr-Beispiele: | |
|
|
Nichtweiterleiten
eines Stornos einer großen Hotelzimmerbuchung durch die
zuständige Sachbearbeiterin eines Reisebüros: grobe Fahrlässigkeit; AG Wien 6.9.1971. | |
|
|
SZ 40/81 (1967): Zur Frage des
grobfahrlässigen Verschuldens eines Baumeisters am Einsturz eines Hauses. | |
|
|
Überschreiten einer
30 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung um 10 km/h,
wenn für den dadurch entstandenen Unfall keine weiteren Fehler des
Lenkers ursächlich waren und er das Versagen der Bremsen nicht voraussehen
konnte: leichte Fahrlässigkeit; OGH 19.10.1971. | |
|
|
Prozessführung
als Verschulden ? – Prozessführung begründet Verschulden,
wenn der Schuldner bei gehöriger Aufmerksamkeit hätte erkennen müssen,
dass sein Prozessstandpunkt aussichtslos ist. Das gilt erst recht
für das Aufstellen falscher Tatsachenbehauptungen; hier schuldhaftes
Nichtzahlen des Kaufpreises: grobe Fahrlässigkeit: EvBl 1993/15. | |
|
Der
Umfang des Ersatzes von Vermögensschäden ( → Vermögensschäden)
– nicht auch der von Körperschäden (§ 1325 ABGB → Was
ist nach § 1325 ABGB zu ersetzen?)
– ist nach dem ABGB vom Verschuldensgrad abhängig;
§§ 1323, 1324, 1331, 1332 ABGB. Diese Regelung des ABGB ist allgemeiner
Einsicht zugänglich und entspricht grundlegenden Gerechtigkeitspostulaten. | Umfang
des Ersatzes von Vermögensschäden |
Das ABGB hat diesen Grundgedanken
vom ALR übernommen, das allerdings vier Verschuldensgrade kannte, während
Martini sich aus Praktikabilitätsüberlegungen mit der Unterscheidung
von Vorsatz und Fahrlässigkeit begnügte, also nur zwei Verschuldensgrade
vorsah. Zeiller kehrte zu den drei Verschuldensgraden des römisch-gemeinen
Rechts zurück. | |
| Die Verschuldensstaffelung des ABGB: |
•
Bei leicht
fahrlässiger Schadenszufügung ist bloß der Ersatz des wirklichen / erlittenen –
oder wie er auch genannt wird – des „positiven” Schadens zu entrichten
= sog schlichte Schadloshaltung; vgl § 1323 ABGB. | |
Der Ersatz
des Affektionsinteresses, wie der Ersatz des Werts der
besonderen Vorliebe auch genannt wird, macht deutlich, dass es auch
im Bereich der Vermögensschäden einen – subjektiv zu bemessenden
– Ersatz immaterieller Schäden gibt, der demnach nicht auf Personenschäden beschränkt
ist. – Praktisch ist diese Form des Ersatzes nur von geringer Bedeutung. | Affektionsinteresse |
| |
Beispiele für entgangenen Gewinn: | |
• Ein Galerist kauft
in einer Vernissage ein Bild um 1.000 ı und bietet es umgehend einer
seiner Kundschaften um 1.350 ı an, die sehr interessiert ist. Das
Bild bleibt noch in der Ausstellung hängen und wird in der Folge
von einem unachtsamen Besucher grob fahrlässig zerstört. Der Galerist
kann nun – wäre das Bild von ihm verkauft worden, was zu prüfen
ist, – nicht nur den Schaden von 1.000 ı (= seinen Kaufpreis), sondern
auch den ihm durch die Zerstörung des Bildes entgangenen Gewinn
(= Weiterverkaufspreis, also + 350 ı) verlangen. | |
• Ein gut erhaltener VW, Baujahr 1960, wird zerstört,
sollte aber demnächst günstig an einen Autoliebhaber um
8.000 ı verkauft werden. – Der Verkäufer kann nach den genannten
Grundsätzen den ihm entgangenen Gewinn ersetzt verlangen. | |
|
Vgl auch EvBl 1957/62: Die Abgrenzung des
wirklichen oder positiven Schadens und des entgangenen Gewinnes
ist nicht immer leicht. Nach Rspr und Lehre stellt die Vernichtung
einer Chance regelmäßig entgangenen Gewinn dar, jedoch
nur dann, wenn es sich um eine bloße Chance handelt, nicht aber
dann, wenn das Bestehen einer Gewinnmöglichkeit im Verkehr bereits
als selbständiger Wert angesehen wird. – Hatte der Kläger sein durch
einen Verkehrsunfall beschädigtes Auto bereits verkauft, liegt daher
wirklicher / positiver Schaden und nicht (nur) entgangener Gewinn
vor! | |
|
|
Wird ein Lkw schuldhaft
schwer beschädigt (Totalschaden) und ist ein Ersatzfahrzeug
nicht erhältlich, so ist dem Beschädigten für die Dauer der Reparatur
der Verdienstentgang zu ersetzen; SZ 42/92
(1969). – Vgl auch ZVR
1988/138: Gewinnentgang durch reparaturbedingte
Stehzeiten eines Omnibusses. | |
|
|
JBl 1999, 183: Der Verlust der
Möglichkeit des Geschädigten, als Gesellschafter im Unternehmen
seines Arbeitgebers für die selbe Arbeitsleistung die er
bisher als Arbeitnehmer erbrachte einen Gewinnanteil in mehrfacher
Höhe des bisherigen Arbeitslohns zu beziehen ist nicht wirklicher
/ erlittener oder positiver Schaden, sondern entgangener Gewinn
und daher mangels grober Fahrlässigkeit nicht zu ersetzen. | |
|
|
Kein entgangener
Gewinn, sondern wirklicher Schaden, wurde vom OGH in SZ 40/2 (1967) angenomen: Telefongebührenentfall
der Post wegen Beschädigung eines Fernmeldekabels bei Bauarbeiten → Drittschäden
| |
|
Nach § 1332 ABGB
ist der Vermögensschaden bei leicht fahrlässiger Schädigung „nach
dem gemeinen Werte [§ 305 ABGB → KAPITEL 8: Wert
und Preis:
gemeiner Wert ],
den die Sache zur Zeit der Beschädigung hatte” zu ersetzen. | §
1332 ABGB:
gemeiner Wert |
| |
Art 8 Nr 2 EVHGB bestimmt, dass im Handelsrecht im Rahmen
des Ersatzes von Vermögensschäden auch schon bei leicht fahrlässiger
Schadenszufügung der entgangene Gewinn zu ersetzen ist. | |
Mit
„Freizeichnung” wird die Frage einer beabsichtigten
Haftungsbeschränkung angesprochen; sie ist vornehmlich im Schadenersatzrecht
von praktischer Bedeutung, reicht aber darüber hinaus. – Freizeichnung
meint: eine Haftung vertraglich ganz ausschließen oder doch beschränken
zu wollen, die andernfalls (aufgrund der geltenden Rechtslage) bestünde.
Die Verschuldenshaftung des allgemeinen Schadenersatzrechts „greift”
– wie wir wissen – generell ab leichter Fahrlässigkeit. Soll „freigezeichnet”
werden, soll zumindest der unterste Bereich des Verschuldens, also leichte
Fahrlässigkeit, als haftungsbegründend ausgeschlossen werden. | Haftungsbeschränkung durch Freizeichnung? |
Die Rspr war nicht immer ganz sicher, wieweit
ein solcher Ausschluss gehen kann und schwankte, ob nicht auch grob
fahrlässige Schadenszufügung vereinbarungsgemäß ausgeschlossen werden
kann. Heute wird das zurecht abgelehnt. – Mit der Aufnahme einer
Freizeichnungsklausel in einen Vertrag, will ein Vertragsteil für
sich also eine Haftungsbeschränkung erreichen. | |
| |
Ein Verzicht oder Ausschluss auf/von
künftige/n Schadenersatzforderungen ist nach hRspr im Falle leichter
Fahrlässigkeit grundsätzlich wirksam. Dies aber nur, sofern
durch die „Freizeichnung”: | Verzicht oder Ausschluss |
•
nicht auf gänzlich unvorhersehbare oder atypische
Schäden verzichtet wird, mit denen nicht gerechnet werden
konnte; | |
•
oder
die Vereinbarung (insbesondere im Zusammenhang mit Ausschlüssen
in AGB) wegen der wirtschaftlichen Vormacht- oder Monopolstellung des
durch den Beschluss Begünstigten gegen die guten Sitten verstößt;
so JBl 1979, 483: Zentralheizungsinstallationsarbeiten. | |
Der Missbrauch
wirtschaftlicher Vormachtstellung führt leicht zur „Vereinbarung”
einseitiger Vertragsbedingungen, zum Abnötigen von Verzichtserklärungen,
überhaupt zum Abdingen nachgiebigen Rechts; Gschnitzer in Klang
IV/1 2, 212. Die Rspr setzt hier der
Vertragsfreiheit Grenzen. – Für die Frage der Zulässigkeit einer
Freizeichnungsklausel ist also das Kriterium des Verschuldens nicht
der einzige Bewertungsgesichtspunkt. Auch die Vorhersehbarkeit
und Atypizität des Schadens spielt eine Rolle. Dazu kommt
das Berücksichtigen wirtschaftlicher Übermacht und
des Vorteils, den die Klausel dem Begünstigten
bringen soll. – Praktisch stellen immer auch die übernommenen Vertragspflichten
einen zentralen Beurteilungsgesichtspunkt dar. | |
Darüber hinaus erscheint ein Freizeichnen in Rechtsbeziehungen,
die durch ein besonderes Vertrauen und gesteigerte
Sorgfaltspflichten charakterisiert sind, problematisch.
Das gilt bspw für die Arzt-Patient-Beziehung im Behandlungsvertrag
( → KAPITEL 10: Behandlungsvertrag
¿ Medizinhaftung) oder im Alten- oder Pflegeheimbereich. | |
| Gesetzlicher
Ausschluss der Freizeichnung |
Erlaubt ist es aber nach hA bspw,
die Haftung beim Hypothekardarlehen vertraglich
auf bloße Sachhaftung zu beschränken, also die persönliche Haftung
auszuschließen; vgl Gschnitzer in Klang IV/12
,
213 uH auf GlU 15.764 (1896). | Haftung beim
Hypothekardarlehen |
| |
Mitverschulden spielt
in der Schadenersatzpraxis eine wichtige Rolle. Es gibt immer wieder
Konstellationen, bei denen auch der/die Geschädigte (selbst) zum
Eintritt des Schadens beigetragenhat. Das ist rechtlich
– aus Gerechtigkeitsüberlegungen – zu berücksichtigen. | Mitverschulden:
§ 1304 ABGB |
So wichtig und richtig
dieser Gedanke ist, so gerne und oft wird er missbraucht, indem
geschädigten Prozessgegnern – gleichsam prohibitiv, dh um die drohende
eigene Ersatzpflicht abzuwenden oder doch zu reduzieren! – argumentativ
ein Mitverschulden „angedichtet” wird, das mitunter (aus Beweisgründen)
schwer auszuräumen ist. | Unsitte:
„Vorbeugende“ Geltendmachung |
Etwa: Sie fahren als späterer Geschädigte/r
allein mit dem Pkw und ein anderer Pkw fährt unachtsam aus einer Seitenstraße
heraus, sodass es zur Kollision kommt. Der Schädiger hatte einen
Beifahrer, und beide behaupten, Sie seien zu schnell gefahren. | |
Mitunter bewertet schon das Gesetz
selbst, um unnötigen Streit zu vermeiden, gewisse Umstände als Mitverschulden;
so in § 1299 letzter Satz oder § 1308 ABGB, aber auch die Verletzung
der Gurtenanlege- oder Helmpflicht wird
als ein den Schmerzengeldanspruch minderndes Mitverschulden angesehen. | Gurtenanlege-
oder Helmpflicht |
|
SZ
37/90 (1964): Mitverschulden nach § 1304
ABGB liegt auch vor, wenn sich der Beschädigte aus eigenem Verschulden
in den Zustand der Sinneswirrung (Alkoholisierung)
versetzt und in diesem Zustand den Schaden mitverursacht hat; §
1307 ABGB. Klägerin = Frau des Verstorbenen. Beklagte = zwei Männer,
die den Mann der Klägerin aus dem Gasthaus ins Freie „befördert”
hatten. Sachverhalt: Rupert L, der Gatte der Klägerin, betrank sich
in einem Gasthaus und benahm sich in der Folge provozierend, weshalb
er von den Beklagten aus dem Gasthaus entfernt und im Freien liegen
gelassen wurde (15.1.1961). Da Winter war und große Kälte herrschte
und Rupert L lange im Freien lag, zog er sich eine (schwere) Lungenentzündung
zu, an der er tags darauf (16.1.1961) verstarb. – Die Klägerin verlangte
von den Beklagten den Ersatz der Kosten des Totenmahles (2.338,50
S) sowie den Ersatz für ihren Entgang einer Rente von monatlich
400,– S. – OGH bewertete das provozierende Verhalten des Rupert
L als 50%iges Mitverschulden. | |
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|
Vgl auch die Mitverschuldensproblematik
in EvBl 1983/90: Langlaufloipenfall
→ KAPITEL 11: Der
¿erste¿ Fall. | |
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EvBl 1998/24: Mitverschulden
des Patienten bei (schuldhafter) Versäumung einer Nachbehandlung;
das Eigenverschulden des Patienten ist im Rahmen der Entscheidung
über das Schmerzengeld zu berücksichtigen. | |
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SZ 69/264 (1996): Schäfer-Rassehündin wird
durch Mischlingsrüden gedeckt – Gleichteilige Schadensteilung nach
§ 1304 ABGB wegen Verletzung der Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht
(§ 1320 ABGB) durch beide Hundehalter. | |
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|
EvBl 1999/125: Zur Rettungspflicht
des Anlegers – Einen nicht professionellen Anleger ist
es nicht zumutbar eine Rettung durch Veränderung seiner Beteiligung
in Angriff zu nehmen, zumal wenn er die Aktien steuerbegünstigt
erworben hatte und im Fall einer Veräußerung innerhalb von zehn
Jahren mit dem Rückersatz der Steuerbegünstigen rechnen musste. | |
|
|
ZVR 1998/11: Zwischen dem Teilnehmer
einer Hochzeitsgesellschaft, der es beim Tanzen an der
erforderlichen Aufmerksamkeit mangeln lässt und einer Kellnerin,
die während des Tanzens ein Tablett mit heißen Suppen serviert,
anstatt in der Tanzpause zu servieren, ist eine Schadensteilung
von 1:1 gerechtfertigt. | |
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ZVR
1968/12 (§ 20 Abs 1 StVO, § 1304 ABGB):
Auch auf Autobahnen ist in der Nacht auf Sicht zu fahren. Bei Verwendung
des Abblendlichts muss die gewählte Geschwindigkeit ein Anhalten
innerhalb der ausgeleuchteten Strecke ermöglichen. Das Gebot
des Fahrens auf Sicht wird bei Verwendung des Abblendlichts
auf Autobahnen dann nicht verletzt, wenn die Fahrbahn durch entgegenkommende
oder vorausfahrende Fahrzeuge ausgeleuchtet wird. – Zwischen einem
Kfz-Lenker, der mit Abblendlicht auf der Autobahn eine Geschwindigkeit
von 120 km/h einhält und einem anderen Kfz-Lenker, der mit seinem Pkw
wegen Übermüdung ins Schleudern und auf der Autobahn auf dem Dach
zum Stillstand kommt, ist eine Schadenteilung von 1:2 zu Lasten
des übermüdeten Lenkers angemessen. | |
|
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EvBl
2000/34: Mitverschulden des Ausstellers
eines Verrechnungsschecks. | |
|
Die Feststellung von Mitverschulden erfolgt
grobschlächtig; zB zu 1/3, 1/4, allenfalls 1/5, selten „feiner”! | Feststellung
von Mitverschulden |
| Schadensminderungspflicht |
Aus
§ 1304 ABGB wird allgemein eine Verpflichtung des Geschädigten abgeleitet,
seinen Schaden so gering wie möglich zu halten und die (Schadens)Folgen
nicht durch Unterlassung erforderlicher Tätigkeiten zu vergrößern
oder zu verlängern; sog Rettungspflicht: zB SZ
45/137 (1974). – Anzulegen ist dabei der Maßstab eines verständigen
Durchschnittsmenschen; SZ 62/185 (1989). – Der Geschädigte hat ihm
zumutbare Maßnahmen von sich aus und ohne Rücksicht auf das Verhalten des
Schädigers zu setzen; JBl 1987, 723. – Der Geschädigte hat dabei
(wie der Schädiger) schon leichte Fahrlässigkeit zu vertreten; SZ
39/170 (1966): So kann es geboten sein, ungerechtfertigte Ansprüche
Dritter abzuwehren (SZ 62/185 [1989]), nicht aber sich auf einen
Prozess mit höchst zweifelhaftem Ausgang einzulassen (SZ 62/185
= ecolex 1990, 143). | Rettungspflicht |
Gesetzliche
Mitverschuldensfiktionen kennt das KFG 1967 (BGBl 267)
für die Verletzung der Sicherheitsgurt- und Sturzhelmanlegepflicht.
Die Rechtsfolge besteht in einer Reduzierung des allfälligen Schmerzengeldanspruchs
um den jeweiligen Mitverschuldensanteil. Die Rspr nimmt dabei einen
strengen Standpunkt ein, bestimmt aber die Höhe der Mitverschuldensquote
nach den Umständen des Einzelfalls; SZ 51/104 (1978). – Hinweise
darauf, dass der Gurt verschmutzt gewesen sei, reichen ebenso wenig
aus wie die Erklärung einer Schwangeren, dass sie sich bei Anlegung
des Gurts beengt gefühlt habe. | Mitverschuldenfiktionen |
Art III Abs 1 KFG 1967 enthält
die Mitverschuldensanordnung, Abs 5 normiert, dass
ein Nichterfüllen der in Abs 1 angeführten Verpflichtung auch eine Verwaltungsübertretung darstellt: | |
|
Art III Abs 1 KFG 1967 | |
(1) Ist ein Sitzplatz eines Kraftfahrzeuges mit
einem Sicherheitsgurt ausgerüstet, so sind Lenker und beförderte
Personen, die einen solchen Sitzplatz benützen, je für sich zum
bestimmungsgemäßen Gebrauch des Sicherheitsgurtes verpflichtet.
Die Verletzung dieser Pflicht begründet, jedoch nur soweit es sich
um einen allfälligen Schmerzengeldanspruch handelt, im Fall der
Tötung oder Verletzung des Benützers durch einen Unfall ein Mitverschulden
an diesen Folgen im Sinne des § 1304 ABGB. Das Mitverschulden ist
so weit nicht gegeben, als der Geschädigte (sein Rechtsnachfolger)
beweist, dass die Folge in dieser Schwere auch beim Gebrauch des
Sicherheitsgurtes eingetreten wäre. | |
|
Rechtstatsachen zur Gurtenanlegepflicht
/ Gurtenanlegequoten: | |
Die Einführung der Gurtenanlegepflicht im Jahr 1984 bewirkte
einen Anstieg der Anlegequote bei Pkw-Benützern auf den Vordersitzen
auf 80 %, wobei diese danach wieder abnahm. So betrug sie im Jahr
1993 im Ortsgebiet nur mehr 57 %. Seither ist sie wieder gestiegen.
Frauen verwenden den Sicherheitsgurt deutlich häufiger als Männer.
Im Jahr 2002 lag die Gurtenanlegequote der Lenkerinnen bei 78,9
% und der Beifahrerinnen bei 85,2 % sowie der im Fond mitfahrenden
Frauen bei 65 %, während die männlichen Lenker mit 72,1 %, die Beifahrer
mit 66,9 % und die Mitfahrer mit 57 % vom Sicherheitsgurt wesentlich
seltener Gebrauch machten. Insgesamt ist die Gurtenanlegequote bei
(männlichen und weiblichen) Lenkern auf Autobahnen mit rund 77,5
% am höchsten, gefolgt von Freilandstraßen mit 77 % und dem Ortsgebiet
mit 72,5 %. Sehr ähnlich ist die Quote bei BeifahrerInnen, wobei
auffällt, dass Beifahrerinnen häufiger angegurtet sind als Lenkerinnen,
während (männliche) Beifahrer den Sicherheitsgurt seltener anlegen
als (männliche) Lenker. (Quelle: Kuratorium für Verkehrssicherheit,
Verkehr in Österreich, Heft 34, Mai 2003). | |
| Abbildung 9.15: Arten des Verschuldens |
|
| Abbildung 9.16: Konsequenzen der Verschuldensgrade |
|
| Abbildung 9.17: Mitverschulden: § 1304 ABGB |
|
| |
Die Rechtswidrigkeit gehört zu den vier
Grundvoraussetzungen eines Schadenersatzanspruchs. Der Schaden muss nicht
nur entstanden und verursacht, sondern auch verschuldet und zudem
rechtswidrig zugefügt worden sein. Davon existieren allerdings Ausnahmen.
So statuiert das Haftpflichtrecht Ersatzpflichten ohne Verschulden.
– Gefährdungshaftungen fehlt nach hA das Kriterium der Rechtswidrigkeit. | |
| |
Der Begriff Rechtswidrigkeit
meint schon sprachlich: rechts- oder normwidriges Handeln / Verhalten,
Widerspruch zum Recht, zur Rechtsordnung, zumal die Rechtsordnung
jene Bewertungsmaßstäbe bereithält, die ein Verhalten oder einen
Erfolg als rechtmäßig oder rechtswidrig erscheinen lassen. | Verhaltens-
und
Erfolgsunrecht |
Zusammen mit dem „Schaden” und der „Kausalität”
ist die „Rechtswidrigkeit” eine sehr alte Zurechnungsvoraussetzung
für den Ersatz von Schäden. Das Verschulden hat sich erst aus dem
allgemeinen Verständnis der Rechtswidrigkeit entwickelt. Es war
Drakon, der diesen Schritt gesetzt hat (624/3 v. C.). – Das römische
Recht kannte sehr lange nur eine allgemeine Rechtswidrigkeit / iniuria:
Das gilt nicht nur für das Zwölftafelgesetz (451/50 v. C.), sondern
auch noch für die lex Aquilia (287/6 v. C.). | |
Im Bereich der Rechtswidrigkeit wird zwischen Verhaltens-
(Handlungs- oder Unterlassungsunrecht) und Erfolgsunrecht unterschieden,
je nachdem, ob ein Verstoß gegen ein von der Rechtsordnung erlassenes
Verhaltensgebot oder einen von der Rechtsordnung verpönten Erfolg herbeigeführt
wurde. | |
| |
Rechtfertigungsgründe.
– Eine an und für sich anzunehmende Rechtswidrigkeit wird durch
das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes beseitigt. Es handelt
sich bei den folgenden Rechtfertigungsgründen um vom Gesetz (§§
19, 344 ABGB und §§ 3, 10 StGB) geduldete Selbsthilfemaßnahmen.
– Beachte das Rechtssprichwort: Not, kennt kein Gebot. | Rechtfertigungsgründe |
Rechtfertigungsgründe sind: | |
•
Notwehr (§
19 Satz 2 und § 344 Satz 1 ABGB) und | |
•
Notstand (§
1306a ABGB). | |
Notwehr:
„(1) Nicht rechtswidrig handelt, wer sich nur der Verteidigung bedient,
die notwendig ist, um einen gegenwärtigen oder unmittelbar drohenden
rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit, Freiheit
oder Vermögen von sich oder einem anderen abzuwehren. Die Handlung
ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn es offensichtlich ist, daß
dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil droht und die Verteidigung,
insbesondere wegen der Schwere der zur Abwehr nötigen Beeinträchtigung
des Angreifers, unangemessen ist.” | § 3 StGB |
„(2) Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet
oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (Abs.
1) bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder
Schrecken geschieht, nur strafbar, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit
beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist.” – Sog Notwehrüberschreitung,
-ekzess. | |
Entschuldigender Notstand: „(1) Wer eine
mit Strafe bedrohte Tat begeht, um einen unmittelbar drohenden bedeutenden
Nachteil von sich oder einem anderen abzuwenden, ist entschuldigt,
wenn der aus der Tat drohende Schaden nicht unverhältnismäßig schwerer
wiegt als der Nachteil, den sie abwenden soll, und in der Lage des
Täters von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen
Menschen kein anderes Verhalten zu erwarten war.” | |
„(2) Der Täter ist nicht entschuldigt, wenn er sich der
Gefahr ohne einen von der Rechtsordnung anerkannten Grund bewusst
ausgesetzt hat. Der Täter ist wegen fahrlässiger Begehung zu bestrafen,
wenn er die Voraussetzungen, unter denen seine Handlung entschuldigt
wäre, in einem Irrtum angenommen hat, der auf Fahrlässigkeit beruhte,
und die fahrlässige Begehung mit Strafe bedroht ist.” | |
| |
|
JBl 1953, 267: Bäuerliche
Selbsthilfe gegen wildernde Hunde; Erschießen. Bei berechtigter
Selbsthilfe ist kein Schadenersatz zu leisten, weil dieses Handeln
nicht rechtswidrig ist, vielmehr nur angemessene Reaktion auf fremdes
rechtswidriges Verhalten ist. | |
|
Grundsätzlich
hat der Geschädigte auch die Rechtswidrigkeit
der Schadenszufügung durch den Schädiger zu beweisen; vgl
etwa den Leitsatz, der im Anschluss wiedergegebenen E des OGH – EvBl
1995/74. – Die Rspr verlangt vom Geschädigten aber nur – und erleichtert
ihm dadurch den Beweis, dass er die Umstände anzuführen hat, die
auf eine Rechtswidrigkeit schließen lassen; also etwa der zugefügten
Körperverletzung oder der erfolgten Sachbeschädigung eines Kraftfahrzeugs. –
Das allfällige Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes hat
dagegen der Schädiger zu beweisen. – Und: Stützt sich ein Schadenersatzanspruch
auf ein rechtswidriges Unterlassen, hat der Geschädigte
das Außerachtlassen der bestehenden Handlungspflicht zu beweisen. | |
|
EvBl
1995/74: § 1293 ff ABGB: Die Rechtswidrigkeit
einer Verletzungshandlung beim Kampfsport hat der
Geschädigte zu beweisen. Rechtswidrig ist das Verhalten eines Fußballspielers
erst dann, wenn es über einen typischen Regelverstoß hinausgeht,
wie er beim Kampf um den Ball immer wieder vorkommt. (Gekürzt).
Kläger = verletzter Fußballspieler. Beklagter = gegnerischer Spieler,
der die Verletzung durch sein regelwidriges Verhalten herbeigeführt
hat Bei einem Meis terschaftsspiel schlug der Beklagte mit gestrecktem
Bein gegen das Standbein des Klägers, brachte ihn dadurch zu Fall
und kam selbst zu Sturz. Der Kläger erlitt dabei einen Bruch des
rechten Schien- und Wadenbeines. Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten
zur Zahlung des geforderten Schmerzengeldes. Das Berufungsgericht
wies das Klagebegehren ab und sprach aus, dass die ordentliche Revision
nicht zulässig sei. Der OGH gab der außerordentlichen Revision des
Klägers Folge und stellte das Ersturteil wieder her. Aus den E-Gründen:
Demnach ist die vom Geschädigten zu beweisende Rechtswidrigkeit
einer Verletzungshandlung beim Kampfsport erst dann gegeben, wenn
das Verhalten des Schädigers über einen beim Kampf um den Ball immer
wieder vorkommenden typischen Regelverstoß hinausgeht. Nach Auffassung
des erkennenden Senates trifft dies hier zu. Das Erstgericht hat
festgestellt, dass der Beklagte nicht „den Ball”, sondern „den Mann”
gespielt hat. Durch diese Spielweise wurde das in der Natur des
Fußballsportes gelegene Risiko erheblich vergrößert. Der Regelverstoß
des Beklagten ist demnach nicht als spieltypisch zu bezeichnen;
sein Verhalten war rechtswidrig. | |
|
| |
| Abbildung 9.18: Rechtswidrigkeit |
|
5. Lehre
vom Schutzzweck der (verletzten) Norm – Rechtmäßiges Alternativverhalten | |
Das Schadenersatzrecht hat
auch Vorsorge dafür zu treffen, dass Schäden nur in einem als „tragbar” zu
bezeichnendem Umfang Schädigern zugerechnet werden. Nicht alles
was mit dem Schadenseintritt in Zusammenhang steht, soll auch ersatzpflichtig
machen! – Für eine erste Einschränkung des weiten Kausalzurechnungsspektrums
sorgt bereits das Adäquanzkonzept, indem es das kausaltheoretisch
anspruchslose Äquivalenzkonzept realistisch korrigiert → Die
sog Äquivalenztheorie
| Nicht
alles macht ersatzpflichtig |
Ein (weiteres)
einschränkendes Korrektiv der Schadenszurechnung enthält die Lehre
vom Schutzzweck der (verletzten) Norm (Normzwecklehre)
oder – wie sie auch genannt wird – vom Rechtswidrigkeitszusammenhang.
Ihre Kernaussage ist folgende: Ein eingetretener, adäquat verursachter
Schaden wird einem Schädiger (trotz anzunehmender Adäquanz) nur
dann zugerechnet, wenn die Norm, die der Schädiger verletzt hat,
gerade auch einen derartigen Schaden vermeiden wollte. – Zurechnungsmäßig
eingeschränkt wird dadurch der gesamte Schadenersatzbereich, also
die deliktische wie die vertragliche Haftung, die Verschuldens-
wie die Gefährdungshaftung. Man könnte auch sagen: Bei der Lehre
vom Schutzzweck der Norm handle es sich um eine zweite Adäquanzprüfung,
wobei hier nicht das Verhalten des Schädigers, sondern der Zweck
der angewandten Norm auf seine Typizität / seinen Schutzzweck geprüft
und mit dem eingetretenen Schaden verglichen wird. – Diese zweite
Adäquanzprüfung kann das Ergebnis der ersten bestätigen oder korrigieren. | Rechtswidrigkeitszusammenhang |
Die
Rspr zieht diese Zurechnungsfigur zu Recht auch zur Bewältigung
der Drittschadensproblematik ( → Drittschäden) heran;
vgl etwa JBl 1966, 86: „Die Grenze zwischen unmittelbarem und mittelbarem
Schaden bestimmt sich nach dem Schutzzweck der verletzten gesetzlichen
Norm.” Dieser Lösungsansatz gehörte zur Bewältigung der Drittschadensproblematik
ausgebaut! – Wie weit der Normzweck reicht, ist Auslegungsfrage,
wobei dafür die teleologische Auslegung im Vordergrund steht; vgl
SZ 54/108 (1981). – Mehr als bisher könnte die Schutzzwecklehre
auch zur Bestimmung des Ersatzumfangs deliktisch zugefügter Vermögensschäden genützt
werden. | Drittschadensproblematik |
„Erfinder” der Lehre vom
Rechtswidrigkeitszusammenhang war der berühmte österreichische Zivilrechtler
Armin Ehrenzweig (System2
II/1,
S. 48); dazu: Posch / Bernat, JBl 1985, 604. – Das Schrifttum bringt
folgende Beispiele: | A.
Ehrenzweig |
| |
Man sieht daran, dass der Rechtswidrigkeitszusammenhang
sowohl eine zeitliche, wie eine normativ-inhaltliche
Dimension besitzt. | |
Modifizieren wir den Sachverhalt des letzten
Beispiels nur geringfügig, um eine weitere einschränkende Zurechnungsfigur
kennenzulernen, das sog rechtmäßige Alternativverhalten: | Rechtmäßiges
Alternativverhalten |
A fährt nun im Unfallszeitpunkt
(im Ortsgebiet) immer noch 70 km/h und wieder torkelt ihm ein Betrunkener
in die Fahrbahn. A haftet nicht, wenn er beweisen kann, dass der
Unfall auch bei 50 km/h, also auch bei rechtmäßigem (Alternativ)Verhalten,
nicht zu vermeiden gewesen wäre. Die Beweislast dafür trifft allerdings
A, weil er ein Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB (StVO) verletzt hat. | |
|
JBl 1987, 104
→ KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10,
„Fälle”: Ein erst in Facharztausbildung stehender Arzt darf nicht allein
eine Narkose verabreichen. Tut er das dennoch und
fügt er dabei durch Unterlassung einem Patienten Schaden zu, haftet
er, wenn er nicht beweist, „dass auch ein erfahrener Arzt in gleicher
Lage die indizierte Maßnahme unterlassen hätte”. | |
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|
EvBl 1985/21: Fleischbeschautierarzt –
Schutzzweck des Lebensmittelrechtes ist nicht die Sicherung der Beweislage
dessen, der Lebensmittel in den Verkehr bringt, in einem späteren
Gewährleistungsprozess; rechtswidriges Handeln des ... Tierarztes
bei der Fleischbeschau steht in keinem Rechtswidrigkeitszusammenhang
mit allfälligen Beweisschwierigkeiten in einem Rechtsstreit gegen
den Lieferanten des Fleisches. | |
|
| |
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Für Deutschland
vgl BGHZ 27, 137 (1958 mwH):
„1. Auch bei Schadenersatzansprüchen, die aus § 823 Abs 1 dtBGB
hergeleitet werden, ist zunächst zu prüfen, ob die Tatfolge,
für die Ersatz begehrt wird, in den Schutzbereich des Gesetzes fällt,
m.a.W.: ob der geltend gemachte Schaden aus der Verletzung eines
Rechtsgutes entstanden ist, zu dessen Schutz das Gesetz erlassen
worden ist. 2. Ein an einem Verkehrsunfall Beteiligter, der im Strafverfahren
wegen des Unfalls freigesprochen worden ist, kann die Verteidigungskosten
des Strafverfahrens nicht nach § 823 Abs 1 dtBGB von demjenigen
ersetzt verlangen, der den Unfall schuldhaft herbeigeführt hat.” | |
|
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SZ
69/214 (1996): Die Verfolgung eines Schädigers,
der nach einem Kfz-Unfall Fahrerflucht begeht, durch
den Geschädigten, ist vom Schutzzweck der Norm der §§ 4 und 97 Abs
5 StVO umfasst; der Rechtswidrigkeitszusammenhang ist gegeben. Dabei
ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten; Interessenabwägung.
Der fahrerflüchtige Schädiger haftet also für die vom Geschädigten
bei den in erlaubter Selbsthilfe gesetzten Verfolgungshandlungen
erlittenen Schäden (an seinem Kfz); ein Mitverschulden des Geschädigten
ist aber bei derartigen Verfolgungshandlungen denkbar. | |
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OGH 26. 2. 2002, 1 Ob 32/02s, JBl 2002, 523 = EvBl 2002/119:
Die Betreiberin einer Pfandleihanstalt nimmt als Sicherheit für
einen Kredit an einen Kunden den Typenschein seines
Pkw entgegen. Dieser meldet den Typenschein bei der Bundespolizeidirektion
als verloren und lässt sich einen neuen ausstellen. Die Behörde
ließ sich entgegen § 30 Abs 5 KFG den Verlust des alten Typenscheins
nicht bescheinigen. Die Klägerin klagt nach AHG auf Schadenersatz.
– OGH verneint Rechtswidrigkeitszusammenhang:
§ 30 Abs 5 KFG sei zwar eine Schutznorm iSd
§ 1311 ABGB, sie bezwecke aber nicht den Schutz zivilrechtlicher
Ansprüche eines Darlehensgebers, der zur Sicherung der Rückzahlungsverpflichtung
den Typenschein in seine Gewahrsame nimmt. Vielmehr soll die Bestimmung
im öffentlichen Interesse ganz allgemein den Gefahren vorbeugen,
die durch den Betrieb nicht typengerechter Fahrzeuge im Straßenverkehr
hervorgerufen werden. | |
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OGH 29. 1. 2002, 1 Ob 168/01i, JBl 2002, 390 = EvBl 2002/108:
Gemeinnützige Bauvereinigung erwirbt eine Liegenschaft in der Nähe
einer Chemiefabrik und räumt einer anderen gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft
ein Baurecht gegen einen jährlichen Bauzins ein. Auf Grund extremer Geruchsbelästigung wurde
jedoch keine Wohnbauförderung gewährt, weshalb der Baurechtsvertrag
aufgelöst wurde. Bauvereinigung klagt die Republik aus Amtshaftung
auf Ersatz des entgangenen Bauzinses. – OGH: Unterlässt die Gewerbebehörde
rechtswidrig und schuldhaft die Herstellung des auflagengemäßen
und gesetzmäßigen (bewilligungsgemäßen) Gewerbebetriebs, dann entsteht
Amtshaftung für die dadurch verursachten Schäden (auch Vermögensschäden)
von Anrainern. OGH bejaht aber auch den Rechtswidrigkeitszusammenhang
für Sekundärschäden; GewO als Schutzgesetz (§ 1311 ABGB) für mittelbare
Vermögensschäden. | |
|
|
OGH 26. 11. 2002, 1 Ob 253/02s, EvBl 2003/55:
Bauherr will Bodenplatte für ein Haus im Pfusch herstellen
lassen und erkundigt sich hinsichtlich des zu verwendenden Betons
bei einem Baustoffhändler, der zu einem ungeeigneten Produkt rät.
Im Schadenersatzprozess gegen den Baustoffhändler versucht sich dieser
dadurch aus der Schlinge zu ziehen, dass er dem Bauherren vorwirft,
sich nicht eines verwaltungsrechtlich vorgeschriebenen Bauführers
bedient zu haben. – OGH weist den Versuch des beklagten Baustoffhändlers,
den Schutzzweck der öffentlich-rechtlichen Norm so weit auszudehnen
zurück und bejaht den Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen der
OÖ. BauO und dem durch den Rat des Baustoffhändlers verursachten
Schaden. | |
|
| |
6. Beweislast
und Anspruchsdurchsetzung | |
Die Bedeutung der Beweislast
für die praktische Rechtsdurchsetzung ist groß und kann gar nicht genug
betont werden. Sie wird hier im Zusammenhang mit dem Schadenersatzprozess
behandelt, spielt aber auch in anderen privatrechtlichen Fragen
dieselbe wichtige Rolle. | |
Überlegen Sie sich daher vor einem Prozess: | |
•
Was muss
ich als Kläger oder Beklagter beweisen, um meinen Anspruch erfolgreich
durchzusetzen oder den gegen mich erhobenen Anspruch abzuwehren?
– Und: | |
•
Kann ich beweisen, was ich
beweisen muss ? | |
Nur wenn Sie beide Fragen klar mit einem Ja beantworten
können, ist ein Prozess sinnvoll. Denn die Frage der Beweislast
entscheidet über Prozessgewinn und Prozessverlust. Und bedenken
Sie: Was nützt es, Recht zu haben und es nicht beweisen zu können?
– Daher sollte bei allen wichtigen Rechts- und Wirtschaftsakten
immer auch an deren Beweisbarkeit gedacht werden; zB Zeugen, Schriftform. | |
Beweislastregeln werden sowohl vom Gesetzgeber angeordnet –
vgl etwa § 970 Abs 1 Satz 1 ABGB (Gastwirtehaftung) – wie von der Rechtspraxis entwickelt. | |
|
SZ 54/179 (1981)im Rahmen eines
streitig gewordenen Kaufvertrags, wo die Frage zu klären war, ob
den Verkäufer eines Alu-Schwimmbeckens gegenüber dem Käufer eine
Warnpflicht traf oder nicht → KAPITEL 12: Verletzung
der
Warnpflicht: § 1168a. | |
|
|
OGH 26. 2. 2002, 1 Ob 175/01v, JBl 2002, 720:
Bauarbeiten am Hausdach führen zu Wassereinritt und idF zum Absturz
der über 100 Jahre alten Deckenstuckatur in einer Wohnung des obersten
Stockwerks. – OGH bereitet didaktisch vorbildlich die Abgrenzung
von alternativer, kumulativer und hypothetischer Kausalität auf.
Für die Berücksichtigung überholender Kausalität muss danach feststehen,
dass der gleiche Erfolg auch ohne das (reale) Schadensereignis „zu
einem bestimmten Zeitpunkt” eingetreten wäre; es genügt nicht, dass
der Erfolg „irgendwann” eintreten wird (zeitliche Bestimmbarkeit).
Die Behauptungs- und Beweislast für
das Vorliegen der Voraussetzungen der überholenden
Kausalität trägt der Schädiger der überholenden
Ursache.
| |
|
| |
Man spricht
von Beweis- Last, weil die gesetzliche
Pflicht, im Prozess etwas – bei sonstigem Prozessverlust (!) – beweisen
zu müssen, eine „Last” darstellt. | |
Im Prozess hat die Klägerseite die
klagsbegründenden, die Beklagtenseite, die klagsabweisenden Umstände
/ Beweise, kurz: jede Partei die Voraussetzungen der für sie günstigeren
Rechtsnormen darzutun, dh zu behaupten und zu beweisen. (Im Anschluss
daran wird zwischen Behauptungslast und Beweislast
unterschieden.) – Neben dieser Faustregel sind aber auch – wie erwähnt
– besondere, nämlich gesetzlich statuierte oder von der Rspr entwickelte,
Beweislastregeln zu beachten; dazu gleich mehr. | Faustregel |
Unter
Beweislast versteht man kurz gesagt: Wer im Prozess, was zu
beweisen hat und wem dies, wenn er das zu Beweisende
nicht beweisen kann, zum Nachteil gereicht (= Prozessverlust). –
Vgl die Formulierung in GlUNF 370 (1898), wo das OLG Wien als 2.
Instanz ausführt: „Da die Ersatzpflicht des Militäraerars aus
einem außerordentlichen Verschulden eines Organes der Militärverwaltung
abgeleitet wird, so obliegt gemäß § 1296 a.b.G.B. dem Kläger die
Beweislast nicht nur in der Richtung, dass ihm ein Vermögensnachtheil
von bestimmtem Umfange, und zwar durch eine vom Beklagten, beziehungsweise
dessen Organ gesetzte Ursache entstanden sei [Schadensnachweis],
sondern auch in der Richtung, dass in der schädigenden Handlung
[Kausalität] ein Mangel jenes Fleißes und jener Aufmerksamkeit hervortritt,
welcher bei gewöhnlichen Fähigkeiten aufgewendet werden kann (§
1297 a.b.G.B.) [Veschulden]. Allein diesen Beweis hat der Kläger
nicht erbracht ....” | |
Verständnis und Darstellung der Beweislast werden dadurch
erschwert, weil die gesetzlichen Regeln durch die Rspr nicht
nur ergänzt, sondern auch (contra legem!) korrigiert wurden und zudem
immer wieder mit Ausnahmen durchsetzt sind. Die folgende Darstellung
geht von den Grundregeln aus und versucht bestehende Ausnahmen nachzutragen.
– Dabei erscheint es sinnvoll, zwischen der Beweislast für die einzelnen
schadenersatzrechtlichen Zurechnungsvoraussetzungen – nämlich Schaden,
Kausalität, Verschulden und Rechtswidrigkeit – zu unterscheiden,
sie aber dennoch zusammenzufassen. | |
Zunächst:
Was bedeutet – „Non liquet”? Wörtlich: Es besteht
keine Klarheit. | |
„Eine Rechtsnorm ist nur anwendbar, wenn
ihr abstrakter Tatbestand mit dem konkreten Sachverhalt übereinstimmt. Sie
ist nicht anwendbar, wenn auch nur eine entscheidungserhebliche
Tatsache widerlegt wird. Bisweilen lässt sich aber eine solche Tatsache
nicht klären (non liquet): dann benachteiligt diese
Ungewissheit jene Partei, welche die Rechtsnorm zum Prozeßsieg braucht.”
(R. Holzhammer) – Die Beweislastregeln helfen demnach ein non liquet
zu vermeiden! | |
Das Zivilgericht entscheidet
nach den Regeln über die Beweislast gegen jene Partei, der der Beweis
über nicht aufgeklärte Tatsachen oblegen wäre! – Im Strafrecht gilt
diese Regel grundsätzlich nicht und es existiert auch keine Beweislast.
Vielmehr gelangt der Grundsatz materieller Wahrheitssuche / -findung
zur Anwendung (Amtswegigkeit), der in der Maxime gipfelt: In
dubio pro reo. – Auch andere Verfahrensarten kennen keine
Beweislast iSd Zivilprozesses; zB das Außerstreit- oder das Sozialgerichtsverfahren. | Strafrecht und Zivilrecht |
Die rechtskulturellen Wurzeln des Grundsatzes
„in dubio pro reo” liegen bereits im antiken Griechenland. | |
Die klare Unterscheidung zwischen Beweis-”last” und
dem Grundsatz amtswegiger materieller Wahrheitssuche / Untersuchungsgrundsatz droht
immer mehr verwischt zu werden. Darin liegt ein schwerer rechtskultureller Verlust. | |
Dass
Schaden entstanden ist, hat stets – dh sowohl bei deliktischer,
wie vertraglicher Schadenszufügung – der Geschädigte zu
beweisen; zB einen Kfz-Schaden durch ein Sachverständigengutachten
oder eine Körperverletzung durch ärztliches Attest. | Beweislast für
den „Schaden” |
Für die Deliktshaftung normiert
§ 1296 ABGB: | Beweislast für
das „Verschulden” (Schädiger) |
„Im
Zweifel gilt die Vermutung, dass ein Schade ohne Verschulden eines
andern entstanden sei.” | (1) Deliktshaftung |
Die Beweislast trifft daher hier den Geschädigten. | |
Beweislast für
das Verschulden des Schädigers bei bestehender vertraglicher oder gesetzlicher Beziehung:
Besteht zwischen Schädiger und Geschädigtem zB eine vertragliche
Beziehung, bleibt es nicht bei der normalen Beweislastverteilung
nach § 1296 ABGB. Es kommt vielmehr zur Beweislastumkehr.
Umkehr der Beweislast bei Vertragshaftung bedeutet nach § 1298 ABGB: | (2)
Vertragliche oder gesetzliche Beziehung |
„Wer vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner
vertragsmäßigen [oder gesetzlichen] Verbindlichkeit ohne sein Verschulden
verhindert worden sei, dem liegt der Beweis ob.” | |
Hier trifft
also den Schädiger – und nicht wie bei deliktischer Haftung den
Geschädigten! – die Beweislast dafür, dass ihn an der Schadenszufügung
kein Verschulden trifft; insofern „Umkehr”! – Da
aber der Schädiger oft seine Schuldlosigkeit nicht beweisen kann,
gereicht ihm die gesetzlich auferlegte Beweislast zum prozessualen
Nachteil; dh er verliert den Prozess. | „Umkehr” der Beweislast |
Für den
Schädiger besteht aber die grundsätzliche Möglichkeit, sich zu exkulpieren,
dh sich dadurch freizubeweisen und haftungsmäßig
zu „entlasten”, indem er seine Schuldlosigkeit beweist. | Exkulpieren = Freibeweisen |
| |
| |
Mit
Novelle, BGBl I 1997/6, wurde § 1298 ABGB ein zweiter Satz angefügt.
Er lautet: | |
„Soweit er [sc der Schädiger] auf Grund
vertraglicher Vereinbarung nur für grobe Fahrlässigkeit haftet,
muss er auch beweisen, dass es an dieser Voraussetzung fehlt.” | |
Damit wird gesagt, dass dann, wenn der Schuldner seine Haftung
(zulässigerweise) vertraglich auf grobe
Fahrlässigkeit eingeschränkt (und leichte Fahrlässigkeit
ausgeschlossen) hat – sog Freizeichnung, er auch beweisen muss,
dass ihn keine grobe Fahrlässigkeit am Schadenseintritt trifft. | |
Das stellt insoferne eine Besserstellung
des Geschädigten dar, als dadurch die Beweislast für grobes Verschulden
im vertraglichen Bereich dem Schädiger auferlegt wird. Nach der
Rspr hatte dies nämlich bisher der Geschädigte zu beweisen, dazu
gleich unten. | |
Im Bereich deliktischer Haftung bleibt
es allerdings – aufgrund des aus Satz 2 zu ziehenden Umkehrschlusses
– dabei (!?), dass der Geschädigte grobes Verschulden (des Schädigers)
zu beweisen hat; dazu gleich unten. | |
| |
Die
Frage der Beweislast für das Vorliegen von Verschulden ist
von zentraler Bedeutung. Ausnahmen gelten aber nicht nur für diesen
Bereich. Von der allgemeinen Beweislastregelung weicht das Gesetz
selbst immer wieder ab und die Rspr tut ein weiteres und dreht –
wie man das nennt – die Beweislast um (Beweislastumkehr) oder modifiziert
sie wenigstens. | (3)
Abweichungen der Rspr von der „normalen” gesetzlichen Beweislast: |
Vorausgeeilte oder vom Gesetz abweichende
Rspr wieder gesetzlich einzufangen stellt eine wichtige Aufgabe
des Gesetzgebers dar, der er sich immer wieder zu stellen hat. Im
Bereich der Beweislast hat der Gesetzgeber aber diesbezüglich versagt
und die Eigenmächtigkeiten der Judikatur hingenommen. Der Rechtssicherheit
und Gerechtigkeit dient das nicht. | |
| Abbildung 9.19: Wer hat was im Prozess zu beweisen? |
|
So regelt
das ABGB, wie wir eben gehört haben, die Beweislast für das Verschulden
als Zurechnungsvoraussetzung bei deliktischerSchadenszufügung
in § 1296 ABGB. § 1298 ABGB statuiert für bereits
bestehende „vertragsmäßige oder gesetzliche Verbindlichkeit[en]”
– sog schuldrechtliche Sonderverbindlichkeiten, einschließlich der
cic – die bereits behandelte wichtige Ausnahme. | § 1298 ABGB:
Ausnahme von der Ausnahme |
Die Judikatur hat
nun für den Bereich des § 1298 ABGB gleichsam eine Ausnahme von
der Ausnahme eingeführt und wendet die Beweislastumkehr des § 1298
ABGB nur an, wenn ein Schaden durch Nichterfüllung eingetreten
ist; nicht aber, wenn ein Vertragspartner durch Schlechterfüllung –
zB Gewährleistung! – geschädigt wurde. | |
Das hat zB „böse” Folgen
für die Arzthaftung ( → KAPITEL 10: Medizinhaftung
¿ Beweislast),
weil die Rspr hier verlangt, dass der Schadenersatz fordernde Patient,
den Beweis eines Behandlungsfehlers des Arztes iS einer (objektiven)
Sorgfaltsverletzung nach § 1299 ABGB zu erbringen hat und erst aus
dem objektiven Beweis eines Behandlungsfehlers in der Folge in subjektiver
Hinsicht, bis zum Beweis des Gegenteils, auf eine Sorgfaltsverletzung
des Arztes geschlossen wird. Man kann nur beipflichten, wenn gesagt
wurde, dass die Rspr hier eine „arztfreundliche” Haltung einnimmt
(K. Kohlegger). Es wird aber immer wieder versucht, dieses Faktum
zu leugnen, umzudrehen oder doch zu verzeichnen; auch von der Theorie. | |
Eine weitere
gravierende Ausnahme von der gesetzlichen Beweislastregel des §
1298 ABGB macht – wie angedeutet – die stRspr in Bezug auf den Verschuldensgrad,
der zu beweisen ist: Sie wendet nämlich die Umkehr der Beweislast
nach § 1298 ABGB grundsätzlich nur auf den Bereich
leichter Fahrlässigkeit an, was heißt, dass der Geschädigte – wie
nach § 1296 ABGB! – bei deliktischer Schädigung grobe Fahrlässigkeit
und Vorsatz stets zu beweisen hat; vgl etwa JBl 1997, 390 oder JBl
1995, 248. – Auf die kleine Verbesserung durch § 1298 Satz 2 ABGB
wurde hingewiesen. | Bedeutung des
Verschuldensgrades |
Trotz Kritik des Schrifttums war die Rspr
bislang nicht zu bewegen, von ihrem Standpunkt abzugehen, für den
sie keine Begründung gegeben hat. | |
Gesetzliche Ausnahmen in puncto Beweislast
finden sich bspw in den §§ 1319 und 1320 ABGB: Auch
bei bloß deliktischer Schadenszufügung hat in diesen Fällen nicht
der Geschädigte, sondern der Schädiger im Prozess zu beweisen, dass
er bspw „für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung [des
Tieres] gesorgt hat”; § 1320 ABGB. – Eine derartige Umkehr der Beweislast mindert
die Prozesschancen des Beweis(last)pflichtigen. | |
Eine
weitere wichtige Beweislastausnahme stützt die
Rspr auf § 1311 Satz 2 ABGB: | §
1311 Satz 2 ABGB: Schutzgesetzverletzung |
„Hat aber jemand ... ein Gesetz, das den
zufälligen Beschädigungen vorzubeugen sucht, übertreten ...”. | |
Damit wird für
sog Schutzgesetzverletzungen eine Beweislastumkehr
statuiert, die über den Bereich des Verschuldens hinausreicht und
auch die Kausalität der Schadenszufügung mitumfasst. – Steht fest,
dass ein Schutzgesetz übertreten wurde, was allerdings vom Geschädigten
zu beweisen ist, dann gilt die (widerlegbare!) Vermutung, dass der
Schädiger schuldhaft und kausal den Schadenseintritt herbeigeführt
hat. | |
Mit dem Beweis der Schutzgesetzverletzung
(die den Geschädigten trifft) ist auch die Frage der Rechtswidrigkeit geklärt!
– Wurde bspw die StVO übertreten – Fahren mit überhöhter Geschwindigkeit,
muss der Fahrer beweisen, dass ihn am eingetretenen Unfall dennoch
kein Verschulden trifft, was er idR nicht kann! | |
Schutzgesetze sind etwa: StVO, LebensmittelG, WeinG, PlasmaphareseG
/ BlutsicherheitsG (für Blutspender), GefahrgutbeförderungsG 1998
samt GGBVO, die Bauordnungen der Länder, KAKuG und ÄrzteG. – Schutzgesetze
sind der gesamten Rechtsordnung zu entnehmen. | |
| |
|
JBl 2000, 169:
Schadenersatzansprüche eines Blutspenders wegen Hepatitis-C-Infektion
(Leberzirrhose)– Die §§ 3, 15 und 8 Abs 2 Z 2 PlasmaphareseG (jetzt:
BlutsicherheitsG) sind Schutzgesetze iSd § 1311 ABGB; | |
|
|
ZVR 1998/3: Bei Verletzung eines
Schutzgesetzes (§§ 1298 und 1311 ABGB, § 7 StVO) hat der Schädiger nachzuweisen,
dass dies ohne sein Verschulden geschehen ist. Der Lenker eines
Kfz, das auf die linke Fahrbahnhälfte geraten ist, hat zu beweisen,
dass er unverschuldet daran gehindert war, dem Rechtsfahrgebot zu
entsprechen. Allfällige Unklarheiten gehen zu seinen Lasten. | |
|
|
SZ 51/109 (1981): Verkehrsunfall –
Schutzgesetze begründen gesetzliche Verbindlichkeiten iSd § 1298 ABGB; | |
|
|
SZ 63/217 (1990): Verletzung von
zugunsten dinglicher Berechtigten bestehenden Schutznormen im Rahmen
einer Enteignung. | |
|
|
SZ 51/88 (1978): § 85 GmbHG als
Schutzgesetz zugunsten der Gläubiger; Verletzung der Konkursantragspflicht
durch den Geschäftsführer einer GmbH. | |
|
|
EvBl 2000/41: Eine interne Arbeitsanweisung ist
keine Schutznorm iSd § 1311 ABGB. Ein durch einen Verstoß gegen
die Anweisung entstandener Schaden ist nur dann verschuldet, wenn
der Schaden voraussehbar war; dafür genügt das Bestehen der Anweisung
allein nicht. | |
|
|
OGH 14. 9. 1999, 4 Ob 216/99i („Kurzschluss”), EvBl 2000/41: Heizungsanlage eines
Wohnblocks fällt wegen eines Kurzschlusses aus, worauf der Gatte
der Hausbesorgerin beim zuständigen EVU anruft. Ein Techniker sagt
zu, umgehend zu kommen und ersucht den Anrufer, vor dem Haus auf
ihn zu warten. Auf dem Weg entschließt sich der Techniker dann aber
doch dazu, zuerst zur Trafostation zu fahren, weil er einen allgemeinen
Stromausfall vermutet. Da er nicht so rasch erscheint, begibt sich
der Anrufer in den Keller des Hauses zum Schalterschrank, öffnet
diesen und im selben Moment schaltet der Techniker den Hauptleistungsschalter
der Trafostation wieder ein. Dadurch entsteht ein Lichtbogen, der
den Anrufer schwer verletzt. – OGH qualifiziert die interne Betriebsanleitung
des EVU (das Technikern vorschreibt, zuerst zum Anrufer zu fahren)
nicht als Schutzgesetz iSd § 1311 ABGB. OGH verneint auch die Vorhersehbarkeit
des Adäquanzurteils. (?) | |
|
| Beweislast
für die Kausalität (des Schädigers) |
| Beweislast
für die Rechtswidrigkeit |
Der Zweck des Anscheinsbeweises
liegt in einer Beweiserleichterung, insbesondere des Verschuldens,
aber auch des Kausalitätsbeweises idR für Geschädigte / Kläger.
– Die Judikatur ist aber in ihrem Urteil wankelmütig, wie das folgende
Beispiel zeigt, wo trotz schwerer Schutzgesetzverletzung der Anscheinsbeweis
nicht angewandt wird. Dadurch wird diese wichtige Beweiserleichterung
entwertet. | Der
Anscheins- oder Prima Facie-Beweis: |
|
OGH 21. 12. 2000, 2 Ob 339/00t, JBl 2001, 450:
Bei einem Autounfall im Begegnungsverkehr erleiden beide Fahrzeuglenker
schwere Verletzungen. Es war dämmrig und schneite stark. Der schwer
alkoholisierte Beklagte geriet nachweislich mehrmals über die Fahrbahnmitte
auf die Gegenfahrbahn. Ob dies jedoch auch im Augenblick des Zusammenstoßes
der Fall war, konnte nicht mehr festgestellt werden. – OGH erklärt Beweislastumkehr
wegen Schutzgesetzverletzung trotz hoher Alkoholisierung
(1,8 – 2,1 ‰!) für nicht anwendbar und lehnt einen (Kausalitäts)Anscheinsbeweis
ab. (?) | |
|
|
OGH 29. 5. 2000, 2 Ob 133/99v, SZ 73/107:
Vom Konto eines Lehrlings werden via Bankomat zweimal 5.000 S abgehoben.
Er behauptet, es liege ein Missbrauch vor und verlangt Gutschrift
in der entsprechenden Höhe. Die Bank hält dem ihre AGB entgegen,
die einen Haftungsausschluss normieren. Es kommt zu einer Verbandsklage;
§ 29 KSchG. – OGH: Der Haftungsausschluss von Banken für technischen Missbrauch
von Bankomatkarten (ohne Verschulden des Kunden) ist im
Gegensatz zum Haftungsausschluss für Missbrauch wegen Verlustes
gemäß § 879 Abs 3 ABGB nichtig. Sofern der richtige PIN-Code verwendet
wurde, spricht der Beweis des ersten Anscheins (prima facie Beweis)
für eine Nutzung der Karte durch den Karteninhaber selbst oder für
eine Verletzung der Geheimhaltungspflicht; dieser Anscheinsbeweis
kann jedoch durch den Karteninhaber dadurch erschüttert werden,
dass er die ernsthafte Möglichkeit eines atypichen Geschehensablaufs
beweist (was dem Lehrling im konkreten Fall gelungen ist). | |
|
Es
geht beim Anscheinsbeweis um Beweiserleichterung mittels Erfahrungssätzen betreffend typische
Geschehensabläufe. – Der Schluss dabei ist folgender: Bestimmte
Geschehensabläufe sind typisch, daher ist es wahrscheinlich, dass
auch im zu beurteilenden Fall ein derart typischer und kein atypischer
Geschehens- und Kausalablauf vorliegt. Es geht also darum, bestimmte Tatsachen
zu beweisen, von denen dann typischerweise auf einen wahrscheinlichen
(weiteren) Kausalablauf geschlossen werden kann. Vgl diesbezüglich
etwa die eben erwähnte problematische Alkohol-E: JBl 2001, 450. | Beweiserleichterung mittels Erfahrungssätzen |
Beweist der Geschädigte
(Kläger), dass die Schädigung nur durch das Verhalten des Schädigers (Beklagter)
eingetreten sein kann (res ipsa loquitur), dann
obliegt dem Schädiger (Beklagten) der Gegenbeweis, dass er trotzdem
schuldlos oder nicht ursächlich gewesen ist. | res ipsa loquitur |
| |
|
Vgl aber SZ 57/20: Für das Abhandenkommen
eines Schmuckstücks aus einem Hotelzimmer gibt es keinen
typischen Geschehensablauf, weshalb hier ein Prima Facie-Beweis
nicht in Betracht kommt. – Dieses Beispiel lehrt uns, dass der Anscheinsbeweis
nicht immer anwendbar ist! | |
|
|
OGH 4.5.1999, 10 ObS 423/98y: Ereignet
sich der Unfall auf eine Art, die geradezu typisch für Unfälle ist,
die die Folge der Alkoholbeeinträchtigung des Lenkers
sind, so ist dem Sozialversicherungsträger vorerst der Beweis des
ersten Anscheins gelungen, dass der Unfall seine Ursache nicht in
den üblichen Gefahren des Arbeitsweges hatte, sondern die Folge
der Alkoholisierung des Versicherten war. Der Versicherte hat dann
darzutun, dass nicht die Alkoholisierung, sondern andere Ursachen
den Unfall auslösten. Ein Anscheinsbeweis ist unzulässig, wenn kein
Sachverhalt mit typisch formelhaftem Geschehensablauf vorliegt.
Bei Fußgängern kann bspw, anders als bei Autofahrern, kein Grenzwert
für eine absolute Verkehrsuntauglichkeit festgelegt werden. – Der
Anscheinsbeweis findet auch in der gesetzlichen Unfallversicherung
Anwendung. | |
|
Große
praktische Bedeutung besitzt der Anscheinsbeweis
im
Bereich der Medizin (Arzt-/Medizinhaftung) für Behandlungsfehler,
wo – wie eben ausgeführt – nach stRspr der Geschädigte (Patient)
grundsätzlich die Beweislast dafür trägt, dass der Beklagte (Arzt
oder die Krankenanstalt) einen Behandlungsfehler iSd § 1299 ABGB
zu vertreten hat. Da dieser Beweis oft schwer zu führen ist, gewährt
die Rspr Beweiserleichterungen in Gestalt des Anscheinsbeweises;
vgl zuletzt etwa JBl 1999, 246 (ärztlicher Behandlungsfehler) oder
JBl 1996, 181 (alternative Kausalität zwischen Behandlungsfehler
und Zufall) sowie JBl 1994, 540 (alternative Kausalität bei der
Arzthaftung. | Behandlungsfehler |
Probleme
bereitet aber immer wieder die Frage, wann ein Anscheinsbeweis als
erschüttert anzusehen ist, zumal dafür unterschiedliche Anforderungen
gestellt werden. Zu folgen ist hier Reischauer (in Rummel2 §
1296 Rz 4), der für die Erschütterung des Anscheinsbeweises den Nachweis
von Tatsachen fordert, die einen Schluss auf einen anderen Geschehensablauf
zulassen, „der zumindest ebenso / gleich wahrscheinlich ist”. | Erschütterung des Anscheinsbeweises |
Daneben ranken sich zahlreiche Einzel- oder
Sonderprobleme um die Fragen von Beweislast und Anscheinsbeweis; vgl
etwa JBl 1999, 465: Beweislast bei einem Schiunfall im Falle eines
Mitverschuldeneinwands des Schädigers. | |
| Gefährdungshaftungen |
| Abbildung 9.20: Beweislast |
|
| Abbildung 9.21: Non liquet (1) |
|
| Abbildung 9.22: Non liquet (2) |
|
| Abbildung 9.23: Beweislast im Schadenersatzprozeß |
|
| Abbildung 9.24: Beweislast bei Delikts- und Vertragshaftung |
|
| Abbildung 9.25: Beweislastumkehr nach § 1298 ABGB |
|
| Abbildung 9.26: Sonderformen der Beweislast |
|
| Abbildung 9.27: Der Prima-Facie-Beweis |
|
III. „Wie” ist Schaden
zu ersetzen? | |
| |
Steht
einmal fest, „dass” entstandener Schaden zu ersetzen ist, stellt
sich die Frage, „wie” er zu ersetzen ist? – Das ABGB steht
dabei auf dem Standpunkt des Naturalersatzes. –
Dazu kommt, dass es im ABGB keine einheitlichen Regeln für den Ersatz
aller Schadensarten gibt. Das Gesetz unterscheidet vielmehr als
große Gruppen des Ersatzes zwischen: | Naturalersatz |
•
Vermögensschäden (→ Vermögensschäden)
und | |
•
Nicht-Vermögensschäden, nämlich
Körperschäden, Ehrverletzungen, Freiheitsbeschränkungen, Verletzungen
der geschlechtlichen Selbstbestimmung, überhaupt Persönlichkeitsrechtsverletzungen → Körperverletzung
und Tötung
| |
Im Rahmen des (Natural)Ersatzes handelt die
Rspr traditionellerweise über den „Kern” dieses Fragenbereichs hinaus,
weitere Fragestellungen ab, die in der Folge ebenfalls kurz angesprochen
werden. Das betrifft den merkantilen Minderwert, fiktive Reparaturkosten,
die Kosten eines Ersatzfahrzeugs (sog Nutzungsausfall), die Frage
des Ersatzes der Umsatzsteuer und das Problem des Ersatzes der sog
Betriebsreservekosten → Sonderprobleme
des Vermögensschadens
| |
1. Was
heißt Naturalrestitution? | |
Nach § 1323 ABGB,
„muss alles in den vorigen Stand zurückversetzt” (sog Naturalrestitution),
und nur, „wenn dieses nicht [möglich oder] tunlich ist, der Schätzungswert”
(= Geldersatz) vergütet werden. | |
„Untunlich”bedeutet
vor allem unwirtschaftlich, aber auch unzumutbar, was bei Kraftfahrzeugschäden
eine Rolle spielt; zB Reparaturkosten überschreiten den sog Zeitwert
eines Kraftfahrzeugs deutlich. | „Untunlich“ |
Anders
als das römische Recht, das den Standpunkt des Geldersatzes vertrat
– omnis comdemnatio pecuniaria est, ordnet das ABGB primär Naturalersatz
an, gibt also dem Herstellen eines grundsätzlich gleichartigen /
gleichwertigen Ersatzes den Vorrang vor dem Geldersatz. | |
|
SZ 4/91 (1922): Diebstahl eines Gummimantels
→ KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
Fälle zum Schadenersatzrecht (Link). | |
|
|
SZ 19/205 (1937): Klosettmitbenützung
→ KAPITEL 11: Verletzung
fremder Forderungsrechte.
Diese E macht deutlich, dass Naturalersatz iS einer „widerruflichen”
Beschädigung nach § 1294 ABGB für die Haftung ex delicto wie ex contractu
gilt → Vertrags-
und Deliktshaftung
| |
|
Die Rspr gewährt dem
Geschädigten aber das Recht zwischen Natural- und
Geldersatz zu wählen; vgl EvBl 2000/104 gleich unten: Das
Wahlrecht des Geschädigten ist aber dadurch begrenzt, dass die Naturalherstellung
möglich und – auch aus der Sicht des Schädigers – tunlich sein muss.
In diesem Sinne ist Naturalersatz untunlich, wenn das Interesse
des Schädigers am Geldersatz unverhältnismäßig größer ist als das
Interesse des Geschädigten am Naturalersatz; SZ 49/139 oder 63/53.
Das ist insbesondere dann der Fall, wenn die Wiederherstellung unter
Berücksichtigung wirtschaftlicher Kriterien wegen der hohen Kosten
nicht zumutbar und sinnvoll erscheint; SZ 68/101. – Ist die Naturalherstellung
sowohl möglich als auch tunlich, steht es dem Geschädigten frei,
entweder Wiederherstellung des vorigen Zustands oder Geldersatz
zu verlangen. Die Rspr bindet jedoch – Reischauer folgend – den
Geschädigten wie einen Wahlschuldner nach § 906 ABGB ( → KAPITEL 7: Die
Wahlschuld oder Alternativobligation)
grundsätzlich an seine getroffene Wahl; EvBl 2000/104. | Natural- oder
Geldersatz? |
Eine Kfz-Reparatur, zB
Ausbeulen der Dellen und Bezahlung dafür, ist danach Naturalersatz,
obwohl der Schädiger dabei Geld zu zahlen hat. | |
|
SZ 41/150 (1968): Schlägerung
eines Bannwaldes beim Bau der Felbertauernstraße. Gericht
verpflichtete Schädiger ua zum Bau von Lawinenschutzbauten, was
auf einen subsidiären Naturalersatz hinausläuft. | |
|
|
Vgl auch SZ 7/301 Servituten → KAPITEL 8: Dingliche
Wirkung nur bei Verbücherung; nichtverbücherte
Personalservitut (Wohnungsrecht). | |
|
|
OGH 21. 12. 1999, 4 Ob 343/99s, EvBl 2000/104:
Eine Baufirma (Generalunternehmer) errichtet auf dem Nachbargrundstück
des Klägers eine Wohnhausanlage. Dabei reißt ein Subunternehmer
eigenmächtig den Zaun des Klägers nieder. Dieser klagt zuerst die
Baufirma auf Schadenersatz und als diese in Ausgleich geht, den
Subunternehmer. – OGH: Ist die Naturalherstellung sowohl möglich
als auch tunlich, so steht es dem Geschädigten frei, entweder Wiederherstellung
des vorigen Zustandes oder Geldersatz zu wählen. OGH betrachtet
die Wahl nach § 1323 ABGB als Anwendungsfall der Wahlschuld (§ 906
ABGB) und betont, dass die einmal getroffene Wahl endgültig ist.
Die Annahme der Ausgleichsquote im Ausgleichsverfahren gilt nicht
als Verzicht auf Naturalrestitution. | |
|
Fügt ein Arzt einem Patienten bspw einen
bleibenden Gesundheitsschaden zu, ist Naturalersatz nicht (mehr) möglich.
Daher werden solche Schadenersatzprozesse typischerweise um Geldbeträge
geführt. Dabei werden sowohl einmalige Geldbeträge,
wie Renten bei bleibenden Körperschäden zugesprochen,
die wiederum auf Zeit, lebenslänglich oder auf unbestimmte Zeit
zuerkannt werden können. – Mehr zum Ersatz von Körperschäden → Körperverletzung
und Tötung Zur
abstrakten Rente → Die
abstrakte Rente
| Einmaliger Geldbetrag
oder Rente |
Wer entscheidet über die Art der Vornahme der
Schadensbehebung durch
Naturalersatz? – Grundsätzlich der Geschädigte, der die Reparatur
auch selbst durchführen kann. Er entscheidet auch wo die Reparatur
durchgeführt wird oder welcher Arzt die nötige Heilbehandlung oder
Operation ausführt. Dem Schädiger stehen aber Kontrollrechte zu;
vgl die typische Praxis bei Kraftfahrzeugschäden: Die gegnerische
Versicherung besichtigt das beschädigte Kraftfahrzeug in der Werkstätte. | |
|
JBl 1988, 319: Lkw fuhr
mit angehobenem Kranarm über eine Eisenbahnkreuzung und
beschädigte die Oberleitung. – OGH: Der für die Vornahme der Naturalrestitution
besser als der Schädiger ausgerüstete Geschädigte kann diese selbst
durchführen und Ersatz des dafür notwendigen und nützlichen Aufwands verlangen. | |
|
|
EvBl 2000/104: Wahl zwischen
Natural- und Geldersatz. | |
|
Ist dem Geschädigten Naturalersatz nicht zumutbar,
braucht er sich diesen vom Schädiger nicht aufdrängen zu lassen. | |
|
EvBl 1954/328: Schadenersatzanspruch
des verdrängten Mieters gegen den vertragsbrüchigen Hauseigentümer: Ersatzwohnung oder Geld?
Mieter muss sich eine bestimmte Ersatzwohnung nicht aufdrängen lassen! | |
|
|
SZ 24/312 (1951): Zur Frage der
Untunlichkeit des Naturalersatzes einer Sache, die im Zeitpunkt
ihrer Zerstörung bereits beschädigt war; Hauseinsturz durch
Straßenbauarbeiten (§ 364b ABGB). | |
|
Die
Judikatur stellt hinsichtlich des Zeitpunkts der Schadensberechnung
auf den Eintritt des Schadens ab, was nicht (immer)
mit dem Zeitpunkt des Schadensereignisses gleichzusetzen ist. Vgl
dazu auch → Spät-
oder Folgeschäden: Spät- oder Folgeschäden. | Zeitpunkt der
Schadensberechnung? |
Die Schadenersatzleistung
des Schädigers begründet eine Geldwert- und nicht
nur eine Geldbetragsschuld; zur Unterscheidung → Körperverletzung
und Tötung Die
Ersatzleistung ist daher aufzuwerten, wenn zwischen schädigendem
Ereignis und Erbringung des Schadenersatzes ein längerer Zeitraum verstrichen
und dadurch der geschuldete Betrag nicht unwesentlich entwertet
wurde. – Das gilt natürlich vor allem dann, wenn der Ersatz in Form
einer Rente entrichtet wird. | |
|
JBl 1953, 267: Aus der Bestimmung
des § 1323 ABGB folgt, dass der Schädiger das aufwenden muss, was
erforderlich ist, damit sich der Geschädigte in der gleichen
Vermögenslage wie früher befindet. | |
|
2. Arten
des Ersatzes: §§ 1323 ff ABGB | |
Das „Wie” des Ersatzes
hängt aber – wie wir schon wissen – auch davon ab, um welche Art
von Schaden es sich handelt. Das Gesetz kennt nämlich unterschiedliche
Regeln für Körper- oder Personenschäden ( → Körperverletzung
und Tötung)
und Vermögensschäden (
→ Vermögensschäden).
– Immaterielle Schäden (relevant vor allem bei
Körper- und Persönlichkeitsschäden) sind nach der Rspr nur dort
Gegenstand des Ersatzes, wo das Gesetz dies ausdrücklich vorsieht;
zB nach § 1325 ABGB in Form von Schmerzengeld. An einer Reform dieses
Bereichs wird gearbeitet. Ein Ausufern der Ansprüche ist dabei zu
vermeiden. | |
| |
Für
den Ersatz von Vermögensschäden ordnet § 1323 Satz 2 iVm den §§
1331 und 1332 ABGB an (vgl schon → Verschulden
(culpa)): | |
•
„Schadloshaltung”
= Ersatz des erlittenen / wirklichen / positiven Schadens oder | |
•
„volle Genugtuung”
= erlittener Schaden + entgangener Gewinn + Tilgung der verursachten Beleidigung
(worunter vom Schrifttum die Anordnung für den Ersatz immaterieller
Schäden verstanden wird). | |
•
Wurde der „Schade vermittelst
einer durch ein Strafgesetz verbotenen Handlung, oder aus Mutwillen
und Schadenfreude verursacht”, kann der Beschädigte auch den „Wert
der besonderen Vorliebe” fordern. | |
Die Höhe/der Umfang des Ersatzes – ob bloße Schadloshaltung,
volle Genugtuung oder Wert der besonderen Vorliebe – bestimmt sich
im ABGB nach der Schwere, also dem Grad des Verschuldens des
Schädigers → Verschulden
(culpa)
| |
§ 1332 ABGB ordnet dazu an, dass ein leicht fahrlässig
zugefügter „Schade”, „nach dem gemeinen Wert [§
305 ABGB], den die Sache zur Zeit der Beschädigung hatte”, zu ersetzen
ist. Dazu → KAPITEL 9: §
1332 ABGB:
gemeiner Wert. | Gemeiner
Wert |
§ 1332a ABGB enthält eine (mit BGBl 1988/179
eingeführte) Sonderregelung darüber, welche Kosten ein „verständiger
Tierhalter” ersetzt verlangen kann, wenn sein Tier verletzt
wird. | |
| |
| |
In der Folge werden einige Sonderprobleme des Vermögensschadens
behandelt: Fiktive Reparaturkosten, merkantiler Minderwert, sog
Nutzungsausfall, Ersatz der Umsatzsteuer, Betriebsreservekosten
und Ersatz „alt durch neu“. | |
4. Sonderprobleme
des Vermögensschadens | |
Ein Problem
der Schadensabwicklungs- oder Liquidationspraxis von Sachschäden
stellen die sog fiktiven Reparaturkosten dar. Bei der Unfallreparatur
von Kraftfahrzeugen stand nämlich Geschädigten lange nicht nur der
Anspruch auf eine (§ 1323 ABGB entsprechende) ordnungsgemäß durchgeführte
Reparatur (zB durch eine Werkstätte) zu, sondern nach stRspr des
OGH auch ein – alternativer – Anspruch auf Auszahlung der fiktiven
Reparaturkosten (auch ohne Reparaturnachweis); sog Unfallreparaturkostenablöse.
– Dagegen argumentierten die Karosseriefachbetriebe, dass diese
Praxis den Pfusch und unlautere Manipulationen geradezu fördere.
Der OGH ist von seiner lange vertretenen Position (durch die E eines
verstärkten Senats abgerückt und vertritt nunmehr die Meinung, dass
fiktive Reparaturkosten dann nicht zu ersetzen sind, wenn feststeht, dass
eine Schadensbehebung überhaupt nicht erfolgen wird. | |
Die Rspr ist mittlerweile auch von ihrer
lange vertretenen Meinung abgegangen, wonach auch Heilungskosten und Betreuungsleistungen abstrakt
zu berechnen seien: SZ 70/220 (1997: verst Senat) = ZVR 1998/32
sowie JAP 1999/2000, H.2, 79 → Drittschäden
| |
| |
Beim
Ersatz von Kraftfahrzeugsachschäden ist der sog merkantile
Minderwert zu berücksichtigen; vgl ZVR 1959/95. Das gilt
auch bei Naturalersatz. Da diese Form des Ersatzes nicht in Natur erbracht
werden kann, ist sie (stets) in Geld zu leisten. | |
Der von der Rspr herausgearbeitete Grundgedanke dafür
ist folgender: Auch bei einwandfreier Reparatur (insbesondere neuer
Kraftfahrzeuge), ist ein Auto weniger Wert als vorher, da beim Käuferpublikum
eine gefühlsmäßige Abneigung gegen Unfallfahrzeuge besteht; vgl
ZVR 1977/298 und 1983/280. Das durchschnittliche Käuferpublikum
begehrt beim Kauf eines Unfallfahrzeugs erfahrungsgemäß einen Preisnachlass;
vgl ZVR 1985/131. – Der merkaile Minderwert soll diese potentielle
Verkaufseinbuße ausgleichen. Der merkantile Minderwert ist Ersatz
wirklichen / positiven Schadens und ist objektiv zu berechnen; vgl
ZVR 1990/49. | Grundgedanke |
Der Besitzer eines
beschädigten Kraftfahrzeugs hat grundsätzlich auch während der Reparatur seines
Fahrzeugs einen Anspruch auf ein Ersatzfahrzeug. Dafür stellt es
keine Voraussetzung dar, dass die von ihm beabsichtigten Fahrten
wirtschaftlich notwendig sind; vgl ZVR 1973/31 = SZ 45/48. – Die
bloße Gebrauchsmöglichkeit stellt aber neben dem Substanzwert des
Eigentums nach hA keinen selbständigen Vermögenswert dar; vgl ZVR
1994/39. Daher gebührt auch keine Entschädigung für den bloßen Verlust
der Möglichkeit, das eigene Kraftfahrzeug während der Zeit der unfallbedingten
Reparatur benützen zu können (sog Nutzungsausfall); vgl EvBl 1969/283
= SZ 42/33. | Ersatzfahrzeug
–
sog Nutzungsausfall |
In der Praxis verzichten viele Kraftfahrzeughalter
ihrem Versicherer gegenüber auf das ihnen an und für sich zustehende
Recht auf ein Ersatzfahrzeug und zahlen dadurch eine ermäßigte Versicherungsprämie.
Der (Voraus)Verzicht des Haftpflichtversicherten auf Stellung eines
Ersatzfahrzeugs im Rahmen des sog (Versicherungs)Spalttarifs wurde
vom OGH weder als rechtsunwirksam, noch sittenwidrig angesehen;
vgl EvBl 1975/134 = SZ 48/22. | |
| |
Die Rspr spricht
bei Schadenersatzansprüchen auch die Umsatzsteuer zu; vgl SZ 50/8
(1977). – Die Naturalrestitution durch den Schädiger selbst ist
aber nicht umsatzsteuerpflichtig; SZ 63/46 (1990). | |
Die Frage des
Ersatzes von Vorsorgekosten des Geschädigten – sog Betriebsreservekosten
– stellt sich dann, wenn bspw der Halter eines beschädigten Kfz
– zB ein Autobusunternehmer oder Städtische Verkehrsbetriebe – für
die Reparaturdauer einen eigenen (häufig dafür angeschafften) Reservewagen
einsetzt. – Frage: Treffen den Schädiger im Rahmen seiner Ersatzpflicht
auch anteilige Kosten für die Anschaffung und Wartung / Haltung
von Ersatzfahrzeugen? – Ja. Die Rspr sprach lange Kostenersatz nach
den Regeln der Geschäftsführung ohne Auftrag ( → KAPITEL 12: Geschäftsführung
ohne Auftrag) zu;
vgl SZ 45/137 (1972) oder SZ 60/65 (1987). Eine Judikaturwende brachte
SZ 64/87 (1991) = JBl 1992, 325: Ampelbeschädigung – Polizisten
regeln (ersatzweise) den Verkehr. | |
Der OGH bejahte in dieser E die Ersatzfähigkeit
von Verkehrsüberwachungskosten (in Entsprechung zu den hier behandelten
Betriebsreservekosten) und stützte sich nicht mehr auf die GoA-Konstruktion;
statt dessen Einordnung ins allgemeine Schadenersatzrecht, was vorzuziehen
ist. | |
| |
Wird eine gebrauchte Sache beschädigt oder zerstört,
muss oft eine neue Sache angeschafft werden. Die Praxis hat für
diese häufige Konstellation den Abzug „neu
für alt” entwickelt. Ein solcher Abzug erscheint jedoch
nur dann gerechtfertigt, wenn die neue oder reparierte Sache deutlich
wertvoller als die alte (geworden) ist. Über die Höhe des Abzugs
gehen die Meinungen auseinander. – Mit Gschnitzer (SchRBesT2)
gilt es zu bedenken: | |
„Auch beim Ersatz alt durch neu ist nicht
kleinlich vorzugehen. Nicht jeder ‚Mehrwert’ ist zu vergüten.
Das Problem stellt sich nur dann, wenn die neue Sache wesentlich mehr
wert ist als die alte.” | |
| |
|
OGH 13. 11. 2001, 4 Ob 98/01t, JBl 2002, 381:
Mieter einer Berghütte („Waldherrenhütte”) verursacht durch
Kachelofen einen Brand. – OGH zur Schadensbemessung für ein abgebranntes
85 Jahre altes Gebäude: Wird ein zerstörtes Gebäude wesentlich größer
und mit anderer Nutzungsaufteilung aufgebaut, können die Kapitalaufwendungen
dafür nicht zur Bemessung des Schadenersatzes beim Problem „neu
für alt” herangezogen werden. In solchen Fällen ist vielmehr bei
leichter Fahrlässigkeit des Schädigers nur ein an der Restlebensdauer
des Gebäudes orientierter anteiliger Wiederherstellungswert zu ersetzen. | |
|
|
SZ 54/65 (1981): Wird eine alte Hochspannungsleitung beschädigt,
sind bei Ermittlung des zu ersetzenden Schadens auch die Montagekosten
zu ersetzen, allerdings verkürzt um die Abnützungsquote. Dazu kommen
die Kosten für die vorzeitige Erneuerung (Zinsen). – Vgl die weiteren
Beispiele bei Gschnitzer, SchRBesT2 462
(1988). | |
|
| Abbildung 9.28: „Wie” ist Schaden zu ersetzen? |
|
| Abbildung 9.29: Beweislast und Gehilfenhaftung |
|
| Abbildung 9.30: Ersatz von Vermögensschäden |
|
IV. Körperverletzung
und Tötung | |
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1. Die
einzelnen Tatbestände: | |
•
§ 1325 ABGB: Körperverletzung
| |
•
§ 1326 ABGB: Verunstaltung (sentschädigung) | |
•
§ 1327 ABGB: Tötung
| |
•
§ 1328 ABGB: Verletzung der geschlechtlichen
Selbstbestimmung
| |
• §§ 12-14 EKHG | |
2. Die §§ 1325,
1327 ABGB | |
| |
Bei Körperverletzungen
und Tötung kommt es parallel zum Zivilprozess oder
häufig sogar diesem vorgeschaltet zu einem Strafverfahren;
vgl §§ 75 ff StGB – Strafbare Handlungen gegen Leib und Leben: §
75 Mord, § 76 Totschlag, § 80 fahrlässige Tötung, § 83 Körperverletzung,
§ 84 schwere Körperverletzung, § 87 absichtliche schwere Körperverletzung
usw. | |
Unter
gewissen Voraussetzungen können bereits im Strafverfahren (privatrechtliche!)
Schadenersatzansprüche geltend gemacht und zugesprochen werden;
sog Anschluss- oder Adhäsionsverfahren. Regelmäßig wird jedoch im Strafverfahren
auf den Zivilrechtsweg verwiesen. | Adhäsionsverfahren |
3. Was
versteht die Rspr unter Körperverletzung? | |
Körperverletzung
ist jede Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Gesundheit
und Unversehrtheit des Menschen. Es müssen keine äußerlich sichtbaren
Verletzungen eingetreten sein, auch nervliche Schädigungen sind
Körperverletzungen. Ebenso gilt das für starke Einwirkungen auf
die Psyche, wie einen Schock; JBl 1989, 41 oder
ZVR 1977/54: Unfallschock des Geschädigten. | |
Nicht ersetzt wurden aber lange Schockschäden dritter
Personen; zB SZ 44/39 (1971): Frau stirbt an einem Schock,
als ihr die Nachricht vom Unfalltod ihres Mannes überbracht wird.
Der OGH nahm hier einen nicht erstattungsfähigen Drittschaden an → Drittschäden Vgl
aber nunmehr ZVR 1995/46 (Angstneurose eines Kleinkindes): | Schockschäden
dritter Personen |
Weist ein Kleinkind, dessen
Mutter bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt wurde, und mehrere
Wochen im Krankenhaus zubringen musste, auf Grund des gravierenden
Trennungserlebnisses massive angstneutrotische Symptome auf, die
es ohne fachkundige Hilfe nicht bewältigen kann , sodaß von einer
bloß geringfügigen psychischen Beeinträchtigung nicht mehr gesprochen
werden kann, sondern eine mit Krankheitswert behaftete Gesundheitsschädigung
vorliegt, hat es auch Anspruch auf Schmerzengeld. | |
Das wurde zunächst so verstanden, dass Dritten (Personen)
nur dann ein eigener Schmerzengeldanspruch als Schadenersatz zustand,
wenn diese ein eigenes „Krankheitsbild” (zB Depression, Neurose)
entwickelten; bloße Trauer(arbeit) oder Apathie wurde nicht für
ausreichend erachtet. – Auf das in ZVR 1995/46 betroffene Kleinkind trifft
das zu. | |
Das Kriterium des „Krankheitsbildes” wurde
nunmehr aber aufgegeben. Die seit etwa 10 Jahren feststellbare Bewegung
im Grenzbereich zwischen Körperverletzung und immateriellem Schaden
hält an. | |
Das BMfJ plant, im Anschluss an die Trauerschaden-En des
OGH (zB ZVR 2001/72 → Schmerzen(s)geld oder
JBl 2001, 660: dazu gleich mehr), die gesetzliche Regelung weiterer
immaterieller Schadenersatzansprüche, nämlich: | |
• bei seelischer
Beeinträchtigung durch Trauer über den Tod eines nahen
Angehörigen (Einfangen der Rspr); | |
• den Ersatz für entgangene Urlaubsfreude (in
Anlehnung an EuGH 12. 3. 2002, C – 168/0: Leitner → KAPITEL 1: Europäisierung
des Privatrechts:
Privatrechtsvereinheitlichung-Europäische Rechtsangleichung); | |
• bessere Entschädigung für zu Unrecht
erlittene Haft; | |
• erhöhter Schutz der Privatsphäre;
zB bei rechtswidrigen Verletzungen durch Abhöreinrichtungen oder
durch das Internet oder die widerrechtliche Weitergabe von Daten
der Privatsphäre unter Verletzung des Amtsgeheimnisses (zB durch
Politiker). – Gedacht ist dabei an eine Mindestgrenze von 1000 ı. | |
Damit
sind derartige Reflexschäden ersatzfähig geworden
und werden nicht mehr als Drittschaden eingestuft. | |
| |
| |
|
ZVR 1974/20: Auch die Leibesfrucht kann
körperlich verletzt werden (SZ 52/136 [1979]) und der durch den
Unfall ausgelöste Abortus ist Körperverletzung. | |
|
|
Die Judikatur
betrachtet auch das eigenmächtige Abschneiden der Haare (SZ 47/147
[1974]:
Friseur schneidet Schönheitsberaterin gegen deren Willen 35 cm ihrer
langen Haare ab – Schmerzengeld) oder des Schnurrbarts (GlUNF
3965 [1907]) als Körperverletzung. | |
|
|
Auch durch Lärmbelästigungen kann
jemand einen Körperschaden erleiden; vgl JBl
1989, 41: Musikschule in Graz. OGH: Eine
psychische Beeinträchtigung, die sich bloß in Unbehagen und Unlustgefühlen äußert,
reicht aber nicht aus, um als Körperverletzung anerkannt zu werden. | |
|
|
OGH 17. 5. 2000, 2 Ob 138/00h, JBl 2000, 729:
Ein durch Unfall verletzter Student kann den gesamten Verdienstentgang
als Schaden geltend machen, der ihm durch den verzögerten Eintritt
in das Berufsleben entsteht. Davon ist auch jener Betrag nicht abzuziehen,
den er als Unterhalt in dieser Zeit erlangt hat. – Beachte: OGH
geht auf die versteckte Dritt-Schadens-Problematik (Unterhaltserbringung
durch die Eltern) nicht ein. | |
|
|
Sog TrauerschädenOGH 16. 5. 2001,
2 Ob 84/01v, JBl 2001, 660: Achtjährige
Tochter wird von Lkw erfasst und getötet. Vater klagt auf Schadenersatz.
– OGH: Ein Ersatz des Seelenschmerzes über den Verlust
naher Angehöriger (sog Trauerschaden), der zu keiner eigenen
Gesundheitsschädigung iSd § 1325 ABGB geführt hat, kommt nach Meinung
des OGH nur (?) bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz des Schädigers
in Betracht. (Vgl OGH 22. 2. 2001, 2 Ob 79/00g.) – Urteile wie dieses
machen deutlich, wie „souverän” ein Höchstgericht mit dem Gesetz
umgeht. Der OGH unterläuft das Prinzip, dass für Körperschäden iSd
§ 1325 ABGB schon ab leichter Fahrlässigkeit gehaftet wird und nur
Vermögensschäden unterschiedliche Verschuldensvoraussetzungen kennen.
Das ist weder Auslegung, noch rechtsfortbildende Analogie iSd §
7 ABGB, sondern eine problematische und unsystematische Eigenmächtigkeit
des Höchstgerichts, die der Gesetzgeber rasch beseitigen sollte. | |
|
|
OGH 22. 2. 2001, 2 Ob 79/00g, JBl 2001, 659:
Nicht am Unfall seines Sohnes beteiligter Vater erleidet einige
Zeit nach Erhalt der Todesnachricht Nervenzusammenbruch und
klagt den Schädiger auf Schadenersatz. – OGH: Der Ersatz von Schockschäden (§
1325 ABGB) mit Krankheitswert, die Dritte durch die Tötung
eines nahen Angehörigen erleiden, wird grundsätzlich anerkannt;
die Rechtswidrigkeit einer solchen Körperverletzung ergibt sich
zwar nicht aus dem Schutzzweck der Verhaltensvorschrift, welche die
Erstverletzung verhindern will, aber aus der bei Verletzung absolut
geschützter Rechte gebotenen Interessenabwägung. Um einer unzumutbaren
Ausweitung der Haftung entgegenzuwirken, wird ein Ausgleich des
Fernwirkungsschadens nur dann bejaht, wenn die Verletzungshandlung
in hohem Maß geeignet erscheint, einen Schockschaden herbeizuführen.
Im Fall von Schockschäden naher Angehöriger macht es keinen Unterschied,
ob sie durch das Unfallerlebnis selbst oder die Unfallnachricht
bewirkt werden. (Vgl auch OGH 16. 5. 2001, 2 Ob 84/01v). | |
|
|
OGH 29. 8. 2002, 8 Ob 127/02p, JBl 2003, 118:
Lebensgefährtin einer seit 20 Jahren bestehenden Lebensgemeinschaft klagt
nach dem Tod ihres Lebensgefährten, der nach einer Leistenoperation
an postoperativen Problemen (Darmperforation) starb
auf Schadenersatz. – OGH verneint einen Anspruch nach
§ 1327 ABGB; dieser umschreibe den Kreis der Anspruchsberechtigten
erschöpfend – ein Lebensgefährte gehört, da er keinen gesetzlichen
Unterhaltsanspruch hat, nicht dazu. Der Schmerzengeldanspruch nach §
1325 ABGB wird jedoch bejaht. Zu den nahen Angehörigen, die Schadenersatz
wegen eines durch eine Todesnachricht erlittenen Schocks mit Krankheitswert
verlangen können, gehören auch Lebensgefährten/innen Getöteter. | |
|
4. Was
ist nach § 1325 ABGB zu ersetzen? | |
Das
Gesetz gliedert den grundsätzlich kumulativ zu
erbringenden Ersatz in: | |
• Heilungskosten, | |
• Verdienstentgang und | |
• Schmerzengeld. | |
Darauf wird idF näher eingegangen. – Zu
erinnern ist daran, dass nach § 1325 ABGB Ersatz schon ab
leichter Fahrlässigkeit zu erbringen ist, das Gesetz also
– anders als bei Vermögensschäden – keine Staffelung des Ersatzes nach
dem Verschuldensgrad kennt. | |
Der Zuspruch des Ersatzes kann in Form einer
einmaligen Kapitalzahlung oder einer Rente erfolgen,
die bei geänderten Verhältnissen anzupassen ist; vgl etwa ZVR 1998/21:
Arbeitsunfähigkeit nach einem Verkehrsunfall. | Kapitalzahlung
oder Rente |
| |
Heilungskosten
sind alle Aufwendungen, die durch die Körperverletzung veranlasst
wurden und die (anders als die ohne den Unfall erforderlich gewesenen
gewöhnlichen Aufwendungen) in der Absicht gemacht wurden, die gesundheitlichen
Folgen des Unfalls zu beseitigen oder zu bessern; vgl ZVR 1983/281. | |
Zu
ersetzen ist aber nur der zweckmäßig gemachte Aufwand,
wozu es bspw auch gehört, dass die Unfallnarben nachträglich durch
eine Operation verschönert werden; JBl 1986, 580: Kosmetische Operation. | Zweckmäßig gemachter Aufwand |
Ersetzt
wird nach § 1325 ABGB nunmehr auch nur der tatsächlich gemachte
Aufwand. Heilungskosten ieS und Betreuungsleistungen sind
danach konkret – dh nach den individuellen Umständen – zu berechnen;
vgl auch → Sonderprobleme
des Vermögensschadens
| Tatsächlich gemachter Aufwand |
Hierher gehören auch die Kosten einer
unfallbedingten Vermehrung der Bedürfnisse des
Verletzten. – § 13 Z 3 EKHG führt dies bereits als eigene Ersatzkategorie
an: So wenn der Verletzte der Hilfestellung durch dritte Personen
bedarf; etwa die Kosten einer Haushalts- oder Pflegehilfe. Auch
die Kosten einer Wohnungsadaptierung – behindertengerechte Gestaltung
– oder der Einbau eines Liftes sind Heilungskosten; vgl ZVR 1998/26:
Behindertengerechte Wohnung. Dasselbe gilt für die Anschaffung eines
Pkw mit automatischem Getriebe bei Querschnittlähmung. | Vermehrung
der Bedürfnisse |
|
OGH 20. 6. 2002, 2 Ob 103/01p; EvBl 2002/190:
Ein Pkw-Fahrer verschuldet einen Zusammenstoß mit einem Motorradfahrer
(Vorrangmissachtung), der schwere Verletzungen davonträgt. Während
des Aufenthalts im Krankenhaus und später im Reha-Zentrum wird er
von Verwandten besucht und von Freunden angerufen. Diese klagen
idF die ihnen dadurch entstandenen Aufwendungen (Fahrtkosten etc)
vom Schädiger ein. – OGH: Die Besuchskosten einer
im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebensgefährtin sind als ersatzfähige
Heilungskosten anzusehen; nicht jedoch zB die Kosten für
Telefonate von Freunden und Bekannten im In- und Ausland. | |
|
Zum Verhältnis von Heilungskosten iSd
§ 1325 ABGB und Voraussetzungen für einen Pflege(geld)bedarf hat
der OGH jüngst Stellung genommen; vgl EvBl 1999/59: | Heilungskosten
und Pflege(geld)bedarf |
Danach will das BundespflegegeldG (BPGG)
nur jene Personen erfassen, die selbst der Pflege in Form notwendiger Betreuung
und Hilfe bedürfen. Kann aber eine Person Verrichtungen des täglichen
Lebens ohne die sie der Verwahrlosung ausgesetzt wäre (§ 1 EinstV)
und die zur Sicherung der Existenz der eigenen Person erforderlich
sind (§ 2 EinstV), noch weitgehend selbst vornehmen, dann besteht
kein Pflegegeldbedarf iSd BPGG. Dies auch dann nicht, wenn diese
Person in Folge gesundheitsbedingter Einschränkungen zB außer Stande
wäre, bestimmte Verpflichtungen gegenüber Dritten – seien diese
vertraglicher oder familienrechtlicher Natur, wie die Verpflichtung,
den Haushalt für die gesamte Familie zu führen – nachzukommen. (Hier
hatte die Klägerin damit argumentiert, dass sie insbesondere nicht
mehr in der Lage sei ihren Sohn zu erziehen und zu pflegen.) Derartige
Ansprüche müssen demnach über das Schadenersatzrecht geltend gemacht
werden, zumal § 1 BPGG klar zum Ausdruck bringt, dass es nur Personen
erfassen will, die selbst der Pflege in Form notwendiger Betreuung
und Hilfe bedürfen. | |
| |
Der
Verdienstentgang kann – anders als die Heilungskosten und das Schmerzengeld
(die immer nur konkret berechnet werden können) – auf zwei Arten
berechnet werden, entweder: | |
•
konkret (=
Differenz zwischen bisherigem und künftigem Einkommen des Geschädigten)
oder | |
•
abstrakt (= objektive Minderung
/ Verringerung der Erwerbsfähigkeit: MdE). – Der Kläger hat sich
für eine der beiden Möglichkeiten zu entscheiden. | |
Verdienstentgang ist wirklicher
/ positiver Schaden, nicht entgangener Gewinn. – Verdienst ist jeder
Arbeitserwerb, daher auch das Einkommen einer registrierten
Prostituierten (SZ 54/70 [1981] = EvBl 1982/37) oder das Nebeneinkommen,
auch das eines Pfuschers; vgl. dazu die folgenden Beispiele. Ebenso
die Einkommenseinbuße eines Selbständigen oder die Verminderung des
Gewinnanteils eines geschäftsführenden Gesellschafters. | Verdienst |
|
SZ 54/70 [1981] = EvBl
1982/37: § 1325 ABGB(§
879 ABGB): Zum Ersatz des Verdienstentgangs einer registrierten
Prostituierten bei ihrer Verletzung durch ein Kraftfahrzeug;
OGH lehnt Sittenwidrigkeitsargument des Schädigers (§ 879 ABGB)
zurecht ab. | |
|
|
OGH 25.3.1999, 2 Ob 289/97g:
Ein Pfuscher wurde als Beifahrer bei einem Autounfall
verletzt. Er klagte die Kfz-Haftpflichtversicherung des Schädigers
auf Schadenersatz wegen Verdienstentgangs, da er – unfallbedingt
an zumindest 15 Wochenenden – keine Baustellenpfuscharbeiten ausführen
konnte. Der OGH gab der Klage statt und sprach für 15 Wochenenden
à 5.000 S Verdienstentgang zu. | |
|
|
ZVR 1998/21: Zur Berechnung
des Verdienstentgangs – Der Verletzte ist so zu stellen,
dass er im Ergebnis netto den gleichen Betrag zur Verfügung hat,
wie bei Fortsetzung der Erwerbstätigkeit. | |
|
| |
Einen Sonderfall des Verdienstentgangs
stellt die – seit 1927 in Österreich nachweisbare – Rechtsfigur
der abstrakten Rente dar, deren Weiterbestand lange
gefährdet erschien, nunmehr aber erfreulicher Weise vom OGH jüngst
bestätigt wurde; OGH 12.9.2003, 2 Ob 143/03y. Der OGH stellt treffend
fest, „dass keine Bedenken bestehen, eine abstrakte Rente gegen
die – soweit überblickbar – seit ihrer ’Erfindung’ im Jahre 1881
bis zum Jahre 1984 (Erscheinungsjahr des zweiten Bandes des Kommentars
von Rummel mit Kritik von Reischauer) keine grundsätzlichen Einwände erhoben
wurden, jedenfalls in den engen Grenzen der bisherigen Rechtsprechung
aufrecht zu erhalten“. | Sonderfall:
Abstrakte Rente |
| |
Die abstrakte Rente ist eine Schöpfung der
judikativen Praxis. Sie wurde von der Rspr zum dtRHG 1871 und idF vom
Reichsversicherungsamt (RVA) der deutschen Arbeiterunfallversicherung
entwickelt, ehe sie in Österreich übernommen wurde; SZ 9/85 (1927).
Vgl Barta, Kausalität
im Sozialrecht I 609 FN 112 (1983). Vgl dazu nunmehr insbesondere
auch A. Wittwer: Literatur. | |
Wird der Verdienstentgang abstrakt – dh hier: unabhängig
von einem konkret eingetretenen (Verdienstentgangs)Schaden – berechnet,
spricht man von abstrakter Rente. Sie wurde vom
OGH jahrzehntelang unter folgenden Voraussetzungen (vorbildlich)
zugesprochen: | |
•
Es
muss (durch den Unfall / die Verletzung) objektiv-abstrakt zu einer Minderung
der Erwerbsfähigkeit (MdE) gekommen sein, auch wenn dies
zunächst zu keiner konkreten Einkommensminderung (MdE) führte; | |
•
es
muss ein Dauerschaden entstanden und zudem | |
•
eine Einkommensminderung
in der Zukunft wahrscheinlich sein [, wofür den Geschädigten die
Beweislast trifft; vgl SZ 70/220 (S. 589): 1997]. | |
Diese
Kriterien für das Erlangen einer abstrakten Rente stimmten (bisher)
im Wesentlichen mit den Tatbestandsvoraussetzungen des § 1326 ABGB
(Verunstaltungsentschädigung) überein; dazu → §
1326 ABGB – Verunstaltungsentschädigung Eine
Gleichbehandlung beider Anspruchsgrundlagen erscheint ratsam. | |
Während
das dritte Kriterium – wie bei der Verunstaltungsentschädigung (!)
– von der Rspr bislang nicht sehr streng geprüft wurde, wurde es
vom OGH seit etwa 10 Jahren, offenbar einer unglücklichen Anregung
Reischauers (ZVR 1993/165: Werkzeugmacher) folgend, strikt geprüft,
was in SZ 70/220 zur Abweisung des Anspruchs führte. Die Unterinstanzen
hatten noch iSd bisherigen Judikatur entschieden. – Ein Weiterführen
dieser (nicht überzeugenden) Rspr hätte das Rechtsinstitut gefährdet;
Ch. Huber sprach daher in Bezug auf diese E anschaulich vom „Totenglöcklein
der abstrakten Rente”. In letzter Konsequenz bedeutet diese Rspr
– vgl auch die unten angeführte E des OGH, JBl 2003, 242 – eine
unbillige Entlastung des Schädigers und eine auf einer verfehlten
Ökonomisierung beruhende Missachtung der körperlichen Unversehrheit,
was nicht Aufgabe der Rspr und des Schadenersatzrechts sein kann.
Umso erfreulicher ist es, dass der OGH „seine” langjährige Rspr
nunmehr gegen eine nicht überzeugende Kritik verteidigt hat; 12.9.2003,
20b 143/03y. | |
Überlegenswert wäre es allenfalls auch gewesen,
die bisherige Entschädigung aus dem Titel „Schmerzengeld” iVm §
1326 ABGB zuzusprechen, den Entschädigungsanspruch also auf eine
neue Basis – iS einer Pauschalabgeltung eines erlittenen Dauerschadens
und erlittener Unbill – zu stellen. – Eine gewisse Abhilfe (bei
Fortführung der Rspr) hätte auch das Geltendmachen solcher Schäden
als Spät- oder Folgeschäden darstellen können → Spät-
oder Folgeschäden
| |
|
OGH 5. 6. 2002, 2 Ob 133/02a, JBl 2003, 242 (Anm
Faber): Der Kläger wird als Beifahrer eines PKW bei
einem Unfall schwer verletzt und trägt eine 20%ige Minderung seiner
Erwerbsfähigkeit davon. Er begehrt von der Haftpflichtversicherung
eine monatliche abstrakte Rente von 2.260 S. – OGH lehnt dies –
in Übereinstimmung mit der zuletzt restriktiven Rspr zur abstrakten
Rente – ab. OGH 12.9.2003, 2 Ob 143/03y. | |
|
Die
abstrakte Rente bildete nach der Rspr eine Ausnahme für
Härtefälle, weil andernfalls der Verletzte trotz erlittenen
Dauerschadens zunächst leer ausginge, wenn (unmittelbar) kein ziffernmäßig (konkret)
erfassbarer Verdienstentgang eintritt. | |
Die abstrakte Rente erfüllt daher sowohl eine | |
•
Sicherungs-,
wie eine | |
•
Ausgleichs- oder Erschwernisfunktion für
die Zukunft, | |
weil damit zu rechnen ist, dass Verletzte durch die Verletzung
künftig bei der Arbeitsplatzsuche gegenüber gesunden Mitbewerbern
benachteiligt sind (erhöhtes Risiko der Arbeitslosigkeit) und weil
sie zudem den erforderlichen Arbeitserfolg (im Vergleich mit nicht
versehrten Berufskollegen) nur durch eine körperliche und geistige
Mehranstrengung erzielen können, wodurch die Gefahr besteht, dass
ihre Arbeitskraft schneller verbraucht wird. Dieser Aspekt wurde
vom OGH zuletzt nicht mehr hinreichend beachtet. Er erscheint aber
aktueller denn je. | |
Die zugesprochene
Rente soll Verletzte ua in die Lage versetzen, sich für die Zukunft
durch Rücklagen einen Deckungsfonds für künftige
Ausfälle zu bilden; aber auch andere Möglichkeiten stehen offen.
– Bei einer Umstellung der Entschädigungsgrundlage auf Schmerzengeld
wäre, was zuletzt auch unbeachtet blieb, wäre die erhöhte Anstrengung
und das Bewusstsein möglicher künftiger „Probleme” stärker zu berücksichtigen
gewesen. | Deckungsfonds |
Die Rspr
(vgl ZVR 1984/48 – OLG Ibk) lehnt auch die Aufwertung einer
abstrakten Rente bei nachträglicher Steigerung des Erwerbseinkommens
des Geschädigten ab, gleichgültig ob die Steigerung in einer erhöhten
Arbeitsleistung, einer Verbesserung des Einkommens durch sozialen
Aufstieg oder in einer Anpassung des Einkommens an die Geldentwertung
ihre Ursache hat. Dies mit dem Argument, dass die Umstandsklausel
des § 901 ABGB (im Gegensatz zu § 1327 ABGB) hier nicht gelte. Darüber
hinaus wird in dieser E die Sicherungsfunktion zu eng verstanden.
– Diese Rspr-Position überzeugt nicht, zumal unbeachtet bleibt,
dass es sich bei Schadenersatzleistungen um Geldwert- und nicht
Geldbetragsschulden handelt → KAPITEL 7: Geldbetrags-
und
Geldwertschulden . | Aufwertung? |
Die Rspr wendet zur
Rentenberechnung in grundsätzlicher Anlehnung an
§ 273 ZPO die sog Pieglersche Formel an: Danach
wird als abstrakte Rente die Hälfte des Prozentsatzes der Minderung der
Erwerbsfähigkeit / MdE gewährt. | Rentenberechnung
nach der Pieglerschen Formel |
Vgl aber schon GlU 8512 (1881: eine genaue
und sorgfältig begründete E – § 7 ABGB!), nch deren Sachverhalt
der zweijährige Knabe A, der im Hofe des väterlichen Hauses mit
anderen Kindern gespielt hatt, vom 14jährigen B, der „aus Muthwillen
mit einem Hammer ein Zündhütchen zerschlagen [habe], von welchem
ein Stück in das linke Auge des A geflogen sei“, was zu dessen Erblindung
geführt habe. Der OGH stellte in Bezug auf Kinder und sonstige nicht im
Erwerbsleben stehende Personen fest, dass dann, wenn nach der allgemeinen
Lebenserfahrung schon zum Urteilszeitpunkt feststehe, dass der Geschädigte
in seinen künftigen Erwerbsmöglichkeiten beeinträchtigt sei, eine „abstrakte
Schätzung Platz zu greifen habe“, weil der Geschädigte „geringere
Aussichten auf künftigen Erwerb habe“. – Vgl auch GlU 10.141 (1884):
Einem 17jährigen wird das rechte Auge „ausgeschossen“. | |
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EvBl 1966/355: Maurer erleidet Kahnbeinbruch an
rechter Hand, der zu einer Arthrose und in der Folge Arbeitsbehinderung
führt. Angenommenes monatliches Durchschnittseinkommen 2.750 S,
durchschnittliche MdE 17,5%, zugesprochene monatliche Rente ca 250
S, d.s. etwa 9% der MdE. | |
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RZ 1982/9: Verletzung eines Hoteldirektors mit Reitbetrieb.
Monatseinkommen 21.200 S, MdE 30%, zugesprochene Rente ca 3.000
S. | |
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SZ
9/85 (1927): Unfall beim Heuabladen:
Bauernsohn wird beim Heuabladen durch Unachtsamkeit eines Mitarbeiters
mit der Heugabel ein Auge ausgestochen. Abstrakte Rente wird zuerkannt,
obwohl der Verletzte bei seinem Vater arbeitete und ein Lohnausfall
„derzeit” nicht eintrat. 1927 herrschte große Arbeitslosigkeit,
was die „Sensibilität” des OGH verständlich macht! – Dies ist die
erste österreichische E zur abstrakten Rente. | |
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Vgl ferner SZ 26/67 (1953): Schwere Schädelverletzung
und unfallbedingte Erblindung an einem Auge. | |
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SZ 19/78 (1937): Kontoristin wird
als Radfahrerin von Mühlkreisbahn zwischen Linz und Ottensheim niedergestoßen
und verliert zwei Finger der linken Hand. | |
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JBl 1953, 49: Kläger (Radfahrer)
verliert durch einen bei einer Treibjagd abgegebenen Schuß sein linkes Auge; | |
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Näherin
in einer Textilfabrik wird bei einem Unfall schwer am rechten
Bein verletzt; Dauerschaden. Sie kann die Nähmaschine nur mit erhöhtem
Kraftaufwand bedienen. | |
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| Abbildung 9.31: Abstrakte Rente (1) |
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| Abbildung 9.32: Abstrakte Rente (2) |
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| Abbildung 9.33: Abstrakte Rente (3) |
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| Abbildung 9.34: Abstrakte Rente (4) |
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Geregelt ist der Ersatz
von Schmerzengeld in § 1325 ABGB und der Parallelregelung des §
13 Z 4 EKHG. | |
Die Rspr versteht das Schmerzengeld heute nicht
mehr als Strafe, Sühne oder Buße für die Verletzung, sondern als
echten Schadenersatz und zwar als Ersatz ideellen / immateriellen
Schadens, der im Zusammenhang mit einer Körperverletzung – als selbständige
Kategorie – entsteht. Der Schmerzengeldanspruch mindert sich daher
bei Mitverschulden des Verletzten. | Was ist das Schmerzen(s)geld? |
Es würde aber dem Verständnis und der Funktion
von Schmerzensgeld keinen Abbruch tun, im Bedarfsfall auch ein pönales
Element – das über § 1326 ABGB hinausgeht – zur Verfügung
zu haben. Der Spielraum würde dadurch größer; möglicher Regelungsort:
§ 1326 Abs 2 ABGB. Darin läge ein moderater Schritt in Richtung
eines präventiven Strafschadenersatzes im Bereich der Personenschäden. | |
Schmerzengeld soll alle Schmerzempfindungen
abgelten und zwar solche körperlicher und seelischer Art;
es schließt auch das Bewusstsein eines allfälligen Dauerschadens
und die Gefahr der Verschlechterung für alles Ungemach aus der Verletzung,
abgesehen von der Schädigung des Erwerbslebens, ein. Es soll einerseits Unlustgefühle ausgleichen
und andrerseits gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen verschaffen. | Funktion |
Zur Möglichkeit die bisher als abstrakte
Rente zugesprochene Entschädigung als Komponente des Schmerzengeld- oder
Verunstaltungsanspruchs zuzusprechen → Die
abstrakte Rente
| |
Bewusstlosigkeit
schließt Schmerzengeld ebenso wenig aus, wie Körperverletzungen,
die keine Schmerzen verursachen: zB SZ 47/147 (1974): Abschneiden
der Haare; und gleiches gilt bei völligem Verlust des Schmerzempfindens
(OGH 11.3.1999, 2 Ob 192/97t). – Schmerzengeld gebührt auch bei Freiheitsentzug (§
1329 ABGB; JBl 1982, 263: Rechtswidriges Einsperren und Vergessen
in Vorarlberger Gemeindearrest), psychischer Beeinträchtigung (etwa
Schock- und Verwirrungsschäden) oder ärztlichen Behandlungsfehlern
oder einwilligungsloser medizinischer Behandlung → KAPITEL 10: Die
¿Einwilligung¿ in die medizinische Behandlung. | Bewusstlosigkeit |
Diese
En zeigen ebenso wie die novellierte Bestimmung des § 1328 ABGB
(Verletzung der geschlechtlichen Selbstbestimmung), dass im Ersatz
von Schmerzengeld auch der Gedanke der Genugtuung bei Verletzung
der personellen Selbstbestimmung und verlorener
Lebensfreude steckt. Das mag das Abschneiden der Haare,
einen unerlaubten Freiheitsentzug oder eine Verletzung der geschlechtlichen
Selbstbestimmung betreffen. – Kein Schmerzengeld spricht die Rspr aber
bspw für belästigende Geruchsimmissionen zu; vgl EvBl 1983/82 → KAPITEL 8: Rspr-Beispiele. Zuerkannt
wurde Schmerzengeld aber einem Mieter, der durch Schimmelbefall
seiner Wohnung, Bronchitis und weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen
erlitten hatte. (Ein Bauphysiker hatte festgestellt, dass der Schimmel
von der pfuschmäßigen Behebung eines Rohrbruchs durch den Vermieter
stammte.) | |
Die
europäischen Länder sprechen – im Vergleich zu den USA – Schmerzengeld
nur moderat, also in begrenzter Höhe zu. Der bisherige Höchstzuspruch
durch ein österreichisches Gericht betrug 1997 1,750 Mio S und erhöhte sich
2002 aus 3 Mio S (~ 218.000 ı); in Deutschland lag dieser Betrag
1997 bei ca 4 Mio S (~ 290.690 ı). | Europäischer Vergleich |
Maximale Schmerzensgeldsummen in ı | Schmerzensgeld | Ersatz für seelische Schmerzen
bei Verlust naher Angehöriger | Spanien | 1.803.036 | nicht bekannt | Deutschland | 357.904 | 35.790 | Irland | 317.435 | 9.523 | Italien | 258.228 | 77.469 | Belgien | 173.525 | 24.789 | Niederlande | 136.134 | 0 | Österreich | 127.177 | 21.802 | Schweden | 120.000 | 3.000 | Schweiz | 78.950 | 52.635 | Frankreich | 45.735 | 30.490 | Portugal | 6.484 | 6.484 | Griechenland | 4.402 | 1.174 |
| |
| |
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3
Mio S (= 218.018 ı) gemäß § 1325 ABGB bei durch Geisterfahrerunfall schuldlos
schwerst verletztem erst 21-jährigem Mann; hohe Querschnittsymptomatik
mit Lähmung des Rumpfes und aller vier Extremitäten, weiters Lähmung
des Atemnervs mit Notwendigkeit, bis an sein Lebensende künstlich
beatmet zu werden, verbunden auch mit daraus resultierender und
bewusst erlebter ständiger Todesangst; OGH 18.4.2002,
ZVR 2002/66 bisher höchster Schmerzengeldzuspruch. | |
|
|
1,5
Mio S zuzüglich 300.000 S für Misshandlung
(§ 1326 ABGB): der Verletzte war ein 23-jähriger iranischer
Asylwerber. Verletzungen: Gehirnerschütterung; Bruch des
3. Halswirbelkörpers mit Verrenkung zwischen dem 3. und dem 4. Halswirbelkörper
mit sofortiger hoher Rückenmarksquerschittsläsion; komplette Lähmung
der oberen und unteren Extremitäten sowie komplette Blasen- und
Mastdarmlähmung; Dekubitalgeschwüre, ständige Pflege in Spital notwendig.
– Schmerzen: Keine Schmerzempfindung in den gelähmten Körperteilen,
jedoch schmerzhafte Muskelzuckungen; ständig schwerste psychische Beeinträchtigungen: OGH 9.12.1993, 2 Ob 65/93. | |
|
|
1 Mio S zuzüglich 150.000
S für Misshandlung (§ 1326 ABGB): Verletzter: Pensionist;
2 tiefe Rissquetschwunden am Kopf, Schädelhirnverletzung, offener
Bruch des rechten Unterschenkels, Prellung des Brustkorbs mit Lungenprellung,
Dauerfolgen; (Schmerzen: unbekannt); 11 Monate Spitalsaufenthalt: OGH 27.2.1991, 2 Ob 7/91. | |
|
|
800.000
S (= 58.138,27 ı) Schmerzengeld für Mountainbiker,
der auf einer Forststraße durch über die Straße gespanntes Drahtseil
zu Sturz kommt, was eine Querschnittslähmung zur Folge hat (ein
Drittel Mitverschulden); OGH 30.1.2003, s
Ob 314/02v. | |
|
|
400.000
S: 14-jährige Schülerin, Gehirnerschütterung, Oberschenkelbiegebruch
rechts, zweigradiger offener Unterschenkelstückbruch rechts, ausgedehnte
Hautnekrosen sowie mehrfache Rissquetschwunden an rechten Unterschenkel.
Narbenbildung, rechtes Bein 1,5 cm verkürzt; mehrere Operationen, Schmerzen:
19 Tage starke, 3 Wochen mittelstarke, 14 Wochen leichte, Todesängste
wegen der Operationen, Unlustgefühle wegen Einengung der Bewegungsfreiheit,
der Unfähigkeit Sport zu betreiben und zu gewissen Berufen: OGH 28.10.1993, 2 Ob 46/93. | |
|
|
100.000
S Schmerzengeld (Trauerschaden): Die Klägerin
litt wegen des Unfalltodes ihres Sohnes unter erheblichen seelischen
Beschwerden, die Krankheitswert erreichten und einer medizinischen
Behandlung bedurften. Für die mit der Psychose der Klägerin zusammenhängenden
Beschwerden, die aller Voraussicht nach auch weiterhin bestehen
bleiben, sei der geltend gemachte Betrag von 100.000 S angemessen: OGH 16.5.2001, ZVR 2001/72. | |
|
|
50.000
S: Unfall eines minderjährigen Mädchens; offener Unterschenkelbruch,
Gehirnerschütterung, Bluterguss über dem linken Auge, Schmerzen:
4 Tage starke, 4 Tage mittelstarke, 20 Tage leichte und nicht unerhebliche
seelische Beeinträchtigung: OLG Graz,
15.1.1993. | |
|
Schmerzengeld
wurde bisher nach ABGB nicht „automatisch” zugesprochen, es musste
„verlangt”, also gefordert werden, worunter idR gerichtliches Geltendmachen
verstanden wurde. Das EKHG (§ 12 Abs 1) und andere Haftpflichtgesetze
kannten diese Tatbestandsvoraussetzung aber schon lange nicht mehr.
Daher sprach der OGH nunmehr den Worten des § 1325 ABGB „auf
Verlangen” eine eigenständige normative Bedeutung ab; vgl
SZ 69/217 = EvBl 1997/19: dazu gleich unten. | Rechtsnatur
des Schmerzengeldanspruchs |
Der
Schmerzengeldanspruch wurde lange als höchstpersönlicher
Natur angesehen. Seit EvBl 1997/19 werden Schmerzengeldansprüche
aber nicht mehr als höchstpersönliche Ansprüche verstanden, sondern
als ganz normale Schadenersatzansprüche. Wie diese
sind daher nunmehr auch Schmerzengeldansprüche ohne weitere Voraussetzungen abtretbar, vererbbar und verpfändbar. Vererblich
war ein Schmerzengeldanspruch bisher erst nach (noch bei Lebzeiten)
erfolgter gerichtlicher Geltendmachung oder vertraglicher Anerkennung.
– Dasselbe galt bis 1991 für die Pfändung eines
Schmerzengeldanspruchs; geändert durch BGBl 1991/628, EO-Nov. Seit
der EO-Nov 1991 besteht für Schmerzengeldansprüche kein exekutionsrechtlicher
Pfändungsschutz mehr; Schmerzengeldansprüche sind also nunmehr mit
ihrer Entstehung (d.i. das Auftreten von Schmerzen!) pfändbar.
– Nach neuer Rspr sind Schmerzengeldansprüche nun auch unabhängig von
ihrer Geltendmachung noch zu Lebzeiten des Verletzten vererblich,
was von Bedeutung ist, wenn der beim Unfall Verletzte, an den Unfallfolgen
stirbt, bevor sein Anspruch gerichtlich geltend gemacht oder vertraglich
anerkannt werden konnte. Auch diese Rspr-Änderung wurde durch den Sachverhalt
der E EvBl 1997/19 bewirkt. | Abtretbar, vererbbar, verpfändbar und pfändbar |
|
EvBl 1997/19 = SZ 69/217 (1996) –
Sachverhalt: Anlässlich einer Grillveranstaltung in einem
Linzer Kindergarten der Beklagten am 27.6.1994 hatte die
Kindergartenhelferin versucht, das Grillfeuer mit Brennspiritus
anzufachen. Dabei entwickelte sich explosionsartig eine Stichflamme,
welche die 6-jährige Tochter der Kläger erfasste und schwerste Brandverletzungen
verursachte. Das Kind starb am 21.7.1994. Die Kindergartenhelferin
wurde wegen des Vergehens der fahrlässigen Tötung nach § 81 Z 1
StGB rechtskräftig verurteilt. Der Nachlass des Kindes wurde seinen
Eltern je zur Hälfte eingeantwortet. Die Kläger begehren für die
von ihrer Tochter erlittenen Schmerzen ein Schmerzengeld von je
150.000,? S. In dem einmonatigen Todeskampf ihres Kindes hätten
sie [als dessen gesetzliche Vertreter] nicht daran gedacht, Schmerzengeldansprüche
gerichtlich geltend zu machen. Nach einhelliger Auffassung der Lehre
sei der Anspruch auf Schmerzengeld auch unabhängig von einer solchen
Geltendmachung vererblich. Die Beklagte beantragte die Abweisung
des Klagebegehrens und verwies auf die bisherige stRspr des OGH,
wonach ein Schmerzengeldanspruch mangels rechtzeitiger Geltendmachung
nicht vererblich sei. Das Erstgericht erkannte mit Zwischenurteil
die Klageforderungen als dem Grunde nach zu Recht bestehend. Das
Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Der OGH stellte das
Zwischenurteil des Erstgerichts wieder her. | |
|
Dieses Urteil lehrt uns, dass auch jahrzehntelang
gefestigte Rspr-Positionen des OGH dann revidiert werden, wenn ein
eindringlicher Sachverhalt dies nahelegt. Die Kritik des Schrifttums
allein vermag dies oft nicht. | |
Die Festsetzung
der Schmerzengeldhöhe erfolgt durch das Gericht. Es soll
nicht tageweise oder nach Zeitpunkten oder Zeiträumen zugesprochen,
sondern mit einer Globalsumme als Kapitalbetrag
abgegolten werden. Teilabfindungen sind aber möglich. – Obwohl das
Gesetz keine Taxen kennt, haben sich in der Praxis für die Berechnung Tagessätze entwickelt;
s. Tab. Das Evidenzbüro des OGH führt eine Schmerzengeldtabelle und
ein chronologisches Aktenregister mit Informationen zum jeweiligen
Fall. | Festsetzung
der Schmerzengeldhöhe |
Schmerzengeldsätze in Österreich Schmerzen | leichte | mittlere | starke | qualvolle | OLG Graz | 100 | 150-200 | 250-300 | 350-500 | OLG Innsbruck | OLG Linz | keine Angaben | OLG Wien | 100 | 200 | 300 | | LG Eisenstadt | 90 | 180 | 270 | | LG Feldkirch | 100 | 175 | 250 | | LGZ ZRS Graz | 110 | 150 | 190 | | LG Innsbruck | 90-110 | 130-180 | 180-250 | | LG Klagenfurt | 100-110 | 200-220 | 300-330 | | LG Linz | 100 | 200 | 350 | | LG Salzburg | 90-100 | 150-200 | 200-300 | | LG St. Pölten | 100 | 200 | 300 | |
| |
Diese Schmerzengeldtabelle stellt
bloß eine Berechnungshilfe und keine Berechnungsmethode dar!
| |
Auszug aus: Hartl, AnwBl 2003, 240. Stand: 2003 | |
| |
|
OGH 9. 8. 2001, 2 Ob 173/01g, JBl 2002, 252:
OGH führt aus, unter welchen Voraussetzungen ein Schmerzengeldanspruch
bei Schleudertrauma im anhängigen Verfahren erhöht
werden kann. – Interessante Ausführungen zur Funktion des Schmerzengeldes. | |
|
Schmerzengeldansprüche
verjähren als Schadenersatzansprüche nach § 1489 ABGB → Geltendmachung
von Schadenersatzansprüchen – Verjährung: § 1489 ABGB – Anders
ist das, wenn bereits ein Feststellungsurteil darüber vorliegt.
Feststellungsurteile legen die davon berührten Grundlagen des Schadenersatzanspruchs
ohne zeitliche Begrenzung fest und schließen die Verjährung von
Folgeschäden für die Dauer von 30 Jahren ab Rechtskraft aus (Judikatschuld);
JBl 1999, 605. | |
Bei Arbeitsunfällen (§
175 ff ASVG) sind für Körperverletzungen insbesondere die §§ 332
ff ASVG zu beachten: Legalzessionsnorm → KAPITEL 12: Legalzession des § 332 ASVG.
Schmerzengeld wurde nach dem SVG grundsätzlich ausgeschlossen. Es
gibt aber seit einigen Jahren einen (unzureichenden) Ansatz in diese
Richtung; § 213a ASVG: sog Integritätsabgeltung für
schwere Dauerschäden. – Anzustreben ist eine Gleichstellung mit
dem bürgerlichen Recht. | |
9. §
1326 ABGB – Verunstaltungsentschädigung | |
Neben
dem ABGB treffen auch Sonderhaftpflichtgesetze – zB § 13 Z 5 EKHG
– derartige Regelungen. Sie sind für das Verständnis des § 1326
ABGB zu berücksichtigen. – Ansprüche nach
§ 1326 ABGB können kumulativ mit solchen nach § 1325 ABGB (insbesondere
Schmerzengeld) zugesprochen werden; ZVR 1986/77 = EFSlg 48.658.
Die Verunstaltungsentschädigung ist Ersatz für eine verminderte
(objektive) Chance im Erwerbsleben, also für einen wahrscheinlich
in Zukunft eintretenden Vermögensschaden (!) und
nicht (wie das Schmerzengeld) für einen immateriellen Schaden; EFSlg
51.503 (1986) und ZVR 1992/79. Wie bei der abstrakten Rente ( → Die
abstrakte Rente)
kann auch hier eine abstrakte Berechnung des Schadens vorgenommen
werden; EFSlg 33.775 (1979). – „Besseres Fortkommen” (Gesetzestext)
bedeutet ebenfalls nicht einen konkreten Verdienstentgang, sondern
es genügt die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung des Fortkommens;
EFSlg 57.010 (1988). – Auch hier ist der Zuspruch einer Rente ebenso
möglich wie eine einmalige Kapitalzahlung. | |
| |
Der
Begriff der „Verunstaltung” ist nach der Lebensanschauung zu
verstehen, nicht nach medizinischen Gesichtspunkten; ZVR 1987/70. | Lebensanschauung |
Berechnungzeitraum
ist – wie beim Schmerzengeld – grundsätzlich der Schluss der Verhandlung erster
Instanz; eine Neubemessung bei Hervorkommen weiterer Unfallfolgen
ist aber möglich; EFSlg 36.193 (1981/41). Vgl das extensive Verständnis
in EvBl 1988/6: Ein Anspruch wegen verminderter Heiratsaussichten kann
auch entstehen, wenn Geschehensabläufe nach dem Schadenszeitpunkt,
jedoch nicht unabhängig von der Schadensursache auftreten; wenn
also eine Ehe etwa deshalb geschieden wird, weil der Ehegatte des
Unfallopfers sie wegen der an seinem Partner aufgetretenen körperlichen
und seelischen Unfallfolgen nicht mehr fortführen will. – Ein Verletzter muss
sich nach § 1326 iVm § 1304 ABGB (Schadensminderungs - oder
Rettungspflicht → Mitverschulden:
§ 1304 ABGB), nur dann einer plastischen Operation
unterziehen, wenn ihm ein solcher Eingriff zumutbar ist; SZ 36/37
(1963). | Berechnungszeitpunkt |
| |
Die Verunstaltungsentschädigung kennt bereits
Platon (Nomoi IX 878 b-d). Dort findet sich auch der Fall eines
Drittschadenersatzes (zugunsten des Staates), wenn durch die einem
Bürger zugefügte Verletzung dieser unfähig wird, „seinem Vaterland
gegen die Feinde beizustehen”. | |
10. Tödliche
Körperverletzung | |
„Erfolgt aus einer körperlichen Verletzung der
Tod, so müssen nicht nur alle Kosten [§ 1325 ABGB!], sondern auch den
Hinterbliebenen [zB den Kindern oder Frau / Mann, allenfalls auch
Eltern], für deren Unterhalt der Getötete zu sorgen hatte, das,
was ihnen dadurch entgangen ist, ersetzt werden”; § 1327 ABGB. | |
§ 1327
ABGB gewährt neben den auch hier zu ersetzenden Kosten nach § 1325
ABGB (Heilungskosten etc) insbesondere originäre Ansprüche auf (Schaden)Ersatz
entgangener tatsächlicher Unterhaltsleistungen;
korrekt aber keinen Unterhaltsanspruch. Daher besteht kein Anspruch
nach § 1327 ABGB, wenn zB die Ehefrau auf ihren Unterhalt verzichtet
hatte; ZVR 1974/91. | |
Der Verschuldensgrad ist für den Ersatzanspruch
– wie nach § 1325 ABGB – nicht entscheidend. Die Rechtsfolgen des
§ 1327 ABGB greifen ab leichter Fahrlässigkeit. – Bei Mitverschulden
des Getöteten steht den Hinterbliebenen nur ein um das
Mitverschulden reduzierter Teilanspruch zu. – Der Ersatz Hinterbliebener
erfolgt regelmäßig in Form einer Rente. Nur aus
besonderen Gründen wird ein kapitalisierter Gesamtbetrag zugesprochen.
Die Rente ist für jeden Berechtigten gesondert festzustellen (zB
für Kinder: §§ 140 f, 182a ABGB und die Witwe: § 75 EheG) und die
einzelnen Ansprüche haben nach Höhe und Dauer ihr eigenes rechtliches
Schicksal. | |
Durch den Hinweis
auf die gesetzliche Unterhaltspflicht in § 1327 ABGB wird der Kreis
der Unterhaltsberechtigten, nicht das Ausmaß der Ersatzpflicht bestimmt.
Es muss sich aber um eine primäre oder subsidiäre gesetzliche
Unterhaltspflicht gehandelt haben, die aktuell gewesen
ist. Ein bloß vertraglicher Unterhaltsanspruch verschafft keinen
Anspruch nach § 1327 ABGB. Dasselbe gilt für freiwillige Zahlungen
ohne gesetzliche Unterhaltsverpflichtung. | Anspruchsberechtigter Personenkreis |
|
JB 189 (1909): Der Anspruch nach
§ 1327 ABGB steht außer der Frau und den Kindern
des Getöteten allen Personen zu, denen dieser auf Grund
des Gesetzes zur Leistung von Unterhalt verpflichtet war. | |
|
|
Den Eltern (§
143 ABGB) Getöteter steht dann ein Anspruch zu, wenn diese nicht
imstande sind, sich selbst zu erhalten; vgl EFSlg 57.027. (Eltern
können zB die Haftungsfeststellung des Schädigers für künftige Schäden
mit einer Feststellungsklage begehren, auch wenn sie derzeit nicht
bedürftig sind.) – Der Anspruch steht auch dem unehelichen
Kind des getöteten Vaters zu und natürlich auch der außerehelichen
Mutter. | |
|
|
Der Ehemann
der getöteten Frau (§ 94 ABGB) hat Anspruch auf Ersatz
des Entgangs der von ihr für den Haushalt geleisteten Arbeiten;
vgl EFSlg
63.271. Ein solcher Anspruch besteht
unabhängig davon, ob zB der Witwer Auslagen für eine Ersatzkraft
nachweisen kann; EvBl 1993/65. | |
|
Der Anspruch
auf entgangenen Unterhalt besteht so lange und in dem Umfang, als
der Getötete nach dem Gesetz für den Unterhalt des/der Hinterbliebenen
zu sorgen gehabt hätte. Eine Rente wird grundsätzlich für die wahrscheinliche
Lebensdauer des Getöteten zugesprochen. Die Beweislast dafür
trifft den Anspruchswerber. | Dauer und Umfang
der Ansprüche |
|
SZ
36/132 (1963): Wegen wesentlicher Geldentwertung kann
ein nach § 1327 ABGB Anspruchsberechtigter eine Erhöhung seiner
Rente begehren. Ein Anspruch im Urteil eine bestimmte Indexsicherung
vorzunehmen wird jedoch von der Rspr abgelehnt, obwohl diese die
Rechtssicherheit fördern und entlastend wirken würde Für den Rentenanspruch
gilt grundsätzlich die clausula rebus sic stantibus (Umstandsklausel). | |
|
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SZ 71/5 (1998): Bemessung einer Hinterbliebenenrente nach
§ 1327 ABGB wegen unvorhersehbaren Änderungen;
solche Umstände lassen den Fristenlauf neu beginnen. – Zur Verjährung
von Schadenersatzansprüchen → Geltendmachung
von Schadenersatzansprüchen – Verjährung: § 1489 ABGB
| |
|
Zu ersetzen sind
„alle Kosten” iSd § 1327 ABGB.
Das sind nur jene Kosten, die mit dem Tod in einem adäquaten Zusammenhang
stehen. Die in § 12 Abs 1 Z 1-4 EKHG aufgezählten Kosten, sind auch
solche des § 1327 ABGB. Das sind neben den auch in § 1325 ABGB angeführten
„Kosten” auch „die Kosten aus einer Vermehrung [der] Bedürfnisse
[des Verletzten]” (Z 3) sowie nach Z 5 „die Kosten angemessener
Bestattung”. Der Anspruch auf Ersatz der Bestattungskosten steht
demjenigen zu, „der sie zu tragen verpflichtet ist oder sie tatsächlich
getragen hat” (Z 5). – Nicht ersetzt werden aber bspw die Erbschaftssteuer
oder die Kosten des Verlassenschaftsverfahrens. Ersetzt werden die
Kosten für ein (übliches) Grabmahl, nicht aber die für seine künftige
Instandhaltung. Auch die Kosten des üblichen Totenmahls und für
Trauerkleider werden ersetzt. | Welche Kosten
sind zu ersetzen? |
Der Ersatzkatalog des § 12 EKHG ist moderner
gefasst und wird zur Ergänzung des § 1327 ABGB herangezogen; zB:
angemessene Bestattungskosten. Zum EKHG → Das
EKHG als Beispiel –
Die Rspr zieht zur Auslegung des § 1327 ABGB die Sonderhaftpflichtgesetze
heran; vgl SZ 44/95 (1971). – Ein Kind muss, um nach dieser Gesetzesstelle
Ersatzleistungen zu erhalten, im Zeitpunkt der Verletzung wenigstens
gezeugt sein; vgl § 12 Abs 2 letzter Satz EKHG. | |
§ 1327 ABGB trifft die
gesetzliche Anordnung des Ersatzes von Drittschaden!
Normalerweise erhalten nämlich nur unmittelbar Geschädigte, nicht
aber bloß mittelbar Geschädigter, Ersatz! – Zur Abgrenzung zwischen
unmittelbaren und mittelbaren Schäden vgl JBl 1984, 262. | |
Mit
dem Argument, dass die Aufzählung der Ansprüche in § 1327 ABGB eine
erschöpfende sei, lehnte es die Rspr lange ab, Hinterbliebenen
Schmerzengeldansprüche zuzusprechen; vgl aber nunmehr EvBl
1997/19 → Schmerzen(s)geld: Zur Vererblichkeit von Schmerzengeldansprüchen
(Rspr-Änderung). Einen weiteren Schritt setzte der OGH in seiner
E 8 Ob 127/02p = JBl 2003, 118 = ecolex 2003/9 (dazu gleich mehr):
Der Lebensgefährte der Klägerin starb durch einen ärztlichen Kunstfehler
(Darmperforation). Die Klägerin erlitt einen Schock. Sie klagte
Schmerzengeld ein und der OGH stellte fest, dass auch nahen Angehörigen
und Lebensgefährten/innen Schmerzengeld zustehe. | Schmerzengeldansprüche
Hinterbliebener |
| |
|
SZ 47/147 (1974): Das Abschneiden
der Haare gegen den Willen des/r Betroffenen ist eine Körperverletzung
iSd § 1325 ABGB, welche einen Anspruch auf Schmerzengeld für seelische
Schmerzen begründen kann. – Einer Schönheitsberaterin wurden vom
Friseur 35 cm ihrer langen Haarpracht abgeschnitten. | |
|
|
ZVR 1983/281:
1. Unter den nach § 1325 ABGB zu ersetzenden Heilungskosten sind
Aufwendungen zu verstehen, die durch die Körperverletzung veranlasst
wurden und die gegenüber den ohne den Unfall erforderlich gewesenen
gewöhnlichen Aufwendungen in der Absicht gemacht wurden, die gesundheitlichen
Folgen des Unfalls zu beseitigen oder doch zu bessern. – 2. Zu den
Heilungskosten gehören ua auch Heilbehelfe und Prothesen,
insbesondere aber auch Aufwendungen, die der Abwendung einer Verschlechterung
des gegenwärtigen Zustandes dienen. – 3. Bei Lösung der Frage, ob
eine Heilbehandlung sachgemäßist
und geboten erscheint, ist die Gesamtheit der Umstände des jeweiligen
Falles heranzuziehen. – 4. Der Ersatz einer Klammerprothese durch
eine teurere Ankerprothese ist berechtigt, wenn durch den Unfall
der Geschädigte weitere drei Zähne verloren hat, wodurch eine Verschlechterung
der Befestigungsmöglichkeiten eingetreten ist. | |
|
|
EvBl 1988/80: Mit der Wiederverheiratung erlischt
der Schadenersatzanspruch der Witwe gegen den Schädiger wegen entgangener
Unterhaltsleistung durch ihren verstorbenen Ehegatten. | |
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SZ 42/99 (1969): Hat die Gattin
vor dem Unfall im Gewerbebetrieb ihres Mannes mitgearbeitet und
ist sie danach nicht mehr (im gleichen Maße) in der Lage, kann sie
vom Schädiger im eigenen Namen ua den unfallbedingten Aufwand für
eine Hilfskraft verlangen. Es handelt sich dabei um Verdienstentgang iSd §
1325 ABGB. | |
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11. § 1328 ABGB
– Verletzung der geschlechtlichen Selbstbestimmung | |
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Die
Bestimmung wurde nach langer Untätigkeit des Gesetzgebers mit BGBl
1996/759 novelliert und ist seit 1.1.1997 auf Tathandlungen anzuwenden,
die nach dem 31.12.1996 gesetzt wurden. – Der alte Gesetzestext
(seit der III. TN) sah die Möglichkeit von Schmerzengeld für derart
erlittene Beeinträchtigungen nicht vor. Auch die Rspr hat sehr lange
gebraucht, um selbst bei Vergewaltigung Schmerzengeld zuzusprechen;
vgl SZ 58/80 (1985) → Nicht-Vermögens-
oder Personenschäden Weder
der Gesetzgeber, noch der OGH waren in der Lage, die 1916 (III.
TN) novellierte Vorschrift des ABGB nach dem Vorbild von § 847 Abs
2 dtBGB weiterzuentwickeln. Das offenbart ein enormes (männliches)
Versagen gegenüber der Rechtsstellung der Frau in unserem Lande
und zeigt, wie gesellschaftliche Werthaltungen auf die Rspr durchschlagen.
– Dafür ließen sich auch weitere Entscheidungen anführen. | |
§ 847 Abs 2 dtBGB: „Ein gleicher [Schmerzengeld]Anspruch
steht einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen
wider die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist, durch
Drohung oder unter Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses zur
Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird.” – In Geltung
seit dem 1.1.1900. | |
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§ 1328
ABGB
SZ 42/149 (1969):
Missbrauch eines Abhängigkeitsverhältnisses? – Der Tatbestand des
§ 1328 ABGB ist nur verwirklicht, wenn das Abhängigkeitsverhältnis
der Beweggrund für die Gestattung des außerehelichen Beischlafs
war. Das wurde bei der Sekretärin eines Architekten verneint,
die von ihrem Arbeitgeber schwanger wurde und nach § 1328 ABGB als
Entschädigung 250.000 S forderte; ausführliche Begründung des OGH. | |
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In diesem Sinne
auch SZ 16/65 (1934): Nichte
der Hausbesorger (Klägerin) wird von Bewohner (Beklagter)
schwanger. | |
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| Abbildung 9.35: Ersatz von Körperverletzungen |
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| Abbildung 9.36: Berechnung des Verdienstentgangs |
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| Abbildung 9.37: Tödliche Körperverletzung: § 1327 ABGB |
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V. Verträge mit
Schutzwirkung für Dritte – Drittschäden | |
1. Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter | |
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Eine wertungsmäßige Brückenfunktion
zwischen „normalen“ (dh unmittelbaren) Schäden und sog Dritt- oder
mittelbaren Schäden ( → Drittschäden)
nehmen die Verträge mit Schutzwirkung für Dritte ein. Bei diesen
erleidet nicht der unmittelbare Vertragspartner einen Schaden,
sondern eine diesem „ nahestehende „ Person –
nicht iSv gefühlsmäßig, sondern in Bezug auf die Leistungserbringung. –
Bei den Verträgen mit Schutzwirkung für Dritte gelangen Dritte (Personen)
in den Genuss einer Vertragshaftung – und damit insbesondere der
Erfüllungsgehilfenhaftung des § 1313a ABGB und der Beweislastumkehr
des § 1298 ABGB, obwohl sie selbst (als Geschädigte) mit dem Schädiger/Verantwortlichem
in keiner (eigenen) vertraglichen Beziehung stehen. – Eine Vertragsbeziehung besteht
bspw nur zwischen Taxi-Kundschaft und dem Schädiger (Taxi), nicht
aber zwischen Taxiunternehmer und dem mitgenommenen Gast. | |
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OGH 21. 12. 2000, 2 Ob 329/00x, JBl 2001, 455:
Eine Bank, die weiß, dass auf das Geschäftskonto eines Rechtsanwalts regelmäßig Treugelder eingezahlt
werden, darf ihre persönlichen Forderungen nicht gegen diese aufrechnen.
Sonst haftet sie für den Verlust, der den Treugebern bei Zahlungsunfähigkeit
des Rechtsanwalts entsteht: Konstruktion über Vertrag mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter; Mitverschulden des Anwalts wird vom OGH nicht
in Erwägung gezogen. | |
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|
Abgelehnt wird
die Annahme eines Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter in
folgendem Urteil: OGH 14. 12. 2000, 7 Ob 252/00k, JBl 2001, 457:
Schadenersatzanspruch des Rechtsschutzversicherers gegen den Rechtsanwalt
des Versicherten, der durch eine nicht ordentliche Vertretung unnötige
Prozesskosten verursacht hatte: Keine Vertragshaftung,
da zwischen Rechtsschutzversicherer und Rechtsanwalt regelmäßig
kein direktes Vertragsverhältnis entsteht und der OGH auch keinen
Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter annimmt. – OGH verweist
auf deliktischen Schadenersatz. | |
|
Nach dieser Rechtsfigur werden Schutz- und Sorgfaltspflichten
zwischen bestimmten Vertragspartnern – etwa dem Taxi-Unternehmer
und dem Taxi-Kunden – auf Dritte erstreckt, die der „vertraglichen
Leistung nahe stehen”; bspw Freundin oder Freund des Taxi-Kunden,
die mitfahren. Begünstigt in diesem Sinne sind aber nach der Rspr
nur Personen (Dritte), „deren Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung
bei Vertragsabschluss voraussehbar war”; JBl 1985, 295. | Schutz von Personen,
die der „vertraglichen
Leistung nahe stehen“ |
Wie wenn Freund oder Freundin des Taxikunden
unerwartet während der Fahrt zusteigen?! – Vgl auch § 1313a ABGB. | |
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OGH 14. 12. 2000, 7 Ob 151/00g, JBl 2001, 524:
Haus wird Kindern durch „Übergabevertrag” übergeben und den Eltern
ein Wohnrecht eingeräumt. Für die betagten Eltern
angestellte Pflegehelferin stürzt im Winter auf dem zum Haus führenden
Weg und verletzt sich. Sie klagt die Kinder auf vertraglichen Schadenersatz.
– OGH: Wenn ein Vertrag die Einräumung einer Wohnmöglichkeit zum
Inhalt hat und auch die Pflicht zum Freihalten und Bestreuen der
Zugangswege umfasst, so sind dadurch auch jene Personen geschützt,
die vorhersehbar diese Wege benützen; Vertrag mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter. | |
|
Die gegenwärtig
von der Rspr für diese Fallgruppe vorgenommene wertmäßige Zurechnung
überzeugt noch nicht vollends; vgl etwa JBl 1969, 553 (Hydraulikölfall
– positiv) mit JBl 1999, 461: Vertrag eines Internatsbetreibers
mit dem Schüler begründet (angeblich) keine Schutzwirkungen zugunsten
besuchender Angehöriger (zB Eltern, Geschwister, Verwandte, Freunde)
betreffend einen gefahrlosen Zugang zum Internatsgebäude (?); Verletzung
der Streupflicht – negativ. | |
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Solche
Rspr-Positionen sind wenig lebensnah und entsprechen auch nicht
dem Grundgedanken unserer Rechtsfigur. Vgl damit auch die immer
noch uneinheitlich und unbefriedigend gelösten Krankenhausbesuchsfälle;
dazu gleich unten. – Der Internatsfall zeigt, dass die Rspr (in
Fällen wie diesem oder dem Wildlederkostümfall (JBl 1986, 452, dazu
gleich unten) nicht klar die Verträge mit Schutzwirkung für Dritte
von den Drittschäden abgrenzt. | |
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SZ 53/168 (1980): Vertrag mit Schutzwirkungen
für Dritte – Flughafen Graz-Thalerhof: Eine Flughafenbetriebsgesellschaft
haftet den Flugpassagieren zwar nicht nach § 1319a ABGB, wohl aber
aus dem von ihr mit den Fluggesellschaften geschlossenen Vertrag
für die Verletzung der Streupflicht auf dem Zugang zum Flugzeug.
(OGH 11. Dezember 1980, 7 Ob 738/80). Klägerin war eine verletzte
Flugzeugpassagierin, Beklagter die Flughafenbetriebsgesellschaft.
Die Klägerin wollte am 12. Dezember 1976 vom Flughafen Graz-Thalerhof
aus mit einer Kursmaschine der AUA nach Zürich fliegen. Auf dem
Weg vom Flughafengebäude zur Maschine stürzte sie und verletzte
sich. Sie begehrt den Ersatz ihrer mit 84.062,44 S sA bewerteten
Schäden mit der Behauptung, die beklagte Flughafenbetriebsgesellschaft
habe eine ordnungsgemäße Streuung des infolge Glatteises gefährlichen
Flugfeldes unterlassen. | |
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JBl
1982, 95: §§ 1300, 1299 und 1313a ABGB:
Die Mitgliedschaft in einem Automobilklub oder
die Inanspruchnahme des Pannenhilfsdienstes, zu
dem der Klub statutengemäß verpflichtet ist, kann Schutzpflichten
des Klubs für Dritte begründen. Für eine schadenstiftende falsche
Auskunft (über die Ursache eines verdächtigen Fahrgeräusches) haftet
dieser daher vertraglich und für den Pannendienstfahrer als Erfüllungsgehilfen
auch dem dritten Eigentümer des Pkw, dessen Lenker als Mitglied
den Pannendienst angesprochen hat. – „Gegen Belohnung” in § 1300
ABGB meint die Fälle, in denen Rat und Auskunft nicht nur aus bloßer
(unverbindlicher) Gefälligkeit erteilt werden; OGH 25.3.1981, 3
Ob 594/80. | |
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SZ 14/71: Maurer wird bei Arbeiten
im Garten des „Auftraggebers” / Werkbestellers getötet. | |
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Sog Krankenhausbesuchsfälle: | |
JBl 1953, 19 (positiv – mit anfechtbarer
Begründung): Besucherin einer Heilanstalt
stürzt am Abend auf glatter Holzstiege – Leitsatz:
Der Inhaber einer Heilstätte haftet für durch mangelhafte oder gefährliche Einrichtungen
entstandene Schäden auch gegenüber dem Besuchsgaste; | |
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JBl 1985, 293 (positiv): Sohn wird
beim Besuch seines Vaters, der Patient in einer Lungenheilanstalt
war, dadurch verletzt, dass er – nach dem Besuch auf einer Bank
sitzend – von einem vom Dach der Krankenanstalt herabfallenden Biberschwanzziegel am
Kopf und an den Händen getroffen wurde; | |
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|
JBl 1986, 452 (negativ – mit schwacher Begründung): Die
Klägerin rutschte am Gang eines Krankenhauses, der zuvor mit einem
farblosen Wachsentferner gereinigt worden war (Rutschgefahr!), aus,
stürzte und beschmutzte ihr Wildlederkostüm irreperabel.
– Der Vertrag des Krankenanstaltsträgers mit dem Patienten entfaltet
– so der OGH – im Allgemeinen keine Schutzwirkungen zugunsten Dritter,
die den Patienten besuchen oder ihn bei der Aufnahme begleiten.
(?) – Die Leugnung von Verkehrssicherungspflichten für Krankenanstalten
aller Art durch den OGH ist unhaltbar und gleichheitswidrig. | |
|
|
Ein Vertrag mit
Schutzwirkung für Dritte (hier einzelne Wohnugnseigentümer) kann
bspw auch der Vertrag des WE-Organisators mit Professionisten sein;
dazu SZ 58/7 (1985) = JBl 1985, 622. | |
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|
Eine weitere Fallgruppe
des Vertrags mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter betraf früher
Aufklärungs-, Warn- oder Sorgfaltspflichten des (Produkt)Herstellers
gegenüber Endverbrauchern (vgl SZ 51/169; EvBl 1993/14; ZVR 1989/89),
die nunmehr vom PHG 1988 erfasst werden. | |
|
|
Vgl auch
ZVR 1998/5 (Kreis geschützter Personen nach § 1295 ABGB): Schutz-
und Sorgfaltspflichten des Schuldners als vertragliche Nebenpflichten
bestehen nicht nur dem Vertragspartner, sondern auch dritten Personen
gegenüber. Der Dritte erwirbt in diesem Fall unmittelbare Ansprüche
gegen den Schuldner, dieser hat gemäß § 1313a ABGB für das Verschulden
seiner Erfüllungsgehilfen einzustehen. – Der Kreis der geschützten
Dritten ist auf Grund einer umfassenden Interessenabwägung zu umgrenzen. Der
Dritte muss der vertraglichen Leistung nahe stehen. Für den Schuldner
muss der Kontakt mit der vertraglichen Hauptleistung vorhersehbar
sein. Der Kreis der geschützten Personen ist eng zu ziehen. (?)
– Beim Verkauf eines Mopeds gehört die volljährige Schwester der
minderjährigen Käuferin, die mit dieser nicht im gemeinsamen Haushalt
lebt, nicht zum geschützten Personenkreis. | |
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OGH 5. 9. 2000, 5 Ob 18/00h, JBl 2001, 227: Im
Strafprozess haftet ein gerichtlicher Sachverständiger in
Anlehnung an die Idee des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten
Dritter auch anderen als den Prozessparteien für ein mangelhaftes
Gutachten. Auf Grund des Untersuchungsgrundsatzes sind sie vom Schutzzweck
der Bestellung mitumfasst; sie können Aufwendungen, um einen falschen
Verdacht zu entkräften, über Schadenersatz geltend machen. | |
|
|
OGH 17. 8. 2000, 4 Ob 203/00g („Sturz von der Leiter”),
EvBl 2001/17: Ein Elektromonteur stürzt
in einem Rohbau von einer 4 m hohen Leiter, weil diese mit einem
Standbein in ein tiefes Loch geraten ist, welches von einem anderen
Bauunternehmen im Zuge der Betonier – und Estricharbeiten nicht
ordnungsgemäß verschlossen, sondern bloß mit einer Folie abgedeckt
worden war. Der schwer Verletzte klagt das Betonierungsunternehmen
auf Schadenersatz. – OGH bejaht Schadenersatz, da Schlechterfüllung
(hier durch das Betonierungsunternehmen) auch dann vorliege, wenn
– bei ordentlicher Erbringung der Hauptleistung – sonstige Güter
des Gläubigers verletzt werden. Auf Grund der Konstruktion des Vertrags
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter kann Elektromonteur den Schädiger
unmittelbar auf Schadenersatz ex contractu klagen. | |
|
| Abbildung 9.38: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (1) |
|
| Abbildung 9.39: Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (2) |
|
| |
Das ABGB traf –
im Gegensatz zum ALR, das eine ausdrückliche Regelung enthielt (vgl
Kasten), scheinbar keine gesetzliche Anordnung über Drittschäden.
Es sei denn, man versteht – was wohl von Martini und vielleicht
auch noch von Zeiller beabsichtigt war – die weite Formulierung
des
§ 1295 Abs 1 ABGB: „Jedermann ist berechtigt, ...”
als einen derartigen Versuch. Das wird aber von Rspr und Schrifttum
weitgehend abgelehnt. Das kodifikationsgeschichtliche Versäumnis
des ABGB-Gesetzgebers wird von der Rspr mühsam in Einzelfällen und
Fallgruppenbildung nachzuholen versucht. – Das berechtigte Anliegen
von Rspr und Schrifttum, Schadenersatzansprüche nicht ausufern
zu lassen, könnte aber auch bei grundsätzlicher Anerkennung
der Drittschäden erreicht werden. | Kein
Ausufern von Schadenersatzansprüchen |
Vgl
dazu auch die Ausführungen zum Vermögensschaden → Vermögensschäden –
Zur Lex Aquilia
→ Die
rechtshistorische Bedeutung der lex Aquilia –
Dritt- oder mittelbare Schäden werden von der Rspr grundsätzlich
nicht, vielmehr nur – abgesehen von jenen Fällen, in denen der Gesetzgeber
wie in § 1327 ABGB einen solchen Ersatz ausdrücklich anordnet –
ausnahmsweise ersetzt, wobei eine überzeugende Linie bislang nicht
gefunden werden konnte. Die Rspr tastet sich von Fallgruppe zu Fallgruppe voran,
wobei die vergangenen 25 Jahre beträchtliche Änderungen und Verbesserungen
gebracht haben. – Ersetzt werden aber bis heute grundsätzlich nur
unmittelbare Schäden. | |
Der
OGH umschreibt seine Position zum Drittschaden folgendermaßen: „Mittelbar
ist ein Schaden dann, wenn er nicht in der Richtung des Angriffs,
sondern in Folge einer Seitenwirkung in einer Interessensphäre eintritt,
die nicht durch das Verbot des Angriffs geschützt ist”; SZ 34/112,
JBl 1966, 86; EvBl 1966/305 uam. – Gemeint ist damit, dass ein Schädiger
nicht alle Folgen eines Schadens zu ersetzen verpflichtet sein soll,
sondern nur jene, die der Normzweck der übertretenen Norm ( → Lehre
vom Schutzzweck der (verletzten) Norm – Rechtmäßiges Alternativverhalten)
verhindern wollte. Über den Umfang des Normzwecks lässt sich aber
trefflich streiten, mag sich auch das Verständnis in den letzten
Jahrzehnten zum Teil wesentlich (zu mehr Lebensnähe) verschoben
haben; dazu gleich mehr. | „Mittelbar ist
ein
Schaden …“ |
| |
Die hA legt das „Jedermann
...” des § 1295 ABGB eng aus. Die weite Fassung des Gesetzes wird einschränkend
im iSv „jeder unmittelbar Geschädigte” interpretiert. – Die Anordnung
eines ausdrücklich gesetzlichen Drittschadensersatzes enthalten
§ 1327 ABGB und § 12 EKHG. |
§ 1295
ABGB: „Jedermann …“ |
Diese Anordnung wäre nach
hA überflüssig, lägen Drittschäden innerhalb des Bereichs des vom
Gesetzgeber gewollten normativen Schadensbegriffs. Dieses Argument
taugt aber nicht allzu viel, und lässt die Entstehungsgeschichte
unseres Schadenersatzrechts außer Acht. ME wollte § 1327 ABGB nur
die praktisch wichtigste Gruppe einer bestimmten Kategorie von Ersatzleistungen
herausheben, nicht aber andere Drittschäden ausschließen; vgl Barta,
in: Barta/Palme/Ingenhaeff (Hg), Naturrecht und Privatrechtskodifikation
377 f und 401 f (1999). | |
Das ALR hat versucht, die Drittschadensproblematik mittels
einer Unterscheidung zwischen unmittelbaren und mittelbaren Schäden
zu lösen. Diese Unterscheidung findet auch heute noch Verwendung.
Weiter sind wir auch heute noch nicht. – Im ABGB erinnert noch das
„Jedermann” in § 1295 daran. | |
|
ALR I 6 § 2 | |
„Wird ein ... [Schade] durch eine Handlung oder
Unterlassung unmittelbar und zunächst bewirkt, so wird der Schade
selbst unmittelbar genannt.” | |
|
|
ALR I 6 § 3 | |
„Entsteht der Nachtheil zwar aus der Handlung
oder Unterlassung, jedoch nur in Verbindung derselben, mit einem
andern von ihr verschiedenen Ereignisse, oder mit einer nicht gewöhnlichen
Beschaffenheit der Person oder Sache, so ist ein mittelbarer Schade
vorhanden.” | |
|
§
4 leg cit behandelt – nicht zufällig – den Zufall, was zeigt, das
vom unmittelbaren, über den mittelbaren und schließlich zum Zufallsschaden
eine Zurechnungslinie verläuft; eine Einsicht die im modernen Privatrecht
in Vergessenheit geraten ist! | |
Darüber
hinaus schränkt die Rspr den Drittschadenersatz stark ein. Die Argumente
zur Einschränkung von Drittschäden überzeugen dabei nur zum Teil: | Argumente zur Einschränkung von Drittschäden |
• So, wenn argumentiert
wird, dass andernfalls die Ersatzpflicht „uferlos” ausgeweitet würde
und – darüber hinaus | |
• schon bei leichter Fahrlässigkeit des Schädigers
es zu einer existenzgefährdenden Schadenersatzsumme für
den Schädiger kommen könne. – Diese Argumente sind zwar ernst zu
nehmen, sollten aber künftig nicht bloß der Ablehnung von Ansprüchen
dienen. | |
Unbefriedigend
bleiben bspw die sog Leasingfälle; vgl JBl 1985, 231 (Anm Apathy):
§ 1295 ABGB – Der obligatorisch berechtigte Leasingnehmer genießt
keinen absoluten Schutz. Bei Beschädigung der Leasingsache ist er (bloß)
mittelbar Geschädigter und nur der Eigentümer des Leasingobjekts
ersatzberechtigt. Es liegt keine Schadensverlagerung vom Leasinggeber
auf den Leasingnehmer vor, wenn die Leasingraten während der Zeit
der Unbenützbarkeit (zB des Kfz) weiterzuzahlen sind. (?) – In diesem
Sinne auch JBl 1996, 114 (Anm Lukas); JBl 1994, 121 oder ecolex
1993, 379 (Anm Brell). – Als Vorbild einer Lösung könnte das Zuerkennen
von Schadenersatzansprüchen an den Leasingnehmer und den Leasinggeber
– nach dem Vorbild des Eigentumsvorbehalts – dienen → KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt
als Warensicherungsmittel. | Leasingfälle |
Richtungweisend für die Rspr
erscheint zutreffenderweise die Orientierung an der Lehre vom Schutzzweck
der Norm ( → Lehre
vom Schutzzweck der (verletzten) Norm – Rechtmäßiges Alternativverhalten), die auf der einen Seite ein Ausufern
des Ersatzes zu verhindern vermag, andrerseits aber auch ein Umdenken
ermöglicht. Das hat die Rspr in den letzten Jahren (in mancher Hinsicht)
auch getan. Der Adaptierungsprozess ist aber noch nicht abgeschlossen.
Vgl jedoch folgende E: | Orientierung
am Schutzzweck der Norm |
|
OGH 25. 6. 2002, 1 Ob 147/02b, JBl 2003, 46:
Banküberfall –
Täter flieht mit Fahrschulfahrzeug. Im Zuge der Verfolgungsjagd
durch die Polizei wird das Fahrschulauto durch Schüsse beschädigt.
Diesen Schaden und weitere Schäden durch die Nichtverwendbarkeit
des Fahrzeugs für 37 Tage werden von der Fahrschule eingeklagt.
– OGH prüft den Schutzzweckumfang des Polizeibefugnis-EntschädigungsG
und kommt zum Ergebnis, dass auch die Schäden der Fahrschule darin
Platz haben. Das G normiere nämlich eine Ersatzpflicht für den gesamten
positiven Schaden des unmittelbar Geschädigten. | |
|
Auch nach der Rspr soll der Schädiger
nicht ungebührlich entlastet werden; insbesondere dann nicht,
wenn er dem Schaden”näher steht”,
als der am (unmittelbaren) Schadensgeschehen unbeteiligte Dritte.
– Das wird nunmehr in den sog Schadensverlagerungsfällen anerkannt,
bei denen auf Grund bestehender besonderer Rechtsverhältnisse nicht
der „unmittelbar” Geschädigte, sondern der hinter diesem Stehende
bloß „mittelbar” Geschädigte den Schaden (wirtschaftlich) zu tragen
hat: | Welche Drittschäden werden
(bislang) ersetzt? |
|
Das trifft insbesondere
auf die Lohnfortzahlungsfälle zu: Bis 1994 wurde
der Schaden eines Arbeitgebers – dessen Arbeitnehmer zB bei einem
Verkehrsunfall körperlich verletzt worden war, was Arbeitsunfähigkeit
nach sich zog –, der dadurch entstand, daß er den Lohn zB nach §
1154b ABGB, § 8 AngG oder dem EFZG weiterzahlen musste, ohne eine
Arbeitsleistung des verletzten Arbeitnehmers zu erhalten (JBl 1978,
209), nicht ersetzt. – Nunmehr wird (EvBl
1994/135 = ZVR 1994/87) ein solcher Dienstgeberschaden ersetzt.
Der OGH nimmt an, daß hier der unmittelbare Schaden des Dienstnehmers
aufgrund bestehender gesetzlicher Vorschriften auf den Dienstgeber
„verlagert” wird und der Schädiger daher dem Dienstgeber den auf
ihn überwälzten Schaden zu ersetzen habe. | |
|
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Auch
in der Fallgruppe der sog Schockschäden dritter Personen,
hat der OGH mittlerweile seine Meinung geändert; vgl ZVR 1995/46: Angstneurose eines
Kleinkinds, dessen Mutter bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt
wird und einige Wochen im Krankenhaus verbringen muss; das gilt
auch für die Trauerschadenfälle
→ Schockschäden
dritter Personen
| |
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Schon früher ersetzt
wurden bspw folgende Fallkonstellationen: | |
Verkauf eines schlecht reparierten Fahrzeugs,
weshalb der Schaden erst nach dem Verkauf beim Käufer auftritt.
Der OGH gewährte dem Käufer eine (deliktische!?) Schadenersatzklage
gegen die Werkstätte; SZ 58/202 (1985) =
EvBl 1986/126. | |
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SZ 64/140 (1991): Wird eine „reifende
Sache” beschädigt, kann der Käufer den Schaden an dieser
Sache selbst geltend machen. | |
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Dasselbe gilt,
wenn der Schenker noch Eigentümer der verschenkten
Sache ist, der Beschenkte aber den Verlust oder die Beschädigung
der Sache zu tragen hat; SZ 58/202. | |
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Wichtige weitere
Drittschadensfälle – sog Stromkabelfälle | |
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JBl 1973, 581: Bauer beschädigt
beim Baumfällen Starkstromleitung: In der Nachbarschaft
wurden dadurch Elektrogeräte beschädigt, zB Fernseher und Tiefkühltruhen.
Anders als im späteren Chemie Kundl-Fall ersetzte der OGH hier den
entstandenen Geräteschaden eines Rentners (und nicht nur den Leitungsschaden
der Post). | |
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|
JBl 1976, 210: Chemie Kundl-Fall –
Baggerfahrer beschädigt im Rahmen von Bau(aushub)arbeiten Stromkabel:
Der Stromausfall führte zur Vernichtung von Bakterienkulturen. Ersetzt
wird zwar der Schaden der Post am Stromkabel, nicht aber jener des
Chemie-Unternehmens. | |
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ZVR 1998/13 (§ 1327 ABGB, § 12
Abs 2 EKHG): Die Verpflichtung zur Zahlung von Kreditraten,
die den für den Kredit solidarisch haftenden Ehegatten nach dem
Unfallstod des andern Ehegatten allein trifft, stellt einen mittelbaren
Schaden (?) dar, der vom Schädiger nicht zu ersetzen ist. Ein Fall
bloßer Schadensverlagerung liegt hier nach Ansicht des OGH nicht
vor. | |
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JBl 1984, 262: Zur Abgrenzung von
unmittelbarem und mittelbarem Schaden. Kläger = Gesellschafter einer
GmbH, der bei einem Verkehrsunfall verletzt wird. Erstbeklagter
= Pkw-Lenker, Zweitbeklagter = Pkw-Haftpflichtversicher. – Ein zu
ersetzender unmittelbarer Schaden des geschäftsführenden
Gesellschafters einer GmbH ist es, wenn durch den verletzungsbedingten
Ausfall von dessen Arbeitskraft die GmbH einen Gewinnausfall erleidet
und so der Gewinnanteil des Verletzten geschmälert wird. Die GmbH selbst
ist nur mittelbar geschädigt. – Zur Zulässigkeit des Indizienbeweises. | |
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| Abbildung 9.40: Dritt- oder mittelbarer Schaden (1) |
|
| Abbildung 9.41: Dritt- oder mittelbarer Schaden (2) |
|
| Abbildung 9.42: Dritt- oder mittelbarer Schaden (3) |
|
| Abbildung 9.43: Dritt- oder mittelbarer Schaden (4) |
|
B. Die
Gefährdungshaftung |
| |
| |
1. Verschuldens-
und Nichtverschuldenshaftungen | |
Neben der Verschuldenshaftung
kennt unsere (Privat)Rechtsordnung – als zweite große Gruppe von
Haftungstatbeständen – auch Nichtverschuldenshaftungen; sie verzichtet
dann grundsätzlich auf das Kriterium des Verschuldens als Haftungsvoraussetzung.
Aber auch die Rechtswidrigkeit entfällt dabei als Haftungsvoraussetzung,
denn der „gefährliche Betrieb” und eine daraus erfolgende Schädigung
wird nicht rechtswidrig zugefügt. – Der Begriff „Nichtverschuldenshaftung” umfasst
als Oberbegriff alle Haftungsarten außer der Verschuldenshaftung.
Hierher gehören: | |
Unter Gefährdungshaftung /
strict liability wird jede Haftung für eine typische – idR technische –
Betriebsgefahr verstanden; zB die im EKHG zusammengefassten Betriebsgefahren
für Eisenbahnen und Kraftfahrzeuge oder die Haftung für Flugzeuge,
Rohrleitungen und Atomkraftwerke; vgl nunmehr AtomHG 1999, BGBl
I 170/1998. Aber auch das Berg(bau)recht und das Wasserrecht sind
hier zu erwähnen; vgl → Neue
privatrechtliche Gefährdungshaftungen,
Folie: Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 356. Die Haftung für
Bergschäden ist bspw in den §§ 160 ff MinroG 1999 geregelt. Nach
§ 161 MinroG haftet für den Ersatz von Bergschäden grundsätzlich
der Bergbauberechtigte. | Gefährdungshaftung
/ strict liability |
Die Gefährdungshaftung fragt nur nach der Verursachung
des Schadens, nicht nach subjektivem oder objektivem Verschulden
oder einer Sorgfaltswidrigkeit. Darin liegt sowohl eine Entlastung des
Gerichts, wie eine gewisse Besserstellung Geschädigter, zumal diese
keinen Verschuldensbeweis führen müssen. | |
Manch interessante Überlegung zu Gefährdungs-
und Verschuldenshaftungen findet sich in Publikationen, die der Economic
Analysis of (Accident) Law verpflichtet sind. | |
Von Erfolgs- oder Kausalhaftung
wird dann gesprochen, wenn schlicht für einen geschaffenen / eingetretenen
– kausal zu vertretenden – Erfolg einzustehen ist, und zwar ohne
Verschulden als Zurechnungsvoraussetzung, und ohne Zusammenhang
mit einer typischen Betriebsgefahr. Eine solche Kausal- oder Erfolgshaftung
statuiert das ABGB bspw für den Schuldner- und Gläubigerverzug,
die Gewährleistung und den Irrtum. | Erfolgs-
oder
Kausalhaftung |
Historisch-frühe Haftungen waren Erfolgshaftungen.
Zur Entwicklung von der frühen Erfolgs- zur Verschuldenshaftung
im alten Griechenland: Barta, „Graeca non leguntur”? – Zum Ursprung
des europäischen Rechtsdenkens im antiken Griechenland (in Vorbereitung:
2005). | |
Daneben wird als weitere
Gruppe die sog Eingriffshaftung unterschieden,
worunter eine Haftung trotz rechtmäßiger Inanspruchnahme fremder
Güter verstanden wird. Wie die Gefährdungshaftung, hat auch dieser
Haftungstypus keine generelle (gesetzliche) Regelung erfahren. | |
| |
Als vierte Gruppe
ist schließlich die sog Billigkeitshaftung, auch
Prinzip der sozialen Schadenstragung (§ 1310 ABGB, § 2 D[N]HG) genannt,
zu erwähnen → KAPITEL 10: Der
sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB. – Die Begründung des Ersatzes nach § 1310
ABGB, der auf K. A. v. Martini zurückgeht, war aber eine andere,
scheint aber mittlerweile in Vergessenheit geraten zu sein; vgl
Entwurf Martini III 13 § 46: | |
„ … weil jedoch der Schadenersatz auf das
[vom Vernunftrechtsdenken angenommene] Vertheidigungsrecht … sich gründet.” | |
In der Folge wird
näher auf die Gefährdungshaftung eingegangen. Zu den Argumenten
für eine Gefährdungshaftung → Was
spricht für eine Gefährdungshaftung? –
Schon das ABGB kennt nicht nur den Typus der Verschuldenshaftung:
Es weicht vielmehr selbst mehrfach vom Prinzip der Verschuldenshaftung
ab – und dies in unterschiedlicher Weise. Beispiele finden sich
in den §§ 1318 und 1319 ABGB, nach mancher Ansicht auch in § 1320
ABGB (vgl jedoch → KAPITEL 10: Die
Tierhalterhaftung), ferner in den objektiven Schuldner- und
Gläubigerverzugsregeln der §§ 1333, 1334 + 1419 ABGB, dem objektiven
Einstehenmüssen für Sach- und Rechtsmängel (§§ 922 ff ABGB) oder
der Haftung für fremdes Verschulden im Rahmen der sog Gehilfenhaftung → KAPITEL 10: Die
Gehilfenhaftung.
Vgl dazu die Ausführungen am Beginn dieses Kapitels. | |
| Abbildung 9.44: Haftungssysteme |
|
2. Die moderne
Gefährdungshaftung | |
Die moderne Gefährdungshaftung ist eine
Antwort des Rechtsdenkens auf die rasante wirtschaftlich-technische
Entwicklung im 19. und 20. Jahrhundert. Die Industrielle Revolution ( → KAPITEL 1: Industrielle
Revolution)
verschärft die rechtliche Haftungsfrage drastisch durch eine Potenzierung
bisheriger gewerblicher und industrieller Gefahrenquellen; etwa
epidemischer Eisenbahnbau seit der Mitte des 19. Jhd und explosionsartige
Entwicklung von Gewerbe und Industrie mit der Folge, dass sich nicht
nur viel mehr, sondern auch viel schwerere und neue Arten von Unfällen
ereignen. Das erzwang eine neue Antwort des Rechts auf diese neuen
Gefahrenquellen und die Antwort hieß: verschuldensunabhängige (Gefährdungs)Haftung
dessen, der sich dieser Gefahren zu seinem wirtschaftlichen Vorteil
bediente; Prinzip: Guter Tropfen, böser Tropfen. | Guter
Tropfen,
böser Tropfen |
Die erste
explizite moderne Regelung einer Gefährdungshaftung trifft das Preußische
EisenbahnG 1838 für Eisenbahnen, die damit künftig – bald auch in
anderen Ländern – einer Gefährdungshaftung unterliegen. – Dieser
rechtliche Paradigmenwechsel von der Verschuldens- zur Gefährdungshaftung
war heiß umkämpft. Die Galionsfigur des privatrechtlichen Widerstands
gegen diese Neuerung war Rudolph v. Ihering; vgl sein Motto am Beginn
dieses Kapitels. | Paradigmenwechsel
von der Verschuldens- zur Gefährdungshaftung |
| |
| Markstein: Bismarcksche Arbeiter(unfall)ver-sicherung |
| Abbildung .45: Entwicklung der Gefährdungshaftung (1)-(10) |
|
Das Privatrecht und seine Wissenschaft versagte dabei, was
zur Folge hatte, dass der breite gesellschaftliche Durchbruch dieser
neuen und zukunftsträchtigen Idee nicht im Privatrecht, sondern schließlich
im (noch jungen) flexibleren öffentlichen Recht erfolgte; Bismarcksche
Arbeiterversicherung, insbesondere die gesetzliche Unfallversicherung
1884, der Österreich 1887 folgte. Es kam dabei zu einem doppelten
Paradigmenwechsel: Einerseits löste die neue Gefährdungshaftung
die herkömmliche Verschuldenshaftung im gewerblich-industriellen
Bereich (für die Beziehung Arbeitgeber – Arbeitnehmer: Arbeitsunfälle!)
zugunsten einer öffentlichrechtlichen Gefährdungshaftung ab; und
andrerseits kam es zu einer Haftungsverlagerung für diesen Bereich
vom Privatrecht ins öffentliche Recht. Damit folgte die Rechtsentwicklung
– wenn auch zögernd – der vorangegangenen technisch-industriellen
Entwicklung. Ich habe versucht diese rechtsgeschichtlich wichtige
Entwicklung nachzuzeichnen: Barta, Kausalitä im Sozialrecht (1983). | |
| |
3. Was
spricht für eine Gefährdungshaftung? | |
Der Gesetzgeber gestattet
die Nutzung / den Betrieb bestimmter Gefahrenquellen unter der Voraussetzung,
dass der, der diese Gefahrenquelle wirtschaftlich nutzt, also Vorteil
daraus zieht, auch für einen allenfalls daraus entstehenden Schaden
an Menschen oder Sachen / Vermögen aufzukommen hat; uzw selbst dann,
wenn der Schaden unverschuldet zugefügt worden sein sollte. Dies,
weil realistisch davon auszugehen ist, dass die jeweilige Betriebsgefahr
nur mehr oder weniger, nicht aber vollständig beherrscht wird; vgl
RHG, EKHG, PHG, GTG. – Zu dem bei Gefährdungshaftungen für die Schadenszurechnung
wichtigen weiten und differenzierten „Halterbegriff” iwS; § 5 EKHG → §
5 EKHG: Haftung von Betriebsunternehmer und Halter
| Betrieb
bestimmter Gefahrenquellen |
Rechtspolitische
Überlegungen zur Einführung einer Haftungsablöse durch eine weitgehende
Nichtverschuldensregelung für den Medizinbereich oder
die Umwelthaftung bei Barta,
Medizinhaftung (1995; 11 insbesondere 16) sowie: Grazer Thesen für
eine neue Medizinhaftung, in: VR 1997, 14 und in: Juridikum 1995,
Nr 5, Seite 12 [gemeinsam mit W. Hengl]) und jüngst, in: Aktuelle
Entwicklungen im Schadenersatzrecht, Vorträge bei der Richterwoche
2002/Kufstein, 101 ff. Vgl nunmehr auch meinen Gesetzesentwurf für
ein Medizinhaftungsgesetz / MedHG – Internet: http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/
| Medizinsektor und Umwelthaftung
warten auf eine zeitgemässe Haftungsablöse |
Die gefährliche
Tätigkeit erfolgt demnach gesetzlich „erlaubt”, sie ist also nicht
rechtswidrig. Als Nicht-Verschuldenshaftung ist auch ein Verschulden
des Betreibers der Betriebsgefahr / Gefahrenquelle keine Haftungsvoraussetzung,
wenn ein typischer Schaden eintritt. – Verschulden kann aber zur
Betriebsgefahr hinzutreten; vgl § 19 EKHG → §
19 EKHG: Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts
| Erlaubte
Tätigkeiten sind nicht rechtswidrig |
Die vier allgemeinen Schadenersatzvoraussetzungen
(Schaden, Kausalität, Verschulden und Rechtswidrigkeit) reduzieren
sich bei der Gefährdungshaftung auf zwei: Schaden und Kausalität! | |
Die häufig schwierige Beweiserbringung (Kausalität)
durch Geschädigte im Bereich von Gefährdungshaftungen hat in der
jüngsten Vergangenheit zu gesetzlichen Beweiserleichterungen durch Verursachungsvermutungen und Auskunftsansprüche für
Geschädigte geführt. Das Modell dafür lieferten andere Länder; zB
Japan. | Beweiserleichterungen
etc |
4. Neue
privatrechtliche Gefährdungshaftungen | |
Nach dem breiten Durchbruch der Idee
der Gefährdungshaftung im Bereich des öffentlichen und zuvor schon
des Eisenbahnrechts schuf auch das Privatrecht sukzessiv
für neue Gefahrenquellen verschuldensunabhängige Haftungen nach
dem Vorbild der Eisenbahnhaftung: zB für Elektrizität oder Gas (RHG
1871), Auto, Flugzeug, Atomkraft, Rohrleitungen, Gentechnik,
wobei die Entwicklung bis heute anhält und nicht immer allein dem
Privatrecht zugeordnet werden kann. Hierher gehört auch die Produkthaftung /
PHG → KAPITEL 7: Produkthaftung
¿ PHG 1988. | Privatrecht
musste nachziehen |
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| Abbildung .46: Entwicklung
der Gefährdungs- und Nichtverschuldenshaftung in Österreich |
|
5. Fehlende Generalklausel
für Gefährdungshaftungen | |
Das
österreichische Privatrecht kennt bis heute – wie auch das deutsche
– keinen allgemeinen Gefährdungshaftungstatbestand, keine
Gefährdungshaftungs- Generalklausel, sondern
regelt die unterschiedlichen Möglichkeiten / Formen verschuldensunabhängiger
Betriebsgefahren in jeweils eigenen Einzelgesetzen Folie: Entwicklung
der Gefährdungshaftung → Entwicklung
der Gefährdungs- und Nichtverschuldenshaftung in Österreich.
Anders als in Deutschland ergänzte der OGH aber in Einzelfällen
fehlende gesetzliche Gefährdungshaftungstatbestände im Wege der
Analogie zu bestehenden gesetzlichen Tatbeständen; sog Analogiepraxis
→ Entscheidungsbeispiele
zur Analogiepraxis Gesetzgebung
und Rspr ergänzten sich also in Österreich im Rahmen der Entstehung
der modernen Gefährdungshaftung. | |
Eine neue Möglichkeit der Analogiepraxis für
die Rspr böten – mangels Tätigwerdens des Gesetzgebers – Umweltschäden,
wie schwierige Medizinhaftungsfälle; bspw Schäden
bei telemedizinischen Eingriffen. | |
6. Entscheidungsbeispiele
zur Analogiepraxis | |
Entscheidungsbeispiele
für die Analogiepraxis des OGH, mit der neue verschuldensunabhängige Haftungen
für Betriebsgefahr (ohne gesetzliche Grundlage, vielmehr durch Richterrecht) geschaffen
wurden. Dazu → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung. | Richterrecht |
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Bejahend: | |
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SZ 26/75 (1953): Sesselliftunfall
– OGH behandelt Sessellift wie eine Eisenbahn. In der Folge werden
Sessellifte ins EKHG einbezogen! Für Schlepplifte erfolgt dieser
Schritt erst 1977. Der Gesetzgeber sah sich gezwungen, die entwicklungsmäßig
vorausgeeilte Rspr „einzufangen”. | |
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|
SZ
31/26 (1958): Magnesitwerk emittiert schädliche
(aber zulässige) Rauchgase, wodurch ein Zirkuszelt beschädigt wurde.
Der OGH erblickte im Magnesitwerk einen gefährlichen Betrieb und
entschädigt den Schaden. | |
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SZ
46/36 (1973): Abbrennen eines Feuerwerks
– Abschießen von Feuerwerkskörpern / „Raketen” → KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
E-Beispiele. | |
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|
OGH 20. 6. 2002, 2 Ob 142/01y, EvBl 2002/191: Auf
dem Güterweg einer Güterwegsgenossenschaft, die zu einer Landwirtschaft
und Schützhütte („D-Älpele”) führt, ereignet sich ein Rodelunfall.
Der Rodler stieß mit einem motorbetriebenen Transportschlitten zusammen,
der Proviant und Gepäck der Gäste zur Schutzhütte brachte. Der am
Knie Verletzte klagt die Halterin des Schlittens auf Schadenersatz.
Beklagter wendet ein, dass das EKHG nicht zur Anwendung komme. –
OGH: Wird ein Motorschlitten (Skidoo) auf Straßen mit öffentlichem
Verkehr verwendet, sind auf ihn die Bestimmungen des EKHG anzuwenden. OGH
nimmt aber Mitverschulden des Rodlers an. (Eingehende Prüfung der
Kfz-Voraussetzungen nach KFG.) | |
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Abgelehnt wurde
vom OGH eine analoge Anwendung der gesetzlichen Gefährdungshaftungsregeln
bspw in folgenden Fällen (dh hier wurde die „normale” Verschuldenshaftung
bejaht): | |
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SZ
26/255 (1953): Motorradrennen; – SZ 44/182 (1971):
Caterpiller; | |
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JBl
1981, 371: Steinbruch, Bauunternehmen /
Felssturz; | |
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|EvBl
1982/129: Autodrom; | |
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JBl
1985, 556: Sturmboot (Wiener Prater) → KAPITEL 10: Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
Fälle zum Schadenersatzrecht; | |
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JBl
1986, 525: Planierraupe; | |
|
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JBl
1986, 520: Motorboot; | |
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ZVR
1985/157 (OLG Innsbruck), ZVR 1988/7 (OGH), ZVR 1995/30 (OGH), ZVR
1997/65 (OGH) Pistenraupe; EvBl 2002/181: Baggerbetrieb. | |
|
II. Das
EKHG als Beispiel | |
In der Folge wird
als praktisch wichtigstes Beispiel einer Gefährdungshaftung das
EKHG 1959, BGBl 48 kurz vorgestellt. | |
| |
1. § 1 EKHG: Unfälle
beim Betrieb | |
„Wird
durch einen Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn oder beim Betrieb
eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an
seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist der
hieraus entstehende Schaden gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes
zu ersetzen.” (§ 1 EKHG) | |
Die Textierung
des § 1 EKHG schließt „reine” Vermögensschäden aus;
dazu → Vermögensschäden – Gleiches gilt für das PHG. | |
Gehaftet
wird danach für: „ Unfälle” (das sind plötzlich
[von außen her] auf den Körper oder auf Sachen einwirkende schädigende
Ereignisse) ”beim Betrieb” einer Eisenbahn oder
eines Kraftfahrzeugs. Dazu gleich mehr → §
2 Abs 2 EKHG: Haftung für Betriebsgefahr
| Unfallbegriff |
Zum
Unfallbegriff – Barta,
ZAS 1973, 170. | „beim Betrieb” |
|
SZ 27/218 (1954): Ein Unfall
beim Betrieb zweier Kfz ist auch dann anzunehmen, wenn
sie sich nicht berührt haben, das Verhalten des einen aber das des
andern beeinflusst hat. | |
|
|
OGH 5. 6. 2001, 2 Ob 214/01m, EvBl 2002/181:
Beim Abladen von Stahlplatten aus einem Lkw mittels einer
an einem Bagger montierten Kette wird der Lkw-Fahrer am Kopf getroffen
und schwer verletzt. Der (zur Leistung herangezogene) Haftpflichtversicherer
des Lkw will beim Beklagten (Baggerunternehmen) Regress nehmen.
– OGH verneint Anwendbarkeit des EKHG, da das Kriterium „beim Betrieb”
iSd § 1 EKHG nicht erfüllt sei. – Die analoge Anwendung der EKHG-Bestimmungen
auf den Baggerbetrieb („Analogiepraxis”) wird nicht
in Erwägung gezogen, obwohl der Fall anschaulich dokumentiert, wie
gefährlich der Baggerbetrieb auch ohne Zusammenhang mit der Fortbewegungsgeschwindigkeit
ist. Eine ähnliche Problematik besteht bei Pistenplanierungsgeräten.
Künftige Analogieschlüsse dürften nicht nur auf die Fortbewegungsgeschwindigkeit
abstellen! | |
|
Das EKHG gelangt auch zur
Anwendung, wenn bspw ein Busfahrer während der
Fahrt eine Herzattacke erleidet und dadurch einen
Unfall verursacht, wodurch Passagiere verletzt werden. – Die Halterhaftung
greift, obwohl weder den Fahrer, noch den Halter (noch einen Dritten) Verschulden
am Eintritt des Unfalls trifft. | Beispiel |
| Abbildung 9.47: Verkehrsunfälle in Österreich |
|
| Abbildung 9.48: Verkehrsunfälle in Deutschland |
|
2. § 2 Abs 1 EKHG:
Begriff der Eisenbahn | |
| |
| |
3. §
2 Abs 2 EKHG: Haftung für Betriebsgefahr | |
Das
EKHG regelt die Haftung für Schäden, die durch ein Kfz oder eine
Eisenbahn verursacht wurden. Es handelt sich um eine Haftung für
sog Betriebsgefahr, eine Gefährdungs- oder Nichtverschuldenshaftung.
Für Eisenbahnen haftet der Betriebsunternehmer, für Kfz der Halter. | |
Die
(Kfz-)Halterhaftung wurde der Tierhalterhaftung des
§ 1320 ABGB nachgebildet und auf immer weitere Bereiche ausgedehnt:
Eisenbahnen ieS, Seilbahnen, Sessel- und Schlepplifte, Kraftfahr-
und Luftfahrzeuge, Atomkraftwerke, Rohrleitungen. Vgl auch die Wegehalterhaftung
des § 1319a ABGB (Verschuldenshaftung!) und die §§ 1318, 1319 ABGB
(Wohnungs- und Gebäudehalter; unterschiedliche Haftungsvoraussetzungen). | |
Der Begriff des Kraftfahrzeugs ist
iSd KFG 1967 auszulegen. – Soweit sich aus dem EKHG nichts anderes
ergibt, ist das Gesetz auf Kraftfahrzeuge nicht anzuwenden, bei
denen nach ihrer Bauart und ihrer Ausrüstung nicht dauernd gewährleistet
ist, dass mit ihnen auf gerader, waagrechter Fahrbahn bei Windstille
eine Geschwindigkeit von 10 km in der Stunde überschritten werden
kann; das trifft bspw nicht zu auf bestimmte Traktoren, Mähdrescher,
Pistenfahrzeuge udglm. | Begriff
des Kraftfahrzeugs |
|
ZVR
1998/18 mwH: Das EKHG ist auf einen Rasenmähtraktor nicht
anzuwenden, weil nur Straßenfahrzeuge als Kfz angesehen werden.
Auch die Vorschrift des § 19 Abs 2 EKHG ( → §
19 EKHG: Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts)
gilt nur für die unter den Anwendungsbereich des EKHG fallenden
Kfz. – Überschreitet ein Rasenmähtraktor die Geschwindigkeit von
10 km/h nicht, scheidet auch eine analoge Anwendung des EKHG aus.
– Auch wenn es gelegentlich vorkommt, dass durch einen Rasenmäher
– wie den hier verwendeten – Steine weggeschleudert werden, was
hier zur Verletzung eines Fußgängers führte, kann nicht gesagt werden,
dass diese Gefahr nach der Art des Betriebes regelmäßig und ganz
allgemein vorhanden ist. Es besteht auch nicht die Gefahr eines
ganz außergewöhnlichen Schadens, sodass eine Gesamtanalogie nach
§ 7 ABGB zu den Bestimmungen über die gefährlichen Betriebe überhaupt
(Gefährdungs- und Eingriffshaftungen) ausscheidet. | |
|
| |
Ein
Unfall / Schaden ist beim Betrieb eines/r Kraftfahrzeugs / Eisenbahn
eingetreten, wenn zwischen Unfall und Betrieb ein adäquater Kausalzusammenhang
/ Gefahrenzusammenhang besteht, der angenommen wird, wenn der Unfall
mit der Gefährlichkeit von Eisenbahn oder Kraftfahrzeug zusammenhängt;
Haftung für (typische) Betriebsgefahren. Zur Adäquanz → Adäquanzkonzept
| Kausalzusammenhang |
Ein
Zusammenhang mit dem Betriebsvorgang einer Eisenbahn wird von der
Rspr auch für Unfälle beim Ein- und Aussteigen angenommen. Ein Unfall
beim Betrieb wird auch dann angenommen, wenn ein Kraftfahrzeug im
Unfallzeitpunkt nicht mehr in Bewegung ist: Der OGH stellt nämlich beim
Beurteilen der Kraftfahrzeugbetriebsgefahr nicht nur auf den sog maschinentechnischen Standpunkt ab,
sondern beachtet auch verkehrstechnische Gesichtspunkte.
So gelten etwa gefährlich abgestellte Kraftfahrzeuge – zB unbeleuchtete
oder auf einem Eisenbahnübergang oder auf einem Autobahnfahrstreifen
oder beim Auftanken abgestellte, allenfalls auch Unfälle beim Be- oder
Entladen, wenn dadurch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet werden
– als noch im Betrieb. Ebenso, wenn bspw ausgeflossenes Öl eine
Straße verschmutzt. – Auch diese „Fälle” findet das EKHG Anwendung. | Verkehrstechnische Gesichtspunkte |
| |
4. § 3 Abs 1 EKHG:
Gesetzliche Ausnahmen | |
Im Falle der Tötung oder
Verletzung eines durch eine Eisenbahn oder ein Kraftfahrzeug beförderten
Menschen ist das EKHG hinsichtlich der befördernden Eisenbahn oder
des befördernden Kraftfahrzeugs insofern nicht anzuwenden, wenn
der Verletzte zur Zeit des Unfalls entweder: | Keine
Anwendung des EKHG auf ... |
•
zB als „blinder
Passagier” oder | |
• „Autostopper” befördert wurde
(Näheres im Gesetz!) oder als | |
• eine beim Betrieb tätige Person (zB
Schaffner, Lokführer, Buslenker) befördert wurde; vgl etwa ZVR 1998/9. | |
5. §
5 EKHG: Haftung von Betriebsunternehmer und Halter | |
Für den Ersatz
der im § 1 bezeichneten Schäden haftet bei der Eisenbahn der Betriebsunternehmer,
beim Kraftfahrzeug der Halter. Mehrere Betriebsunternehmer
derselben Eisenbahn und mehrere Halter desselben Kraftfahrzeugs
– zB Ehegatten – haften zur ungeteilten Hand. | |
Der Halterbegriff des
EKHG trifft die Person/en, die im Unfallzeitpunkt die gefährliche
Sache zum eigenen Vorteil einsetzt/en und die Möglichkeit besitzt/en,
Gefahren abzuwenden. Auf die Eigentumsverhältnisse kommt es dabei
nicht unbedingt an! Sie bilden aber ein Indiz für die Haltereigenschaft.
– Kurz: es kommt nach der Rspr „auf das Betreiben auf eigene
Rechnung und Gefahr” an. Eine Umschreibung lautet (stRsp):
Halter ist „ ... wer ein Kraftfahrzeug für eigene Rechnung in Gebrauch
hat und die tatsächliche Verfügungsgewalt über
das Fahrzeug besitzt.” | |
Zum Halterbegriff vgl auch → . | |
| |
6. § 6 EKHG: Schwarzfahrt | |
Schwarzfahrt = Benützung
des Verkehrsmittels ohne Willen des Betriebsunternehmers / Halters. Benutzte
jemand zur Zeit des Unfalls das Verkehrsmittel (Eisenbahn oder Kraftfahrzeug)
ohne den Willen des Halters, haftet er an Stelle des Betriebsunternehmers
oder Halters für den Ersatz des Schadens. | |
Die
Rspr prüft aber die Verantwortung des Halters streng
unter dem Gesichtspunkt, ob die Schwarzfahrt schuldhaft ermöglicht
wurde. | Verantwortung des Halters wid streng geprüft |
|
Halterhaftung (und
keine Schwarzfahrt) wurde zB angenommen, als ein Betriebskollege,
der nach Hause eingeladen worden war, die kurze Abwesenheit des
Hausherren (Halters), um im Keller eine Flasche Wein zu holen, ausnützte,
um sich den Autoschlüssel vom Schlüsselbord zu holen und mit dem
Auto eine Spritzfahrt zu machen, bei der sich ein schwerer Unfall
ereignete. | |
|
|
Anders ZVR 1998/2: Schlüssel in
der Manteltasche wird als keine Verletzung der Sorgfaltspflicht
angesehen, wenn der Mantel bspw in der Garderobe einer Diskothek
abgegeben wurde. | |
|
| |
7. § 7 Abs 1 EKHG:
Mitverschulden | |
Hat bei der Entstehung
des Schadens durch ein Kraftfahrzeug oder eine Eisenbahn ein Verschulden des
Geschädigten mitgewirkt, ist § 1304 ABGB (Mitverschulden → Mitverschulden:
§ 1304 ABGB)
anzuwenden. | |
8. § 9 EKHG: Unabwendbares
Ereignis – Haftungsbefreiung | |
§ 9 Abs 1 EKHG
regelt die Haftungsbefreiung durch ein „unabwendbares Ereignis”. | |
Der Unfall darf dann weder: | |
• „auf einem Fehler
in der Beschaffenheit” des Fahrzeugs | |
• „noch auf einem Versagen der Verrichtungen der
Eisenbahn oder des Kraftfahrzeugs beruhen.” | |
Nach § 9 Abs 2 EKHG gilt ein Ereignis insbesondere
(!) dann als unabwendbar, | |
• „wenn es auf das Verhalten
des Geschädigten [zB Selbstmörder], | |
• eines nicht beim Betrieb tätigen Dritten [zB
Terroranschlag] | |
• oder eines Tieres zurückzuführen
ist”, | |
• und der Halter oder sonstige „Personen jede
[!] nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet
haben ...” | |
| |
| |
|
ZVR
1998/1 (Doppelsessellift):
Der Entlastungsbeweis nach § 9 Abs 2 EKHG setzt voraus, dass die äußerste,
nach den Umständen des Falles mögliche und zumutbare, Sorgfalt eingehalten
wird. Auch die erhöhte Sorgfaltspflicht darf aber nicht überspannt
werden. | |
|
|
Als nicht
unabwendbar angesehen wurden: ZVR
1966/87: Verreißen eines Kfz nach einem Insektenstich ins
Auge; ZVR 1966/64: Schleudern auf
glatter Straße; SZ 49/20 = ZVR 1977/79:
Plötzliche Bewusstlosigkeit des Kfz-Lenkers: Nur
ein von außen auf das Kfz oder dessen Lenker einwirkendes Ereignis
kann ein unabwendbares sein; nicht dagegen ein Versagen des Fahrzeugs
oder des Lenkers (Rspr-Änderung). | |
|
|
OGH 8. 9. 2000, 2 Ob 178/99m („Der
Sprung aus dem Zug”), JBl 2001,
242: Schüler (13 und 14 Jahre) springen
aus fahrendem Zug und verletzen sich dabei schwer. Der Waggon war
ein altes Modell und hatte noch keine Türblockadeeinrichtung. –
OGH gelangt trotz Ablehnung eines „unabwendbaren Ereignisses” iSd
§ 9 EKHG zu einer gänzlichen Freistellung des Eisenbahnunternehmens
in Parallele zu Haftungsausschlüssgründen des vorsätzlichen Selbstmordes
und krass grob fahrlässiger Sorglosigkeit von Fahrgästen. | |
|
9. § 9a EKHG: Schlepplifte | |
Hinsichtlich Schleppliften ist (seit 1977)
zu unterscheiden: | Liftanlage
– Schleppspur |
•
für die technischen
Einrichtungen (dh die Liftanlage, ausgenommen die Schleppspur)
gilt die Gefährdungshaftung des EKHG; | |
• für die Schleppspur dagegen
gilt die allgemeine Verschuldenshaftung des ABGB! | |
Der Betriebsunternehmer
eines Schleppliftes haftet also für Schäden, die sich aus dem Zustand
der Schleppspur ergeben nur bei eigenem oder dem Verschulden seiner
Leute; mE ist die Schleppspur aber kein Weg iSd § 1319a ABGB. –
Vgl dazu Danzl, EKHG 258 (20027): „Für
die Beweislast ist hiebei – nach Apathy, EKHG Rz
3 zu § 9a – zu unterscheiden, ob der Betriebsunternehmer aus Delikt
oder wegen Verletzung einer schuldrechtlichen Sonderbeziehung haftet.
Wird jemand geschädigt, der mit dem Betriebsunternehmer in keiner
Sonderbeziehung steht, so haftet der Unternehmer zwar über § 1315
ABGB hinaus für das Verschulden seiner Leute (vgl auch § 1319a ABGB), doch
hat der Geschädigte entsprechend § 1296 ABGB das Verschulden zu
beweisen. Bei Bestehen einer schuldrechtlichen Sonderbeziehung,
insb eines Beförderungsvertrages des Verletzten mit dem Betriebsunternehmer
(…), hat sich hingegen der Betriebsunternehmer zufolge § 1298 ABGB
zu entlasten. Er haftet mithin nach §§ 1293 ff ABGB, wenn er nicht
beweisen kann, dass er und seine Gehilfen (§ 1313a ABGB) die objektiv
gebotene Sorgfalt eingehalten haben.” | Beweislast |
10. § 10 EKHG: Kein
Haftungsausschluss möglich | |
Die Verpflichtung des Betriebsunternehmers oder
Halters, für die Tötung oder Verletzung entgeltlich beförderter
Personen Ersatz zu leisten, darf im vorhinein weder ausgeschlossen
noch beschränkt werden; entgegenstehende Vereinbarungen sind nichtig.
– Die Haftungsregeln des EKHG enthalten also zwingendes Recht! | Zwingendes
Recht |
Ausgeschlossen wird dadurch nach hM jeder
Haftungsverzicht; also nicht nur einer der die Gefährdungshaftung betrifft,
sondern auch ein solcher, der die Haftung nach bürgerlichem Recht
ausschließen soll. | |
11. Mehrere Schädiger
/ Ersatzpflichtige – Rückgriff und Ausgleich zwischen ihnen: §§
8 und 11 EKHG | |
§ 8 EKHG: Schadensverursachung
durch mehrere Kraftfahrzeuge / Eisenbahnen | |
Ein Geschädigter kann seine Ansprüche grundsätzlich
gegen alle am Unfall Beteiligten [Schädiger] richten. | Abs
1: |
Mehrere Beteiligte [Schädiger]
haften (ihm) solidarisch / zur ungeteilten Hand. | Abs 2: |
Die jeweilige Haftung ist
aber für jeden Unfallbeteiligten (Schädiger) getrennt
zu beurteilen: | Individuelle Beurteilung
der Haftung |
• Haftet
daher ein Beteiligter ohne Verschulden (Gefährdungshaftung),
ist seine Haftung durch die Höchstbeträge der §§ 15, 16 EKHG beschränkt.
Dies stellt Abs 2 klar. | |
• Haftet ein Beteiligter für sein Verschulden,
bleibt die Haftung – wie auch sonst nach ABGB – unbeschränkt; vgl §
19 EKHG → §
19 EKHG: Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts
| |
Beteiligt können sein: | |
| Beteiligte können sein: |
• Halter / Betriebsunternehmer, | |
• Lenker (Haftung nach ABGB – Verschulden ist
Voraussetzung!), | |
• Schwarzfahrer, | |
• Beifahrer, | |
• Einweiser usw. | |
Für
die Anspruchsgeltendmachung gelten die allgemeinen
Grundsätze der Solidarhaftung: | Grundsätze der Solidarhaftung |
•
Das heißt: Geschädigte
können ihre Ansprüche gegen einen oder alle haftenden
Mitschuldner geltend machen; | |
• eine (Anspruchs)Erfüllung (ganz
oder teilweise) wirkt für alle; | |
•
aufrechnen (§§ 1438 ff ABGB)
kann ein Mitschuldner nur mit eigenen Forderungen; es besteht jedoch
die Möglichkeit der Zession usw. | |
Für Rückgriffs-
und Ausgleichsansprüche mehrerer Haftpflichtiger untereinander gilt
nach § 11 EKHG folgendes (zB Massenkarambolage!): | Rückgriff und
Ausgleich zwischen mehreren
Schädigern |
• Es
ist zu beachten „ ... inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen
oder anderen Beteiligten verschuldet” oder | |
•
„durch
außergewöhnliche Betriebsgefahr” (§ 9 Abs 2) oder | |
•
„überwiegende
gewöhnliche Betriebsgefahr” verursacht wurde. | |
Ein Rückgriffsanspruch setzt ferner voraus, dass der ihn
geltendmachende (solidarisch haftende) Beteiligte entweder den ganzen
Schaden oder doch mehr, als es seinem Anteil entspricht, gezahlt hat. | |
| |
•
Vor allem der Grad des Verschuldens
| Aufteilungskriterien
sind: |
•
Schadensverursachung
durch außergewöhnliche Betriebsgefahr; und schließlich | |
•
überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr. | |
| Was ist gewöhnliche Betriebsgefahr? |
• Beispiele
aus dem Kraftfahrzeugbereich: | |
• Rücksichtsloses Überholen | |
• Vorrangverletzung | |
• überhöhte Geschwindigkeit | |
• schlechte Reifen | |
• Unachtsamkeit. | |
| |
Hat
zB das schuldhafte Verhalten eines Verkehrsteilnehmers eine außergewöhnliche
Betriebsgefahr eines anderen zur Folge, trägt der Fahrlässige den
ganzen Schaden. | Was ist außergewöhnliche Betriebsgefahr? |
| |
12. Gegenstand des
Ersatzes nach dem EKHG | |
Vgl
§§ 1327 iVm 1325 ABGB. | |
Im Falle der Tötung sind
zu ersetzen: | § 12 Abs 1 EKGH § 12 EKGH Tötung |
• Kosten der versuchten
Heilung, | |
• Kosten aus einer Vermehrung seiner Bedürfnisse, | |
• ein angemessenes Schmerzengeld und | |
•
die Kosten angemessener Bestattung; Anspruch
auf Ersatz der Bestattungskosten hat derjenige, der sie zu tragen
verpflichtet ist oder sie tatsächlich getragen hat. | |
•
Stand
der Getötete zur Zeit der Verletzung zu einem Dritten
in einem Verhältnis, vermöge dessen er diesem kraft Gesetzes
unterhaltspflichtig war oder unterhaltspflichtig werden
konnte, und ist dem Dritten infolge der Tötung
das Recht auf Unterhalt entzogen worden, so hat
der Ersatzpflichtige dem Dritten insoweit Schadenersatz zu leisten,
als der Getötete während der mutmaßlichen Dauer seines Lebens zur
Gewährung des Unterhalts verpflichtet gewesen wäre. – Die Ersatzpflicht
tritt auch dann ein, wenn der Dritte zur Zeit der Verletzung gezeugt,
wenn auch noch nicht geboren war. Vgl § 1325 ABGB. | § 12 Abs 2 EKGH |
Zu ersetzen sind: | § 13 EKGH:
Körperverletzung |
•
Heilungskosten | |
•
Verdienstentgang | |
• Vermehrung der Bedürfnisse | |
•
angemessenes
Schmerzengeld | |
•
angemessene Verunstaltungsentschädigung; vgl
§ 1326 ABGB. | |
|
§ 13 Z
1 (Heilungskosten): ZVR 1993/151
(Akupunktur – OLG Ibk); – ZVR 1994/22 (kosmetische Operation);
– SZ 70/220 = ZVR 1998/32 [verst Senat – Rspr-Änderung]: Ein
Verletzter hat keinen Anspruch auf den Ersatz sog fiktiver Heilungskosten,
worunter die Kosten einer möglichen künftigen Heilbehandlung zu
verstehen sind, die nicht durchgeführt wird; vgl Ch. Huber, ZVR
1998, 74; ZVR 1968/83: Die Kosten der Besuche der Eltern bei dem
verletzten Kind sind zu ersetzen. | |
|
|
§ 13 Z
3 (Vermehrung der Bedürfnisse): ZVR
1987/128: Die Kosten zur Deckung
vermehrter Bedürfnisse stellen einen positiven Schaden
dar. Ein solcher Schaden ist grundsätzlich subjektiv-konkret zu berechnen;
dem Geschädigten sind alle tatsächih entstandenen Kosten zu ersetzen;
– ZVR 1979/21: Kosten für die Pflege in der eigenen Wohnung können
nur dann begehrt werden, wenn sie tatsächlich anfallen; – ZVR 2001/106:
Zum Grundsatz der konkreten Schadensberechnung; – ZVR 1999/74 (OLG Ibk):
Kostenersatz für eine Begleitperson zum Antritt einer Reise nach
Sri Lanka?; – Danzl, EKHG 418 (20028): Kosten für die Anschaffung
eines Pkw’s; – Kosten eines behindertengerechten Umbaus (RZ 1984/12;
eines Aufzugs EFSlg 54.266), einer Garage (ZVR 1991/50), Einbau
eines Therapieraums für einen Querschnittgelähmten oder eines Schwimmbads
für einen beidseitig beinamputierten Jugendlichen. | |
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|
§ 13 Z 5 EKHG iVm § 1326 ABGB: EFSlg 20.241: Unter
Verunstaltung iSd § 1326 ABGB ist jede wesentliche nachteilige Veränderung
der äußeren Erscheinung des Verletzten zu verstehen. Ob eine solche
vorliegt, ist nicht nach medizinischen Begriffen, sondern unter
Zugrundelegung eines ästhetischen Maßstabes nach allgemeiner Lebensanschauung
zu beurteilen. OGH 25.1.1973, 2 Ob 225/72, ZVR 1974, 52/43. | |
|
|
EFSlg 20.242: Bei einer Frau ist
die Möglichkeit, ihre Gesamtlage durch eine Heirat zu verbessern,
als besseres Fortkommen iSd § 1326 ABGB zu beurteilen; OGH 10.5.1973,
2 Ob 70/73, ZVR 1974, 51/42. | |
|
|
EFSlg 20.243: Für einen Anspruch
nach § 1326 ABGB genügt die bloße Möglichkeit einer Minderung der Heiratsaussichten.
Der Nachweis der Vereitelung einer bestimmten Heiratsaussicht ist
nicht erforderlich: OGH 10.5.1973, 2 Ob 70/73, ZVR 1974, 51/42. | |
|
Art der Ersatzleistung:
Das Gesetz bestimmt, dass bestimmte Ansprüche (zB Unterhaltsansprüche
Dritter) grundsätzlich durch eine Geldrente oder
aus wichtigen Gründen, wenn die einmalige Zahlung dem Ersatzpflichtigen
wirtschaftlich zumutbar ist, in Form einer Kapitalabfindung abzugelten
sind; § 14 Abs 3 EKHG. – Nach § 14 Abs 2 ist die Geldrente für einen
Monat vorauszuzahlen; § 1418 Satz 3 ABGB gilt sinngemäß: | |
„Stirbt der Verpflegte während dieser Zeit;
so sind dessen Erben nicht schuldig, etwas von Vorauszahlung zurückzugeben.” | |
Nach Abs 4 wird der Anspruch auf Geldrente nicht dadurch
ausgeschlossen, dass ein Dritter – zB der Ehegatte gegenüber seiner
Frau oder die Eltern gegenüber ihrem Kind – dem Ersatzberechtigten
(zB Ehegattin oder ein Kind) Unterhalt zu gewähren hat. | |
13. §§
15, 16 EKHG: Haftungshöchstbeträge | |
Das EKHG kennt für die Tötung
oder Verletzung von Menschen (§ 15) oder Sachbeschädigungen (§ 16)
Haftungshöchstbeträge. – Das EKHG begrenzt also die statuierte Gefährdungshaftung
nach oben, wodurch die Versicherbarkeit derartiger Schäden erleichtert
werden soll. | EKHG
begrenzt Gefährdungshaftung |
| |
14. § 17 EKHG: Verjährung | |
Die 3 oder 30jährige
Verjährung entspricht § 1489 ABGB. | |
15. § 18 EKHG: Anzeigepflicht | |
Der Ersatzberechtigte
verliert die im EKHG festgesetzten Ersatzansprüche, wenn er nicht
innerhalb von 3 Monaten, nachdem er von dem Schaden
und von der Person des Ersatzpflichtigen Kenntnis erlangt hat, diesem
den Unfall anzeigt. Der Verlust tritt nicht ein, wenn die Anzeige
infolge eines vom Ersatzberechtigten nicht zu vertretenden Umstands
unterblieben ist – zB Krankenhausaufenthalt – oder der Ersatzpflichtige
innerhalb der bezeichneten Frist auf andere Weise von dem Schaden
Kenntnis erhalten hat. | |
16. §
19 EKHG: Anwendung der Vorschriften des bürgerlichen Rechts | |
Unberührt
bleiben nach der ausdrücklichen Anordnung von Abs 1 dieser Bestimmung
die Vorschriften des ABGB und andere Vorschriften, nach denen der
Betriebsunternehmer oder Halter für den verursachten Schaden in
weiterem Umfang als nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes haftet
oder nach denen ein anderer für den Schaden verantwortlich ist. | |
Die EKHG-Haftung als Nichtverschuldenshaftung
ist keine ausschließliche. Vielmehr konkurriert sie (sog Anspruchskonkurrenz)
mit der Verschuldenshaftung des ABGB, wenn Unfallbeteiligten (Schädigern)
auch ein Verschulden anzulasten ist. Das mag den Halter selbst,
den Lenker (soweit er nicht mit dem Halter identisch ist) oder andere
Personen betreffen. – Das ist insofern praktisch bedeutsam, weil
die Verschuldenshaftung des ABGB bei der Ersatzpflicht keine (Höchst)Grenzen kennt. | Was
bedeutet das? |
| |
Die Frage, die rechtspolitisch
heute zu stellen wäre, ist die, ob es noch zeitgemäß ist, parallel
zur Gefährdungshaftung des EKHG eine – noch dazu – der Höhe nach
unbegrenzte Verschuldenshaftung zu belassen, die schon ab leichter
Fahrlässigkeit „greift”. Denn der Großteil aller (Verkehrs)Unfälle
ist auf leichte Fahrlässigkeit zurückzuführen. Hier erscheint das
System veraltet und verbesserungsbedürftig. Wenigstens der Bereich
leichter Fahrlässigkeit wäre haftungsfrei zu stellen und damit diese
sog „Zweispurigkeit” der Haftung (= neben der verschuldensunabhängigen EKHG-Haftung
gelangt, gleichsam in „zweiter Spur”, bei gegebenem Verschulden
parallel noch die ABGB-Verschuldenshaftung zur Anwendung) zu entschärfen
oder – noch besser – zu beseitigen. | Sog
„Zweispurigkeit” der Haftung |
Nach
§ 19 EKHG ist es möglich, mit derselben Klage sowohl den Halter,
als auch den Lenker zu belangen, wenn auch nach verschiedenen Haftungsgrundlagen;
zB den Halter nach EKHG, den Lenker nach ABGB. – In der Praxis ist
diese Klage gegen den Halter und Lenker üblich. | Klage gegen Halter und Lenker |
EKHGAbs
2 ordnet an: „Auch dort, wo die Ersatzansprüche für einen durch
einen Unfall beim Betrieb einer Eisenbahn oder beim Betrieb eines
Kraftfahrzeugs verursachten Schaden nach den allgemeinen Vorschriften
des bürgerlichen Rechtes zu beurteilen sind, wie insbesondere auch
bei solchen Eisenbahnen und Kraftfahrzeugen, auf die dieses Bundesgesetz
nicht anzuwenden ist, haftet der Betriebsunternehmer und der Halter
für das Verschulden der Personen, die mit seinem Willen beim Betrieb
der Eisenbahn oder beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig waren, soweit
diese Tätigkeit für den Unfall ursächlich war.“ | § 19 Abs 2 |
17. Direktansprüche
des Geschädigten gegen den Versicherer des Halters; § 22 KHVG | |
Geschädigte
haben heute gegen den Versicherer des Halters eines Kraftfahrzeugs
einen sog Direktanspruch nach § 22 KHVG 1987. Dh:
Ein Geschädigter kann unmittelbar den Versicherer und nur diesen
(allein) klagen. – Der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer haftet
dem Geschädigten solidarisch neben dem jeweils
Ersatzpflichtigen. Hat der (Haftpflicht)Versicherer des Geschädigten
den Ersatzanspruch aber befriedigt, geht kraft § 67 VersVG (Legalzession)
der Anspruch auf ihn über, soweit er den Schaden ersetzt. § 67 VersVG
ist eine wichtige Legalzessionsnorm; vgl auch § 1358 ABGB oder §
332 ASVG. | |
|
§ 22 Abs 1 KHVG (= KraftfahrzeughaftpflichtVersG
1987) | |
Der geschädigte Dritte kann den ihm zustehenden
Schadenersatzanpruch ... auch gegen den Versicherer geltend machen.
Der Versicherer und der ersatzpflichtige Versicherte haften als
Gesamtschuldner. | |
|
|
§ 67 VersVG | |
(1) Steht dem Versicherungsnehmer ein Schadenersatzanspruch
gegen einen Dritten zu, so geht der Anspruch auf den Versicherer
über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer den Schaden ersetzt.
Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers geltend
gemacht werden. Gibt der Versicherungsnehmer seinen Anspruch gegen
den Dritten oder ein zur Sicherung des Anspruches dienendes Recht
auf, so wird der Versicherer von seiner Ersatzpflicht insoweit frei,
als er aus dem Anspruch oder dem Recht hätte Ersatz erlangen können. | |
(2) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers
gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen,
so ist der Übergang ausgeschlossen; der Anspruch geht jedoch über,
wenn der Angehörige den Schaden vorsätzlich verursacht
hat. | |
|
| |
| Abbildung 9.49: EKHG 1959 |
|
| Abbildung 9.50: Entwicklung des Halterbegriffs |
|
| Abbildung 9.51: Wer ist Halter? |
|
III. Zufall
und höhere Gewalt | |
1. Was ist rechtlich
Zufall? | |
§ 1311 Satz 1 ABGB lautet: „Der
bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er
sich ereignet.” Das ist – wie wir bereits wissen – die Übersetzung
des römischrechtlichen Rechtssatzes: casum sentit dominus → Schadenersatz
und Zufall: § 1311 ABGB Er
besagt, dass für einen Schadenseintritt durch Zufall niemand haftet,
vielmehr der Geschädigte seinen Schaden selbst zu tragen hat. | §
1311 Satz 1 und 2 ABGB |
Auch ein auf Zufall zurückzuführender Schaden ist aber schon
nach § 1311 Satz 2 ABGB zurechnungsmäßig beachtlich, wenn „jemand: | |
•
den Zufall durch
ein Verschulden veranlasst hat” (casus mixtus
→ );
oder | |
•
„ein Gesetz, das den zufälligen Beschädigungen
vor[zu]beugen sucht, übertreten” hat (sog Schutzgesetzverletzung); | |
• „sich ohne Not in fremde Geschäfte
gemengt hat“. | |
In diesen Fällen haftet der den Zufall und dadurch den Schaden
Auslösende „für allen Nachteil, welcher außer dem nicht erfolgt
wäre.” | |
Auch dem ABGB ist die Haftung für
Zufall und höhere Gewalt nicht fremd. – Wir haben den gegliederten
Verschuldensbegriff kennengelernt. Über dem Bereich des Verschuldens
ist – in der Foliendarstellung (siehe unten) – der Begriff des Zufalls
angesiedelt, der dort beginnt, wo (ein menschliches Verhalten) nicht
mehr als Verschulden qualifiziert werden kann. Zufall kann auch durch
gehörige, also zumutbare Sorgfalt nicht mehr abgewendet werden.
– Daher die Merkformel: Was nicht mehr Verschulden
ist, genauer: Was nicht mehr als Verschulden zugerechnet werden kann,
ist Zufall. Das ist vor allem für das Schadenersatzrecht von Bedeutung;
vgl gleich unten. Im sonstigen Schuldrecht dagegen lässt das ABGB
auch ohne die Voraussetzung von Verschulden Verzug eintreten oder
gewährt Gewährleistungsansprüche. Auch Zufall ist dabei zu vertreten.
Kann ein Schuldner bspw deshalb nicht rechtzeitig leisten, weil
er krank oder witterungsbedingt – zB durch starken Schneefall –
an seiner Leistung verhindert wurde, hat er diesen Zufall zu vertreten, dh:
Verzug tritt mit den vom Gesetz festgelegten Folgen dennoch ein.
Das ABGB lässt also im Schuldrecht durchaus auch für Erfolge einstehen,
die auf Zufall zurückzuführen sein mögen; zB bei Gläubiger- und
Schuldnerverzug. Nach richtiger Auffassung rechnet die Rspr sogar
höhere Gewalt in den Fällen von Leistungsstörungen zu. Der Schuldner
gerät daher auch in Verzug, wenn er deshalb nicht rechtzeitig leistet,
weil sein Haus wegen Blitzschlags abgebrannt ist. Auf einem anderen
Blatt steht, dass vielleicht Gläubiger in solchen Fällen Nachsicht
walten lassen. | Was nicht mehr als Verschulden zugerechnet werden
kann, ist Zufall. |
Zur bis heute nicht ausdiskutierten Problematik
des objektiven oder subjektiven (Schuldner)Verzugs Barta,
in: Barta / Palme / Ingenhaeff (Hg),
Naturrecht und Privatrechtskodifikation 409 ff (1999). | |
2. Schärfere (Schadens)Haftung
nach den Haftpflichtgesetzen | |
Während das Schadenersatzrecht
des ABGB in § 1311 Satz 1 ABGB eine Haftung / Zurechnung von Zufall
grundsätzlich ausschließt, wird nach den Haftpflichtgesetzen – etwa
dem EKHG – auch für Zufall gehaftet, weil eine
effiziente Haftung für Betriebsgefahr dies erfordert. | |
Auch
das ABGB statuiert in § 1311 Satz 2 ABGB aber eine (wertungsmäßig
mit der Rechtsfigur des casus mixtus übereinstimmende) Haftung für
Zufall, wenn der Schädiger ein Schutzgesetz verletzt
hat und der Geschädigte das beweisen kann. Es kommt dann zu einer Beweislastumkehr,
weil dann eine schuldhafte Verursachung des Erfolgs vermutet wird → §
1311 Satz 2 ABGB: Schutzgesetzverletzung Der
Schädiger kann diese Rechtsvermutung aber dadurch entkräften, wenn
er beweist, dass der Schaden auch bei vorschriftsmäßigem Verhalten
eingetreten wäre; sog rechtmäßiges Alternativverhalten → Rechtmäßiges
Alternativverhalten
| |
|
GlUNF 370 (1898): Schaden in Gärtnerei
durch scheu gewordene Reitpferde eines Infanterieregiments. –
Die Klage des Gärtners gegen das Militärärar wird abgewiesen und
der Schaden des Gärtners, dessen durch das Militär verursachter
Umfang zudem unklar geblieben ist, als von ihm zu tragender Zufall behandelt. | |
|
|
Kleinkind erbricht nach dem
Abendessen auf den Spannteppich eines (Hotel)Bungalows.
Hotelier verlangt von Eltern Ersatz: OGH konstatiert Zufall! | |
|
3. Höhere Gewalt
(vis maior) | |
Unter
höherer Gewalt verstehen wir heute ein (Elementar)Ereignis das: | Kriterien |
•
von außen
kommt (daher nicht: Ohnmacht oder Herzinfarkt eines Kraftfahrzeuglenkers
oder Zugführers) und | |
•
unabwendbarist, also trotz
Beachtung aller zumutbaren Sorgfalt nicht vermieden werden kann (daher
nicht anzunehmen, wenn ein Felsblock auf ein Auto stürzt, weil das
Gestein nicht ordnungsgemäß überprüft worden war; Haftung des Straßenhalters)
und zudem | |
•
außergewöhnlich / unvorhersehbar ist
(also nicht eine Lawine, die schon öfter an der gleichen Stelle
abging). | |
Das ABGB schließt
– wie wir gehört haben – im Schadenersatzrecht grundsätzlich neben
Zufall auch eine Haftung für höhere Gewalt aus. Manche Haftpflichtgesetze lassen
dagegen zum Teil auch für höhere Gewalt einstehen; zB § 1a Abs 3
Z 3 RHG: „ ... Herabfallen von [elektrischen] Leitungsdrähten ...”
oder § 9 AtomHG: Haftungsausschluss nur, wenn ein nukleares Ereignis
durch Krieg, Bürgerkrieg, Aufruhr etc verursacht wurde; nicht also:
Naturgewalten! – Umkehrschluss! | |
Der
in § 9 EKHG verwendete Begriff des „unabwendbaren Ereignisses” ist
nicht deckungsgleich mit dem der „höheren Gewalt”. | |
| Abbildung 9.52: Haftung für Zufall und höhere Gewalt |
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| |
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