Kapitel 3 | |
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Kapitel 3 beginnt ( → Sachenrecht:
Besitz, Eigentum, Innehabung)
mit alten Rechtskategorien: Besitz, Innehabung, Eigentum, wobei Innehabung
und Besitz – als faktische Vorstufen des Rechts – wesentlich älter
sind als das (Privat)Eigentum. Das gibt die Möglichkeit, die privatrechtlich
wie anderweitig bedeutsame Funktion des Besitzes eingehend darzustellen.
Der Besitz wird traditionellerweise im Kontext des Sachenrechts
behandelt, obwohl er heute nicht als Recht, sondern bloß als rechtlich
geschütztes Faktum verstanden wird; anders noch das ABGB in § 308
( → Besitz:
Tatsache oder Recht?). – Daran schließen weitere alte Rechtsschichten:
die Realkontrakte – Darlehen ( → Darlehen
und Kredit),
Leihe ( → Die
Leihe), Verwahrung samt Gastwirtehaftung ( → Verwahrung
und Gastwirtehaftung);
und zuletzt wird auf die Schenkung ( → Schenkung
und Gläubigeranfechtung)
eingegangen, die zwar kein Realkontrakt ist, aber rechtsgeschichtlich
ebenfalls alt und bedeutsam ist, weil sie die Keimzelle nicht nur
der unentgeltlichen, sondern auch der entgeltlichen – und damit
der – Verträge ist. | Überblick |
A. Sachenrecht:
Besitz, Eigentum, Innehabung |
I. Die
Funktion des Besitzes | |
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Der Begriff des Besitzes erscheint zunächst
klar und unproblematisch. Man glaubt zu wissen, was gemeint ist.
Bei näherem Hinsehen bemerkt man jedoch, dass er Probleme birgt
und keineswegs so einfach zu verstehen und zu erklären ist, wie
dies zunächst scheint. Schon die einfache Frage, wozu er rechtlich
dient und worin der tiefere Sinn seiner Unterscheidung vom Eigentum
liegt, bereitet – nicht nur Anfängern – Schwierigkeiten. Die juristische
Bedeutung des Besitzes zeigt sich auch darin, dass ihn das ABGB
ausführlich regelt; §§ 309–352 ABGB sowie weitere Bestimmungen: etwa
§§ 372 ff ABGB. | Juristische
Bedeutung
des Besitzes |
Auch für den Besitz gilt:
seine rechtliche Ausformung deckt sich in manchem
Punkt nicht mit dem Rechtsgefühl des Volkes, das – wie ein Gschnitzerzitat
in der Folge deutlich macht – nicht zwischen Besitz und Eigentum
unterscheidet. Das erklärt sich auch daraus, dass unser heutiges
Verständnis des Besitzes, wie das vorangestellte Motto von Schey
/ Klang zeigt, eine Mischung aus römischem, germanischem und naturrechtlichem
Denken ist. – Gschnitzer, Sachenrecht 4 (1968): | Rechtsgefühl
des Volkes |
„Der
Laie sagt mit Vorliebe Besitz und meint Eigentum: Haus- und Grundbesitz,
sein Besitz, besitzende und besitzlose Volksklassen. – Der Jurist
unterscheidet: Besitz, die tatsächliche Macht, und Eigentum, die
rechtliche Herrschaft [über eine Sache]. Zwar entspricht es der
rechtlichen Ordnung und dem normalen Zustand, dass tatsächliche
Macht und rechtliche Herrschaft in einer Hand sind, der Besitzer
auch Eigentümer, der Eigentümer auch Besitzer ist. Doch kann beides
auseinanderfallen: der Dieb hat Besitz, nicht Eigentum; der Bestohlene
Eigentum, nicht Besitz.” | |
2. Besitz: Faktischer
Sockel des Sachenrechts | |
Der Besitz ist – bildlich gesprochen
– der faktische Sockel des Sachenrechts; aber wie wir sehen werden,
nicht nur des Sachenrechts. Er ist – wo immer er auftritt – Schnittstelle
zwischen der Welt der Fakten und der Welt des Rechts. Auf dem „tatsächlichen”
Fundament (der äußeren Erscheinung), das der Besitz darstellt, bauen
vor allem die dinglichen Sachenrechteauf, um ihre gesellschaftlich
so wichtige Zuordnungsaufgabe erfüllen zu können, die in der rechtlichen
Sachgüter- (zB Eigentum) und Interessenzuordnung(zB
Pfandrecht) liegt. Und das Recht duldet es nicht, darf es nicht
dulden, dass auch nur an der tatsächlichen Sach(güter)zuordnung
– die iVm der für den Besitz charakteristischen äußeren Erscheinung
einen ersten Vertrauensschutz begründet –eigenmächtig „gerüttelt”
wird. Die funktionale Aufgabe des Besitzes für die staatliche Friedensordnung
erscheint als zu wichtig, als dass eigenmächtige Eingriffe, die
leicht zu Gewalt führen, in diese Sphäre geduldet werden können.
Sach(güter)zuordnung und Friedenssicherung sind daher als Grundwerte
der Besitzregeln zu betrachten. | Welt der Fakten –
Welt des Rechts |
Die Beziehung zu einer Sache kann
– wie zu einer Person – eine bloß tatsächliche /
faktische oder eine rechtliche sein. Diese schlichte
Feststellung ist für unsere Unterscheidung von Besitz und Eigentum
aber von Bedeutung. – Der Besitz ist auf der faktischen Ebene angesiedelt,
das Eigentum auf der rechtlichen. | |
Andere Rechtsinstitute und
-bereiche knüpfen daher nicht zufällig am Besitz (als faktischem Sockel
des Rechts) an, zumal er als rechtlich eingekleidetes Faktum die
Vermutung des Rechts an einer Sache enthält: – so die Ersitzung
( → KAPITEL 13: Die
Ersitzung) und die Publizianische Klage des § 372
ABGB ( → KAPITEL 8: Schutzinstrumente ) an den rechtmäßigen Besitz. – Der Besitz
spielt aber neben dem Sachenrecht auch im Schuldrecht (zB dem Bereicherungsrecht → KAPITEL 5: Ungerechtfertigte
Bereicherung)
oder im Erbrecht eine bedeutende Rolle; denn hier ist die „Gefahr”
groß, dass sich bspw nach dem Tode des Erblassers vermeintlich Erbberechtigte
eigenmächtig in den Besitz des Erblassers (= Nachlass) setzen wollen.
Die Einweisung ins Erbe soll daher gerichtlich, also staatlich geschehen,
um Eigenmacht zu vermeiden und Streit möglichst zu verhindern. Hier
zeigt sich das Recht erneut als Friedensordnung. Dieser Gedanke
stammt aus dem antiken griechischen Privatrecht. In das Abhandlungs-
oder Verlassenschaftsverfahren ( → KAPITEL 17: Einweisung
in die Erbschaft ¿ Das Verlassenschaftsverfahren )
werden all jene Sachen und Rechte etc einbezogen, die im Todeszeitpunkt
des Erblassers (= Erbfall; § 536 ABGB) von ihm (iSd § 309 ABGB)
besessen wurden, wobei Mitbesitz genügt; zB an einem Sparbuch oder
Safe. | Besitz: Anknüpfungspunkt
für Rechte |
Sachgüter-
und InteressenzuordnungEs wurde ausgeführt, dass der Besitz – neben
seiner friedenssichernden Funktion –die grundsätzliche Aufgabe erfüllt,
für die rechtliche Sachgüter- und Interessenzuordnung zu sorgen.
– Diese Sachgüterzuordnung kann kurz auch so umschrieben
werden: Der Besitz stellt – freilich nur in einer ersten, faktischen
Annäherung – klar, wem, was „gehört” oder doch wem ein – wenn auch
nur obligatorisches – Recht zum Besitz (an einer Sache) zusteht. (Auch
das nur faktische Naheverhältnis zu einer Sache, lässt das Bestehen
eines Rechts vermuten. Der Rechtsverkehr achtet auf diese auch nur
äußerliche Zuordnung einer Sache, zumal dadurch ein Schutz des Vertrauens
auf die äußere Erscheinung geschaffen wird.) – Mit rechtlicher Interessenzuordnung ist
folgende (Besitz)Funktion angesprochen: | Sachgüter- und
Interessenzuordnung |
Der Kanon dinglicher Rechte umfasst
unterschiedliche und in ihrer Qualität und Wirkkraft verschieden
starke Rechte; häufig steht das dingliche Vollrecht Eigentum ( → KAPITEL 8: Das
Eigentum als dingliches Vollrecht) anderen
beschränkten dinglichen Rechten (zB einem Pfandrecht oder einer
Servitut) gegenüber. So ist es eine häufige Erscheinung, dass der
Eigentümer seine bewegliche oder unbewegliche Sache verpfändet.
Dann treffen zwei unterschiedlich ausgestaltete dingliche Rechte
– zB Eigentum und Pfandrecht – aufeinander. Aufgabe des Besitzes
ist es hier, die unterschiedlichen Interessensphären zweier dinglich
Berechtigter (an derselben Sache!) – schon im Bereich des Tatsächlichen
/ durch eine erkennbare faktische Zuordnung – voneinander abzugrenzen;
dies etwa dadurch, dass ein gültiges Entstehen des Pfandrechts an
beweglichen Sachen deren Übergabe oder Kennzeichnung voraussetzt;
Faustpfandprinzip. Durch (Besitz)Übergabe oder Verbücherung wird
die partiell andere rechtliche Interessenzuordnung an bestimmten
Sachen auch nach außen hin erkennbar gemacht; Publizität. Der Besitz
dient in hohem Maße dieser vor allem im Sachenrecht so wichtigen
Rechtsfunktion der Erkennbarkeit eines Rechts (schon nach außen
hin). – Der Besitz grenzt aber nicht nur die Interessensphären verschiedener
dinglich Berechtigter voneinander ab, sondern auch die zwischen
dinglich Berechtigten (zB Eigentümern) und bloß (!) obligatorisch
/ schuldrechtlich Berechtigten (zB Mieter, Pächter, Entlehner),
da diese zB zugleich Rechtsbesitzer sind. Der – wenn auch nur obligatorisch
vermittelte – Rechtsbesitz wird auch gegenüber dem Eigentümer geschützt. | Publizität und
Faustpfandprinzip |
| Abbildung 3.1: Besitzfunktionen |
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3. Abgrenzung:
Besitz – Eigentum | |
Vgl die Umschreibung des Unterschieds bei Gschnitzer → Zum
Besitzbegriff.
– Die terminologische Unterscheidung von Besitz und Eigentum hat
also Bedeutung, mag auch das ABGB selbst nicht immer konsequent
sein; vgl etwa die Formulierungen der §§ 473 ff oder 858, 1. HalbS
ABGB. | |
4. Besitz:
Tatsache oder Recht? | |
Über die Frage,
ob der Besitz bloßes Faktum / Tatsache oder doch ein Recht ist,
wurde viel gestritten. Festzuhalten ist, dass der Besitz, auch wenn
er heute als Faktum angesehen wird, rechtlich „eingekleidet” ist
und zudem umfassend rechtlich geschützt wird. Der Streit entpuppt
sich als einer um Worte. | |
Zur Zeit der Entstehung des ABGB wurde der Besitz
aber zweifellos als Recht angesehen; § 308 ABGB zählt ihn zu den
dinglichen Sachenrechten. | |
5. Wer
ist besitzfähig – Kinder? | |
Kinder können zwar
bestehenden, also bereits erworbenen (!) Besitz (er)halten und sogar
„verteidigen” – zB ihr Spielzeug, erwerben können sie dagegen Besitz
nicht allein, sondern nur durch ihren gesetzlichen Vertreter, also
idR Vater und/oder Mutter. Der Besitzerwerb für
Kinder erfolgt nach § 310 ABGB: „nur durch ihren gesetzlichen Vertreter” → KAPITEL 4: Kinder:
0-7.
– In diesem (eingeschränkten) Sinne gilt: „Wer rechtsfähig ist,
ist [auch] besitzfähig, daher auch Kinder (§ 310 ABGB) und juristische
Personen (§ 337 ABGB)”, selbst wenn sie Besitz noch nicht ohne die
„Hilfe” anderer erlangen können; Ehrenzweig, Sachenrecht 2 59.
– Mündige Minderjährige können bereits Besitz erwerben; EvBl 2002/178:
Prekarium eines beschränkt Geschäftsfähigen. | |
Die Verhaltenswissenschaft (Ethologie) lehrt
uns, dass auch Tiere und vielleicht auch Pflanzen fremden Besitz
– sei es der von Menschen oder zB von anderen Tieren – „achten”
und auf eigenem Besitz „bestehen”; so der Hund, der seinen Knochen
oder die Katze, die ihren Futternapf verteidigt. | |
6. Warum schützt
das Gesetz den Besitz? | |
Das Gesetz schützt
den Besitz (vgl §§ 339 ff ABGB), weil er – wie erwähnt – das Sachenrecht
bei seiner wichtigen Sach(güter)zuordnung unterstützt und darüber
hinaus der Rechtsordnung bei ihrer zentralen Aufgabe als Friedensordnung
zu wirken, schon in deren faktischem Vorfeld dient. Er stellt die
Verbindung zwischen der „Welt des Rechts” (Sollensbereich) und der
„Welt der Fakten” (Seinsbereich) dar. – Inwiefern? Der Besitz macht
idR nach außen hin, also tatsächlich, eine auch rechtlich bedeutsame
Sach(güter)zuordnung deutlich, indem er einen Schutz des Vertrauens
auf die äußere Erscheinung schafft, nämlich: „Wem, gehört vermutlich,
was”; oder doch wenigstens: Wem steht an einer Sache ein, wenn auch
nur ein obligatorisches, Recht zu: Rechtsbesitz. – Wer eine Sache
besitzt, hat nämlich idR dazu auch ein Recht; daher die Regelung
des § 323 ABGB: „Der Besitzer einer Sache hat die rechtliche Vermutung
eines gültigen Titels [zB eines Miet- oder Leihvertrags] für sich”. | |
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7. Missbilligung
von Selbsthilfe und Eigenmacht | |
Die Achtung der bestehenden – wenn auch bloß
faktischen – Sachgüterzuordnung erscheint dem Gesetz auch insofern
wichtig und daher schützenswert, weil dadurch eigenmächtiger Selbsthilfe entgegengetreten
wird; sog Selbsthilfeverbot: § 19 ABGB. Unordnung
und Unfrieden entstehen nämlich leicht schon dadurch, dass an der
faktischen Sach(güter)zuordnung gerüttelt wird. Die weitgehende
Unterbindung von Selbsthilfe / Eigenmacht liegt daher im Interesse
der Rechtsgemeinschaft! Das Gesetz schützt nämlich den Besitzer
nicht nur gegen (nicht berechtigte) dritte Personen, die ebenso
wenig wie er Eigentümer der Sache sind, sondern auch gegen den Eigentümer, wenn
dieser den Besitz (an „seiner” Sache) eigenmächtig stört; so kann
sich der Vermieter des Fahrrads dieses nicht einfach zurückholen,
wenn er es selber braucht. Das Gesetz zwingt auch den Eigentümer
dazu, wenn nötig den Rechtsweg zu beschreiten (Klage), obwohl ihm
an der Sache ein dingliches Recht, nämlich Eigentum zusteht; vgl
§ 324 ABGB: | |
„In solchen Fällen muss der behauptende
Gegner vor dem ordentlichen Richter klagen, und sein vermeintliches stärkeres
Recht dartun. Im Zweifel gebührt [aber] dem Besitzer der Vorzug.” | |
Der Grund des rechtlichen
Schutzes des Faktums Besitz liegt also auch in der Missbilligung
von Eigenmacht, im Zurückdrängen verbotener Selbsthilfe durch die
Rechtsordnung, die es nicht duldet, dass auch nur in die faktische
Sachgüter(zu)ordnung „selbstherrlich” (auch aus einem stärkeren
Recht heraus) eingegriffen wird; § 19 ABGB lesen! | Missbilligung
von
Eigenmacht |
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Selbsthilfe
bedeutet hier: Notwehr(recht); vgl WGGB I 2 § 40: „ ... Selbsthilfe,
das ist die im Naturrecht gegründete Notwehre ...” Und ebendort
heißt es in § 36 anschaulich: „Eigenmächtige Gewalt verträgt sich
nicht mit der öffentlichen Sicherheit.” – Die §§ 36 und 40 (I 2)
WGGB waren die Vorläuferbestimmungen des § 19 ABGB. | |
Nach
dem frühen römischen Recht bestand noch ein erweitertes Recht zur
Selbsthilfe (Stein, Römisches Recht und Europa 17, 1996), was zeigt,
dass der Staat mit wachsender eigener Macht, die Selbsthilfe zurückdrängt. | |
Eine wichtige Frage der Rechtsentwicklung und Rechtsphilosophie
ist jene nach dem Verhältnis von Selbsthilfe, also individueller
Gewalt (anwendung) und ihrer rechtlichen
Begrenzung. Natürlich hat sich dieses Verhältnis im Laufe
der Jahrtausende gewandelt, aber seit es Recht gibt, war dieses
bestrebt, Gewalt und Selbsthilfe – zugunsten einer Klärung offener
Fragen durch rechtliche Verfahren der jeweiligen Gemeinschaft –
zurückzudrängen. Aus den vielen Bezügen dieser Thematik (man denke
nur an das Strafrecht und den Strafvollzug, das Exekutions- oder Vollstreckungsrecht
oder das Verhältnis von Frau und Mann, von Eltern und Kindern zueinander)
wollen wir jenem des Besitzschutzes, der Besitzstörung näher nachgehen,
weil hier frühe Lösungen, zumal des griechischen und idF des römischen
Rechts, noch heute erkennbar nachwirken. | |
In Rom verbot der Praetor
durch verschiedene Interdikte jedwede Gewaltanwendung: vim fieri
veto. Das älteste Interdikt ist das interdictum uti possidetis.
Der Praetor verbot darin, die bestehende Besitzlage gewaltsam, also eigenmächtig
(während eines Verfahrens) zu verändern. Dieses interdictum betraf
den ager publicus (öffentliches Land), der im Eigentum des römischen
Volkes (populus Romanus) stand. Das erleichterte den Einsatz magistrativen imperiums (Hoheitsgewalt)
seitens des Praetors. Durch dieses Gewaltverbot des Praetors wurde
die bestehende Besitzlage vorläufig stabilisiert und derjenige,
der meinte, einen Anspruch auf dieses Land zu haben, musste die Klärung
im Rechtsweg anstreben. Die Grundgedanken dieser Regelung stammen
aus dem alten Griechenland- – Die Rezeption des römischen Rechts
brachte diese Gedanken ins moderne Besitzstörungsverfahren und
im Verfahrensrecht entstand aus diesem Besitzprovisorium das Rechtsinstitut
der Einstweiligen Verfügung, das mit einer älteren Bezeichnung (noch
anschaulich) Provisorialverfahren genannt wurde,
weil seine Anordnungen nur vorläufigen Charakters sind. Ausschließliches
Ziel auch noch des geltenden gerichtlichen Besitzstörungsverfahrens
ist es, den letzten ruhigen Besitzstand zu stabilisieren und nicht
etwa rechtliche Klärungen vorzunehmen. Die faktische Natur des Besitzes
reicht demnach bis ins Verfahrensrecht. | |
Laien
erscheint die Konsequenz des folgenden Beispiels unverständlich
und sie stellt auch ein mitunter schon als problematisch anzusehendes
Zurückdrängen von Eigeninitiative und der Wahrnehmung berechtigter
Interessen dar. Allein dieses „Opfer” für Einzelne, dient dem Gemeinwohl. Das
Besitzkonzept (und sein mit ihm verknüpfter Gewaltverzicht) steht
demnach in innerer gedanklicher Verbindung mit dem „Gesellschaftsvertrag”
und dem frühen Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft: Dem Gewaltverzicht
des Einzelnen im (bloß hypothetisch gedachten!) Gesellschaftsvertrag
und der grundsätzlichen Übertragung des (individuellen) Selbsthilferechts
des Einzelnen auf die bürgerliche Gesellschaft, steht – gleichsam
im Gegenzug – die Zusage der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen
stets rechtlichen Schutz und Hilfe zu gewähren, wann immer er dies
benötigt; vgl dazu gleich anschließend Martinis Konzept der §§ 6,
7 und 19 ABGB. | Ein
einfaches, aber dennoch schwieriges Beispiel: Fahrraddiebstahl |
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Die §§ 6,
7 sowie § 19 ABGB gehen auf Karl Anton von Martinis rechtsphilosophisches
Konzept zurück. Danach besteht ein Zusammenhang zwischen dem in
§ 7 ABGB geregelten richterlichen Lückenfüllungskonzept (Analogie,
natürliche Rechtsgrundsätze → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung),
das den Richter zum Entscheiden befähigt, aber auch dazu verpflichtet,
weil er im Fall einer Rechtslücke sich (selbst) jene Rechtsgrundlage
schaffen kann, die er für seine Entscheidung benötigt; Rechtsverweigerungsverbot
(für den Rechtsanwender) und Rechtsgewähranspruch (für den Rechtssuchenden).
– Dem entspricht auf der anderen Seite das Selbsthilfeverbot des
§ 19 ABGB, das sich an den einzelnen Bürger richtet; denn „jedem,
der sich in seinem Rechte gekränkt zu sein erachtet, steht es frei,
seine Beschwerde vor der durch die Gesetze bestimmten Behörde anzubringen”. | Verknüpfung
von bürgerlichem Selbsthilfeverbot und staatlichem Rechtsverweigerungsverbot |
§ 19 und die §§ 6, 7 ABGB stehen daher in
einem inneren Funktionszusammenhang in unserer Rechtsordnung und beinhalten
eine frühe und geniale proto-rechtsstaatliche Lösung Martinis. | |
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8. Zum
Begriff erlaubter Selbsthilfe: § 19 ABGB | |
§ 19 enthält
zwar ein grundsätzliches Selbsthilfeverbot, will aber die Selbsthilfe
nicht völlig unterbinden. Daher gestattet § 19 ABGB die Notwehr
und erlaubt sogar, zusammen mit § 344 ABGB als Antworf auf Gewaltanwendung,
eine angemessene Selbsthilfe. Dazu gesellen sich, wie wir sehen
werden, im Bereich des Besitzschutzes, Besitzwehr und Besitzkehr. | |
Notwehr setzt einen gegenwärtigen (oder unmittelbar drohenden)
rechtswidrigen Angriff auf sich (selbst), andere Personen oder Sachen
voraus; nur dann ist es rechtlich gestattet, „Gewalt mit angemessener
Gewalt abzutreiben (§ 19)”, wie sich § 344 ABGB ausdrückt. – Der
im Zivilrecht geltende Grundsatz der Angemessenheit von
Selbsthilfemaßnahmen wird im öffentlichen Recht Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genannt;
er reicht über das Selbsthilferecht des § 19 ABGB hinaus und verlangt
insbesondere auch ein angemessenes Behördenverhalten – zB der Polizei. | |
Die §§ 229, 230 dtBGB umschreiben den erlaubten
Umfang und die Grenze der Selbsthilfe näher;
„ ... [wenn] obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen
ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung
des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.” | |
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SZ 62/132 (1989): Tiere sind
als Vermögen von Menschen ein notwehrfähiges Gut.
– Keine Nothilfebehandlung von Tieren gegen den Willen des Eigentümers
? | |
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So heißt diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist,
um eine gegenwärtige und drohende Gefahr durch eine Sache von
sich oder anderen abzuwenden. – Solches Handeln ist
(wie Notwehr) nicht rechtswidrig, wenn „die Beschädigung
oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und
der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht”; § 228 dtBGB. | |
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Auch
ein bestehender Notstand (§ 1306a ABGB → KAPITEL 9: Rechtswidrigkeit)
rechtfertigt den Eingriff in fremde Rechtssphäre ( und die damit
allenfalls verbundene Verursachung eines Schadens), wenn dadurch
eine „unmittelbar drohende Gefahr von sich oder anderen” abgewendet
werden soll. – Der zweite Teil des § 1306a ABGB regelt auf der einen
Seite erneut den Grundsatz der Angemessenheit / Verhältnismäßigkeit
und statuiert auf der andern Seite – nach dem Vorbild des § 1310 ABGB
– den Gedanken sozialer Schadenstragung; Billigkeitsschaden, Vermögensvergleich. | |
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Ein Vergleich der Notstandsnormen von §
1306a ABGB und § 228 dtBGB zeigt uns die differenziertere soziale Orientierung
unseres Gesetzbuchs. Während der Schädiger nach dtBGB den Schaden
nur zu ersetzen hat, wenn er „die Gefahr verschuldet” hat, räumt
das ABGB dem Richter die Möglichkeit zu einer die konkrete Situation angemessen
zu berücksichtigenden Ermessungsentscheidung nach den vom Gesetz
angeführten Kriterien ein. | |
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Auch
die Begriffe Besitzwehr und Besitzkehr regeln den Rahmen erlaubter
Selbsthilfe → Was
umfasst der Besitzschutz heute? § 344 ABGB ist der Regelungsort. Vor diese
Bestimmung setzt das ABGB die Marginalrubrik: „Rechtsmittel zur
Erhaltung des Besitzstandes: a) bey dringender Gefahr”. – Satz 1
leg cit lautet: | Besitzwehr und Besitzkehr |
„Zu den Rechten des Besitzes gehört auch
das Recht, sich in seinem Besitze zu schützen, und in dem Falle,
daß die richterliche Hülfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener
Gewalt abzutreiben. (§ 19).” | |
Das Strafrecht regelt
die Notwehr in § 3 StGB: | |
Abs 1: „Nicht rechtswidrig handelt, wer
sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen
oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit,
körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder
einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn
es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil
droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur
Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.” | |
Abs 2: „Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet
oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (Abs.
1) bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder
Schrecken geschieht, nur strafbar, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit
beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist.” | |
9. Die
Besitzprivilegien – beatus possidens | |
Wie die
Sachenrechtsprinzipien eine Konsequenz der allgemeinen Zuordnungsaufgabe
des Sachenrechts sind ( → KAPITEL 8: Recht
der Sachgüterzuordnung),
die Pfandrechtsprinzipien sich aus der Funktion des Pfandrechts
erklären ( → KAPITEL 15: Prinzipien
des Pfandrechts), so sind die Besitzprivilegien Folge
der Funktion, die das Privatrecht dem Besitz zuweist. Da – wie erwähnt
– die „Tatsache” des Besitzes einer Sache häufig mit dem „Recht”
sie zu besitzen einhergeht, gewährt das Gesetz schon dem Besitzer,
durchaus funktionsgerecht, gewisse rechtliche Begünstigungen, eben
die sog Besitzprivilegien. – Es sind dies: | |
Nach
§ 323 ABGB hat der „Besitzer einer Sache die rechtliche Vermutung
eines gültigen Titels für sich”; kurz: Er hat die Vermutung eines
erworbenen Rechts (an der Sache) für sich; sog Rechtsscheinwirkung des
Besitzes. Zu beachten ist insbesondere auch § 372 ABGB: actio publiciana
/ Eigentumsklage aus dem rechtlich vermuteten Eigentume des Klägers → KAPITEL 8: Schutzinstrumente . Wer
das Gegenteil behauptet, muss dies im Prozess beweisen. | |
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§ 328 Satz 2 ABGB
enthält die weitere Rechtsvermutung, dass der Besitzer einer Sache
redlich ist (dazu → Redlicher
Besitz): „Im Zweifel ist die Vermutung für die
Redlichkeit des Besitzes”; Redlichkeitsvermutung. | |
Dazu
kommt eine weitere Begünstigung des Besitzes, nämlich die, dass
der (redliche) Besitzer – Dritten gegenüber – zu Verfügungen über
die Sache legitimiert, also insbesondere zur Rechtsübertragung berechtigt
(§§ 329 ff ABGB) erscheint; sog Legitimationswirkung des
Besitzes → Redlicher
Besitz – So beim gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten
nach § 367 ABGB, insbesondere dessen 3. Fall → KAPITEL 8: Gesetzliche
Voraussetzungen: | |
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Nach § 324
ABGB steht dem Besitzer – als Folge von § 323 ABGB –im Prozess die
günstigere beweisfreie Beklagtenrollezu; Beweiserleichterung.
Auch gegen den Eigentümer! | Beweisfreie
Beklagtenrolle |
Das
römische Recht hat die insgesamt bessere Rechtsstellung des Besitzers
im Prozess (= günstigere Beklagtenrolle) und den Umstand, dass dem
Besitzer bei gleichem (dh gleich starkem) Titel die Sache zuzusprechen
war – in pari causa melior est possidentis, rechtssprichwörtlich
mit beatus possidens umschrieben. | |
| Abbildung 3.2: Die Besitzprivilegien |
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10. Besitzerwerb
an beweglichen und unbeweglichen Sachen | |
Wir wissen bereits: Was
der Besitz(erwerb) für den Erwerb dinglicher Rechte an beweglichen Sachen
darstellt, erfüllt (funktional) bei unbeweglichen Sachen
das Grundbuch (Buchbesitz!); vgl §§ 321, 322 Satz
2 ABGB. – Allerdings kann an Liegenschaften auch außerbücherlicher
Besitz erworben werden. So, wenn ein Haus oder eine Eigentumswohnung
verkauft und real, also wirklich – zB durch Schlüsselübergabe –
übergeben wird, aber dieser Rechtserwerb, aus welchen Gründen auch
immer, (noch) nicht ins Grundbuch eingetragen wurde. Besitz(erlangung)
und Gefahr(übergang) an Liegenschaften werden in der Praxis häufig
schon in Verträgen durch Erklärung (in analoger Anwendung des §
428 ABGB) übertragen. Vgl das Formulierungsbeispiel in einem Liegenschaftskaufvertrag
(Pkt III) → KAPITEL 2: Vertragsbeispiele: „Mit Unterfertigung dieses Vertrages gehen
Gefahr, Nutzungen und Lasten auf die Käuferin über.” | |
Die von der Rspr lange (aus Praktikabilitätsgründen)
anerkannte Rechtsfigur des außerbücherlichen Liegenschaftseigentums wird
heute abgelehnt; vgl aber noch § 23 Abs 1 WEG 1975. | |
| Abbildung 3.3: Eigentum – Besitz – Innehabung |
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II. Was ist Gegenstand
des Besitzes? – Sachbesitz und Rechtsbesitz | |
1. Gegenstand des
Besitzes | |
Besitzen kann man nach § 311 ABGB nicht nur
körperliche Sachen – zB ein Buch oder ein Haus, sondern auch unkörperliche,
insbesondere Rechte → KAPITEL 8: Körperliche
und unkörperliche Sachen;
zB eine Grunddienstbarkeit, ein Miet- oder Pachtrecht oder das Recht
des (Eigentums)Vorbehaltskäufers, den Kaufgegenstand (als dinglicher
Anwartschaftsberechtigter noch vor dem Eigentumserwerb → KAPITEL 8: Rechtsstellung
des Vorbehaltskäufers)
zu benützen. – Das ABGB unterscheidet daher wie das ALR – dem römisch-gemeinen
Recht folgend – zwischen Sach- und Rechtsbesitz. | |
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Sachbesitzer ist nach §
309 ABGB: | |
•
„Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat”,
also ihr Inhaber ist; römisches Recht: corpus. | corpus und animus |
•
...
und darüber hinaus „den Willen hat, sie
als die seinige zu behalten”; römisches Recht: animus rem
sibi habendi. | |
Der Begriff der Gewahrsame oder Innehabung spielt
auch im Strafrecht eine wichtige Rolle; vgl § 127
StGB (Diebstahl): „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen
... wegnimmt, ... .” Diebstahl setzt Gewahrsamsbruch voraus und
ist vollendet, wenn der Täter Alleingewahrsam erlangt hat, also
den Besitz (vollständig) entzogen hat. | „Gewahrsame“
im Strafrecht |
Das ABGB verlangt für den Erwerb von Sachbesitz – dem römischen
Rechte folgend – corpus und (!) animus. Anders
das dtBGB (gleich unten), das sich auf das corpus-Element beschränkt. | |
Die
§§ 349 und 352 Satz 1 ABGB umschreiben den sog Mentalbesitz,
den ein rüder Pauker einmal mit: „Blöder Hund hofft immer (noch)”
umschrieben haben soll. – Sie haben, und wissen das auch, bei einem
Spaziergang auf einer Bank ein Buch vergessen. – Worin liegt das
besondere des Mentalbesitzes? Vgl § 352 Satz 1 ABGB. Welches (Sach)Besitzkriterium
ist hier noch real vorhanden, welches nur noch mental? – Das römische
Recht sprach hier von Besitz solo animo; D. 41, 2, 25 pr. (Pomponius):
Wenn wir das, was wir besitzen, so verloren haben, dass wir nicht wissen,
wo es sich befindet, hören wir auf zu besitzen. – Auch das dtBGB
(§ 856) kann hier seine römischrechtlichen Wurzeln nicht leugnen. | Mentalbesitz |
Der Besitzbegriff des dtBGB unterscheidet
sich von dem des ABGB und damit auch vom römischen Recht. § 854 Abs
1 dtBGB formuliert: „Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung
der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben.” – Das dtBGB verlangt
demnach für den Erwerb des (Sach)Besitzes kein animus-Element. Auch
den Rechtsbesitz kennt das dtBGB im Gegensatz zu ALR und ABGB nicht.
Das hängt damit zusammen, dass das dtBGB nur körperliche, nicht
aber unkörperliche Sachen kennt → KAPITEL 8: Körperliche
und unkörperliche Sachen. | dtBGB |
An den abweichenden Besitzbegriff
des dtBGB erinnert Art 5 EVHGB: „Für den Besitz
[iSd HGB] ist es nicht erforderlich, dass der Inhaber den Willen
hat, die Sache als die seinige zu behalten.” – Der Besitzbegriff
des öHGB ist demnach ein anderer als der des ABGB. Das hängt damit
zusammen, dass das HGB ein deutsches Gesetz ist, das in Österreich
1938 eingeführt wurde. (Früher galt das AHGB.) Aufgabe der EVHGB
war es, das dtHGB an das österreichische Zivilrecht (insbesondere
das ABGB) anzupassen. | EVHGB |
Das Schweizer ZGB folgt
auch im Besitzrecht der Linie des dtBGB; vgl Art 919: „Wer die tatsächliche
Gewalt über eine Sache hat, ist ihr Besitzer.” | SchwZGB |
Auch der frCC (Art
2228: De la possession) kennt ein corpus- und ein animus-Element.
Allein die Unterscheidung des Besitzes zum Eigentum bleibt unscharf
und der Besitz und die Stellung des Besitzers insgesamt werden nicht systematisch
geregelt. – Die legistische Qualität kann sich nicht annähernd mit
dem ABGB messen. | frCC |
Der Besitzbegriff des itCC (Art
1140 ff: Del possesso) kennt explizit nur ein corpus-Element. Art
1140: „Besitz ist die Gewalt über eine Sache, die sich in einer
der Ausübung des Eigentumsrechts oder eines anderen dinglichen [!] Rechts
entsprechenden Betätigung äußert.” (Im Ausübungswillen kann demnach
ein Besitzwille erblickt werden!) | itCC |
Dieser kleine Ausblick auf die Besitzregelungen anderer
Länder vermittelt einen ersten Eindruck von der hohen Qualität der
österreichischen Besitzregelung. Sie ist Martins Werk (Entwurf Martini
II 2 § 1 und WGGB II 2 § 30) und übertrifft an Prägnanz und Eleganz
auch das ALR (I 7 §§ 1 ff). | |
•
§ 855 dtBGB: Besitzdiener (=
Detentor des ABGB) – „Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine
Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft
oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich
auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten
hat, so ist nur der andere Besitzer.” | deutsche
Terminologie |
• § 865 dtBGB: Teilbesitzer ist
– wer „nur einen Teil einer Sache, insbesondere abgesonderte Wohnräume
oder andere Räume, besitzt.” | |
• § 866 dtBGB: Mitbesitz – „Besitzen
mehrere eine Sache gemeinschaftlich, so findet in ihrem Verhältnisse
zueinander ein Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um
die Grenzen des den einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt.” | |
• § 868 dtBGB: Mittelbarer Besitz –
„Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter,
Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnisse, vermöge
dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitze berechtigt
oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer (mittelbaren
Besitz).” – Der mittelbare Besitz des dtBGB entspricht in etwa (!)
dem Rechtsbesitz des ABGB; der Verwahrer ist nach ABGB aber nicht
Rechtsbesitzer, weil ihm kein Gebrauchsrecht zusteht! | |
• § 872 dtBGB: „Wer eine Sache als ihm gehörend
besitzt, ist Eigenbesitzer.” Davon unterschieden
wird der Fremd besitz. | |
| Abbildung 3.4: Sach- und Rechtsbesitz(1) |
|
| Abbildung 3.5: Sach- und Rechtsbesitz(2) |
|
| |
Vgl § 312 Satz 2 und
§ 313 ABGB : Wie erwähnt versteht das ABGB unter Sachen nicht nur
körperliche, sondern auch unkörperliche (= Rechte); § 285 iVm §§
292, 311 ABGB. Gegenstand des Besitzes nach dem ABGB sind daher
insbesondere Rechte und Forderungen; Wurzel des Rechtsbesitzes.
Der weite naturrechtliche Sachbegriff (§ 285 ABGB), ist demnach
Voraussetzung dafür, dass ABGB und ALR den Rechtsbesitz anerkennen. | |
Vgl dazu gleich unten: Zur historischen
Entstehung und Verbreitung des Rechtsbesitzes. | |
Um ein Recht besitzen zu können, muss es: | Voraussetzungen
des Besitzerwerbs |
• „dauernder
Ausübung” zugänglich sein (Ehrenzweig);
so zB ein Leih-, Miet-, Pacht- oder ein sonstiges Gebrauchsrecht.
„Dauernd” wird iSv zeitlich „längerer”, und zeitlich nicht ganz
unbedeutender Rechtsausübung verstanden; „dauernd” iSv immerwährend
wäre aber zu viel verlangt. | |
Besitzer ist und Besitzschutz genießt daher
auch der Mieter eines Fahrrads für einen halben
Tag; vgl auch Hoyer, Bezugsverträge und Besitzstörung, WBl 1997,
147. | |
• Zudem wird für die
Annahme von Rechtsbesitz gefordert, dass das eingeräumte Recht ein Gebrauchsrecht gewährt;
deshalb sind Entlehner, Mieter, Pächter und Vorbehaltskäufer Rechtsbesitzer,
nicht dagegen der Verwahrer, dem kein Gebrauchsrecht an der Sache
zusteht und der daher nur ihr Sachinhaber ist. (Wird ihm aber der
Gebrauch gestattet, ändert sich dadurch auch seine rechtliche Stellung!) | |
| |
Rechtsbesitz
erwirbt man nach § 312 ABGB dadurch, dass man ein Recht
im eigenen Namen gebraucht oder – wie Gschnitzer formuliert
– es „nach der äußeren Erscheinung ... als das seine ausübt”. –
Das trifft auf das geliehene Fahrrad ebenso zu, wie auf die gemietete
Wohnung, mag auch nur das Recht zum Besitz (Leih- oder Mietrecht)
besessen werden und nicht die Sache (!) selbst. Eine feine Unterscheidung,
die Laien nicht geläufig ist. (Der Sachbesitz an der vermieteten Sache
steht nach wie vor dem Eigentümer zu!) Dem redlichen Besitzer fehlt
der Wille, „die Sache” selbst künftig als die seinige anzusehen.
Ein (redlicher) Besitzer will nur das vertraglich eingeräumte Recht
als das seine ausüben, also zB das Leih- oder Mietrecht, aber nicht
mehr. | § 312 ABGB:
Erwerb
von Rechtsbesitz |
Auch der Rechtsbesitzer genießt Besitzschutz → Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr:
Rechtsprechungsbeispiele. – Im Erstrecken des ursprünglich nur auf Sachen,
dann – schon im römischen Recht (dazu gleich unten) – auch auf dingliche
Rechte und schließlich – vom Naturrecht – auch auf obligatorische
Rechtspositionen erstreckten Besitzschutzes, liegt der
tiefere Sinn des Rechtsinstituts „Rechtsbesitz”! | Rechtsbesitzer geniessen
Besitzschutz |
| |
Das römische Recht
kennt schon in klassischer Zeit die quasi possessio,
eine Vorstufe unseres Rechtsbesitzes (wie dieser sich dann im ALR
– vgl insbesondere I 7 §§ 5, 46 und 77 ff ALR – und später in den
§§ 311 ff ABGB findet). Der Begriff leitet seine Berechtigung daraus
ab, dass (echte) possessio zunächst nur an res corporales, also
körperlichen Sachen möglich war, nicht aber an Rechten, res incorporales.
Servituten und usus fructus vermittelten aber als dingliche Rechte Rechtspositionen,
die mit keinem – oder doch fast keinem – Sachbesitz im herkömmlichen
Sinne mehr verbunden waren. Dennoch entstand das Bedürfnis, diese
Rechtspositionen besitzrechtlich zu schützen. So kam es zum Einbeziehen
dieser dinglichen Rechtspositionen in den Besitzschutz des römischen
Rechts; daher der Begriff quasi possessio. | Zur historischen
Entstehung des Rechtsbesitzes |
Sie setzen den weiteren Entwicklungsschritt
vom Besitzschutz dinglicher zu dem obligatorischer Rechte.
– Aber auch Rechtsbesitz iSv Besitz an obligatorischen Rechten ist
wesentlich älter als das ABGB und das ALR; der Entwurf Martini II
2 §§ 3-6 (= WGGB II 2 §§ 32-35) kennt ihn ebenso wie der Entwurf
Horten (II 21 § 6) und insbesondere auch der Codex Theresianus,
der sogar eine detailliertere Regelung als der Entwurf Horten enthält;
II 24 Num 14 und 30, aber auch 18, 19, 39, 43 etc. Das beweist den
gemeinrechtlichen Ursprung des modernen Rechtsbesitzes. | ALR
und ABGB |
CodTher II
24 Num 14 enthält die schöne Formulierung: „Nur körperliche Dinge,
die leiblich berührt und gegriffen werden können, sind des wahren
Besitzes fähig; unkörperliche Dinge hingegen, als Rechten, Gerechtigkeiten
und Dienstbarkeiten werden bloß gleichnißweise besessen, also dass,
wiewohlen deren Ausübung sich durch leibliche und sichtbare Thaten
äußeret, nichtsdestoweniger der Besitz des Rechts selbst nur in
dem rechtlichen Verstand besteht.” | |
ALR
und ABGB vermitteln idF den – wenngleich modifizierten – Rechtsbesitz
an das dtBGB und schweizerische ZGB weiter; vgl Kaser, Römisches
Privatrecht § 19 V und § 28 III 97 (198313).
– Dabei erscheint der Ausdehnungsschritt des römischen Rechts von
den körperlichen Sachen (res corporales) zu den dinglichen Rechten
(res incorporales) entwicklungsgeschichtlich bedeutsamer und für
die Zukunft bestimmender, als jener der Naturrechtskodifikationen
(ALR und ABGB) zu den obligatorischen Rechten. | |
Der
Rechtsbesitz moderner Prägung ist demnach weder eine „Erfindung”
des ABGB, noch eine Neuschöpfung des Naturrechts; vielmehr eine
gelungene und äußerst funktionale Weiterbildung des klassischen
Besitzschutzes des römischen Rechts durch das Naturrecht, das dadurch
auch obligatorische Rechte in den Besitzschutz einzubeziehen vermag.
– Wir können daraus lernen, dass es seine Berechtigung hat, wenn
das römische Recht seitens des Naturrechts – immer wieder – als ratio
scripta angesehen wird, mag auch die römisch-rechtliche
Lösung nur durch Vorarbeit der Griechen möglich gewesen sein. Das
römische Recht enthält noch aus heutiger Sicht, großartige (Weiter)Entwicklungen,
entstanden aus praktischem Bedürfnis, möglich geworden durch schöpferische
Juristen. | Rechtsbesitz moderner Prägung |
| |
Sach- und Rechtsbesitz
können auch mehreren Personen gleichzeitig an ein und derselben
Sache nebeneinander zustehen; man spricht dann – in Anlehnung
an deutsche Terminologie (§ 871 dtBGB) – von gestuftem oder mehrstufigem
Besitz. Diese Besitzform ist ein Sonderfall des Mitbesitzes → Mitbesitz
und Teilbesitz
| |
| |
5. Mitbesitz
und Teilbesitz | |
Mitbesitz haben mehrere
Personen an derselben Sache. Mitbesitz – und zwar sowohl von Sach-
wie Rechtsbesitz – ist möglich; zB FreundInnen kaufen gemeinsam
ein Auto oder mieten eine Wohnung. | |
Vom Mitbesitz zu
unterscheiden ist der Teilbesitz; er bezieht sich
bloß auf einen Sachteil und nicht die ganze Sache. So steht bspw
einem Wohnungseigentümer an seiner Wohnung, die rechtlich gesehen
ein unselbständiger Teil des Hauses und der Liegenschaft bleibt,
Teilbesitz zu (, über den er aber kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Anordnung sogar allein verfügungsberechtigt ist). An den für das
Rechtsinstitut Wohnungseigentum wichtigen allgemeinen Teilen des
Hauses ( → KAPITEL 8: Nutzung
von WE-Objekten und allgemeiner Teile der Liegenschaft) dagegen besteht Mitbesitz aller Wohnungseigentümer. | |
6. Innehabung /
Detention | |
Inhaber (Detentor)
ist, wer eine Sache zwar in seiner (tatsächlichen) Macht oder Gewahrsame
hat, aber nicht den Willen hat, diese als die seine zu betrachten
und zu behalten. | |
Die Innehabung beschränkt sich auf das erste Element des
Sachbesitzes, das corpus-Element des römischen
Rechts. Das zweite Element des Sachbesitzes (animus) fehlt hier.
Einem Inhaber ermangelt also der Wille, die Sache als die seinige
behalten zu wollen. | |
Weil der Inhaber den Besitz zwar für einen
anderen (er)halten kann, nicht aber selbst Besitzer ist, wird er
mit einem Synonym (nach deutschem Vorbild) auch Besitzdiener genannt. | |
Der
Inhaber hat die Sache nicht in seinem eigenen, „sondern im Namen
eines andern inne ...”; § 318 ABGB. Der bloße Inhaber, der nicht
zugleich Rechtsbesitzer ist, genießt daher nach ABGB keinen
Besitzschutz, hat aber ein Notwehr- und Selbsthilferecht
gegen Dritte; nicht aber gegen den, der ihm die Sache überlassen
hat, also den Sach- oder Rechtsbesitzer. – Im fehlenden Besitzschutz
liegt ein Unterschied zum Besitz. | Inhaber hat
Sache
„im Namen eines
andern inne” |
| |
Für die Grenzziehung zwischen Besitz
und bloßer Detentionund insbesondere den Umfang
der Detention ist auch die Verkehrsauffassung heranzuziehen: | Grenzziehung zwischen Besitz und
bloßer Detention |
| |
| Abbildung 3.6: Sachenrechtliche Begriffe |
|
III. Arten
des Besitzes: Rechtmäßig, redlich, echt | |
Neben der Unterscheidung in Sach- und Rechtsbesitz,
Allein-, Mit- und Teilbesitz trifft das Gesetz weitere Differenzierungen
und knüpft daran wichtige Rechtsfolgen. – Ist der Besitz rechtmäßig, redlich
und echt, spricht man von qualifiziertem Besitz,
der zB Voraussetzung der Ersitzung ist → KAPITEL 13: Qualifizierter
Besitz. | Qualifizierter
Besitz |
| Abbildung 3.7: Arten des Besitzes |
|
| |
§ 316 ABGB: „Der Besitz
einer Sache heißt rechtmäßig, wenn er auf einem gültigen
Titel, das ist, auf einem zur Erwerbung tauglichen Rechtsgrunde
beruht. Im entgegengesetzten Falle heißt er unrechtmäßig.” | |
| |
| |
§ 326 ABGB: „Wer aus
wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für
die seinige hält, ist ein redlicher Besitzer. Ein unredlicher
Besitzer ist derjenige, welcher weiß oder aus den Umständen vermuten
muss, dass die in seinem Besitze befindliche Sache einem anderen
zugehöre ....” | |
§
328 ABGB enthält die Rechtsvermutung der Redlichkeit zugunsten
des Besitzers; dh Redlichkeit / Gutgläubigkeit des Besitzers wird
von Gesetzes wegen angenommen / vermutet. Wer das Gegenteil behauptet,
muss dies im Prozess (gegen den Besitzer) beweisen! → Die
Besitzprivilegien – beatus possidens:
Besitzprivilegien. | Redlichkeitsvermutung |
Rechtsvermutung ist
die gesetzliche Annahme, dass bei Vorliegen einer (bestimmten) Tatsache,
ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht. – Rechtsvermutungen
sind entweder (durch jedes Beweismittel) widerlegbar (praesumptio
iuris) – zB §§ 23, 138, 155, 163 und nunmehr § 38 ABGB – oder unwiderlegbar (praesumptio
iuris ac de iure); zB § 1152 ABGB oder bei der Schenkung ( → Redlicher
Besitz:
donatio non praesumitur) sowie §§ 1426 ff ABGB (Quittung: begründet
Rechtsvermutung über die Zahlung einer Schuld). – Zur Fiktion
→ KAPITEL 13: Erfüllungsfiktion. | Rechtsvermutung |
Zur Rechtsstellung
des redlichen Besitzers, insbesondere der Legitimationswirkung des
Besitzes vgl die §§ 329 ff ABGB. Kurz: Der redliche Besitzer kann
über die Sache (wie ein Eigentümer) verfügen. | Legitimationswirkung |
Die
Frage der Redlichkeit oder Gutgläubigkeit des Besitzes ist zB eine
wichtige Tatbestandsvoraussetzung des § 367 ABGB → KAPITEL 8: Gutgläubiger
Eigentumserwerb.
Guter Glaube setzt nach der Rspr – zB EvBl 1971/261 oder MietSlg
2172 – die positive Überzeugung von der „Rechtmäßigkeit” oder wenigstens
einen entschuldbaren Irrtum voraus. Zweifel oder nur leichte Fahrlässigkeit
schließen Gutgläubigkeit bereits aus. | |
|
EvBl 1978/76: Versteigerung
eines Traktors samt Frontlader und Schaufel.§
367 ABGB schützt auch bei der gerichtlichen Versteigerung nur den
redlichenErwerber, also denjenigen, der iSd § 368
ABGB den Verpflichteten „aus wahrscheinlichen Gründen für den Eigentümer
halten konnte”; dabei schadet schon leichte Fahrlässigkeit. | |
|
|
JBl 1980, 589: Versteigerung
eines Bürocomputers – Wenn der Verpflichtete in der Versteigerung behauptet,
dass die Sache nicht ihm gehört, so schließt schon diese Behauptung
den guten Glauben des Bieters aus. Es ist nicht erforderlich, dass
der Verpflichtete das Fremdeigentum belegen kann. | |
|
|
MietSlg 4328 (1955): Der gute Glaube juristischer
Personen bestimmt sich nach dem guten Glauben ihrer (für
sie handelnden) Organe. Zur juristischen Person → KAPITEL 4: Die
juristische Person . | |
|
| |
§
345 ABGB: „Wenn sich jemand in den Besitz eindringt, oder durch List oder Bitte
heimlich einschleicht, und das, was man ihm aus Gefälligkeit,
ohne sich einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen gestattet,
in ein fortwährendens Recht zu verwandeln sucht; so wird der an
sich unrechtmäßige und unredliche Besitz noch überdies unecht; in
entgegengesetzten Fällen wird der Besitz für echt angesehen.” –
Das römische Recht spricht kurz und bündig von: nec vi, nec
clam, nec precario. | |
| |
Die im Gesetz angesprochene
Bittleihe vermittelt nicht die Besitzprivilegien, insbesondere nicht die
günstigere Beklagtenrolle im Prozess. – Die Einrede der Unechtheit
des Besitzes ist aber – ausnahmsweise – auch im Besitzstörungsverfahren
zulässig! → Klagebegehren,
Beweislast, Zuständigkeit
| |
IV. Besitzschutz
– Allgemein | |
1. Warum
wird der Besitz geschützt? | |
Fassen wir zusammen: Obwohl der Besitz – aus
rechtlicher Optik betrachtet – nur eine tatsächliche Beziehung
zu einer Sache darstellt, wird er rechtlich geschützt. Die Rechtsordnung
als Friedensordnung verfolgt das Ziel, Gewalt und Eigenmacht möglichst
auszuschalten, weil daraus leicht Un-Frieden entsteht und schützt
daher – als Vorstufe des Rechtsschutzes – schon den bestehenden faktischen
Ist-Zustand (= Besitz) und verbietet es, ihn eigenmächtig,
dh ohne geordnetes Verfahren, abzuändern; sog Eigenmacht- oder Selbsthilfeverbot. | |
2. Was
umfasst der Besitzschutz heute? | |
Wie
erwähnt will das grundsätzliche Selbsthilfeverbot des § 19 ABGB
nicht jede Selbsthilfe ausschalten. Das wäre weltfremd. Daher belässt
auch die moderne Rechtsordnung einen letzten Rest davon bei den
unmittelbar von Besitzstörungen Betroffenen und gestattet, wenn
auch in eingeschränktem Maße, autonome Selbsthilfemaßnahmen. | |
Wir unterscheiden insgesamt: | Autonom-individueller und
gerichtlicher
Besitzschutz |
•
Einerseits außergerichtliche autonom-individuelle
Besitzschutzmöglichkeiten des / der Gestörten: | |
•
Und andrerseits den gerichtlichen Besitzschutz,
das Besitzstörungsverfahren
→ Warum
wird der Besitz geschützt?
| |
Anders
als dem Besitzer kommt dem Inhaber (Detentor),
aber auch dem Prekaristen kein Besitzschutz zu.
Häufig ist der Sachinhaber (zB Mieter) aber gleichzeitig
auch Rechtsbesitzer, sodass er Besitzschutz genießt.
Der Rechtsbesitz erweitert also den Besitzschutz auch auf schuldrechtliche
(Rechts)Beziehungen, sofern diese mit Sachinhabung und
einem Gebrauchsrecht verbunden sind, wie dies bei Bestandverträgen,
der Leihe oder dem Vorbehaltskäufer der Fall ist. | |
Der Rechtsbesitzer (zB Mieter) erlangt dadurch Schutz gegen
Dritte (Drittschutz) – und nicht nur gegen seinen Vertragspartner,
wenn diese in seine Rechtsposition eingreifen; etwa: | |
•
Rechtsbesitzer können
sich also auch unmittelbar – dh ohne Vermittlung durch den Eigentümer
– gegen eine Besitzstörung zur Wehr setzen; vgl § 454 Abs 1 Satz
1 ZPO: „ ... Störung des Besitzstandes bei Sachen und bei Rechten,
...”. | |
•
Nach
§ 364 Abs 2 ABGB genießen sie auch Immissionsschutz
→ KAPITEL 8: Die
Immissionen ¿ Überblick; | |
• und bei Schadenszufügung durch Dritte stehen ihnen eigene Schadenersatzansprüche zu → KAPITEL 9: Die
Schadenersatzvoraussetzungen. | |
3. Was setzt Besitzschutz
(allgemein) voraus? | |
Zunächst
eine Besitzverletzung: | |
Das heisst:
Der tatsächliche Besitz muss gestört worden
sein, was auch beim Rechtsbesitz möglich ist. Etwa wenn der Rechtsbesitz
des Mieters durch nachbarlichen Lärm oder ein anderes störendes
Verhalten des Vermieters oder Dritter beeinträchtigt wird. | |
Zudem muss
die Verletzung „eigenmächtig” erfolgt sein. Das
heisst, die (Besitz)Verletzung muss ohne Eingriffsrecht, also unbefugt,
zugefügt worden sein. – Besteht ein Recht zum Eingriff, liegt keine
Eigenmacht vor! | |
| |
| |
| Abbildung 3.8: Besitzschutz durch Selbsthilfe oder Gericht |
|
| Abbildung 3.9: Beispiele erlaubter Selbsthilfe |
|
4. Tiefere Gründe
des Besitzschutzes: Friedenssicherung | |
Das ABGB ging einen Mittelweg: Einerseits
sollte verbotene Eigenmacht und Selbsthilfe untersagt sowie ein
Gewaltverbot statuiert werden; andrerseits wollte der Gesetzgeber erlaubte
Selbsthilfe (§§ 19, 344 ABGB; § 3 StGB: Notwehr) nicht
völlig unterbinden. Denn es ist ein sehr alter, sogar naturrechtlich
fundierter Grundsatz, der es erlaubt, auf Gewalt mit angemessener
Gewalt zu antworten – vim vi repellere licet. | vim vi
repellere licet |
Das Gesetz verbietet grundsätzlich
Eigenmacht und untersagt Selbsthilfe, weil das Gewaltmonopol in
modernen Staaten allein dem Staate zusteht, der es durch seine Behörden
handhabt, allenfalls auch an Private delegiert. Deshalb enthält
§ 19 ABGB eine Rechtsschutzgarantie: Fühlt sich jemand rechtlich
beschwert, kann er sich – so § 19 – mit seiner Beschwerde an die
Gerichte / Behörden wenden. Richter haben (!) auf der anderen Seite
über (zivil)rechtliche Beschwerden zu entscheiden und dürfen sich
dieser Entscheidung nicht entziehen (Rechtsverweigerungsverbot), zumal
sie das Lückenfüllungskonzept des § 7 ABGB ( → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung)
in die Lage versetzt selbst dann zu entscheiden, wenn das Gesetz
keine Regelung enthält, also lückenhaft ist. Zwischen den §§ 7 und
19 ABGB besteht demnach – wie erwähnt – ein innerer funktionaler Zusammenhang:
Einerseits der Rechtsgewähranspruch des Staates samt richterlichem
Non-liquet- oder Rechtsverweigerungsverbot, andrerseits das Selbsthilfe-
und Gewaltverbot für rechtssuchende Bürger. Diese geniale rechtsfunktionale
Verschränkung Martinis – die weder das ALR, noch der frCC kannten
– besitzt bereits protorechtsstaatliche Züge. | Gewaltmonopol
moderner Staaten |
Wir wissen bereits: Das Gesetz schützt
Besitzer auch gegen stärker Berechtigte (zB den Eigentümer), weil
es Selbsthilfe und Eigenmacht – die immer eine Gefahr für den (Rechts)Frieden
darstellen – auch durch den Rechts-”Inhaber” ausschließen will.
Dadurch erweist sich der Besitz als wichtiges gesellschaftliches
Instrument der Friedenssicherung; Aufrechterhaltung von Ruhe und
Ordnung. – Das Verbot von Eigenmacht will aber nicht jeden Selbstschutz (des
Besitzers) verhindern. § 344 ABGB stellt deshalb klar und gewährt
dem Besitzer „in dem Falle, dass die richterliche Hilfe
zu spät kommen würde [ausdrücklich das Recht], Gewalt mit
angemessener Gewalt abzutreiben”; sog Besitzwehr / Notwehr (§§
19, 344 ABGB; § 3 StGB: Notwehr). Und in Erweiterung dieses Selbstschutzrechts
gestattet man dem Besitzer sogar schon (fast) entzogenen Besitz
sogleich / in continenti wieder zurückzugewinnen; sog Besitzkehr.
– Es ist also stets zu prüfen, ob das Kriterium des § 344 ABGB für
erlaubte Selbsthilfe, dass nämlich „richterliche Hilfe zu spät kommen
würde”, erfüllt ist. | Wenn „richterliche Hilfe zu spät
kommen würde” |
| |
|
JBl 1953, 267: Erlaubte bäuerliche
Selbsthilfe gegen (auf seinem Grund) wildernde
Hunde. Bei berechtigter Selbsthilfe (die Hunde wurden erschossen)
ist kein Schadenersatz zu leisten. – OGH bejaht analoge Anwendung
des JagdG! | |
|
|
EvBl 1967/355: Erneutes Überkleben
bereits überklebter Wahlplakate als erlaubte Selbsthilfemaßnahme. | |
|
| |
| Abbildung 3.10: Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr |
|
V. Gerichtlicher
Besitzschutz | |
1. Worum geht es
im Besitzstörungsverfahren? | |
Wir haben gehört, dass
darüber gestritten wurde, ob der Besitz bloße Tatsache oder (auch)
ein Recht sei und wissen, dass dieser Streit – wie viele Verabsolutierungen
– wenig bringt, weil der Besitz jedenfalls eine Tatsache mit wichtigen
rechtlichen Konsequenzen / Rechtswirkungen ist. Eine dieser Konsequenzen
zeigt sich im Besitzstörungsprozess, der in der Folge kurz erörtert
wird. | |
Der Besitzstörungsprozess, das sog Possessorium,
dreht sich nämlich nicht – und das ist wichtig zu verstehen (!)
– um das Recht zum Besitz oder damit zusammenhängende Rechtsfragen
(das sog Petitorium; zB Schadenersatz), sondern bloß um die Tatsache
des Besitzes; genauer: um die Tatsache des letzten ruhigen Besitz(stand)es
und der (erfolgten) Störung des bisher unbeeinträchtigten Besitzes.
Dazu gleich mehr. | Possessorium
und Petitorium |
2. Tatbestandsvoraussetzungen
der Besitzstörung | |
§ 339 ABGBbestimmt:
„Der Besitz mag von was immer für einer Beschaffenheit sein, so
ist niemand befugt, denselben eigenmächtig zu stören.
Der Gestörte hat das Recht, die Untersagung des Eingriffes ... gerichtlich
zu fordern.” | |
Geschützt wird danach Sach-,
wie Rechtsbesitz, aber – und das überrascht immer
wieder – auch der unrechtmäßige und unredliche, nicht dagegen der
unechte Besitz; vgl dazu das Beispiel oben → Missbilligung
von Selbsthilfe und Eigenmacht:
Fahrraddiebstahl. – Damit nennt das ABGB die zwei Tatbestandsmerkmale
der Besitzstörung: Das Vorliegen einer Besitzverletzung / -störung
und von verbotener Eigenmacht. | |
Beim Beurteilen
„verbotener
Eigenmacht” spielen wiederum rechtliche Fragen eine Rolle.
Verbotene Eigenmacht ist nämlich immer dann anzunehmen, wenn kein
Recht bestand, den auch bloß faktischen Besitzstand zu ändern oder auch
nur Besitzhandlungen zu setzen. | |
| |
| Abbildung 3.11: Besitzstörung – Gerichtlicher Besitzschutz |
|
| Abbildung 3.12: Possessorium und Petitorium |
|
3. Rechtsquellen
und Ziele des gerichtlichen Besitzschutzes | |
Sie finden sich heute nicht nur im ABGB (§§ 339 ff ABGB).,
Hauptregelungsort ist vielmehr die ZPO: §§ 454 ff ZPO. | |
Angepasst
an die rechtlich-gesellschaftliche Funktion des Besitzes, dem äußeren
Frieden zu dienen, ist es verfahrensrechtliches Ziel des Besitzstörungsverfahrens,
die Störung der (tatsächlichen) äußeren Ordnung wiedermöglichst
rasch zu beseitigen; vgl auch § 454 ZPO. | Ziel des Besitzstörungsverfahrens |
Das Besitzstörungsverfahren ist eine vereinfachte, abgekürzte
besondere Verfahrensart vor den Bezirksgerichten, deren Procedere
im Vergleich zum ordentlichen streitigen Verfahren erheblich vereinfacht
ist; zB kein absoluter Anwaltszwang, mündliches Vorbringen zu Protokoll
statt Schriftsätze etc. | Vereinfachtes
bezirksgerichtliches Verfahren |
Zielsetzungen dieses Verfahrens:
| |
•
nach
§ 459 ZPO „ ... sich darauf zu beschränken, eine einstweilige
Norm für den tatsächlichen Besitzstand aufzustellen ...” | Verfahrensziele |
•
nach § 457 ZPO ist „die Verhandlung ... auf die
Erörterung und den Beweis der Tatsache des letzten Besitzstandes
und der erfolgten Störung zu beschränken, und es sind alle
Erörterungen über das Recht zum Besitze, über Titel, Redlichkeit
und Unredlichkeit des Besitzes* oder über etwaige Entschädigungsansprüche
[dh Schadenersatzansprüche!] auszuschließen.” | |
* Nicht angeführt wird hier die „Echtheit”
des Besitzes, weshalb diese Einrede auch im Besitzstörungsverfahren erhoben
werden kann → Echter
Besitz
| |
•
Und § 454 ZPO bestimmt:
„ ... in welchen das Klagebegehren nur auf den Schutz und
die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes [§
49 Z 4 JN spricht vom „letzten tatsächlichen Besitzstand”] gerichtet
ist ...” | |
Alle diese Fragen konzentrieren sich darauf, möglichst rasch
die gestörte faktisch-äußere Ordnung wiederherzustellen, was verlangt,
im Besitzstörungsverfahren auf die Klärung von uU langwierigen und
schwierigen Rechtsfragen zu verzichten. Daher werden
diese erst gar nicht zugelassen. | |
Um die gestörte äußere Ordnung möglichst rasch
wiederherzustellen, verlangt das Gesetz (§ 454 I Satz 1 ZPO) auch,
dass Besitzstörungsklagen „innerhalb 30 Tagen anhängig
zu machen sind, nachdem der Kläger von der Störung Kenntnis erlangte”. | 30
Tage |
| |
Das Besitzstörungsverfahren
wird auch als Possessorium bezeichnet, zum Unterschied
vom Petitorium oder petitorischen Verfahren, womit
das normale streitige Verfahren – der Zivilprozess – gemeint ist,
bei dem es primär um Rechtsfragen geht. – Der im „Possessorium”
Unterlegene kann aber nachträglich (selbstverständlich) immer noch
sein Recht zum Besitz in einem petitorischen Verfahren abklären.
Dasselbe gilt für allfällige Schadenersatzansprüche. | Possessorium
und
Petitorium |
| |
Nicht ausgeschlossen
wird durch § 457 ZPO (der es untersagt, den in § 339 Satz 2 ABGB erwähnten
Schadenersatz geltend zu machen), dass Naturalrestitution,
also Wiederherstellung des vorigen Besitzstandes /
Zustandes gefordert werden kann; Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1647.
Darin steckt aber das Anerkennen von Schadenersatz iSd § 1323 ABGB,
der primär auf Naturalersatz geht. – Insoferne entpuppt sich die
Antinomie nur als eine teilweise. | Wiederherstellung
des vorigen Besitzstandes |
|
GlU 9694 (1883): Störung
im Besitze des Viehtriebs (1): Unzulässigkeit der Einwendung,
dass der Viehtrieb nur gegen Entgelt gestattet wurde (2). – Dieses
Urteil stellt ein schönes Beispiel für die Grenze zwischen Possesorium
und Petitorium dar. Zu (1): Gestört wurde durch den Beklagten Gutspächter
der Rechtsbesitz der Gemeinde A auf Viehtrieb, weil er das Grundstück,
über das das Vieh von „Gemeindeinsassen” getrieben wurde, „eingeackert
und bebaut und den Viehtrieb untersagt hat”. Das Recht des Viehtriebs
ist eine ländliche Grunddienstbarkeit an der Rechtsbesitz bestehen
kann. – Zu (2): Die Einwendung des Beklagten, „dass er den Viehtrieb
nur gegen eine Vergütung von 4 fl [= Gulden] gestattet habe”, musste vor
Gericht gar nicht mehr auf seine Berechtigung geprüft werden, weil
es sich dabei um eine ins Petitorium gehörige Rechtsfrage handelte!
In 2. Instanz hatte das OLG Lemberg entschieden. | |
|
4. Klagebegehren,
Beweislast, Zuständigkeit | |
Das
Klagebegehren (vgl § 226 ZPO) der Besitzstörungsklage geht (so SpR
224) auf: | |
•
Wiederherstellung und Schutz des
widerrechtlich veränderten (tatsächlichen) Zustands und zusätzlich
auf | |
•
Unterlassung weiterer, also
künftiger Störungen. | |
Der Kläger hat im Possessorium seinen
letzten ruhigen Besitz und die (Tatsache!) der erfolgten Besitzstörung
durch den Beklagten zu beweisen. Den Kläger trifft bezüglich dieser
klagsbegründenden Voraussetzungen die Beweislast. | Beweislast |
Sachlich
zuständig für die Einbringung von Besitzstörungsklagen
sind die Bezirksgerichte. – Es besteht kein (absoluter)
Anwaltszwang; dh man braucht weder für die Klagseinbringung, noch
für die Verhandlung einen Rechtsanwalt. | Sachliche Zuständigkeit |
| |
5. Gefährdung
durch Bauführung oder Einsturz: §§ 340-343 ABGB | |
Auch in diesen Fällen handelt es sich um Besitzstörungen. | |
Klagsberechtigt
nach § 340 ABGB ist „der Besitzer einer unbeweglichen Sache oder
eines dinglichen Rechtes”. Daher auch obligatorisch Berechtigte,
also etwa Mieter oder Pächter, die Rechtsbesitzer sind. – Die Klagsführung
setzt ferner voraus, dass der Besitzer (zB eines Gebäudes oder andern
Werks) „in seinen Rechten gefährdet” wird. Wir haben es hier mit
einer vorbeugenden Besitzstörungsklage zu tun,
die auch während einer Bauführung zulässig ist. Anzuwenden sind diese
Regeln nach § 342 ABGB ebenso auf eine neue Bauführung, wie die
„Niederreißung eines alten Gebäudes, oder andern Werkes”. | Klagslegitimation |
§
343 ABGB dehnt diese Regeln – nach römischrechtlichem Vorbild: cautio
damni infecti – auf den Fall aus, dass dem Besitzer
eines dinglichen Rechts durch einen bereits vorhandenen fremden
Bau oder eine andere fremde Sache ein offenbarer Schaden durch den
Einsturz der Sache droht und gibt ihm das Recht auf Sicherstellung
(nicht auf Beseitigung des gefährlichen Zustands) zu dringen; sog Kautionsklage /
Verfahren wegen Sicherstellung. | |
| |
|
JBl 1999, 655: Die Kläger brachten
vor, sechs Bäume der Nachbarliegenschaft seien
faul und stellten eine latente Gefahr für das Haus der Kläger dar.
Die Kläger begehrten daher die Bestellung eines Sicherungspfandrechts
im Höchstbetrag von 450.000 S. – Vgl dazu das um Analogie erweiterte
Verständnis des § 1319 ABGB → KAPITEL 10: Haftung
für Bauwerke: § 1319 ABGB:
EvBl 1987/192. | |
|
Zur analogen Anwendung des § 1319 ABGB auf Bäume → KAPITEL 11: Rspr-Beispiele
für
Gesetzesanalogie.
Auf Grund dieser Judikatur des OGH sollte es keine Probleme geben,
§ 343 ABGB ebenfalls analog auf gefährliche Bäume anzuwenden und Sicherstellung
zu gewähren. Der Beseitigungsanspruch kann iVm § 1319 ABGB gewährt
werden. | |
|
Der
erste Teil dieses Kapitels handelt vom Besitz (A), einer wichtigen
Sachenrechtskategorie. Daran schließen die rechtsgeschichtlich alten
Realverträge Darlehen, Leihe und Verwahrung an (B, C und D), die
eine interessante innerkontraktliche Verbindung von Schuld- und
Sachenrecht aufweisen, zumal bei ihnen das schuldrechtliche Titelgeschäft
der modalen Übergabe bedarf, soll ein gültiger Real(haupt)vertrag
zustande kommen. Titel und Modus bilden bei den Realverträgen gleichsam
ein Ganzes. Vertragsschluss und Erfüllung sind miteinander verbunden.
Kapitel 3 setzt demnach das Thema von Kapitel 2 fort, das in Punkt
A, Kauf und Tausch (als typische Titelgeschäfte), und in Punkt B
die Lehre von Titel und Modus behandelt. – Die dieses Kapitel abschließende
Schenkung (E) ist zwar kein Realvertrag, kennt aber vergleichbare
Probleme in der Praxis, nämlich die Schenkung ohne wirkliche Übergabe:
§ 943 ABGB. | |
I. Das
Darlehen als Realvertrag | |
Sie alle haben wohl schon einmal Geld aufgenommen,
‘ausgeliehen’. Wenn schon nicht von einer Bank, so doch bei einem
Freund, einer Freundin oder von Bekannten. Vielleicht trifft auch
auf Sie zu, dass Sie bisher glaubten genau zu wissen, was Sie tun,
und müssen nun feststellen, dass es dabei – rechtlich – Neues zu
entdecken gilt. – Geregelt ist das Darlehen, das natürlich auch
schon die Babylonier, Ägypter und Griechen kannten, das mutuum des
römischen Rechts, in den §§ 983 ff ABGB. Das Darlehen war seit Jahrtausenden
„das” Geld- und Kreditgeschäft, wobei zu beachten ist, dass nicht
jedes Kreditgeschäft Darlehen ist; vgl etwa den Kauf auf Borg /
Kreditkauf: § 1063 ABGB → KAPITEL 2: Kreditkauf. | |
| |
1. Sach-
oder Gelddarlehen | |
Wenn
sie sich von einem/er FreundIn Geld ‚ausleihen’ ist das Darlehen,
nicht Leihe. Dasselbe gilt, wenn sie sich vertretbare Sachen – etwa
Brot, Milch oder Zigaretten – ‚ausborgen’. Sie wollen und müssen
später Sachen gleicher Art und Güte zurückgeben ( → Gesetzliche
Definition),
nicht etwa dieselben Sachen; denn die Nahrungsmittel wollen sie
essen, die Zigaretten rauchen. Auch das ist Darlehen, wenngleich Sach-
und nicht wie im ersten Fall Geld darlehen; vgl
§ 984 ABGB. – Der Sprachgebrauch entspricht hier also häufig nicht
der korrekten rechtlichen Terminologie! | |
Darlehen kommt sprachlich von Dar-leihen.
Der Begriff / das Rechtsinstitut Leihe war (noch)
im Mittelalter wesentlich bedeutsamer, weitverbreitet und vielgestaltiger
als heute → Die
Leihe Ihr Begriffsinhalt war weiter, weil nicht
nur das unentgeltliche Überlassen von Sachen in dieser Rechtsform möglich
war, sondern die Leihe auch entgeltliche Überlassungsformen einschloss;
bspw die im Mittelalter wichtige (Grund)Leihe gegen Zehent, Fronden,
Natural- oder Geldzinsen. Von Bedeutung war die mittelalterliche
Leihe ganz besonders im Liegenschaftsrecht, wo sie neben dem Eigentum
eine wichtige und variantenreiche Rechtsform der Grundüberlassung
darstellte. – An diesen viel weiteren Begriffsinhalt der Leihe erinnert
noch der Begriff des Darlehens, der Dar-leihe. Während die Leihe
heute notwendig unentgeltlich ist, kommt das Darlehen noch heute
entgeltlich und unentgeltlich vor. – Der häufig falsche Sprachgebrauch
erinnert wohl noch an dieses ältere Verständnis der Leihe! | Etymologie und
Rechtsgeschichte |
Neuere
Gesetzbücher haben den alten Realvertrag Darlehen
– der mit seiner modalen Übergabsverpflichtung noch das Misstrauen
gegenüber Rechtsakten widerspiegelt, die nicht Zug um Zug erfüllt
werden – zugunsten des Kredit(eröffnungs)vertrags aufgegeben, der
bereits Konsensualvertrag ist. § 488 dtBGB – ähnlich
Art 312 SchwOR – regelt als Darlehen, was wir Kreditvertrag
nennen. | Realverträge sterben ab |
§ 983 ABGB: „Wenn jemandem
verbrauchbare Sachen unter der Bedingung übergeben werden, daß er
zwar willkürlich darüber verfügen könne, aber nach einer gewissen
Zeit eben so viel von derselben Gattung und Güte zurück geben soll;
so entsteht ein Darlehensvertrag. Er ist mit dem, obgleich ebenfalls
verbindlichen Vertrage (§ 936), ein Darlehen künftig zu geben, nicht
zu verwechseln.” | Gegenüberstellung von
§ 983 ABGB und § 488 dtBGB |
§ 488 dtBGB: „(1) Durch den Darlehensvertrag wird der Darlehensgeber
verpflichtet, dem Darlehensnehmer einen Geldbetrag in der vereinbarten
Höhe zur Verfügung zu stellen. Der Darlehensnehmer ist verpflichtet,
einen geschuldeten Zins zu zahlen und bei Fälligkeit das zur Verfügung
gestellte Darlehen zurückzuerstatten. | |
(2) Die vereinbarten Zinsen sind, soweit nicht ein anderes
bestimmt ist, nach dem Ablauf je eines Jahres und, wenn das Darlehen
vor dem Ablauf eines Jahres zurückzuerstatten ist, bei der Rückerstattung
zu entrichten. | |
(3) Ist für die Rückerstattung des Darlehens eine Zeit nicht
bestimmt, so hängt die Fälligkeit davon ab, dass der Darlehensgeber
oder der Darlehensnehmer kündigt. Die Kündigungsfrist beträgt drei
Monate. Sind Zinsen nicht geschuldet, so ist der Darlehensnehmer
auch ohne Kündigung zur Rückerstattung berechtigt.” | |
2. Gesetzliche
Definition | |
„Wenn
jemandem verbrauchbare [und zugleich vertretbare; das ABGB kennt
diesen Begriff noch nicht → KAPITEL 8: Vertretbare
und unvertretbare Sachen]
Sachen unter der Bedingung übergeben werden, dass er zwar willkürlich
darüber verfügen könne, aber nach einer gewissen Zeit ebenso viel
von derselben Gattung und Güte [römisches Recht: tantundem eiusdem
generis] zurückgeben soll; so entsteht ein Darlehensvertrag ...”;
§§ 983, 992 ABGB. | |
|
SZ 4/24 (1922): § 992 ABGB – „Darlehen,
die nicht über Geld, sondern über andere verbrauchbare Gegenstände
geschlossen werden ...”; hier: Blei aus Akkumulatoren. | |
|
| |
Die Personen
des Darlehensvertrags heißen DarlehensgeberIn (§
987 ABGB: Darleiher) und DarlehensnehmerIn; § 1001
ABGB spricht noch von Anleiher. | |
4. Entgeltlichkeit
oder Unentgeltlichkeit | |
Ein
Darlehen kann entgeltlich oder unentgeltlich gegeben werden; § 984
ABGB. Im letzten Fall spricht man von Freundschaftsdarlehen. | |
Es wird
üblicherweise in Form von Zinsen geleistet, kann aber auch in Gewinnanteilen
bestehen; sog partiarisches oder Beteiligungsdarlehen. Dazu gleich
mehr. – Die Höhe der Zinsen ist zu vereinbaren. | Darlehensentgelt |
Es gibt gegenwärtig keine Zinsenhöchstgrenzen in
Österreich. Daher besteht die Gefahr wucherischer Vereinbarungen;
vgl aber § 879 Abs 2 Z 4 (Wucher) und § 934 ABGB: Verletzung über
die Hälfte. | |
Sie betragen im Zivilrecht 4% (§ 1000 Abs 1 iVm
§ 1333 Abs 1 ABGB), nach Handelsrecht (§ 1333 Abs 2 ABGB iVm § 352
HGB: 8% + Basiszinssatz) und im Wechsel- und Scheckrecht 6%. – Häufig
werden aber (in der Praxis) höhere als die gesetzlichen Zinsen vertraglich vereinbart;
sog bankmäßige Zinsen. – § 1000 ABGB idF von BGBl I 2002/118 (in
Geltung ab 1.8.2002) enthält eine neue Zinsenregelung; vgl auch
§ 49a ASGG. § 1000 Abs 2 regelt die Entrichtung von Zinseszinsen und
verlangt dafür ausdrückliche Vereinbarung. Abs 3 regelt die Frist
zur Zahlung von Zinsen. | Gesetzliche
Zinsen |
Worin bestehen die Zinsen beim Sachdarlehen?
Vgl dazu Codex Justinianus 4, 32, 23: Konstitution der Kaiser Diokletian
und Maximian aus dem Jahre 294 n.C. – „Bei Darlehen von Öl und Früchten
aller Art hat man sich durch die Ungewissheit der Preise bewogen
gefunden, Zinsen in demselben Stoffe zuzulassen.” | |
| Partiarisches Darlehen |
• Ein Beteiligungs- oder partiarisches
Darlehen wird angenommen, wenn das Darlehensentgelt nicht
in festen Zinsen, sondern in einem festgelegten Gewinnanteil besteht;
zB 15 % des erzielten Reingewinns. Hier erfolgt die Geldhingabe
gegen Gewährung einer vereinbarten Gewinnbeteiligung. | |
| |
Die Beteiligungs- oder partiarischen Verträge umfassen neben
dem partiarischen Darlehen auch noch andere Arten der Gewinnbeteiligung;
zB kann dies auch eine einmalige Prämie sein, die für einen Geschäftsabschluss
gezahlt wird: Zur Handelsvertreter- oder Maklerprovision → KAPITEL 13: Direkte
Stellvertretung: Anwendungsbereich. | |
Die Stille
Gesellschaft (§§ 178-188 HGB) ist – zum Unterschied vom
Beteiligungsdarlehen – eine Gesellschaft. Der stille Gesellschafter
/ Teilhaber beteiligt sich am Handelsgewerbe eines anderen mit einer
Einlage. Diese Einlage geht – wie übergebenes Geld beim Darlehen
– in das Eigentum des Geschäftsherrn, des sog tätigen Teilhabers
über. Es wird also nicht wie bei OHG oder KG ein gemeinsames Gesellschaftsvermögen
gebildet. Der „Stille” ist aber am erwirtschafteten Gewinn beteiligt.
Die Stille Gesellschaft ist keine Handelsgesellschaft, da sie kein
Handelsgewerbe betreibt. Die Geschäftsführung steht dem tätigen
Teilhaber zu, der das Geschäft im eigenen Namen betreibt und sich
rechtsgeschäftlich allein berechtigt und verpflichtet. Der stille
Gesellschafter haftet auch nicht für Unternehmensschulden. Er besitzt
aber Kontrollrechte (wie ein Kommanditist) und ist am Gewinn und
(!) Verlust beteiligt, wobei die Verlustbeteiligung ausgeschlossen werden
kann. – Die Stille Gesellschaft ist vom partiarischen Darlehen und
der KG abzugrenzen. | Stille Gesellschaft |
Von
der typischen wird die atypische Stille Gesellschaft
unterschieden, die als GesbR angesehen wird: Bei ihr wird im Gesellschaftsvertrag
( → KAPITEL 12: Der Gesellschaftsvertrag) vereinbart, dass der Stille Gesellschafter
/ Teilhaber bei der Auflösung der Gesellschaft und bei der Auseinandersetzung schuldrechtlich
so gestellt wird, als gehörte das Gesellschaftsvermögen beiden Gesellschaftern gemeinsam.
In diesem Fall ist steuerlich eine Mitunternehmerschaft anzunehmen. | Atypische Stille Gesellschaft |
5. Schuldrechtliche
Beziehung | |
Gschnitzer, SchRBesT 3 (1963): „Die Art
des Gegenstandes macht das Darlehn zum einfachsten aller Schuldverträge:
Es kommt nicht auf das individuelle Stück an, und der Gebrauch kann
nur durch Verbrauch geschehen. Daher erwirbt der Schuldner [= Darlehensnehmer]
Eigentum [durch Übergabe] und muss nicht dieselben Stücke, sondern nur
dieselbe Art und Menge zurückstellen. Ist das Darlehn gegeben, so
entstehn Pflichten nur auf einer Seite”, nämlich
der des Darlehensnehmers in Form von Rückgabe- und Zahlungspflichten. | |
| |
6. Sachenrechtliche
Beziehung | |
Der Darlehensnehmer wird Eigentümer, Besitzer und Inhaber,
der Darlehensgeber bleibt nur schuldrechtlich (rück)forderungsberechtigt
und trägt das damit verbundene Risiko der Zahlungsunfähigkeit oder
–unwilligkeit des Schuldners. Daher werden häufig zusätzliche Sicherungsmittel ()
vereinbart. | |
| |
| Abbildung 3.13: Realkontrakte – Übersicht |
|
Das römische Recht unterschied
innerhalb der Realkontrakte zwischen den Nominat- oder
benannten Realkontrakten – zu ihnen zählten Darlehen (mutuum), Leihe
(commodatum), Verwahrung (depositum) und Pfandvertrag (pignus) –
und Innominat- oder unbenannten Realkontrakten,
bei denen durch die Leistung einer Seite ein klagbarer Anspruch
auf Gegenleistung der anderen Seite entstand und dieses Rechtsverhältnis
nicht unter einen anderen Kontraktstypus fiel. Der Schuldvertrag
kam auch bei den Innominatrealkontrakten nicht schon durch die korrespondierenden
Willenserklärungen (den Konsens) der Vertragsparteien, sondern erst
durch die reale Leistung einer Seite zustande. Mit Vertragsschluss
entsteht auch die Verpflichtung zur Gegenleistung. Als Leistungsinhalte kamen
bei den Innominatrealkontrakten in Betracht: Bis Justinian
galten der Tausch- (permutatio) und Trödelvertrag (Verkaufsauftrag:
contractus aestimatoriae; vgl noch § 1083 ABGB) als Innominatrealkontrakte,
dann wurden sie den Konsensualkontrakten zugezählt. | Nominat- und
Innominatrealkontrakte |
•
do ut des =
Sachleistung gegen Sachleistung; | |
•
do ut facias = Sachleistung
gegen Dienstleistung; | |
•
facio ut des = Dienstleistung
gegen Sachleistung; | |
• und schließlich facio ut facias =
Dienstleistung gegen Dienstleistung. | |
7. Das
Darlehen als Realvertrag | |
Das heißt: Ein gültiger Darlehens(haupt)vertrag setzt voraus: | |
• Einerseits die vertragliche Willenseinigung der
Parteien (= Konsens) und zusätzlich (!), | |
• die reale (dh wirkliche) Übergabe des
Darlehensgegenstandes: Dies geschieht idR durch Zuzählung der Darlehensvaluta
(= des Geldes) bei barer Übergabe von Geld oder durch (wirkliche
Durchführung der) Überweisung / Gutschrift auf das Konto des Darlehensnehmers. | |
Ein gültiger Darlehens(haupt)vertrag setzt also beides voraus:
Willenseinigung + reale (= wirkliche) Übergabe. Man kann auch sagen,
dass beim Real(haupt)vertrag Titel und Modus ein vertragliches Ganzes
bilden. In der Übergabe liegt aber auch ein Publizitätsakt. | |
Fehlt die
Übergabe, bedeutet dies aber nicht, dass eine solche Vereinbarung
ungültig ist. In diesem Fall lässt § 983 Satz 2 ABGB, wenn der Abschluss
eines Darlehensvertrags gewollt ist, aber keinen Darlehens hauptvertrag,
sondern bloß einen Darlehens vorvertrag iSd § 936
ABGB entstehen → KAPITEL 6: Der
Vorvertrag: § 936 ABGB. | |
| |
8. Schuldschein
und Quittung | |
Über
die Zuzählung eines Darlehens wird häufig ein Schuldschein zur Beweissicherung
ausgestellt; vgl dazu § 1001 ABGB und das folgende Beispiel: | Schuldschein |
Schuldschein
| |
Hiemit
bestätige ich, dass mir Frau Maria B. (Bregenz, Seeufer 12) den
Betrag von 10.500 € (zehntausend und fünfhundert Euro) als Darlehen
gewährt und übergeben hat und ich diesen Betrag angenommen habe.
– Der übergebene Betrag wird vierteljährlich mit 5,5 Prozent verzinst.
– Die Fälligstellung des Darlehens erfolgt mittels Kündigung, wofür
folgendes vereinbart wird: a) die Kündigungsfrist beträgt 3 Monate;
b) das Darlehen ist zunächst 3 Jahre unkündbar. |
Dornbirn, am 9.11.2003 |
Als Darlehensnehmer / Schuldner: Hans Fröhlich, Feldkirch,
Bahnhofstraße 2 |
Unterschrift |
| |
| Beweis- und
nicht Wertpapier |
Wertpapiere sind Urkunden, die den Wert
des Rechts, das sie verbriefen, verkörpern. Man sagt kurz: Das Recht aus dem
Papier, folgt dem Recht am Papier. Die Ausübung
des Rechts aus einem Wertpapier ist daher an den Besitz des Papiers
/ der Urkunde gebunden. Nicht so die Geltendmachung einer Darlehensforderung,
mag über sie auch ein Schuldschein ausgestellt worden sein. Die Darlehensforderung
kann (in diesem Fall) auch auf andere Weise als durch Vorweis des
Schuldscheins bewiesen und geltend gemacht werden; zB durch Zeugen.
Aber der Schuldschein erleichtert den Beweis! | |
Vom Schuldschein
zu unterscheiden ist die Quittung; §§ 1426 ff ABGB. Die Quittung
dient wie der Schuldschein als Beweis(urkunde).
Sie begründet (§ 1427 ABGB) eine Rechtsvermutung ( → Redlichkeitsvermutung)
der Bezahlung, und zwar auch der Zinsen. – Art 8 Nr 9 EVHGB regelt
die Empfangsvollmacht des Überbringers einer Quittung
→ KAPITEL 13: Erteilung
der Vollmacht. | Quittung |
9. Fälligkeit und
Dauer des Darlehens | |
Das Darlehen
schafft zwischen den Vertragsparteien eine Dauer(rechts)beziehung,
wobei die Dauer / Fälligkeit entweder von vornherein ausdrücklich
vereinbart wird (zB: „Rückzahlung am ...”) oder durch den Zweck
des Darlehens (zB Zahlung unverzüglich nach Rückkehr von
der Amerikareise) oder schließlich durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung (sog
Fälligkeitskündigung, richtig handelt es sich dabei um eine Mahnung,
also Fälligstellung iSd § 1334 ABGB) bestimmt wird. | |
| |
Eine
Besonderheit bei der Darlehensrückzahlung stellen sog endfällige
Darlehen dar. Bei ihnen werden bis zur endgültigen Fälligkeit
des Darlehens nur Zinsen zurückbezahlt, die geborgte Summe dagegen
erst am Ende der Laufzeit. Finanziert wird das idR mit einem Anlageprogramm
in Fremdwährung; zB Schweizer Franken oder Yen. Solche Darlehen
/ Kredite sind riskant/er, denn sie lohnen sich nur, so lange die
Anlagerendite höher ist als der Kreditzinssatz; und bei Fremdwährungsveranlagung
spielt das Wechselkursrisiko eine entscheidende Rolle. Das mussten
viele Kreditnehmer, die Yen- oder Schweizer Franken-Kredite aufgenommen
hatten zur Kenntnis nehmen. Mit dem Anstieg der Wechselkurse für
diese Fremdwährungen, stiegen auch die Zinsen und der ursprünglich
verführerisch niedrige Zinssatz änderte sich beträchtlich und damit
auch die Rückzahlungsbelastung; Doppelbelastung: Wechselkursanstieg
+ Zinserhöhung. – Daher: Achtung! | |
10. Vorzeitige Rückzahlung? | |
Beim entgeltlichen
/ verzinslichen Darlehen ist die von den Parteien vereinbarte Zahlungszeit
nach ABGB für beide Teile verbindlich; dh: der
Darlehensnehmer ist zu vorzeitiger Rückzahlung nicht verpflichtet,
aber – anders als beim unverzinslichen Darlehen – wegen des Zinsen-
/ Anlageinteresses des Darlehensgebers (= Gläubiger) auch nicht
berechtigt! – Eine Ausnahme macht nunmehr § 33
Abs 8 BWG iVm § 12a KSchG, die Verbraucher berechtigen, ihre Verbindlichkeiten
aus einem Verbraucherkreditvertrag ganz oder teilweise auch vorzeitig
zu erfüllen → KAPITEL 2: Vorzeitige
Rückzahlung von Verbraucherkrediten (§ 12a). | |
| Abbildung 3.14: Verbraucher-Kreditvertrag und Darlehen |
|
| |
Wird ein Darlehen
mit längerer Laufzeit eingeräumt, wird der innere (Geld)Wert der
Darlehenssumme häufig durch eine Wertsicherungsklausel ( → KAPITEL 15: Wertsicherung)
– die aber ausdrücklich vereinbart werden muss – gesichert. | |
Denn die
Gefahr der Geldentwertung (von staatlichem Geld mit Zwangskurs)
trägt der Gläubiger; SZ 3/61 oder HS 1609. Will der Gläubiger das
nicht, muss er sich dagegen vertraglich absichern. | Gefahr der Geldentwertung |
Wertsicherungsklauseln
legen heute idR der Berechnung einen Index – zB den Lebenshaltungskosten-
oder Verbraucherpreisindex – zugrunde. Höhere (Bank)Darlehen werden
häufig zusätzlich durch die Bestellung einer Hypothek gesichert.
– Für den Verzug mit der Rückzahlung von Darlehensraten und/oder
-zinsen wird in der Praxis gerne ein „Terminsverlust“ vereinbart → KAPITEL 2: Vertragsbeispiele:
Link. | Indexklauseln |
| |
Darlehensverträge
sind grundsätzlich formfrei, können also mündlich wie schriftlich
gültig geschlossen werden; § 883 ABGB. Die Parteien können aber
eine besondere Form vertraglich vereinbaren; sog gewillkürte Form:
§ 884 ABGB. Und in der Praxis werden Darlehensverträge grundsätzlich
schriftlich geschlossen. – Eine Art Ersatzfunktion für die Formfreiheit
des Darlehens erfüllt der Schuldschein → Schuldschein
und Quittung Darüber
hinaus ist ein Realkontrakt ( → Das
Darlehen als Realvertrag)
weniger formbedürftig als ein bloßer Konsensualvertrag. | |
Sie bedürfen aus Gründen des Gläubigerschutzes
eines Notariatsakts; § 1 Abs 1 lit b NZwG. | Darlehensverträge zwischen
Ehegatten |
| Schriftformerfordernisse nach
dem KSchG |
13. Abgrenzungen
des Darlehens | |
Vom Darlehen haben sich im Laufe seiner langen Anwendung
eine Reihe von Rechtsinstituten emanzipiert, weil der Realvertrag
Darlehen dem Rechtsverkehr in manchem zu behäbig war. – Es kam zu
Vereinfachungen und Differenzierungen. Zu nennen sind: | |
• der Kredit(eröffnungs)vertrag
→ Der
Kredit(eröffnungs)vertrag; | |
• der Spareinlagenvertrag nach
den §§ 31 f BWG → Spareinlagenvertrag
– Sparbuch; | |
• das partiarische Darlehen und | |
• die Stille Gesellschaft (§§
178-188 HGB) → Entgeltlichkeit
oder Unentgeltlichkeit; und schließlich | |
• der (Gehalts)Vorschuss
→ KAPITEL 12: Der
Entgeltvorschuss. | |
| Abbildung 3.15: Darlehen: §§ 983 ff ABGB |
|
II. Der
Kredit(eröffnungs)vertrag | |
1. Atypische Neuschöpfung | |
Im Schuldrecht
herrscht Vertragsfreiheit → KAPITEL 5: Vertragsfreiheit
und Privatautonomie.
Das führte dazu, dass die Praxis neben dem alten im Gesetz geregelten
Realkontrakt Darlehen, eine einfachere, modernere Rechtsfigur entwickelte:
den Kredit(eröffnungs)vertrag als bloßen Konsensualvertrag. Er ermöglicht
in mancher Hinsicht eine flexiblere Kreditierung und kam einem modernen
Wirtschaften entgegen. | |
So wurde insbesondere in der Zeit nach dem
Ersten Weltkrieg, bedingt durch Kapital- und Rohstoffmangel, der Kaufpreis
für eingeführte Rohstoffe kreditiert und der Lieferant durch einen
Eigentumsvorbehalt gesichert; Lieferungskredit → KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt
als Warensicherungsmittel. | |
2. Umschreibung
durch den OGH | |
Der OGH umschreibt in JBl
1981, 90 den Unterschied zum Darlehen: Danach ist der Kredit(eröffnungs)vertrag
ein Konsensualvertrag eigener Art, der auf die Begründung eines
zweiseitigen Dauerschuldverhältnisses gerichtet ist. Er ist kein
Darlehnsvertrag, weil dieser ein Realvertrag ist, bei dem der verbindliche
Abschluss erst mit dem Erbringen der vereinbarten (Sach)Leistung
zustande kommt (§ 983 ABGB); aber auch kein Darlehensvorvertrag,
da der Wille der Parteien nicht bloß auf den künftigen Abschluss
eines Hauptvertrags gerichtet ist, sondern bereits auf unmittelbare Kreditgewährung
ohne neuerlichen Vertragsschluss. Der Krediteröffnungsvertrag lässt
zwischen den Parteien ein Kreditverhältnis (= Dauerschuldverhältnis)
entstehen, dessen gegenseitige Leistungen darin bestehen, dass für
eine bestimmte Zeit Kredit in bestimmter Höhe – sog Kreditrahmen
– gegen entsprechendes Entgelt zur Verfügung gehalten wird. | |
Die historische Entwicklung verlief,
wie wir am Beispiel von Darlehen und Kredit(eröffnungs)vertrag sehen,
von den noch schwerfälligeren Realkontrakten zu
den „moderneren” und „einfacheren” Konsensualkontrakten.
Ein Zwischenentwicklungsschritt führte – wie uns das römische Recht
zeigt – über sog Verbalkontrakte, bei denen die gewünschte
Rechtswirkung eines Vertrags von einer rituell-verbal genau festgelegten
Wort(ab)folge / Wortwahl abhing; Beispiel: die Stipulation des römischen
Rechts – „spondesne …? – spondeo”. | |
3. Optionsrecht
des Kreditnehmers | |
Beim
Kredit(eröffnungs)vertrag ruft der Kreditnehmer den im Vertrag –
also beidseitig – vereinbarten Kredit einseitig aufgrund eines ihm
eingeräumten Gestaltungsrechts ab; dies ist Option → KAPITEL 6: Vorvertrag
<-> Option. | |
| |
Eine
Aufzählung der vielfältigen Bankgeschäfte findet sich in → KAPITEL 5: Beispiel:
Bankgeschäfte als
Beispiel für rechtsgeschäftliche Neuschöpfungen bedingt durch die
Vertragsfreiheit. | |
4. Der
Kontokorrentkredit | |
Ein
praktisch wichtiger Anwendungsfall des Kreditvertrags ist – vor
allem für Kaufleute – der Kontokorrentkredit. Ein Kontoinhaber kann
über den Aktivstand des Kontos hinaus bis zu einer vereinbarten
Höchstgrenze – sog Kreditrahmen – verfügen und wird dadurch im Ausmaß
des in Anspruch genommenen Kredits Kreditnehmer; vgl NZ 1985, 230:
Berechtigung des Kreditnehmers sein Konto (ohne die ansonst nötige
Deckung) zu überziehen. | |
Eine
gesetzliche Umschreibung des revolvierenden (Verbraucher)Kontokorrentkredits
enthält nunmehr § 33 Abs 3 BWG: | (Verbraucher)Kontokorrentkredit |
„ ... sind Kredite in laufender Verrechnung,
bei denen der Verbraucher im Rahmen der vereinbarten Laufzeit über den
Kreditvertrag oder Teile davon frei und wiederholt verfügen kann.” | |
| |
Für
die Kontoüberziehung verlangen Kreditinstitute bankmäßige Zinsen.
Daneben sind individuelle Vereinbarungen möglich. – Die Konditionen,
insbesondere die Zinsen, für gegebene Kredite sind bei den einzelnen
Kreditinstituten unterschiedlich und wechseln immer wieder, was
einen Vergleich bei Inanspruchnahme nahe legt; zu unterscheiden
sind Schalter- oder Wohnkredite, drei oder fünf-Jahres-Fix-Kredite
sowie Hypothekar- und Lombardkredite etc. | Kontoüberziehung |
Darunter
versteht man einen Kredit, bei dem der Kreditnehmer – Zug um Zug
(mit der Kreditgewährung) – den Kredit durch Waren, Wertpapiere
oder Edelmetalle besichert. | Lombardkredit |
Eine gesetzliche Umschreibung
der Kontokorrentvereinbarung gibt § 355 HGB (§
1430 ABGB enthält einen bürgerlichrechtlichen Ansatz des kaufmännischen
Kontokorrent): Der kaufmännische Geschäftsverkehr / das Handelsrecht
kennt ein besonderes Aufrechnungs- und Abrechnungsverfahren zwischen
Kaufleuten, die in ständiger Geschäftsbeziehung stehen. Hier kommt
es nicht zu einer laufenden Auf- und Abrechnung zwischen den einzelnen
Forderungen und Gegenforderungen (Schuldposten), sondern zu einer
periodisch globalen Abrechnung und Aufrechnung zu einem vereinbarten
Zeitpunkt; sei es monatlich, halbjährlich oder jährlich. Zum festgelegten
Zeitpunkt wird der Saldo festgestellt, das ist
die Differenz zwischen der Summe der Forderungen und Gegenforderungen,
und abgerechnet. Nur die Differenz wird geschuldet und in der Folge
bezahlt. Die sich deckenden (Forderungs)Beträge werden vereinbarungsgemäß
kompensiert; zur Aufrechnung → KAPITEL 15: Aufrechnung
/ Kompensation. | Was
bedeutet Kontokorrent? |
| |
| |
Anders als in der
BRD / EU fehlte in Österreich lange eine Regelung des Verbraucherkredits.
Diese Lücke schloss das mit 1.1.1994 in kraft getretene BankwesenG
1993 (BWG), das in § 33 Regeln für Verbraucherkredit- und
in § 34 für Verbrauchergirokontoverträge trifft. | |
Nach
§ 33 Abs 2 BWG bedürfen Verbraucherkreditverträge „unbeschadet der
Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts [vgl Ratenbrief!] ... der Schriftform”;
und dort wird dem Verbraucher auch das Recht eingeräumt vom Kreditinstitut
schon den Entwurf „des in Aussicht genommenen Vertrages” verlangen
zu können. Darüber hinaus hat der Verbraucherkreditvertrag – wie
der Ratenbrief – einen bestimmten Inhalt aufzuweisen: Gesamtbelastung,
Kostenelemente, effektiver Jahreszinssatz, eine allfällige Zinsgleitklausel
sowie Anzahl und Höhe der Fälligkeitszeitpunkte der rückzuzahlenden Teilbeträge. | Schriftform
+
Inhaltsbestimmung |
§ 35 BWG meint eine verständliche Klarstellung
der effektiven Verzinsung, die bislang oft kryptisch gehandhabt
wurde. | „Preisaushang
und Werbung” |
| „Geschäftsbeziehungen
zu Jugendlichen” |
| Wertstellung |
Nach § 33 Abs 8 BWG sind Verbraucher nunmehr
berechtigt, ihre Verbindlichkeiten aus einem Verbraucherkreditvertrag
ganz oder teilweise vorzeitig zu erfüllen; dazu kommt die Regelung
des § 12a KSchG: Ausnahmen: zB bestimmte Gebäudekredite, hypothekarisch
gesicherte Kredite und solche, die den Betrag von 25.000 ı (310.000
S) übersteigen. | Vorzeitige
Rückzahlung |
6. Kreditgeschäfte
mit Ehegatten, Verbrauchern etc | |
§§ 25a
KSchG; 25b KSchG (Kreditverbindlichkeiten von Verbrauchern), § 25c
KSchG (Warnpflicht gegenüber Mitschuldnern, Bürgen oder Garanten
– sog Interzession → KAPITEL 15: Interzession),
§ 25d KSchG: Mäßigungsrecht. | |
7. Geschäftsbeziehung
zu Jugendlichen: § 36 BWG | |
Kreditinstitute haben
gegenüber Personen, die das 18. Lebensjahr noch nicht beendet haben,
unter anderem folgende Sorgfaltspflichten zu beachten: | |
Ohne
ausdrückliche Zustimmung des gesetzlichen Vertreters keine Ausgabe
von Karten für Bargeldbezug sowie Scheckkarten
vor Vollendung des 18. Lebensjahrs, bei Vorliegen regelmäßiger Einkünfte
nicht vor Vollendung des 17. Lebensjahrs. | Scheckkarten |
Der
Geldbezug von Jugendlichen durch Geldausgabeautomaten / Bankomat
ist auf wöchentlich 400 ı (früher 5.000 S)zu begrenzen. | Bankomat |
Vor Ausgabe von
Scheckformularen an Jugendliche hat das Kreditinstitut die Ordnungsgemäßheit der
bisherigen Kontogestion, insbesondere den gegenwärtigen Kontostand,
zu prüfen. | Scheckformulare |
8. Sog
Wertstellung: § 37 BWG | |
Kreditinstitute haben
Rückzahlungen aus Verbraucherkreditverträgen, Einzahlungen und Überweisungen
auf Verbrauchergirokonten und auf Sparurkunden spätestens mit dem
ersten Werktag (Wertstellungstag) zu berücksichtigen, der dem Kalendertag,
an dem die Beträge tatsächlich einlangen, folgt. | |
9. Alternativen
zum Bankkredit | |
Gilt insbesondere für Kaufleute:
– Privatdarlehen; – Beteiligung eines stillen Gesellschafters (§
178 HGB); – Gründung einer GmbH, an der zB der (investierende) Unternehmer
und der Geldgeber als gemeinsame Gesellschafter beteiligt sind.
– Als weitere Möglichkeit ist für Kaufleute die Errichtung einer
KG zu nennen (§ 161 HGB); Kommanditisten bringen Kapital ein. –
Auch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§§ 1175 ff ABGB) kommt
in Betracht. – Zum Factoring → KAPITEL 14: Das
Factoring. | |
| |
Hier
galt – in Umsetzung einer EG-RL – ein eigenes VerbraucherkreditG (VerbrKrG)
vom 17.12.1990. Es sah für Kreditverträge Schriftform vor (§ 4),
schrieb weitgehend den Vertragsinhalt vor (§ 4) und gewährte Verbrauchern ein
gesetzliches Widerrufsrecht binnen einer Woche (§ 7). – Dieses Gesetz
diente den einschlägigen Bestimmungen des öBWG als Vorbild. Es wurde
im Rahmen der Schuldrechtsreform ins dtBGB eingearbeitet; vgl nunmehr
§§ 491 ff dtBGB: Verbraucherdarlehensvertrag § 495 dtBGB kennt ein
Widerrufsrecht. | |
| |
Auch Bank- und Kreditgeschäfte werden heute
über das Internet angebahnt und abgewickelt; sog Internetbanking: Finanzplanung,
Überweisungen, Spar- und Kreditgeschäfte, Wertpapiertransaktionen.
– Vgl auch die Hinweise → KAPITEL 2: Internet und Recht. | |
| Abbildung 3.16: Der Kredit(eröffnungs)vertrag |
|
III. Spareinlagenvertrag
– Sparbuch | |
Die Entwicklung des Kapitalmarkts und der Börsen schien
das Ende des Sparbuchs oder doch seine Unattraktivität rascher als
erwartet herbeizuführen. Die schwere Krise dieser Bereiche in der jüngsten
Vergangenheit und Gegenwart relativiert aber diese nur scheinbar
unumkehrbare Entwicklung. – Sparbuch, Bausparen und festverzinsliche
Wertpapiere werden daher wohl auch künftig für jene ihre Attraktivität
behalten, die auch künftig „ruhig schlafen” wollen und ihren Spieltrieb
anderweitig befriedigen. | |
| |
1. Sparbuch oder
Sparurkunde | |
§ 31 Abs 1 BWG gibt eine Legaldefinition der
Sparurkunde, so nennt das Gesetz das Sparbuch; danach sind: | |
„Spareinlagen ... Geldanlagen bei Kreditinstituten,
die nicht dem Zahlungsverkehr, sondern der Anlage dienen und als
solche nur gegen die Ausfolgung von besonderen Urkunden (Sparurkunden)
entgegengenommen werden dürfen. Sparurkunden können auf
Überbringer oderauf eine bestimmte Bezeichnung,
insbesondere auf Namen, lauten.” | |
2. Der Spareinlagenvertrag | |
Rechtsgrundlage
der Beziehung zwischen Kreditinstitut und SparerIn bildet der Spareinlagenvertrag , der
in der Praxis vielerlei Varianten aufweist; zB Laufzeit / Bindungen
(6 Monate, 24 Monate, 36 Monate) und Verzinsung (verschiedene Zinshöhe;
mit oder ohne Zinsgarantie); – Dem Spareinlagenvertrag liegt ein Darlehen des Sparers an
das Kreditinstitut zugrunde. Der Parteiwille geht dabei
auf Geschäftsbesorgung (Auftrag) + sichere
Verwahrung der Gelder + Zinsertrag, also Anlage des übergebenen
Geldes. Der Spareinlagenvertrag ist ein typisches Dauerschuldverhältnis
und erzeugt zudem – das Geld geht idR ins Eigentum des Kreditinstituts
über – ein Treuhandverhältnis. | |
| |
Das
Gesetz selbst nennt in § 31 Abs 1 Satz 2 BWG die verschiedenen Arten
von Sparbüchern und unterscheidet: | |
Hier
ist der Berechtigte im Sparbuch genannt. Die Bank hat aber die Identität
nach § 32 Abs 4 BWG grundsätzlich nicht zu prüfen, kann dies aber.
Das Namenssparbuch ist ein sog Rekta- oder Namenspapier, das durch
Zession übertragen wird. | Namenssparbuch |
Daneben
sieht das BWG die Möglichkeit vor, dass das Sparbuch „auf
eine bestimmte Bezeichnung" lautet; zB einen Phantasienamen.
Praktisch ist das vor allem in der Variante des Losungswortes; zB
„Lisa” oder „Sonne”. Die Bekanntgabe eines „Losungswortes” oder
der „Unterschriftsleistung" sind Möglichkeiten,
um ein Sparbuch gegen Missbrauch (zB Diebstahl) zu schützen. Verfügungen
über die Spareinlage dürfen dann nur gegen Angabe des Losungswortes oder
Abgabe der Unterschrift vorgenommen werden. – Sowohl Inhaber- wie
Namenssparbücher können mit einem Losungswort versehen werden. –
Die rechtlich gültige Übertragung erfolgt hier durch Übergabe
des Sparbuchs + Bekanntgabe des Losungsworts. | Losungswort oder Unterschriftleistung |
Der
1. Juli 2002 brachte das Ende der alten Inhaber-Sparbücher. | Ende der alten Inhaber-Sparbücher |
Die neuen Sparbücher
Namenssparbuch (neu)
| Losungswort-Sparbuch (neu) | Einlagen und Überweisungen von Beträgen, die über
15.000 Euro = 200.000 S liegen, dürfen nur nach erfolgter Identitätsprüfung
des Kunden durchgeführt werden. Auch bei Abhebungen hat eine Identitätsprüfung
des Kunden zu erfolgen. | Bis zu einem maximalen Guthabensstand von 15.000
Euro (200.000 S) können Einlagen und Überweisungen ohne Identifikation
durchgeführt werden. Werden durch Zinsengutschriften diese 15.000
Euro (200.000 S) überschritten, ist dies nicht schädlich. Abhebungen
können unter Nennung des Losungswortes erfolgen. |
| |
| Abbildung 3.17: Das Sparbuch (1) |
|
| Abbildung 3.18: Das Sparbuch (2) |
|
4. Das
Sparbuch als Wertpapier | |
Das Sparbuch ist ein Wertpapier. Das
bedeutet: Das Recht am Papier und aus dem
Papier kann grundsätzlich nur durch Vorlage des Sparbuchs geltend
gemacht werden; nach § 32 Abs 2 BWG dürfen insbesondere „Auszahlungen
... nur gegen Vorlage der Sparurkunde geleistet werden”. – Einzahlungen
dagegen dürfen auch dann entgegengenommen werden, wenn die Sparurkunde
nicht gleichzeitig vorgelegt wird. | Ein-
und Auszahlungen |
Im Falle des ‚Verlustes’
eines Sparbuchs– zB Diebstahl oder es wird verloren
– sieht § 31 Abs 4 BWG nunmehr vor: Nach Meldung des Verlustes ist
dieser in den Aufzeichnungen des Kreditinstituts zu vermerken; innerhalb
von 4 Wochen darf dann keine Auszahlung erfolgen. Diese Regelung
stellt eine Vereinfachung gegenüber der Kraftloserklärung von Urkunden
nach dem KraftloserklärungsG 1951, BGBl 1951/86, dar. | Verlust
eines Sparbuchs – Kraftloserklärung |
5. Vorrecht von
Kreditinstituten | |
Sparurkunden
dürfen nach § 31 Abs 2 BWG „ausschließlich von den zum Spareinlagengeschäft berechtigten
[Kreditinstituten] ausgegeben werden.” – Die Bezeichnungen „Sparbuch”,
„Sparbrief” etc sind gesetzlich geschützt. | |
| |
Die §§ 40, 41 BWG treffen
Bestimmungen gegen „Geldwäscherei”; danach besteht ua die Pflicht der
Kreditinstitute bei Einzahlungen ab mindestens 15.000 Euro = 200.000
S die Identität des Kunden festzuhalten. – Weitere Vorschriften
sind geplant. | |
7. Unterschiedliche
Konditionen | |
Die verschiedenen Kreditinstitute gewähren ganz unterschiedliche
Konditionen für Spareinlagen; sie liegen bspw bei täglich fälligem
Geld (= jederzeit abhebbar) derzeit zwischen 1,25 und 2,75%; bei
6-monatiger Bindung zwischen 1,50 und 3,25% und bei Kapitalsparbüchern,
je nach Bindungsdauer (24-60 Monate) zwischen 3,50 und 4,25%. Bausparen
(6 Jahre) ebenfalls mit 4,50% + staatliche Prämie (derzeit zwischen
3 und 8%). – Neben den Zinsen unterscheiden sich auch die anderen Konditionen
für Kredite oder Spareinlagen beträchtlich. Ein Vergleich ist daher
lohnend. | |
| Abbildung 3.19: Geld auf österreichischen Sparbüchern |
|
8. Sparbuchanonymität
und Bankgeheimnis | |
Auch
wenn die Anonymität von Sparbüchern in Österreich nunmehr beseitigt
wurde, bedeutet das nicht, dass die finanzielle Sphäre des Sparers
ungeschützt ist. Etwa 90 Prozent der ca 24,5 Mio Sparbücher in Österreich
waren anonym, dh, dass das Kreditinstitut den Sparbuchkunden nicht kennen
musste. | Anonymität |
Das
Bankgeheimnis regelt dagegen das Rechtsverhältnis zwischen Kreditinstitut
und Dritten. Es verbietet Mitarbeitern des Kreditinstituts bankgeschäftliche
Auskünfte an Dritte zu erteilen. Durchbrochen werden kann das Bankgeheimnis
aber im gerichtlichen Strafverfahren und im Finanzstrafverfahren
oder wenn ein Kunde der Aufhebung ausdrücklich zustimmt. Auch im Verlassenschaftsverfahren gilt
das Bankgeheimnis nicht. | Bankgeheimnis |
Der Wegfall der Sparbuch-Anonymität wird
künftig die Kosten des Erbens insoferne erhöhen, zumal dadurch – anders
als bisher – Namenssparbücher in den Nachlass fallen, wovon insbesondere
die Notare (Gebühren!) und der Staat (Erbschaftssteuer) profitieren.
– Bisher war es weit verbreitet, wenngleich illegale Praxis, Sparbuchguthaben unter
den Erben ohne Einbeziehung ins Verlassenschaftsverfahren zu verteilen.
Das stellte zwar keine Steuerhinterziehung dar, zumal mit der Begleichung
der KEST auch die Erbschaftssteuer bezahlt wird, aber es minderte
die Kosten (Notar) der Nachlassverwaltung. | |
|
| |
| |
Wir alle kennen die Leihe aus Kindheitstagen. Dennoch: Auch
bei so einfachen Rechtsinstituten gibt es – wie wir sehen werden
– die eine oder andere rechtliche Besonderheit zu entdecken. – Entliehen
wird alles Mögliche: Spielzeug, Kleidung, Schmuck, ein Fahrrad oder
Auto, die Zeitung des Zugnachbarn oder der Einkaufswagen im SB-Laden.
Aber kann man auch eine Wohnung oder gar ein Haus, also unbewegliche
Sachen, entlehnen oder verleihen? | |
I. Die Leihe als
Realkontrakt | |
Auch die Leihe – geregelt in den §§ 971 ff ABGB
– ist (wie im römischen Recht: commodatum) Realvertrag und kommt
daher erst mit Einräumung der Gewahrsame am Leihgegenstand (also
idR durch dessen Übergabe) zustande. – Das bloße Versprechen der
Gebrauchsüberlassung ist wiederum – wie beim Darlehen – nur Vorvertrag
iSd § 936 ABGB; vgl § 971 Satz 2 ABGB. | |
1. Legaldefinition
des § 971 ABGB | |
„Wenn jemandem eine
unverbrauchbare Sache bloß zum unentgeltlichen Gebrauche auf eine bestimmte
Zeit übergeben wird; so entsteht ein Leihvertrag ...” | |
Entgegen
dem Gesetzeswortlaut lässt man auch Leihe auf unbestimmte
Zeit zu. Als Dauerschuldverhältnis braucht sie dann zur Beendigung
die Kündigung. | |
| |
| |
Die Personen des Leihvertrags heißen: – VerleiherIn und EntlehnerIn. | |
Der Begriff „ Leihe” wird
nicht selten in der Umgangssprache unrichtig gebraucht.
Es wird von Leiharbeit (
→ KAPITEL 12: Arbeitnehmerüberlassung),
Leihbücherei, Leihauto, Leihfirma, Leihvideo, Kostümverleih usw
gesprochen. Gemeint ist in diesen Fällen aber regelmäßig (entgeltliche)
„Miete”, zumal hier ein Entgelt zu entrichten ist, die Leihe – heute
– aber notwendig unentgeltlich ist. – Geringfügiges „Entgelt” nimmt
der Leihe aber nicht den Charakter der Unentgeltlichkeit. Das gleiche
gilt für vorübergehende Entgeltlichkeit; zB Geldeinsatz
von 0,5 ı, um im SB-Laden einen Einkaufswagen benützen zu können,
der bei Rückstellung des Wagens rückerstattet wird. | |
Zum weiten Begriff der Leihe im Mittelalter → Sach-
oder Gelddarlehen und
das diesem Pkt vorangestellte Eingangsmotto von R. Hübner. | |
| |
Anders
als beim Darlehen sind Gegenstand der Leihe stets unverbrauchbare
Sachen; zB ein Buch, eine Bluse, ein Anzug / Kostüm, ein
Fahrrad oder Ring. Die „Leihe” eines Päckchens Papiertaschentücher
wäre dagegen Darlehen! Anders als beim Darlehen ist nämlich bei
der Leihe dieselbe Sache zurückzustellen. – Die
zur Leihe übergebene Sache kann aber beweglich oder unbeweglich
sein. Man kann also auch Haus oder Wohnung ver- oder ausleihen. | |
II. Rechte und Pflichten
des Entlehners | |
Nach
§ 972 ABGB erwirbt der Entlehner das Recht, „den ordentlichen oder
[im Vertrag] näher bestimmten Gebrauch von der
Sache zu machen”; also Fahrrad oder Auto zu benützen, ein Buch zu
lesen, das Kleid am Ball zu tragen. – Der Gebrauch der entlehnten
Sache hat aber schonend zu erfolgen; man spricht
vom ordentlichen Gebrauch des Leihgegenstands. So dürfen EntlehnerIn
den Leihgegenstand insbesondere nicht weiterverleihen, darin läge
vielmehr ein widerrechtlicher Gebrauch der Sache.
Der Leihgegenstand ist auch vereinbarungsgemäß, also zeitgerecht
zurückzustellen. Der vereinbarte Gebrauch darf auch nicht ausgeweitet
werden, vielmehr ist am bedungenen Gebrauch festzuhalten. | |
| |
1. Gefahrtragung
und Haftung | |
Nach
§ 979 ABGB haftet der Entlehner für den „durch sein Verschulden verursachten”
Schaden. Gehaftet wird für omnis culpa, also ab leichter
Fahrlässigkeit
→ KAPITEL 9: Verschulden
(culpa). | |
§ 980 ABGB regelt den Fall, dass der Entlehner
das „Lehnstück” verliert und den Wert erlegt. Das Gesetz räumt ihm dadurch
„noch kein Recht [ein], dasselbe, wenn es wieder gefunden wird,
gegen den Willen des Eigentümers für sich zu behalten, wenn dieser
bereit ist, den empfangenen Wert zurückzugeben.” – Was räumt das
Gesetz dem Entlehner damit bis zur Rückgabe des Geldes ein? – Ein
Zurückbehaltungsrecht iSd § 471 ABGB → KAPITEL 15: Das
Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB. | |
EntlehnerIn haften nicht
für (unverschuldeten) Zufall; zB beim ausgeliehenen Fahrrad bricht
(unerwartet) eine Felge, das ausgeliehene Kostüm wird vom Kellner
beschmutzt, der entliehene Pkw hat trotz ordnungsgemäßen Abstellens
eine Delle am Kotflügel, der ausgeliehene Schi bricht beim normalen
Gebrauch. Die Gefahr / das Risiko einer unverschuldeten (= zufälligen)
Beschädigung der Sache trägt nach wie vor der Verleiher als Eigentümer.
Der Eigentümer trägt nämlich nach dem Gesetz den Zufall selbst;
§ 1311 Satz 1 ABGB → KAPITEL 9: Schadenersatz
und Zufall: § 1311 ABGB:
„Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person
er sich ereignet”. | |
Vom Zufall zu unterscheiden
ist aber der gemischte Zufall / casus mixtus. Gemischter Zufall
meint: Verschulden des Entlehners und Zufall treffen zusammen; was
etwa dann anzunehmen ist, wenn EntlehnerIn den Leihgegenstand vereinbarungswidrig,
also widerrechtlich weiterverleiht oder den vereinbarten Gebrauch
– eigenmächtig – ausweitet und der Gegenstand dabei zufällig (also
ohne sonstiges persönliches Verschulden des Entlehners) Schaden
leidet; zB durch Dritte beschädigt wird. Auch die §§ 979 (Verwahrung)
und 460 ABGB (Pfandrecht) kennen eine Haftung für gemischten Zufall. | |
| |
| |
| |
Da zwischen EntlehnerIn
und VerleiherIn eine vertragliche Beziehung besteht, kommt bei Beschädigung
des entlehnten Gegenstands die Beweislastregel des § 1298 ABGB zur
Anwendung und nicht die des § 1296 ABGB; Beweislastumkehr (Gesetz
lesen!). Das bedeutet, dass ein/e EntlehnerIn die eigene Schuldlosigkeit
beweisen muss! Das ist nicht immer leicht. | |
|
GlU 9700 (1883): Klage auf Schadenersatz
im Falle der Zurückstellung einer geliehenen Sache (zwei Ochsen)
in verschlimmertem Zustande: Beweislast. – OGH:
„Der Beweis, dass die Beschädigung ohne [Verschulden des Entlehners]
und durch einen von ihm nicht zu verantwortenden Zufall erfolgt
sei, ist ... vom Entlehner zu erbringen, weil derjenige, welcher
vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner Vertragspflicht ohne sein
Verschulden gehindert worden sei, nach § 1298 ABGB ... dies zu beweisen
hat.” – Tiere sind daher in ebendemselben gesunden Zustand zu restituieren,
in dem sie übergeben wurden; andernfalls greift § 979 ABGB. | |
|
3. Gebrauchs-
und Erhaltungskosten | |
Wer
trägt die Benzinkosten, wenn ein Moped oder Auto verliehen wird,
wer die Stromkosten einer geliehenen Wohnung? – Benzin- und Stromkosten
gehören zum ordentlichen Gebrauch und sind vom
Entlehner zu tragen! Darin liegt kein Entgelt! Zum schonenden Gebrauch
gehört auch die Pflicht der normalen Erhaltung der
Sache: Reinigen und Lüften der Wohnung, Warten eines Motorrads bei
längerem Gebrauch (Service etc), die (anteiligen) Betriebskosten
für eine geliehene Wohnung, die Futter- und Pflegekosten für ein
geliehenes Tier. Anders ist das, wenn ein Tier in Verwahrung gegeben
wird → Zur
sachen- und schuldrechtlichen Rechtsstellung des Verwahrers
| Pflicht der normalen Erhaltung: Ordentlicher Gebrauch |
Für
außerordentliche Erhaltungskosten hat der / die
EntlehnerIn aber nicht aufzukommen; jedoch besteht Vorschusspflicht des
Entlehners. Das Bezahlte hat der Verleiher dem Entlehner „gleich einem
redlichen Besitzer” (§ 981 ABGB) zu vergüten. Zu § 982 ABGB → Wechselseitige
Ansprüche nach Rückstellung
| Außerordentliche Erhaltungskosten |
| |
| |
EntlehnerIn müssen nach Ablauf der Leihzeit dieselbe
Sache zurückgeben; grundsätzlich in dem Zustand, in dem
sie übergeben wurde. Dh, dass die geliehene Wohnung bei längerem
Gebrauch allenfalls auszumalen, für ein Kfz uU ein Service zu machen
ist. | |
Der Verleiher hat
nicht das Recht die „verlehnte Sache vor Verlauf der Zeit und vor
geendigten Gebrauche”, also früher zurückzuverlangen;
selbst dann nicht, wenn er sie selbst dringend braucht; § 976 ABGB.
– Anderes gilt nach § 977 ABGB für den Entlehner:
Er ist berechtigt „die entlehnte Sache auch vor bestimmter Zeit
zurückzugeben”, aber nicht, wenn dies dem Verleiher „beschwerlich”
ist. | |
| Abbildung 3.20: Darlehen – Vergleich der Rechtsstellung – Leihe |
|
III. Das Dauerschuldverhältnis:
Leihe | |
Die Dauer
der Leihe bestimmt sich nach der Vereinbarung, die häufig nur schlüssig
erfolgt; § 863 ABGB. Als Dauerschuldverhältnis wird sie idR auf
bestimmte Zeit – zB für 1 Monat – oder zu einem bestimmten Zweck
– Leihe von Schiern für eine Schitour, eines Abendkleids für einen
Ball – vereinbart. Fehlt eine solche Vereinbarung, liegt Leihe auf
unbestimmte Zeit vor (§ 973 ABGB), die allenfalls – wenn kein Einvernehmen
erzielt werden kann – durch Kündigung ( → KAPITEL 6: Bedeutung
der Unterscheidung)
beendet werden muss. | |
Lesen
Sie die im Hinblick auf die Leihdauer interessante Beweislastregel
des § 975 ABGB: Den Entlehner trifft nämlich die Beweislast für
den behaupteten längeren Gebrauch. | Beweislastregel |
§ 978 ABGB statuiert ein vorzeitiges Rückforderungsrecht
des Verleihers bei vereinbarungswidrigem Gebrauch. | Vorzeitiges Rückforderungsrecht des
Verleihers |
Das in § 971 ABGB verlangte Kriterium, dass
die Übergabe des Leihgegenstands „auf eine bestimmte Zeit” erfolgt,
wird von der Rechtspraxis – wie erwähnt – stark gelockert. Schon
§ 974 ABGB hilft dabei, wenn er sagt: „Hat man weder die Dauer,
noch die Absicht des Gebrauches bestimmt ...” – Die scheinbar strenge
Zeitbestimmung in § 971 wird daher schon vom ABGB in Richtung Bestimmbarkeit
der Zeit erweitert. Die Grenzziehung zur Bittleihe /Prekarium ( → Bittleihe
/ Prekarium) wird
dadurch freilich unschärfer. | Bestimmbarkeit
der Zeit |
IV. Wechselseitige
Ansprüche nach Rückstellung | |
Für
allfällige Ansprüche von Verleiher und Entlehner nach Rücknahme
/ -stellung des Leihstücks gegeneinander ist § 982 ABGB zu beachten.
Ersatzansprüche des Verleihers (zB wegen „Missbrauchs” oder „übertriebener
Abnutzung”) sowie allfällige Rückvergütungsansprüche des Entlehners
wegen gemachter außerordentlicher Aufwendungen ( → Gebrauchs-
und Erhaltungskosten)
sind innerhalb von 30 Tagen (!) geltend zu machen: Präklusivfrist → KAPITEL 13: Die
Befristung. | |
V. Kein Zurückbehaltungsrecht
an entlehnten Sachen | |
| |
Mit der Formulierung
in § 982 letzter HalbS ABGB: „.., so ist die Klage erloschen” wird
eine Präklusivfrist ( → KAPITEL 13: Die
Befristung)
statuiert, die nicht einmal eine Naturalobligation entstehen lässt. | |
VI. Bittleihe
/ Prekarium | |
Worin liegt der Unterschied zur (echten) Leihe?
–Diese Sonderform liegt vor, wenn ein/e VerleiherIn die entlehnte
Sache – vereinbarungsgemäß – jederzeit nach Willkür zurückfordern
kann;
§ 974 ABGB. Die freie Widerruflichkeit muss aber nicht ausdrücklich
vereinbart sein und kann sich auch aus den Umständen ergeben; schlüssige
/ konkludente Vereinbarung iSd § 863 ABGB. Die Gesetzesformulierung
ist aber wenig aussagekräftig: | |
„Hat man weder die Dauer, noch die Absicht
des Gebrauches bestimmt; so entsteht kein wahrer Vertrag, sondern
ein unverbindliches Bittleihen (Prekarium), und der Verleiher kann
die entlehnte Sache nach Willkür zurückfordern.” | |
Heute
erblickt man – entgegen § 974 ABGB – in der Bittleihe einen Vertrag.
Daher wendet die Rspr auch bei Bittleihen die Beweislastumkehr des
§ 1298 ABGB an. | Vertrag |
|
JBl 1999, 47: Bei einer Bittleihe
trifft den Prekaristen die Pflicht zur Rückstellung des überlassenen Objekts
in unversehrtem Zustand; er hätte gemäß § 1298 ABGB zu beweisen,
dass er eine Beschädigung nicht verschuldet hat. Hier hatte der
Kläger dem Beklagten auf dessen Anregung das Lenken seines Pkw zu
einer gemeinsamen Fahrt überlassen. | |
|
|
OGH 11. 6. 2002, 1 Ob 67/02p, EvBl 2002/178:
Gemeinde Wien erlaubt einem beschränkt Geschäftsfähigen (Stufe eines
mündigen Minderjährigen) über 40 Jahre lang eines ihrer Grundstücke
zur Ablagerung von Blumen als Prekarium zu benützen.
Als die Gemeinde das Grundstück zurückfordert, wendet er Ersitzung
ein. – OGH: Nach § 310 ABGB kann auch ein mündiger Minderjähriger
Besitz erwerben, da vermutet wird, dass er die dafür nötige Einsichtsfähigkeit
besitzt. OGH verneint aber im konkreten Fall die Redlichkeit, da
auch einem beschränkt Geschäftsfähigen klar sein musste, dass kein
gültiger Titel zum Eigentumserwerb vorlag; vgl § 345 ABGB: nec vi
nec clam nec precario. | |
|
PrekaristIn werden aber im Gegensatz zum/r
EntlehnerIn nicht als Rechtsbesitzer angesehen, sondern nur als
Sachinhaber, obwohl ein Gebrauchsrecht besteht. Dieses jederzeit
widerrufliche Gebrauchsrecht wird offenbar als zu schwach angesehen.
Die Bittleihe vermittelt daher auch nicht die Besitzprivilegien → Bittleihe
/ Prekarium
| Kein
Rechtsbesitz |
Das Prekarium kommt
– wie die Leihe selbst – bei beweglichen und unbeweglichen
Sachen, aber auch bei Rechten vor. | Prekarium woran? |
| |
Praktisch bedeutsam ist die Abgrenzung
des Prekariums von der Miete, da ein Prekarist keinen Mieterschutz
genießt → KAPITEL 6: Soziales
Miet- und Pachtrecht. – Miete ist entgeltlich, das Prekarium
dagegen unentgeltlich; geringfügiges Entgelt (sog Anerkennungszins)
schadet aber nicht. Zahlung des Betriebskostenanteils an einer Wohnung
ändert nichts an der Bittleihe → Bittleihe
/ Prekarium
| Praktische Bedeutung
der Abgrenzung |
Für
die Abgrenzung zur Miete entscheidet nach der Rspr nicht die von
den Parteien gewählte Bezeichnung, sondern ihre wahre Absicht; §
914 ABGB. – Die Vermutung spricht nicht für Bittleihe, sondern für
Miete; außer zB bei freiwilliger Aufnahme Obdachloser auf deren
Bitte: EvBl 1947/441 = MietSlg 38. Das führt immer wieder zu Rechtsunsicherheit
und Streit. | |
| Abbildung 3.21: Leihe – Vergleich der Rechtsstellung – Verwahrung |
|
D. Verwahrung
und Gastwirtehaftung |
| |
In der Praxis kommt der
Verwahrungsvertrag (§§ 957 ff ABGB) häufig vor. Man denke an Kino, Theater,
Oper, verschiedene Verwahrungsgeschäfte der Banken, aber vor allem
den gastgewerblichen Bereich, der in einem Fremdenverkehrsland eine
bedeutende Rolle spielt. –Verwahrung ist zudem häufig Nebenpflicht
anderer Verträge; zB von Kauf- und Werkverträgen. Das gilt für Kino und
Theater (Werkvertrag!) und das Reparaturgewerbe ebenso wie für das
Kommissionsgeschäft zwischen einem Verlag und einer Buchhandlung,
die in Kommission übernommene Bücher sorgfältig zu verwahren hat. | |
| Gschnitzers
Eingangsbeispiel |
| |
1. Verwahrung
als Realkontrakt | |
Auch die Verwahrung –
im römischen Recht: depositum – ist Realvertrag. Es gilt daher auch
hier, was zu Darlehen und Leihe ausgeführt wurde; vgl § 957 Satz
2 ABGB. | |
Terminologie: Verwahrer (Depositar) und
Hinterleger (Deponent). | |
2. Definition und
Umschreibung | |
Das Gesetz formuliert:
„Wenn jemand eine fremde Sache in seine Obsorge übernimmt; so entsteht ein
Verwahrungsvertrag.” – Das Übernehmen in (eigene) Obsorge lässt
demnach den Verwahrungsvertrag als Hauptvertrag entstehen. Zurückzustellen
ist die „anvertraute Sache” (§ 961 ABGB), also (wie bei der Leihe
und anders als beim Darlehen) dieselbe Sache. | |
Als
Übergabsformen für den Realvertrag Verwahrung kommen neben der körperlichen
und symbolischen Übergabe auch die Übergabsformen des § 428 ABGB
(Übergabe durch Erklärung), ausgenommen das Besitzkonstitut, in
Betracht. | |
Die Verwahrung kommt entgeltlich und
unentgeltlich vor; § 969 ABGB. | Entgeltlich
und unentgeltlich |
Wie erwähnt kommt Verwahrung
häufig als vertragliche Nebenpflicht vor. Damit
ist gemeint, dass die vertragliche Hauptleistung nicht auf Verwahrung,
sondern zB wie beim Kauf auf Übergabe / Leistung des Kaufgegenstandes
gerichtet ist. Daneben trifft aber beim Kauf nach § 1061 ABGB den
Verkäufer auch die gesetzliche Nebenpflicht, „die Sache bis zur
Zeit der Übergabe sorgfältig zu verwahren ...”. – Verwahrung als
Nebenpflicht kann auch stillschweigend / konkludent (§ 863 ABGB)
bedungen werden; zB im Gastgewerbe, aber auch bei anderen Gewerbetreibenden
wie einer Kraftfahrzeugwerkstätte, einer Putzerei / Reinigungsanstalt
oder einem Uhrmacher usw. | Häufig
vertragliche Nebenpflicht |
3. Was ist Gegenstand
der Verwahrung? | |
Gegenstand der Verwahrung sind – nur (!) – Sachen, nicht
Personen. Die Bitte in Gschnitzers Beispiel, auf das Töchterchen
während des Urlaubs aufzupassen, führt daher zu keinem Verwahrungsvertrag! | |
Verträge über die „Verwahrung”
von Kindern, überhaupt die Aufnahme von Kindern in Kindergärten / Horten udgl,
kann keinem der im Gesetz geregelten Vertragstypen eindeutig zugeordnet
werden, enthält aber überwiegend Elemente des Werkvertrags. Geschuldet
wird darin nicht nur Obsorge, sondern ähnlich dem Werkvertrag ein
Erfolg. Verwandt ist dieser Vertragstypus mit dem Alten(heim)- oder
Pflege(heim)Vertrag. | Alten- und Pflegeheime sowie
„Verwahrung” von Kindern |
| |
Verwahrt werden können bewegliche
wie unbewegliche Sachen (§ 960 ABGB), vertretbare wie unvertretbare,
verbrauchbare wie unverbrauchbare. – Auch Tiere sind
Gegenstand der Verwahrung; Tierheim / -asyl, aber auch bei Freunden. | Bewegliche
und unbewegliche Sachen |
|
EvBl 1995/8: § 961 ABGB (§§ 285a,
964, 1165, 1298 ABGB) – Vertrag über die Verwahrung von
Tieren: Der Vertrag über die Verwahrung von Tieren verpflichtet
den Verwahrer zur Verpflegung, Versorgung und Verwahrung der Tiere
sowie zu deren Rückgabe nach der Verwahrungszeit; er enthält damit
auch Elemente eines Werkvertrags. (Zu den Mischverträgen → KAPITEL 5: Gemischte
und atypische Verträge)
– Hat der Verwahrer seine Verwahrungspflicht schuldhaft verletzt,
so dass er die Tiere nach Vertragsablauf nicht mehr zurückgeben kann,
verliert er seinen Entgeltanspruch für die Verwahrung, nicht aber
den Anspruch auf Erstattung der tatsächlich aufgewendeten Verpflegungs-
und Versorgungskosten. – Sachverhalt: Die Klägerin hatte ihre 3
Katzen in Pflege und Verwahrung der Beklagten gegeben und
hiefür durch 15 Monate vereinbarungsgemäß 4.000 S monatlich, also
insgesamt 60.000 S gezahlt. Als sie Ende 1990 die Rückgabe der Katzen begehrte,
waren diese nicht mehr vorhanden. Die Beklagten behaupteten, dass
ihnen die Katzen entwischt seien. – Die Klägerin forderte die Rückerstattung
des frustrierten Pflegeaufwandes von 60.000 S aus dem Titel des
Schadenersatzes und der Bereicherung, weil die Beklagten den Geschäftszweck
(Rückgabe der Katzen) wider Treu und Glauben verhindert hätten.
– Die Beklagten behaupteten, dass ihnen die Katzen am 27.12.1990
entwischt seien, weil durch einen umfallenden Holzstoß ein Fenster
zerbrochen sei. | |
|
Von der regulären Verwahrung ist die uneigentliche
Verwahrung (depositum irregulare) zu unterscheiden. Sie
spielt bei der Verwahrung vertretbarer Sachen, insbesondere von
Geld eine Rolle. Typisches Beispiel ist die Hinterlegung von Geld,
das (mit dem des Verwahrers) vermengt wird, wodurch der Verwahrer
Eigentum erwirbt; vgl § 371 iVm den §§ 369, 370 ABGB. – Man behandelt das
depositum irregulare heute als Darlehen. Zurückgestellt werden hier
nicht dieselben Sachen, sondern – wie beim Darlehen – Sachen gleicher
Art und Güte! | depositum
irregulare |
4. Zur
sachen- und schuldrechtlichen Rechtsstellung des Verwahrers | |
Durch den Verwahrungsvertrag
erwirbt ein Verwahrer weder Eigentum oder Besitz (!), noch ein Gebrauchsrecht;
er ist vielmehr bloßer (Sach)Inhaber mit der Pflicht, die anvertraute
Sache vor Schaden zu bewahren (Obsorge); § 958 ABGB. – Die Garderobefrau
darf also während der Kinovorstellung nicht mit ihrem Mantel spazieren
gehen! | |
Was geschieht, wenn einem/r VerwahrerIn
auf eigenes Verlangen oder freiwilliges Anerbieten des Hinterlegers
der Gebrauch gestattet wird? – Die Antwort findet
sich in § 959 ABGB: Es kommt dann zu einer Änderung des Rechtsgrundes
/ Novation → KAPITEL 7: Novation
oder Neuerungsvertrag: Aus der Verwahrung wird Leihe und bei
vertretbaren Sachen entsteht – wie eben ausgeführt – ein Darlehen. | Gebrauch
kann
gestattet werden |
Wird
dem Verwahrer zugleich ein anderes, auf die anvertraute Sache sich
beziehendes Geschäft aufgetragen, so wird er als
ein Gewalthaber angesehen: §§ 1002 ff ABGB; § 960 Satz 2 ABGB. Es
liegt dann ein Mischvertrag vor → KAPITEL 5: Gemischte
und atypische Verträge. | Mischverträge |
| |
Primär trifft den Verwahrer
die Obsorgepflicht. Das ist die Pflicht, die anvertraute
Sache – durch die jeweilige Zeit – sorgfältig zu bewahren und vor
Schaden zu beschützen; § 961 ABGB. | |
Überlege: Welche Pflichten treffen den Verwahrer
einer Wohnung, eines Hauses mit Garten oder eines Tieres? | |
Die Obsorgepflicht dient auch zur Abgrenzung des Verwahrungsvertrags von
anderen Vertragstypen, etwa dem Mietvertrag. | Abgrenzung
des
Verwahrungsvertrags |
| Garagen-Kurzparkvertrag |
| |
Rückstellungspflicht des Verwahrers.
– Nach Verlauf der bestimmten (entweder von vornherein zeitlich
oder durch den Zweck bestimmt – zB Leihgabe für die Dauer der Ausstellung
eines Museums) Zeit hat der Verwahrer die Sache dem Hinterleger
„in eben dem Zustande, in welchem er sie übernommen hat, und mit
allem Zuwachse [also zB Früchten oder Tierjunge!] zurückzustellen”;
§ 961 ABGB. Allenfalls ist zu kündigen; § 963 ABGB: auch von Verwahrerseite! | Rückstellungspflicht
des Verwahrers |
Nach § 962 ABGB
muss der Verwahrer dem Hinterleger die Sache auf dessen Verlangen
„auch noch vor Verlauf der Zeit” zurückstellen und kann nur den
Ersatz des ihm dadurch verursachten Schadens begehren. – Dh: Ein
Hinterleger kann seine Sache jederzeit zurückverlangen; zB Kinobesucherin
verlässt das Kino früher, weil ihr der Film nicht gefällt. Der Verwahrer
kann dagegen grundsätzlich „die ihm anvertraute Sache nicht früher
zurückgeben”; der Garderobier kann nicht schon während der Vorstellung
nach Hause gehen. Beachte aber § 962 letzter Satz ABGB: Kann die
Kinobesucherin, wenn sie früher geht, anteilig ihr Entgelt zurückverlangen? | „auch
… vor Verlauf der Zeit” zurückstellen |
Nach §§ 964 f ABGB haftet der
Verwahrer dem Hinterleger für den aus Unterlassung der ihm obliegenden
Obsorge entstandenen Schaden: | |
•
Und zwar
haftet der Verwahrer schon ab leichter Fahrlässigkeit;
römisches Recht: omnis culpa, | |
•
nicht aber für
Zufall; § 1311 ABGB. | |
•
Wie der Entlehner
haftet der Verwahrer auch für gemischten Zufall (casus
mixtus); zB ein Verwahrer trägt selbst den ihm anvertrauten Ring,
verleiht ihn oder gibt ihn einem anderen ohne Not in Verwahrung,
wobei der Ring beschädigt wird oder verloren geht. | |
§ 965 ABGB umschreibt den gemischten Zufall näher:
„ ... von der hinterlegten Sache Gebrauch gemacht, ... sie ohne Not
und ohne Erlaubnis ... einem Dritten in Verwahrung gegeben; oder
die Zurückstellung verzögert.” Leidet die Sache dabei Schaden, „welchem
sie bei dem Hinterleger nicht ausgesetzt gewesen wäre; so kann er
keinen Zufall vorschützen, und die Beschädigung wird ihm zugerechnet.” | |
| |
6. Pflichten des
Hinterlegers | |
Erfolgte
die Verwahrung entgeltlich, hat der Hinterleger das Entgelt zu
leisten; § 969 ABGB. – Daneben hat der Hinterleger dem Verwahrer
den durch die Sache allenfalls zugefügten Schaden und
jene Aufwendungen zu ersetzen, die dieser den Umständen
nach für erforderlich halten durfte; § 967 ABGB. | |
| |
Nach § 967 letzter
Satz ABGB können die „wechselseitigen Forderungen des Verwahrers
und Hinterlegers ... nur binnen dreißig Tagen von der Zeit der Zurückstellung
angebracht werden.” – Dem Verwahrer steht (wie dem Entlehner, vgl
§ 982 ABGB) nach § 1440 ABGB kein Zurückbehaltungsrecht (§ 471 ABGB)
zu. | |
| |
Der Anspruch auf Rückstellung der in Verwahrung
gegebenen Sache selbst verjährt in 30 Jahren. | |
8. Sonderformen
der Verwahrung | |
Sie
spielen im Handelsrecht insbesondere im Bank- und Kreditsektor (DepotG
1987, BGBl 650), aber auch bei Spediteuren, Frachtführern oder dem
Kommissionsgeschäft eine bedeutende Rolle. | |
Beim
Sonderdepot (§ 2 DepotG) werden Wertpapiere des
Hinterlegers gesondert von denen der Bank verwahrt; bei/der Sammeldepot
/ -verwahrung (§§ 4 ff DepotG) werden Wertpapiere derselben Art
zusammen mit eigenen Beständen der Bank verwahrt. Die Hinterleger
sind Miteigentümer am Sammelbestand. | Sammeldepot, Sonderdepot |
Der
Schrankfachvertrag, den ein/e BankkundeIn mit einem
Kreditinstitut abschließt, ist – jedenfalls überwiegend – nicht
Verwahrung, sondern Miete. Die Bank hat Mitsperre. Im praktischen
Schrankfach, meist in allgemein zugänglichen Räumen von Kreditinstituten
gelegen, können Sparbücher, Urkunden oder kleine Wertgegenstände
aufbewahrt werden. Dafür ist jährlich Entgelt / Miete zu entrichten.
– Davon zu unterscheiden ist der unentgeltliche „Sparbuchfachvertrag”
zwischen Bank und Kundschaft, der als Leihe oder Prekarium zu qualifizieren
ist und eine Serviceleistung der Bank darstellt. | Schrankfachvertrag |
II. Gesetzliche
Gastwirtehaftung | |
Wie angedeutet,
sind die Bestimmungen der Verwahrung für ein Fremdenverkehrsland
wie Österreich von großer Bedeutung und im besonderen für Tirol
als Branchenleader. In Tirol gibt es etwa 6.000 Beherbergungs- und
Gastronomiebetriebe, die jährlich ca 40 Mio Gästenächtigungen bewältigen.
Damit ist Tirol eines der tourismusintensivsten Länder der Welt.
Pro Jahr und Einwohner kommen etwa 60 Gästenächtigungen. Tirol erlöst
aus dem Reiseverkehr rund 4,4 Mrd ı (60 Mrd S). – Erstaunlicherweise
bestehen in Bezug auf die gesetzlich geregelte Gastwirtehaftung
– trotz ihrer Einfachheit – weitverbreitete falsche Vorstellungen. | |
| |
Der Gastaufnahme-
oder Beherbergungsvertragist ein typischer Mischvertrag,
der Elemente der Miete (Zimmer), des Kaufs (Speisen, Getränke etc),
des Werkvertrags (verschiedene Dienstleistungen) und eben auch der
Verwahrung (zB des Gepäcks) umfasst. – Eine schuldhafte Verletzung dieser
Vertragspflichten macht den Gastwirt schon nach den allgemeinen
Grundsätzen des Schadenersatzrechts ersatzpflichtig. Von dieser Vertragshaftung des
Gastwirts ist die in der Folge behandelte gesetzliche „Gastwirtehaftung” der
§§ 970-970c, § 1316 ABGB zu unterscheiden. | |
2. Tatbestandsvoraussetzungen | |
Nach dem Gesetz
haften „Gastwirte, die Fremde beherbergen, ...
als Verwahrer, für die von den aufgenommenen Gästen eingebrachten Sachen
....” | „… beherbergen” |
Dies sind demnach: | Gesetzliche
Haftungsvoraussetzungen |
•
Gastaufnahme
mit Beherbergung (also Übernachtung) und in diesem Zuge | |
• das Einbringen von Sachen /
Gästegepäck. | |
Als „eingebracht” gelten nach § 970 Abs
2 Satz 1 ABGB Sachen, die dem Wirte oder einem seiner Leute übergeben
oder an einen von diesen angewiesenen oder hiefür bestimmten Ort
gebracht wurden; zB Kfz-Abstellung, Verwahrung von Gepäck in der
Rezeption. | |
Gastwirte und die ihnen
gleichgestellten Personen können jedoch nach § 970 Abs 1 Satz 1
ABGB einen sog Freibeweis führen, wenn sie „beweisen,
daß der Schaden | Freibeweis |
•
weder durch
sie oder einen ihrer Leute verschuldet
| |
•
noch durch fremde, in dem
Hause aus- und eingehende Personen verursacht ist.” | |
Da ein solcher Beweis kaum zu erbringen ist, bleibt es meist
bei der gesetzlichen Haftung des Gastwirts. | |
| |
§ 970 Abs 1 Satz 2 ABGB schränkt die Haftung
des Gastwirts bei Mitverschulden des Gastes ein; §
1304 ABGB. | |
3. Keine Anwendung
der Gastwirtehaftung ... | |
Die
gesetzliche Gastwirtehaftung gilt daher nicht für Kaffeehäuser,
Bars udgl, weil diese ihre Gäste nicht beherbergen.
Für in Gasthäusern, Hotels, Pensionen, Restaurants etc etwa im Rahmen
der Mahlzeiteinnahme abgelegte Kleidung wird nach diesen Vorschriften
– mangels Beherbergung – ebenfalls nicht gehaftet. | |
| |
Verwahrungsverträge werden häufig auch schlüssig oder stillschweigend geschlossen;
§ 863 ABGB. Bloße Hilfestellung beim Ablegen von Kleidungsstücken
durch das Personal reicht dazu aber nicht aus. | §
863 ABGB |
Sie haben sich vielleicht schon gefragt, welche Bewandtnis
es mit dem häufig anzutreffenden Anschlag in Lokalen hat: „Für
Garderobe wird nicht gehaftet.” – Dieser Anschlag stellt
nur klar, was von Gesetzes wegen ohnehin gilt. Der Gastwirt haftet
im beschriebenen Normalfall auch ohne einen solchen Anschlag nicht!
Solche Hinweise wollen den Gast nur anhalten, für die Sicherheit abgelegter
Kleidung selbst zu sorgen und bringen nur die bestehende Gesetzeslage
zur Kenntnis. | „Für Garderobe
wird nicht gehaftet.” |
Legen Sie daher einen teuren Mantel zB über
den Sessel und weisen Sie gegenüber dem Personal, welches das verhindern
will, auf die bestehende Rechtslage hin! | |
4. Unscharfe
Regelungsränder | |
Die
Grenze für die Reichweite der Gastwirtehaftung ist unscharf. Man
wendet ihre Regeln auch auf Pensionen, Schutzhütten, Sanatorien
sowie größere Privatzimmervermieter (SZ 51/158: Beispiele) an, nicht
aber auf Krankenanstalten / Kliniken oder Schlafwagenunternehmen. | |
|
SZ 47/11 (1974): „Allgemeine
Krankenanstalten sind Gastwirten, die Fremde beherbergen,
nicht gleichzustellen .... die Gastwirtehaftung kann unmittelbar
oder analog nur angenommen werden, wenn Gäste zum Zwecke der Beherbergung
aufgenommen werden und diese Leistung wesentlicher Inhalt und Zweck des
Betriebs ist, nicht aber dann, wenn die Unterbringung nicht zum
Zwecke der Beherbergung, sondern zur Ermöglichung oder zur Erleichterung
einer ärztlichen Behandlung oder Betreuung gewährt wird.” (?) –
Frage: Wie steht es um die Haftung, wenn einer Patientin in einer
Krankenanstalt durch einen Einschleichdieb Geld gestohlen wird?
Eine Verschuldenshaftung aus dem jeweiligen Vertrag heraus ist immer noch
denkbar! | |
|
|
SZ 51/158 (1978): Für die Haftung
des Privatzimmervermieters in einem über 18 Betten verfügenden Betrieb
ist § 970 ABGB analog anzuwenden.; Diebstahl von
Reisegepäck und Wertgegenständen aus dem in der Garage abgestellten
Pkw des Gastes. Zur Frage des Miverschuldens (§ 1304 ABGB). | |
|
5. Ausdehnung
auf Stallungen, Garagen und Badeanstalten | |
§ 970 Abs
2 Satz 2 ABGB erstreckt die Gastwirtehaftung auf: | |
• „Unternehmer,
die Stallungen und Aufbewahrungsräume halten,
für die bei ihnen eingestellten Tiere und Fahrzeuge”. | |
Zum Garagen-Kurzparkvertrag → Verwahrerpflichten –
Auf sog Tierpensionen findet diese Regelung Anwendung. | |
•
§ 970 Abs
3 ABGB stellt Wirten die Besitzer von Badeanstalten gleich. | |
| |
| |
Die Gastwirtehaftung
statuiert zwingendes Recht ( → KAPITEL 1: Nachgiebiges
und zwingendes Recht);
vgl § 970a Satz 1 ABGB: „Ablehnung der Haftung durch Anschlag ist
ohne rechtliche Wirkung.” – Das gilt natürlich auch für modernere
Mitteilungsmethoden als einen „Anschlag”. | |
| |
Die Gastwirtehaftung für allgemein
eingebrachte/s (also nicht in gesonderte Verwahrung übernommene/s) Kostbarkeiten, Geld und Wertpapiere ist
der Höhe nach mit 7.500 S (550 ı) beschränkt. Dadurch
soll ein Anreiz geschaffen werden, Wertsachen (zB Geld oder Schmuck)
dem Gastwirt in gesonderte Verwahrung zu geben; § 970a Satz 2 ABGB:
Gesetz lesen! | Kostbarkeiten,
Geld und Wertpapiere |
Aber auch die Haftung von Gastwirten
etc für andere als (Wert) Sachen (zB
Kleidung, Fotoausrüstung) ist durch Bundesgesetz (BGBl 1921/638
idgF BGBl 1989/343, Art XVII) beschränkt; und zwar auf den Höchstbetrag
von 15.000 S (1.100 €), der jedoch nicht zur Anwendung
gelangt, wenn für bestimmte Sachen mit dem Gastwirt ein besonderer
Verwahrungsvertrag geschlossen wurde. | Haftung für andere
als (Wert)Sachen |
Diese allgemeine Haftungsbeschränkung entspricht
nicht mehr den Anforderungen der Zeit und ist nicht tourismusfreundlich.
In der Praxis werden daher häufig „höhere” (Haftpflicht)Versicherungen
abgeschlossen. | |
8. Geltendmachung
des Ersatzanspruchs | |
Nach
§ 970b ABGB erlischt der Ersatzanspruch aus der Gastaufnahme, wenn
der Beschädigte nach erlangter Kenntnis von dem Schaden nicht ohne
Verzug dem Wirt die Anzeige macht. – Das
gilt nicht, wenn der Wirt die Sachen zur Aufbewahrung übernommen
hatte. | |
| |
9. Zurückbehaltungsrecht
– § 970c ABGB | |
Gastwirten,
die fremde beherbergen, steht nach dieser Gesetzesstelle zur Sicherung
ihrer Forderungen aus der Beherbergung und Verpflegung sowie ihrer
„Auslagen für die Gäste” das Recht zu, „die eingebrachten Sachen
zurückzuhalten”; Retentionsrecht → KAPITEL 15: Das
Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB. | |
E. Schenkung
und Gläubigeranfechtung |
I. Die
Schenkung: §§ 938 ff ABGB | |
Die Schenkung ist uns aus
Kindheitstagen vertraut; vgl das zur Leihe Gesagte. Geschenkt wird
viel: zwischen Eltern und Kindern, Kindern untereinander, unter
FreundenInnen, in Beziehungen. Geschenkt oder gespendet wird für
alle möglichen Zwecke. | |
Wie der Kaufvertrag Prototyp der entgeltlichen
/ synallagmatischen Verträge ist, ist die Schenkung das Paradigma der
unentgeltlichen. Wir haben gehört, dass die heute so gegensätzlichen
Ausprägungen von entgeltlichen und unentgeltlichen Verträgen eine
gemeinsame (Entstehungs)Geschichte haben → KAPITEL 2: Historische
Entwicklung. | |
| |
„Ein Vertrag,
wodurch eine Sache jemandem unentgeltlich überlassen wird, heißt
eine Schenkung”; § 938 ABGB. – Die Schenkung (römisches Recht: donatio)
ist Konsensual-, nicht Realvertrag; §§ 938 ff ABGB. | |
Die §§ 939–942, 944 und 945 ABGB sollten gelesen
werden. | |
| |
Wir sprechen von: SchenkerIn und Beschenkte/r oder GeschenknehmerIn. | |
3. Vertragsnatur
der Schenkung | |
Die Schenkung ist Vertrag – und zwar Schuldvertrag
– und bedarf daher der Annahme. Man muss sich also nichts schenken
lassen! | |
Die Schenkung begründet zwischen den Vertragsparteien
obligatorische Rechte und Pflichten. Als Vertrag kommt die Schenkung
durch korrespondierende, also übereinstimmende Willenserklärungen
der Vertragsparteien zustande, wobei die Willenseinigung darauf
gerichtet ist, dass der Schenkende dem Beschenkten eine Sache unentgeltlich überlässt
und dieser dem beipflichtet; wobei dies auch durch bloße Erklärung
iSd § 428 ABGB oder schlüssiges Verhalten (§ 863 ABGB) erfolgen
kann. | |
Die Schenkung ist ein Vertrag, aber
nur ein einseitig verpflichtender! Verpflichtet
aus dem Vertrag wird aber nur ein Vertragsteil, nämlich der Schenkende.
– Beschenkte treffen keine rechtlichen Pflichten. | Vertrag: einseitig
verpflichtender |
| |
| |
Die Zuwendung muss
mit Schenkungswillen in Schenkungsabsicht (römisches
Recht: animus donandi) erfolgen: Ein Überlassen von Geldbeträgen
zu Werbezwecken (Sponsoring, zB für Kultur- oder Sportzwecke) ist
daher keine Schenkung → Die
Schenkung: §§ 938 ff ABGB Das
ist auch steuerrechtlich von Bedeutung. | |
Aus der Vertragsnatur der Schenkung ergibt
sich, dass ein (bereits) angenommenes Geschenk ohne (neuerliche) Zustimmung
nicht (einseitig) zurückgegeben werden kann. Auch die Rückgabe des
Geschenks bedarf daher erneuter Zustimmung, jedenfalls rechtlich. | |
4. Im Zweifel ist
keine Schenkung anzunehmen | |
Es ist nicht immer leicht festzustellen,
ob Schenkung oder ein anderes – vielleicht ähnliches – Rechtsgeschäft
gewollt war; zB eine unentgeltliche Darlehensgewährung oder Leihe.
Vgl die Auslegungsregel des § 915, 1. HalbS ABGB, wonach bei „einseitig
verbindlichen Verträgen … im Zweifel angenommen [wird], dass sich
der Verpflichtete eher die geringere als die schwerere Last auflegen
wollte”. | §
915, 1. HalbS ABGB |
Das römisch-gemeine Recht entwickelte
nicht zufällig eine Rechtsvermutung: donatio non praesumitur –
Schenkung wird nicht vermutet; vielmehr – und das ist zu ergänzen!
– muss eine Schenkung im Zweifel vom Beschenkten bewiesen werden!
Beschenkte trifft also die Beweislast! | donatio
non praesumitur |
| |
Folgende einseitige Rechtsakte sind nicht Schenkung:
| |
•
Dereliktion (§
362 ABGB); | |
•
Ausschlagung
der Erbschaft und Erbverzicht (§ 551 ABGB) → KAPITEL 14: Das
Factoring; | |
•
einseitiger Verzicht /
Schulderlass (§ 1444 ABGB). | |
§ 939 ABGB enthält eine Auslegungsregel: „Inwiefern
eine Verzichtleistung eine Schenkung sei”. | |
5. Sachen als Gegenstand
der Schenkung | |
Geschenkt werden
können nur Sachen iwS des § 285 ABGB; also auch Forderungen, ganz
allgemein Rechte (zB Immaterialgüterrechte, Miet- oder Pachtrechte),
Dienstleistungen, Anwartschaften, Gesellschaftsanteile (zB Geschäftsanteil
an einer GmbH, Aktien), Gesamtsachen (wie Bibliothek oder Unternehmen),
aber auch Chancen, wie ein Lotto- oder Totoschein. | |
| |
| |
| |
Die Schenkung ist in
gewisser Hinsicht formbedürftig, nämlich dann, wenn das Geschenk
nicht „gleich” übergeben wird. | |
943
ABGB, in seiner ursprünglichen Fassung, statuierte für das (bloße) Schenkungsversprechen –
also die mündlich zugesagte, aber noch nicht vollzogene Schenkung
– die einfache (!) Schriftform: | Schenkungsversprechen |
„Aus einem bloß mündlich, ohne wirkliche
Übergabe geschlossenen Schenkungsvertrag erwächst dem Geschenknehmer
kein Klagerecht. Dieses Recht muss durch eine schriftliche
Urkunde begründet werden.” | |
Die einfache Schriftform
des ABGB wurde durch das NZwG 1875 (§ 1 Abs 1 lit d) zum Notariatsakt verschärft.
Schenkungsversprechen ohne wirkliche Übergabe bedürfen daher heute
des Notariatsakts, sonst ist ein solcher Vertrag
sogar ungültig. Die Sanktion des ABGB hatte noch in bloßer Unklagbarkeit
einer solchen Schenkung bestanden (§ 1432 ABGB); dh es entstand
bloß eine natürliche Verbindlichkeit / Naturalobligation → KAPITEL 7: Naturalobligationen. | Steigerung der
Formerfordernisse |
Die
heute bestehende strengere Formpflicht (samt Sanktion) auch für
einfachste Schenkungen erscheint in ihrer Ausnahmslosigkeit überzogen
und widerspricht dem Rechtsgefühl des Volkes. Eine
gewisse Rechtfertigung der geltenden Regelung liegt aber im Gläubigerschutz,
der freilich für kleine Schenkungen kein Argument darstellt. – Die
hier dargestellte gesetzliche Formpflicht bei Schenkungen ohne wirkliche
Übergabe, rückt die Schenkung in die Nähe der Realkontrakte! Diese
Formpflicht will Druck ausüben, das Geschenk wirklich, dh real zu
übergeben, also den Vertrag rasch zu erfüllen! Wohl auch deshalb,
um unnötigen Streit zu vermeiden. – Worin liegt der Unterschied zum
Realkontrakt? Einerseits ist das formlose Schenkungsversprechen
(ohne wirkliche Übergabe) ungültig, wenn die gesetzliche Form nicht
eingehalten wird, während bei Realverträgen (ohne Übergabe) wenigstens
ein Vorvertrag (vgl § 983 ABGB uH auf § 936 ABGB → KAPITEL 6: Der
Vorvertrag: § 936 ABGB)
zustande kommt; andererseits kennen Realverträge keine explizite
Form; bei ihnen wird nur der unmittelbare reale Vollzug des Titelgeschäfts
gefordert! | Rechtsgefühl versus Gläubigerschutz |
| |
7. „Wirkliche
Übergabe” iSd ABGB und NotZwG | |
Nicht
alle Übergabsarten, sondern nur jene, bei denen zum Konsens ein
sinnfälliges, nach außen kenntliches Naheverhältnis / Gewahrsame
des Beschenkten hinzutritt, sind als „wirkliche” Übergabe anzusehen,
die einerseits einen gültigen Schenkungsvertrag entstehen und andrerseits Eigentum
übergehen lassen. Von den Übergabsarten für bewegliche Sachen reichen
hin: | |
•
§ 426 ABGB (körperliche
Übergabe), | |
•
§ 427 ABGB (Übergabe durch Zeichen); | |
•
§ 428 ABGB (alle Übergabsarten durch Erklärung
mit Ausnahme des Besitzkonstituts; also Übergabe kurzer Hand und
Besitzanweisung) → KAPITEL 2: Übergabe
durch Erklärung. | |
| Abbildung 3.22: Formzwang des Schenkungsvertrags |
|
|
EvBl 1999/47: Die Übergabe einer Bausparvertragsurkunde,
die auf den Namen des Übergebers lautet und diesen und seine Erben
als bezugsberechtigt ausweist, bedeutet für sich allein keine „wirkliche Übergabe”
iSd § 943 ABGB, weil dem Übernehmer mit diesem Akt nicht die vollständige
Verfügungsgewalt über das Bausparguthaben eingeräumt wird. | |
|
|
SZ 54/51 (1981): Zur wirklichen
Übergabe einer Postspareinlage genügt die Übergabe
des Postsparbuchs ohne Berechtigungskarte nicht. Befindet sich diese
bei einem Dritten, kann der Schenkende den Dritten anweisen, die
Berechtigungskarte an den Geschenknehmer herauszugeben oder für
diesen innezuhaben. Zur „wirklichen Übergabe” führt
der OGH aus: „Wirkliche Übergabe bedeutet nichts anderes als das Gegenteil
einer bloßen Zusicherung. Zusicherung und wirkliche Übergabe können
dabei zeitlich auseinanderfallen.” | |
|
|
SZ
22/27 (1949):Diese E ist ein berühmtes
und anschauliches Beispiel für die Bedeutung der Frage, ob ein Geschenk
„wirklich”, dh gültig übergeben wurde.
Diese E betrifft die schenkungsweise Übergabe bankmäßig verwahrter
Sachen (in einer Schweizer Bank) durch Bekanntgabe des Losungswortes „Bob cracler”.
– Sachverhalt: Der Schenker (L.T.) war Jude. Durch Vermittlung eines
Schweizers war es ihm gelungen, Wertgegenstände bei der L.-Bank
in Zürich zu hinterlegen. Die Hinterlegung erfolgte mittels des
Losungswortes „Bob cracler”. Kurz vor seinem Abtransport nach Theresienstadt
schenkte L.T. am 14.7.1942 der Klägerin aus Dankbarkeit die im Depot
der Schweizer Bank hinterlegten Wertgegenstände und teilte ihr das
Losungswort mit. – Der OGH erkannte die Schenkung als gültig an
und erblickte in der Bekanntgabe des Losungswortes eine „Art des
Besitzkonstitutes ..., [die] im [ABGB] aber keine ausdrückliche
Regelung gefunden hat (§ 428 ABGB). Wohl aber kennt das deutsche
bürgerliche Gesetzbuch [in § 931] die Abtretung des Herausgabeanspruches...,
[wonach] die Übergabe einer Sache, die sich im Besitz eines Dritten
befindet, dadurch ersetzt werden kann, dass der Eigentümer dem Erwerber
den Anspruch auf Herausgabe der Sache abtritt. Sonach wird der Erwerber
mit der Abtretung Eigentümer, die Zustimmung des Dritten ist nicht
erforderlich; die Abtretung kann formlos erfolgen, auch durch schlüssige Handlungen;
die Anzeige an den Besitzer ist nicht notwendig ....” | |
|
|
OGH 6. 12. 2001, 2 Ob 274/01k (Anm
Wagner), JBl 2002, 451: Eine alte Frau verschenkt auf den Todesfall einem
befreundeten Rechtsanwalt einen
Tabernakelkasten.
Der Beschenkte besteht darauf, sie solle ihn bis zu ihrem Tod in
ihrer Wohnung behalten. Bei Freundschaftsbesuchen erwähnt die Frau
immer wieder die Schenkung. Nach ihrem Ableben verweigert die Erbin
die Herausgabe, worauf der Anwalt auf Herausgabe klagt. – OGH: Dem
Schutzzweck § 943 ABGB – nämlich den Schenker vor Übereilung zu
schützen – wird auch durch ein Besitzkonstitut bezüglich der verschenkten
Sache Genüge getan, wenn der Geschenkgeber durch spätere Erklärungen
die Ernstlichkeit des Schenkungswillens wiederholt dargetan hat. –
OGH betrachtet daher die Schenkung als gültig, obwohl die Form des
Notariatsaktes nicht eingehalten wurde; – § 956 ABGB iVm § 1 NotzwG
– materielle Derogation. Zum Verhältnis zwischen Rechtsanwalt und
Erbin: OGH betrachtet Erbin als unredliche Besitzerin und gewährt
dem Rechtsanwalt einen Verwendungsanspruch nach § 1042 ABGB. (?) | |
|
Dazu
ist anzumerken, dass die
Abtretung
des Herausgabeanspruchs als Eigentumsübertragungsart dem
ABGB fremd ist. Sie läuft auf die Eigentumsübertragung durch Zession
hinaus. Der OGH folgt hier Klang in Klang2 II
32. Gschnitzer, Sachenrecht 18 (1968) merkt dazu berechtigterweise
an, dass diese Übertragungsform „die Grenze zwischen Schuld- und
Sachenrecht” verwischt. Auch durch die Annahme einer Besitzanweisung
wäre dieses Ergebnis erreichbar gewesen. | Abtretung des Herausgabeanspruchs? |
Für
Liegenschaften genügt nach der Rspr als „wirkliche Übergabe” auch
die außerbücherliche (!) Übergabe;
zB die Übergabe der Schlüssel für die geschenkte Eigentumswohnung.
– Eigentum daran wird aber erst durch Verbücherung erworben! | Außerbücherliche Übergabe von Liegenschaften |
|
JBl 1999, 45 (mit krit Anm von
Hoyer): Ist das eine Liegenschaft betreffende formlose Schenkungsversprechen
durch bücherliche Einverleibung des Beschenkten erfüllt worden,
kann nicht mehr auf Rückübertragung des Eigentumsrechts wegen ursprünglich
fehlender Notariatsaktsform geklagt werden. | |
|
8. Haftung
des Schenkers? | |
Das ABGB lässt
in § 945 die Rechtsfolgen – wie andernorts: vgl etwa § 1419 ABGB
– offen. Sie werden heute iS einer Rechtsmängel- und Schadenersatzhaftung verstanden.
In § 945 ABGB kann zudem eine Haftung für cic ( → KAPITEL 6: Cic
¿ culpa in contrahendo)
erblickt werden, die zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet. | |
Schenkende
haften nicht für Sachmängel. Ein bekanntes Rechtssprichwort
verdeutlicht dies: „Einem geschenkten Gaul, schaut man nicht ins
Maul!” – Man muss sich nichts schenken lassen. Wurde das Geschenk
aber angenommen, bleibt es dabei. | |
§ 945 ABGB enthält aber
eine Haftung für Rechtsmängel: „Wer wissentlich
eine fremde Sache verschenkt, und dem Geschenknehmer
diesen Umstand verschweigt, haftet für die nachteiligen Folgen”;
zB für Schäden wegen allfälliger Rechtsvertretungs- oder Verfahrenskosten. | |
| |
| |
Die Rspr lässt Schenkende über § 945 ABGB hinaus (arg: „wissentlich”)
nach allgemeinen Schadenersatzgrundsätzen auch für Schäden einstehen,
die sie – zB durch Verschenken einer gefährlichen Sache (etwa von
gefährlichem Spielzeug) – voraussehen konnten; und zwar auch dann, wenn
kein Vorsatz vorliegt. Rechtspolitisch sinnvoll erschiene eine Haftungsbeschränkung
auf grobe Fahrlässigkeit, obwohl sie das ABGB nicht kennt; vgl aber
§ 521 dtBGB. Ein Heranziehen der deutschen Rechtsfigur der positiven
Vertragsverletzung, wenn Rechtsgüter des Beschenkten durch das Verschenken
einer mangelhaften Sache Schäden nehmen, erscheint aber überflüssig.
Zu den positiven Vertragsverletzungen → KAPITEL 7: Zur
sog positiven Vertragsverletzung:
Link. | Schadenersatzrechtliche Haftung |
| |
9. Unwiderruflichkeit
von Schenkungen? | |
„Schenkungsverträge
dürfen idR nicht widerrufen werden”; § 946 ABGB. Beachte auch den
Kinderreim: „ ... schenken, schenken, nimmer geben”! Von diesem
Grundsatz macht jedoch das Gesetz selbst Ausnahmen und sieht
in folgenden Fällen die Möglichkeit eines – einseitigen! – Schenkungswiderrufs (Anfechtung)
vor: | |
•
Wegen Dürftigkeit des
Schenkers: § 947 ABGB (nötiger Unterhalt mangelt); | |
•
wegen groben
Undanks des Beschenkten: § 948 ABGB (gerichtlich strafbare
Verletzung an Leib, Ehre, Freiheit, Vermögen); | |
•
wegen Verkürzung
des schuldigen Unterhalts: § 950 ABGB; | |
•
wegen Pflichtteilsverkürzung (der
gesetzlichen Erben): § 951 ABGB; | |
•
wegen nachgeborener Kinder:
§ 954 ABGB; | |
•
wegen Verkürzung der Gläubiger:
anstelle § 953 ABGB, der überholt ist, sind die Bestimmungen von
AnfO und KO zu beachten. Dazu → Die
Gläubigeranfechtung
| |
•
§
1247 Satz 2 ABGB regelt die Rückforderbarkeit von Verlobungsgeschenken
→ KAPITEL 16: Rückgabe
der Verlobungsgeschenke. | |
• Zum Widerruf gemischter Schenkungen
→ Arten
der Schenkung
| |
10. Gesetzliche
Grenzen für Schenkungen | |
Nach
§ 944 ABGB ist gegenwärtiges Vermögen zur Gänze
verschenkbar, zukünftiges aber nur zur Hälfte. | |
| |
| |
•
Hand- oder Realschenkung:
Vertrags(ab)schluss und Erfüllung fallen (zeitlich) zusammen; vgl
Hand- oder Realkauf. | |
•
Gemeinnützige Schenkungen;
zB an den Staat, Religionsgemeinschaften oder wohltätige Vereine
oder Institutionen. | |
•
Anstands-, Gelegenheits-, Pflichtschenkungen:
sie erfolgen idR nicht aus Freigebigkeit, sondern entspringen Anstand
oder Sitte; zB unter KollegenInnen im Betrieb. | |
•
Werbegeschenke und Warenproben:
zB kleiner Farbfernseher für Zeitungsabo; früher: Verbot durch ZugabenG 1934.
Heute ist allenfalls Wettbewerbswidrigkeit nach UWG zu prüfen. | |
•
Belohnende / remuneratorische Schenkung (§
940 ABGB); zB LebensretterIn (Leistung des/r Beschenkten war Motiv
für Freigebigkeit des/r Schenkenden). – Zum Motivirrtum → KAPITEL 5: Der
Motivirrtum. | |
•
Zur
Abgrenzung der Schenkung vom Sponsorvertrag
→ KAPITEL 5: Gemischte
und atypische Verträge:
Mischverträge. | |
•
Wechselseitige Schenkungen;
§ 942 ABGB: Hier wird vereinbart, „dass der Schenkende wieder beschenkt werden
muß”. Hier „entsteht keine wahre Schenkung im Ganzen; sondern nur
in Ansehung des übersteigenden Wertes.” | |
•
Die gemischte Schenkung bildet
„einen, aus einem entgeltlichen und unentgeltlichen vermischten,
Vertrag”;
§ 935 ABGB. Es kommt für die Annahme einer gemischten Schenkung
darauf an, dass die Parteien wenigstens einen Teil der Leistung
schenken wollen. Der entgeltliche Vertragsteil kann zB Kauf oder
Tausch sein. – Auch gemischte Schenkungen kann der Geschenkgeber
nach der Rspr entweder ganz – zB nach § 948 ABGB – widerrufen oder
die (Rück)Zahlung der als geschenkt anzusehenden Wertdifferenz verlangen.
– Zu gemischten Schenkungen kommt es bei bäuerlichen oder gewerblichen
Übergabs- (→ KAPITEL 17: Erbrecht
und Gesellschaft), aber auch Leibrentenverträgen:
§§ 1284 ff ABGB → KAPITEL 2: Leibrentenvertrag. | |
•
Schenkung
unter (einer) Auflage (§ 603 iVm § 956 ABGB): Sie bleibt
Schenkung, weil die Auflage (= Bestimmung des Schenkenden wie das
Geschenk zu verwenden ist) keine Gegenleistung darstellt, sondern
nur sicherstellen will, dass das Geschenk iSd Schenkenden verwendet
wird; zB Geld für Studienaufenthalt in den USA. Erfüllung der Auflage
kann aber verlangt werden. – Es existiert keine gesetzliche Regelung
für diese Schenkungsart. Mehr zur Auflage → KAPITEL 13: Die
Auflage. | |
| |
§ 1270 Satz 3 ABGB bezeichnet den (bewussten) Verlierer
einer Wette, „dem der Ausgang [der Wette] vorher bekannt
war”, als einen „Geschenkgeber”. | |
12. Schenkung
auf den Todesfall | |
Vgl § 603 iVm § 956 ABGB: Sie ist ein Mittelding
zwischen einer Schenkung unter Lebenden und einer Verfügung von
Todes wegen. Der Schenkungsvertrag wird hier schon zu
Lebzeiten geschlossen, er soll aber erst nach dem
Tode des/r Schenkenden erfüllt werden.
– Die Schenkung ist hier Titel für den späteren Eigentumserwerb,
für den noch die Übergabe des Geschenks als Modus nötig ist. Der
Anspruch des/der Beschenkten ist ein obligatorischer; zu diesen
Fragen: Beispiele. | Schenkungsvertrag
zu Lebzeiten |
Das ABGB
von 1811 verlangt für die Gültigkeit einer Schenkung auf
den Todesfall: | ABGB von 1811 – Rspr |
•
einerseits
einen Widerrufsverzicht des/der Schenkenden und zusätzlich | |
•
Schriftlichkeit (des
Schenkungsversprechens), | |
•
was von der Judikatur (in Entsprechung zu §
943 ABGB) zur Notariatsaktspflicht gesteigert wurde.
Das führt in der Praxis zur Ungültigkeit vieler Schenkungen! | |
| |
|
JBl 2000, 48 (§§ 956, 364c ABGB):
Das Fehlen eines Widerrufsverzichts macht eine
Schenkung auf den Todesfall grundsätzlich unwirksam. Ein Veräußerungs-
und Belastungsverbot zugunsten des Beschenkten hat aber
eine dem Widerrufsverzicht gleichkommende Warn- und Beweisfunktion
und bewirkt daher die Gültigkeit der Schenkung. | |
|
|
NZ 1985, 69 = HS 14.742: Die Schenkung
auf den Todesfall ist ein Vertrag, weshalb der
Beschenkte eine stärkere rechtliche Stellung besitzt als ein Vermächtnisnehmer;
NZ 1966, 28. | |
|
|
JBl 1977, 258: Schenkungen auf
den Todesfall können „wie jede andere Schenkung widerrufen werden.” | |
|
|
SZ 69/108 (1996): Zum Eigentumsübergang bedarf
es der Übergabe der geschenkten Sache an den Beschenkten. | |
|
|
JBl 1981, 593 oder SZ 69/108 (1996):
Schenkungen auf den Todesfall sind keine Schenkungen iSd § 785 ABGB → Schenkungsanrechnung
| |
|
|
SZ 57/91 (1984): Der Wirksamkeit
als Schenkung auf den Todesfall steht nicht entgegen, dass die Schenkung
unter der Bedingung des Vorablebens des Schenkers
erfolgt. | |
|
|
SZ 65/68 (1992): Eine Schenkung
auf den Todesfall ist eine unbedingte, mit dem
Tod des Erblassers / Geschenkgebers als Anfangstermin terminisierte
Schenkung, die erst nach dem Tod des Erblassers aus dessen Nachlaß
erfüllt werden soll. | |
|
|
SZ 65/113 (1992): Der Beschenkte
ist [in Bezug auf das bereits konkretisierte Geschenk] Gläubiger
des Nachlasses. | |
|
|
EvBl 1962/285: Nach der Einantwortung
ist der Beschenkte Gläubiger der Erben. | |
|
|
JBl 2002, 451: Tabernakelkastenfall –
Vgl dazu oben → „Wirkliche
Übergabe” iSd ABGB und NotZwG
| |
|
| |
| |
Die Frage der
Schenkungsanrechnung spielt im Erbrecht eine Rolle;
vgl aber etwa auch § 11 Erbschafts- und SchenkungssteuerG. Es geht
allgemein um die erbrechtliche Anrechnung von Vorempfängen erbberechtigter
oder anderer Personen, die bspw noch zu Lebzeiten des Erblassers Schenkungen
oder andere Zuwendungen erhalten haben, die ohne Anrechnung andere
erb-, pflichtteils- oder unterhaltsberechtigte Personen (die nichts
oder weniger vorweg erhalten haben) benachteiligen würden. – Es
geht dabei um einen Akt ausgleichender Gerechtigkeit → KAPITEL 18: Austeilende
und ausgleichende Gerechtigkeit.
Bedeutsam ist unsere Frage vornehmlich für Kinder, Geschwister,
aber auch Gatten. | Problem |
Das ABGB
regelt die Behandlung der Anrechnung von Vorempfängen an mehreren
Stellen: | Gesetzliche Regelungen |
•
§ 757 Abs
3 ABGB: „In den Erbteil des Ehegatten ist alles
einzurechnen, was dieser durch Ehepakt oder Erbvertrag aus dem Vermögen
des Erblassers erhält.” | |
•
§
758 ABGB: Der/Das gesetzliche Voraus(vermächtnis) des
Ehegatten wird nach hA nicht auf den Erbteil angerechnet. | |
•
§ 785 ABGB: Schenkungsanrechnung bei
der Nachlassberechnung auf Verlangen eines pflichtteilsberechtigten
Kindes oder eines Ehegatten; ausgenommen
sind nach leg cit Abs 3 Schenkungen, „die früher als zwei Jahre
vor dem Tod des Erblassers an nicht pflichtteilsberechtigte Personen
gemacht worden sind”. | |
|
SZ 35/40 (1962): § 785 ABGB bezweckt
die Gleichstellung aller pflichtteilsberechtigten
Kinder. | |
|
|
SZ 44/30 (1971): Schenkungsabsicht iSd
§ 785 ABGB ist schon gegeben, wenn zwischen der Leistung des Erblassers
und einer Gegenleistung ein so erhebliches Missverhältnis besteht,
dass sich der Erblasser darüber klar gewesen sein musste. | |
|
|
JBl 1976, 425: Voraussetzung für
einen Anspruch nach den §§ 785, 951 ABGB ist immer eine Vermögensverschiebung,
die ganz oder teilweise vom Tatbestand der Schenkung iSd § 938 ABGB
erfasst wird. | |
|
|
SZ 69/13 (1996): Für die Festsetzung des Schenkungspflichtteils ist
auf den Erbanfall und nicht auf den Zeitpunkt der Zuteilung abzustellen.
– Es ist dabei zu fragen, welchen Wert die Verlassenschaft hätte, wenn
die Schenkung unterblieben wäre. | |
|
|
NZ 1993, 13 = EF 68.985: Bei einer gemischten
Schenkung ( → Arten
der Schenkung)
ist der geschenkte Teil anrechenbar. | |
|
•
§ 787 ABGB:
Anrechnung auf den Pflichtteil; vgl etwa EvBl 1999/12:
Anrechnung von Schenkungen bei der Pflichtteilsberechnung nach dem
bäuerlichen Sondererbrecht → KAPITEL 17: Das
bäuerliche Erbrecht als Anerbenrecht. | |
•
§§ 788, 789 ABGB: zB Anrechnung
von Heiratsgut, Ausstattung, Bezahlung von Schulden eines
volljährigen Kindes, Pflichtteilsvorschuss etc. | |
•
§§ 790-793 ABGB: Anrechnung auf den Erbteil bei
der gesetzlichen Erbfolge. Nach § 790 Satz 1 ABGB
erfolgt eine Anrechnung im Rahmen der Erbfolge von Kindern aus einem
letzten Willen nur dann, wenn dies vom Erblasser „ausdrücklich verordnet”
wird. | |
•
§ 796 Satz 2 ABGB: Anrechnung auf den gesetzlichen
Unterhaltsanspruch des Ehegatten nach dem Tode des Erblassers. | |
14. Die Schenkungsanfechtung | |
| |
| |
Schenkungen sind nach
dem Erbschafts- und SchenkungssteuerG 1955, BGBl
141 idgF steuerpflichtig. Der Schenkungsbegriff des Steuerrechts
ist weiterals der des bürgerlichen Rechts. Unter ihn
fallen nicht nur Schenkungsverträge iSd § 938 ABGB, sondern auch
jede andere freigebige Zuwendung unter Lebenden. | |
Bei
Schenkungen unter Lebenden entsteht die Steuerschuld mit
dem Zeitpunkt der Ausführung der Zuwendung;
§ 12 Abs 1 Z 2 leg cit. | Entstehen der Steuerschuld |
| |
Eine Novelle des Erbschafts-
und SchenkungssteuerG (I 2000/42 und weitere Gesetze) brachte wichtige Änderungen:
Teurer wurde insbesondere das Schenken und Vererben von Grundstücken
für die künftig (ab 1.1.2001) der dreifache Einheitswert zur
Bemessung herangezogen wird. Dies soll zu Mehreinnahmen von ca 1
Mrd Schilling führen. Das führte im Herbst 2000 zu einem Schenkungs(vertrags)boom. | Novelle |
| |
Schenkung eines Einfamilienhauses An ... | Bis Ende 2000 | ab. 1.1.2001 | ein Kind I. Steuerklasse | 8.250 S | 28.450 S | Lebensgefährten V. Stuerklasse | 39.760 S | 143.700 S | ein Enkelkind | bisher 10% | mindestens 16% |
| |
| |
| |
| Abbildung .22: Steuerklassen: § 7 ErbStG |
* Die Steuerbegünstigung setzt eine aufrechte Ehe
voraus; Lebensgefährten, geschiedene Gatten oder Verlobte fallen
nicht unter diesen Begriff und gehören zur Steuerklasse V. |
|
Steuer
| |
§ 1. (1) Der Steuer nach
diesem Bundesgesetz unterliegen
|
- der Erwerb von Todes
wegen,
| | - Schenkungen unter Lebenden,
| | - Zweckzuwendungen.
| |
(2)
Soweit nichts Besonderes bestimmt ist, gelten die Vorschriften dieses
Gesetzes über den Erwerb von Todes wegen auch für Schenkungen und
Zweckzuwendungen, die Vorschriften über Schenkungen auch für Zweckzuwendungen
unter Lebenden. |
§ 7. (1) Nach dem persönlichen
Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser werden die folgenden fünf
Steuerklassen unterschieden: ... |
| |
§ 14 behandelt sog Freibeträge,
§ 15 Steuerbefreiungen. So sind Schenkungen an
Ehegatten, Kinder, Enkel und Urenkel bis zu einem Betrag von 2.200
ı (30.000 S) steuerfrei. – Für Ehegatten gelten noch besondere Steuerbefreiungen,
wie zB Schenkungen unter Lebenden bis 7.300 ı (100.000 S) oder Schenkungen
zwecks Schaffung von Wohnraum, um das dringende Wohnbedürfnis der
Ehegatten (bis 150 m2) zu befriedigen.
Steuerfrei bleiben weiters zB Hausrat, körperliche bewegliche Sachen
von (kunst)geschichtlichem oder wissenschaftlichem Wert, wenn sie mindestens
20 Jahre im Familienbesitz sind etc. | |
| Abbildung 3.23: Erbschafts- und Schenkungssteuer: Berechnung |
|
Nach § 8 Abs 3 beträgt die Steuer ohne Rücksicht
auf die Höhe der Zuwendung: an gemeinnützige inländische jurPn sowie
inländische Institutionen gesetzlich anerkannter Kirchen und Religionsgemeinschaften:
2,5 Prozent. Zuwendungen an nicht unter lit a fallende Privatstiftungen durch
den Stifter selbst 5 Prozent, und wenn der Stifter eine Privatstiftung
ist: 2,5 Prozent. Nach § 8 Abs 4 erhöht sich der Steuersatz um (weitere)
2 oder 3,5 Prozent, wenn durch die Zuwendung Grundstücke erworben
werden; sog Grunderwerbssteuer-Äquivalent. Nach § 3 Abs 1 Z 2 GrEStG unterliegt
nämlich der unentgeltliche Erwerb von Liegenschaften nicht der Grunderwerbssteuer. | |
III. Die
Gläubigeranfechtung | |
Im
Zusammenhang mit der Schenkung ist auch die Gläubigeranfechtung
in und außerhalb von Konkursen zu erwähnen. Schuldner versuchen
immer wieder Gläubiger durch Schenkungen zu verkürzen. | |
| |
Dem Anfechtungsrecht nach der Anfechtungsordnung (AnfO)
und der Konkursordnung (KO) kommt die Aufgabe zu,
das den Gläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zur Verfügung
stehende Vermögen des Schuldners gegen Vorgänge zu schützen, die
geeignet sind, die Chancen der Gläubigeranspruchsdurchsetzung zu
verringern oder überhaupt unmöglich zu machen. Verständlicherweise
spielt das Instrumentarium des Anfechtungsrechts in und außerhalb
des Konkurses gerade in wirtschaftlichen Krisenzeiten eine besonders
wichtige Rolle. Ein neuer Anwendungsbereich ist der Schenkungsanfechtung
im Sozialrecht erwachsen → Schenkungsanfechtung
und Sozialhilfe –
Die rechtshistorischen Wurzeln des Anfechtungsrechts reichen bis
ins römische Recht zurück; actio Pauliana. | |
|
OGH 19. 12. 2000, 5 Ob 254/00i, SZ 73/203 = JBl 2001, 721:
Überschuldeter Vater schenkt seinen minderjährigen Kindern eine
Liegenschaft, um diese dem Zugriff der Gläubiger zu entziehen. –
OGH: Für die Kenntnis der Benachteiligungsabsicht bei der Schenkungsanfechtung kommt
es grundsätzlich auf die Gutgläubigkeit des gesetzlichen Vertreters
oder Kollisionskurators an. Hat aber der von der gesetzlichen Vertretung
ausgeschlossene Vater einen gutgläubigen Kollisionskurator für den
Minderjährigen als Werkzeug missbraucht, wird die Kenntnis des Vaters
dem Minderjährigen zugerechnet. | |
|
2. Anfechtung außerhalb
des Konkurses | |
Rechtsquelle: – AnfO, Kaiserliche VO vom
10. Dezember 1914, RGBl 1914/337 | |
§
1. Rechtshandlungen, die das Vermögen eines Schuldners
betreffen, können außerhalb des Konkurses nach
den folgenden Bestimmungen zum Zwecke der Befriedigung eines Gläubigers
angefochten und diesem gegenüber als unwirksam erklärt werden. | |
a)
wegen Benachteiligungsabsicht
| |
§
2. Anfechtbar sind: | |
. Alle
Rechtshandlungen, die der Schuldner in der dem anderen Teile bekannten
Absicht, seine Gläubiger zu benachteiligen, in den letzten zehn
Jahren vor der Anfechtung vorgenommen hat; | |
. alle
Rechtshandlungen, durch welche die Gläubiger des Schuldners benachteiligt
werden und die er in den letzten zwei Jahren vor
der Anfechtung vorgenommen hat, wenn dem anderen Teile die Benachteiligungsabsicht
bekannt sein musste; | |
. alle Rechtshandlungen,
durch welche die Gläubiger des Schuldners benachteiligt werden und
die er in den letzten zwei Jahren vor der Anfechtung
gegenüber seinem Ehegatten – vor oder während der Ehe – oder gegenüber
anderen nahen Angehörigen oder zugunsten der genannten Personen
vorgenommen hat, es sei denn, dass dem anderen Teile zur Zeit der
Vornahme der Rechtshandlung eine Benachteiligungsabsicht des Schuldners
weder bekannt war noch bekannt sein musste; | |
b) wegen Vermögensverschleuderung
| |
4. die im letzten Jahre vor der Anfechtung
vom Schuldner eingegangenen Kauf-, Tausch- und Lieferungsverträge, sofern
der andere Teil in dem Geschäfte eine die Gläubiger benachteiligende
Vermögensverschleuderung erkannte oder erkennen musste. | |
§ 3.
Anfechtbar sind folgende, in den letzten zwei Jahren vor
der Anfechtung vorgenommene Rechtshandlungen: | |
1. unentgeltliche Verfügungen des Schuldners, soweit es
sich nicht um die Erfüllung einer gesetzlichen Verpflichtung, um
gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke oder um Verfügungen in angemessener
Höhe handelt, die zu gemeinnützigen Zwecken gemacht wurden oder
durch die einer sittlichen Pflicht oder Rücksichten des Anstandes entsprochen
worden ist; | |
...” | |
3. Anfechtung nach
der Konkursordnung: §§ 27-43 KO | |
| |
§ 27 KO zieht den Rahmen: | |
„Rechtshandlungen, die vor der Konkurseröffnung
vorgenommen worden sind und das Vermögen des Gemeinschuldners betreffen,
können ... angefochten und den Konkursgläubigern gegenüber als unwirksam
erklärt werden.” | |
| |
•
wegen Benachteiligungsabsicht
des Gemeinschuldners Rechtshandlungen bis zu 10 Jahre vor
Konkurseröffnung (§ 28 Z 1 KO); | |
• wegen Vermögensverschleuderung 1 Jahr vor
Konkurseröffnung (§ 28 Z 4 KO); | |
•
unentgeltliche
Verfügungen 2 Jahre vor Konkurseröffnung (§ 29
KO). | |
•
Anfechtbar
sind bspw auch vorgenommene Sicherstellungen (zB Pfandrechte) oder
Befriedigungen eines Gläubigers, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit
oder nach Antrag auf Konkurseröffnung oder in den letzten 60 Tagen vorher
gewährt wurden; § 30 KO. | |
Das
Anfechtungsrecht steht dem Masseverwalter zu; §
37 Abs 1 KO. Die Anfechtung wird durch Klage binnen 1 Jahres nach
Konkurseröffnung oder Einrede geltend gemacht; § 43 Abs 1 und Abs 2
KO. – Die Anfechtung ist auch gegen Erben und andere Rechtsnachfolger
iSd § 38 KO zulässig. | Masseverwalter Angefochten
werden können |
4. Schenkungsanfechtung
und Sozialhilfe | |
Von praktischer Bedeutung
ist die Schenkungsanfechtung auch im
Sozialhilferecht
der Länder. Danach können Schenkungen, die ein Sozialhilfeempfänger
innerhalb der letzten Jahre vor Eintritt der Bedürftigkeit (oder
auch nach der Beendigung von Leistungen) gemacht hat, vom Sozialhilfeträger
angefochten werden. Die Anfechtungstatbestände und -fristen sind
länderweise verschieden. | Sozialhilfe |
Wien (§ 26 WSHG 1972, LGBl 1973/11 idgF)
kennt eine zweijährige, das Burgenland (§ 46 BgldSHG, LGBl 2000/5),
Niederösterreich (§ 41 NÖSHG 1999, LGBl 2000/15) und Oberösterreich
(§ 48 OÖSHG 1998, LGBl 2) eine fünfjährige Frist und die Steiermark
kennt wie Tirol, Vorarlberg, Kärnten und Salzburg keine Regelung,
sondern ficht in Einzelfällen nach der AnfO an. | |
Ersatz durch den Geschenknehmer | Beispiel: NÖ |
NÖSHG: § 41. (1) Hat ein Hilfeempfänger innerhalb der letzten
fünf Jahre vor Beginn der Hilfeleistung, während oder drei Jahre
nach der Hilfeleistung Vermögen verschenkt oder sonst ohne entsprechende
Gegenleistung an andere Personen übertragen, so ist der Geschenknehmer
(Erwerber) zum Kostenersatz verpflichtet, so weit der Wert des Vermögens
das Fünffache des Richtsatzes für Alleinstehende übersteigt. | |
(2) Die Ersatzpflicht ist mit der Höhe des Geschenkwertes
(Wert des ohne entsprechende Gegenleistung übernommenen Vermögens)
begrenzt. | |
Durch den Wegfall der Sparbuchanonymität ab 1.11.2000 können
Träger (Länder und Sozialämter) leichter auf das Vermögen von Sozialhilfe-
und Pflegegeldbeziehern greifen, die bisher durch die Anonymität
der Sparbücher geschützt waren. Langen eigenes Einkommen und/oder
Pension nicht aus, um die vom Heim erbrachten Pflegeleistungen zu
finanzieren, wird auf das Vermögen (insbesondere
auch Sparbücher) des/der Betreuten zurückgegriffen. – Allenfalls
gemachte Schenkungen können – wie ausgeführt – angefochten werden. | |
| |