Kapitel
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Dieses Kapitel führt in
die (Gesamt)Rechtsordnung und das Privatrecht ein, bestimmt die
Gesellschaftsfunktionen des Rechts und zeigt das Verhältnis von
Rechtswissenschaft und Nachbardisziplinen auf. Kurz eingegangen
wird auch auf die lehrreiche Kodifikationsgeschichte des Privatrechts,
die Abgrenzung des öffentlichen vom Privatrecht, den Stufenbau der
Rechtsordnung und den Rechtsstaat, der – auch bei uns – immer mehr
unter „Druck” gerät (A.). – Dazu kommen in Teil B., zum Teil bereits
über die nationale Rechtsordnung hinausgreifend, Skizzen von IPR, UN-
oder Wiener-Kaufrecht und intertemporalem Privatrecht. Pkt C. umreißt
das Projekt der europäischen Rechtsangleichung und Privatrechtsvereinheitlichung. | Überblick |
A. Das
Privatrecht als Teil der Rechtsordnung |
I. Einführung
ins Privatrecht | |
1. Das Privatrecht
im Alltag und in der Rechtsordnung | |
In unserem Alltag gibt es immer wieder Berührungspunkte
mit dem Recht, insbesondere auch mit dem Privatrecht. Häufig sind
wir uns dessen aber gar nicht bewusst. Wir schließen Kaufverträge, Mietverträge,
Werk- oder Arbeitsverträge ab, machen Schenkungen, leihen uns etwas
aus oder sind Betroffene eines Verkehrsunfalls, der zu Schadenersatzansprüchen
führt oder womöglich sogar strafrechtliche Konsequenzen hat. – Wir
wollen uns in der Folge ansehen, wie sich das Privatrecht – als
Teil derselben – in die Gesamtrechtsordnung einfügt und welche Aufgabe
dem Recht in einer Gesellschaft überhaupt zukommt. | |
2. Bürgerliches
Recht, Zivilrecht, ius civile | |
Die
Termini Bürgerliches Recht und Zivilrecht sind Synonyma und Übersetzungen
aus dem Lateinischen/römisches Recht, das von ius civile sprach.
– Privatrecht ist der etwas weitere Begriff, der als
Oberbegriff neben dem allgemeinen auch das
Sonderprivatrecht umfasst. | Begriffe |
Das allgemeine Privatrecht oder bürgerliche
Recht gilt für die privaten Rechtsverhältnisse aller BürgerInnen
eines Staates „unter sich”; vgl § 1 ABGB. Seine Regeln betreffen
vielfältige Lebensbereiche; etwa das Personen-, Familien-, Ehe-
und Erbrecht, Sachenrecht und Schuldrecht etc. – Kurz: Das bürgerliche
Recht schafft gleiches (Privat)Recht für alle Bürger/innen. | Allgemeines
Privatrecht |
Zur Anwendung gelangt bürgerliches Recht aber
auch auf Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und
Staat (zB Kaufvertrag), wenn der Staat nicht hoheitlich, sondern
privatwirtschaftlich auftritt; dazu → Die
sog Privatwirtschaftsverwaltung und
auch noch § 20 ABGB. Ebenso zwischen Bürgern und Fremden/Nichtbürgern. | |
Das Sonderprivatrecht
dagegen gilt nicht für alle, sondern nur für bestimmte Gruppen (zB
ist das Handelsrecht das Sonderprivatrecht für Kaufleute) oder für
bestimmte Sachbereiche / Spezialmaterien; zB das Privat-versicherungsrecht,
das Wertpapier- oder Urheberrecht. | Sonderprivatrecht |
Im Bereich des Sonderprivatrechts gilt das
allgemeinebürgerliche Recht (ABGB) aber subsidiär;
dh dann, wenn das jeweilige Sonderprivatrecht keine eigenen Regeln
getroffen hat, was aber häufig der Fall ist; zB im Handelsrecht
/ HGB oder Arbeitsrecht. | |
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| Abbildung 1.1: Zweiteilung der Rechtsordnung |
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| Abbildung 1.2: ABGB, HGB und KSchG |
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3. Privatrecht:
Keine Über- und Unterordnung | |
Eine
Rechtsvorschrift gehört – ganz grob gesagt – dem Privatrecht an,
wenn sie die Rechtsbeziehungen (also die Rechte und Pflichten) der
Menschen (genauer: von Rechtssubjekten) untereinander regelt; vgl
§ 1 ABGB, der auf Martinis Entwurf (I 1 § 3) beruht: „unter sich”.
– Im Privatrecht herrscht grundsätzlich Gleichstellung der Rechtspartner,
im öffentlichen Recht dagegen typischerweise eine Über- und Unterordnung.
Mehr zu dieser Unterscheidung → Mehr
zu dieser Abgrenzung
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4. Recht
im objektiven und subjektiven Sinn | |
Die österreichische
Rechtsordnung, das ist die Summe aller in Österreich geltenden Rechtsvorschriften,
besteht aus privatem und öffentlichem Recht. | |
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Neben der hier besprochenen nationalen / österreichischen
Rechtsordnung gibt es auch noch supranationale Rechtsordnungen
(bspw die der Europäischen Gemeinschaften/EU) und die internationale
Völkerrechtsordnung (UNO etc). | |
Die (Gesamt)Rechtsordnung wird auch
als Recht im objektiven Sinn bezeichnet; kurz:
das Recht im objektiven Sinn ist die Rechtsordnung. Gemeint ist
damit jenes Recht, das ein Staat „für alle” seine Bürger/innen bereitstellt,
damit diese davon Gebrauch machen können; und zwar zunächst nur
abstrakt bereitstellt, dh noch ohne konkrete Zuordnung an bestimmte
Rechtssubjekte, also zB für Frau A. | Recht im
objektiven Sinn |
Dem
Recht im objektiven Sinn wird das – aus der jeweiligen Rechtsordnung
erfließende, aus ihr abgeleitete – Recht im subjektiven Sinn gegenübergestellt.
Man könnte es auch als konkretisiertes Recht im objektiven Sinn
bezeichnen. – Das Recht im subjektiven Sinn gewährt einzelnen Personen
konkrete rechtliche Befugnisse oder Ansprüche,
eben subjektive Rechte; etwa für Frau A, die ein
Fahrrad erworben hat, das Eigentumsrecht an ihrem Fahrrad. (Das
hier zur Anwendung gelangende Recht im objektiven Sinn, sind die
§§ 353 ff ABGB, die aber das Eigentumsrecht noch abstrakt, dh für
alle, und noch nicht bezogen auf eine konkrete Person, ein Rechtssubjekt,
regeln.) Man kann demnach sagen: Subjektive Rechte sind die dem
einzelnen Rechtssubjekt (Menschen oder juristischen Personen) von
der Rechtsordnung verliehenen Befugnisse/Berechtigungen, also gewährte
Rechtsmacht. Subjektive Rechte dienen der Befriedigung und dem Schutz
menschlicher Interessen. Dazu mehr → Mehr
zu den subjektiven Rechten Mit
dem Rechtserwerb durch ein Individuum oder eine juristische Person
wandelt sich das in der Rechtsordnung (abstrakt) zur Verfügung gestellte
Recht im objektiven Sinn in das konkrete Eigentumsrecht von Frau
A – wie aller anderen, die subjektive Rechte erwerben – um. | Recht im subjektiven Sinn |
| Abbildung 1.3: Das Gesamtrechtssystem |
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Subjektive Rechte gewährt aber nicht nur das Privatrecht,
sondern auch das öffentliche Recht. Man spricht
dann von subjektiv-öffentlichen Rechten; zB der Pensionsanspruch
eines Arbeitnehmers gegen die Sozialversicherung, der Pflegegeldanspruch
einer alten Frau gegen Bund oder Land oder der Anspruch eines Bauherrn
aufgrund des Baubescheids bauen zu dürfen oder das subjektiv-öffentliche
Recht auf freien Zugang zu Umweltinformationen nach den §§ 4 ff
UIG, BGBl 495/1993 (in Entsprechung von RL 90/313/EWG). | Subjektive
Rechte |
Die
angloamerikanische Rechtsterminologie unterscheidet zwischen law (=
Recht im objektiven Sinn) und right (= Recht im
subjektiven Sinn). Im Deutschen besitzen wir mit dem Wort Recht –
wie im Französischen: droit – für diese Unterscheidung
keine eigenen Begriffe. | Recht, law and right |
Der Terminus
„Recht” umschließt als Oberbegriff sowohl das Recht im objektiven
als auch das im subjektiven Sinn. „Recht” umfasst alle Rechtsquellen
einer Rechtsordnung (),
also gesatztes und ungesatztes Recht, wozu insbesondere das Gewohnheitsrecht
und allenfalls auch – je nach Standpunkt – das Naturrecht (iSv vernunftrechtlichen
Kulturstandards) und schließlich auch rechtlich relevante gesellschaftliche
Sitten, Gebräuche, Gewohnheiten / Usancen gehören. Rechtsordnung
oder gesatztes Recht nimmt nämlich immer wieder auf nicht gesatztes
Recht Bezug; so bspw § 879 ABGB oder § 1 UWG auf die „guten Sitten”
() oder die § 7 ABGB und § 16 ABGB auf die
„natürlichen Rechtsgrundsätze” und die „angeborne[n] Rechte”; vgl
auch das KdmPat zum ABGB, Abs 1, 1. HalbS, wo von „… allgemeinen
Grundsätzen der Gerechtigkeit …” gesprochen wird. – Auch unserem
Verfassungsrecht liegt ein solches Rechtsverständnis zugrunde, mag
das auch von (rechts)positivistischer Seite bestritten werden. Art
1 B-VG formuliert nämlich nicht zufällig: „Österreich ist eine demokratische Republik.
Ihr Recht [!] geht vom Volke aus.” Alles Recht, das vom Volke –
in welcher Form auch immer – akzeptiert oder erzeugt wird, ist demnach
Recht iSd B-VG. So schon das römische Zwölftafelgesetz (XII 5):
„In den Zwölftafeln ist eine Vorschrift, dass, was immer das Volk
letztlich gutgeheißen hat, Recht und rechtskräftig sei.” Das Verständnis
von Recht als Volksrecht und der Gerichtsbarkeit als Volksgerichtsbarkeit,
stammt aus dem alten Griechenland. (Ein solches Verständnis relativiert
letztlich wieder den scheinbar unversöhnlichen Gegensatz von Naturrecht
und Positivismus!) | |
Das mythisch-personifizierende Rechtsdenken
der Griechen kleidet das Recht im objektiven Sinn (= die Rechtsordnung)
in die Gestalt der Göttin Themis (Thémis éstin
= Es ist Recht) und die daraus abgeleitete subjektive Befugnis (des
Einzelnen) in das der Themistochter Dike. (Dike
wird in der Frühzeit Griechenlands – vgl Homer, Odysse 19, 43 –
als Brauch, Art, Gewohnheit, altes Herkommen verstanden; woraus
erschlossen werden kann, dass die Vorstellung bestand, dass das
subjektive Recht des Einzelnen aus altem, geheiligtem Brauch erfloss,
der auch die Einheit mit den Vorfahren [Ahnenkult, Götterglauben]
herstellte. Schon die Griechen – und nicht erst die Römer – haben
die Grundlagen des europäischen Rechtsdenkens gelegt. Sie unterschieden
auch schon zwischen Nomos (= ursprünglich ungesatztes
Recht + nomologisches Wissen iS Max Webers) und Thesmos (=
gesatztes Recht). Das weite Verständnis des Begriffs „Recht” haben
die Römer von den Griechen übernommen, wie überhaupt manch’ römisches
auf griechischem Rechtsdenken beruht; vgl zur Abfassung des Zwölftafelgesetzes
nur Tacitus, Annalen 3, 36, 27: „ ... Man wählte Dezemvirn, holte
alles Vorzügliche, das sich irgendwo fand, herbei und faßte die
Zwölftafeln ab...”. Darunter war viel griechisches Recht; vgl auch
Augustinus, De Civitate Dei 2, 16. | Themis
und Dike |
Zur Frage der Gerechtigkeit . | |
| Abbildung 1.4: Rechtsordnung – subjektive Rechte |
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5. Das ABGB als
Teil der Rechtsordnung | |
Das österreichische
allgemeine bürgerliche Recht ist im ABGB niedergelegt, das seit
1.1.1812 gilt → Zur Entstehung des
ABGB Im Laufe seiner Geltung wurde das ABGB
immer wieder geändert / novelliert. Das ist grundsätzlich nicht
zu tadeln, denn auch das bürgerliche Recht muss an die Erfordernisse
der jeweiligen Zeit angepasst werden. Auch auf die nötige legistische
Qualität muss geachtet werden, was nicht immer der Fall war. – So
wurde in den 1970er und 80er Jahren in mehreren Reformschritten das
Familienrecht an die geänderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen
angepasst (Familienrechtsreform): zB grundsätzliche Gleichstellung
der Ehegatten (§ 89 ABGB: partnerschaftliche Ehe); oder die Liberalisierung
des Scheidungsrechts (zB § 55 a EheG: einvernehmliche Scheidung . | |
Das
Instrument (privat)rechtlicher Änderungen und Anpassungen ist die Rechtspolitik,
die in der juristischen Ausbildung völlig vernachlässigt wird und
kaum je ernst genommen wurde. Die Folgen sind unübersehbar: Schlechte
Gesetze, inhaltlich wie sprachlich, sind eine bedauerliche Tatsache.
Man lasse bspw einmal den Text der viel zu langen und komplizierten
neuen Gewährleistungsregeln auf sich wirken. Weniger wäre hier mehr
gewesen. – K. A. v. Martini, von dem die legistischen „Richtlinien”
von 1792 für eine bahnbrechende neue europäische Legistik (Jahre
vor dem frCC!) stammen, hat sie erstmals in seinem Entwurf (1796)
und dann im WGGB (1797) verwirklicht. Zeiller hat sie übernommen.
Sie führten idF zum ABGB und waren Voraussetzung für dessen legistische
Qualität. Martini meinte: „[Gesetze] sollen … deutlich und kurz,
wie die 10 Gebothe Gottes geschrieben seyn, damit sie auch Leute
von geringeren Geistesgaben fassen und im Gedächtnis behalten können.” | Rechtspolitik |
Die
Entwicklung seit 1812 führte dazu, dass manche Rechtsmaterie, die
ursprünglich im ABGB selbst geregelt war, schließlich in einem eigenen
Gesetz geregelt wurde; es entstanden ganz neue Rechtsgebiete. Es
kam also zu einer Auslagerung von Rechtsgebieten aus
der zentralen privatrechtskodifikation. So wurden nach dem Ersten
Weltkrieg das Arbeitsrecht und das Privatversicherungsrecht / VersVG
und nach dem Zweiten Weltkrieg bspw das WEG 1948/1975/2002 und 1979 etwa
das KSchG sowie 1988 das PHG geschaffen und seither mehrfach angepasst. | Entwicklung seit 1812 |
| Abbildung 1.5: Das ABGB als Mutterboden (privat)rechtlicher Entwicklungen |
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Obwohl sich wie eben gezeigt aus dem ABGB heraus
neue privatrechtliche Spezialgebiete entwickelt haben, ist der Mutterboden
ABGB auch für diese privatrechtlichen „Kinder” – mögen diese mittlerweile
auch erwachsen geworden sein – von großer Bedeutung geblieben. Die neuen
Sonderprivatrechtsgebiete treffen zwar für ihren jeweiligen
Bereich Spezialregelungen, bauen aber auf dem allgemeinen bürgerlichen
Recht (ABGB) als Grundlage auf. Das gilt insbesondere für die wichtigen
Gebiete des Handels- und Arbeitsrechts, aber auch für das KSchG
oder die Haftpflichtgesetze, zB das EKHG. | Mutterboden
ABGB |
Allmählich scheint es an der Zeit, darüber
nachzudenken, was wieder in die allgemeine Kodifikation des Privatrechts zurückgeführt
werden kann: Eherecht, Handelsrecht, Arbeitsrecht, KSchG etc? –
Das wäre auch insofern eine Chance, als zB der Gedanke des Verbraucherschutzes
vom KSchG selbst mit Füssen getreten wird und eine Neuorientierung
verlangt. Überflüssige Neufassungen wie jene des WEG 2002, erschweren
diese Zielsetzungen → KAPITEL 8: Wohnungseigentum:
WEG 2002. | |
6. Mehr
zu den subjektiven Rechten | |
Wir haben gehört, dass die subjektiven Rechte aus der Rechtsordnung,
dem Recht im objektiven Sinn, abgeleitet werden, und wollen nun
etwas mehr über ihren Erwerb, ihre Wirkung und ihre Arten erfahren. | |
Die subjektiven
Rechte sind wie erwähnt zentral für das Privatrecht,
das – als Teil der Rechtsordnung – die Freiheit und Privatinitiative
der Einzelnen innerhalb der Schranken der Rechtsordnung fördern
und schützen will. Die subjektiven Rechte dienen als rechtstechnisches
Mittel, um die „eigenen” Interessen abzustecken und mit denen anderer,
die ebensolche Interessen haben, in Einklang zu bringen; Privatautonomie. | Privatautonomie |
Ein Kanon subjektiver Rechte wurde erstmals
im antiken Griechenland durch die Gesetzgebung Solons (594/3
v. C.) geschaffen. Subjektive Rechte setzen als Träger freie (!)
und weithin (jedenfalls im Privatrecht) gleiche Rechtssubjekte voraus,
was durch die solonische Gesetzgebung erstmals verwirklicht wurde.
Solon machte alle attischen Bürger – unwiderruflich – frei. Bis
dorthin verlor ein Bürger, der seine Schulden nicht zurückzahlen
konnte, auch seine bürgerliche Freiheit; Schuldknechtschaft. – Mehr
bei Barta, „Graeca
non leguntur”? – Zum Ursprung des europäischen Rechtsdenkens im
antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005). | |
Der Erwerb subjektiver Privatrechte erfolgt
auf verschiedene Weise: Einerseits erwirbt das einzelne Rechtssubjekt
subjektive Rechte schon unmittelbar durch das Gesetz, also ohne
bewusstes Handeln. Man kann auch sagen: Automatisch durch die Rechtsordnung.
So erlangen wir Rechtsfähigkeit und Persönlichkeitsrechte mit der
Geburt (§ 16 ABGB, § 17 ABGB: angeborene Rechte / iura connata),
ja uU sogar schon früher (§ 22 ABGB: nasciturus / Leibesfrucht)
oder erwerben einen Schadenersatzanspruch dadurch, dass andere uns
körperlich verletzen oder uns einen Vermögensschaden zufügen; §§
1293 ff ABGB. – Andrerseits (und das betrifft die Mehrzahl der Fälle) werden
subjektive Privatrechte durch das autonome rechtsgeschäftliche Handeln
von Rechtssubjekten erworben; insbesondere dadurch, dass Verträge
geschlossen werden, aus denen für die Vertragsparteien Rechte und
Pflichten fließen. | Erwerb subjektiver
Rechte |
Es gilt dabei immer zu bedenken, dass das subjektive
Recht des einen, für die andere Seite idR eine Pflicht bedeutet. Und
häufig sind im Privatrecht Rechte und Pflichten stark miteinander
verschränkt; das gilt vor allem für die entgeltlichen Rechtsgeschäfte,
die Verträge → KAPITEL 5: Einteilung
nach ihrer Entstehung. | |
Man teilt die den einzelnen Rechtssubjekten / Personen zustehenden
subjektiven Rechte nach verschiedenen (vgl idF die Punkte 7-11),
sich zum Teil überschneidenden, Gesichtspunkten ein, nämlich in: | |
• Personen- und Sachenrechte → Personen-
und Sachenrechte als subjektive Rechte, | |
• Dingliche und Forderungsrechte → Dingliche
Rechte und Forderungsrechte, | |
• Gestaltungsrechte → Gestaltungsrechte, | |
• Absolute und relative Rechte → Absolute
und relative Rechte sowie | |
• Nachgiebiges und zwingendes Recht → Nachgiebiges
und zwingendes Recht
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| Abbildung 1.6: Einteilung subjektiver Rechte |
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7. Personen-
und Sachenrechte als subjektive Rechte | |
Gemeint ist mit der Unterscheidung in Personen- und Sachenrechte,
dass Personen – und zwar natürlichen wie juristischen – Rechte zustehen
können: | |
• an Sachen (= Sachenrechte)
und | |
• zum Schutz der eigenen Person (auch gegen andere
Personen) und im Familienrecht zum Schutz anderer Personen (Eltern-Kindbeziehung). | |
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Nach WGGB I 1 § 26: „ ... Rechte gebühren auch
eigentlich nur den Personen, und nicht den Sachen.” – Werden derzeit
Sachen iSd § 285 ABGB geschützt, geschieht das nicht um ihrer selbst,
sondern um des Menschen willen; zB Tier- oder Pflanzenschutz. Dieses
Verständnis erfordert längst ein Umdenken. Mehr dazu → KAPITEL 8: Allgemeines
zum Sachbegriff. | |
| Grundeinteilung
des ABGB |
•
Personenrecht ieS
und iwS (+ oder – Familienrecht § 15 ABGB und | |
•
Sachenrecht:
vgl §§ 285, 307, 308, 859 ABGB. | |
Zum Personenrecht gehören
insbesondere die Persönlichkeitsrechte (etwa die §§ 16, 17 ABGB), die
Regelungen über den Schutz Minderjähriger (zB § 21 ABGB) und schließlich
das Familienrecht; §§ 44 ff ABGB. – Unter Sachenrecht iwS versteht
das ABGB das gesamte Vermögensrecht, welches nach
heutiger Terminologie sowohl das Sachenrecht ieS (ABGB:
dingliche Sachenrechte) wie das Schuldrecht (ABGB:
persönliche Sachenrechte) umfasst; vgl § 307 ABGB. | |
Sehen wir uns in der Folge Einteilung und
Ausgestaltung der subjektiven Rechte näher an. Denn sowohl die Sachenrechte,
als auch die Schuldrechte weisen innerhalb ihres Bereichs wiederum
beträchtliche Unterschiede auf. So steht das Eigentum als dingliches
Vollrecht, den beschränkten dinglichen Sachenrechten (zB Servituten)
gegenüber. | |
8. Dingliche
Rechte und Forderungsrechte | |
Diese Unterscheidung ist für das bürgerliche Recht und sein
Verständnis von grundlegender Bedeutung. Die Ausgestaltung eines
Rechts als dingliches oder Forderungsrecht hat nämlich wichtige
Konsequenzen. Insbesondere die Rechtswirkung gegenüber Dritten ist
unterschiedlich: Während dingliche Rechte mit sog Drittwirkung ausgestattet
und als absolute Rechte gegen jedermann durchsetzbar sind, weil
sie auch von jedermann verletzt werden können, wirken Forderungs-
oder relative Rechte grundsätzlich bloß inter partes, also nur zwischen
den Parteien der jeweiligen Vereinbarung. | |
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Die Sachenrechte werden auch
dingliche Rechte genannt, weil sie eine unmittelbare Sachherrschaft
gewähren. Sie haften unmittelbar an der Sache. Zu ihnen zählt vor
allem das Eigentum als dingliches Vollrecht, das
von den begrenzten dinglichen Rechten zu unterscheiden
ist; vgl die Formulierung der §§ 353, 354 ABGB (Eigentum) mit den
§§ 447 ff ABGB: Pfandrecht. | Dingliche
Rechte |
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Dingliche
Herrschaftsrechte entziehen bestimmte Rechtsobjekte der rechtlichen
Einwirkung anderer Rechtssubjekte und gewähren ihren Trägern eine
unmittelbare Einwirkung auf und die ausschließliche „Herrschaft”
über ein/e konkrete/s Rechtsobjekt / Sache. | Herrrschaftsrechte |
§ 354 ABGB lässt daran keinen Zweifel: „Als ein
Recht betrachtet, ist Eigentum das Befugnis, mit der Substanz und den
Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten und jeden andern
davon auszuschließen.” | |
Die dinglichen (Sachen)Rechte gewähren
als Herrschaftsrechte ein unmittelbares – dh nicht durch andere
Personen vermitteltes – Recht an einer Sache selbst
(ius in re); zum Unterschied von den persönlichen,
Schuld- oder Forderungsrechten, die nur das Recht beinhalten, von
einer anderen Person eine bestimmte Leistung zu verlangen; Recht auf eine
Sache: ius ad rem. | ius in
re und ius ad rem |
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Die
persönlichen oder Forderungsrechte sind schuldrechtlicheoder
wie sie auch genannt werden – obligatorische Ansprüche. | Forderungsrechte |
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Forderungsrechte
gewähren die Befugnis, vom (obligatorisch) Verpflichteten ein bestimmtes
Tun oder Unterlassen (Verhalten) zu verlangen. – Forderungsrechte
gewähren aber noch kein unmittelbares Zugriffsrecht auf die – zB
zu liefernde – Sache selbst. Das erhält zB der Käufer erst mit der Übergabe
der Sache. Eigenmacht ist auch hier verpönt. | |
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Eine
besondere Gruppe der subjektiven Rechte sind die Gestaltungsrechte.
Sie räumen dem jeweils Berechtigten einseitige Rechtsmacht ein,
die zur Aufrechterhaltung oder Verlängerung des bestehenden Rechtszustands
oder zu einer Rechtsänderung führen kann. Gestaltungsrechte können sowohl
schuld- wie sachenrechtliche Rechtspositionen betreffen. | |
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10. Absolute
und relative Rechte | |
Diese Unterscheidung ist für das Verständnis des Privatrechts
von Bedeutung, ist sie doch für die unterschiedliche Ausgestaltung
von Schuld- und Sachenrecht charakteristisch; mag sie auch in anderen
Privatrechtsbereichen vorkommen. | |
Absolute Rechte wirken gegenüber jedermann und
verleihen die (Rechts)Macht, einen Anspruch gegen wen auch immer
durchzusetzen, der das geschützte Recht beeinträchtigt. – Absolute
Rechte sind neben den dinglichen (Sachen)Rechten insbesondere auch
die Persönlichkeitsrechte; zum Persönlichkeitsschutz → KAPITEL 4: Die
Persönlichkeitsrechte.
Absolute Rechte existieren also auch außerhalb des Sachenrechts;
zB auch im Familienrecht (Recht der Eltern auf ihre Kinder) oder
im Vermögensrecht die sog Immaterialgüterrechte (Urheber-, Patent-,
Marken- und Musterschutz). | Absolute
Rechte |
Für Immaterialgüterrechte gelten
zum Teil aber auch andere sachenrechtliche Grundsätze; vgl etwa
§ 23 MarkSchG: Prioritätsrecht des Markeninhabers. – Die Immaterialgüterrechte
nehmen daher eine Art Mittelstellung zwischen dem Schuld- und dem
Sachenrecht ein. Sie wirken zwar absolut, vermitteln aber dennoch
keine dingliche Rechtsposition, mögen auf sie auch gewisse dingliche
(Rechts)Prinzipien – wie Priorität und Spezialität – zur Anwendung
gelangen. | Immaterialgüterrechte |
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Generell erzeugt die Verletzung absoluter
Rechte Ansprüche auf Beseitigung gegenüber „jedermann”; genauer: Ansprüche
auf Unterlassung künftiger Eingriffe und auf Beseitigung dauerhafter
Störungen. Dazu treten bei Verschulden Schadenersatzansprüche. | |
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| Abbildung 1.7: Relative und absolute Rechte |
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Sie wirken – als Gegen(satz)begriff
zu den absoluten Rechten – nicht gegenüber jedermann, sondern nur
gegenüber bestimmten Personen, nämlich jenen, mit denen der/die
Berechtigte in eine konkrete schuldrechtliche Beziehung getreten
ist. Sie werden daher auch persönliche Rechte genannt,
was nicht zu verwechseln ist mit Personen- und Persönlichkeitsrechten.
– Man sagt, sie wirken inter partes; dh nur zwischen
den beteiligten Parteien. | Relative
oder
Forderungsrechte |
Zwischen
relativen und absoluten sowie zwischen absoluten und dinglichen
Rechten gibt es Übergänge: Einerseits ist hier
die sog Beeinträchtigung fremder Forderungsrechte zu nennen ( → KAPITEL 11: Verletzung
fremder Forderungsrechte),
andrerseits können bestimmte Forderungsrechte durch Eintragung ins
Grundbuch ‚verdinglicht’ werden und erlangen dadurch absolute Wirkung;
so nach § 9 GBG das Vorkaufsrecht (§ 1073 ABGB) oder das Bestandrecht
(§ 1095 ABGB). Die Immaterialgüterrechte wurden schon erwähnt. | |
11. Nachgiebiges
und zwingendes Recht | |
Die Rechtsordnung gestaltet eine Rechtsposition zwingend
oder nachgiebig aus, was aber nicht immer ohne weiteres erkennbar
ist. – Das erlangte subjektive Recht übernimmt dann diesen „(Rechts)Status”. | |
Unterschieden
wird danach, ob eine rechtliche Anordnung durch Parteiwillen / Vereinbarung
abänderbar ist oder nicht. Große Teile des Privatrechts – insbesondere
das Schuldrecht – sind nachgiebiges oder Dispositivrecht.
Die Vertragsparteien können hier ihre Rechtsverhältnisse im Rahmen der
Rechtsordnung (privat)autonom gestalten. Gesetzliche Dispositivnormen
gelten nämlich nur subsidiär dh nur dann, wenn die Parteien nichts
anderes, also abweichendes, vereinbart haben. | Dispositivrecht |
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OGH 24.. 1999,
3 Ob 229/98t, JBl 2000, 513: Der Unterhaltsanspruch zwischen geschiedenen
Ehegatten ist nicht zur Gänze Dispositivrecht; daher Sittenwidrigkeit
des Beharrens auf einem Unterhaltsverzicht auch für den Fall der
Not, wenn bei streitiger Scheidung ein Unterhaltsanspruch bestünde. | |
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| Zwingendes
Recht |
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II. Zur Gesellschaftsfunktion
des Rechts | |
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(Privat)Recht wird üblicherweise gelehrt und studiert, ohne
sich der Stellung des Rechts im gesellschaftlichen Gesamtsystem
und seiner Funktionen bewusst zu sein. – Mag diese Aufgabe hier
auch nicht befriedigend gelöst werden können, so soll doch nicht
ganz auf dieses Erfordernis verzichtet werden. Vgl auch → KAPITEL 18: Rechtswissenschaft
als Sozialwissenschaft?. | |
1. Die
Staats- und Rechtsfunktionen | |
Zu den klassischen (Ordnungs)Funktionen des Staates gehört
das Gewährleisten persönlicher Sicherheit und das Herstellen eines
zuverlässigen Rechtsrahmens. Staat und Recht sind seit Alters her
verbundene Gefäße. Obwohl das Absterben des Staates (und damit wohl
auch des Rechts) immer wieder vorausgesagt wurde, gibt es zu ihm
keine Alternative. Ähnliches gilt für das Recht. | |
Aufgabe des Rechts
war es und ist es bis heute, ganz allgemein gesagt, die häufig auftretenden Möglichkeiten
gesellschaftlicher Desintegration in Zaum zu halten und zu neutralisieren.
Das Recht vermag Konflikte zwar nicht völlig auszuschalten, aber
es kann sie mindern und insbesondere dient es „zivilisierter” Konfliktaustragung.
Das haben die Menschen früh verstanden. – Die Gesellschaft ist dabei
nicht als monolithischer Block zu sehen, sondern als ein in verschiedene Bereiche
gegliedertes, differenziertes Gebilde, was die Aufgabe des Rechts
erschwert. | Aufgabe des Rechts |
D. Bell, Die kulturellen Widersprüche des
Kapitalismus (19, 1991) unterscheidet drei Gesellschaftsbereiche,
von denen ein jeder eigenen „Gesetzen” folgt: – die techno-ökonomische
Struktur; – die politische Ordnung und – die Kultur: „Diese Bereiche
sind nicht kongruent: sie weisen verschiedene Rhythmen des Wandels
auf und unterliegen verschiedenen, sich jeweils anders legitimierenden
Normen und sogar gegensätzlichen Verhaltensweisen. Die Unstimmigkeiten
zwischen diesen Bereichen sind für die mannigfaltigen Widersprüche
innerhalb der Gesellschaft verantwortlich.” | |
Das moderne Recht verfolgt daher mehrfache Zielsetzungen
/ Rechtsfunktionen, um den Tendenzen gesellschaftlicher Destabilisierung
zu begegnen. Es sind dies: | |
• die Friedens-, Sicherheits-
und Ordnungsfunktion des Rechts iS einer zivilisierten
Konfliktaustragung, | |
• die Gerechtigkeitsfunktion, | |
• die Herrschaftsfunktion und | |
• die Herrschaftskontrollfunktion des
Rechts. | |
Zur Idee des Rechtsstaates
→ Der Rechtsstaat ,
zur Rechtsphilosophie
→ KAPITEL 18: Rechtsphilosophie.
– Das moderne Rechtsdenken hat in diesem Zusammenhang zwei Begriffe
entwickelt, die wenigstens erwähnt werden sollen: Rechtsidee und Rechtsbegriff: Die
Rechtsidee enthält und formuliert die höchsten Zielsetzungen einer
konkreten Rechtskultur/Gemeinschaft, der Rechtsbegriff unterstützt
diese Zielsetzung durch die funktionale Ausgestaltung des materiellen und
formellen Rechts einer konkreten Rechtsordnung. Gelingt diese Umsetzung,
wird von Rechtskultur gesprochen. | |
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2. Frieden
und Ordnung als Rechtsfunktionen | |
Das (Privat)Recht dient dazu: | |
Frieden in
Staat und Gesellschaft zu schaffen und aufrechtzuerhalten. Das bedeutet
Konfliktverhütung und Konfliktbereinigung; vgl dazu etwa die Ausführungen
zur gesellschaftlich wichtigen Funktion des Besitzes → KAPITEL 3: Die
Funktion des Besitzes.
– Recht wird daher auch ein unverzichtbarer Bestandteil einer künftigen
Welt(friedens)ordnung sein. | Frieden |
Recht
dient aber auch dazu, um für Ordnung und Zweckmäßigkeit des
gesellschaftlichen Zusammenlebens in Freiheit zu sorgen; Ausgleich
zwischen Individuum (Freiheits- und Gleichheitsansprüche, Grundrechte)
und Gemeinschaft (sozialer Schutz des Schwächeren; Sicherung des rechtsgeschäftlichen
Verkehrs etc). Auch das dient dem Frieden in einer Gesellschaft.
– Dem Recht kommt neben einer gesellschaftlichen Ausgleichs-,
auch eine wichtige soziale Gestaltungsaufgabe zu.
Das fordert der Gedanke der Gerechtigkeit → KAPITEL 18: Recht und Gerechtigkeit.
Viele Rechtsbestimmungen erfüllen wichtige Ordnungsfunktionen: Man
denke an familienrechtliche und erbrechtliche Regeln oder Einrichtungen
wie das Grundbuch ( → KAPITEL 2: Das
Grundbuch),
aber auch Formvorschriften erfüllen oft eine Ordnungsfunktion. Auf
rechtliche Ordnungsregeln ist auch die Wirtschaft angewiesen:
Firmenbuch ( → KAPITEL 15: Das
Firmenbuch / FB), Handlungsvollmacht und Prokura ( → KAPITEL 13: Erteilung
der Vollmacht),
Wechsel- und Scheckrecht ( → KAPITEL 15: Der
Wechsel), Gesellschaftsrecht. | Ordnung |
Überall wo Menschen zusammenleben, braucht
es Regeln, um Ordnung und Sicherheit und dadurch Frieden zu schaffen.
Nur zu leicht entsteht Unordnung und Chaos und damit die Gefahr
von Unfrieden und Gewaltanwendung. – Das beginnt in einer Wohngemeinschaft
von Studierenden und endet im staatlichen Bereich des Rechts; daher
zB: Straßenverkehrsordnung (StVO), StPO und Strafgesetzbuch (StGB),
GmbHG, VereinsG, Konkurs-, Ausgleichs- und AnfechtungsO usw. – Die
ordnende Hand des Rechts dient dem gesellschaftlichen Frieden. | |
Heute besteht
eine wichtige Aufgabe des internationalen Rechts darin, über das
jeweilige national-staatliche Recht hinaus, für Frieden, Gerechtigkeit
und Ausgleich in der Weltgesellschaft zu sorgen: daher zwischenstaatliche
Abkommen (bi- und multilaterale), supranationales Recht (EU), internationales
Recht (Völkerrecht: UNO, Europarat etc). | Internationales Recht |
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Dem
Recht, als wichtigster Gruppe von Sozialnormen (einer Gesellschaft),
kommt demnach seit der Antike eine wichtige Aufgabe zu. Um seine
grundlegenden Ziele zu erreichen, bedarf das Recht des organisierten
Zwangs. Es unterscheidet sich dadurch von anderen gesellschaftlichen
/ konventionellen Normen (Sitte, Moral, Religion), deren Ziele bloß
mittels sozialen Drucks, nicht aber durch organisierten Zwang, verfolgt
werden. – Zwischen diesen verschiedenen Sozialnormen existieren
aber, wie schon Max Weber betont hat, zahlreiche und wichtige Übergänge. | Recht als organisierter Zwang |
Hinsichtlich
des Zwangscharakters des Rechts lassen sich unterschiedliche Ausformungen
unterscheiden. Im Normalfall enthält eine Rechtsnorm eine Rechtsfolge,
die, wenn es nötig ist, mit Zwangsgewalt durchgesetzt wird. Wir
nennen ein derart sanktioniertes Recht: lex perfecta.
– Davon ist die lex imperfecta zu unterscheiden,
die insofern unvollkommen ist, weil sie für den Fall ihrer Übertretung
/ Nichtbeachtung von vorneherein keine Sanktion/ Rechtsfolge enthält;
sei das eine Strafe oder das Unwirksamerklären eines Rechtsakts.
– Ordnet eine Rechtsnorm/ das Gesetz bloß „Strafe” iwS an, ohne
bei ihrer Übertretung auch die Ungültigkeit des Rechtsakts vorzusehen (so
bspw das KSchG bezüglich der Verpflichtung der Errichtung eines
sog Ratenbriefs → KAPITEL 2: Das Abzahlungsgeschäft) spricht man von lex minus quam
perfecta. – Schließlich wird noch von lex plus
quam perfecta gesprochen, wenn eine Norm im Falle ihrer
Übertretung / Nichtbeachtung „Strafe” / Nachteil und (!) Nichtigkeit
/ Unwirksamkeit vorsieht; zB Geschwisterehe bei Kenntnis der Verwandtschaft
oder Bigamie. | Unterschiedliche Normqualität |
Zuletzt soll hier noch ein moderner Begriff erwähnt
werden, der des soft law / sanften Rechts: Darunter
werden Rechtsregeln verstanden, die bloß raten und empfehlen, nicht
aber sanktionieren. Der Begriff stammt aus dem anglo-amerikanischen
Rechtskreis, die Idee aber aus dem alten Griechenland (Platon).
Der Gesetzgeber macht davon (zu) wenig Gebrauch. | Soft
law |
| |
Mit der Aufgabe des Rechts, für Frieden
und Ordnung in einer Gesellschaft zu sorgen, hängt eine weitere
Besonderheit unserer Disziplin zusammen, die wenigstens erwähnt
werden soll: Rechtliches Entscheiden hat immer auch den „Erfolg”,
also die voraussehbaren Folgen und Konsequenzen (des Entschiedenen)
zu bedenken. Eine Rechtsnorm oder Entscheidung ist nur dann wirklich
„gut”, wenn sie über ihre sachliche Stimmigkeit hinaus, auch die
gesellschaftlichen Folgewirkungen bedenkt. Das gilt für die Gesetzesproduktion
ebenso, wie das Handeln eines Verwaltungsorgans, eines Straf- oder
Zivilrichters oder eines vertragsgestaltenden Rechtsanwalts. | Gesellschaftliche
Folgewirkungen |
Man
spricht von Folgenorientierung und
Folgenkontrolle:
sog Implementierung und
Evaluation von Gesetzen. Dies
mahnt eindringlich ein berühmtes Rechtssprichwort ein (mag auch
dessen ursprünglicher Sinn ein anderer gewesen sein): Fiat iustitia
pereat mundus – Es geschehe Recht, mag dabei auch die Welt zugrundegehen.
Darin unterscheidet sich die Rechtswissenschaft von anderen Wissenschaftsdisziplinen,
insbesondere den Naturwissenschaften und der Technik, wenngleich
auch hier mitunter bereits „weiter” gedacht wird. | Folgenkontrolle etc |
| |
In
zivilisierten Staaten kann der Einzelne „sein” Recht grundsätzlich
nicht mehr selbst durchsetzen. Er muss sich dazu jener Behörden
bedienen, die der Staat zur Rechtsdurchsetzung bereitstellt; so die
§§ 19 und 344 ABGB: sog Selbshilfeverbot. | Rechtsdurchsetzung |
Zum bis heute
verkannten anspruchsvollen Inhalt des § 19 ABGB (Rechtsgewähranspruch
+ Selbsthilfeverbot + Verbindung zur Lückenfüllungsregel des § 7
ABGB, samt einem allfälligen Aufleben des bürgerlichen Widerstandsrechts: Barta,
K. A. v. Martinis bleibende Bedeutung für die österreichische und
europäische Rechtswissenschaft, in: Barta/ Pallaver/ Rossi/ Zucchini (Hg),
Storia, Istitutioni e diritto in Carlo Antonio de Martini (1726-1800)
96 ff (2002). und derselbe, in: Barta / Palme / Ingenhaeff (Hg),
Naturrecht und Privatrechtskodifikation 56, 74, 78 (1999). | § 19 ABGB |
Mehr
zur prozessualen Rechtsdurchsetzung . | |
Das Recht auf
Selbsthilfe besteht aber noch in folgenden Fällen: | |
•
Einerseits
als Notwehr (§ 19 Satz 2 ABGB und § 3 StGB) und | |
•
andrerseits in
der Form bestimmter – gesetzlich geregelter – Besitzschutzhandlungen: Besitzwehr
und Besitzkehr; dazu mehr in → KAPITEL 3: Besitzschutz
¿ Allgemein und → KAPITEL 3: Gerichtlicher
Besitzschutz. | |
§ 19 Satz 1 ABGB ordnet an: „Jedem, der sich
in seinem Rechte gekränkt zu sein erachtet, steht es frei, seine Beschwerde
vor der durch die Gesetze bestimmten Behörde anzubringen....” Damit
soll Eigenmacht / Selbsthilfe ausgeschaltet werden. Andernfalls
herrschte das Recht des Stärkeren / Faustrecht; im Mittelalter:
Fehdewesen. – (Erlaubte) Reste von Selbsthilfe gibt es aber noch
heute. | |
§ 344 Satz
1 ABGB bestimmt: „Zu den Rechten des Besitzes gehört auch das Recht,
sich in seinem Besitze zu schützen, und in dem Falle, dass die richterliche
Hilfe zu spät kommen würde [zB Kellnerin stellt Zechpreller], Gewalt
mit angemessener Gewalt abzutreiben (§ 19 ABGB)”. – § 1321 ABGB
regelt das Recht der Privatpfändung von Vieh. | |
Eine
Notwehrhandlung ist daher nicht rechtswidrig. „Notwehr ist
diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist, um einen gegenwärtigen
rechtswidrigen Angriff von sich oder einem anderen abzuwenden”;
§ 227 Abs 2 dtBGB; vgl auch § 3 öStGB. | |
3. Wichtige
Rechtsinstitute erfüllen grundlegende Rechtsfunktionen | |
Recht – so wurde ausgeführt – ordnet und befriedet
das Gemeinwesen und damit das Zusammenleben der Menschen. Recht
macht Gesellschaft möglich. Diesen Zielsetzungen dienen auch grundlegende
oder Basis-Rechtsinstitute, derer man sich bedienen kann und auf
die man sich – im rechtsgeschäftlichen oder gesellschaftlichen Verkehr
als Privater oder Kaufmann – verlassen können muss; etwa die zentralen
Rechtsinstitute Eigentum (§§ 353 ff ABGB als dingliches Vollrecht
an Sachen und überhaupt das Sachenrecht oder insbesondere auch die
Regeln über den Vertragsschluss §§ 861 ff ABGB. Hier zu nennen sind
auch das Erb- und Familienrecht, die von Zeit zu Zeit an den gesellschaftlichen
Wandel angepasst werden müssen; vgl etwa: Familienrecht einst (ABGB
1811), in den 1970er Jahren im Rahmen der großen Familienrechtsreform
(Kreisky/Broda) und heute. – Auch das öffentliche Recht greift gesellschaftlich
ordnend ein: zB RaumordnungsG, GrundverkehrsG, BauOn, StrafG, Ausländerbeschäftigung. | |
| |
Die
genannten Rechtsfunktionen – nämlich Frieden zu stiften sowie Ordnung,
Gerechtigkeit, Zweckmäßigkeit und Sicherheit in einer Gesellschaft
zu etablieren – weisen auf ein wichtiges Rechtsgut moderner Staaten
hin: die Rechtssicherheit. Dies iSv Erwartungssicherung,
Vorausberechenbarkeit rechtlichen Handelns sowie Konfliktregelung
durch geordnetes Verfahren, aber auch als Schutz vor Übergriffen
der „Politik”, die wie wir in den letzten Jahren in Österreich erleben mussten,
beachtliche Ausmasse angenommen haben (zB Zugriff auf geheime Polizeidaten/der weithin
vertuschte Spitzelskandal etc). | |
Erst durch gewährte Rechtssicherheit wird persönliches
und wirtschaftliches Planen möglich. Recht und Gesetz dienen daher
auch dazu, Macht jeder Art zu zügeln (Herrschaftskontrollfunktion; zB
VfGH, VwGH) und gegenseitiges Vertrauen und Sicherheit zu schaffen.
Denn gemeinsame, verbindliche Regeln können das Bewusstsein gemeinsamer
Verantwortung stärken. Ein Staat, der diese Grundwerte achtet, ist
ein Rechtsstaat → Der Rechtsstaat
| Rechtliches
Planen |
5. Sozialer Wandel:
Recht als gesellschaftliches Steuerungsmittel | |
Recht
dient in modernen Staaten auch als Instrument planmäßiger gesellschaftlicher
/ sozialer Gestaltung und Entwicklung; sozialer Wandel durch Rechtspolitik
→ Rechtspolitik zB
Straf(prozess)- oder Familienrechtsreform, moderne Arbeitszeitregelung,
besserer (privat)rechtlicher Schutz von Patienten, Konsumenten oder
Pflegeheimbewohnern, Produkthaftung, Regelung der Nutzung der Gentechnik
usw. – Neben dem nationalen (Privat)Recht tritt dabei immer stärker
als Gestaltungsfaktor das supranationale Recht der EU in Erscheinung. | Rechtspolitik |
Das juristische Studium birgt die Gefahr
in sich, dass sich Studierende zu sehr an die Gegebenheiten der
gegenwärtigen Gesellschaft anpassen, fast möchte man sagen, stromlinienförmig
ausgerichtet werden, um in der Folge den Blick dafür zu verlieren,
dass und wo die Gesellschaft – die ein Prozess von Werden und Vergehen
ist – (rechtzeitig) geändert werden muss, um einen gerechten Ausgleich
in Frieden zu sichern. Die Vermittlung des Erkennens der Notwendigkeit
eines adäquaten sozialen Wandels muss daher als wichtige juristisch-didaktische
Aufgabe erkannt werden. Das Instrument rechtlicher Veränderung ist
die Rechtspolitik
→ Rechtspolitik Verständnisfördernd
wirkt die Rechtsgeschichte. | |
III. Normen
als „Wegweiser” – Recht, Sitte, Moral | |
1. Die Orientierungsfunktion
des Rechts | |
Schon
der Codex Theresianus von 1766 (I 1 § 1 Num 1), formuliert: | |
„Das Recht, insoferne als es ein Gesetz bedeutet, ist eine
Richtschnur der menschlichen Handlungen. Dessen Endzweck ist die
Gerechtigkeit, welche in deme bestehet, dass einem Jeden das Seinige,
was ihme von Rechtswegen gebühret, zu Theil werde.” | |
Normen,
Rechtsvorschriften, Paragraphen sind – das ist ihre ureigenste Aufgabe
– Wegweiser für menschliches Verhalten. Sie dienen der Verhaltensorientierung
der Menschen in einer Gesellschaft. Der Sinn von Rechtsnormen liegt
demnach vornehmlich darin, dass sich die Menschen an die gesetzlichen
Regelungen halten, sie beachten und nicht übertreten. Darin liegt
die Hauptaufgabe von Recht. Nicht die Sanktion, also die verhängte
Rechtsfolge von Normen, als Konsequenz von Rechtsverletzung, steht
im Vordergrund, sondern ihre Orientierungsfunktion. | Normen als Wegweiser |
Das gilt nicht nur für das Zivilrecht,
sondern auch für das Strafrecht: zB § 75 StGB (Mord), § 76 StGB
(Totschlag), § 80 StGB (fahrlässige Tötung), § 105 StGB (Nötigung),
§ 111 StGB (üble Nachrede) usw. – Dies hat wie wir gesehen haben
früh der Codex Theresianus reflektiert, aber auch der Begründer
der Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung, der Österreicher
Eugen Ehrlich, erkannt; vgl → KAPITEL 18: Rechtstatsachenforschung.
– Recht besitzt demnach eine wichtige soziale Steuerungsfunktion. | Soziale
Steuerungsfunktion |
Die
wichtige Orientierungsfunktion von Recht setzt voraus, dass rechtliche
Anordnungen von den Betroffenen (im Großen und Ganzen) akzeptiert
werden (können). Eine funktionierende Rechtsordnung setzt nämlich
Rechtsakzeptanz voraus. Rechtsakzeptanz setzt wiederum
Ausgewogenheit des Rechts voraus und verlangt eine Orientierung
des Gesetzgebers an den Gerechtigkeitspostulaten der Rechtsidee.
Die alten Griechen haben daher die Leitvorstellung vom Recht als
„Mitte“ zwischen den Extremen entwickelt; Solon, Platon, Aristoteles.
– Ein Gesetzgeber, der seinem Namen gerecht wird, handelt danach.
Gerechtigkeit verlangt vor allem vom Gesetzgeber – weniger vom Richter!
– soziale Billigkeit; vgl aber etwa §§ 21 und § 1310 ABGB oder §
2 D(N)HG. Das wurde bereits im Rahmen der österreichischen Privatrechtskodifikation
diskutiert; Martini, Kees. | Rechtsakzeptanz |
| |
2. Sitte
/ Brauch, Moral <-> Recht: Sozialnormen | |
Rechtsnormen sind aber nicht die einzigen Wegweiser
(Sozialnormen) für menschliches Verhalten in einer Gesellschaft.
Neben der Rechtsordnung existieren Sitte und Moral sowie Brauch
und Religion. | |
Der wesentliche Unterschied zwischen dem Recht
und anderen gesellschaftlichen Verhaltens- oder Sozialnormen besteht
aber darin, dass es im Wesen des Rechts liegt, seine Anordnungen
notfalls mit staatlicher Zwangsgewalt durchzusetzen,
wenn Betroffene sich nicht freiwillig danach richten; organisierter
Zwang. | Zwangscharakter
von Recht |
Gemeinsam haben
Recht, Sitte und Moral, dass sie kultur- und zeitabhängig sind.
Jede Gesellschaft / Kultur bildet die ihr entsprechenden Sozialnormen
aus, wobei der Umfang der einzelnen Bereiche und das Verhältnis
und die Übergänge zu- und ineinander charakteristisch für eine Gesellschaft
sind und einem mehr oder weniger starken Wandel unterliegen. – Sozialer
Wandel ist demnach für alle Gruppen von Sozialnormen eine wichtige
Orientierungsgröße. | Gemeinsamkeiten |
Als Sitte wird der gesellschaftliche
– mehr oder weniger gefestigte – Brauch verstanden,
der heute nicht (mehr) erzwingbar ist; er beinhaltet das Abstellen
auf ein äußeres, erwünschtes Verhalten. – Zwischen Sitte und Recht
bestehen aber noch heute Wechselwirkungen; dh: Sitten werden vom Recht
immer wieder als beachtlich angesehen. | Sitte
– Brauch |
| Rechtsrelevante Sitten |
| |
| |
Die Moral wendet
sich im Gegensatz zu Sitte und Recht nicht an das forum externum,
sondern an das forum internum, also an das Gewissen des
Einzelnen und ist grundsätzlich nicht auf ein äußeres – insbesondere
kein erzwingbares – Verhalten gerichtet. – Aber es bestehen wiederum
Wechselwirkungen mit Sitte und Recht. So enthält die rechtliche
Sitten-Widrigkeit des § 879 ABGB auch Elemente der Moral, ist mit
ihr aber dennoch nicht gleichzusetzen → KAPITEL 11: Gegen
die guten Sitten.
– Jede Gesellschaft hat darauf zu achten, dass ihre unterschiedlichen
Sozialnormen sich nicht zu sehr widersprechen oder unverbunden nebeneinander
stehen. | Moral |
Das Lernen
von Sozialnormen, insbesondere von Sitte und Moral, erfolgt im Rahmen
des Sozialisationsprozesses, also der Erziehung
iwS. Das (Klein)Kind durchläuft in seinem Sozialisationsprozess
schon sehr früh Phasen, die für sein späteres Verhältnis zu Recht
und Gesellschaft wichtig sind. | Lernen von Sozialnormen |
Eine
unterschiedliche Haltung in der Beziehung von Recht und
Moral nehmen in der Kodifikationsgeschichte K. A.
v. Martini und F. v.
Zeiller ein. Während sich Martini,
als Vertreter eines moralischen Realismus, bei Anerkennung der Selbständigkeit
jedes Bereichs, gegen eine vollständige Trennung von Recht und Moral
aussprach, folgte Zeiller der damals modernistischen, aber etwas
weltfremden – und für das Recht wenig brauchbaren – Position Kants,
die eine vollständige Trennung dieser Bereiche forderte. – Wir können
heute klar sehen, wohin letztere Haltung führt. | Recht und Moral |
| |
Herrschende Moralvorstellungen
laufen immer wieder Gefahr, brüchig, ja heuchlerisch zu werden und
zu einer „doppelten” Moral zu
degenerieren. So war es mit der kirchlich-bürgerlichen Moral, die
die (Rechts)Stellung der Frau, die uneheliche Geburt und die Scheidung,
überhaupt Sexualität stigmatisierte und dadurch eine Schein- oder
Doppelmoral förderte. Auch im Arbeitsleben ist hier vieles schief
gelaufen. | Moralvorstellungen |
Es ist eine wichtige Aufgabe von Kunst, Literatur und Wissenschaft,
diese gesellschaftlichen Wandlungsprozesse zu begleiten und wenn
nötig zu kritisieren. Insofern reicht die gesellschaftliche Funktion
dieser Bereiche weit über bloße Ästhetik hinaus. Das macht etwa
der berühmte spanische Regisseur Pedro Almodovar in seinen Filmen
(nicht nur für Spanien) ebenso deutlich, wie die österreichische
Schriftstellerin Anna Mitgutsch, die zur gegenwärtigen politischen
Situation Österreichs Stellung nehmend ausführte (in: Der Standard,
22.12.2000, S. 29): „Wenn wir uns als Schriftsteller auf die bewußtseinsbildende
Macht der Sprache und ihr gesellschaftspolitisches Potenzial besinnen, können
wir gar nicht umhin, uns kritisch in das Zeitgeschehen einzuschalten,
wir haben nicht die Wahl wegzusehen, ohne unser einziges Medium,
die Sprache zu verraten. Ob sich das Publikum gut oder schlecht
unterhalten fühlt, darf kein Kriterium sein.” | |
| |
3. Recht, als Maßnahme
gesellschaftlicher Notwehr | |
Nach Sitte, Moral und Religion
ist das Recht die letzte, mittlerweile aber effektivste, Abwehrlinie einer
Gesellschaft gegen Übergriffe, insbesondere gesellschaftsschädliches
Verhalten Einzelner und von Gruppen. Das Recht signalisiert: „Bis
hierher und nicht weiter!” – Daher benötigt das Recht den staatlichen
Zwang, wenn es übertreten wird. Die rechtliche Sanktion ist somit
auch als eine Maßnahme gesellschaftlicher „Notwehr” zu verstehen. | |
Unsere
europäischen Grundlagen des Staats- und Rechtsdenkens stammen von
den Griechen. Sie haben das Gesetz als geachtetes gesellschaftliches
Steuerungsmittel, die Staatsformen, das Natur- und Völkerrecht,
die Lehre vom Gesellschaftsvertrag, das methodische Rechtsdenken
und die Interpretation samt dem Fragenkomplex von Gerechtigkeit
und Billigkeit im Recht, die Rechtsfähigkeit/Rechtssubjektivität
des freien Rechtssubjekts, die Vertragsfreiheit und die juristische Person
sowie den grundlegenden Persönlichkeitsschutz, der sich zu den Grund-
und Menschenrechten entwickeln konnte, zusammen mit vielen anderen
bedeutenden juristischen Entwicklungen geschaffen. – Exemplarisch
nachvollziehbar ist auch die Entstehung des Staates im alten Griechenland,
die nur durch ein Zurückdrängen der Selbsthilfe (des Individuums
und familiärer Gruppen) möglich war. | Grundlagen des Staats- und Rechtsdenkens |
| |
Der
Widerspruch zwischen der Gesellschaft und den Neigungen und Wünschen
der Menschen ist ein natürlicher. Er wurde schon im Altertum und
idF von J. J. Rousseau erkannt und von S. Freud tiefer verstanden.
– Kultur entsteht in der Auseinandersetzung zwischen
dem/r Einzelnen und der Gesellschaft, wobei der vom Einzelnen geforderte
Gewaltverzicht von grundlegender Bedeutung ist: Rechtsregeln helfen
dabei. Aufgabe des Menschen ist es, sich selbst und – als animal
sociale (diese Einsicht stammt von Aristoteles) – die Gesellschaft
weiterzuentwickeln. | Auseinandersetzung: Einzelne versus Gesellschaft |
Die Aufgabe jeder Gesellschaft liegt darin,
Entfaltungsmöglichkeiten für Menschen zu schaffen. Darin liegt auch
das Ziel jedes Humanismus. – „Gutes” Recht versucht
beide Seiten – Individuum und Gesellschaft – zu verstehen und einen
Ausgleich zwischen ihnen zu schaffen; beachte die Funktion des Dispositivrechts!
Dadurch wird es seiner vermittelnden Aufgabe gerecht. Aufgabe des
Rechts ist es – psychoanalytisch betrachtet – zwischen den grundlegenden,
aber grundverschiedenen Schichten im Menschen und in der Gesellschaft
zu vermitteln. Mögen diese Schichten bislang auch – mangels hinreichender
Bewusstseinsentwicklung – oft noch unvermittelt aufeinander treffen.
Es sind dies der rational-kognitive Bereich und der weite Bereich
des Unbewussten (Gefühle, Triebe, Aggressionen etc). Aufgabe des
Rechts ist es auch der Elementargewalt des Triebhaften und der Aggression
Paroli zu bieten und diesen Kräften zwar angemessenen, aber doch nicht
beliebigen Raum zu gewähren, um deren zerstörerisch-destruktive
Kräfte zum Wohle des Ganzen in Kulturleistung umzuformen. Wir sprechen
seit S. Freud von Sublimation. Diese Grenzziehung ist heikel und
immer vorläufig. Das „richtige” Maß für ein normatives Inbeziehungsetzen dieser
Schichten durch Recht, entscheidet über das Gelingen von
Kultur. Nötig ist daher zwar ein Kultur-, nicht aber ein
Kadavergehorsam, den Recht niemals anstreben oder fördern sollte;
vgl dazu die Antigone-Problematik bei Sophokles. | Gelingen
von Kultur |
In
der Sprache S. Freuds kommt dem Recht (als zentraler gesellschaftlicher
Wertesteuerungs- und Ordnungsdisziplin) die Aufgabe zu, zwischen Eros (das
sind die gemeinschafts- und kulturschaffenden Kräfte) und
Thanatos (das sind die individuell wie kollektiv zerstörerischen
Kräfte) zu vermitteln. – Alle Fragen unserer Kultur sind mit dieser
Schichtenproblematik behaftet und innerhalb dieses Beziehungsrahmens
zu verstehen. Das Langzeitgedächtnis des Rechts fungiert dabei im
Rahmen dieser seiner für den Einzelnen wie die Gesellschaft so wichtigen Funktion
als „gespeicherte Erfahrung des Kollektivs”; A. Mitscherlich. Die
„Kunst” des Rechtsprozesses liegt darin, als Ziel nicht ein dumpfes
Gefügigmachen des Individuums zu erblicken, sondern Kultureignung
durch (Bewusstseins)Entwicklung zu ermöglichen. | Eros und Thanatos |
Rechtskultur
dient daher der Gesamtkultur, weil sie Kontinuität und Tradition
mit Wandel und Fortschritt verbindet und damit jeder Kultur und
Gesellschaft zur lebenswichtigen Anpassungsleistung und Vielfalt
verhilft, die gegen die Gefahr politischer wie religiöser etc Monokulturen
vorbeugt. Nicht immer ist das gelungen, wie (Austro)Faschismus,
Nationalsozialismus, Kommunismus, diverse Nationalismen und religiös-politische
Fundamentalismen (bei uns und anderswo) beweisen. – Allein: Hierin
liegt eine bedeutsame – oft unterschätzte oder überhaupt übersehene
– Leistung des Rechts für moderne Gesellschaften und deren lebensnotwendigen
politisch-kulturellen Pluralismus. Es zeugt daher von enormem Unverständnis,
wenn – wie vor allem bei uns geschehen – eine juristische Studienreform,
die natürliche Beziehung des Rechtsdenkens zu den Sozial- und Geisteswissenschaften
nicht oder doch zu wenig fördert und sich statt dessen kurzsichtig
der Ökonomie unterwirft, die allerdings rechtliche Willfährigkeit
monetär reichlich belohnt. | Rechtskultur |
S. Freud und der gesamte Bereich des psychoanalytischen
Denkens macht uns ua deutlich, wie wichtig es für Juristinnen und
Juristen ist, sich mit der ganzen Breite und Tiefe menschlicher
Existenz und ihrer wissenschaftlichen Lösungsversuche auseinander
zu setzen und dieses Bemühen in die eigene Disziplin zu integrieren
und sich nicht mit Teillösungen, wissenschaftlichen Ersatzbefriedigungen,
etwa oberflächlichen ökonomischen Sichtweisen und Handlungsantrieben
abspeisen zu lassen. Die heute vielfach herrschende Gefahr
einer gesellschaftlichen Ökonomisierung vieler (Wert)Fragen
und Antworten erscheint nicht nur für unsere Umwelt lebensbedrohend,
sondern auch für die Entwicklung des Einzelmenschen und unsere Gesellschaften.
– Es geht heute zwar auch um ein Zurückgewinnen des
Primats
des Politischen gegenüber dem Ökonomischen, aber ebenso
sehr – als Grundlage des Politischen – um ein Zurückgewinnen des
Primats des Menschlichen und Ökologischen gegenüber einem verkürzt rechnerischen
Kalkül. | |
| |
S. Freud,
Das Unbehagen in der Kultur und andere kulturtheoretische Schriften
(1994); derselbe, Die Zukunft einer Illusion: TB; – E.
Fromm, Gesellschaft und Seele. Sozialpsychoanalyse
und psychoanalytische Praxis (1996): TB; – derselbe,
Humanismus als reale Utopie. Der Glaube an den Menschen (1996):
TB; – A. Mitscherlich,
Massenpsychologie ohne Ressentiment. Sozialpsychologische Betrachtungen
(1972); – derselbe,
Die Idee des Friedens und die menschliche Aggressivität (199317);
– Lindner, Über die
Zusammenhänge zwischen Aggression und Destruktion im Spannungsfeld
zwischen Individuum und Gesellschaft, in: Rohde-Dachser (Hg),
Zerstörter Spiegel 107 (19922). | |
| Abbildung 1.8: Funktionen des Rechts (1) |
|
| Abbildung 1.9: Funktionen des Rechts (2) |
|
| Abbildung 1.10: Normen als Wegweiser |
|
| Abbildung 1.11: Sozialnormen |
|
IV. Rechtswissenschaft
und Nachbardisziplinen | |
1. Unterstützung
durch andere Disziplinen | |
Die genannten Rechtsfunktionen – Frieden und
Freiheit zu stiften, für Ordnung, Gerechtigkeit und Rechtssicherheit
zu sorgen – verlangen nicht wenig von jenen, denen dies obliegt;
also den Menschen, die Recht anzuwenden oder zu setzen haben. Um
gute Urteile / Entscheidungen, rechtspolitische Vorschläge oder
auch nur Verträge zu formulieren oder Gesetze zu erlassen, sollten
diese Menschen einerseits entsprechende Fachkenntnisse besitzen,
andererseits aber auch voll im Leben stehen und menschliche Substanz
aufweisen. – Gute rechtliche Entscheidungen und Gesetze brauchen
aber oft auch die Unterstützung anderer Disziplinen, sei es bei
der Gesetzesentstehung (Rechtssoziologie und Rechtstatsachenforschung),
ihrer Einführung, Anwendung und Beurteilung (sog Begleitforschung:
Implementation und Evaluation) oder beim Fällen der einzelnen Entscheidung,
wo sich Richter den nötigen Sachverstand über Sachverständige besorgen.
Zu nennen sind hier etwa Psychotherapie, Sozialpsychologie, Medizin
oder naturwissenschaftliche und technische Disziplinen und vor allem
Soziologie, Rechtstatsachenforschung, Statistik, Psychologie und Ökonomie.
Diese Ergänzungs- oder Hilfsdisziplinen ergänzen den juristischen
Sachverstand. | |
Der Wertungsspielraum bei der
Rechtsanwendung ( → KAPITEL 11: Die
Rechtsanwendung) ist mitunter groß. Andere Disziplinen können
hier hilfreich sein. So wenn ein gesetzlicher Tatbestand unbestimmte
Rechtsbegriffe oder Generalklauseln enthält.
Aber jede realistische Rechtsordnung braucht solch’ legislative
Dehnfugen, weil sie einerseits Lücken verhindern und andrerseits
dafür sorgen muss, dass gesellschaftlich bestehende und sich (rasch)
ändernde Wertvorstellungen in das Recht, insbesondere die gerichtliche
Praxis einfließen können. (Die vom Rechtspositivismus angenommene
Lückenlosigkeit der Rechtsordnung ist eine unbrauchbare Fiktion!
Im Privatrecht noch mehr als anderswo.) § 879 ABGB, § 1 UWG, § 30
MRG oder § 242 dtBGB sind solche wertoffenen Normen; sog Generalklauseln.
– Auch unbestimmten Rechtsbegriffen kommt diese Aufgabe zu; vgl
gute Sitten (§ 879 Abs 1 ABGB), Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns
(§ 347 HGB), unheilbare Zerrüttung des ehelichen Verhältnisses (§§
55 und 55a EheG), Kündigung aus wichtigem Grund (§ 30 Abs 1 MRG),
erheblich nachteiliger Gebrauch iSd § 30 Abs 2 Z 3, 1. Fall MRG
usw. | Wertungsspielräume
bei der Rechtsanwendung |
|
SZ 69/177 (1996):
Zur Auslegung des § 30 Abs 2 Z 3, 1. Fall MRG – Untervermietung:
Konsularisches Archiv (interessante Gesetzes- und Vertragsauslegung). | |
|
2. Interdisziplinarität
des Rechts | |
Interdisziplinäres, die eigenen Fachgrenzen
überschreitendes Denken, erweist sich daher für die Rechtswissenschaft
nicht nur als interessant, sondern in vielem auch als nützlich und
notwendig. Um den Stellenwert der eigenen Disziplin (zu anderen
Disziplinen und Wissenschaften) besser erkennen zu können, empfiehlt
es sich, nicht nur Literatur aus dem eigenen Fachbereich zu lesen, sondern
auch Grenzübertritte zu wagen. Das lohnt immer und weitet den Blick. | |
Um
als JuristIn jene Bescheidenheit entwickeln zu
können, die uns im Gesamtkanon der Wissenschaften gut ansteht, ist
es ratsam, auch die Sozialwissenschaften oder – je nach Interesse
– auch die Geistes- oder Naturwissenschaften zu beachten. Vergleiche
dieser Art helfen aufgeblasenes, dummes Juristentum zu vermeiden
und machen uns deutlich, dass die Jurisprudenz keine strenge Wissenschaft
iSd Naturwissenschaften ist, aber nichts desto weniger eine überaus
interessante, weil dem Leben und seinen Problemen zugewandte Wissenschaft
ist. – Je mehr Sie als StudentIn ihren Selbstwert entwickeln, umso
weniger benötigen Sie disziplinäre Ausflüchte in die Großartigkeit, Einmaligkeit
und das Alleinseligmachende der eigenen Disziplin. Grenzüberschreitendes
Denken soll demnach den eigenen Horizont erweitern und immun machen
gegen ein Überschätzen des eigenen Bereichs. Dies schafft die Bereitschaft
für echtes Verständnis/Hermeneutik und Interdisziplinarität, was
heute wichtig ist. Viele Probleme können nämlich nur noch durch
das Zusammenwirken mehrerer Disziplinen sinnvoll behandelt und gelöst
werden. | Disziplinäre Bescheidenheit |
So
verlangt unsere Umwelt nach einem Zusammenwirken von Recht, Philosophie,
Naturwissenschaften, Ökonomie, Medizin, Technik usw; vgl das Buch
von Ch. D. Stone, Umwelt vor Gericht. Die Eigenrechte der Natur
(1992). Und sogar unsere Wirtschaft kommt längst nicht mehr ohne
ökologische, psychologische, ja psychoanalytische Einsichten und
Hilfe aus. Es gilt nämlich immer noch Luthers Ausspruch,
dass „ein Jurist, der nicht mehr ist denn ein Jurist, ein arm Ding”
sei. | Luther als Vorbild |
| |
3. Recht als Kulturleistung | |
Als sinnvolle Ergänzung zum Studium sollten deshalb Studierende
der Rechtswissenschaften unbedingt eine gute Zeitung lesen, um an
Politik, Wirtschaft und Kultur, die eng mit dem Recht zusammenhängen,
laufend teilzunehmen. Recht ist nämlich – was häufig nicht bedacht
wird, eine hohe Kulturleistung der Menschheit. Und soll dies auch
künftig bleiben! – Wohin es führt, wenn anstelle des Rechts Gewalt
tritt, zeigt uns die Situation in manchen unserer Nachbarstaaten während
der letzten Jahre. Wie jede Kulturleistung bedarf auch die Rechtsentwicklung
der Teilnahme und Auseinandersetzung der Betroffenen. Recht darf
nämlich nicht – ebenso wenig wie Kultur – als etwas von den Menschen
Abgehobenes, Getrenntes verstanden werden. | |
Worin
liegt die Konsequenz für Studierende? – In lebendiger Anteilnahme
am Studium; das heißt dem Mut zu Kritik, Infragestellung und eigener
Meinung. Man sollte sich auch nicht auf reines Strebertum reduzieren
lassen, aber auch nicht vergessen, dass aus Nichts, nichts wird.
Es gilt dem eigenen Hausverstand zu vertrauen und kein blindes Vertrauen
in Lehrende und Geschriebenes zu entwickeln. Autonomie ist gefragt.
Daher: Lieber spazieren- oder in ein gutes Kino gehen, als in eine
schlechte Lehrveranstaltung. | Konsequenz für Studierende? |
Das Recht und seine
Normen sind – seit jeher – ein Teil der conditio humana. Menschliche
Gesellschaft ist seit Jahrtausenden ohne das Rechtsdenken und seine
Institutionen undenkbar, wobei sich die Inhalte und Institutionen
des Rechts mit den jeweiligen Gesellschaften immer wieder geändert haben,
ändern mussten. Recht macht – als Friedensordnung – Gesellschaft
möglich. | conditio humana |
Die Tatsache eines sich ändernden Rechts
ist kein Argument gegen ein Naturrechtsdenken, das in Österreich
zur Zeit Karl Anton von Martinis der Vorstellung folgte, dass das
jeweilige Recht einer konkreten Gesellschaft aus dem Naturrecht
„ausgehoben” oder geschöpft wird; so WGGB I 1 § 2: Motto vor Kapitel
1. – Das Verdienst des Naturrechts ist es, aufgezeigt zu haben,
dass es neben dem vielfältigen Wandel des Rechts auch so etwas wie
einen (relativ) konstanten Kern des Rechts(denkens) gibt, der über
Jahrtausende hinweg wenigstens als Ideal bestand; etwa das Notwehrrecht
und Tötungsverbot oder die Menschenrechte, der Schadens- und Bereicherungsausgleich,
die Ablehnung bloß formaler Gerechtigkeit und die Notwendigkeit
von Billigkeit und sozialem Ausgleich (im Einzelfall), überhaupt
das seit Solon aktuelle Verständnis des Rechts als „Mitte” und als
Instrument des sozialen Ausgleichs sowie die Unabhängigkeit und
Unparteilichkeit von Richtern. | |
Dazu meine Studie: „Graeca non leguntur”? – Zum Ursprung
des europäischen Rechtsdenkens im antiken Griechenland (in Vorbereitung:
2005). | |
Das
Recht und insbesondere das Privatrecht ist daher eine conditio sine
qua non moderner Gesellschaften. Das wird sich auch in Zukunft nicht
ändern, mag auch stets darauf zu achten sein, dass gerade das Privatrecht
nicht zu egoistischen Zwecken missbraucht werden darf. Der akzelerierte soziale
Wandel macht es zudem immer schwerer für die nötige Anpassung des
Rechts zu sorgen. Manche Gesellschaftsbereiche enteilen ihrer Normierung
und es ist oft schwer diese Entwicklungen erneut unter die Kontrolle
des Rechts zu bringen. Politische Eitelkeiten und Dummheiten erschweren
diesen Prozess zusätzlich. Es ist daher auch die verantwortungsvolle
Aufgabe der Rechtspolitik, der in fast jeder Gesellschaft auftretenden
sozialen Trägheit und Gleichgültigkeit entgegen zu wirken. | Recht in modernen Gesellschaften |
4. Verrechtlichung
– Evolution des Rechts? | |
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten
wurde immer wieder die Frage nach den Grenzen des Rechts gestellt
und nach Gegentendenzen zur Verrechtlichung gerufen. – Allein das
Recht als Instrument staatlicher und gesellschaftlicher Steuerung
ist unverzichtbarer denn je und es scheint Zusammenhänge zwischen
dem Prozess der Verrechtlichung und den allgemeinen gesellschaftlichen
Entwicklungstendenzen moderner Gesellschaften zu geben. Eine (Hypo)These
könnte lauten: Je mehr bestimmte gesellschaftliche Regulative wie
Sitte, Moral und Religion an Bedeutung verlieren – und das ist in
einem hohen Maße der Fall , desto mehr hat das Recht die entstandene
„Lücke” zu füllen. Es geht daher nicht darum, diesen gesellschaftlichen
Prozess zu beklagen, sondern ihn möglichst realistisch und optimal
zu bewältigen. | Recht
unverzichtbar |
Diese Entwicklung
hat in den letzten Jahrzehnten zu einem Verrechtlichungsschub
in
modernen Gesellschaften geführt, der beklagt, selten aber
nach den dafür verantwortlichen Gründen hinterfragt wird. Dabei
gilt es durchaus immer wieder die Qualität, Brauchbarkeit und Unverzichtbarkeit von
Recht kritisch zu beleuchten, gerade auch von juristischer Seite.
Denn der Zweck heiligt nicht schon die Mittel. – Als weiterer Grund
der Verrechtlichung kann genannt werden, dass der Rechtsstaat moderner
Prägung, ein hohes Maß an formeller, normativer Wertbegründung fordert
und die internationale Entwicklung in die gleiche Richtung weist.
Darüber hinaus wissen wir längst, dass der Ruf nach Deregulierung,
oft nicht mehr meint, als mehr Freiheit für einige wenige, insbesondere
ökonomisch potente „national and global player”, aber nicht mehr
Freiheit und Sicherheit für die betroffenen Menschen bedeutet. | Verrechtlichungsschub |
Verrechtlichung
darf daher kein Selbstzweck sein, sondern muss ein stets kritisch
zu prüfendes Mittel für das Wohl der Menschen bleiben, um sie gegen
Partikularinteressen ebenso zu schützen wie gegen Übergriffe des
Kollektivs. – Die aufgezeigte Entwicklung bedeutet natürlich nicht,
dass nicht auch das Recht selbst einer evolutionären Entwicklung
unterliegt und alles so bleiben muss, wie es ist. Neue, angemessenere
Rechts- und Justizformen sind sogar zu erhoffen; vgl etwa die Tendenz
alternative Formen der Streiterledigung zu forcieren: etwa die Mediation
im Familienrecht, insbesondere bei Scheidung, aber etwa auch bei
ärztlichen Behandlungsfehlern, im Arbeitsrecht oder bei Nachbarschaftsstreitigkeiten. | Kein Selbstzweck |
| |
5. Das Recht lebt
in seinen Fällen | |
Rechtswissenschaft
kann eine schöne und lebendige Wissenschaft sein, muss nicht trocken
und langweilig sein, wie sie manchmal eingeschätzt wird. – Wie jede
andere Disziplin, setzt aber auch die Rechtswissenschaft Kenntnisse
bei ihrer Anwendung voraus. Interessant und lebendig wird die Jurisprudenz
mit dem Erlangen der Fähigkeit, Probleme und Fälle zu lösen: Das
Recht lebt in seinen Fällen. Wir werden daher eine ganze Reihe von
– zunächst noch einfachen – „Fällen” kennenlernen. | Problemlösung |
Nicht damit zu verwechseln ist die mitunter
gehandhabte steril-konstruktive dogmatische Falllöserei nach deutschem
Vorbild, denen vor allem die Ausbildung des Strafrechts, mittlerweile
aber auch übereifrige Zivilisten, nacheifern. – Allgemein zu Rechtsanwendung → KAPITEL 11: Die
Rechtsanwendung. | |
Dabei ist nicht zu übersehen,
dass das Recht und insbesondere die Rechtsanwendung auch mit Härten,
Pflichten und überhaupt den negativen Seiten des Lebens konfrontiert;
Mord, Totschlag, Verkehrsunfälle, bitteres Leid, Zwang, Gewalt in
der Gesellschaft, aber auch in Ehe und Familie, Strafe, Schadenersatz,
Gefängnis, Exekution sind einige Stichworte dazu. – So wichtig die
Fallbehandlung für die Ausbildung auch sein mag, sie sollte (gerade
am Anfang des Studiums) nicht übertrieben werden, denn sie ist nur
ein Teil der Jurisprudenz und verbildet in Richtung domatischer Verengtheit.
Das ist allerdings die übliche Ausrichtung der meisten Falllösungsbücher,
die daher mit Vorsicht zu genießen sind. – Es ist allerdings wichtig,
zu lernen, welche Probleme in den Fällen versteckt sind und worin
die Schwierigkeiten ihrer Lösung liegen. Schon einfache „Fälle”
dienen dazu, Studierenden die Schwierigkeiten praktischer Rechtsanwendung
deutlich zu machen. Denn es ist nicht dasselbe, etwas zu lernen
oder das Gelernte auf Lebenssachverhalte anzuwenden. | „Fälle” |
Einen lesenswerten Versuch, Gerechtigkeit zu umschreiben,
hat der Schöpfer unserer Bundesverfassung, Hans Kelsen, in seiner
Broschüre „Was ist Gerechtigkeit?” (1953) unternommen; nunmehr Reclam-UB
18.076. – Eine interessante begleitende privatrechtliche Studienlektüre
bietet das „Franz Gschnitzer Lesebuch” (1993), in dem sich neben
Aufsätzen, Reden, Buchbesprechungen auch Entscheidungsanmerkungen
finden. | |
Ab
einem gewissen Kenntnisstand empfiehlt es sich höchstrichterliche
Entscheidungen /En zu lesen, die in Fachzeitschriften,
Entscheidungssammlungen und mittlerweile auch (Rechts)Datenbanken
aufbereitet werden. – Wegen der didaktischen Bedeutung gerichtlicher
En für die Ausbildung werden auch in diesem Lehrbuch zahlreiche
En abgedruckt; und zwar so, dass man wenigstens erahnen kann, worum
es geht. Bloße Fundstellen sind wohl doch zu wenig. – Das macht das
Lernen praxisnäher und interessanter. | Höchstrichterliche Entscheidungen |
| |
Man muss sich auch – frühzeitig! – damit
abfinden, dass Recht und Rechtsanwendung Menschenwerk sind und sich
daher immer wieder Schwächen und Fehler zeigen; in Gesetzen wie Urteilen
oder Verträgen. Reform, Rechtspolitik und Rechtsfortbildung sind
daher stets aktuell und gehören zum Recht, wie das Amen zum Gebet.
Leider stellt Rechtspolitik bis heute kein Ausbildungsfach dar.
– Gute Rechtspolitik eilt der sozialen Wirklichkeit gedanklich voraus
oder begleitet diese angemessen. In der Praxis hinken Reformen der
Entwicklung oft zu weit hinterher. | Recht ist
Menschenwerk |
Seit
den Anfangssiebziger-Jahren wird zB das Familienrecht an den gesellschaftlichen
Wandel angepasst; vgl etwa § 55a EheG: einvernehmliche Scheidung
oder die mehrfachen Reformen des Kindschaftsrechts, ferner das FMedG 1992,
das Eizellenspenden, Leihmutterschaft und Samenbanken verbietet → KAPITEL 16: Fortpflanzungsmedizin.
Das BTVG 1997 hat sich das Ziel gesetzt, die schweren Missstände
im Bereich der Eigentumsübertragung an Wohnungen auszuräumen → KAPITEL 15: Das
Bauträgervertragsgesetz / BTVG.
Immer wieder geändert wurden und werden das MRG 1981, das WEG (1948,
1975 und überflüssiger Weise 2002), das WGG 1979 oder – ein anderes
Beispiel aus dem öffentlichen Recht – das ASVG, das häufig novelliert
wurde, was grundsätzlich nicht bemängelt werden sollte. | Prominente Beispiele |
Rechtspolitische Änderungen brauchen oft
Jahre um zu reifen. So warten wir seit vielen Jahren auf ein zeitgemäßes
UmwelthaftungsG und ebenso ein MedHG (das wirklich jene Lösungen
bringt, die anstehen; nicht die verunglückte Lösung des § 27 a KAKuG → KAPITEL 10: §
27 a KAKuG: Patientenentschädigungsfonds)
oder ein Bundes-HeimVG, für das nunmehr ein ministeriell verwässerten
Entwurf existiert. – Andrerseits wird gerne leichtfertig und schlampig
reformiert. Legistische „Schnellschüsse“ bleiben problematisch. | Rechtspolitik
braucht Zeit |
| |
• Barta: Entwurf eines
Bundes-Heimvertragsgesetzes (B-HeimVG) mit Erläuternden Bemerkungen
– vgl nunmehr HeimvertragG BGBl I 2004/12 und HeimaufenthaltsG BGBl
I 2004/11 | |
• Barta/Kalchschmid: Entwurf eines Transplantationsgesetzes
(TPG) mit Erläuternden Bemerkungen | |
• Barta: Entwurf eines Medizinhaftungsgesetzes
mit Erläuternden Bemerkungen (MS-word, Stand Mai 2002, Kufstein) | |
| |
Natürlich treten bei rechtspolitischen
Diskussionen immer wieder gesellschaftliche Gegensätze in
Erscheinung, die es aber zum Wohle der Gesellschaft auszuhalten
und zu überwinden gilt; oft durch einen Kompromiss, der keineswegs
immer ein „fauler” sein muss. Recht tendiert vielmehr – schon von
seiner Aufgabe her – seit seinen Anfängen zur ausgleichenden Mittelmeinung;
von Solon, Aischylos, Platon und Aristoteles (Nikomachische Ethik)
wird der Richter als Mittler zwischen den Parteien gesehen. Goethe
folgt diesem Vorbild, das bis heute aktuell geblieben ist. | Diskurskultur |
Rechtspolitik vermag Phantasie in
die Jurisprudenz zu bringen und kann eine Brücke schlagen zwischen
der gesellschaftlichen Wirklichkeit/status quo und konkreten Utopien.
Sie begnügt sich nicht mit Gegenwärtigem, sondern will Zukunft gestalten.
Zum Wohle des Ganzen, im Dienste des Gemeinwohls. – Daher sollte
die juristische Ausbildung der Bildung nicht entraten und braucht
die didaktische Pflege der (Teil)Fächer: Allgemeine Staatslehre,
Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtsvergleichung sowie Rechtssoziologie
und Rechtstatsachenforschung und Legistik. – Auf Vertragsebene braucht
es praxisnahe Kautelarjurisprudenz. | Konkrete Utopien |
7. Rechtswissenschaft
als praktische und handlungsorientierte Wissenschaft | |
Die
Rechtswissenschaft ist demnach eine praktische Wissenschaft, die
dem Leben dienen und nicht weltfremde, lebensverneinende und unverständliche
Lösungen fördern soll. Hier gilt es immer wieder Fehlentwicklungen
zu korrigieren, gleichsam den Sand aus dem Getriebe der Justiz und Rechtswissenschaft
zu entfernen; | |
| |
Dieselben Anforderungen sind an die praktischen Rechtsberufe
(Justiz, Anwaltschaft, Notariat, Verwaltung / öffentlicher Dienst,
Steuerberatung, Wirtschaft etc) zu stellen. | |
Wichtige
Aufgabe des Rechtsdenkens und der Rechtspraxis ist es daher, schon
unter Anwendung des geltenden Rechts (also
de lege lata)
auch Neues und Unorthodoxes zu ermöglichen und nicht immer gleich
nach dem Gesetzgeber (also einer Lösung
de lege ferenda)
zu rufen. | de lege lata und de lege ferenda |
V. (Stoff)Einteilung:
ABGB und modernes Privatrecht | |
| |
Wir haben
gehört, dass es zwischen dem allgemeinen und dem Sonderprivatrecht
zu unterscheiden gilt. Das ABGB folgt von Beginn an dieser Unterscheidung;
vgl KdmPat alinea 7. Die in der Folge besprochene Stoff-Einteilung
betrifft das allgemeine Privatrecht des ABGB: | |
Die Dreiteilung
des Rechtsstoffs im ABGB geht auf das Institutionenlehrbuch
des Gaius (~ 160 n. C.) zurück, der den Stoff in
„personae“ (Personenrecht), „res“ (Sachenrecht) und „actiones“ (Zivilprozess)
gliederte. Daher heißt dieses System: Institutionensystem. | Institutionensystem |
Das Personenrecht des
ABGB umfasst – wie bei Gaius – auch das Familienrecht. – Auch das Sachenrecht
des ABGB folgt dem römischen Vorbild, das in seinen weiten Sachenrechtsbegriff ebenfalls
schon das Sachenrecht ieS (ABGB = dingliche Sachenrechte,
wozu das ABGB auch das Erbrecht zählt) und das Schuldrecht / Obligationenrecht
(ABGB = persönliche Sachenrechte) einbezog. | |
Die römischrechtliche Einteilung (die wahrscheinlich
wieder griechische Wurzeln besitzt) wirkt also in der des ABGB nach.
Das hat sich insofern nachteilig ausgewirkt, als dadurch das Entstehen
Allgemeiner Teile (Schuldrecht Allgemeiner Teil, Allgemeiner Teil
schlechthin) erschwert wurde. – Erst die stärkere Differenzierung
der Rechtsgebiete – nämlich die Trennung des Personen- und Familienrechts
voneinander und des Schuld- und Erbrechts vom Sachenrecht – ließ
im 19. Jhd das wissenschaftliche Bedürfnis eines „Allgemeinen Teils“
entstehen. Ansätze in diese Richtung kennen aber schon das ALR und
das ABGB samt Kodifikationsgeschichte. | |
| Abbildung 1.12: Einteilung des bürgerlichen Rechts |
|
| Abbildung 1.13: Einteilung des Personenrechts |
|
| |
Die moderne Stoffeinteilung
des Privatrechts folgt dem stärker gliedernden Pandektensystem (des 19.
Jhds), das aus dem Personenrecht das Familienrecht und aus dem (zu
weiten römischrechtlichen) Sachenrechtsbegriff das Erbrecht und
das Schuldrecht ausgliedert. Der verbleibende Rest des Personenrechts
wird dem neugeschaffenen „Allgemeinen Teil“ zugeschlagen, sodass
sich folgende Gliederung ergab: Allgemeiner Teil (schlechthin),
Sachenrecht, Schuldrecht (es wird erneut in SchRAT und SchRBesT
unterteilt), Familienrecht und Erbrecht. – Schuld- und Sachenrecht bilden
zusammen das Vermögensrecht. | |
| Abbildung 1.14: Allgemeines Privatrecht: Bürgerliches Recht – ABGB |
|
| |
Nicht alle Autoren folgen dieser Einteilung
in allen Details, doch gilt sie im Großen und Ganzen. – Bei der Zuordnung
der Rechtsobjekte / Sachen unterscheiden sich etwa Gschnitzer und
Koziol / Welser. Konsequenter und didaktisch wertvoller erscheint
Gschnitzers Lösung. | |
3. Aufgaben eines
„Allgemeinen Teils” | |
Man kann sagen: Der „Allgemeine Teil“ zieht
das den einzelnen, besonderen Teilen (des bürgerlichen Rechts) Gemeinsame
vor die Klammer, hebt das Allgemeine – wie in der Mathematik das Gemeinsame
– heraus. Gschnitzer (AllgT1,
Vorwort) macht die Aufgaben eines „Allgemeinen Teils“, aber auch
die Schwierigkeiten, die er für Studierende mit sich bringt, deutlich: | |
„Der Allgemeine Teil stellt die Elemente
dar, die in den besonderen Teilen ihre Anwendung finden. So kennzeichnet ihn
eine starke Abstraktion; z. B. handelt er weder
vom Kauf noch von der Eigentumsübertragung, noch vom Testament,
noch von der Eheschließung, noch von der Adoption, wohl aber von
der rechtsgeschäftlichen Willenserklärung, die allen diesen Akten
wesentlich ist. Rechtsgeschäft und Vertrag sind in ihrer Abstraktheit
schwerer anschaulich zu machen als ihre Konkretisierung im Kauf
oder Testament. Andererseits steckt im Herausarbeiten gemeinsamer
Grundelemente und in der Abstraktion von zusätzlichen Besonderheiten
eine große wissenschaftliche Leistung. Sie verschafft eine tiefere
Erkenntnis der inneren Zusammenhänge und erleichtert die Stoffbeherrschung. Der
Allgemeine Teil ist gleichsam das Alphabet, dessen Buchstaben der
Jurist zu den verschiedenen Worten kombiniert. Das [dt] BGB hat
dem Allgemeinen Teil besondere Sorgfalt gewidmet, und die deutsche
Lehre befasst sich mit ihm sehr ausführlich. Demgegenüber kennt
das ABGB nach seiner Entstehungszeit einen Allgemeinen Teil noch nicht.” | Gschnitzers
Umschreibung |
4.
Stoffüberblick
nach dem Pandektensystem | |
Die in Klammer gesetzten Zahlen bedeuten
das Kapitel, in dem der jeweilige Stoffteil hier
im Buch behandelt wird. – Dieser „Stoffüberblick” soll die Stoffzuordnung
zu den Teilen: Allgemeiner Teil, Sachenrecht, Schuldrecht etc. erleichtern.
– Das Pandektensystem bietet allerdings heute auch längst keine
sichere Orientierung mehr, zumal sich zu vieles geändert hat und
viel Neues entstanden ist. | |
Recht im objektiven
und subjektiven Sinn (1., 11.): Die Rechtsordnung (1.); öffentliches
Recht und Privatrecht samt der Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung
(1.); Bedeutung, Eigenart und Einteilung des Privatrechts (1.);
Zur Entstehung und Weiterentwicklung des ABGB (1.); die Lehre vom
Rechtssatz (11.); Rechtsanwendung und Subsumtion (11.); Gesetzesauslegung
und Lückenfüllung (11.); Konkurrenz von Rechtssätzen (7.); Rechtsquellenlehre
(11.); Recht im subjektiven Sinn (1.); Rechtssubjekt / Person undRechtsobjekt
/ Sache (4.,8.): Natürliche Person (4.); Altersstufen (4.); juristische
Person (4.); Persönlichkeitsrechte (4.); Rechtsobjekte und ihre
Einteilung (8.); Das Rechtsgeschäft (5.,6.,11.,14.): Privatautonomie
und Vertragsfreiheit (5.); Arten der Willenserklärungen (5.); Auslegung
von Willenserklärungen und Rechtsgeschäften (11.); Arten der Rechtsgeschäfte
(5.); Vertragsschluss (5.); AGB (6.); Vorvertrag (6.); Übereinstimmung
von Wille und Erklärung (5.); Mängel des Rechtsgeschäfts; Irrtum
(5.); List und Drohung (5.); Möglichkeit und Erlaubtheit (11.);
Form der Rechtsgeschäfte (15.); Konversion und Heilung (15.); Stellvertretung
und Vollmacht (14.); Die rechtliche Bedeutung der Zeit (13.): Verjährung,
Ersitzung, Verschweigung, Verwirkung, Präklusion, Bedingung, Befristung,
Auflage; Die Internationalisierung, Vereinheitlichung und Europäisierung
des Privatrechts: IPR, UN-Kaufrecht, Intertemporales Recht (1.) | Allgemeiner Teil |
Einführung ins Sachenrecht
(8.): Wesen und Bedeutung des Sachenrechts, Prinzipien des Sachenrechts: Geschlossene
Zahl der Sachenrechte / Typenzwang, Publizität, Spezialität, Priorität,
dinglicher Charakter, Arten der Sachenrechte, Unterschied Sachenrecht
– Schuldrecht. Besitz (2.,3.): Besitz und Innehabung, Sach- und
Rechtsbesitz, Arten der Übergabe / Modus (2.), rechtliche Bedeutung
des Besitzes, Besitzschutz / Besitzstörung(sverfahren). Eigentumsrecht
(2.,8.): Begriff und Inhalt (8.), Beschränkungen im Interesse der
Allgemeinheit (8.), Nachbarrecht samt Abwehr von Immissionen (8.),
Arten des Eigentums (8.), Erwerb des Eigentumsrechts: Lehre vom
Titel und Modus (2.), gutgläubiger Erwerb vom Nichtberechtigten
(8.), Eigentumsschutz (8.); Eigentumserwerb beim Doppelverkauf (8.).
Grundbuch (2.), bücherliche Eintragung, Prinzipien (2.); Pfandrecht,
Zurückbehaltungsrecht (15.): Begriff und Funktion. Prinzipien, Hypothek,
Schutz des Pfandrechts; Sonstige dingliche Sicherungen (8., 15.):
Sicherungsübereignung, Eigentumsvorbehalt; Dienstbarkeiten / Servituten,
Begriff, Prinzipien des Servitutsrechts, Grund- und Personalservituten,
Schutz der Dienstbarkeiten (8.); Reallasten, Baurecht (8.) sowie
Pfandrecht, Retentionsrecht, BTVG, Treuhand (alle 15.). | Sachenrecht |
Allgemeines (6.,7.): Schuld
und Forderung (7.), Schuld und Schuldverhältnis (7.), Schuld und
Haftung (7.), Ziel- und Dauerschuldverhältnis (6.); Begründung von
Schuldverhältnissen (2.,6.): durch Rechtsgeschäft und Gesetz; culpa
in contrahendo (6.); Nebenabreden zur Verstärkung oder Abschwächung
rechtsgeschäftlicher Pflichten (2.); Schuldinhalt (7.): Art der
Leistung, Leistungszeit und –ort; Zug um Zug-Prinzip; Leistungstörungen
(7.): (nachfolgende) Unmöglichkeit, Gläubiger- und Schuldnerverzug,
Fixgeschäft, Gewährleistung, Produkthaftung, Verkürzung über die
Hälfte, nachfolgende Unmöglichkeit; Erlöschen der Schuld (3.,6.,14.,15.):
Erfüllung, Hinterlegung, Leistung an Zahlungs Statt, Aufrechnung,
Vereinigung, Verzicht (3.), Kündigung (6.), Insolvenz (19.); Umänderung der
Rechte und Verbindlichkeiten (7.): Novation, Schuldnerverzug, Vergleich,
Anerkenntnis, Gläubigerwechsel / Zession, Faktoring, Schuld- und
Vertragsübernahme; Mehrheit von Berechtigten und Verpflichteten:
Gläubiger und Schuldnermehrheit (alle 7.), Verträge zu Gunsten und
zu Lasten Dritter (15.), Bürgschaft (15.), Garantievertrag(15.), Anweisung(15.) | SchRAT |
Vertragliche
Schuldverhältnisse (2.,3.,12.): Kauf (2.), Tausch (2.), Abzahlungsgeschäft
(2.); Schenkung (3.), Leihe (3.), Verwahrung samt Gastwirtehaftung
(3.), Darlehen (3.), Trödelvertrag, Bestandvertrag, Dienstvertrag
(12.), Werkvertrag (12.), Auftrag (12.), Glücksverträge: Wette und
Spiel, Leibrentenvertrag (12.); Gesellschaft bürgerlichen Rechts
(12.); Gesetzliche Schuldverhältnisse (5.,9.,10.,12.): Bereicherungsrecht
(5.), Schadenersatzrecht (9.,10.); Gehilfenhaftung (10.); Arbeitnehmerhaftung
(12.); Gefährdungshaftung (9.), Geschäftsführung ohne Auftrag (12.);
Gläubigeranfechtung (3.); Konsumentenschutzgesetz (2.). | SchRBesT |
Das Familienrecht
wird generell in Kapitel 16 behandelt; dazu kommen: – Eherecht,
Rechtsverhältnisse zwischen Eltern und Kindern; Vormundschaft, Kuratel,
Sachwalterschaft (4.), Unterbringungsgesetz (4.). | Familienrecht |
Das Erbrecht wird in Kapitel
17 behandelt: Erbfolge, Nachlass; letztwillige Verfügungen; Substitution;
Erbvertrag; Bestimmung der Erbteile; Vermächtnis/Legat, Schenkung
auf den Todesfall; Pflichtteilsrecht; Erbschaftserwerb; Die rechtliche
Stellung des Erben, Erbschaftskauf, Erbschaftsschenkung, Erbschaftsklage,
Erwerb vom Scheinerben. | Erbrecht |
VI. Zur Entstehung des
ABGB | |
| |
| |
1. Natur
und Vernunftrecht und ABGB | |
Der Österreicher Joseph Unger, der das ABGB, als Vertreter
der „Historischen Rechtsschule” und Gefolgsmann des großen Juristen
und Rechtsideologen F. C. v. Savigny, vehement bekämpft hatte, gelangte
am Ende seines wissenschaftlichen Wirkens doch zu der im Motto wiedergegebenen
Einsicht. | |
Wir sind in Österreich in
der glücklichen Lage eine der drei großen (klassischen) Privatrechtskodifikationen
zu besitzen – und noch in Geltung zu haben, die an der Wende vom
18. zum 19. Jhd entstanden sind. Alle drei Gesetzbücher (ALR, Code
Civil und ABGB) sind natur- und vernunftrechtlich beeinflusst. Den
größten Teil des Inhalts dieser Gesetzbücher macht allerdings immer
noch das Römisch-Gemeine Recht aus, das vom Naturrecht als ratio
scripta betrachtet wird. Daneben existiert noch ein schwächerer
deutschrechtlicher Einfluss. | Klassische
Privatrechtskodifikationen |
Das Naturrechtsdenken ist nur in seiner
Einbettung in die allgemeine philosophische Entwicklung zu verstehen.
Jede Trennung verbaut sich das eigene Verständnis. | |
| |
•
Hugo
Grotius (1583-1645): – De iure belli et pacis,
1625 | Stammväter
des modernen Naturrechts in Europa und Österreich |
•
Thomas Hobbes (1588-1679)*:
– Elements of Law Natural and Politic, 1640; – Elementorum Philosophiae
Sectio Tertia „De Cive”, 1642; – „De Corpore”, 1655; – „De Homine”,
1658. – Hobbes’ wichtige Methodenüberlegungen finden sich im ersten
Teil von „De Corpore”; – Leviathan, 1651 | |
•
Samuel von Pufendorf (1632-1694)*:
– Elementa iurisprudentiae universalis, 1660; – De iure naturae
et gentium, 1672; – De officio hominis et civis, 1673 | |
•
John Locke (-1704)*:
– Essay Concerning Human Understanding, 1690 | |
•
Gottfried Wilhelm Leibnitz (1646-1716)*:
Er vertrat ein ausschließlich aus der göttlichen Natur abgeleitetes
Naturrecht. | |
•
Christian Thomasius (1655-1728)*:
– Institutiones iurisprudentia divinae, 1688; – Drey Bücher der
Göttlichen Rechtsgelahrdheit, 1709; – Fundamenta iuris naturae et
gentium, 1705; 1718 4; – Grund-Lehren
des Natur- und Völcker-Rechts, 1705; – De Crimine Magiae – Von dem
Verbrechen der Zauber- und Hexerey, 1701; – Vom Ursprung und Fortgang
des Inquisitions-Processes wider die Hexen, 1712 | |
•
Christian Wolff (1679-1754)*:
Ius naturae methodo scientifico pertractum, 1740-1748; – Ius gentium,
1749; – Institutiones iuris naturae et gentium, lat 1750; dt 1754 | |
•
David Hume (1711-1776)*:
– Treatise of Human Nature, 1739/40; – Essays Concerning Human Understanding, 1748;
– Enquiry Concerning the Principles of Morals, 1751- Ein guter Überblick über Leben, Denken und Werk findet sich
bei L. Kreimendahl (Hg), Philosophen des 17. Jhd (1999) und derselbe,
Philosophen des 18. Jhd (2000). Vgl auch R. Ciafardone, Die Philosophie
der deutschen Aufklärung. Texte und Darstellung (Reclam, 1990, Nr.
8667); Christian Thomasius, Deutsche Schriften (Reclam, 2970, Nr.
8369-71).
| |
•
Paul Joseph Riegger (1705-1775):
Lehrer Martinis
| |
•
Karl Anton von Martini (1726-1800):
Vgl dazu verschiedene Beiträge, in: Barta / Palme / Ingenhaeff (Hg),
Naturrecht und Privatrechtskodifikation (1999) und nunmehr: Barta / Pallaver / Rossi / Zucchini (Hg),
Storia, Istitutioni e diritto in Carlo Antonio de Martini (1726-1800)
– (2002) und insbesondere Hebeis, Karl Anton von Martini (1726-1800)
– (1996). | |
• „Hobbes, Locke, Pufendorf und
natürlich auch Leibnitz sowie Thomasius versuchen
aus der Natur bzw. aus der Vernunft des Menschen ein natürliches
Recht (ius naturale) abzuleiten, das den gemeinsamen Kern aller
positiven Rechtsordnungen bildet und gegen das diese niemals verstoßen
dürfen. Insbesondere die Betrachtung des Naturzustandes, der als
eine bloße heuristische [= zu neuen Erkenntnissen führende] Fiktion
eingeführt wird und nicht etwa eine historisch greifbare Entwicklungsstufe
der Menschheit meint, scheint den genannten Autoren geeignet, die
Gründe zu ermitteln, die zur Staatengründung führten, und die Zwecke
festzusetzen, denen der Staat zu dienen hat. Freilich trägt das
Konstrukt einer vorstaatlichen Lebensweise der Menschen je nach
der vom Autor vorausgesetzten Anthropologie recht verschiedene Züge.
Bei Hobbes, der den Menschen als einen letztlich materiellen und primär
auf Selbsterhaltung ausgerichteten organischen Automaten betrachtet,
herrscht im vorgesellschaftlichen Zustand ein „Krieg aller gegen
alle” [Formel: „bellum omnium contra omnes” / Leviathan]. Von Pufendorf hingegen
wird er als ein friedliches Miteinander konzipiert. Doch wie auch
immer dieser Zustand gedacht wird: die dem Naturrecht zugrundeliegende
Idee lautet, dass sich vom positiven Recht unabhängige, rational
einsehbare Rechtsprinzipien aus der Natur des Menschen ableiten
lassen, die zunächst eine friedliche Koexistenz der Mitglieder einer
staatlichen Vereinigung garantieren, dann aber darüber hinaus auch
die Konstituierung eines Völkerrechtes erlauben, durch das Kriege
künftig ausgeschlossen werden.” – Aus: L.
Kreimendahl, Einleitung, in: Kreimendahl (Hg),
Philosophen des 17. Jahrhunderts 11 f (1999). | |
Naturrecht, Vernunftrecht ist eine spätere
Entwicklungsstufe desselben, meint demnach, dass das Recht nicht
nur eine willkürliche menschliche Satzung sei, sondern in der gesellschaftlichen
Natur des Menschen angelegt, oder – wie man auch sagen kann – der
menschlichen Vernunft vorgegeben, wenngleich dieser erkennbar ist.
Es handelt sich dabei (wie bei anderem Recht) um Regeln, die das menschliche
Zusammenleben leiten und fördern sollen; Regeln – und das wird vom
Naturrecht betont, die dem menschlichen Streben nach Glück, Freiheit
und Menschenwürde dienen sollen. (Dies sind die Ziele, die das Naturrechtsdenken
seit Platon und Aristoteles leiten.) Nicht alles, was sich als Recht
ausgibt, verdient daher, naturrechtlich betrachtet, die Bezeichnung
„Recht”. Recht ist vielmehr nur das, „was an sich selbst gut ist,
was nach seinen Verhältnissen und Folgen etwas Gutes enthält, oder
hervorbringt, und zur allgemeinen Wohlfahrt beyträgt”; so I 1 §
1 des von K. A. v. Martini geschaffenen (West)Galizischen Gesetzbuchs,
das 1798 in West- und Ostgalizien in Kraft getreten ist und den
Kern des späteren ABGB bildet. | Vom Natur- zum
Vernunftrecht |
Nach Martinis Vorstellung
– und nicht nur seiner, denn er steht auch in der Moderne in einer
langen europäischen naturrechtlichen Tradition ( → Natur
und Vernunftrecht und ABGB Übersicht:
Stammväter des modernen Naturrechtsdenkens), wird das in einem Land
geschaffene und geltende positive Recht, aus
dem
vor-positiven Naturrecht „ ausgehoben”.
Der jeweilige nationale Gesetzgeber entnimmt dem Naturrecht, das
schliesslich zum Vernunftrecht wird „ ... die Regeln..., welche
dem Menschen in seinem Thun und Lassen zur Richtschnur dienen sollen,
und ihm seine Pflichten vorschreiben”; WGGB I (Teil) 1 (Hauptstück)
§ 2. | Positives Recht |
Die älteren Vertreter des Naturrechts
waren noch – wie etwa auch Aristoteles – der Meinung, dass seine
Regeln ewig und unwandelbar wären. Als wissenschaftliches Vorbild
dienten dieser Epoche der Rechtswissenschaft die allgemeinen und
ewig gültigen Gesetze der Mathematik, die wiederum aus der Natur
Gottes abgeleitet wurden; so G. W. Leibniz: 1646-1716
und Ch. Wolff. Aber das änderte sich um die Mitte
des 18. Jhd. | Ältere Vertreter
des Naturrechts |
Wichtig für diese zum Entstehen von Kodifikationen
nötige Relativierung war das Werk Montesquieus (1689-1755)
der 1748 „De l‘ esprit de lois” schrieb und darin griechischen Vorbildern
nacheiferte. Montesquieu vertritt eine legislative Milieutheorie,
die auch Martini seinen Gesetzgebungsarbeiten (zwischen 1790 und
1796) zugrunde legte. Diese Lehre, die eigentlich schon von Platon stammt,
besagt, dass jeder Gesetzgeber die Besonderheiten seines Landes
zu berücksichtigen habe; Land, Leute, Geschichte, Geographie, Klima
etc. – Damit wurden (national) unterschiedliche Kodifikationen möglich.
(Bis dorthin bestand die Idee einer Reichs-Kodifikation: Heiliges
Römisches Reich Deutscher Nation mit dem Kaiser an der Spitze.) | Legislative
Milieutheorie |
Alle wichtigen Vertreter des Naturrechts vertraten
die Meinung, dass nicht alle Rechtspositionen staatlicher Regelung
oder gar der Willkür anheimgestellt wären. Insbesondere die angeborenen Rechte
(iura connata) – vgl § 16 ABGB – nicht, also jene Rechte, die alle
Menschen in gleicher Weise mit der Geburt unwiderruflich erlangten.
Diese Menschenrechte stünden nicht zur Disposition. Diese naturrechtlichen
Forderungen werden schließlich wichtiger Bestandteil der Französischen
Revolution. – Martinis diesbezügliche Rechtspositionen sind aber
sowohl vor-revolutionär, als auch vor-kantianisch und vor-preussisch. | iura
connata |
Die
Frage nach den Menschenrechten ist nach wie vor
aktuell, weil historische Entwicklungen bis heute und vor allem
in der Geschichte des 20. Jhds gezeigt haben, wie wichtig ein solches
– absolutes – Verständnis der Menschen- und Persönlichkeitsrechte
ist. Man denke etwa an die Verbrechen des Nationalsozialismus, des
Kommunismus, Francos, Pinochets, Pol Pot’s oder in jüngster Vergangenheit
in Bosnien oder dem Kosovo. | Menschenrechte |
Den
schönsten dichterischen Ausdruck eines möglichen Widerspruchs zwischen
dem Naturrecht und dem staatlich-positiven Gesetz hat Sophokles
in seiner Tragödie „Antigone” geschaffen, indem er den Konflikt
zwischen dem Gehorsam gegenüber dem menschlichen Gesetz und jenem überpositiven
(Natur)Recht darstellt, das menschliche Satzung nicht zu beseitigen
vermag. Wir lesen in den Versen 449 ff: | Sophokles’ „Antigone” |
„Für Menschensatzung gibt es eine Grenze
Und Dein Gebot hat nimmermehr die Macht, Dass es das ungeschriebne Recht
der Götter, Das unerschütterliche brechen könnte.” | |
Antigone
begräbt – gegen ein Verbot von König Kreon – den Leichnam ihres
(zum Staatsfeind gewordenen) Bruders Polyneikes und wird dafür mit
der vollen Härte des menschlichen Gesetzes bestraft, von Sophokles
aber als Siegerin gezeigt. | |
G.W.F. Hegel merkte dazu an: „Antigone verletzt
das Recht des Staates, Kreon das der Familie. Die Antinomie zweier
gleichberechtigter Prinzipien macht das Wesen der Tragödie aus.” | |
Sophokles und idF Platon und Aristoteles sowie die Naturrechtslehre der
Neuzeit gehen von der Höherwertigkeit des Naturrechts aus, Hegel
spricht von gleichwertigen Prinzipien. Der (Rechts)Positivismus
– in Österreich insbesondere Kelsen – besteht auf der absoluten
Dominanz des staatlichen Gesetzes. Er leugnet die Existenz von nicht
gesatztem Recht. | |
Der Begriff Rechtspositivismus hat
etymologisch nichts mit „positiv” zu tun, sondern ist vom lateinischen ponere (=
setzen, stellen, legen) abgeleitet und bedeutet nichts anders als:
Wissenschaft vom gesatzten (iSv menschlich gesetztem) Recht. | |
| |
Martini, der rechtstheoretisch
keinen Unterschied zwischen dem öffentlichen und privaten-bürgerlichen
Recht erblickte, verstand die Menschenrechte (die
wir heute dem öffentlichen Recht zuzählen) und die Persönlichkeitsrechte (die
nunmehr zum Privatrecht gehören) modern als die beiden Seiten ein
und derselben Münze „Recht”. Er hat für dieses Verständnis in Österreich
früh gekämpft, konnte sich aber noch nicht durchsetzen. Sein überschätzter
Schüler F. v. Zeiller wollte sogar den späteren § 16 ABGB, als Rest
von Martinis berühmter „Einleitung”, die eine Art Grundrechtskatalog
und protorechtsstaatliche Prinzipien enthielt, streichen. | Menschenrechte
– Persönlichkeitsrechte |
| |
Unter
Monismus wird rechtstheoretisch verschiedenes verstanden; einerseits
wird damit ein Wesensunterschied von Normen – insbesondere zwischen
Privat- und öffentlichem Recht – geleugnet. H. Kelsen ist bspw Monist.
Er verwendet diesen Begriff aber auch iSd von ihm vertretenen Rechtsquellen-Monismus:
„Die Reine Rechtslehre ist... eine monistische Rechtslehre. Ihr
zufolge gibt es nur ‚ein’ Recht, das positive Recht.” – „Die Naturrechtslehre
ist eine dualistische Rechtslehre; denn es gibt ihr zufolge neben
dem positiven Recht ein Naturrecht”; H. Kelsen, Reine Rechtslehre
443 (19672). | (Rechts)Monismus |
Martinis Einfluss auf unser ABGB kann
nicht hoch genug eingeschätzt werden: Er hat den reichen Fundus
der seit 1753 aufbereiteten Kodifikationsbemühungen (Codex Theresianus,
Entwurf Horten, Josephinisches Ehe- [1783] und Erbfolgepatent [1786]
sowie das Josephinische Gesetzbuch 1786, das bereits als Erster
Teil eines allgemeinen bürgerlichen Gesetzbuchs gedacht war,) gesichtet,
weiterentwickelt und daraus die qualitativ hochwertige legistische
Grundlage für das ABGB geschaffen. Aufgenommen in seinen (1796 fertig
gestellten) Entwurf und dann in das von ihm geschaffene WGGB 1797
hat Martini (wie später Zeiller) manch’ vorbildliche Norm des Preußischen
Landrechts (AGB/ALR), das eine großartige Leistung darstellte und
legistisch in vieler Hinsicht Maßstäbe gesetzt hat; und zwar normativ-inhaltliche
wie legistisch-rechtssprachliche. Martini hat sich zeitlebens um
die deutsche
Rechtssprache –
die damals entstanden ist – bemüht, und seine Schüler (Horten, Keeß,
Froidevo, Sonnenfels, Zeiller) haben sein Anliegen wenigstens teilweise
weitergetragen. | Martinis Einfluss |
Wichtig war für Martini auch das Konzept
eines Volksgesetzbuchs für das zu schaffende bürgerliche Gesetzbuch,
dem Zeiller und die ABGB-Redaktoren nicht mehr gefolgt sind. Kern
dieses fortschrittlichen Gedankens waren Martinis Vorstellungen
vom Volk als Normadressaten.
Martini dachte hier sehr griechisch! Das Gesetz sollte sich danach
nicht nur – wie später von Zeiller vertreten – an die gebildeten
Schichten, also den sog Rechtsstab (Gerichte, Behörden, Notare, Anwälte)
richten, sondern an alle oder doch möglichst viele; also auch an
jene, die vielleicht gar nicht lesen und schreiben konnten, und
das waren viele, die aber durchaus über eine natürliche Intelligenz
und Merkfähigkeit verfügten. Vorlesen war nicht nur auf dem Lande
üblich! Dafür musste ein Gesetzbuch klar, einfach und da und dort
mit Beispielen und Erklärungen versehen sein, ohne deshalb zu „lange”
zu werden; ein Vorwurf, der zu recht das Preußische Gesetzbuch traf. Martini
meinte dagegen 1773/1799: | Konzept eines
Volksgesetzbuchs |
„[Gesetze] sollen... deutlich und kurz,
wie die 10 Gebote Gottes geschrieben seyn, damit sie auch Leute
von geringen Geistesgaben fassen und im Gedächtnis behalten können.” | |
Es war Martini, der die Bedeutung des legistischen Prinzips
einer angemessenen Generalisierung und Verdichtung
von Normen – ohne einem übertriebenen Perfektionismus zu
verfallen – erkannt hatte; Abkehr von der Kasuistik.
Martini hatte darin auch klar die Chance eines österreichischen bürgerlichen
Gesetzbuchs im Vergleich mit dem von ihm sonst hoch eingeschätzten
Preußischen Gesetzbuch (AGB/ALR) erkannt. – Das ABGB bedeutet in
mancher Hinsicht bereits einen Rückschritt, verglichen mit Martinis
Entwurf und dem (W)GGB. Vor allem die beispieldurchsetzte und bildhafte
Sprache Martinis, die dennoch nicht auf die nötige Verdichtung verzichtete,
fiel unergiebigen Kürzungsüberlegungen weitgehend zum Opfer; vgl
das folgende Beispiel: Tabelle § 292 ABGB. | Martinis
„legistische Maximen“ |
| |
§ 292 ABGB II 1 § 12 WGGB
~ Entwurf Martini II 1 § 12 | § 292 ABGB |
„Körperliche Sachen sind diejenigen, welche
in die Sinne[n] fallen, z. B. Häuser, Wiesen, Thiere; unkörperliche
sind diejenigen, welche nur durch menschliche Begriffe bestehen,
z. B. das Recht zu jagen, zu fischen und alle andern Rechte.”
|
„Körperliche Sachen sind diejenigen, welche
in die Sinne fallen; sonst heißen sie unkörperliche; z. B. das Recht
zu jagen, zu fischen und alle andere Rechte.”
|
| |
Was
hat Martini inhaltlich in unserem Gesetzbuch geschaffen? – Wir verdanken
ihm viel, quantitativ wohl an die 80-90 Prozent des ABGB und qualitativ
nahezu alle Schlüsselstellen; insbesondere die §§ 1 ff ABGB, aber
auch die §§ 6 und 7 sowie 16, 17, 19, 21 f, 23 f, 285 ff, die bahnbrechenden
naturrechtlichen Irrtumsregeln der §§ 871 ff ABGB, die Strohal schon
1891 als „originell und kühn gedacht” charakterisiert hatte, und
die, wenn es dazu kommen sollte, in ein europäisches Gesetzbuch
eingehen sollten! Dazu kommt der Großteil des Schadenersatzrechts uvam.
Martini ist der Vater (oder besser die Mutter) unseres Gesetzbuchs.
– Er ist auch – weltweit – nicht nur der Erfinder der modernen,
generalisierenden Legistik (Abkehr von der Kasuistik des ALR, noch
vor dem frCC), sondern auch des modernen Lückenschließungskonzepts
in seiner triadischen Analogie-Staffelung: Gesetzes- und Rechtsanalogie
sowie natürliche Rechtsgrundsätze; dazu → KAPITEL 11: Rechtsanwendung
und Fallösung.
Das preußische Landrecht (1794) hatte eine allfällige Lückenschließung
noch nicht dem Richter, sondern einer eigenen „Gesetzes-Commission”
übertragen. | Martini – Vater (oder besser Mutter) des ABGB |
| |
Alles Recht dient der Umsetzung gesellschaftlicher
Werte. Martinis zentrale (Rechts)Werte, die in der Folge ins ABGB
gelangten, waren (und sie sind noch heute aktuell!): Freiheit und Menschenwürde.
Politische Freiheit war bereits im Josephinischen Gesetzbuch (JosephGB)
allgemein rechtlich verbürgt worden; vgl 2 § 1 JosephGB: | Freiheit und
Menschenwürde |
„Unter dem Schutze, und nach der Leitung
der Landesgesetze geniessen alle Unterthanen [!?] ohne Ausnahme
die vollkommene Freiheit.” | |
Darin war auch schon
die Gleichheit (vor dem Gesetz) angelegt, was der Adel Joseph II
schwer verübelte; freilich zunächst nur eine privatrechtliche
Gleichheit. Joseph II wollte sogar den Adel abschaffen,
was uns, wäre es gelungen, vieles erspart hätte. – Martini führt
diese unverzichtbaren Josephinischen Grundlagen für eine moderne
Kodifikation – zu deren Entstehung er selber wesentlich beigetragen
hatte – näher aus (insbesondere Freiheit des Eigentumserwerbs,
der Eheschließung und allgemeine Vertragsfreiheit,
die wiederum die Formfreiheit nach sich zieht)
und fügt Neues hinzu; zB den Schutz angeborener Rechte. Der Vater
dieses für unsere Kodifikation so wichtigen und charakteristischen
Schutzes der Persönlichkeitsrechte (Privatrecht) sowie des späteren
verfassungsrechtlich gewährleisteten Grundrechtsschutzes war demnach
K. A. v. Martini. | Gleichheit |
Martinis zentrale Rechtswerte (Freiheit und Menschenwürde,
wozu nach Martini und im Gegensatz zu Zeiller auch die soziale Billigkeit
des Gesetzgebers gehörte), die vom ABGB grundsätzlich übernommen
wurden, stammen weder – wie immer wieder behauptet wird – aus der
Französischen Revolution, noch aus der Philosophie Kants; sie sind
vielmehr vor-revolutionär, vor-kantianisch und zudem vor-preußisch.
Sie sind das Ergebnis des europäischen Naturrechtsdenkens, das in Martini
einen genialen Gestalter und talentvollen Legislator gefunden hatte. | |
| |
2. Die
drei großen Kodifikationen | |
An der Wende vom 18. zum 19. Jhd entstehen drei
bedeutende Privatrechtskodifikationen / Gesetzbücher. Auslöser dafür
war – neben naturrechtlichen Ideen – vor allem die als misslich
empfundene starke
Rechtszersplitterung in den einzelnen
Territorien der Habsburgermonarchie (wie anderswo), die den Wunsch
nach Rechtssicherheit (ius certum) immer stärker
werden ließ. | |
Die drei großen Kodifikationen
sind: das ALR, der Code Civil und das ABGB. | |
Das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten von
1794 (ALR) fasste sowohl das allgemeine und Sonderprivatrecht, als
auch das öffentliche Recht in über 18.900 Paragraphen zusammen.
Es handelte sich, was immer wieder übersehen wird, um eine Gesamtkodifikation. Wichtigster
Redaktor ist C. G.
Svarez (1746-1798);
dazu kommen Großkanzler Carmer (1721-1801) und
E. F. Klein (1744-1810): Preußisches Reformerdreigestirn.
– Das ALR stellte eine großartige legistische Leistung dar und war
für die Entstehung und inhaltliche Gestaltung unseres ABGB – insbesondere
auch die Entwicklung seiner Rechtssprache – von großer Bedeutung. Martini
und Zeiller übernahmen zudem manche Regelung des ALR. | ALR
1794 |
•
1746: Auftrag Friedrich
des Großen (1712-1786) an Samuel Cocceji (1679-1755)
ein „deutsches allgemeines Landrecht” zu schaffen – Dieser Reformversuch
scheitert. | Kodifikation in Preußen |
• 1779: Müller Arnold Prozess –
„Machtspruch” Friedrichs (Inhaftierung und Amtsenthebung mehrerer
hoher Richter, Entlassung des Großkanzlers). | |
• 1780: Neuer Beginn der Kodifikationsarbeiten unter
Großkanzler Johann Heinrich Casimir Graf v. Carmer (1721-1801),
Carl Gottlieb Svarez (1746-1798) und Ernst Friedrich Klein (1744-1810). | |
• 1784-1788: Erster Entwurf des
geplanten Allgemeinen Gesetzbuchs/ AGB für Preußen
1789-1791: Überarbeitung des AGB-Entwurfs. | |
• 1791 – Publikationspatent v. 20.3.1791: Allgemeines
Gesetzbuch für die Preußischen Staaten / AGB | |
• 1794: Statt – wie geplant – am 1.6. 1792 trat
das Gesetzbuch nunmehr als Allgemeines Landrecht/ ALR und
nicht mehr als AGB, am 1.6. 1794 (mehrfach geändert) in Kraft, was
für die großen und verdienstvollen preußischen Reformer eine Demütigung
darstellte. – Die Zeiten hatten sich geändert! | |
| |
Der Code Civil (Code Napoléon) von 1804
(frCC). Er beschränkt sich bereits auf das bürgerliche Recht und
ist inhaltlich ebenfalls von hoher Qualität und Präzision. Er umfasst
nur mehr ca. 2.300 Artikel und erlangt durch Napoleons Eroberungspolitik
in vielen europäischen Ländern Geltung. | Code
Civil von 1804 |
| Abbildung 1.15: Kodifikation in Frankreich |
|
| |
Schließlich das Österreichische Allgemeine
Bürgerliche Gesetzbuch von 1811 (ABGB). Es regelt in nur
1502 Paragraphen das allgemeine Zivilrecht. Auch das ABGB beschränkt
sich auf das Privatrecht; vgl aber zB noch §§ 28 ff aF: Staatsbürgerschaftsrecht.
– Als geistige Väter des ABGB gelten vor allem Karl Anton v. Martini
(1726–1800) und Franz Anton v. Zeiller (1751–1828). Die entscheidenden
Grundlagen für unsere Privatrechtskodifikation stammen von Martini,
der in Wien seit 1754 als Professor für Naturrecht wirkte und einige
berühmte Schüler hervorbrachte, über die er seine Ansichten verbreitete:
Sonnenfels (1732-1817), Horten (1735-1786), Froidevo (1735-1811),
Keeß (1747-1799) und Zeiller (1751-1828). | ABGB
1811 |
Die drei „klassischen” Privatrechtskodifikationen
des Naturrechts bewegen sich historisch in zeitlichem Gleichklang
mit der Klassik in Dichtung (zB für den deutschen
Sprachraum: Lessing, Schiller, Goethe, Kleist etc) und Musik (Bach,
Haydn, Mozart, Beethoven), aber auch von Philosophie (Kant,
Fichte, Schelling, Hegel; in Frankreich: die Enzyklopädisten mit
Diderot an der Spitze sowie J. J. Rousseau und Voltaire) und der Nationalökonomie (A.
Smith: 1723-1790, D. Ricardo: 1772-1823, Robert Malthus: 1766-1834);
zeitlich etwas verschoben publiziert Adam Smith schon 1759 seine
„Theorie der ethischen Gefühle” und 1776 „Der Wohlstand der Nationen”. –
Insgesamt eine rundum bemerkenswerte Zeit der Klassik, die auch
berühmte politische Figuren hervorgebracht hat;
in Österreich Maria Theresia und Joseph II, in Preußen Friedrich
den Großen, in Frankreich Napoleon. | Zeit
der „Klassik” |
•
Codex Maximilianäus
Bavaricus Civilis 1756: Wiguläus Xaver Aloys Kreittmayr (1705 –
1790) | Privatrechts-Kodifikationen des
18. und 19. Jhd |
• Josephinisches Gesetzbuch 1786: Horten | |
• ALR 1794: C.G. Svarez / Klein/Carmer | |
• (West)Galizisches Gesetzbuch 1797: Martini | |
• Code Civil 1804: Napoleón | |
• ABGB 1811 | |
• Sächsisches BGB 1865 | |
• Deutsches BGB 1900 | |
Hinzuweisen ist darauf, dass
mit der Fertigstellung von Martinis Entwurf (1796),
der weitgehend mit dem (West)Galizischen Gesetzbuch von
1797 (Inkrafttreten am 1.1.1798) übereinstimmt, die österreichischen
Kodifikationsbemühungen ein Niveau erreicht haben, das deutlich
über dem der Vorentwürfe liegt. Damit ist der Grundstock für das
spätere ABGB gelegt. Zwischen dem Beginn der österreichischen Kodifikationsarbeiten
1753 und dem sog Ur-Entwurf (=
Westgalizisches Gesetzbuch) liegt nicht nur fast ein halbes Jahrhundert,
sondern auch eine Entwicklung der Rechtswissenschaft, „wie sie bis
dahin nicht in Jahrhunderten stattgefunden hatte”; Charmatz, Zur Geschichte
und Konstruktion der Vertragstypen im Schuldrecht 178 (1937). | Martinis
Entwurf und das (W)GGB |
Martinis
Entwurf brachte die österreichischen Kodifikationsbemühungen nicht
nur juristisch, sondern auch sprachlich entscheidend voran. Wir
müssen nämlich bedenken, dass in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts
nicht nur die moderne deutsche (Hoch)Sprache insgesamt, sondern
vor allem auch die deutsche Rechtssprache weithin erst
geschaffen wurde; durch Übersetzungen aus dem Lateinischen und Wort(neu)schöpfungen.
Wichtige Vorarbeiten und Hilfe leisteten dabei die Redaktoren des
ALR. | Rechtssprache |
| |
•
Codex Theresianus
(1766); | Vorarbeiten zum ABGB |
•
Entwurf
Horten (1776) und das noch von Horten konzipierte | |
•
Josephinische
Gesetzbuch 1786 (JGS 591): Es enthielt nur Personenrecht. | |
•
Entwurf
Martini (1796) woraus das | |
•
West- und Ostgalizisches Gesetzbuch (1797, JGS
337 und JGS 373) entsteht = sog Ur-Entwurf des
ABGB. | |
Die Reformgesetzgebung Joseph II (1765/1780-1790)
schuf unverzichtbare Grundlagen für eine aufgeklärte Kodifikation
des bürgerlichen Rechts: – 1781 Aufhebung der
Leibeigenschaft;
– 1781
Toleranzpatent (vgl
noch § 39 ABGB); – 1783 Erbfolgepatent, das für
alle Stände und Erbländer eine gleiche gesetzliche Erbfolgeordnung
schuf; – 1783 Ehepatent, womit die bislang kirchliche Ehegesetzgebung
und Ehegerichtsbarkeit dem Staat zugewiesen wurde; – auch Freiheit
und Gleichheit (vor dem Gesetz) garantiert Joseph II seinen „Unterthanen”
im
Josephinischen Gesetzbuch 1786.
– Zu beachten ist, dass alle diese Regelungen vor der Französischen
Revolution getroffen wurden. Auf diesen Grundlagen – die er mitgeschaffen
hat – baut Martini in der Folge auf. | Reformgesetzgebung Joseph
II |
•
1753: Maria Theresia
setzt eine Kompilationskommission ein – Preußen
(Friedrich II, der Große; Cocceji) war 1746 vorausgegangen | Zeitlicher Ablauf der österr Privatrechtskodifikation |
• 1766: Fertigstellung des Codex Theresianus (unter
Azzoni, gest 1761, und Zencker) | |
• 1771-1776: Arbeit am Entwurf Horten (K.
A.v. Martini ist seit 1773 Kommissionsmitglied) | |
• Aus dem Entwurf Horten entstehen die Ehepatente v.
16.1.1783 (JGS 117) und 3.5.1786 (JGS 543) und das Erbfolgepatent v.
11.5.1786 (JGS 548) und schließlich das | |
•
Josephinisches Gesetzbuch Patent
v. 1.9.1786, JGS 591; in Kraft ab 1.1.1787 | |
• 1790: Neuer Anlauf unter Kaiser Leopold
II; Vorsitzender und führende Persönlichkeit K. A. v. Martini
(1726-1800) | |
• 1796: Fertigstellung des Entwurfs Martini
| |
• 1797: Kundmachung des sprachlich noch von Keeß
überarbeiteten Entwurfs Martini als Gesetzbuch für West- (Patent
v. 13.2.1797, JGS 337) und Ostgalizien: sog WGGB (Patent
v. 18.9.1797, JGS 373) | |
• 1.1.1798: Einheitliches Inkrafttreten in Galizien | |
• 1797-1810: Redaktion des ABGB –
Martinis Entwurf idFd (W)GGB wird als sog Urentwurf bezeichnet
und überarbeitet; zunächst unter Keeß; nach seinem Tod (1799) wird
F. v. Zeiller Referent | |
• 21.12.1801 – 22.12.1806: Erste Lesung;
132 Sitzungen | |
• 4.5.1806 – 14.1.1808: Zweite Lesung –
„Revision”; 28 Sitzungen | |
• 13.11.1809 – 22.1.1810: Dritte Lesung –
„Superrevision”; 14 Sitzungen | |
•
Kaiserliche Sanktion und Kundmachungdes
ABGB durch Patent v. 1.6.1811, JGS 946; am 1.1.1812: Inkrafttreten
des ABGB | |
3. Zur Bezeichnung:
Allgemeines / Bürgerliches / Gesetzbuch | |
So
heißt das ABGB primär deswegen, weil das Sonderprivatrecht im Gesetzbuch
nicht enthalten war, „sondern nur solche Privatrechtsnormen, welche
die allen Bürgern zustehenden Rechte und Pflichten betreffen”; S.
Adler. Handels- und Wechsel-, See-, Lehen- und Privatkirchenrecht
wurden nicht im ABGB geregelt, sondern sollten einer Spezialgesetzgebung
überlassen bleiben; vgl das KdmPat zum ABGB alinea 7. – Allgemeines
heißt das ABGB aber auch, weil es gleiches Recht für alle – und
nicht wie bisher üblich für bestimmte, idR bevorzugte Stände – schaffen
wollte. Gleichheit im Privatrecht – im Bereich des bürgerlichen
Rechts – war sein Ziel! Eine zentrale Forderung auch der Französischen
Revolution und der Aufklärung war es gewesen, die „Privilegienwirtschaft”
(also Vorrechte bestimmter Stände) abzubauen. | „Allgemeines” |
Dieses Gesetzbuch
verdient seinen Namen „ bürgerliches” in doppelter
Hinsicht: Es verdankt seine Entstehung dem Emporsteigen des dritten
Standes, dem Bürgertum (neben Adel und Geistlichkeit) und legt dessen
Rechtsideen nieder, ist also bürgerlich ieS. Von den Vorrechten
der Geburt / des Adels und der Geistlichkeit will es nichts mehr
wissen. – Andrerseits wird es den Bedürfnissen des vierten Standes,
der Arbeiterschaft, die von ihrer Hände Arbeit lebt und kaum Eigentum
besaß, nicht gerecht; konnte ihm nicht gerecht werden, da zur Zeit
der Vorbereitung des ABGB diese Probleme noch nicht jene Sprengkraft
besaßen, die sie wenige Jahrzehnte danach erlangen sollten. Die großen
Probleme, der durch die Industrielle Revolution ( → Industrielle
Revolution)
ausgelösten „Sozialen Frage”, waren für das ABGB noch ohne Bedeutung.
(Die englische Entwicklung und Literatur – A. Smith! – hätte allerdings
schon manches aufgezeigt.) | „bürgerliches” |
Vgl
die Entwicklung des römischen Rechts: Vom geheimen Priesterrecht
zum öffentlich zugänglichen und schriftlich niedergelegten Zwölf-Tafel-Gesetz;
um 450 v. Chr. Gesetz und Kodifikationsgedanke (Drakon, Solon, Demetrios
von Phaleron) sind griechischen Ursprungs und wurden auch von den
Römern übernommen. – Ähnlich war es hier, galt es doch die Rechte
der Bürger fasslich, nachlesbar und verständlich niederzulegen und
damit obrigkeitlicher Willkür zu entziehen: Möglichkeit der Rechtskenntnis,
Rechtsklarheit, Rechtssicherheit (ius certum). | Gesetzbuch |
Vgl
auch dazu das KdmPat zum ABGB: „Aus der Betrachtung, dass die bürgerlichen
Gesetze, um den Bürgern volle Beruhigung über den gesicherten Genuss
ihrer Privatrechte zu verschaffen, nicht nur nach den allgemeinen
Grundsätzen der Gerechtigkeit, sondern auch nach den besonderen
Verhältnissen der Einwohner bestimmt, in einer ihnen verständlichen
Sprache bekannt gemacht, und durch eine ordentliche Sammlung in
stetem Andenken erhalten werden sollen”. | KdmPat zum ABGB |
Das Mittel
dazu war das Gesetzbuch, das den Bürgern ihr Recht
übersichtlich zusammenfasste; Kodifikation. | |
| |
•
~ 1700 Hammurapi:
Babylon | Berühmte frühe
Gesetzgebungen v. C. |
• ~ 750 Lykurg: Sparta – nicht historisch | |
• ~ 663/2 Zaleúkos: Lokri / Epizephyros (Unteritalien)
– Erste Gesetzgebung Europas für die aristokratisch regierte Polis | |
• ~ 624/3 Drakon: Athen | |
• 594/3 Solon: Athen | |
• ~ 550 Charóndas: Katane / Sizilien | |
• ~ 500 Gortyn: Kreta | |
• 451/450 Zwölftafel-Gesetz / Rom | |
4. Die Französische
Revolution | |
Die Französische Revolution (14.7.1789:
Sturm auf die Bastille) begünstigt letztlich das Entstehen und Inkrafttreten
der großen Kodifikationen, bereitet aber den Kodifikatoren in Preußen
und Österreich auch beträchtliche Schwierigkeiten, zumal sich in
den konservativen Monarchien geradezu eine Revolutionshysterie ausbreitete;
Martini hatte darunter sehr zu leiden! (Auch sein wenig dankbarer
Schüler Zeiller unterstellte ihm unbegründet eine Förderung von
revolutionärem Gedankengut.) – Das treibende Motiv der Herrschenden
war nunmehr die Angst, andere Länder könnten dem Beispiel Frankreichs
folgen. In Preußen wie Österreich war die Revolution in Frankreich
aber auch Anlass dafür, progressive Passagen in den jeweiligen Gesetzbüchern
oder Entwürfen (AGB/ALR in Preußen; in Österreich betraf dies Martinis
„Einleitung” für ein bürgerliches Gesetzbuch) zu modifizieren oder
zu streichen. In Österreich war es Franz von Zeiller, der diese
– nicht nur rechtlich für nötig erachteten, sondern auch politisch
erwünschten – Anpassungen vornahm. | Behinderung
des Reformprozess |
Mit der Aufhebung der Standesprivilegien (4.8.1789)
und der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des
Droits de l’Homme et du Citoyen – 26.8.1789) werden in Frankreich rechtshistorische
Marksteine gesetzt und damit auch die Grundlagen eines auf Rechtsgleichheit beruhenden
bürgerlichen Rechts geschaffen. Die „Déclaration” bildete nicht
nur die philosophische Grundlage für das revolutionäre Frankreich,
sondern legt auch die programmatische Grundlage für die künftige
Entwicklung der Grund- und Freiheitsrechte. In Österreich war diese
Entwicklung schon durch Joseph II eingeleitet und wenigstens zum
Teil durchgeführt worden. | Aufhebung der
Standesprivilegien |
Als Staatszwecke werden
in der französischen Erklärung der Menschenrechte zB
die Bewahrung von Freiheit, EigentumSicherheit, Widerstand gegen
Unterdrückung, Gewaltenteilung oder die Verantwortlichkeit öffentlicher
Beamter sowie der Grundsatz, dass Enteignung nur gegen angemessene
Entschädigung erfolgen dürfe (Art 17), genannt. – Ein Großteil dieser
Forderungen war in Österreich durch die Reformer Joseph II (insbesondere
das Josephinische Gesetzbuch 1786, das Toleranzpatent 1781) und
Martinis „Einleitung” zum WGGB bereits vorweggenommen oder sogar
schon gesetzlich festgeschrieben worden. | Französische
Erklärung der Menschenrechte |
5. Industrielle
Revolution | |
Die großen
europäischen (Naturrechts)Kodifikationen sind zudem wichtige Voraussetzungen
und wirken als Schrittmacher und Katalysatoren der bald darauf einsetzenden
industriellen und überhaupt der ökonomischen Entwicklung im 19.
Jhd, die anschaulich mit dem Begriff Industrielle Revolution (I.R.)
bezeichnet wird. Denn ein Wirtschaften über kleine geographische
Einheiten hinaus verlangte auch nach sicheren Rechtsgrundlagen (Rechtssicherheit)
und großflächigeren rechtlichen Regelungen. Die Voraussetzungen
boten die großen Kodifikationen, die als einheitliche und starke
Rechtsordnungen auch dem entstehenden (National)Staate Rückhalt
und (Selbst)Sicherheit geben konnten.
Markt
und Privatrecht stehen in einem funktionalen inneren Zusammenhang,
was das „späte” dtBGB – beschlossen 1896, in Kraft getreten 1900
– noch deutlicher zeigt, als die klassischen Kodifikationen. | Soziale Frage
/ Pauperismus und Privatrechtskodifikation |
Die
I.R. beginnt bald nach der Mitte des 18. Jhd in England (von
niemandem besser umschrieben als von Friedrich Engels, Die industrielle
Revolution in England, MEW II 237 [1970]; dieser Prozess setzt sich
mit einer zeitlichen Phasenverschiebung in Frankreich fort
und erreicht in den deutschen Landen, nochmals
zeitlich versetzt – etwa um die Mitte des 19. Jhd – ihren Höhepunkt. Österreich hinkt
zeitlich nochmals nach. – Die in ihren Anfängen manchesterliberal,
also sozialdarwinistisch ausgerichtete I.R. bringt die sog
Soziale Frage (Pauperismus)
hervor, die als ein zentrales Problem das 19. Jhd durchzieht. 1848
veröffentlichen Karl Marx und Friedrich Engels das
Kommunistische Manifest. Erst im letzten Viertel des 19. Jhd setzt
eine nennenswerte Sozialgesetzgebung in Europa
ein; ab 1883: Bismarcks Arbeiterversicherung als bahnbrechendes Konzept
der modernen Sozialversicherung; vgl zur Entwicklung meine Habilitationsschrift:
Kausalität im Sozialrecht (1983). | Die Entwicklung beginnt in England |
| |
6. Die drei Teilnovellen
des ABGB | |
(I.
TN), 1915 (II. TN) und 1916 (III. TN) kommt es zu umfangreichen
Novellierungen des ABGB unter Justizminister Franz Klein (1854-1926),
zuständiger Referent war Josef Schey (1853-1938). Sie sind stark
von dem 1900 in Kraft getretenen dtBGB beeinflusst. – Damit wird
das ABGB – 100 Jahre nach seinem Inkrafttreten – an die neuen gesellschaftlichen
Bedürfnisse angepasst. | |
| |
7. Andere europäische
Kodifikationen | |
Das Deutsche
bürgerliche Gesetzbuch (dtBGB)von 1900. | Deutschland |
Eine Einführung in das Zivilrecht unseres Nachbarlandes
Deutschland bietet Wolfgang Däublers: Das Zivilrecht
[1 und 2]. Ein Leitfaden durch das deutsche BGB (rororo-aktuell,
1997: jeder Bd 196,? S; TB); – Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch
(200059), der klassische Kurzkommentar
zum dtBGB! | |
Das Schweizerische
Zivilgesetzbuch (ZGB von 1907 und das Schweizerische
Obligationenrecht (OR von 1911; Schöpfer war Eugen Huber
(1849-1923). | Schweiz |
Codice Civile (1942):
Italienisches Zivilgesetzbuch – Codice civile: Zweisprachige Ausgabe
(19922), übersetzt und hg von Bauer
/ Eccher / König / Kreuzer / Zanon. | Italien |
Das neue Niederländische
Bürgerliche Gesetzbuch/ Burgerlijk Wetboek (1992). | Holland |
8. Zur Weiterentwicklung
des ABGB | |
| |
Franz Gschnitzer unterscheidet in seinem Nachruf
auf Josef Schey (JBl 1938, 69 f = FGL 371 ff) „fünf Generationen
unter der Herrschaft des ABGB”, von denen jede am Gesetzbuch gearbeitet habe
und jede „die unvergeßlichen Züge großer Männer” trage. – Mittlerweile
sind zwei weitere Generationen hinzugekommen. Ich folge wo möglich
Gschnitzers Ausführungen. Wir wissen heute aber historisch und kodifikationsgeschichtlich
deutlich mehr, als 1938. Die Generationeneinteilung wird aber –
cum grano salis – beibehalten. | „Fünf“ Generationen unter der Herrschaft des
ABGB |
Für
sie, die von 1796-1828 reicht, stehen Martini und Zeiller.
Diese Phase umfasst die Jahre des Abschlusses der Kodifikation in
schwerer Zeit und ihrer ersten Anwendung. – Höhepunkt dieser Phase
ist das Inkrafttreten des ABGB am 1. Jänner 1812. Eine wichtige
Hilfe stellt idF Zeillers „Commentar” dar. | Erste Generation |
„Nach ewiger Ordnung
folgt dem Aufschwung die Ermattung, der Glanzzeit eine ‚traurige
zweite Periode (etwa 1828-1858). ‚Die Concentrierung auf das neue
Gesetzbuch führt zur Abschliessung gegen alle anderen Quellen des juristischen
Wissens, zum Buchstabendienst geistloser Exegese – dem Niveau der
Commentare Nippel’s, Ellinger’s u. A’.” | Zweite Generation |
„So hält [Joseph] Unger der
ihm vorangehenden Epoche den Nachruf und leitet damit die viel hoffnungsvollere dritte
Periode (etwa: 1858-1888) ein, deren Vorkämpfer er ist. Dem entspricht
es, dass Schey in der Festschrift zu Ungers 70. Geburtstag auf diese
dritte Periode zurückblickt und gleich Unger aus den Fehlern der
abgelaufenen Zeit die Aufgaben der eigenen entwickelt. Die drittePeriode
habe das Verdienst, der Stagnation ein Ende gemacht zu haben, indem
sie die Verbindung mit der Theorie des gemeinen Rechtes, mit der
historischen Schule Deutschlands aufnahm. Sie habe aber in unzulässiger
Weise die Sätze der romanistischen Lehre zum Massstab der Kritik
am ABGB genommen und durch dieses Vorurteil nicht selten die Einsicht
in den wahren Inhalt des Gesetzbuches getrübt. Ihre Zeit sei abgelaufen.
‚Befreiung von den Fesseln romanistischer Schuldoktrin, unabhängigere Auffassung
und freiere Darstellung des positiven modernen Rechtes’ laute die
Losung; Unger selbst gebe sie aus und beweise damit, dass wahrhaft
grosse Geister niemals stehen bleiben, auch dort nicht, wo bereits
das Denkmal ihre Ruhmes errichtet ist. Nichtsnatürlicher, als dass
bei dieser Auffassung der Gedanke der Reform auftauche, auch er
schon von Unger verkündet.” | Dritte Generation |
„Würdigung der
Kodifikationen des 18. Jahrhunderts nach dem Masse der heutigen
sozialen, ethischen und ökonomischen Bedürfnisse, so zeichnet [Josef] Schey die
Leistung dieses vierten Zeitraumes (etwa: 1888-1918), und wir können
sie nicht besser zeichnen! Auch diese Periode drängt zu einem Höhepunkt:
es ist das Jahr der Jahrhundertfeier des ABGB. Das nun allgemein
als Meisterwerk anerkannt ist; zugleich ist es das Jahr seiner Wiedergeburt:
Vor Weihnachten 1912 verabschiedet das Herrenhaus die Bestimmungen,
die bald als die drei Teilnovellen Gesetz werden.
Josef Schey formt als Gelehrter, als Lehrer, als Gesetzgeber das
österreichische Privatrecht dieses Zeitraumes nach seinem Bilde.
Wir sahen, wie er Unger folgend, das Programm umriss. Sein wissenschaftliches Hauptwerk,
die Obligationsverhältnisse (1890-1907), führt in seinem Bereich
das Programm mustergültig durch. Zur Erfüllung seiner selbstgestellten
Aufgabe gehört es, dass Schey 1892 als Mitherausgeber der Glaser-Ungerschen Entscheidungssammlung
an Ungers Stelle tritt und die Manz-Ausgabe zum ABGB besorgt, die
den Praktiker mit der Spruchpraxis vertraut macht. – 25 Jahre lehrt
Josef Schey an der Universität Wien […] Die drei Teilnovellen sind vorzüglich
sein Werk, und sein Verdienst ist es, die ganz andersartigen Gedanken
des DBGB so übernommen zu haben, dass Inhalt und Ausdruck sich dem
Geist des ABGB. Anpassen. Der von ihm verfasste Herrenhausbericht
ist zugleich die erste mit fast authentischer Kraft bekleidete Kommentierung.”
[…] | Vierte Generation |
„Unter solchen
Vorzeichen, in lebensgefährlicher Krisis [nämlich der Krise Österreichs
nach dem Zerfall des Kaiserreichs] trat das österreichische Privatrecht
in den [fünften Abschnitt: 1918-1938] seiner Entwicklung: die Amtliche Sammlung
der Entscheidungen des OGH [SZ] stellte ihr Erscheinen ein; ebenso
die Glaser-Ungersche Sammlung, deren Mitherausgeber Schey bis zum
Schlusse geblieben war; der Kommentar von Stubenrauch brachte
keine neue Auflage mehr heraus; das monographische Schrifttum lag
darnieder. Einzig das System von Krainz-Pfaff, besorgt von Ehrenzweig,
erhielt in dem Jahrzehnt nach dem Zerfall Österreich-Ungarns der
österreichischen Zivilrechtswissenschaft Ansehen in Europa und Einfluss
in den Nachfolgestaaten. Dann sammelte sie sich wieder, die notwendigen
Behelfe kamen neu heraus, die Zusammenarbeit mit den deutschen Juristen
der Tschechoslowakei ward aufgenommen und der von Klang herausgegebene
Kommentar bearbeitete das österreichische Zivilrecht entsprechend
den wissenschaftlichen Forderungen der Gegenwart. [….]” | Fünfte Generation |
Im Nachruf auf Heinrich Klang und
„seine Bedeutung für das österreichische Privatrecht” schreibt Gschnitzer,
16 Jahre nach dem Tode von J. Schey und kein Jahrzehnt nach Beendigung
der Hitlerherrschaft (JBl 1954, 157 ff = FGL 515 ff) seine Generationenbetrachtung
zum ABGB fort und präzisiert die bereits angesprochene fünfte Periode
des ABGB dadurch, dass er sie in zwei Abschnitte unterteilt: | Unterteilung der
5. Generation |
„Sie teilt sich deutlich in zwei Abschnitte, deren erster
[Armin] Ehrenzweig [5a], deren zweiter [Heinrich] Klang [5b]
zum Vertreter hat.” | |
„Ehrenzweigs Verdienst ist es, die schwere
Krise des österreichischen Privatrechtes nach 1918 überwunden zu haben
(ZBl 1935, 769). Allein die Ereignisse nach 1938 schienen das ABGB
wieder mit dem, diesmal unvermeidlichen Tode zu bedrohen. | |
[Heinrich] Klang’s persönliches Schicksal wird
hier zum Symbol! Und der Zusammenbruch von 1945 lässt die österreichische
Rechtsordnung in einer womöglich noch schlimmeren, verwirrteren
und hilfloseren Lage zurück als der von 1918. Ihre Überwindung dankt
das Zivilrecht Klang.” | |
„Auch sonst stehen die beiden Persönlichkeiten in reizvoller
Wechselwirkung; nicht als Gegner oder gar Feinde, sondern als Partner
wissenschaftlicher Diskussion. Ehrenzweig verfasst
‚das’ System, Klang gibt ‚den’ Kommentar heraus.
Beide stellen die, lange Zeit hindurch unterbrochene Verbindung
von Theorie und Praxis in idealer Weise wieder her. Ehrenzweig reicht
von der Theorie aus der Praxis die Hand. Klang kommt aus der Praxis und
bleibt ihr sein Leben lang verbunden, verzichtet aber nicht darauf,
ihr eine saubere theoretische Grundlage zu geben. Während jedoch
Ehrenzweig, der Tendenz seiner Zeit, die schon in den Teilnovellen
zum Ausdruck kommt, verhaftet, das österreichische Recht dem deutschen
anzugleichen bestrebt ist, manchmal auch auf Kosten der Eigenart
des ABGB, lässt Klang trotz gleichgerichteter Grundanschauung dem
ABGB sein volles Recht zuteil werden. Darin liegt ein Vorzug gegenüber
Ehrenzweig […].” | |
„So tritt Klang in die Reihe der Meister des österreichischen
Zivilrechts. Wie alle grossen Leistungen fliesst auch die
seine – gewiss nicht bewusst – aus vielen Einzelleistungen zusammen
und es ist von hohem Interesse zu beobachten, wie das Wirken seinen
Anfang nimmt, wie sich bald die Grundlinien zeigen, wie es an Macht
und Fülle gewinnt und zuletzt über das Fachgebiet hinaus ins Allgemein-rechtliche
und –menschliche ausstrahlt. 776 Nummern zählt das Heft, in welchem
Klang, sorgfältig, wie es seiner Art entsprach, alle seine Publikationen verzeichnet
hat. Es beginnt im Jahre 1903 und endet 1954, auch noch die letzte
Veröffentlichung umfassend.” – Auf die weiteren lesenswerten Ausführungen
Gschnitzers über Klang muss hier verwiesen werden, sie nachzulesen, lohnt
sich! | |
Franz Gschnitzer (1899-1968)
war es, der bis zu seinem Tode im Jahre 1968 die Arbeit von Unger,
Schey, Ehrenzweig und Klang am ABGB fortgesetzt und das Privatrechtsdenken
– wie seine großen Vorgänger – auf nicht nur einem Felde bereichert
hat; vgl FGL 19 ff. Sein Rektorsbild, Gschnitzer war in den Studienjahren
1946/47 und 1947/48 Rektor der Universität Innsbruck, gibt darüber
Auskunft: „Franciscus Gschnitzer Tirolensis iura docuit, dixit, dedit”.
Gschnitzer schreibt bereits in der ersten Auflage des Klang Kommentars
wichtige Passagen, wozu zahlreiche Aufsätze und Vorträge kommen.
Nach Klangs Tod übernimmt Gschnitzer die Herausgabe der
zweiten Auflage des Klang Kommentars, bespricht wichtige OGH- Entscheidungen,
schreibt die wichtigsten Buchrezensionen und fügt
dem zahlreiche Aufsätze in den JBl hinzu. Er ist unter anderem zweimal
nach 1945 Redner auf Österreichischen Juristentagen. In den 1960er-Jahren
beginnt er mit der Veröffentlichung seines vorbildlichen sechsbändigen Lehrbuchs
des österreichischen bürgerlichen Rechts, das eine empfindliche
Lücke im Nachkriegsösterreich schliesst. Von 1945 bis zu seinem
Tode ist er Präsident des Fürstlich Liechtensteinischen Obersten
Gerichtshofes; dazu K. Kohlegger, in: FGL 1051 ff. Als Parlamentarier
nach 1945 trägt er nach 1945 ua auch wichtige Zivilgesetze mit.
Seine Qualität als Hochschullehrer reicht über Österreichs Grenzen
hinaus. – Wir tun gut daran, die sechste Periode des ABGB von Klangs
Tod bis zu Gschnitzers Tod (1954-1968) reichen zu lassen und Gschnitzer
als ihren wesentlichen Vertreter anzusehen. | Sechste Generation |
Die Periode seit
etwa 1970 kann erneut unterteilt werden. Von ~ 1968/70-1983: Die
Reformphase der Regierung Kreisky und BMfJ Broda drückt
dieser Entwicklungsphase des ABGB ihren Stempel auf und wirkt lange
nach. Die Familienrechts- und Erbrechtsreform holen lange Versäumtes
nach. Dazu kommen KSchG, WEG 1975 uam. – Und von ~ 1985-2000: Wachsende Europäisierung
des Privatrechts und schliesslich der EU-Beitritt Österreichs
lassen sich nicht mehr einzelnen Personen zuweisen. Als wichtige
Wissenschaftspersönlichkeit des Zivilrechts ist Franz Bydlinski zu
nennen. – Der „Wert” des ABGB wird bedauerlicherweise immer mehr
verkannt. Die Dogmatik des Zivilrechts wird nicht nur unnötig komplizierter,
sondern auch immer narzistischer. Der mächtige Atem und Geist des
ABGB wird spürbar schwächer. Alles andere, als ein Auf- und Eingehen
des ABGB in eine Gesamteuropäische Privatrechtskodifikation, die
auch in Teilschritten erfolgen kann, wäre ein schmerzlicher Verlust. | Siebte Generation |
VII. Zur
Abgrenzung: Privatrecht – öffentliches Recht | |
Nicht nur das österreichische
Recht, auch die kontinentaleuropäische Rechtswissenschaft unterteilt die
Rechtsordnung in Privatrecht und öffentliches Recht. Diese Einteilung
geht auf das griechische Rechtsdenken (Demosthenes, Platon) zurück,
von dem es das römische (Ulpian!) übernommen hat. | |
Das
griechische Vorbild war moderner als die römische Übernahme und
Unterscheidung, zumal jenes bereits nach der Behördenzuständigkeit
differenzierte. Die griechische Lösung stammt von Platon oder Demosthenes
(~ 350 v. C.), ist also um mehr als 500 Jahre älter als die römische. | Griechisches Vorbild |
Verschiedene
„Theorien” haben versucht, eine plausible Grenze zu ziehen. Bei
Ulpian (D I, 1, 1, 2) findet sich die Formulierung der sog | |
•
„Interessentheorie“:
Publicum ius est quod ad statum rei Romanae spectat, privatum quod
ad singulorum utilitatem. (Das öffentliche Recht behandelt Belange
/ Interessen des römischen Staates, das Privatrecht dient dem Nutzen
der einzelnen Bürger.) | Abgrenzungsversuche |
• Die „Subjektstheorie trifft
die Unterscheidung danach, wer – dh welche Rechtssubjekte – an einem
Rechtsverhältnis beteiligt ist; am öffentlichen Recht ist immer
ein Rechtsträger mit Hoheitsgewalt / Imperium beteiligt. | |
•
Die „Subjektions- oder Subordinationstheorie erblickt
das Charakteristikum des öffentlichen Rechts in der Über- und Unterordnung
der beteiligten Parteien, während im Privatrecht Gleichordnung herrsche. | |
Keine dieser „Theorien” befriedigt vollständig,
jede erfasst aber wenigstens ein Kriterium der Unterscheidung. So
spielen bspw entgegen der Interessenstheorie auch im öffentlichen
Recht Privat- oder Einzelinteressen eine Rolle – man denke nur an
die Grundrechte – und auch das Privatrecht achtet auf das Allgemeininteresse
/ Gemeinwohl; vgl etwa § 365 ABGB oder §§ 16 f ABGB. Von grösster
Bedeutung ist heute die Unterscheidung nach der
Behördenzuständigkeit. | Unbefriedigende
Theorien |
P. Koschaker, Europa und das Römische Recht (1966 4);
– D. Liebs, Lateinische Rechtsregeln und Rechtssprichwörter (1982);
– W. Seagle, Weltgeschichte des Rechts (19677);
– Codex Justinianus, hg von G. Härtel / F-M. Kaufmann (Reclam-Leipzig,
1991); – Behrends / Knütel / Kupisch / Seiler, Corpus Iuris Civilis.
Die Institutionen (UTB / C.F. Müller, Heidelberg, 1993); – P.G.
Stein, Römisches Recht und Europa. Die Geschichte einer Rechtskultur
(Fischer TB, 1996); – H. E. Troje, Europa und griechisches Recht
(1971). | |
| Abbildung 1.16: Zur Abgrenzung von PrivatR und öffentlR |
|
| Abbildung 1.17: Was regelt das öffentliche Recht? |
|
1. Mehr
zu dieser Abgrenzung | |
Wir wissen bereits: Privatrecht
und öffentliches Recht zusammengenommen bilden die Gesamt-Rechtsordnung.
– Die Einteilung in öffentliches und Privatrecht ist eine Haupteinteilung
unseres Rechts: | |
Das öffentliche Recht ordnet zu aller erst und
vor allem – wenngleich nicht nur – die Rechtsverhältnisse der öffentlichen
Gemeinwesen; der Gebietskörperschaften (Bund, Länder, Gemeinden), Kammern,
Sozialversicherungsträger oder Kirchen. Und zwar jeweils für sich
und zueinander. | Öffentliches
Recht |
Die vom öffentlichen Recht geregelten
Rechtsverhältnisse umfassen: | Geregelte
Rechtsverhältnisse |
• einerseits die innere
Organisation dieser (einzelnen) Gemeinwesen: zB die Staats-
/ Bundes- oder die Landesverfassungen sowie deren Zusammensetzung
und Aufbau (Behördenorganisation etc); | |
• andrerseits das Verhältnis der einzelnen
öffentlichrechtlichen Körperschaften zueinander: von Staaten
zu Staaten (Völkerrecht); vom Bund zu den Ländern (Art 15a Abs 1
B-VG); der (Bundes)Länder untereinander (Art 15a Abs 2 B-VG) etc; | |
• aber auch das Verhältnis der verschiedenen
öffentlichrechtlichen Körper zu den
(Mit)Gliedern der
jeweiligen Gemeinschaft; zB das Wahlrecht (zum Nationalrat, Landtag, Gemeinderat,
Kammern etc), die Besteuerung der Bürger (Steuerrecht), die (Zwangs)Mitgliedschaft
in Berufsvertretungen (zB Kammern) usw. | |
Zum Bereich
des öffentlichen Rechts gehören alle Vorgänge, an denen ein mit Hoheitsgewalt / imperium
ausgestattetes Rechtssubjekt in Ausübung dieser Hoheitsgewalt teilnimmt;
zB der Gesamtstaat / Bund, die Länder, ein Bezirk, eine Gemeinde
oder ein Sozialversicherungsträger. | |
Das Privatrecht dagegen
umfasst all jene Rechtsverhältnisse, in denen einzelne Rechtssubjekte grundsätzlich
gleichgeordnet ohne prinzipielle Über- und Unterordnung zueinander
stehen; vgl § 1 ABGB: „unter sich”. Etwa im Rahmen
der Familie, als Käufer oder Verkäufer oder überhaupt als Vertragsschließende. | Das
Privatrecht regelt … |
2. Zur
Bedeutung der Unterscheidung | |
Für die idF angeführten Unterscheidungskriterien gilt es
zu bedenken, dass die Unterschiede in der Rechtswirklichkeit nicht
so klar erkennbar sind, wie es hier idealtypisch ausgeführt wird. | |
So sind im Bereich der Behördenzuständigkeit
auch für bestimmte Bereiche des öffentlichen Rechts – etwa das Strafrecht
– ordentliche Gerichte zuständig. Das gleiche gilt für das Arbeits-
oder Sozial(versicherungs)recht: Zuständigkeit der Arbeits- und
Sozialgerichte (ASGG 1985). – Dennoch besitzt die angeführte Unterscheidung
nicht nur didaktischen Wert! | |
| Abbildung 1.18: Gliederung der Staatstätigkeit |
|
Generell
lässt sich sagen, dass die Teilbereiche der Rechtsordnung, das öffentliche
und das Privatrecht, durch ein unterschiedliches Ausmaß an Rechtsautonomie
gekennzeichnet sind. Das öffentliche Recht enthält grundsätzlich
zwingendes Recht, im Privatrecht dagegen spielt das nachgiebige Recht
eine zentrale Rolle (vor allem im Schuldrecht!), wenngleich auch
das Privatrecht weite Bereiche mit zwingendem Recht kennt: So insbesondere
das Sachen-, Familien- und Erbrecht, das Schuldrecht bei Schutzgesetzen:
zB MRG, KSchG, PHG, EKHG. | Rechtsautonomie |
Die
wichtigste Konsequenz der Unterscheidung liegt in der unterschiedlichen
Behördenzuständigkeit bei der Rechtsdurchsetzung; also der Frage,
welche staatliche Behörde zur Entscheidung einer Rechtssache zuständig
ist. Man spricht von
Rechtswegszulässigkeit; zB
ordentliche Gerichte oder Verwaltungsbehörden. Unsere Verfassung
kennt nämlich zwei verschiedene Typen von Organen / Behörden, die
der Durchsetzung von (Rechts)Ansprüchen dienen: Gerichte und Verwaltungsbehörden. | Behördenzuständigkeit |
Für
den Bereich des öffentlichen Rechts (Verwaltung) sind Verwaltungsbehörden
zuständig (Verwaltungsrechtsweg), für die Durchsetzung privatrechtlicher
Angelegenheiten (sog „bürgerliche Rechtssachen”, § 1 JN) dagegen
ordentliche Gerichte; ordentlicher oder Zivilrechtsweg. – Ansprüche
aus hoheitlichem Handeln können nicht mit den Mitteln des Zivilrechts,
sondern nur nach dem AHG durchgesetzt werden. | Faustregel |
|
SZ 19/155 (1937):
§ 1 JN, WRG 1934 – Zur Entscheidung über den Bestand und den Umfang
einer Dienstbarkeit des Wasserbezugs- und Wasserleitungsrechts sind
die ordentlichen Gerichte zuständig. | |
|
|
OGH 27. 3.
2001, 1 Ob 71/01z, JBl 2001, 580 = EvBl 2001/158: Eine Gemeinde
fasste den Gemeinderatsbeschluss, einer Verkehrsfläche einen neuen
Namen zu geben. Dieser entsprach der internationalen Marke eines
Unternehmens, welches daraufhin auf Unterlassung klagte. – OGH:
Das Benennen einer Verkehrsfläche durch den Gemeinderat ist
ein Akt der Hoheitsverwaltung. Ein zivilrechtlicher Unterlassungsanspruch
unter Berufung auf das Namensrecht oder wettbewerbsrechtliche Vorschriften
(UWG) können dagegen nicht geltend gemacht werden. Ansprüche aus
hoheitlichem Handeln können nur nach AHG geltend gemacht werden,
was hier nicht erfolgt ist. (Vgl auch den Sri Chimnoy-Fall. – Was
der OGH nicht sagt ist, dass auch das AHG keine Unterlassungsansprüche
kennt, was eine bedenkliche Lücke bedeutet, die dringend geschlossen
werden sollte, und er selbst bisher nicht bereit ist, diese Lücke
trotz der Möglichkeiten des § 7 ABGB zu schliessen.) | |
|
Gerichte
sind Organe der staatlichen Vollziehung, in denen unversetzbare,
unabsetzbare und weisungsunabhängige (Art 82 ff B-VG insbesondere
Art 87 B-VG) RichterInnen entscheiden, die nur zur Einhaltung der
Gesetze verpflichtet sind. – Zweck ist der möglichste Schutz des
Freiraums der privatrechtlichen Verhältnisse der Bürger vor Eingriffen
des Staates, aber auch vor anderen – vielleicht mächtigern – (Privat)Personen. | Gerichte |
Die ordentlichen
Gerichte sind grundsätzlich für alle privatrechtlichen
Ansprüche zuständig; sie entscheiden (in der Sache) durch Urteil. | |
| Abbildung 1.19: Rechtsdurchsetzung in der RO (1) |
|
| Abbildung 1.20: Rechtsdurchsetzung in der RO (2) |
|
Nach Art
94 B-VG ist die Justiz von der Verwaltung in allen Instanzen getrennt;
danach ist es zB nicht gestattet einen Instanzenzug von einer Verwaltungsbehörde
an ein Gericht und umgekehrt einzuräumen. – Beim Geltendmachen eines
Anspruchs ist daher stets zu überlegen, ob er privatrechtlicher
(Gericht) oder öffentlichrechtlicher Natur (Verwaltungsbehörde)
ist. – Art 82 B-VG bestimmt zudem, dass alle Gerichtsbarkeit vom
Bund ausgeht. | |
Verwaltungsbehörden
sind (ebenfalls) Organe der staatlichen Vollziehung, in denen (überwiegend) weisungsgebundene
Beamte entscheiden. – Sie sind ebenfalls an die Gesetze (Art 18
Abs 1 B-VG: Legalitätsprinzip), aber auch an die Weisungen der Behördenleiter
und übergeordnete Behörden gebunden. – Verwaltungsbehörden sind
grundsätzlich zur Erlassung öffentlichrechtlicher Rechtsakte zuständig.
Sie entscheiden (in der Sache) durch Bescheid (=
individueller Verwaltungsakt). | Verwaltungsbehörden |
Es ist seit langem
geplant, auch für die Rechtsdurchsetzung von Verwaltungsangelegenheiten
– wie in Deutschland – auch in den unteren Instanzen Verwaltungsgerichte zu
schaffen; als Höchstinstanz fungiert der VwGH. Eine Vorstufe zu
einer durchgehenden Verwaltungsgerichtsbarkeit bilden die unabhängigen
Verwaltungssenate (UVS) der Länder. | |
Eine
weitere Konsequenz der Unterscheidung liegt in der Gesetzgebungskompetenz:
Gemäß Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG ist (nur) der Bund (= Gesamtstaat) und
nicht die Länder zuständig zur Gesetzgebung in privatrechtlichen
Angelegenheiten; „
Zivilrechtswesen”. Davon gibt es allerdings
kleine Ausnahmen! Vgl Art 15 Abs 9 B-VG. – Zuständig für die Rechtssetzung
von Privatrecht ist also der Bund (als Hoheitsträger). Demgegenüber
ist die Rechtssetzungskompetenz für das öffentliche Recht zwischen
Bund und Ländern geteilt. | Gesetzgebungskompetenz |
Art 10 Abs 1 B-VG: Bundessache ist die Gesetzgebung
und die Vollziehung in folgenden Angelegenheiten: 6. „Zivilrechtswesen
...” | |
Eine weitere
Konsequenz der Unterscheidung zwischen öffentlichem und Privatrecht
ist die Amtshaftung nach dem AHG 1948. Sie betrifft
die Haftung des Staates in all seinen Erscheinungsformen (zB Bund,
Länder, Gemeinden, Sozialversicherungsträger) für seine Organe,
wenn diese bei ihrem hoheitlichem Handeln rechtswidrig und schuldhaft
Schaden zufügen. – Mehr zur Amtshaftung → KAPITEL 12: Die
Amtshaftung ¿ AHG 1948. | Amtshaftung |
|
Beamter erlässt
einen rechtswidrigen Bescheid (JBl 1987, 244); – Sparer einer (Privat)Bank
erleiden Schaden, weil Bank in Konkurs geht und dabei die staatliche
Finanzaufsicht des BMF Fehler gemacht hat; – oder: Polizei vergisst
Inhaftierten im Gemeindearrest (JBl 1982, 263); – Sturz von Gendarmen
beim Schifahren (SZ 55/82: hier wird Amtshaftung abgelehnt, weil
die Verletzung einer anderen Person durch einen Gendarmen nur „gelegentlich”
seiner Übung erfolgte); – Zolllagerdiebstahl (EvBl 1982/39); – Bundesheer:
Handgranatenfall (EvBl 1976/233). | |
|
|
OGH
29. 1. 2002, 1 Ob 168/01i, JBl 2002, 390 = EvBl 2002/108: Gemeinnützige
Bauvereinigung erwirbt eine Liegenschaft in der Nähe einer Chemiefabrik
und räumt einer anderen gemeinnützigen Siedlungsgesellschaft ein
Baurecht gegen einen jährlichen Bauzins ein. Auf Grund extremer
Geruchsbelästigung wurde jedoch keine Wohnbauförderung gewährt,
weshalb der Baurechtsvertrag aufgelöst wurde. Bauvereinigung klagt
die Republik aus Amtshaftung auf Ersatz des entgangenen Bauzinses.
– OGH: Unterlässt die Gewerbebehörde rechtswidrig und schuldhaft
die Herstellung des auflagengemäßen und gesetzmäßigen (bewilligungsgemäßen)
Gewerbebetriebs, dann entsteht Amtshaftung für die dadurch verursachten
Schäden (auch Vermögensschäden) von Anrainern. OGH bejaht aber auch
den Rechtswidrigkeitszusammenhang für Sekundärschäden; GewO als
Schutzgesetz (§ 1311 ABGB) für mittelbare Vermögensschäden. | Geruchsbelästigung |
|
3. Die
sog Privatwirtschaftsverwaltung | |
Öffentliche Gemeinwesen – zB Bund,
Länder oder Gemeinden – handeln aber nicht immer hoheitlich, sie
können sich auch auf die Ebene des Privatrechts begeben und sind
dann wie andere Privatrechtssubjekte zu behandeln; vgl schon § 20
ABGB. Man spricht dann von Privatwirtschaftsverwaltung und grenzt
diese von der Hoheitsverwaltung ab. | Ebene
des Privatrechts |
Die Unterscheidung
ist wiederum wichtig für die Rechtsdurchsetzung / Zuständigkeit.
Bei Akten der Privatwirtschaftsverwaltung unterliegen auch öffentliche
Gemeinwesen etc der ordentlichen Gerichtsbarkeit.
– Hier besteht grundsätzlich „Gleichheit” vor dem Gesetz! Allein
manche Frage dieses Bereichs ist umstritten. | Zuständigkeit |
| |
| |
4. Die „Grenzziehung”
ist nicht immer klar | |
Privatrecht und öffentliches
Recht treten im Rechtsleben vielfach verschachtelt auf, was klare Grenzziehungen
erschwert. | |
Ein Gemisch
aus öffentlichem und privatem Recht enthalten zahlreiche Gesetze,
die als Sonderprivatrecht zu qualifizieren sind. Etwa das KartellG (als
Recht gegen Wettbewerbsbeschränkungen), das UWG (als
Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb), das BankwesenG (BWG)
und BörsenG als Keimzellen eines sich bildenden
Kapitalmarktrechts, Teile des Versicherungsrechts insbesondere
das VersicherungsaufsichtG) und natürlich das Arbeitsrecht.
– Übergänge zwischen Privatrecht und öffentlichem Recht gibt es
aber bspw auch beim einfachen Liegenschaftskauf: Zunächst
Errichtung des Kaufvertrags (= Privatrecht) und der Aufsandungserklärung
(= Privatrecht), der Käufer braucht für die Verbücherung aber auch
eine Unbedenklichkeitsbescheinigung (des Finanzamtes), allenfalls
eine grundverkehrsbehördliche Genehmigung, vielleicht auch (Liegenschafts)Teilungspläne,
alles öffentlichrechtliche Akte / Bescheide. Auch der grundbücherliche
Eintragungsbeschluss, überhaupt das Grundbuchsverfahren gehört – wie
alles Verfahrensrecht – zum öffentlichen Recht. – Die nach erfolgtem
(privatrechtlichem) Erwerb der Liegenschaft zu entrichtende Grundsteuer
ist ebenfalls öffentliches Recht. – Die Paketbeförderung durch
die Post gehörte früher zur Hoheitsverwaltung (EvBl 1969/391), nicht
dagegen der Kauf von Briefmarken am Schalter oder die Personenbeförderung
mit dem (Post)Bus. – Vertragsbedienstete des Staates
stehen in einem privaten, Beamte in einem öffentlichrechtlichen
Dienstverhältnis. Begründet wird das Rechtsverhältnis im ersten
Fall durch Vertragsschluss (nach VBG 1948: neues Gesetz geplant),
im zweiten durch öffentlichrechtlichen, also hoheitlichen Akt (Ernennung
nach BDRG 1979). – Die Enteignung (vgl § 365 ABGB
und Art 5 StGG 1868) ist ein Akt des öffentlichen Rechts; für die
Festsetzung der privatrechtlichen Entschädigungshöhe ist aber der
ordentliche Rechtsweg vorgesehen. – Die pflegschaftsgerichtliche
Zustimmung (zB nach § 154 ABGB) ist ein öffentlichrechtlicher
Akt, wenngleich die ordentlichen Gerichte dafür zuständig sind. | Beispiele |
| |
Wir trennen also heute
das Privatrecht vom öffentlichen Recht und das hat – wie wir gesehen
haben – gute Gründe. Aber das war nicht immer so. Mittelalterliche
Rechtsquellen stellen eine mehr oder weniger intensive Mischung
aller Rechtsbereiche dar; vermengt werden bspw Privatrecht, Strafrecht,
Verfahrens- und Verwaltungsrecht etc. Sie bilden einen kaum zu trennenden
Rechts-Mix; Beispiel: Sachsenspiegel ~ 1230. | |
VIII. Stufenbau
der Rechtsordnung | |
1. A. J. Merkls
Stufenbaulehre | |
Die Lehre des öffentlichen Rechts
hat die staatlichen Rechtsnormen nach ihrem „Rang”
eingestuft und dabei eine vertikale Gliederung aller
staatlichen Rechtsnormen – genereller wie individueller – vorgenommen.
Dabei muss die jeweils rangtiefere Norm in einer ranghöheren Norm
ihre Grundlage und Deckung finden. | |
Diese
rein rechtliche und säkularisierte (also weltlich rationale) Stufenbautheorie
A. J. Merkls hat sehr alte historische Vorläufer,
die noch religiös-sakral vermittelt sind. In der Neuzeit ist das
die Lehre des grossen Theoretikers des französischen Königtums Jean
Bodin, dessen Vorläufer in der Legitimationslehre von Herrschaft
(und idF von Recht) zurückreichen bis zur Emanationslehre des ägyptischen
Sonnenmythos Echnatons. Dabei wurde der eigene Herrschaftsanspruch
unmittelbar aus der göttlichen Spähre abgeleitet und nur der Herrscher
war danach in der Lage, diese Kräfte an das Volk weiterzuvermitteln. | Vorläufer |
E. Voegelin, Die politischen Religionen (19962). | |
Im Rahmen dieser
Normeneinstufung sind drei „Zusammenhänge” zu unterscheiden: | Drei „Zusammenhänge” |
•
Die ranghöhere
Norm regelt einerseits die (formale) Erzeugung / Entstehung der
rangtieferen Norm; das ist der Entstehungs- oder Erzeugungszusammenhang
| |
•
und
ist zudem inhaltliche Bedingung – iSv inhaltlicher / materieller
Ausgestaltung – für rangtiefere Normen: Bedingungs- oder Inhaltszusammenhang; | |
•
dazu tritt
der Derogationszusammenhang: das betrifft das Abändern
oder Aufheben niedrigerer oder zeitlich älterer Normen durch höhere
oder zeitlich später erlassene. – Mehr zur Derogation → KAPITEL 11: Formelle
und materielle Derogation. | |
| Abbildung 1.21: Stufenbau der RO mit Landesrecht |
|
Die
obersten Rechtsnormen (= Pyramidenspitze) machen das Verfassungsrecht
aus (B-VG + sonstige Verfassungsgesetze oder einzelne Verfassungsbestimmungen
in einfachen Gesetzen), dessen Zustandekommen ua eine 2/3-Mehrheit
des Parlaments oder eines Landtags erfordert. – Den inneren Kern
der Verfassung bilden jene leitenden Grundsätze, deren Abänderung
zwingend einer Volksabstimmung bedürfen (Art 44 Abs 3 B-VG); sog Baugesetze der
Verfassung: zB das demokratische, bundesstaatliche oder rechtsstaatliche
Prinzip. | Verfassungsrecht |
| Abbildung 1.22: Verfassung als rechtliche Grundordnung (1) |
|
| Abbildung 1.23: Verfassung als rechtliche Grundordnung (2) |
|
| Abbildung 1.24: Verfassung als rechtliche Grundordnung (3) |
|
| Abbildung 1.25: Die Baugesetze der Verfassung |
|
| |
| |
Einfache Gesetze dürfen
nur auf Grund eines verfassungsgemäßen Verfahrens erlassen werden und
auch inhaltlich nicht dem Verfassungsrecht widersprechen; zur mittelbaren
Einwirkung der Grundrechte auf das Privatrecht → KAPITEL 4: Was
bedeutet ¿mittelbare¿ Einwirkung?.
Dasselbe gilt für Staatsverträge. – Nur auf der
Grundlage ordnungsgemäß zustandegekommener Gesetze können dann wiederum
in der Normenhierarchie tieferstehende Rechtsakte „gesetzt” werden;
dh: Verordnungen ergehen bspw in Ausführung gültiger
Gesetze, wobei das Gesetz der Verordnung auch den inhaltlichen Rahmen
vorzugeben hat, sonst liegt eine sog formalgesetzliche Delegation vor.
– Gerichtliche Urteile und Bescheide von
Verwaltungsbehörden (zB eine Verhaftung) ergehen dann wieder auf gesetzlicher
oder Verordnungsgrundlage. Urteile und Bescheide werden auf ihre
Gesetzmäßigkeit überprüft. | Einfache
Gesetze etc |
Auch
individuell im Rahmen der Privatautonomie ausgehandelte Verträge
( → KAPITEL 5: Vertragsfreiheit
und Privatautonomie) bewegen sich innerhalb des (gesetzlich)
vorgegebenen oder zulässigen Rahmens (vgl § 879 ABGB) und können,
wenn sie von einem Vertragspartner nicht eingehalten werden (pacta
sunt servanda!), mit staatlicher Zwangsgewalt durchgesetzt werden
( Zwangsvollstreckung/Exekution zB aufgrund eines
rechtskräftigen Urteils), wodurch der dem Recht entsprechende Zustand
hergestellt wird. Damit ist die unterste Stufe der Norm-”Pyramide”
erreicht. | Verträge |
Verstöße gegen diese Hierarchie,
etwa gesetzwidrige Verhaftungen oder verfassungswidrig erlassene
Gesetze oder gesetzwidrige Verordnungen, können mit eigenen Rechtsbehelfen
bei den Höchstgerichten des öffentlichen Rechts bekämpft und vernichtet
werden: zB Rechtsmittel zum Verwaltungs- (Art 129
ff B-VG) oder Verfassungsgerichtshof (Art 137 ff
B-VG) oder Antrag des OGH auf Normenkontrolle an
den VfGH; Rechtsschutz gegen individuelle Verwaltungsakte durch
den VwGH; Instanzenzug der Gerichte. – Verträge oder Rechtsgeschäfte,
die gegen ein Gesetz verstoßen, werden von den Gerichten kontrolliert
und korrigiert; vgl § 879 Abs 1 ABGB → KAPITEL 11: ¿Gesetzliches
Verbot¿. | Verstöße
gegen diese Hierarchie |
| |
2. Modifikationen
der Stufenbaulehre: Supranationales Recht (EG) und
österreichische Rechtsordnung | |
| |
Österreich ist seit 1.1.1995 Mitglied der EU. Am 12.6.1994
hat das österreichische Volk den Beitrittsvertrag mit großer Mehrheit
durch Volksabstimmung genehmigt und damit die von der Verfassung
berufenen Organe ermächtigt, den Beitritt durch Staatsvertrag zu
vollziehen. | |
Mit diesem Schritt wurde die bereits seit
Österreichs Beitritt zum EWR (1.1.1994) bestehende Teilmitgliedschaft
in eine Vollmitgliedschaft umgewandelt. | |
Für das österreichische Staatsrecht und insbesondere auch
für den Stufenbau der Rechtsordnung hatte die EU-Mitgliedschaft
wichtige Folgen; so enthält unser B-VG seit der B-VG-Nov, BGBl 1994/1013
die neuen Art 23a–23f B-VG mit der Überschrift: „Europäische Union”. | |
Die folgenden Folien versuchen das Zusammenspiel zwischen
nationalen und supranationalen Normen optisch einzufangen. | |
| Abbildung 1.26: Detailstudie: EU-Recht im Stufenbau der RO |
|
| Abbildung .26: EU-Recht im innerstaatlichen Stufenbau |
Der
Stufenbau der österreichischen Rechtsordnung wurde durch den EU-Beitritt
verändert: Die Spitze der Stufenpyramide stellen nach wie vor die
Baugesetze (= Grundprinzipien) unserer (österreichischen) Bundesverfassung
dar Zwischen die Baugesetze und das einfache (österreichische) Verfassungsrecht
schiebt sich nunmehr das Primäre und Sekundäre EU-Gemeinschaftsrecht.
Darauf folgt der Stufenbau in der bisherigen Ordnung. |
|
| Abbildung .26: Aufbau des EU-Rechts |
Primäres
Gemeinschaftsrecht: |
- Besteht aus den Gründungsverträgen (EG: Verträge von Rom
und EU; Maastricht-Vertrag und neue Verfassung), späteren vertraglichen
Änderungen und Ergänzungen, Beitrittsverträgen; zB Österreich 1994, Osterweiterung
2003 |
- Funktion: Verfassung der EU |
Sekundäres Gemeinschaftsrecht: |
- Verordnungen : schaffen für jeden EU-Bürger unmittelbar
geltendes Recht |
- Richtlinien : enthalten an die EU-Mitgliedstaaten gerichtete
verbindliche Vorgaben |
Richtlinien (RL) verpflichten demnach nicht einzelne Staatsbürger
von Mitgliedsstaaten und ebensowenig existiert eine unmittelbare
Wirkung nicht umgesetzter RL im Verhältnis zwischen Privatpersonen.
Der EuGH lehnt in stRspr eine unmittelbare Wirkung staatlicherseits
nicht umgesetzter RL zwischen europäischen Bürgern ab (keine sog
horizontale Wirkung von RL), verweist aber die Bürger zum Ausgleich
auf Schadenersatzansprüche gegen den säumigen Mitgliedsstaat. Dieser
Ersatzanspruch ist sogar verschuldensunabhängig: Nachweise bei Krimphove,
ÖJZ 1999, 321. |
|
| |
Neben der eigenen, nationalen Rechtsordnung,
gehörte Österreich schon bisher der internationalen oder Völkerrechtsordnung an.
Mit dem EU-Beitritt sind wir nunmehr auch Teil der supranationalen Rechtsordnung
der Europäischen Gemeinschaft / EU geworden. – Für das Privatrecht brachte
die EU-Mitgliedschaft ua Anpassungsbedarf in verschiedenen Rechtsbereichen,
etwa im Verbraucherrecht; zum KSchG: → KAPITEL 2: Verbraucherrecht ¿ Konsumentenschutz. | Nationale, internationale, supranationale
RechtsO |
Die Verpflichtung der EU-Mitglieder, Richtlinien zeitgerecht
und inhaltsgetreu / vollständig umzusetzen, führt zu Amtshaftungsansprüchen
(auch Staatshaftung genannt) Geschädigter, wenn dies unterbleibt
und daraus Schäden entstehen. Dies ist ständige Rspr des EuGH. Auch
gegen Österreich wurden bereits Klagen anhängig; zB verspätete Umsetzung
der Insolvenzsicherung bei Reiseveranstaltungsverträgen → KAPITEL 12: Der
(Pauschal)Reiseveranstaltungsvertrag. | |
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Eine wichtige
Aufgabe des Rechts ist es der Hybris der Macht Einhalt zu gebieten.
Eine Einsicht, die Aischylos in seinen „Persern” ausgedrückt hat.
Dabei läuft das Recht ständig Gefahr, von der Macht missbraucht
zu werden, worauf M. Foucault (1926-1984) anspielt, wenn er sagt,
dass „die Sprache der Macht das Recht” sei. Und es ist eine traurige
Tatsache, dass das Recht vor der Macht immer wieder kapituliert
und mit ihr gemeinsame Sache gemacht hat. | Aufgabe des Rechts |
Was
demokratische Gesellschaften und der Rechtsstaat nicht verkraften,
ist jede Form von Gewalt, liegt doch der Hauptzweck
des Rechts darin, ein gewaltsames Austragen sozialer Konflikte und überhaupt
von Eigenmacht zu vermeiden. – Hier bestehen bislang kaum erkannte
strukturell-alte Ligaturen zum Besitz(recht) des bürgerlichen Rechts,
dessen Regeln, wie nichts anderes (im bürgerlichen Recht), Gewalt,
Eigenmacht und Selbsthilfe schon auf tatsächlicher Ebene unterbinden wollen → KAPITEL 3: Missbilligung
von Selbsthilfe und Eigenmacht.
Die Besitzregeln erscheinen demnach (gemeinsam mit dem Sühnevertrag
bei der Ablöse der Blutrache) als Vorläufer oder vielleicht besser,
rechtliche Wegbereiter gewalteindämmender und damit proto-rechtsstaatlicher
Strukturen. Und dies noch zu Zeiten, in denen demokratische Staatsformen
realpolitisch noch in weite Ferne gerückt waren. | Kein gewaltsames Austragen sozialer Konflikte |
Sowohl die
Idee des Rechtsstaates, als auch das Eindämmen der Fehde / Blutrache
und der Besitzschutz, letzterer entstanden als Gebot, während eines
schwebenden Verfahrens keinerlei eigenmächtige Handlungen zu setzen
oder Veränderungen – auch keine bloß faktischen – vorzunehmen, stammen
aus dem alten Griechenland, von dem es die Römer übernommen haben. | Idee des Rechtsstaates |
Ein
erschütterndes Dokument der Auseinandersetzung zwischen Recht und
Macht enthält der berühmte „Melierdialog” des Thukydides,
in: Der Peloponnesische Krieg, V. Buch 85-116 (Reclam UB 1808, 2000).
Die Athener vertreten dabei einen reinen Machtstandpunkt, das „Recht
des Stärkeren”: | Melierdialog |
Im Sommer 416 v. C. nehmen sie mit gewaltiger Übermacht
die Insel Melos ein, und im Winter 416/415 ergeben sich die Verteidiger
der bis dorthin gehaltenen Inselhauptstadt bedingungslos den Athenern.
„Diese töteten alle erwachsenen Männer, die sie ergreifen konnten,
die Kinder und Frauen verkauften sie in die Sklaverei. Sie selbst gründeten
den Ort neu und schickten etwas später 500 Siedler dorthin.” | |
In der auch noch für uns lehrreichen Auseinandersetzung
um Macht und Recht vertreten die Athener (aaO 89) den Standpunkt,
dass das „Recht im menschlichen Verkehr nur bei gleichem Kräfteverhältnis
zur Geltung kommt, die Stärkeren aber alles in ihrer Macht Stehende
durchsetzen und die Schwachen sich fügen” müssen. Die im Dialog enthaltenen
menschlich-weisen Warnungen der Melier an die Athener – Vers 98:
„Damit [sc: mit einer solchen Argumentation] stärkt ihr doch nur
eure bisherigen Feinde, und die, die es nie werden wollten, treibt
ihr dazu, es gegen ihren Willen zu werden.” – sollten sich im Laufe
des Peloponesischen Krieges, den Athen (gegen Sparta) verlor, noch
bewahrheiten. | |
Recht – so
verstanden – ist kein Instrument des Friedens und des gesellschaftlichen
Ausgleichs, was schon Solon vorgelebt hatte, sondern eines brutaler
Macht. Es ist bloß das „Recht des Stärkeren”, das sich an der Hybris
orientiert, aber nicht mehr an dem zu tiefst griechischen Gedanken des
Rechts als „Mitte”, was allein als gerecht empfunden wird. | „Recht des Stärkeren” |
| |
Rechtsstaat
meint: Zähmung von Macht, Herrschaft und Politik durch das Recht(Hans
Albert). Das ist eine niemals abgeschlossene Aufgabe. – Macht bedeutet
nach Max Weber, „jede Chance, innerhalb einer sozialen Beziehung
den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen”. Im Rechtsstaat
darf dies nur nach den Regeln des Rechts erfolgen. Rechtsstaat meint
also: Herrschaft des Rechts, nicht aber von Gewalt oder Willkür.
Diese „Herrschaft” des Rechts/rule of law muss
eine kalkulierbare Herrschaft sein, deren Ergebnis voraussehbar
ist, also Rechtssicherheit vermittelt. Sie steht
im Gegensatz zur Willkürherrschaft, die legibus solutus, also losgelöst
von Gesetz und Recht erfolgt. Rechts- und Verfahrenssicherheit und
der Schutz individueller Rechte sind Grundwerte der europäischen
Kultur. | Zähmung von Macht, Herrschaft und Politik |
| Verfassung |
| Abbildung 1.27: Zum Begriff des Rechtsstaates |
|
Erste Schritte in der Neuzeit in Richtung
einer Proto-Rechtsstaatlichkeit wurden in Österreich und Preußen
in der zweiten Hälfte des 18. Jhd gesetzt; ALR 1794 und WGGB 1797:
Martinis „Einleitung”!. | |
| |
Die Idee
des Rechtsstaats wird auch dadurch gekennzeichnet, dass die BürgerInnen
eines Staates auch gegen den Staat Rechte besitzen, also gegen ihn
geschützt werden (zB Grundrechte, Amtshaftung) und nicht nur unter-
und gegeneinander. – Der Staat soll auch seine Gewalt nur in rechtlicher
Form und gestützt auf Gesetze ausüben, also nicht ohne gesetzliche
/ rechtliche Deckung handeln; Legalitätsprinzip: Art 18 Abs 1 B-VG.
– Dazu kommen ein gesetzlich geregelter Instanzenzug, die Gewaltentrennung,
die sog Richterprivilegien, die Kontrollfunktionen der Gerichtshöfe
des öffentlichen Rechts (VfGH, VwGH) ua rechtliche Errungenschaften. | Rechte gegen den Staat |
Die Idee des Rechtsstaates
ist eine europäische – genauer eine griechische –
„Erfindung” und ein wesentlicher Teil der europäischen
Demokratie. Der Rechtsstaat und die durch ihn erreichte Stärkung
der politischen und bürgerlichen Rechte, ja der menschlichen Freiheit
und der Gleichheit vor dem Gesetz, ist eine unverzichtbare abendländische
Errungenschaft. – Heute ist es uns zur Aufgabe gemacht, über die
Verbesserung und Aktualisierung nationaler Grund- und Freiheitsrechte hinaus,
auch die Anerkennung von
Menschenrechten weltweit durchzusetzen,
zumal nationale Entwicklungen nicht mehr isoliert erfolgen können.
Wir alle müssen nicht nur EuropäerInnen, sondern WeltbürgerInnen
/ Kosmopoliten werden, was nichts mit einem Verleugnen der Heimat
zu tun hat. | Europäisches Erbe |
Th. Öhlinger,
Verfassungsrecht (20035); – B.-Ch.
Funk, Einführung in das österreichische Verfassungs- und Verwaltungsrecht
(200311); – H. Albert, Kritische Vernunft
und menschliche Praxis (Reclam, Stuttgart, 1984); – St. Shute /
S. Hurley (H), Die Idee der Menschenrechte (1993); – H. Hausmanninger,
The Austrian legal system (1998); – Brand / Hattenhauer, Der Europäische
Rechtsstaat. 200 Zeugnisse seiner Geschichte (UTB, 1994). | |
B. Internationales
Privatrecht – Internationales UN-Kaufrecht – Intertemporales Privatrecht |
Die in der Folge kurz behandelten
Bereiche des Internationalen Privatrechts (geregelt
im IPRG 1978) sowie des Internationalen Kaufrechts (UN-KR
1980) – die Unterscheidung ist wichtig – besitzen keineswegs nur
im Privatleben Bedeutung, sondern spielen vor allem im Wirtschaftsleben
eine Rolle; zB für Ex- und Importgeschäfte. Dazu kommen Vorschriften
über Verbrauchergeschäfte, Bank-, Versicherungs- und Arbeitsverträge
oder Ansprüche aus unlauterem Wettbewerb. Die Bedeutung des Internationalen
(Wiener) Kaufrechts wächst. – Die in diesem Kapitel behandelten
Bereiche „Internationales Privatrecht” (IPR) und „Internationales
UN Kaufrecht” spielen immer dann eine Rolle, wenn ein Rechtsproblem
die österreichische Landesgrenze überschreitet. | |
I. Internationales
Privatrecht | |
Neu bearbeitet von Johannes Pepelnik | |
| |
Wenn
mehrere Privatrechtsordnungen miteinander in Berührung kommen, „kollidieren”,
entscheidet das IPR darüber, welche nationale Rechtsordnung zur
Anwendung kommen soll. Das IPR verweist auf eine der miteinander
kollidierenden Rechtsordnungen. Die Vorschriften des IPR heißen
daher auch Kollisions- oder Verweisungsnormen. | Kollisions- oder Verweisungsnormen |
| |
Welches Gericht ist zuständig? – Welches Recht ist anwendbar? | |
Zu Beginn eine Ernüchterung: Das BundesG vom 15. Juni 1978
über das internationale Privatrecht (IPR-G), zuletzt geändert durch
BGBl. I Nr. 135/2000, ist weder „international”
(weil es „nur” ein österreichisches Gesetz ist), noch „Privatrecht” (weil
es „nur” in eine Rechtsordnung verweist). Privatrechtlichen Charakter
hat aber die zum Teil den Parteien überlassene Rechtswahl ( → Privatrecht:
Keine Über- und Unterordnung)
des anzuwendenden Rechts. | IPR: Weder international, noch
Privatrecht |
Das IPR kommt nur zur Anwendung, wenn feststeht, dass ein
österreichischer Gerichtsstand gegeben ist, dh ein österreichisches
Gericht seine Zuständigkeit bejaht hat. Ist ein ausländisches Gericht
zuständig, dann wendet dies zunächst „sein” IPR an. Der OGH hat
(in 7 Ob 633/92) den Rechtssatz aufgestellt: Erst wenn sich die
Zuständigkeit eines österreichischen Gerichts ergibt, stellt sich
die nach dem IPR zu lösende Frage des anzuwenden Rechts. | Österreichischer Gerichtsstand |
Folgende zwei Fragen
sind daher streng auseinander zu halten: | Zwei Fragen |
-
Welches Gericht ist
für die Entscheidung (welches Recht anwendbar ist) zuständig?
| |
-
Welches Recht ist (nach der
österreichischen Rechtsordnung) anwendbar?
| |
Die Frage nach dem inländischen Gerichtsstand (österreichischer
Gerichtsbarkeit) wird vom Internationalen Zivilprozessrecht in Kapitel
Rechtsdurchsetzung in Europa, , beantwortet.
Es kann also vorkommen, dass ein österreichisches Gericht nach italienischem
Recht, oder umgekehrt, entscheidet. Die Antwort auf die Frage, welches
Recht anwendbar ist, wird ua durch das IPR-G gegeben. | |
| |
Vor dem IPR-G, welches
am 1. Jänner 1979 in Kraft trat, war das IPR in den §§ 34 bis 37
und 300 des ABGB aF geregelt und wird wohl auch deshalb noch mit
dem Zivilrecht unterrichtet. Die Bestimmungen des ABGB aF standen
in der Tradition, der von den italienischen Juristen des Mittelalters
entwickelten „Statutentheorie”.
„Statut” war die Rechtsordnung eines italienischen Stadtstaates.
Die Statutentheorie bestimmte zwischen den Einwohnern der verschiedenen
Stadtstaaten das anzuwendende Recht. – Streitigkeiten über: | Statutentheorie |
•
die persönliche
Rechtsstellung und bewegliche Sachen („mobilia
ossibus inhaerent” – wörtlich: bewegliche Sachen hängen an den Knochen)
wurden dem Recht des Heimatortes/lex originis unterstellt; | mobilia ossibus inhaerent |
•
unbewegliche
Sachen wurden dem Recht des Ortes an dem sie lagen/lex
rei sitae unterstellt und | lex rei sitae |
•
Unfälle, Schäden und
dergleichen wurden dem Recht des Ortes unterstellt an dem der Schaden auftrat,
der Unfall sich ereignete/lex loci delicti commissi; | lex loci delicti commissi |
•
Rechtsgeschäfte wurden
nach dem Recht des Ortes behandelt, an dem sie geschlossen wurden/lex
loci contractus – locus regit actum. | locus regit actum |
Savigny verdanken wir das
heutige System, indem zuerst der Tatbestand festgestellt wird (Stichwort
„Sitz des Rechtsverhältnisses”) und dann, mittels IPR, die Rechtsordnung
gesucht wird, der die darauf anzuwendende Rechtsfolge entnommen
wird. | |
Es
wurden idF (unübersehbar) viele Staatsverträge abgeschlossen, die
gemäß § 53 IPR-G diesem vorgehen. – Die gravierendste Änderung des
IPR-G war 1996 der Beitritt Österreichs zum Übereinkommen über das
auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – EVÜ, auch
Europäisches oder Römer Schuld- oder Vertragsübereinkommen, durch
das die §§ 36 bis 45 IPR-G ersetzt wurden. | |
| |
Als
Ausdruck der das Privatrecht grundsätzlich kennzeichnenden (Vertrags)Freiheit,
erlauben § 11 IPR-G sowie Art. 3 EVÜ den (aus unterschiedlichen
Rechtsordnungen stammenden) Parteien eine Rechtsordnung zu wählen;
sog „Rechtswahl”.
– Diese Wahl kann auch schlüssig erfolgen, was in der Praxis oft
zur Behauptung führt, dass das eine oder andere Recht vereinbart
worden sei. Damit sich die Wahlfreiheit daher nicht in ein Diktat
umkehrt, wurde sie in Verbraucher-, Bestand- und Arbeitsvertragsangelegenheiten
ausgeschlossen. Somit muss auch bei Internet-Vertragsschlüssen nicht
um eine Aushöhlung des österreichischen Verbraucherschutzrechts
gebangt werden. Stehen sich zwei Rechtswahl-Behauptungen unversöhnlich
gegenüber, ist anzunehmen, dass sich die Parteien eben nicht geeinigt
haben (Dissens!), weshalb die allgemeine Regel der „stärksten Beziehung”
oder „charakteristischen Leistung” zur Anwendung kommt. | |
Die Generalklausel des §
1 Abs 1 IPR-G lautet: | Anknüpfungsgrundsatz der
„stärksten Beziehung” |
„Sachverhalte mit Auslandsberührung sind
in privatrechtlicher Hinsicht nach der Rechtsordnung zu beurteilen,
zu der die stärkste Beziehung besteht.” | |
Der Grundsatz
der „stärksten Beziehung” bedeutet, dass ein Sachverhalt derjenigen
Rechtsordnung unterstellt werden soll, zu der dieser Sachverhalt
die stärkere Beziehung hat. Die Generalklausel kommt daher immer
dann zur Anwendung, wenn die im IPR-G geregelten Verweisungen zu keinem
Ergebnis führen. § 1 IPR-G dient daher der Auslegung und Lückenfüllung;
so OGH 8 Ob 545/88, EvBl 1989/28 = IPRE 3/116. | |
|
OGH 2 Ob 95/98d,
ZfRV 1999/49 und 1999/66: Während der Überstellung der unter monegassischer Flagge
segelnden Jacht „Rafaela” von Lavrion (Griechenland)
nach Pula (Kroatien) durch einen österreichischen Freizeitskipper
(für ein Pauschalentgelt von öS 10.000) brach der Mast, wodurch
die Jacht manövrierunfähig und in der Folge von einem italienischen
Fischerboot nach Italien geschleppt wurde. Der Masseverwalter des
Eigentümers der Jacht wollte den Schaden (öS 229.856,26 ca ? 16.704)
vom Skipper, weil dieser sorgfaltswidrig mit dem Segelboot umgegangen
sei. Der OGH qualifizierte den Vertrag zur Überstellung des Segelboots
als Werkvertrag, der nach dem Recht des Staates zu beurteilen ist, in
dem der, der die Nicht-Geldleistung erbringt seinen gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Der Freizeitskipper ist hauptberuflich Versicherungsmakler
und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich. Daher wurde
österreichisches Recht angewandt. Das „Recht der Flagge” als „stärkste
Beziehung” verneinte der OGH, weil dieses nur bei Bergungen, Hilfeleistungen,
Kollisionen sowie der Geltendmachung von Schiffsgläubigerrechten
zur Anwendung komme. – In der Sache wurde die Klage abgewiesen,
weil dem Skipper kein Verschulden angelastet werden konnte. | |
|
|
OGH 1 Ob
577/93, JBl 1994, 702 = ZfRV 1994/10: Türkische Verlobung
– Einem junger Mann aus Vorarlberg, türkischer Staatsbürgerschaft,
gefiel eine 17 jährige Vorarlbergerin, die ebenfalls die türkische Staatsbürgerschaft
besaß. Umgekehrt gefiel unserer Auserwählten der junge Mann nicht.
Dennoch besuchten die Eltern des jungen Mannes die Eltern der Auserwählten
und fragten deren Vater, ob er bereit sei, seine Tochter als Braut
zu „geben”. Der Vater willigte gemäß türkischer Sitte nach Rücksprache
mit seinem Vater und seinem älteren Bruder ein. Der Vater unseres
jungen Mannes richtete in Lustenau eine Verlobungsfeier für knapp
800 Gäste aus und fuhr in die Türkei um Hochzeitskleid und Karten
drucken zu lassen. Einige Monate später zog unsere Auserwählte von
Zuhause aus und heiratete einen anderen. Der nun Verlassene begehrte
die Kosten der Verlobungsfeier, des Hochzeitskleids und der Hochzeitskarten
von seiner Auserwählten gemäß Art. 84 des türkischen BGB (das inhaltlich
aus der Schweiz übernommen wurde), der etwa § 46 ABGB entspricht.
– Zum anwendbaren Recht entschied der OGH: Die Verlobung ist nicht
als eigener Anknüpfungspunkt im IPR-G geregelt, es sei daher nach
§ 1 dem Grundsatz der stärksten Beziehung vorzugehen. Die Rechtsfolgen
der Verlobung sollten analog denen der Ehe entschieden werden, und
da beide Streitteile türkische Staatsbürger sind, sollte deren Personalstatut
folgend, türkisches Recht angewendet werden. Nach türkischem Recht
seien die Verlöbniskosten aber kein erstattungsfähiger Schaden.
Von den Vorbereitungskosten für die Hochzeit (Kleid und Karten)
müsse die junge Frau aber die Hälfte zahlen, weil sie nicht klar
genug Ihre Ablehnung geäußert hatte. | |
|
Im
allgemeinen Teil des IPR-G wird das Personalstatut einer natürlichen Person definiert,
damit man bei den speziellen Tatbeständen mit einem Verweis das
Auslangen finden kann. Schwimann spricht von „vor die Klammer” ziehen.
Bei der Anknüpfung an das Recht der Person (Personalstatut), entscheidet
in erster Linie die Staatsbürgerschaft (Heimatrecht)
der Person, lediglich bei Staatenlosen der Wohnsitz oder gewöhnliche
Aufenthalt. | Personalstatut:
§ 9 IPR-G |
Das IPR-G beruft zur Lösung folgender Rechtsfragen das Personalstatut
(und dieses wiederum zB auf die Staatsbürgerschaft): | |
•
Rechts-
und Handlungsfähigkeit einer Person samt den Persönlichkeitsrechten
iSd §§ 16, 17 ABGB (§ 12 IPR-G); | |
•
Das Recht einen Namen zu führen
oder zu erwerben (§ 13 IPR-G); | |
•
Beurteilung der Todeserklärung (§
14 IPR-G), Entmündigung (§ 15 IPR-G); | |
•
Die Voraussetzungen der Eheschließung, Aufhebung,
und Nichtigkeit; § 17 IPR-G. Für die persönlichen
Wirkungen der Ehe gilt das Ehewirkungsstatut: Wenn
es für beide Ehegatten gleich ist, auch das Personalstatut, sonst
sucht das Gesetz, gemäß seinem Programm der „stärksten Beziehung”
einen gemeinsamen Anknüpfungspunkt, wie das letzte gemeinsame Personalstatut oder
Recht des Staates indem sie ihren letzten gemeinsamen Aufenthalt
hatten usw. | |
•
Erbrechtliche Fragen werden
(zumeist) nach dem Personalstatut des Erblassers (Verstorbenen) zum
Zeitpunkt seines Todes beurteilt; §§ 28-30 IPR-G. | |
|
Beispiel
zum Personalstatut § 9 iVm § 28 IPR-G: Rechtsnachfolge von Todes
wegen | |
|
|
OGH 1
Ob 176/01s, JBl 2002, 331 = ZfRV 2002/17: In Innsbruck ist ein türkischer
Staatsbürger gestorben. Dieser hat (s)eine Frau (die bis
1984 türkische, dann österreichische Staatsbürgerin gewesen ist)
1989 in der Türkei geheiratet, die Ehe wurde durch das Bezirksgericht
Innsbruck 1998 geschieden. Die Anerkennung der Scheidung in der
Türkei wurde nie beantragt. Der Verstorbene hat keine Nachkommen.
In Innsbruck wurde eine Verlassenschaftsabhandlung durchgeführt,
weil die Ex-Frau und die Eltern des Verstorbenen Erbserklärungen
abgegeben haben. Die Ex-Frau meint nun, nach türkischem Recht waren
sie nicht geschieden, auf die Rechtsnachfolge von Todes wegen ist
gemäß § 28 IRG-G das Personalstatut anwendbar, daher gehört ihr
nach türkischem Recht (Art. 444 türkZGB) die Hälfte des Erbes. Bei
einander widersprechenden Erbserklärungen verweist das Gericht gemäß
§ 125 AußStrG dem, dem es weniger glaubt (mit dem schwächeren Recht)
die Klägerrolle zu und unterbricht das Verfahren, bis der Rechtsstreit beendet
ist. | |
|
Das
Sonderproblem Personalstatut einer juristischen Person, wurde nicht
behandelt. – Mehr dazu im Internet. Im Kern geht es um die Frage:
Wie eng muss eine juristische Person mit dem Recht eines Ortes verknüpft
sein, damit dieses Recht anwendbar ist? Reicht es wenn sie dort
eine Niederlassung hat, muß sie ihren Hauptsitz dort haben oder
genügt gar die Gründung? | Personalstatut einer juristischen Person |
Anknüpfungspunkt im Sachenrecht ist das Sachstatut. Die Kernfragen
des Sachenrechts (Erwerb und Verlust von Eigentum, Besitz und anderen
dinglichen Rechten) werden nach dem Recht des Ortes entschieden,
wo sich die Sache befindet (lex rei sitae / Recht
des Lageorts, Lagerecht) ausgenommen Verkehrsmittel, wie Eisenbahnen,
Schiffe und Flugzeuge. Bei Autos werden die sachenrechtlichen Fragen
hingegen sehr wohl von § 31 IPR-G entschieden. (Unterscheide aber
das anzuwendende Recht bei Unfällen; das ist meist das Haager Straßenverkehrübereinkommen
oder § 48 IPR-G.) | Sachstatut:
§ 31 IPR-G |
|
Beispiel (zum Sachstatut
§ 31 IPR-G): 5
0b 642/89: Ein Wiener Teppichhändler kauft unter
Eigentumsvorbehalt von einem deutschen Teppichhaus 54 Teppiche.
Da er die Teppiche nicht sofort verkaufen konnte, verwendet er sie
um einen Kredit zu besichern. Der Verkäufer wollte die Teppiche
wieder zurückhaben. Die Frage, ob beim Ankauf dieser Teppiche ein
Eigentumsvorbehalt bis zur vollständigen Bezahlung des gesamten
Kaufpreises zustande gekommen ist, ist nach § 31 IPR-G zu lösen.
Als Anknüpfungsgrundsatz gilt die Regel der lex rei sitae –
es ist also jenes Recht anzuwenden, wo sich die Sachen bei Vollendung des
dem Erwerb zugrunde liegenden Rechtsgeschäfts befunden haben. Hier
ist also deutsches Recht anzuwenden. Nach deutschem Recht ist der
Eigentumsvorbehalt bei Warenkreditgeschäften grundsätzlich zulässig
und unbedenklich. Der OGH entschied weiters, dass der Wiener Teppichhändler
vertraglich nicht dazu berechtigt war, anderen Gläubigern diese
Teppiche zur Sicherung zu übertragen und sie daher zurückzustellen
hätte. Im übrigen waren ebenso die Gläubiger, die mit den Teppichen
besichert waren, nicht zum Besitz der Teppiche berechtigt, weil
sie vom Eigentumsvorbehalt gewusst hatten und dementsprechend auch
nicht gutgläubig waren. | |
|
Grundsätzlich
wird laut EVÜ (wenn sich die Parteien nicht auf ein Recht geeinigt
haben, Stichwort: Rechtswahl) das Recht jenes Staates herangezogen,
mit dem das Schuld(rechts)verhältnis die „engsten Verbindungen”
hat. Das ist das Recht jenes Staates, in dem die Partei, die die
„charakteristische Leistung” erbringt, ihren gewöhnlichen
Aufenthalt hat. Die charakteristische Leistung ist meist die „Nicht-Geldleistung”,
zumeist eine Sach- oder Dienstleistung. – Diese „engste Verbindung”
ist im EVÜ unter anderem für folgende Vertragstypen ausdrücklich
geregelt: Verbraucher-, Arbeits- und Güterbeförderungsverträge sowie
Zessionen. Neben dem EVÜ gilt es im Schuldvertragsrecht § 13 c KSchG,
§ 35 IPR-G und das EWR VersicherungsstatutG zu beachten. | Schuldrecht |
Für den (Stell)Vertreter – auch den
Scheinvertreter /falsus procurator – einer juristischen Person ist nicht
das Recht des Ortes anwendbar, wo die Firma ihren Sitz hat, sondern
§ 49 IPR-G über die gewillkürte Stellvertretung. § 49 alle Vertretungsarten,
die nicht als gesetzliche oder organschaftliche Vertretung anzusehen
ist, also alle Vollmachtsvarianten, sowie die Vertretung ohne Vollmacht. | Sonderfall:
Stellvertretung |
Außervertragliche Schadenersatzansprüche:
§ 48 IPR-G | Ort
der Schadenszufügung |
Grundsätzlich sind außervertragliche Schadenersatzansprüche
nach dem Recht des Staates zu beurteilen in dem der Schaden eingetreten
ist; zB Ort des Unfalls. | |
§ 48 Abs 1 IPR-G lautet: „Außervertragliche
Schadenersatzansprüche sind nach dem Recht des Staates zu beurteilen, in
dem das den Schaden verursachende Verhalten gesetzt worden ist.
Besteht jedoch für die Beteiligten eine stärkere Beziehung zum Recht
ein und desselben anderen Staates, so ist dieses Recht maßgebend.” | |
Diese mit dem OGH (2Ob42/95) als „schmiegsam” zu bezeichnende
Formel, soll sicherstellen, dass das Deliktstatut nicht trotz einer
stärkeren Beziehung der Beteiligten zu dem Recht eines anderen Staates
angewandt wird. Bei § 48 IPR-G geht es immer um außervertragliche
Schadenersatzansprüche. Es ist daher nicht (!) anzuwenden, soweit
es sich um Schäden handelt, die aus Vertragsverletzungen resultieren. | |
|
OGH 7
Ob 656/81, JBl 1983, 101 = IPRE 1/55: Während einem Fußballspiel
zwischen zwei Gastarbeitermannschaften in Vorarlberg versuchte
ein Verteidiger den Ball vom Strafraum mit einer Schere wegzuschlagen
und der Angreifer ihn mit dem Kopf ins Tor zu befördern. Bei diesem
Kampf um den Ball verletze sich der Angreifer schwer, indem er 5
Zähne verlor. Der Angreifer begehrte Schadenersatz. Der OGH entschied,
dass gemäß dem Deliktstatut § 48 IPR-G österreichisches Zivilrecht
anzuwenden sei, denn das den Schaden verursachende Verhalten ist
in Österreich gesetzt worden. In der Sache entschied der OGH, dass
dem Verteidiger (= Schädiger) kein (für den Schadenersatz aber eine
Voraussetzung darstellende) rechtswidriges Verhalten iSd § 1325
ABGB vorgeworfen werden kann, weil beim Fußballspielen ein „hohes
Bein” immer wieder vorkommt und daher ein typischer Regelverstoß
ist. Wer aber an einer (Kampf-)Sportart teilnimmt, setzt sich freiwillig
den typischen Gefahren dieser Sportart aus. Die Verletzung eines
Mitspielers bei einer Sportart ist dann nicht rechtswidrig, wenn
sich die Verletzung aus typischen unvermeidlichen Verstößen gegen
die Spielregeln ergibt. (?) | |
|
4. Welches
Recht ist anwendbar? | |
Im folgenden
eine Anregung, in welchen Schritten bei Sachverhalten mit Auslandsberührung
zur Ermittlung des anwendbaren Rechts vorzugehen ist: | Wie ist vorzugehen? |
- Schritt –
Auslandsberührung:
Ist überhaupt ein Sachverhalt mit Auslandsberührung gegeben?
| |
- Schritt – Rechtsverhältnis:
Um welches Rechtsverhältnis handelt es sich – Vertrag, Delikt, Scheidung,
Unterhalt?
| |
- Schritt – Ausländischer Titel / inländische
Gerichtsbarkeit: Ist über das Rechtsverhältnis im Ausland
ein Verfahren anhängig oder besteht gar ein in Österreich vollstreckbares
Urteil? Ist die österreichische Gerichtsbarkeit gegeben? Diese Fragen
werden durch das Zivilprozessrecht beantwortet .
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Schritt – Norm / Rechtswahl:
Welche Verweisungsregel ist anwendbar? Ist eine Rechtsordnung zulässigerweise
vereinbart worden? Denke an das IPR-G und die diesem vorgehenden
Staatsverträge. Als Beispiele für Staatsverträge seien genannt:
Das Haager Abkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende
Recht von 1968, das New Yorker Abkommen über die Rechtsstellung
der Staatenlosen (entspricht § 9 Abs 2 IPR-G).
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Schritt – Anknüpfungstatbestand:
Nach welchem Anknüpfungsbegriff muss für das gefundene Rechtsverhältnis
gesucht werden? ZB: Die persönlichen Rechtswirkungen einer Ehe sowie
die Voraussetzungen und Wirkungen einer Scheidung, werden gemäß
§§ 18 bis 20 IPR-G nach dem gemeinsamen Personalstatut (mangels
eines solchen nach dem letzten gemeinsamen Personalstatut) oder
sonst nach dem Recht des Aufenthaltstaates ermittelt.
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Schritt – Subsumtion: In welche
Rechtsordnung führt der gefundene Anknüpfungsbegriff? Der Anknüpfungsbegriff
für die persönlichen Rechtswirkungen einer Ehe, sowie die Voraussetzungen und
Wirkungen einer Scheidung, werden in erster Linie nach dem Personalstatut
ermittelt. Für dieses schreibt § 9 IPR-G vor, dass für sie grundsätzlich
das Recht des Staates gilt, dessen Staatsbürgerschaft die Person
hat.
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5. „Notbremse”
Vorbehaltsklausel /„ordre
public” | |
Verweist das öIPR-G in eine andere Rechtsordnung zur Lösung
einer Rechtsfrage und hält diese (fremde) Rechtsordnung für die
Lösung der Rechtsfrage eine „mit den Grundwertungen der österreichischen
Rechtsordnung unvereinbare” Lösung bereit, dann wird deswegen nicht
verwiesen und trotzdem die österreichische Rechtsordnung und deren
Rechtsfolge angewandt. | |
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Lehrbuchbeispiel:
Das Verbot von Vielehen, judiziert wurde folgender
Fall:
4 Ob 199/00v: Eine jugoslawische Mutter verlangte für die Verlobung
ihrer 14 jährigen Tochter vom Vater des vermeintlichen (15 jährigen)
Bräutigams 200.000 öS / ca 14.530? Alle stammen aus der Volksgruppe der
Roma und leben in Österreich. Der Vater bezahlte 150.000 öS und
verlangte 100.000 öS zurück, weil die Tochter nur 8 Monate bei seinem
Sohn blieb, die Rückzahlung ihrem Brauch entspricht und die Mutter mit
der Tochter nur ein neuerliches Geschäft machen wollte. Die Mutter
entgegnete, dass das Geld nach serbischem Recht geschenkt wurde
und nicht zurückgefordert werden könne sowie, dass die Zahlung Unterhaltscharakter
habe. Der OGH entschied, dass es den Grundwertungen des österreichischen
Ehe- und Familienrechts widerspricht, „wenn die Mutter einer Minderjährigen
ihre Zustimmung zur Verlobung eines ebenfalls Minderjährigen von
der Zahlung eines Geldbetrages durch dessen Vater abhängig macht.” Eine
allenfalls in einer ausländischen Rechtsordnung bestehende Norm
oder Übung, die eine solche Zahlung für rechtsgültig erklärt, verstößt
daher gegen den ordre public. In Österreich ist die Vereinbarung
gemäß § 879 ABGB nichtig und die Mutter hat 100.000 öS zurückzuzahlen. | |
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Frage
1: Wann kommt das IPR-G zur Anwendung? | Überprüfungsfragen zum IPR-G |
Frage 2: Über welche Frage entscheidet das IPR-G? | |
Frage 3: Welchen Charakter hat das IPR-G? | |
a) Ist es ein international geltendes Gesetz oder bloß ein
Gesetz, das nur in Österreich gilt? | |
b) Zählt es zum öffentlichen Recht oder ist es als Privatrecht
zu qualifizieren? | |
Frage 4: Welche Fragen sind zu klären, wenn man die Anwendbarkeit
des IPR-G herausfinden will? | |
Frage 5: Was bedeutet der Grundsatz der stärksten Beziehung
im IPR-G? | |
Frage 6: Was versteht man unter dem Personalstatut? | |
Frage 7: Was versteht man unter der Vorbehaltsklausel „ordre
public”? | |
Antwort
1: Das IPR-G kommt bei Sachverhalten mit Auslandsberührung zur Anwendung. | Antworten |
Antwort 2: Das IPR-G entscheidet welches nationale Recht
bei der Falllösung zur Anwendung kommt. | |
Antwort 3: ad a) Das IPR-G ist „nur” österreichisches Gesetz.
Jedes Land hat sein eigenes IPR. | |
ad b) Das IPR-G zählt zum öffentlichen Recht. Es ist kein
Privatrecht, weil es nur auf eine anzuwendende nationale Rechtsordnung
verweist. Es enthält selber für den konkreten Fall keine Lösungen
parat. | |
Antwort 4: a) Ist ein Sachverhalt mit Auslandsberührung
gegeben? – falls ja, dann | |
b) Gibt es eine Rechtswahl, welche von den Parteien getroffen
wurde – falls nein, dann | |
c) Gibt es völkerrechtliche Verträge (EVÜ, Haager Straßenverkehrsabkommen,
uvm.), welche dem IPR-G vorgehen? – falls nein, dann | |
d) Ist ein inländisches Gericht für diesen Fall zuständig?
– falls ja | |
Erst jetzt kann man sagen, ob das IPR-G zur Anwendung kommt! | |
Antwort 5: Grundsätzlich ist jenes nationale Recht anzuwenden,
zu welcher der Sachverhalt die stärkste Beziehung hat. | |
Die
Generalklausel kommt daher immer dann zur Anwendung, wenn die im
IPR-Gesetz geregelten Verweisungen zu keinem Ergebnis führen. §
1 IPR-G dient daher der Auslegung und Lückenfüllung. | |
Antwort 6: Das Personalstatut ist einer der Anknüpfungspunkte
des IPR-G. Ein Anknüpfungspunkt hilft dabei herauszufinden, welches
nationale Recht anzuwenden ist. | |
Das Personalstatut einer natürlichen Person ist dessen Staatsbürgerschaft. | |
Das Personalstatut einer juristischen Person ist der Sitz
der Firma. | |
Antwort 7: Wenn das IPR-G in eine fremdes Recht verweist
und dort zur Falllösung eine Norm zur Anwendung kommt, welche mit
den natürlichen Grundsätzen unserer nationalen Rechtsordnung unvereinbar
ist, dann wird diese fremde Norm nicht angewandt. Zur Falllösung
wird dann unsere österreichische Rechtsordnung herangezogen. | |
II. Das
UN- oder Wiener
Kaufrecht | |
Neu bearbeitet von Johannes Pepelnik | |
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Vom IPR, das bloß
(formelle) Verweisungsregelungen trifft, welche Rechtsordnung auf
einen Sachverhalt Anwendung finden soll, ist das materielle (selbst
inhaltliche Regelungen treffende) internationale Kaufrecht zu unterscheiden. | |
1. Inhalt: Materielles
Kaufrecht | |
Die Wiener UN-Konvention
von 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf (auch Internationales
oder UN-Kaufrecht / UNCITRAL-Kaufrecht 1980 / CISG [Contracts
for the International Sale of Goods]
1980 genannt) enthält materielles Kaufrecht für die Konventionsstaaten. Es
enthält bspw konkrete inhaltliche Regelungen über: | |
• den Abschluss von
Kaufverträgen | |
• die Pflichten von Verkäufer und Käufer | |
•
den
Gefahrübergangoder | |
•
Vertragsverletzung |Schadenersatz wegen Vertragsverletzung. | |
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2. Keimzelle weltweiten
Privatrechts | |
Dieses CISG, UN- oder UNCITRAL (United Nations Commission
on International Trade Law)-Kaufrecht,
(UN-KR) dem Österreich 1988 beigetreten ist, stellt die Keimzelle
eines internationalen materiellen, also weltweiten Privatrechts
dar. – Auch an einem Europäischen Privatrecht wird gearbeitet. | |
Beigetreten sind bisher bereits 62 Staaten
(darunter die meisten bedeutenden Wirtschaftsmächte), was dieses
Projekt zur Schaffung von Einheitsprivatrecht zu einem der weltweit
erfolgreichsten macht. Beispiele: Argentinien 1988, Australien 1989,
BRD 1991, Dänemark 1990, Frankreich 1988, Italien 1988, Niederlande
1992, Norwegen 1989, Österreich 1989, Russische Föderation 1993,
Schweiz 1991, Spanien 1991, Tschechien 1993, USA 1988, VR China 1988. | |
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JBl 1999, 318:Das
UN-KR ist unabhängig vom Wohnsitz und der Staatsangehörigkeit anzuwenden,
wenn der Käufer seine geschäftliche Niederlassung in einem anderen
Staat hat als der Verkäufer; hier: Österreichischer Käufer und Verkäufer
mit österreichischem Wohnsitz und österreichischer Staatsangehörigkeit, aber
Einzelunternehmen in Italien. | |
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JBl 1999, 333(Art
5 Z 1 LGVÜ, Art 31 UN-KR): „Die Vertragsklausel ‚frei Haus’, so
wie sie im Geschäftsverkehr üblicherweise verwendet wird, ist in
einem Vertrag, der dem UN-KR untersteht, nicht nur eine Spesenklausel,
sondern sie bedeutet, daß Lieferort die Niederlassung des Käufers
ist. Ob aber die Parteien durch eine Klausel, die den Lieferort
festlegt, zugleich auch einen Gerichtsstand des Erfüllungsorts iSd Art
5 Z 1 LGVÜ an diesem Ort begründen wollen, ist Auslegungsfrage.
Klauseln, nach denen die Lieferpflicht in der Versendung der Ware
besteht, können keinen Gerichtsstand am Bestimmungsort begründen.” | |
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3. Überprüfungsfragen
zum UN-Kaufrecht | |
Frage 1: Das UN-Kaufrecht ist ein Übereinkommen
von derzeit 61 Staaten (in Europa alle Staaten außer England, Irland,
Portugal und Albanien). Welchen Hauptzweck hat das UN-Kaufrecht? | |
Frage 2: Für welche Verträge gilt das UN-Kaufrecht? | |
Frage 3: Handelt es sich um zwingendes oder dispositives
(=abdingbares) Recht? | |
Frage 4: Schließt das UN-Kaufrecht bestimmte Warenarten
aus? | |
Frage 5: Was ist das besondere am Schadenersatzanspruch
(im Vergleich zum ABGB) im UN-Kaufrecht? | |
Frage 6: Wie könnte man das UN-Kaufrecht am Besten charakterisieren? | |
Frage 7: Das UN-Kaufrecht ist unter mehreren Bezeichnungen
bekannt? Können Sie einige davon nennen? | |
| |
Antwort 1: Das UN-Kaufrecht hat die Vereinheitlichung
des Kaufrechts bei Kaufverträgen mit Partnern aus verschiedenen
Ländern zum Zweck. | |
Antwort 2: Das UN-Kaufrecht kommt bei Kaufverträgen über
bewegliche Sachen, deren Vertragspartner ihre/n Niederlassungen
/ gewöhnlichen Aufenthaltsort in unterschiedlichen Vertragsstaaten
haben, zur Anwendung. – Rechte oder Firmenanteile zählen nicht zu
den beweglichen Sachen! | |
Antwort 3: Das UN-Kaufrecht ist dispositives Recht und kann
deswegen von den Vertragsparteien abbedungen werden. | |
Antwort 4: Das UN-Kaufrecht gilt nur für bewegliche Sachen. | |
Ebenso kommt das UN-Kaufrecht nicht zur Anwendung, wenn
der Kaufvertrag über einen Artikel, der für den privaten Gebrauch
bestimmt ist, abgeschlossen wird. Ausnahme: Der
Verkäufer weiß nicht, dass der Artikel vom Käufer für den privaten
Gebrauch gekauft wird. | |
Antwort 5: Das UN-Kaufrecht gewährt einen verschuldensunabhängigen Schadenersatzanspruch! | |
Antwort 6: Das UN-Kaufrecht ist ein internationales Staatenabkommen.
Die identen Normen über den Kaufvertrag gelten in jedem Mitgliedsstaat.
Es ist materielles Recht. | |
Antwort 7: CISG: United Nations Convention on Contracts
for the International Sale of Goods – Übereinkommen der Vereinten
Nationen über Verträge über den internationalen Warenkauf. | |
III. Intertemporales
Privatrecht | |
| |
Vom internationalen Privatrecht (IPR) und dem
UN-Kaufrechtist das – bloß innerstaatlich relevante – intertemporale
Privatrecht zu unterscheiden. Es stellt die Frage nach der
zeitlichen Geltung von Normen. – Die Frage der zeitlichen
Geltung einer Norm stellt sich, wenn eine ältere Rechtsnorm durch
eine andere jüngere abgelöst wird, was häufig geschieht; sei es
bei der Neufassung eines Gesetzes – zB WEG 1975 löst WEG 1948 ab
und das WEG 2002 das WEG 1975 –, sei es durch Novellierung einzelner
Paragraphen eines Gesetzes. Daher finden sich in (neuen) Gesetzen
Übergangs- und allenfalls Rückwirkungsbestimmungen; vgl aber § 5
ABGB. Eine Übergangsbestimmung kann zB anordnen,
dass die neue gesetzliche Regelung ausschließlich ab Inkrafttreten
des neuen Gesetzes gilt, während auf frühere Sachverhalte nach wie
vor das alte Recht anwendbar bleibt. | |
Von Bedeutung
sind solche Fragen vor allem für gesetzliche Dauertatbestände wie
das Ehe(güter)recht, Miete und Pacht als Dauerschuldverhältnis oder
das Erbrecht / Testamentserrichtung. | |
|
OGH 3. 10.
2000, 4 Ob 235/00p, JBl 2001, 315: Nach § 5 ABGB sind die nach dem
Inkrafttreten eines Gesetzes verwirklichten Sachverhalte nach dem
neuen Gesetz zu beurteilen. Für Dauerrechtsverhältnisse, an die
eine Dauerrechtsfolge geknüpft ist – hier: Unterhaltspflicht der
Ehegatten – ist ein neues Gesetz auf die nach Inkrafttreten weiter
verwirklichten Tatbestände anzuwenden. | |
|
C.
(Privat)Rechtsvereinheitlichung
– Europäische
Rechtsangleichung |
Von Alexander Wittwer. | |
I. Europäisierung
des Privatrechts | |
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| |
Das Angleichen des öffentlichen Rechts, welches Handelshemmnisse
sowie das Abschotten nationaler Märkte und dadurch Wettbewerbsverzerrungen
innerhalb der EG bewirkt, war eine der Ideen der Gründerväter der
EWG. Heute ist man zur Überzeugung gelangt, dass auch Unterschiede
in den nationalen Zivil- und Zivilprozessrechten Handelsbarrieren
bewirken können, die es zu beseitigen gilt. | |
In einem Vorabentscheidungsersuchen verneinte
der EuGH (C-116/02, Gasser) die Frage des OLG Innsbruck (4R 41/02i),
ob und inwieweit die äußerst langwierigen italienischen Zivilprozesse
diskriminierend sind. – In den 1960er Jahren begann das Harmonisieren
des Gesellschaftsrechts, darauf folgten unter anderem
bestimmte Bereiche des Arbeits-, Versicherungs-, Handels-,
Wettbewerbs- und Immaterialgüterrechts.
Seit Mitte der 1980er Jahre wird besonderes Augenmerk auf das Vertrags-
und Verbraucherschutzrecht gelegt; siehe Kästen.
Kompetenzrechtlich werden diese EG-Rechtsakte insbesondere auf den
allgemeinen Rechtsangleichungstatbestand in Art 95 EGV gestützt,
ferner bspw auf Art 44 Abs 2 lit g EGV (Gesellschaftsrecht) oder
Art 153 EGV (Verbraucherschutz) und – durch den Amsterdamer Vertrag
(1997) neu eingeführt – auf Art 65 EGV (Internationales Privat-
und Zivilprozessrecht). | |
|
Privatrechtliche
Angleichungsmaßnahmen sind auch im Lichte des jüngst ergangenen Tabakwerbeurteils des
EuGH (C-378/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg 2000, I-8419)
zu sehen. Der EuGH erklärte die Tabakwerberichtlinie 98/43/EG –
darin wurde ein Verbot für Tabakwerbung statuiert – für nichtig, da
für das Erlassen derselben keine Kompetenzgrundlage bestand. Bloße
Unterschiede in den nationalen Rechten der Mitgliedstaaten reichen
für ein Tätigwerden der EG nicht aus. Vgl Rn 84 f des Urteils. | |
|
| |
2. Europäische
Gesetzgebungsakte zum Privat- und Wirtschaftsrecht | |
•
Produkthaftung: RL
85/374/EWG, ABl 1985 L 210/29, geändert durch RL 1999/34/EG, ABl
1999 L 141/20 | |
•
Haustürgeschäfte: RL 85/577/EWG,
ABl 1985 L 372/31 | |
•
Handelsvertreter: RL 86/653/EWG,
ABl 1986 L 382/17 | |
•
Verbraucherkredit: RL 87/102/EWG,
ABl 1987 L 42/48, geändert durch RL 90/88/EWG, ABl 1990 L 61/14
und RL 98/7, ABl 1998 L 101/17 | |
•
Pauschalreisen: RL 90/314/EWG,
ABl 1990 L 158/59 | |
•
Produktsicherheit: RL 92/59/EWG,
ABl 1992 L 228/24 | |
• Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen:
RL 93/13/EWG, ABl 1993 L 95/29 | |
•
Timesharing: RL 94/47/EG,
ABl 1994 L 280/83 | |
• Grenzüberschreitende Überweisungen: RL 97/5/EG,
ABl 1997 L 43/25 | |
•
Fernabsatz: /7/EG, ABl 1997
L 144/19 | |
•
Verbrauchsgüterkauf: RL 99/44/EG,
ABl 1999 L 171/12 | |
•
Elektronische Signaturen: RL
99/93/EG, ABl 2000 L 13/12 | |
•
E-commerce: RL 2000/31/EG,
ABl 2000 L 178/1 | |
•
Zahlungsverzug: RL 2000/35/EG,
ABl 2000 L 200/35 | |
•
Grenzüberschreitende Euro-Zahlungen
und elektronische Zahlungsvorgänge (zB Bankomatabhebungen
im Ausland): Verordnung (!) 2560/2001/EG, ABl 2001 L 344/13 | |
•
Fernabsatz von Finanzdienstleistungen: RL
2002/65/EG, ABl 2002 L 271/16 | |
Gesellschaftsrecht:
| |
•
Publizität: RL 68/151/EWG,
ABl 1968 L 65/8 | |
•
Kapital: RL 77/91/EWG, ABl
1977 L 26/1 | |
•
Jahresabschluss: RL 78/660/EWG,
ABl 1978 L 222/11 | |
•
Spaltung von AG: RL 82/891/EWG,
ABl 1982 L 378/47 | |
•
Verschmelzung von AG: RL78/855/EWG,
ABl 1978 L 295/36
| |
•
Zweigniederlassung: RL 89/666/EWG,
ABl 1989 L 395/36 | |
•
Einpersonen-Gesellschaft: RL
89/667/EWG, ABl 1989 L 395/40 | |
Supranationale Gesellschaftsformen:
| |
•
Europäische wirtschaftliche
Interessenvereinigung, EWIV-VO 2137/85, ABl 1985 L 199/1 | |
•
Europäische Aktiengesellschaft – Socieatas
Europea (SE), VO 2157/2001/EG, ABl 2001 L 294/1 und RL
2001/86/EG hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer, ABl 2001
L 294/22 | |
Versicherungsrecht:
| |
•
Schadensversicherung:.
1. RL 73/239/EWG, ABl 1973 L 228/3; 2. RL 88/357/EWG, ABl 1988 L
172/1; 3. RL 92/49/EWG, ABl 1992 L 228/1 | |
•
Lebensversicherung:. 1. RL
79/267/EWG, ABl 1979 L 63/1; 2. RL 90/619/EWG, ABl 1990 L 330/50;
3. RL 92/96/EWG, ABl 1992 L 360/1 | |
•
Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherungs-RL: 1.
RL 71/166/EWG, ABl 1971 L 103/1; 2. RL 84/5/EWG, ABl 1984 L 8/17;
3. RL 90/232/EWG ABl 1990 L 129/33; 4. RL 2000/26/EG ABl 2000 L
181/65 | |
Arbeitsrecht:
| |
•
Arbeitnehmerfreizügigkeit: VO
1612/68/EWG, ABl 1968 L 257/2 | |
•
Gleichbehandlung (Lohn): RL
75/117/EWG, ABl 1975 L 45/19 | |
• Gleichbehandlung (sonstige Arbeitsbedingungen):
RL 76/207/EWG, ABl 1976 L 39/40 | |
•
Massenentlassungen: RL 75/129/EWG,
ABl 1975 L 48/29 | |
•
Betriebsübergang: RL 77/187/EWG,
ABl 1977 L 61/26 | |
•
Arbeitsschutz: RL 89/391/EWG,
ABl 1989 L 183/1 | |
•
Zeit- und Leiharbeit: RL 91/383/EWG,
ABl 1991 L 206/19 | |
•
Mutterschutz: /85/EWG, ABl
1992 L 348/1 | |
•
Arbeitszeit: RL 93/104/EG,
ABl 1993 L 307/18 | |
•
Jugendarbeitsschutz: RL 94/33/EG,
ABl 1994 L 216/12 | |
Wirtschafts- und Immaterialgüterrecht:
| |
• Vgl zum Wettbewerbsrecht Art
81 und 82 EGV und die daraus ergangenen Rechtsakte | |
•
Irreführende Werbung: RL 84/450/EWG,
ABl 1984 L 250/20 | |
•
Vergleichende Werbung: RL
97/55/EWG, ABl 1997 L 290/18 | |
•
Marken: RL 89/104/EWG, ABl
1989 L 207/44 | |
•
Rechtsschutz vonComputerprogrammen:
RL 91/250/EWG, ABl 1991 L 122/42 | |
•
Vermieten und Verleihen vonUrheberrechten:
RL 92/100/EWG, ABl 1992 L 346/61 | |
•
Schutzdauer des Urheberrechts:
RL 93/98/EWG, ABl L 1993 L 290/9 | |
•
Biotechnologische Erfindungen:
RL 98/44/EG, ABl 1998 L 213/13 | |
•
Muster und Modelle: RL 98/71/EG,
ABl 1998 L 289/28 | |
•
Urheberrecht: RL 2001/29/EG,
ABl 2001 L 167/10 | |
•
Gemeinschaftsgeschmacksmuster:
VO 6/2002/EG, ABl 2002 L 3/1 | |
3.
Teil- und Mindestharmonisierung | |
Die
EG-Angleichungsmaßnahmen beziehen sich nur auf Teil- oder Randbereiche
des Privatrechts (zB Pauschalreisen, Haustürgeschäfte, missbräuchliche
Vertragsklauseln etc.) und klammern in ihrem Anwendungsbereich andere
– zumeist aber zusammengehörende – Privatrechtsgebiete aus; sog Teilharmonisierung. | Was ist Teil-, was Mindestharmonisierung? |
| |
| |
Art 153 Abs 5 EGV gestattet den Mitgliedstaaten beim Umsetzen
der RL, einen höheren Schutzstandard für Verbraucher beizubehalten
oder einzuführen; sog Mindestharmonisierung. Solche Ermächtigungen
finden sich in jeder Verbraucherschutz-RL; bspw Art 11 Timesharing-RL
oder Art 8 Haustürgeschäfte-RL. | |
| |
Diese einfachen Beispiele
lassen erahnen, welche Probleme Teil- und Mindestharmonisierung
mit sich bringen. Trotz EG-Maßnahmen findet man in Europa kein einheitliches
(Verbraucherschutz)Recht vor, da einige Staaten – darunter auch
Österreich – von der Möglichkeit Gebrauch machen, den Schutzstandard
höher zu halten als die RL selbst. Eine jüngst von der EG-Kommission
vorgeschlagene, neue RL über den Verbraucherkredit (KOM (2002) 443)
geht einen anderen Weg, nämlich Vollharmonisierung. | Kritik |
Man spricht sinnbildlich von einem Dampfer
mit 15 verschiedenen Anstrichen. Hinzu kommt oft, dass die Maßnahmen
der EG nicht aufeinander abgestimmt sind. Zu Recht stehen die EG-Rechtsangleichungsmaßnahmen daher
unter heftigem Beschuss; so wird ihnen etwa vorgeworfen, sie stünden
„unverbunden nebeneinander”, seien „fragmentarisch” und „inkohärent”.
Das SLIM-Projekt (Simpler Legislation for the Internal Market) der
EG hat daran bisher wenig geändert. | |
| |
| |
| |
II.
Europäisches
Zivilgesetzbuch? | |
Trotz rechtlicher, politischer und wirtschaftlicher Bedenken
haben sich europäische Rechtswissenschaftler zu Kommissionen zusammengeschlossen,
um den Weg für ein Europäisches Zivilgesetzbuch aus rechtswissenschaftlicher
Sicht zu ebnen. | |
Zu erwähnen sind etwa die „Commission on
European Contract Law” mit ihrem Vorsitzenden Ole Lando (Lando-Kommission),
die „Study Group on a European Civil Code” (Ch. von Bar/Osnabrück)
und die Akademie Europäischer Privatrechtswissenschaftler (Gandolfi/Pavia);
aus österreichischer Sicht: „European Centre of Tort and Insurance
Law” (Koziol/Wien) und das Erarbeiten von „Restatement of European
Insurance Contract Law” (Reichert-Facilides/Innsbruck). | |
•
UNIDROIT
Principles of International Commercial Contracts
http://www.unidroit.org
| |
•
Principles of European Contract Law
(„Lando-Principles”)
http://www.cbs.dk/departments/law/staff/ol/commission_on_ecl/index.html
| |
•
Study Group on a European Civil Code
(„von Bar-Gruppe”)
http://www.europe.uos.de/ECC/index.htm
| |
•
Vorentwurf eines Europäischen Vertragsgesetzbuchs,
Akademie europäischer Privatrechtswissenschaftler, „Pavia-Gruppe”
Gandolfi (Hg), Code
Europeen des Contrats, Avant-Projet (2001) | |
•
Restatement of European Insurance Contract
Law
http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/restatement/index.html
| |
•
Centre of Tort and Insurance Law
http://www.ectil.org
| |
•
Commission on European Family Law
http://www.law.uu.nl/priv/cefl/
| |
| |
Nun hat die EU-Kommission am 12.2.2003 einen Aktionsplan
veröffentlicht (KOM (2003) 68 endgültig, ABl 2003 C 63/1), der ein
kohärenteres Europäisches Vertragsrecht beabsichtigt. Dabei sollen
weitere Untersuchungen auch zu anderen zivilrechtlichen Bereichen
folgen, die Qualität der Gesetzgebung verbessert werden und vor
allem ein gemeinsamer vertragsrechtlicher Referenzrahmen geschaffen
werden. Dieser soll gemeinsame Grundsätze und Begriffe des Vertragsrechts
enthalten und somit als Grundlage für die zukünftige Gesetzgebung
dienen. Der erste wirkliche Schritt in Richtung eines europäischen
Vertragsgesetzbuches ist somit erfolgt. | |
| |
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