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Inhaltsverzeichnis
SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 10
Aus dem „Besonderen Teil” des Schadenersatzrechts werden in der Folge wichtige gesetzliche Haftungstatbestände herausgegriffen und lose, dem Gesetz folgend, dargestellt. – Da die Rechtstatsachenforschung (→ KAPITEL 18: Rechtswissenschaft als Sozialwissenschaft?) in Österreich darniederliegt, fehlen leider auch Zahlen zum praktisch so wichtigen Schadenersatzrecht. Es soll daher daran erinnert werden, dass es dringlich wäre – am besten innerhalb des BMfJ – eine Abteilung für Rechtstatsachenforschung (ein Eugen Ehrlich-Institut) zu errichten, die sich unter anderem generell um zivilrechtliche Daten zu kümmern hätte. Das deutsche Vorbild sollte anregend wirken. – Im Vergleich zur Vorauflage wurden einige Umstellungen vorgenommen: Pkt B. behandelt nunmehr in erweiterter Form Fragen des Behandlungsvertrags und der Medizinhaftung und bildet den Kernbereich eines künftigen Medizinrechtskapitels.
Überblick
A. Schadenersatz – Besonderer Teil


Schadenersatz – BesT: Überblick
Abbildung 10.1:
Schadenersatz – BesT: Überblick
I. Die Gehilfenhaftung
Im Rechts- und Wirtschaftsleben handeln Personen, insbesondere Unternehmer vielfach nicht selber, sondern bedienen sich ihrer Gehilfen; zB Angestellte, Arbeiter, aber auch anderer Unternehmer. Unternehmen ab einer gewissen Größe können gar nicht mehr vom Unternehmer allein betrieben werden. Sie stellen daher Personen ein, die für sie handeln. – Der Gehilfenhaftung als Haftung des Geschäftsherrn / Unternehmers für fremdes Verschulden kommt große praktische Bedeutung zu. Sie ist wichtig für das Verständnis bürgerlichrechtlicher Zusammenhänge, zumal dadurch der Grundsatz durchbrochen wir, dass nur für eigenes, nicht aber für fremdes Verschulden gehaftet wird; § 1313 ABGB.
Vereinzelt gilt aber für Berufe eine persönliche Ausübungspflicht; vgl § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998. Das läuft darauf hinaus, dass für bestimmte Tätigkeiten keine Erfüllungsgehilfen bestellt werden können. – Zur Substitution beim Auftrag → KAPITEL 12: Pflichten des Beauftragten: § 1009 ABGB.
Wir wenden uns in der Folge den beiden – gesetzlich unterschiedlich ausgestalteten – Gruppen dieser Haftung für fremdes Verschulden zu:
• der (vertraglichen) Erfüllungsgehilfenhaftung des § 1313a und der
• deliktischen Besorgungsgehilfenhaftung des § 1315 ABGB.
Zur grundsätzlichen Unterscheidung von Vertrags- und Deliktshaftung vgl → KAPITEL 6: Unterschied: Vertrags- und Deliktshaftung sowie → KAPITEL 9: Vertrags- und Deliktshaftung. – Zur Rolle der Erfüllungsgehilfenhaftung beim Streckenkauf → KAPITEL 7: Das Streckengeschäft als Sonderfall des § 1423 ABGB.
1. § 1313a ABGB: Erfüllungsgehilfenhaftung
Sie spielt insbesondere – wenn auch nicht ausschliesslich – bei vertraglicher und vertragsähnlicher (zB cic!) Beziehung zwischen Geschäftsherrn / Unternehmer und Geschädigtem (im folgenden Beispiel: dem Käufer eines Fernsehapparats), eine Rolle.
Gesetzestext des § 1313a ABGB: „Wer einem andern [insbesondere vertraglich] zu einer Leistung verpflichtet ist, haftet ihm für das Verschulden ... der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein eigenes.” – Die entsprechende Bestimmung des dtBGB ist § 278: „Der Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, in gleichem Umfange zu vertreten wie eigenes Verschulden. …“
Der Grundgedankedieser gesetzlichen Regelung ist folgender: Ein Vertragspartner soll nicht dadurch haftungsmäßig schlechter gestellt werden, wenn der andere Vertragsteil sich zum eigenen Vorteil eines Gehilfen bedient. Der Geschäftsherr zieht für sich Nutzen aus dem Gehilfenverhalten, daher soll er auch allfällige Nachteile, die aus fehlerhaftem Gehilfenverhalten entstehen, tragen; vgl das Rechtssprichwort: Guter Tropfen, böser Tropfen. – Anders gewendet: Nach dem Normzweck des § 1313a ABGB soll der, der den Vorteil der „Arbeitsteilung” genießt, auch das Risiko dafür tragen, dass statt ihm sein Gehilfe schuldhaft geschützte Interessen anderer – insbesondere des Vertragspartners / des Gläubigers – verletzt; SZ 67/101 (1994).
Grundgedanke
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 63/50 (1990): Mitwirkung eines Gehilfen (hier eines Immobilienmaklers) bei einem Umgehungsgeschäft nach dem MRG.
Vgl auch die idF wiedergegebene E des OGH: ZVR 1998/25: Nur händisches Anziehen der Radschraubenmuttern eines Kfz.
Es kommt dabei nach der Rspr darauf an, ob der Gehilfe die Schädigung im Rahmen der Interessenverfolgung des Unternehmers zugefügt hat. Der zur Erfüllung verpflichtete Schuldner haftet nämlich nicht für den von seinen Gehilfen nur gelegentlich der Erfüllung verschuldeten Schaden; vgl SZ 9/168 (1927): Transport eines Wanderzirkus oder SZ 48/107 (1975): Entfernung eines fremden Kfz. – Das gilt insbesondere auch für Delikte, die ein Erfüllungsgehilfe begeht, zumal ein Geschäftsherr nicht für alle Delikte seines Gehilfen zur Verantwortung gezogen werden kann.
Schädigung im Rahmen der Interessenverfolgung des Unternehmers
Rechtssprechungsbeispiel
ZVR 1988/71: Delikt eines Erfüllungsgehilfen – Angestellter stiehlt Wertgegenstände, die von seinem Arbeitgeber in Verwahrung genommen waren. Hier war die Haftung des Arbeitgebers zu bejahen.
OGH 30. 1. 2001, 1 Ob 64/00v, EvBl 2001/118: Eine Bankangestellte klärt eine Kundin über die Entwicklung ihres Wertpapierdepots bewusst falsch auf (in Wirklichkeit großer Wertverlust) und setzt diese Tätigkeit nach Wechsel zu einer anderen Bank unter „Mitnahme” der Kundin (die immer noch nichts wusste) fort. – OGH rechnet das Wissen der Angestellten (Vertreterin) der Bank nicht zu, lehnt aber den Verjährungseinwand der Bank uH auf § 1489 ABGB ab. (Der Leitsatz ist katastrophal, § 1313a ABGB wird neben anderen Fragen garnicht angesprochen!?)
Allgemein lässt sich sagen, dass ein Geschäftsherr dann für ein Delikt seines Erfüllungsgehilfen haftet, wenn dieses innerhalb des vom Geschäftsherrn vertraglich übernommenen Pflichtenkreises übernommen wird. Das zeigt der folgende Fall.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 57/196 (1985): Alkoholschmuggel eines LKW-Lenkers in ein isalmisches Land. Der Verstoß gegen die ausdrückliche Weisung des Geschäfttsherrn schließt die Haftung desselben nicht aus.
• Nach der Rspr gilt § 1313a ABGB nicht für die Erfüllung gesetzlicher Leistungs- oder Sorgfaltspflichten, die nur der Allgemeinheit gegenüber bestehen und nicht gegenüber bestimmten Personen; vgl EvBl 1974/109: Herabfallende Deckenleuchte in Geschäftslokal.
• Die Erfüllungsgehilfenhaftung gelangt danach aber auch auf schon entstandene gesetzliche (zB schadenersatzrechtliche) Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem zur Anwendung. – Anzuwenden ist unsere Bestimmung also auf jede Form einer konkreten rechtlichen Leistungspflicht, auch eine (nur) gesetzliche wie im Falle einer deliktischen (Schadenersatz)Beziehung; arg: „Wer einem andern zu einer Leistung verpflichtet ist, ...”; § 1313a ABGB.
• Der Geschäftsherr/Schuldner haftet auch für das Verschulden des mit seinem Einverständnis von seinem Erfüllungsgehilfen verwendeten weiteren Erfüllungsgehilfen; SZ 28/61 (1955): Erfüllungsgehilfe des Erfüllungsgehilfen oder SZ 50/100 (1977): Fotomodell wird bei Werbeaufnahmen schwer verletzt.
• § 1313a ABGB ist nach der Rspr aber nicht nur dann anzuwenden, wenn ein Erfüllungsgehilfe zur Erfüllung einer Hauptleistungspflicht herangezogen wurde, sondern auch wenn es um die Erfüllung von Nebenleistungspflichten geht.
Rechtssprechungsbeispiel
MietSlg 39.184 (1997), SZ 63/50 (1991) oder ZVR 1998/25: In dieser letzten E klärte der Mitarbeiter einer Tankstelle einen Kunden nicht darüber auf, dass bei einem bloß händischen Anziehen der Radschraubenmuttern eines Kfz nur eine vorläufige Sicherheit herzustellen ist und daher nach kurzer Fahrstrecke eine Überprüfung der Befestigungsstärke vorzunehmen ist. Der OGH erblickte darin die Verletzung einer nebenvertraglichen Verpflichtung und ließ den Tankstellenbetreiber für den Schaden haften, der aus dem sich durch das Lösen der Räder ergebenden Verkehrsunfall ergeben hatte. Jedoch Mitverschulden des Lenkers (§ 1304 ABGB).
Schutz- und Sorgfaltspflichten nach § 1313a ABGB bestehen nach der Rspr nicht nur zwischen den unmittelbaren Vertragspartnern, sondern auch gegenüber bestimmten dritten Personen, die zwar aus dem Vertrag nicht unmittelbar berechtigt sind, aber der vertraglichen Leistung nahe stehen. Diesem Personenkreis wird die Geltendmachung eines eigenen Schadenersatzanspruchs aus fremdem Vertrag zugebilligt; sog Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte → KAPITEL 9: Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 43/236 (1970): Zur Frage der Haftung eines Wirtschaftstreuhänders gegenüber einem Dritten (zB Bank) für die Richtigkeit einer von ihm erstellten vorläufigen Bilanz, aufgrund derer der Dritte dem Besteller der Bilanz Kredit gewährte.
EvBl 1993/97: Auch den Subunternehmer treffen gegenüber dem Besteller Schutz- und Sorgfaltspflichten und nicht nur den Hauptunternehmer.
SZ 59/189 (1986): Mieter schließt mit Professionisten einen Vertrag über Installationsarbeiten, durch den auch die übrigen Mieter des Hauses gegen Wasserschaden geschützt werden.
EvBl 1985/63: Gastaufnahmevertrag – Gast erleidet im Zimmer eines andern Gastes Schaden.
• Der Erfüllungsgehilfe selbst haftet (im Rahmen seiner Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe nach § 1313a ABGB) dem Geschädigten gegenüber nur deliktisch, wobei der Geschädigte nach § 1296 ABGB das (Gehilfen)Verschulden zu beweisen hat.
Diese Konstellation spielt bspw im Rahmen von Behandlungsverträgen mit Krankenanstalten eine praktisch bedeutsame Rolle; die Krankenanstalt bedient sich ihres Personals als Erfüllungsgehilfen → § 1313a ABGB: Erfüllungsgehilfenhaftung
Lieferanten / Zulieferer / Erzeuger (als Dritte der vertraglichen Beziehung) gelten nach hA nicht als Erfüllungsgehilfen des Verkäufers / Händlers in dessen (Vertrags)Verhältnis zB zum Käufer; SZ 54/116 (1981): Lkw-Kauf mit Anhängerkupplung. Der OGH lehnt in diesem Urteil (S. 567) ausdrücklich Reischauers (Der Entlastungsbeweis des Schuldners 249) gegenteilige Meinung ab. Hierin liegt eine klare Weichenstellung zugunsten der deliktisch konzipierten Produkthaftung → KAPITEL 7: Produkthaftung ¿ PHG 1988. – Rspr und Schrifttum lassen aber immer wieder eine überzeugende § 1313a-Linie vermissen; zB in der folgenden E JBl 1996, 183 mwH.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1996, 183: Schädlingsbekämpfung in Kükenbrüterei: Hier besteht zwischen Kükenlieferant (Verkäufer) und Drittem eine werkvertragliche Beziehung (und kein Kauf), was keinen Unterschied machen sollte. Der Werkvertrag des Kükenlieferanten mit einem Drittunternehmer beinhaltet die Sterilisierung der Bebrütungsanlage, die von Schaben befallen war. Die Behandlung dieses Drittunternehmers als Erfüllungsgehilfe (durch den OGH) erscheint zu weit hergeholt und macht den Anwendungsbereich des § 1313a ABGB unklar und unsicher. Inhaltlich besteht nämlich in einer solchen Konstellation kein beachtlicher Unterschied zu einem anderen Lieferanten; ja ein Lieferant steht der Leistungserbringung idR näher, als der hier auftretende Werkunternehmer, dessen Aufgabe nur darin bestand, die Betriebsanlage des Kükenverkäufers in Stand zu setzen, damit dieser seine „Produkte” mangelfrei herstellen konnte. – Durch ein solches Verständnis franst der Anwendungsbereich des § 1313a ABGB zu sehr aus und verliert immer mehr eine klare Kontur. Für die Lösung derartiger Fälle käme allenfalls ein Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte in Betracht; vgl SZ 53/168 (Flughafen Graz-Thalerhof) und JBl 1982, 95 (Inanspruchnahme eines Pannenhilfsdienstes) → KAPITEL 9: Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. – Vorzuziehen wäre hier die Anwendung der Werkvertragsregeln (verfehlter Erfolg!) gewesen.
• § 1313a ABGB lässt den Geschäftsherrn auch für seinen „gesetzlichen Vertreter” einstehen. Der gesetzliche Vertreter wird also einem Erfüllungsgehilfen gleichgestellt. Gesetzlicher Vertreter ist sowohl der unmittelbar gesetzlich bestellte Vertreter (zB Eltern), wie der mittelbar durch den Richter aufgrund des Gesetzes bestellte Vertreter; zB Sachwalter, Kurator, Vormund, Masseverwalter im Konkurs.
Das bedeutet, dass zB ein Kind für seine Eltern / einen Elternteil haftet, wenn diese/r im Rahmen eines Schuldverhältnisses für das Kind Erfüllungshandlungen setzt/en. Ebenso haftet ein Mündel für seinen Vormund oder eine unter Sachwalterschaft stehende Person für ihren Sachwalter. In diesen Fällen muss der Gedanke der Interessensverfolgung aber besonders streng geprüft werden. – Eine deliktische Haftung des Vertretenen (Geschäftsherrn) ist hier aber sinnvollerweise auszuschließen, weil dem Vertretenen kein Auswahlverschulden zur Last gelegt werden kann und das Deliktsrecht keine Stellvertretung kennt.
Der Geschäftsherr haftet für das Gehilfenverschulden ”wie für sein eigenes”. – Eine weitere Konsequenz der Anwendung des § 1313a ABGB liegt darin, dass die Anwendung dieser Norm idR die Umkehr der Beweislast (§ 1298 ABGB) nach sich zieht.
Konsequenzen
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1986/156: Beschädigt der Monteur eines Kücheneinrichtungsunternehmens beim Kunden durch das Abstellen seiner Arbeitstasche eine Wasserleitung, so haftet der Geschäftsherr (des Gehilfen) für den dem Werkbesteller daraus entstehenden Schaden gemäß § 1313a ABGB. Weitere Beispiele → Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10: „Fälle” – Reitunfall (JBl 1983, 255) und – Delikt eines Erfüllungsgehilfen: SZ 32/153 (1959).
Beispiel


Vertrags- und Deliktshaftung für Gehilfen
Abbildung 10.2:
Vertrags- und Deliktshaftung für Gehilfen
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2. § 1315 ABGB: Besorgungsgehilfenhaftung
Es handelt sich hier stets um eine Deliktshaftung, also eineHaftung ohne vertragliche oder vertragsähnliche Beziehung / Leistungsverpflichtung zwischen dem Geschäftsherrn des Gehilfen und dem Geschädigtem. Dies ist der Grund, warum der Geschäftsherr hier nicht im gleichen Ausmaß zur Haftung herangezogen wird, wie nach § 1313a ABGB. Vielmehr ist hier der Besorgungsgehilfe selbst primärer Haftungsadressat, denn er hat allgemeine deliktische Schutz- und Sorgfaltspflichten vernachlässigt; zB die StVO oder das StGB.
Die Haftung des Geschäftsherrn greift hier nur subsidiär in den vom Gesetz genannten Fällen, nämlich bei:
Geschäftsherrnhaftung „subsidiär“
Untüchtigkeit oder
wissentlicher Gefährlichkeit des Gehilfen.
§ 1315 ABGB
„Überhaupt haftet derjenige, welcher sich einer untüchtigen oder wissentlich einer gefährlichen Person zur Besorgung seiner Angelegenheiten bedient, für den Schaden, den sie in dieser Eigenschaft [also zB nicht als Privatperson!] einem Dritten zufügt.”
Die Untüchtigkeit oder Gefährlichkeit eines Besorgungsgehilfen hat der Geschädigte nach § 1296 ABGB zu beweisen, zumal es sich um eine deliktische Beziehung handelt, bei der die Beweislastumkehr des § 1298 nicht greift; EvBl 1965/256 oder SZ 48/110 (1975).
Beweislast
Zur Beweislastumkehr bei einer Schutzgesetzverletzung nach § 1311 Satz 2 ABGB sowie zum Anscheinsbeweis → KAPITEL 9: Der Anscheins- oder Prima Facie-Beweis:.
Der Geschäftsherr haftet für seinen Besorgungsgehilfen grundsätzlich nicht, sondern – stark eingeschränkt im Vergleich zu § 1313a ABGB – deliktisch nur dann für einen durch diesen verschuldeten Schaden, wenn der Gehilfe „untüchtig” oder „wissentlich gefährlich” ist. In dieser eingeschränkteren (Delikts)Haftung des Geschäftsherrn steckt der Vorwurf eines Auswahlverschuldens; culpa in eligendo.
Konsequenz
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 23/273 (1950): Einmalige Unachtsamkeit ist noch keine Untüchtigkeit. Eine Person, die zur gehörigen Besorgung der ihr übertragenen Angelegenheit nur unter Leitung und Überwachung fähig ist, ist ohne diese Überwachung als untüchtig anzusehen. – Am 1. Februar 1947 beauftragte die Hausverwaltung des Hauses Wien, XIX, D-Straße 61, den Beklagten, den Wassermesser, bzw die zu diesem führenden Wasserzuleitungsrohre, in welchen das Wasser eingefroren war, aufzutauen. Der Beklagte beauftragte mit der Durchführung dieser Arbeit den Lehrling Josef W. Die Klägerin, die im genannten Hause Geschäftslokalitäten gemietet hat, behauptet, dass Josef W. mit der Lötlampe so unvorsichtig verfahren sei, dass dadurch im Lokal der Klägerin entlang der Wand aufgestellte Bücher in Brand gesetzt wurden. Sie behauptet, dadurch einen Schaden in der Höhe von 14.265 S erlitten zu haben, den sie im Klagewege begehrt. – OGH bejahte die Haftung des Beklagten wegen dessen Versäumnis, seinen Lehrling entsprechend anzuleiten und zu überwachen.
SZ 41/47 (1968): Habituelle Untüchtigkeit eines Sprengmeisters. Kläger = Sozialversicherungsträger; Erstbeklagter = Ludwig L./ Angestellter des Zweitbeklagten; Zweitbeklagter= Sprengunternehmen. Am 21. August 1962 kam es auf dem H. Berg bei I. in T. zu einem Unfall, bei dem der Bäckermeister Josef E getötet und mehrere Personen verletzt wurden. E fuhr mit seinem Pkw auf den H. Berg, auf dem durch die zweitbeklagte Partei Sprengungen vorgenommen wurden. Zu diesen Sprengungen war der Erstbeklagte Ludwig L von der zweitbeklagten Partei angestellt worden, um den von ihr sonst beschäftigten Sprengmeister zu vertreten, der wegen Krankheit ausgefallen war. Bei der Sprengung wurde ein 6 ½ kg schwerer Stein auf die von E befahrene Straße geschleudert. Er durchschlug das Dach des Pkw. Dadurch wurde E getötet und der Kraftwagen stürzte 30 m tief ab. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt. Mit der vorliegenden Klage begehrte der Sozialversicherungsträger den Ersatz seiner Leistungen an die Hinterbliebenen des Josef E im bisherigen Umfang von 19.570 S und die Feststellung, dass die beiden Beklagten auch zum Ersatz seiner zukünftigen Leistungen verpflichtet seien. Die klagende Partei behauptete, dass der Erstbeklagte den Unfall grob fahrlässig verschuldet habe, weil er den Streubereich nicht ausreichend festgestellt und sich vor der Sprengung nicht überzeugt habe, dass dieser Bereich frei sei. Er habe auch dem Feuerposten keine genauen Anweisungen gegeben, wo er sich aufzustellen habe, und er habe schließlich auch die Sprenggrube nicht vorschriftsmäßig abgedeckt. Infolge seines Alters und seiner Gebrechlichkeit sei er für diese Tätigkeit überhaupt nicht geeignet gewesen und hätte diese ablehnen müssen. Beim Betrieb der zweitbeklagten Partei handle es sich im Zusammenhang mit den Sprengungen um einen gefährlichen Betrieb. Der Erstbeklagte sei als eine untüchtige Person anzusehen, für die die zweitbeklagte Partei hafte. Sie hätte den Erstbeklagten wegen seiner Gebrechen überhaupt nicht anstellen dürfen, da nach § 2 (1) Sprengarbeiten V, BGBl Nr 77/1955, für Sprengarbeiten nur hiezu geeignete Personen herangezogen werden dürfen. Der Erstbeklagte habe keinen Sprengschein besessen und sei der Behörde auch nicht gemeldet worden. ...”
Vgl. auch → Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10: „Fälle”: Bausperre: JBl 1987, 524.


Gehilfenhaftung (1)
Abbildung 10.3:
Gehilfenhaftung (1)


Gehilfenhaftung (2)
Abbildung 10.4:
Gehilfenhaftung (2)


Erfüllungsgehilfenhaftung
Abbildung 10.5:
Erfüllungsgehilfenhaftung


Besorgungsgehilfenhaftung
Abbildung 10.6:
Besorgungsgehilfenhaftung
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3. Gesetzlich geregelte „Gehilfenhaftungen”
Bestimmte Gehilfenhaftungen sind gesetzlich besonders geregelt. Zur Arbeitnehmerhaftung nach dem D(N)HG, AHG und OrgHG → KAPITEL 12: Arbeitnehmerhaftung iwS.
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II. Die Sachverständigenhaftung
Literaturquelle
1. Wer ist Sachverständiger?
Für wen gilt diese Haftung? – Die Sachverständigenhaftung des § 1299 ABGB gilt zB für: Ärzte, Krankenschwestern, Rechtsanwälte, Notare, Kreditinstitute (zB Anlageberaterhaftung), Steuerberater, Kaufleute, Gewerbetreibende, Baumeister, aber auch Tischler, überhaupt Handwerker, Spediteure, Masseure, Bergführer und WissenschaftlerInnen; kurz – nach dem Wortlaut des Gesetzes – für alle Personen, die „sich zu einem Amte, zu einer Kunst, zu einem Gewerbe oder Handwerke öffentlich” bekennen und deren „Ausführung eigene Kunstkenntnisse oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß” erfordern.
Von der zivilrechtlichen ist eine allenfalls dazu tretende strafrechtliche Haftung zu unterscheiden; vgl etwa: Widmaier, Haftung von Bankorganen. Die strafrechtliche Verantwortlichkeit der im Bankbereich tätigen Organe (2001). – Zur grundsätzlichen Trennung von Zivil- und Strafrecht → KAPITEL 9: Abgrenzung vom Strafrecht.
§ 1299 ABGB setzt grundsätzlich Entgeltlichkeit oder doch Eigennützigkeit der Sachverständigentätigkeit voraus, obwohl der Gesetzestext keine Bezugnahme auf eine Belohnung oder Entgeltlichkeit enthält. Diesen Mangel holt § 1300 Satz 1 ABGB nach – arg: „gegen Belohnung”, mag auch dessen Formulierung nicht optimal sein; arg: „ist auch dann [?] verantwortlich, wenn er ...”. – Die Gegenüberstellung in § 1300 Satz 1 und Satz 2 ABGB („Außer diesem Falle ...”) macht jedoch deutlich, was gemeint ist. In diesem Sinne ist die Abgrenzung zwischen § 1299 ABGB (grundsätzliche Entgeltlichkeit) und § 1300 Satz 2 ABGB (Unentgeltlichkeit oder iSd OGH „Selbstlosigkeit”) zu treffen.
Entgeltlichkeit
Zum Einbeziehen professioneller Beratung oder Schiedstätigkeit auch bei bloß mittelbarer Entgeltsbeziehung → § 1300 ABGB: Unentgeltliche Raterteilung
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 15/121 (1933): Haftung eines Rechtsanwaltes für aussichtslose Prozessführung nach § 1299 ABGB – Einlieferung der Klägerin durch ihre Verwandten in die Heilanstalt Steinhof.
SZ 50/98 (1977): Ein gerichtlich bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet den Prozessparteien für die Folgen dieses Versehens nach § 1299 ABGB.
JBl 1985, 677: Ein Notar, der auftragswidrig die hypothekarische Belastung der Kaufliegenschaft unrichtig feststellt, hat keinen Honoraranspruch und haftet überdies für den dem Käufer daraus entstandenen Schaden nach § 1299 ABGB.
JBl 1986, 313: Den Betreiber eines Campingplatzes trifft auch bei Erfüllung vertraglicher Nebenpflichten, wie seiner Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber den Campingplatzmietern, die erhöhte Diligenzpflicht nach § 1299 ABGB. – Sachverhalt: Die beklagte Gemeinde betreibt in P, den in ihrem Eigentum stehenden Campingplatz. Auf dem Areal des Campingplatzes befinden sich Pappeln. Der Kläger hat auf diesem Campingplatz auf Grund einer Vereinbarung mit der Beklagten als Dauermieter seinen Wohnwagen abgestellt. Am 4.7.1982 wurden der Wohnwagen und das Vorzelt des Klägers durch einen im Verlauf eines Regensturms von einem Pappelbaum herabstürzenden Ast beschädigt. Der Kläger begehrt Schadenersatz. Er brachte im wesentlichen vor, es sei für die Beklagte vorhersehbar gewesen, dass der Baum, von dem später die Äste abgebrochen seien, einem starken Wind bzw Sturm, wie er am N.-See öfter vorkomme, nicht standhalten werde. Die Beklagte habe es insbesondere unterlassen, spätestens nach einem zwei Jahre zurückliegenden Vorfall, bei dem gleichfalls durch herabstürzende Äste Schäden verursacht worden seien, einen Fachmann mit der Durchforstung der Pappeln zu beauftragen. – Dem Klagebegehren wurde stattgegeben.
WBl 1989, 280: Haftung des Wirtschaftstreuhänders für falsche gesellschaftsrechtliche Beratung. § 1299 ABGB; §§ 39, 50 GmbHG: Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder sind Sachverständige iSd § 1299 ABGB. Nach dieser Bestimmung gilt für die von einem Sachverständigen geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse ein objektiver Maßstab. Einem Sachverständigen ist daher auch dann ein Schuldvorwurf zu machen, wenn es ihm an den erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnissen mangelte.
Vgl auch den unter → Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10: „Fälle” abgedruckten „Tierarztfall” sowie JBl 1982, 95: Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter – Automobilklub → KAPITEL 9: Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
SZ 69/ II 189 (1996): Von einem Fachgeschäft falsch eingestellte Schibindung;
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 51/55 (1978): Ein Bewirtungsvertrag endet nicht schon mit der Konsumation und Bezahlung des Gastes, sondern erst mit der Beendigung des Naheverhältnisses. Gastwirte werden von der Rspr auch als Sachverständige zur Behandlung von Betrunkenen betrachtet (§ 1299 ABGB) und haften dabei auch für ihr Personal nach § 1313a ABGB.
OGH 28. 3. 2002, 8 Ob 246/01m, JBl 2002, 583: Bank gewährt einer GmbH einen Kredit. Die Sicherungsübereignung eines Firmen-Lkw kommt mangels wirklicher Übergabe (lediglich die Kfz-Papiere wurden bei der Bank deponiert) nicht gültig zustande. Über die GmbH wird idF der Konkurs eröffnet. Eine GmbH&Co KG will den Lkw kaufen und wendet sich an die Bank als vermeintliche Eigentümerin. Diese bestätigt die Sicherungsübereignung und erklärt sich mit dem Verkauf einverstanden – Gegen Bezahlung von 100.000 DM werden dem Geschäftsführer die Fahrzeugpapiere und der Lkw ausgehändigt. Der Masseverwalter wusste von all dem nichts und klagt idF die GmbH & Co KG auf Herausgabe des Fahrzeugs. Diese verliert den Prozess und klagt die Bank auf Schadenersatz. – OGH: Eine Rat oder Auskunft nicht selbstlos erteilende Bank haftet (§§ 1299, 1300 ABGB) auch bei Fahrlässigkeit. Bei dieser Haftung ist es gerade nicht Voraussetzung, dass eine Vertragsbeziehung besteht; unabhängig davon wird auch für reine Vermögensschäden gehaftet.
OGH 11. 2. 2002, 7 Ob 316/01y, JBl 2002, 585: Ein Nachbar wird wegen eines Wasserschadens auf Schadenersatz geklagt; sein Rechtsanwalt nimmt auf das Mitverschulden zweier weiterer Personen nicht Bezug. – OGH: Ein Rechtsanwalt, der seinen auf Schadenersatz in Anspruch genommenen Klienten nicht darüber belehrt, dass ein Mitverschuldenseinwand ratsam und zweckmäßig sei, wird schadenersatzpflichtig; § 1299 ABGB. Die vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten des Anwalts gegenüber seinem Mandanten erstrecken sich auch auf dessen Haftpflichtversicherer. Die Einbeziehung des Versicherers in den vertraglichen Schutzbereich folgt auch aus der Schadensminderungspflicht nach § 62 Abs 1 VersVG.
OGH 19. 12. 2001, 3 Ob 211/01b, JBl 2002, 378: Der Verkäufer einer Liegenschaft behält sich eine Dienstbarkeit vor. Der Rechtsanwalt des Käufers unterlässt als Vertragsverfasser die unverzügliche Eintragung einer Servitut im ersten Rang. Der Käufer nimmt idF einen Kredit auf und diese Belastung wird im ersten Rang eingetragen. – OGH: Ein Notar oder Rechtsanwalt, der bei der Errichtung und Abwicklung eines Kaufvertrags für beide Vertragspartner tätig war, hat die Interessen beider Teile wahrzunehmen, selbst wenn er nur der Bevollmächtigte eines Teils ist. (Manches bleibt hier offen:, Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter etc.)
OGH 13. 5. 2000, 1 Ob 79/00z, SZ 73/96: Der Kläger (Rechtsanwalt) erwirbt in einem Zwangsversteigerungsverfahren eine Eigentumswohnung. Der Beklagte hatte im Exekutionsverfahren als gerichtlich bestellter Sachverständiger die Bewertung des Objekts zu erstatten. Er besichtigte die Wohnung nur ungenügend und übersah eine Änderungsparifizierung, sodass er seinem Gutachten eine Wohnfläche von 100 m2 statt 70 m2 zugrunde legte. – OGH: Der gerichtlich bestellte Sachverständige haftet dem Ersteher in der Liegenschaftszwangsversteigerung für die unrichtige Bewertung des Exekutionsobjekts nach § 1299 ABGB. Ablehnung der früheren Rspr (zuletzt SZ 60/2), nach der solche Fälle über das AHG gelöst wurden. Allerdings nimmt der OGH auf Grund des erhöhten Sorgfaltsmaßstabs eines Rechtsanwalts Mitverschulden an; § 1304 ABGB.
§ 1299 ABGB statuiert eine Verschuldenshaftung, aber eine besonderer Art. Das Gesetz verlangt von Sachverständigen nämlich „einen nicht gewöhnlichen Fleiß” und „die erforderlichen, nicht gewöhnlichen, Kenntnisse”. Angelegt wird dabei ein objektiver Maßstab; dh als normative Messlatte dienen Wissen, Fertigkeiten, Kenntnisse oder Sorgfalt, die ein Sachverständiger, sei er Tischler, Rechtsanwalt, Arzt, Steuerberater, Rauchfangkehrer oder Schilehrer zu haben hat! – Es geht hier um objektives Verschulden iSv Sorgfalts- und Wissensstandards. Die Haftung des § 1299 ABGB als objektivierte Verschuldenshaftung „greift” aber ebenso bereits ab leichter Fahrlässigkeit; sog omnis culpa-Haftung. Ein Arzt oder Rechtsanwalt können sich nicht dadurch entschuldigen / exkulpieren, dass ihnen gewisse Kenntnisse ohne persönliches Verschulden gefehlt haben. Sie haben zu vertreten, was „ein” Arzt (iSv „jeder” Arzt) oder Rechtsanwalt zu wissen haben.
Verschuldenshaftung
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 10. 7. 2001, 4 Ob 56/01s, EvBl 2002/4: Hausbesitzer lässt im März Kaminkehrung durchführen. Als es 2 Wochen später zu einem Kaminbrand wegen Verpechung kommt, weist der Kaminkehrer jede Schuld von sich. – OGH: Für Kaminbrände infolge einer Verpechung hat der Rauchfangkehrer, der beauftragt ist, regelmäßig den Rauchfang zu kehren und zu überwachen, grundsätzlich zu haften. (Hiermit wird ein Standard gesetzt!) Nur ganz außergewöhnliche Umstände könnten ausnahmsweise die Schuldlosigkeit des Rauchfangkehrers (oder seines Erfüllungsgehilfen) iSd § 1298 ABGB begründen. – Außer Acht bleibt in der E der Lösungsansatz über den zugrunde liegenden Werkvertrag, bei dem ein „Erfolg” zu erbringen war.
Fehlt es an „diesen” – dh den nötigen – Kenntnissen etc „muss daher [der Sachverständige] den Mangel derselben vertreten”; mit anderen Worten: der Sachverständige haftet für den eingetretenen Schaden.
Rechtsfolge
§ 1299 ABGB letzter Satz statuiert einen Fall von Mitverschulden des Geschädigten; vgl Zeillers Kommentierung: Motto vor diesem Kapitel.
Obwohl zwischen dem Sachverständigen und dem Geschädigten idR eine vertragliche Beziehung besteht, und daher die Beweislastregel des § 1298 ABGB anzuwenden wäre, verlangt die hRspr in manchen Fällen vom Geschädigten, dass er die Verletzung der jeweiligen lex artis – also des jeweiligen Wissens- oder Sorgfaltsstandards – zu beweisen habe. Das bedeutet, dass trotzt bestehender vertraglicher Beziehung § 1296 ABGB zur Anwendung gelangt; Beispiel einer interpretatio contra legem → KAPITEL 11: § 6 ABGB: Instrumente der Gesetzesauslegung. Die dafür eingebrachten Argumente überzeugen aber nicht, weshalb diese Rspr-Position (, die von einem Teil des Schrifttums – etwa Reischauer – gutgeheißen wird) abzulehnen ist. Diese Rspr-Position spielt in der Praxis im Bereich der Medizinhaftung eine wichtige, wenngleich unerfreuliche Rolle → Medizinhaftung – Beweislast
Beweislast
Literaturquelle
Vgl auch meinen Gesetzesentwurf eines Medizinhaftungsgesetzes/MedHG: http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/mitarbeiter/barta/index.html
Rechtssprechungsbeispiel
Eine typische Formulierung des zur Zeit vom OGH für § 1299 ABGB favorisierten Beweislastverständnisses contra legem findet sich in JBl 1996, 181 (182), wo es heißt: „Den Beweis des Vorliegens eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität in bezug auf den eingetretenen Schaden hat im Sinne der allgemeinen Schadenersatzregeln [?] grundsätzlich der Patient zu führen (Reischauer in Rummel, ABGB2 Rz 26 zu § 1298)”. Der OGH hält allerdings zur Erbringung des Kausalitätsbeweises bei Behandlungsfehlern, wegen der Schwierigkeit der Erbringung exakter Beweise, den Anscheins- oder Prima-facie-Beweis (→ KAPITEL 9: Der Anscheins- oder Prima Facie-Beweis:) für ausreichend, was eine gewisse Abhilfe schafft; vgl SZ 63/90 (1990): Schwere Diagnose-, Operations- und Nachbehandlungsfehler an einem 5jährigen Buben sowie JBl 1993, 316 mwH; JBl 1994, 540 und JBl 1996, 181 und JBl 1999, 246: Nierenversagen.
Anders dagegen: OGH 9. 4. 2002, EvBl 2002/144: Patient erleidet Hirnstamminfarkt und behauptet, dieser sei durch eine chiropraktische Behandlung des Arztes an seiner Halswirbelsäule (im Zuge der Untersuchung von Rückenschmerzen nach einem Schiunfall) entstanden. Im Schadenersatzprozess leugnet der Arzt, eine solche Behandlung überhaupt vorgenommen zu haben, worauf der Kläger seinem Anwalt die Weisung erteilt, vom Arzt die Vorlage der Behandlungsdokumente zu verlangen, was der Anwalt aber nicht tut. – OGH: Rechtsanwalt hat keinen Honoraranspurch, wenn dessen Mandant beweist, dass und aus welchen Gründen die Leistung wertlos ist. Dies gilt auch für den Fall, dass der Anwalt eine für den Prozessausgang wesentliche Weisung nicht befolgt hat, sofern der Rechtsanwalt nicht beweisen kann, dass sein weisungswidriges Handeln für den Prozesserfolg unschädlich war; Beweislastumkehr (§ 1298 ABGB). – Weitere angesprochene Problembereiche: Inhalt der Auftragsbeziehung nach § 1009 ABGB („emsig und redlich”), Sachverständigenhaftung des Rechtsanwalts (§ 1299 ABGB)
Auch auf Alpinunfälle, denen eine vertragliche und entgeltliche Beziehung zugrunde liegt, wie sie zwischen Berg- und Schiführern oder Schilehrern und ihren Vertragspartnern besteht, ist § 1299 ABGB voll anzuwenden. – Die Personen haften danach aus Vertrag für omnis culpa, also ab leichter Fahrlässigkeit für die Verletzung von Sorgfalts- und Wissensstandards sowie von Schutzpflichten ihrer Berufsgruppe.
Haftung bei Bergunfällen
Eine Freizeichnung (→ KAPITEL 9: Verschulden (culpa)) wird angesichts des bestehenden Vertrauensverhältnisses und der übernommenen Verantwortung nur in seltenen Fällen zulässig sein.
Der OGH hat jedoch im Piz Buin-Urteil (30.10.1998, 1 Ob 293/98i – JBl 2000, 305) § 1299 ABGB auch auf den Tourenführer aus Gefälligkeit und den sog faktischen Führer angewandt, mögen diese auch unentgeltlich tätig geworden sein.
Piz Buin-Urteil
Die Frage einer rechtsgeschäftlichen Beziehung wurde vom OGH offen gelassen, von Stabentheiner dagegen bejaht, was abzulehnen ist.
Die Meinung des OGH beruht mE auf einer noch unausgereiften und in concreto nicht erkannten – aber nötigen – Abgrenzung zwischen der Sachverständigenhaftung des § 1299 ABGB und der bislang zivilrechtlich völlig unentwickelten Haftung aus einer Garantenstellung → Zur Haftung aus einer Garantenstellung
Leitsatz zu JBl 2000, 305: Zur Haftung des alpinistisch Überlegenen für einen Bergunfall seines Berggefährten auf Grund einer Führerrolle (§§ 1295, 1299, 1311 ABGB): An den Tourenführer aus Gefälligkeit und an den faktischen Führer darf zwar nicht der gleiche Sorgfaltsmaßstab wie an einen professionellen erwerbsmäßig tätigen Bergführer angelegt werden; doch muss von ihm jene Sorgfalt verlangt werden, wie sie einem ihm vergleichbaren Alpinisten bei der Führung und Begleitung von Tourengruppen objektiv zuzumuten ist.
Literaturquelle
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2. § 1300 ABGB: Unentgeltliche Raterteilung
Oben wurde bereits auf die legistisch nicht voll gelungene Abgrenzung der §§ 1299 und 1300 ABGB eingegangen. Die folgenden Ausführungen beschränken sich auf § 1300 ABGB.
Er stellt in Bezug auf § 1299 ABGB noch einmal klar, dass Sachverständige für nachteiligen Rat bei jedem Verschulden, also ab leichter Fahrlässigkeit haften, wenn sie „gegen Belohnung in Angelegenheiten [ihrer] Kunst oder Wissenschaft” tätig werden.
Satz 1
§ 1300 ABGB formuliert einen eigenen – von Satz 1 unabhängigenHaftungstatbestand:
Satz 2
„Außer diesem Fall [gemeint ist eine entgeltliche Tätigkeit nach § 1299 ABGB] haftet ein Ratgeber nur für den Schaden, welchen er wissentlich durch Erteilung des Rates dem andern gegeben hat.”
Es kommt also nach Satz 2 zu einer gravierenden Haftungsminderung, wenn Rat oder Auskunft:
Haftungsreduktion
außerhalb der beruflichen Tätigkeit und
unentgeltlich erteilt werden.
Eine professionelle Beratung oder Schiedstätigkeit löst demnach eine Haftung nach § 1299 ABGB auch dann aus, wenn nur eine mittelbare Entgeltsbeziehung besteht, wie dies bei der Mitgliedschaft in Autofahrerclubs, Vereinen zur Rechtsberatung oder den Schiedsstellen der Ärztekammer der Fall ist. Der OGH wendet § 1299 ABGB nur bei „selbstloser” Raterteilung oder Auskunft nicht an (JBl 1995, 588; gleich unten), womit im wesentlichen Unentgeltlichkeit gemeint ist. Die Abgrenzungsfragen scheinen noch nicht völlig ausgereift. – Rechtsberatung ist eine wichtige Aufgabe der Zukunft, die bislang eher unterschätzt wird. Sie verdiente es judikativ unterstützt und nicht haftungsmäßig unterlaufen zu werden!
Beratung oder Schiedstätigkeit
Literaturquelle
Rechtssprechungsbeispiel
Einen interessanten Sachverhalt zur Abgrenzung der §§ 1299 und 1300 ABGB beinhaltet JBl 1995, 588: Eine Schiedsstelle der Ärztekammer, an die sich eine Patientin wegen eines Behandlungsfehlers wandte, unterließ es, die Patientin auf die drohende Verjährung aufmerksam zu machen. – Leitsatz: Schiedsstelle der Ärztekammer – Haftung für unterlassene Belehrung: §§ 1299 und 1300 ABGB; § 1 AHG: Die Schiedsstellen der Ärztekammern sind nicht in einem Tätigkeitsbereich aktiv, der mit Befehls- und Zwangsgewalt ausgestattet ist, und sind auch nicht gesetzlich ermächtigt, aus öffentlichem Interesse ein bestimmtes Verhalten ihrer Mitglieder oder der betroffenen Patienten im Rahmen des Schiedsverfahrens erzwingen zu können. Aus dem Handeln oder Unterlassen der Schiedsstellen sind daher keine Ansprüche iSd § 1 AHG abzuleiten. (Zum AHG → KAPITEL 12: Die Amtshaftung ¿ AHG 1948.) – Nur wer „selbstlos” einen Rat oder eine Auskunft erteilt, kann nach § 1300 Satz 2 ABGB von der Haftung befreit sein. Das trifft auf die Schiedsstellen der Ärztekammern nicht zu. Die Schiedsstelle hat daher einen Patienten, der sich wegen eines Behandlungsfehlers an sie wendet, auf die drohende Verjährung seiner Ansprüche hinzuweisen.
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3. Zur Haftung aus einer Garantenstellung
Vgl schon oben → Wer ist Sachverständiger?: am Ende des Piz Buin-Urteils.
Rechtsnormen sind entweder Verbots- oder Gebotsnormen. Verstöße gegen Verbotsnormen erfolgen dadurch, dass getan wird, was zu tun untersagt war. Bei Gebotsnormen liegt der Normverstoß im Unterlassen gebotenen Tuns. – Das spielt eine wichtige Rolle bei den Unterlassungsdelikten, insbesondere denen des Strafrechts, die voraussetzen, dass gegen eine Gebotsnorm verstoßen wird.
Unterlassungsdelikte
Vgl § 2 StGB (Begehung durch Unterlassung): „Bedroht das Gesetz die Herbeiführung eines Erfolges mit Strafe, so ist auch strafbar, wer es unterlässt, ihn abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im besonderen treffenden Verpflichtung durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist und die Unterlassung der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes durch ein Tun gleichzuhalten ist.”
§ 2 StGB
Die Rechtsfigur der Haftung aus einer Garantenstellung für das Unterlassen gebotener Sorgfaltspflichten iwS wurde im Strafrecht entwickelt. – Sorgfalts- und Wissensstandards spielen aber auch in zivilrechtlichen Tatbeständen insbesondere auch im Rahmen der §§ 1299, 1300 ABGB eine wichtige Rolle. Aber es bestehen auch Unterschiede zum Strafrecht.
Sorgfalts- und Wissensstandards
Zur Strafbarkeit nach § 2 StGB ist es erforderlich, dass eine bestehende Pflicht zur Erfolgsabwendung – die sog Garantenpflicht – verletzt wurde. Rechtswidrig nach dieser Gesetzesstelle handelt aber nur der, den eine von der Rechtsordnung statuierte besondere Pflicht trifft und diese unterlassen wird. Eine solche Erfolgsabwendungspflicht oder Garantenstellung kann aus Vertrag, Gesetz oder Ingerenz (iSv vorangegangenem eigenem Verhalten, das idF zum Handeln verpflichtet → KAPITEL 6: Das Ingerenzprinzip) abgeleitet werden.
Strafrecht und Garantenstellung
Mehr zu den strafrechtlichen Unterlassungsdelikten sowie zur Garantenstellung und Garantenpflicht bei H. Fuchs, Österreichisches Strafrecht. AllgT I 57, 314 ff (20004).
Auch das Zivilrecht kennt derartige aus Vertrag, Gesetz oder Ingerenz abgeleitete Erfolgsabwendungs- oder Garantenpflichten, ohne meist terminologisch von einer Garantenstellung zu sprechen; vgl nur die teils schon alten Erfolgsabwendungspflichten im Kleid von Obsorge- und Sicherungspflichten udgl der §§ 866, 1309, 1318, 1319, 1319a, 1320 ABGB. Vgl insbesondere auch das gesetzliche Schuldverhältniss cic, für das es charakteristisch ist, dass sich der – auch nur mögliche – Vertrags- oder Verhandlungspartner (→ KAPITEL 6: Cic als gesetzliches Schuldverhältnis) in einer Lage besonderer Schutz- und Vertrauensbedürftigkeit befindet. Die cic umfasst – mittlerweile – auch den Bereich der Verkehrssicherungspflichten im Vorfeld möglicher rechtsgeschäftlicher Beziehungen. Verkehrssicherungspflichten können auch als Erfolgsabwendungs- oder Garantenpflichten verstanden werden. – § 1299 ABGB geht aber im Vergleich dazu über eine bloße Erfolgsabwendungs- oder Garantenstellung hinaus und umfasst – primär – vertragliche Sorgfaltspflichten in einem – wenn auch da und dort gelockerten – entgeltlichen Kontext.
Zivilrecht
Besondere gesetzliche oder vertragliche Erfolgsabwendungs- iSv Obhuts-, Obsorge- oder Sicherungspflichten, die im Zivil- wie im Strafrecht zu einer Garantenstellung führen, sind typischerweise anzunehmen bei besonderen Gefahrengemeinschaften, wie bei Berg- oder Schitouren, aber auch zwischen Eltern und Kindern (und vice versa), Ehegatten oder sonstigen Betreuungsverhältnissen. – Im Zivilrecht sind diese Bereiche vornehmlich gesetzlich geregelt, weshalb hier das dogmatische Bedürfnis, die „Garantenstellung” zu bemühen, geringer war und auch naheliegende Fragen bisher nur unzureichend reflektiert wurden. – Die Berg- und Alpinunfälle lehren uns jedoch, dass wir es dabei nicht bewenden lassen können.
Gefahrengemeinschaften + Betreuungsverhältnissen
Das eben erwähnte Piz Buin-Urteil und seine in der Begründung zu Tage tretende unbefriedigende und unvollständige dogmatische Bearbeitung durch den OGH und Stabentheiner, hat aber deutlich gemacht, dass eine unreflektierte, undifferenzierte und/oder nicht als solche kenntlich gemachte Übernahme vornehmlich strafrechtlicher Rechtsfiguren – eben der Garantenstellung – ins Zivilrecht, Probleme schafft.
Piz Buin-Urteil
Das führt bei Stabentheiner ua dazu, dass er zwar das hier völlig unergiebige und vom OGH gar nicht angesprochene bewegliche System Wilburgs beschwört, eine gründliche Auseinandersetzung mit den einschlägigen Zivilrechtsnormen und –fragen aber ebenso unterbleibt, wie die Reflexion ihrer Herkunft aus dem Strafrecht. Die konkret nötige Abgrenzung der §§ 1299 und 1300 ABGB bleibt ebenfalls unerwähnt. Dazu kommt, dass die uneingeschränkte Subsumtion der Haftung aus einer Garantenstellung unter die Sachverständigenhaftung des § 1299 ABGB problematisch ist, zumal diese zivilrechtliche Haftungsnorm durch ihren objektivierten / standardisierten Verschuldensmaßstab Besonderheiten aufweist, die dem Strafrecht fremd sind und auch auf Fälle wie den vorliegenden nicht so recht passen. – Vor einer „schlampigen” Herübernahme (Analogie?) der Haftung aus Garantenstellung vom Strafrecht ins Zivilrecht muss daher gewarnt werden.
Gegenüber den Ausführungen des OGH und Stabentheiners zum Piz Buin-Fall muss daher betont werden, dass es sich bei der Haftung aus einer Garantenstellung – dieser Begriff sollte künftig auch im Zivilrecht verwendet werden (!), um eine Verschuldenshaftung handelt, wobei festzuhalten ist:
• Die Situation, aus der (heraus) eine Garantenstellung entsteht, kann vom Garanten selbst verschuldet oder unverschuldet eingetreten oder durch Ingerenz herbeigeführt worden sein;
• und das zurechenbare Verschulden, das eine Haftung auslöst, rührt daher, dass der Garant in einer von ihm – wie auch immer – (mit)geschaffenen und ihm daher (bis zu einem gewissen Grad) zurechenbaren Situation seinen Erfolgsabwendungspflichten (iSv Schutz-, Sorgfalts-, Aufklärungs- oder Aufsichtspflichten) nicht nachgekommen ist, wofür grundsätzlich leichte Fahrlässigkeit genügt.
Hier wurden Klarstellungen versäumt; wozu kommt, dass Garantenstellung (samt daraus folgender Haftung) und gesetzliche Sachverständigenhaftung nicht völlig identifiziert werden sollten, weil sie aus unterschiedlichen Zurechnungsquellen stammen. Hier erscheint die Herkunft dieser Lehre für das Verständnis hilfreich; beinhalten doch Garantenpflichten typische Sorgfaltspflichten, auf die der Anwendungsbereich des § 1299 ABGB aber nicht reduziert werden kann, mag auch er sie kennen. Das wurde nicht klar genug gesehen. Trennt man diese Haftungsbereiche (nämlich Sachverständigen- und Garantenhaftung), bedarf es für die Garantenhaftung auch nicht der Abgrenzung der §§ 1299 und 1300 ABGB voneinander. – Ein anderer Unterschied der Haftung nach § 1299 ABGB und einer (strafrechtlichen wie zivilrechtlichen) Haftung aus einer Garantenstellung ist – wie erwähnt – der nicht idente Verschuldensmaßstab. Denn für die zivilrechtliche Garantenhaftung ist – wie im Strafrecht – nicht unbedingt ein objektivierter Verschuldensmaßstab, sondern nur ein subjektives Verschulden des Schädigers anzunehmen. (Das schließt mE nicht generell aus, dennoch gewisse Gemeinsamkeiten anzunehmen, zumal Überschneidungen zwischen Sachverständigen- und Garantenhaftung zumindestens bestehen können.) – Eine sinnvolle Differenzierung kann dies herausarbeiten.
Klarstellungen nötig
Zu überlegen wäre ferner, wie weit die Parallelität der Haftung aus Garantenstellung mit der Haftung aus cic gehen sollte: Haftung wie bei der cic schon ab leichter Fahrlässigkeit? Und Haftung bloß für den Vertrauensschaden? Annahme eines gesetzlichen Schuldverhältnisses? Usw. – Angesichts des Piz-Buin-Falls, der uns zeigt, dass wir es hier weder mit einer rechtsgeschäftlichen, noch künftige Rechtsgeschäfte vorbereitenden und grundsätzlich auch keiner entgeltlichen Situation zu tun haben, plädiere ich dafür bei einer künftigen Entwicklung dieser neuen Rechtsfigur, keine vollständige Parallelität zur cic-Haftung anzustreben, sondern – dem Entlastungsgedanken der ersten Unklarheitenregel des § 915 ABGB folgend – „eher die geringere als die schwerere Last” aufzuerlegen. Das würde die dogmatische Behandlung solcher Fälle auch besser in Einklang mit dem Rechtsgefühl des Volkes bringen, was mit dem Piz Buin-Urteil nicht gelungen ist. Überzogene Haftungen wirken auch nicht präventiv.
Parallelität mit der Haftung aus cic?
Zu denken wäre daher an eine Haftungsreduktion – normmäßig angesiedelt in der „Mitte” zwischen § 1299 und § 1300 ABGB – auf grobe Fahrlässigkeit, zumal dies Konstellationen wie dem Piz-Buin-Fall, gerechter wird. (ME wäre im Piz-Buin-Fall grobe Fahrlässigkeit des faktischen Tourenführers und daher ein Haftung anzunehmen gewesen.)
Der Lösungsweg könnte daher über eine die Besonderheiten solcher Fälle angemessen berücksichtigende Rechtsanalogie führen, in welche wertungsmäßig neben den §§ 1299, 1300 ABGB auch die allgemeinen Grundsätze der Verschuldenshaftung (§§ 1295, 1306 ABGB) und teilweise auch jene Normen einzubringen wären, die das Konzept der cic tragen → KAPITEL 6: Cic: Geschöpf der Rechtsanalogie. – Ob bei einer Haftung aus einer Garantenstellung nur für den Vertrauensschaden oder ganz allgemein für Schadenersatz einzustehen ist, sollte noch geprüft werden. Angemessener erschiene mir eine Annäherung an die cic. Als eine der Deliktshaftung nahe stehende Haftung wäre die Haftung aus einer Garantenstellung auch beweislastmäßig behutsam und nicht überzogen auszugestalten und auch hier keine Gleichstellung mit der cic anzustreben; daher sollte eher § 1296 als § 1298 ABGB zur Anwendung kommen. Inwieweit wegen des Bestehens allgemeiner oder spezifischer gesetzlicher (Unterlassungs)Pflichten § 1313a ABGB zur Anwendung zu gelangen hätte, wäre im Einzelfall zu prüfen. Eine generelle Anwendung erschiene mir ebenfalls als zu weit gehend.
Rechtsanalogie
Insgesamt lässt sich sagen, dass die Rechtsfigur einer zivilrechtlichen Haftung aus einer Garantenstellung, eigene Konturen gewinnen könnte und wohl auch sollte. Ein wertungsmäßiges Heranrücken an die wichtigen Vorarbeiten des Strafrechts erscheint dabei, wo immer möglich, sinnvoll. Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung sollte nicht nur in juristischen Lehrbüchern eine Rolle spielen. – Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass die neu zu gestaltende Rechtsfigur auch dem Rechtsempfinden der Menschen ebenso gerecht werden sollte, wie den Aufgaben des zivilen Haftungsrechts. Das spricht für eine moderate(re) Haftung, was bislang nicht hinreichend bedacht wurde.
Resümee
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III. Aufsichtspflichtverletzung
Zum besseren Verständnis des § 1309 ABGB sollte sein Umfeld, die §§ 1307–1310 ABGB, in einem Zug gelesen werden, zumal die §§ 1309 und 1310 ABGB auf den Vorbestimmungen aufbauen.
1. § 1309 ABGB
„Außer diesem Falle [sc des § 1308 ABGB] gebührt ihm [sc dem Geschädigten] der Ersatz von denjenigen Personen, denen der Schade wegen Vernachlässigung der ihnen über solche Personen anvertrauten Obsorge beigemessen werden kann.” (§ 1309 ABGB)
Praktische Fälle betreffen das schuldhafte Verletzen der Aufsichtspflicht über (Klein)Kinder, Schüler oder andere (anvertraute) insbesondere minderjährige Personen; zB in Kindergärten, Horten, Ferienlagern, Schulen. – Das Gesetz spricht von „Vernachlässigung der ihnen über solche Personen anvertrauten Obsorge”, knüpft die Haftungsfolgen also an das Unterlassen einer bestehenden Pflicht.
Obsorge
Zur Verwendung des Obsorge-Begriffs beim Verwahrungsvertrag (§ 957 ABGB) → KAPITEL 3: Verwahrerpflichten. Das dtBGB enthält in § 832 eine „analoge” Bestimmung. Das ALR (I 14 § 9) kennt den Begriff der Obsorge noch nicht, sondern spricht aber ähnlich von „aufbehalten” und „Aufbewahrung”.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 325: Entweichenlassen eines gefährlichen Geisteskranken aus einem psychiatrischen Krankenhaus.
Der Gesetzestext umfasst sowohl kraft Gesetzes bestehende Aufsichts- oder Obsorgepflichten – wie solche der Eltern oder der Schule, als auch vertraglich übernommene, wie in Kindergärten, Privatschulen oder Internaten.
Obsorgepflichten aus Vertrag und kraft Gesetzes
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1968/379: Die „Aufsichtspflicht kann auf einem Rechtsgeschäft beruhen, sie kann sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben” → Fälle aus dem Alltag und Rspr-Beispiele
Eltern, überhaupt Aufsichtspflichtige, haften danach prinzipiell nicht, sondern nur dann für das schadensstiftende Handeln ihrer Kinder, wenn sie
Grundsatz
schuldhaft
• ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben.
Es kommt auf diese Akzentsetzung an! Der gesetzliche Grundsatz wird nämlich immer wieder missverstanden und falsch dargestellt. – Die Rspr handhabt diese Norm lebensnah und lehnt überspitzte Haftungen ab. Eine praktische Rolle spielt in diesem Zusammenhang immer wieder gefährliches Spielzeug!
Nicht überall ist die Rechtslage wie bei uns:
Rechtsvergleich
In Italien bspw statuiert Art 2048 Codice Civile: „Vater und Mutter oder der Vormund haften für den Schaden, der durch eine unerlaubte Handlung des Minderjährigen, nicht aus der elterlichen Gewalt entlassenen Kindes oder der unter Vormundschaft stehenden Personen entstanden ist, sofern diese bei ihnen wohnen. Die gleiche Bestimmung gilt für Pflegeeltern.
Die Erzieher und diejenigen, die zu einem Gewerbe oder Handwerk ausbilden, haften für den Schaden, der durch eine unerlaubte Handlung ihrer Zöglinge und Lehrlinge in der Zeit entstanden ist, in der sie unter ihrer Aufsicht standen.
Die in den vorhergehenden Absätzen bezeichneten Personen sind von der Haftung nur dann befreit, wenn sie nachweisen, dass sie die Handlung nicht verhindern konnten.“
Noch weiter geht das us-amerikanische (Privat)Recht einzelner Bundesstaaten: Dort wird nicht nur eine zivilrechtliche Haftung der Eltern für Schäden durch ihre Kinder statuiert. Die einzelnen Bundesstaaten haben aber unterschiedliche Gesetze erlassen, durch die Eltern uU auch strafrechtlich für Vergehen ihrer Kinder verfolgt werden können. Die Strafen für die Eltern liegen dabei zwischen Geldstrafen bis zu 25.000 $ und Gefängnis – auch schon für häufiges Nichterscheinen der Kinder in der Schule. In manchen Bundesstaaten müssen Eltern auch die Gerichtskosten sowie die Kosten für einen Gefängnisaufenthalt ihrer Kinder bezahlen.
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2. Fälle aus dem Alltag und Rspr-Beispiele
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1968/379: § 1309 ABGB – Schuldhafte Verletzung der Aufsichtspflicht durch Überlassen von gefährlichem Spielzeug (mit einer Schleuder zu betätigendes pfeilförmiges Plastikspielzeug) an ein 4-jähriges Kind. – OGH: „Nach § 1309 ABGB gebührt demjenigen, der durch einen Unmündigen geschädigt worden ist, Ersatz von jenen Personen, denen der Schaden wegen Vernachlässigung der ihnen obliegenden Aufsichtspflicht beigemessen werden kann. Diese Aufsichtspflicht kann auf einem Rechtsgeschäft beruhen, sie kann sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben.” – Und: „Die Gefährlichkeit eines Spielzeugs ist nicht nur nach seiner objektiven Beschaffenheit zu beurteilen, sondern hängt auch von der körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes ab, dem das Spielzeug zum Gebrauch überlassen wird.”
Rechtssprechungsbeispiel
Aufsichtspflicht nach § 1309: Rspr-Beispiele
Die Aufsichtspflicht verletzt: Wer einen 11-Jährigen unbeaufsichtigt mit einem Luftdruckgewehr spielen läßt (SZ 20/241) Wer einem noch nicht 12-jährigen Kind (entgegen § 65 StVO) erlaubt, alleine radzufahren ( ZVR 1989/153) Wer ein Kind mit einer Armbrust spielen läßt, deren Pfeile Nägel als Spitze haben (EFSlg 20.228; OLG Wien) Wer einer gehbehinderten Großmutter ein 3 jähriges Kind außerhalb der Wohnung anvertraut (EFSlg 4695) Wer einen 4 ½ Jährigen einen pfeilförmigen Kaugummiflieger anschaffen und unbeaufsichtigt benützen läßt (EvBl 1968/379 = EFSlg 10.142).
Die Aufsichtspflicht wird nicht verletzt: Wenn ein Lehrer 7- oder 8-jährige Schulkinder in der Schulgarderobe nicht ständig beaufsichtigt; EFSlg 31.513 Unbeaufsichtigtes 4 ½-jähriges Kind auf Spielplatz in der Nähe einer wenig befahrenen Straße; ZVR 1984/116 Fast 5 jähriger folgsamer Bub verletzt auf Gehsteig mit Tretroller einen Gehbehinderten, während Aufsichtspflichtiger sich kurz seiner Kundschaft widmet; SZ 34/137 Schneeballspielen von 8- und 10 Jährigen ohne Überwachung; EFSlg 27.185 Wenn eine Mutter 5- und 8 jährige Buben 150 m von der Alm entfernt, auf der sie als Kellnerin arbeitet, in einer Hütte spielen läßt, wo sie unvorhersehbar Zündhölzer finden; EvBl 1978/52.


Aufsichtspflicht (1) – Beispiele
Abbildung 10.7:
Aufsichtspflicht (1) – Beispiele


Aufsichtspflicht (2) – Beispiele
Abbildung 10.8:
Aufsichtspflicht (2) – Beispiele
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IV. Der sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB
Kann ein Geschädigter nach den §§ 1307-1309 ABGB keinen Ersatz erlangen, „so soll der Richter” nach § 1310 ABGB erwägen – sog Billigkeitsschaden, soziale Schadenstragung, die dem Schadenersatzrecht sonst fremd ist, ob nicht der schädigende Minderjährige selbst (unter den Voraussetzungen des § 1310 ABGB) zur Haftung heranzuziehen ist. – Der Gesetzgeber wollte mit dieser Bestimmung eine Nichtverschuldenshaftung statuieren, was von der Rspr nicht immer zutreffend gesehen wird.
Für K. A. v. Martini, auf den unsere Bestimmung zurückgeht, lag nämlich der tiefere Grund der Verpflichtung des Schädigers zum Ersatz nicht – wie später bei Ihering – in seinem Verschulden, sondern im (naturrechtlich fundierten) „Vertheidigungsrecht” des Geschädigten.
Martinis Überlegungen
Literaturquelle
Mit dem Rspr-Satz, das der Deliktsunfähige nur haftet, wenn ein Volldeliktsfähiger im gleichen Fall haften würde, wird dem Zweck des § 1310 ABGB Rechnung zu tragen versucht. Dieser Ansatz ist aber aus dem oben genannten Grund problematisch. – Die Norm will nämlich primär Härten für den Geschädigten (!) mildern, die sich daraus ergeben, dass das Verschuldenssystem eine Risikozuweisung bei Kindern, Jugendlichen unter 14 Jahren (Deliktsfähigkeitsgrenze) und Geisteskranken im Allgemeinen nicht erlaubt.
§ 1310 ABGB
§ 1310 soll nach hA die normale (?) Haftung nicht erweitern, sondern sie zugunsten nicht voll Zurechnungsfähiger einschränken; so JBl 1999, 604: Hackstockfall → Rechtsfolge Das trifft aber nicht zu, denn § 1310 ABGB statuiert – abweichend vom „Normalfall” des ABGB – grundsätzlich (auch) eine Nichtverschuldenshaftung, wenngleich unsere Bestimmung insbesondere im 1. Fall Anklänge an ein Verschulden enthält.
Das ist ein lebensnaher Rechtsanwendungshinweis des Gesetzgebers, der sich an den Rechtsanwender richtet.
Es wäre aber ein Missverständnis, § 1310 ABGB – er stammt aus Martinis Entwurf – als übermäßige Härte gegen Unmündige (miss)zuverstehen. Die Norm will vielmehr – aus den erwähnten Gründen – allgemein klarstellen, dass das Schadensrecht vornehmlich aus der Optik des/r Geschädigten zu verstehen ist. – Unsere Norm gestattet heute eine moderne Anwendung der Schadenszurechnung unterhalb der zivilrechtlichen Deliktsfähigkeitsgrenze. Das ist in einer Zeit, in der noch nicht Vierzehnjährige zahlreiche und nicht nur geringfügige Delikte begehen, als ein wertvolles normatives Instrument zu betrachten. In diesem Kontext ist an den bedauerlicher Weise aufgehobenen § 866 ABGB zu erinnern. Anders als das Strafrecht, das – aus berechtigten Gründen – ein Unterschreiten der Deliktsfähigkeitsgrenze nicht gestattet, wird dies durch unsere Norm ermöglicht.
Härte gegen Unmündige?
Diskussionswürdig erschiene es, die zivilrechtliche Deliktsfähigkeitsgrenze für Minderjährige nach deutschem Vorbild – wenn auch vielleicht nicht im selben Ausmass – zu senken. § 828 dtBGB bestimmt:
Beispiel: § 828 dtBGB
„(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.“
Ein neu durch die Schuldrechtsreform eingefügter Abs 2 dieser deutschen Bestimmung schliesst nunmehr die Haftung von 7 bis 10-Jährigen bei Unfällen mit einem Kfz, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn, Vorsatz ausgenommen, aus.
1. Tatbestandsvoraussetzungen
§ 1310 ABGB unterscheidet drei Anwendungsfälle. Wir sprechen vom 1., 2., oder 3. Fall dieser Norm. In allen drei Fällen steckt der Billigkeitsgedanke, im 2. und 3. Fall aber noch stärker als im ersten.
3 Fälle
Zu überlegen hat der Rechtsanwender nach § 1310 ABGB dabei:
• „ ... ob dem Beschädiger, ungeachtet er gewöhnlich seines Verstandes nicht mächtig ist, in dem bestimmten Falle nicht dennoch ein Verschulden zur Last liege...” (1. Fall);
• „oder, ob der Beschädigte aus Schonung des Beschädigers die Verteidigung unterlassen habe...” (2. Fall);
• „oder [er soll] endlich, mit Rücksicht auf das Vermögen des Beschädigers und des Beschädigten...” (3. Fall: sog Tragfähigkeit des Schadens) entscheiden.
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2. Rechtsfolge
Der Richter „soll” in diesen Fällen entweder:
• „auf den ganzen Ersatz
• oder doch einen billigen Teil desselben erkennen.”
Praktisch bedeutsam sind der erste und dritte Fall des § 1310 ABGB. Es kann auch zu einer Kumulierung mehrerer Fälle des § 1310 ABGB kommen; also zB von erstem und drittem Fall: So bei von Minderjährigen verschuldeten Verkehrsunfällen; zB wenn ein 10-jähriger Bub ohne nach links und rechts zu schauen die Straße überquert und ein Autofahrer ihn nur deshalb nicht zusammenfährt, weil er sein Fahrzeug verreißt, das dabei beschädigt wird.
Rechtssprechungsbeispiel
Zum „3. Fall” des § 1310 ABGB:
EvBl 1974/234: 10-jähriges Mädchen „verfolgt” Buben und stellt ihm von hinten das Bein, sodass dieser stürzt und sich Zähne ausschlägt. Es besteht eine Haushaltsversicherung! OGH berücksichtigt die Versicherungssumme als Vermögen der Minderjährigen! Ebenso die folgende E.
RZ 1977/87: § 1310 ABGB – Der minderjährige Beklagte hatte der 11-jährigen Klägerin durch einen Messerwurf eine schwere Augenverletzung zugefügt. „Der Vater und gesetzliche Vertreter des minderjährigen Beklagten hatte einen sog Bündelversicherungsvertrag abgeschlossen, in welchem auch eine Versicherung für Haftpflichtschadensverursachung durch den Versicherungsnehmer und die mitversicherten Angehörigen, zu welchen auch der haushaltszugehörige minderjährige Beklagte gehört, enthalten ist ....”
SZ 69/156 (1996): Augenverletzung durch Kunststoffpfeil – Deckt die (private) Unfallversicherung des Geschädigten Nachteile ab, die mit den Ersatzansprüchen gegen den Schädiger nichts zu tun haben, wäre es nach Ansicht des OGH unbillig, den Ersatzanspruch des Geschädigten nach § 1310 Fall 3 ABGB deswegen zu kürzen, weil er mit der Versicherungsleistung über ein „Vermögen” iS dieser Gesetzesstelle verfüge.
JBl 1999, 604 (= EvBl 1999/155): Hackstockfall – Achteinhalbjähriger schlägt seinem vierjährigen Vettern ungewollt einen Finger ab.
Eben wurde festgestellt, dass dem Schadenersatzrecht soziale Überlegungen (nahezu) fremd sind. – Um keinen falschen Eindruck zu erzeugen sei erwähnt, dass das Privatrecht aber auch in anderen Bereichen soziale Überlegungen anstellt; etwa im starken und effektiven rechtsgeschäftlichen Schutz junger Menschen vor Erreichung der Volljährigkeitsgrenze (§ 21 ABGB: „… stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze”), aber auch im Schutz nicht geschäftsfähiger Erwachsener. In beiden Fällen sind die abgeschlossenen Rechtsgeschäfte ungültig: dazu kommen Sachwalterschaft und UbG. Vgl auch → KAPITEL 4: Die Handlungsfähigkeit : Beispiel einer manisch-depressiven Frau, die teure Kaufverträge abschließt ohne unter Sachwalterschaft zu stehen. Hinzuweisen ist hier auch auf die sozialen Überlegungen in § 2 D(N)HG (→ KAPITEL 12: Die Dienstnehmerhaftung), die auch in anderen Haftpflichtgesetzen Bedeutung erlangt haben; etwa AHG, OrgHG, ASVG.


Soziale Schadenstragung: § 1310 ABGB
Abbildung 10.9:
Soziale Schadenstragung: § 1310 ABGB


Ersatz nach „Billigkeit”
Abbildung 10.10:
Ersatz nach „Billigkeit”


Haftungssysteme
Abbildung 10.11:
Haftungssysteme
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V. Haftung des Wohnungsinhabers: § 1318 ABGB
1. Herabfallen, Herauswerfen oder Herausgießen
Wohnungsinhaber haften nach § 1318 ABGB für Personen- oder Sachschäden, die „jemand durch das Herabfallen einer gefährlich aufgehängten oder gestellten Sache; oder, durch Herauswerfen oder Herausgießen aus einer Wohnung” erleidet. – Dies ist die alte actio de dejectis et effusis + actio de posito vel suspenso des römischen Rechts.
Rspr und Lehre haben den alten Grundgedanken ausgedehnt und halten bspw auch die gefährliche Aufbewahrung von Wasser oder Öl in einer Wohnung der gefährlich aufgestellten Sache gleich; vgl SZ 39/170 (Waschmaschine), JBl 1987, 40 oder SZ 60/38 (Öltank). – Nach § 1318 ABGB haftet ein Wohnungsinhaber nur dann nicht für den durch die aus seiner Wohnung austretende Flüssigkeit verursachten Schaden, wenn er beweist (Beweislastumkehr), dass er alle objektiv gebotenen Vorkehrungen getroffen hat, um die nach allgemeiner Lebenserfahrung bestehenden Risiken in zumutbarer Weise auszuschalten oder doch auf ein unvermeidbares Maß zu verringern; SZ 49/47 (1976).
Ausdehnung alter Grundgedanken
Der Wohnungsinhaber haftet aber auch dann, wenn er die erforderlichen Maßnahmen schuldlos (!) unterlassen hat. Damit wird eine verschuldensunabhängige Haftung statuiert.
Verschuldensunabhängige Haftung
Die von der Rspr geschaffene Beweislastumkehr orientiert sich an den Nachbarbestimmungen der §§ 1319 und 1320 ABGB, besitzt aber keine gesetzliche Grundlage. § 1318 ABGB statuiert vielmehr eine (verschuldensunabhängige) Erfolgshaftung. – Erfolgshaftung + Beweislastumkehr erscheint als des Guten zuviel. Sinnvoll ist eine Beweislastumkehr vor allem bei einer Verschuldenshaftung. Zu unterscheiden ist:
• (Schlichte) Verschuldenshaftung mit einer Beweislast nach § 1296 oder § 1298 ABGB;
• Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr wie in den §§ 1319 und 1320 ABGB;
• Und schließlich Erfolgshaftung, wobei sich im Normalfall die Beweislast wiederum nach den §§ 1296 und 1298 ABGB bestimmt.
Wohnungsinhaber haften nach dieser Bestimmung, wie das einer Erfolgshaftung entspricht, auch für fremdes Verschulden – zB wenn betrunkene Gäste Flaschen aus dem Fenster oder vom Balkon werfen; SZ 51/116 (1978), nicht aber für höhere Gewalt; zB Erdbeben lässt Blumentröge vom Balkon stürzen. – Zufall ist in dieser Haftung aber eingeschlossen!
Haftung für fremdes Verschulden
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 25. 7. 2000, 1 Ob 306/99b („Schwarzpulver-Fall”), SZ 73/118 = JBl 2000, 790: Die Haftung aus § 1318 ABGB betrifft nur Schäden, die dadurch entstehen, dass etwas aus einer Wohnung/einem Geschäftslokal herabfällt; ein in der Wohnung selbst zugefügter Schaden ist nicht erfasst. – OGH verneint – didaktisch interessant – einige denkbare weitere Anspruchsgrundlagen wie Analogie/Analogiepraxis zu gefährlichen Betrieben, Verletzung der Fürsorgepflicht etc.
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2. Analoge Ausdehnung des § 1318 ABGB
Die Grundsätze des § 1318 ABGB werden von der Rspr (analog) auch auf folgende Fälle angewendet:
Rechtssprechungsbeispiel
Geschäfts- oder Amtsräume (nicht dagegen auf Hotels und Gasthäuser udgl) und
das Überlaufen von Badewannen: SZ 20/203 (1938),
das Ausfließen von Wasser aus einer Geschirrspül- oder Waschmaschine: SZ 37/140 (1964), SZ 39/170 (1966),
einem Boiler: EvBl 1966/159,
einer Kaffeemaschine (Wasserrohrbruch in einer Kantine); JBl 1989, 40 oder
das Ausfließen von Öl aus einer Haushaltsöltankanlage; SZ 60/38 (1987).
Das Wort „Wohnung” im Gesetzestext verlangt nach der Rspr ein gewisses Element der „Dauer”, das nach der Rspr zwar auf Geschäfts- und Amtsräume, nicht aber zB auf normale (!) Hotelzimmer und Hotelgäste zutrifft.
„Wohnung“?


Haftung des Wohnungsinhabers (1)
Abbildung 10.12:
Haftung des Wohnungsinhabers (1)


Haftung des Wohnungsinhabers (2)
Abbildung 10.13:
Haftung des Wohnungsinhabers (2)
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VI. Haftung für Bauwerke: § 1319 ABGB
1. Weite Auslegung der Begriffe: „Bauwerk” und „aufgeführtes Werk”
§ 1319 ABGB lässt für den Zustand eines Bauwerks unter den dort genannten Voraussetzungen haften:
„Wird durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand verletzt oder sonst ein Schaden verursacht ...”
Der Tatbestand unserer Bestimmung umfasst sowohl den „Einsturz“ sowie „Ablösungen“ von Teilen eines Gebäudes, und zwar im Inneren wie nach außen hin. Das zeigt das folgende Beispiel.
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 15. 2. 2000, 5 Ob 29/00a, JBl 2000, 592: Haftung des Hauseigentümers für einen Deckeneinsturz.
Nach der Judikatur gelten als „Bauwerke” und „aufgeführte Werke” auch: (Bau)Gerüste, Baugruben, (Zuschauer)Tribünen, Landungsstege, Brücken, Trampoline, Grabsteine, aber etwa auch eine in die Strasse eingelassene Brückenwaage oder Gartentore etc.
„Bauwerke” und „aufgeführte Werke”
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 61/132 (1988): Der Eigentümer einer Liegenschaft und derjenige, der über ihren Gebrauch verfügen kann, haftet nach § 1319 ABGB für die Unterlassung der Absicherung eines offenen Schachtes im Hof, wenn er deren Fehlen nach dem Abschluss von Bauarbeiten hätte feststellen können.
Vgl auch den Brückenwaagefall: OGH 29. 11. 2001, 2 Ob 281/01i, JBl 2002/463: Radfahrer stürzt aufgrund eines Spalts im Asphalt bei einer Brückenwaage und klagt die Gemeinde als Betreiberin auf Schadenersatz. – OGH: Eine Brückenwaage im Verlauf einer Straße ist ein Werk iSd § 1319 ABGB. Ein technisch bedingter Spalt an deren Rand (5 cm) begründet für Radfahrer eine erhebliche Gefahr, welche die von § 1319 ABGB angeordnete Verschärfung der Haftung rechtfertigt. – Fehlt es bezüglich einer im Zuge eines Weges bestehenden Anlage an der von § 1319a ABGB vorausgesetzten Interessenneutralität des Halters, was hier angenommen wird, so ist neben § 1319a auch § 1319 ABGB für die Haftung des Halters heranzuziehen..
OGH 22. 12. 1999, 3 Ob 190/99h, JBl 2000, 588: 6 ½-jähriges Kind klettert auf Grabstein, während Mutter mit Grabpflege beschäftigt ist. Dieser fällt um und verletzt Kind schwer. – OGH: Auch von Grabdenkmälern muss verlangt werden, dass sie so konstruiert werden, dass sie auch mehrere Jahrzehnte lang standfest sind.
Die Rspr wendet § 1319 ABGB analog (§ 7 ABGB) auf Schäden durch umstürzende Bäume oder abbrechende Äste an; die gedankliche Vorarbeit dazu leistete Franz Gschnitzer.
Analoge Anwendung auf umstürzende Bäume etc
„§ 1319 ABGB ist auf einen Schaden, der durch das Umstürzen eines Baums verursacht wurde, analog anzuwenden. – Im Zweifel soll der Besitzer des Werks dessen Gefahren tragen. – Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt wird nach den Umständen des konkreten Einzelfalles bestimmt. – Einer Stadtgemeinde wird gegenüber der Allgemeinheit eine besondere Verantwortung aufgebürdet”: EvBl 1987/192. – Zur Analogie → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
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2. Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr
§ 1319 ABGB statuiert – anders als § 1318 ABGB – noch klar eine Verschuldenshaftung; aber die Beweislast wird umgedreht; Beweislastumkehr.
Das Besondere dieser Beweislastumkehr liegt darin, dass sie für den Bereich deliktischer Haftung gilt. § 1298 ABGB kommt also hier nicht zur Anwendung, zumal dort eine konkrete vertragliche oder doch gesetzliche Beziehung im Schädigungszeitpunkt Voraussetzung ist. – Kehrt der Gesetzgeber die normale Beweislastregel des § 1296 ABGB um, bedeutet das nach Gschnitzer einen legistischen Schritt in Richtung Nichtverschuldenshaftung! Dies bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Verschuldenshaftung. Vgl auch § 1320 ABGB.
Beweislastumkehr
Danach können unterschieden werden: – (Einfache) Verschuldenshaftung; – durch Beweislastumkehr verschärfte Verschuldenshaftung und Nichtverschuldenshaftung; dazu


Beweislastumkehr: § 1319 + § 1320 ABGB (in: Tierhalterhaftung)
Abbildung 10.14:
Beweislastumkehr: § 1319 + § 1320 ABGB (in: Tierhalterhaftung)
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3. Dachlawinen und Eiszapfen
Schäden durch Dachlawinen, Schnee oder Eiszapfen werden von der Judikatur dann unter § 1319 ABGB subsumiert, wenn mit der Dachlawine zB auch Dachziegel oder eine Dachrinne – also Gebäudeteile – mitgerissen werden. Ist das nicht der Fall, bleibt es bei der schlichten (Delikts)Haftung nach § 93 StVO. Worin liegt der Unterschied? – Die StVO kennt keine Beweislastumkehr!
Diese Abgrenzung ist nach der Rspr nicht immer einfach! – Sich ablösende Gesimsteile oder Verputz, Dachziegel und Schnee fallen jedenfalls unter § 1319 ABGB; § 1318 ABGB dagegen wird angewandt, wenn zB ein Fensterflügel oder ein Geschäftsschild gefährlich aufgehängt oder aufgestellt war und dadurch Schaden entsteht; zB weil ein Föhnsturm ein Gasthausschild herunterreißt.
Abgrenzung des § 1319 von § 1318 ABGB
Dieser Bestimmung der StVO kommt hier der Charakter eines Schutzgesetzes iSd § 1311 ABGB zu. Schutzgesetze sind Normen, deren Zweck darin liegt, Beschädigungen verschiedenster Art zu verhindern, indem von ihnen ein bestimmtes Verhalten – Handeln oder Unterlassen – gefordert wird. Sie dienen der allgemeinen Sicherheit. Die Haftung ist eine deliktische.
§ 93 StVO als Schutzgesetz
Beispiel
Wird ein Schutzgesetz verletzt, hat das nach der Rspr Auswirkungen auf die Beweislast → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung. Sie wird „umgekehrt”, was Geschädigten ihre Anspruchsdurchsetzung erleichtern soll.
Beweislast bei Schutzgesetzverletzung
§ 1298 ABGB (genau lesen): „Wer vorgibt, dass er an der Erfüllung seiner … gesetzlichen Verbindlichkeit ohne sein Verschulden verhindert worden sei, …”
§ 93 StVO
(1) Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten, ausgenommen die Eigentümer von unverbauten land- und forstwirtschaftlichen Liegenschaften, haben dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen sowie bei Schnee und Glatteis bestreut sind. Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen .... (2) Die in Abs 1 genannten Personen haben ferner dafür zu sorgen, dass Schneewächten oder Eisbildungen von den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude bzw Verkaufshütten entfernt werden. (3) Durch die in den Abs 1 und 2 genannten Verrichtungen dürfen Straßenbenützer nicht gefährdet oder behindert werden; wenn nötig, sind die gefährdeten Straßenstellen abzuschranken oder sonst in geeigneter Weise zu kennzeichnen ....”
Allgemein zu den Verkehrssicherungs- und Ingerenzpflichten und deren Typengestaltung → KAPITEL 6: Ausdehnung auf Verkehrssicherungspflichten. – Die Pflichten nach § 93 StVO beinhalten typische deliktische Verkehrssicherungspflichten.
Verkehrssicherungs- und Ingerenzpflichten


Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (1)
Abbildung 10.15:
Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (1)


Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (2)
Abbildung 10.16:
Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (2)


Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (3)
Abbildung 10.17:
Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (3)
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VII. Die Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB
1. Voraussetzungen
Die Haftung für den Zustand eines Weges ist erst spät, nämlich 1975 (mit BGBl 416) ins ABGB aufgenommen worden; dazu → Hintergründe der neuen Haftungsbestimmung. Es handelt sich um einen Sonderfall der Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten.
Wege iSd Gesetzesbestimmung sind zB: Autobahnen, Bundesstraßen, Rad- oder Gehwege, Rodelbahnen, Schipisten, Langlaufloipen (→ KAPITEL 11: Der ¿erste¿ Fall: Langlaufunfall), Klettersteige (SZ 60/189 [1987]: Alpine Vereine haften für den mangelhaften Zustand von Seilsicherungen), Wanderwege etc.
Wege iSd Gesetzesbestimmung
§ 1319a Abs 2 ABGB bringt eine bewusst weite Legaldefinition des „Weges im Sinne des Abs 1”.
Legaldefinition
Der Begriff des Wegehalters stimmt inhaltlich mit dem des Tier- (§ 1320 → Die Tierhalterhaftung) und Kfz-Halters (§ 5 EKHG → KAPITEL 9: Das EKHG als Beispiel) überein. Halter eines Weges ist danach, wer die Kosten für seine Errichtung und Erhaltung trägt sowie die tatsächliche Verfügungsmacht besitzt, solche Maßnahmen zu setzen, wobei Errichtung und Erhaltung genügen. Auch hier kommt dem Eigentum am Weg keine ausschließliche und selbständige Bedeutung zu.
Unsere Gesetzesstelle statuiert eine Deliktshaftung und gilt daher nicht für vertraglich übernommene Wegehalterpflichten; vgl SZ 59/112 (1986) oder SZ 67/40 (1994). Für vertragliche Wegehalterpflichten gilt daher nicht die Haftungsbeschränkung des § 1319a Abs 1 ABGB auf grobe Fahrlässigkeit. Hier wird vielmehr schon ab leichter Fahrlässigkeit gehaftet. Das gilt bspw für Mautstraßen (SZ 62/145 [1989]), bestimmte Schiabfahrten oder Rodelbahnen iVm einem sog Lift- oder Schipass / Liftbeförderungsvertrag (ZVR 1998/88) und seit der Vignettenregelung auf Autobahnen für diese; in diesen Fällen gilt auch die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB: OGH 22. 2. 2001, 2 Ob 33/01v, JBl 2001, 453 = EvBl 2001/124.
Deliktshaftung
Auch die cic-Haftung für vorvertragliche Schutzpflichten greift ab leichter Fahrlässigkeit (omnis culpa-Haftung) → KAPITEL 6: Cic ist eine Verschuldenshaftung: Vgl SZ 52/135 (1979). Das gilt etwa für Gasthäuser, Tankstellen, Lifte, ganz allgemein Unternehmen ohne Rücksicht auf das Zustandekommen eines Vertrags; SZ 52/135 (1979). Die Verkehrssicherungspflichten (nach cic) überlagern demnach die Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB; vgl im Anschluss die Rspr-Beispiele: SZ 53/169 (1980) – Flughafen Graz-Thalerhof.
Nach 1319a ABGB gilt die Beweislastregel des § 1296 und nicht die des § 1298 ABGB. Es besteht demnach ein Unterschied zu § 1319 ABGB mit seiner gesetzlichen Beweislastumkehr!
Beweislastregel des § 1296 ABGB
Schon der Codex Theresianus kannte eine Wegehalterhaftung. Sie gelangte vielleicht von dort ins ALR (?): vgl II 15 §§ 11 und 12 ALR.
Abs 3 unserer Bestimmung stellt klar, dass das in Abs 1 angeordnete Herabsetzen der Verschuldensvoraussetzungen auf wenigstens grobe Fahrlässigkeit auch für Gehilfen – die ”Leute des Haftpflichtigen” – gilt.
Haftung ab grober Fahrlässigkeit
Diese sog Leutehaftung beinhaltet eine eigene – deutlich über § 1315 ABGB hinausgehende – deliktische Haftung für fremdes Verschulden. – Der „Leutebegriff” reicht nach der Rspr auch über Dienstnehmer hinaus. Gefordert wird jedoch ein gewisses Naheverhältnis, das es ermöglicht, nötige Anordnungen durchzusetzen. – Nicht erfasst vom „Leutebegriff” sind aber selbständige Unternehmer (mit eigenem Organisations- und Verantwortungsbereich); EvBl 1981/231. Werden die Aufgaben des Wegehalters durch einen selbständigen Unternehmer besorgt, haftet der Wegehalter nur bei Vorliegen eigenen Verschuldens; so bei unsorgfältiger Auswahl des Unternehmers (culpa in eligendo) oder Verletzung einer besonderen Überwachungspflicht; ZVR 1988/128.
Leutehaftung
Die Tatbestandsvoraussetzungen werden in Abs 1 wie folgt umschrieben – Tatbestand:
Tatbestandsvoraussetzungen und Rechtsfolge
• Durch den „mangelhaften Zustand eines Weges”,
• wird „ein Mensch getötet, an seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt
• oder eine Sache beschädigt” (Tatbestand).
Rechtsfolge: Unter solchen Voraussetzungen
• ”haftet derjenige für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich ist“.
• Dies allerdings unter der Einschränkung, dass „er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grobfahrlässig verschuldet hat.”
Bei unerlaubter, insbesondere widmungswidriger Benutzung des Weges (zB Abschrankung, Fahrverbotszeichen) besteht keine Haftung; § 1319 Abs 1 Satz 2 ABGB.
Unerlaubte, insbesondere widmungswidrige Benutzung
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 62/145 (1989): Die Brenner Autobahn AG haftet gleich einem damit beauftragten selbständigen Unternehmen für die nicht ausreichende Bestreuung der Fahrbahn dieser Autobahn bei Glatteis.
SZ 63/58 (1990): Der Pistenhalter ist nicht verpflichtet, Sicherungsmaßnahmen gegen jene besonderen Gefahren zu ergreifen, die aus dem Einfahren vom freien Gelände in eine Schipiste entstehen. (? Zu allgemein!)
EvBl 1992/124 (Zusammenstoß eines Pkw mit einem die Inntalautobahn querenden Hirsch): Die Haftung für den Zustand des Weges iSd § 1319a ABGB ist als Haftung für die Verkehrssicherheit im weitesten Sinn zu verstehen. Dazu gehören auch die zur Vermeidung von Wildunfällen erforderlichen Maßnahmen. – Es sind (im Rahmen des Zumutbaren) zB Wildzäune udgl zu errichten; allenfalls Beschilderung.
Abgelehnt wird vom OGH eine Haftung nach § 1319a ABGB in SZ 53/169 (1980) → KAPITEL 9: Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. – Fluggast stürzt am Flughafen Graz–Thalerhof auf dem Weg zum Flugzeug wegen Eisglätte (?). – Lernen lässt sich aus dieser E, dass ein „Weg” iSd § 1319a ABGB auch eine (Weg)Fläche sein kann. Die E zeigt uns, dass vertragliche Verkehrssicherungspflichten § 1319a ABGB überlagern können. Die cic-Haftung greift aber schon ab leichter Fahrlässigkeit.
ZVR 1998/24: Analoge Anwendung des § 1319a ABGB auf einen Baumeister für den ordnungsgemäßen Zustand einer Baustelle.
OGH 3. 4. 2001, 4 Ob 72/01v, EvBl 2001/183: Zwölfjähriger Bub stolpert auf einem 1,5 bis 2 m breiten asphaltierten Weg über eine Erhöhung von 10 cm, die durch eine in den Weg hineingewachsene Wurzel bedingt war und verletzt sich schwer; Augenverletzung. – OGH: Da dieser gefährliche Zustand schon lange bestand, nimmt der OGH grobe Fahrlässigkeit an und bejaht die Haftung des Wegehalters iSd § 1319a ABGB.
Wie würden Sie folgenden Sachverhalt lösen? – Kind durch Felssturz auf Auto getötet. Ein Felssturz auf die Bundesstraße 311 bei Bischofshofen forderte Freitag Vormittag ein Todesopfer und drei Schwerverletzte. Auf der Umfahrungsstraße wurde der Wagen einer deutschen Urlauberfamilie von plötzlich herabstürzenden Gesteinsmassen völlig zerstört. Ein 12-jähriges Mädchen wurde im Fahrzeug getötet, Vater, Mutter und Bruder des Todesopfers wurden schwer verletzt. Der mächtige Gesteinsbrocken demolierte noch ein zweites Auto, dessen Insassen blieben jedoch unverletzt. Zu dem Felssturz dürfte es durch Forstarbeiten und Gewitterregen oberhalb der Unglücksstelle gekommen sein. (Der Standard, 13./14./15.8.1994) – Vgl etwa EvBl 1979/6 und ZVR 1996/12.
Literaturquelle
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2. Hintergründe der neuen Haftungsbestimmung
§ 1319a ABGB wurde erst 1975 (BGBl 416) geschaffen. Er enthält eine Ausnahme vom allgemeinen Schadenersatzrecht, weil er das Verschulden „höher” ansetzt und Wegehalter erst ab grober Fahrlässigkeit haften lässt. – Das erwies sich als rechtspolitisch notwendig, weil viele Wegehalter die Haftung ab leichter Fahrlässigkeit als zu hart empfanden und deshalb drohten, ihre Güter-, Forst- und Bringungswege für die allgemeine Benützung zu sperren. Das konnte sich aber ein Fremdenverkehrsland wie Österreich nicht leisten. – Das ausnahmsweise Abgehen vom allgemeinen Haftungsmaßstab des leichten Verschuldens dient demnach als Anreiz für Wegehalter, ihre Wege auch dann offen zu halten, wenn ihre Instandhaltung schwierig ist. Das ist in einem Wald- und Gebirgsland wie Österreich häufig der Fall. Hier wurde ein sinnvoller rechtspolitischer Kompromiss erzielt.
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VIII. Die Tierhalterhaftung
Die Haftung für Tiere beschäftigte seit alters her die Gesetzgeber. Die Gesetzgebung Solons kannte ebenso schon eine Regelung wie das römische XII-Tafelgesetz. – § 1320 ABGB regelt das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung von Tieren. Dabei ist immer von den Umständen des Einzelfalls auszugehen; EvBl 1982/43: Gefährlichkeit des Tieres, spezifisches Tierverhalten, Abwägung der Interessen. – Nach dem Gesetz haftet der Halter des Tieres → Wer ist Tierhalter?
1. Eine Zeitungsmeldung
Zeitungsmeldungen wie die folgende lesen wir immer wieder: „Rottweiler fiel Kleinkind an. Hund war nicht angeleint, das Kind schwebt in Lebensgefahr. Ein eineinhalbjähriger Bub aus Oberwaltersdorf (Bezirk Baden) wurde am Mittwoch Abend vor seinem Elternhaus von einem Rottweiler beinahe zu Tode gebissen. Der Besitzer des Hundes, …, war mit dem Rottweiler und einer Tiroler Bracke in der Nähe des Oberwaltersdorfer Schlosses spazieren gegangen. Seine beiden Tiere hatte er nicht an der Leine. – Der kleine Dominic K. lief zu den Tieren hin, stolperte dabei aber und fing zu weinen an. Daraufhin stürzte sich der Hund auf das Kind und verbiss sich vor den Augen des Vaters von Dominic in dessen Hinterkopf. Dabei brach die Schädeldecke des Buben, außerdem wurde sein Kleinhirn verletzt. Mit dem Notarzthubschrauber wurde das Kind in das Wiener AKH geflogen und sofort operiert. Trotzdem schwebt Dominic nach Auskunft der Ärzte noch immer in Lebensgefahr. – Der tragische Fall ist nach Ansicht des Österreichischen Rottweiler Klub (ÖRK) alleine auf die Schuld des Halters zurückzuführen. ‘An sich haben Rottweiler eine hohe Reizschwelle. Ich glaube, dass der Hund das Kind nur beschützen wollte, und es deshalb zu dem Unfall kam’, so Gabriele W. vom ÖRK. ‘Bissunfälle können nur verhindert werden, wenn die Tiere ordnungsgemäß angeleint sind.’ …” Aus: Der Standard, 26.7.1996, S. 6.
Rottweiler fiel Kleinkind an…
Weitere gravierende Fälle in und außerhalb Österreichs haben zu einer Novellierung des StGB geführt: Mit BGBl I Nr 130/2001 wurde dem § 81 Abs 1 eine neue Z 3 angefügt:
„Wer fahrlässig den Tod eines Menschen herbeiführt, dadurch, dass er, wenn auch nur fahrlässig, ein gefährliches Tier entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag [Bescheid der BH, wenn schon ein Vorfall, Beschilderung der Gemeinde – Hunde an die Leine] hält, verwahrt oder führt, ist mit Freiheitsstrafe bis 3 Jahren zu bestrafen.”
Überlege: – Enthält auch § 1320 ABGB – wie § 1319 ABGB – eine Umkehr der Beweislast? Statuiert dieser Paragraph eine Verschuldens- oder eine Nichtverschuldenshaftung?
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2. Wer ist Tierhalter?
Tierhalter ist: Wer die tatsächliche Herrschaft über das Verhalten des Tieres ausübt und im eigenen Namen darüber entscheidet, wie ein Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen ist; ZVR 1964/201 oder SZ 26/121 (1953). Es kommt dabei nicht auf die rechtliche Beziehung zum Tier an:
• die Eigentumsverhältnisse (allein) sind daher nicht entscheidend; EvBl 1986/111.
• Mehrere Miteigentümer einer Liegenschaft sind zB Mithalter eines Hundes zur Bewachung der Liegenschaft; SZ 55/62 (1982).
• Auch der Entlehner eines Reitpferds wird Halter und haftet nach § 1320; ZVR 1973/157.
Als Auslegungsmaxime hat – wie von der Rspr zu Recht auch bei § 1309 ABGB herausgestellt – zu gelten: Die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht des Tierhalters muss zwar ernst genommen, darf aber nicht überspannt werden; vgl SZ 65/106 (1992) und SZ 69/264 (1996).
Auslegungsmaxime
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1982/43: 4-jähriger Bub wird im Gastgarten eines Berggasthauses vom Hund des beklagten Gastwirts, einer deutsche Dogge, ins Gesicht gebissen → Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10: „Fälle”.
ZVR 1977/80 [1976]: Kühe weiden neben der Straße. – Die Verwahrung eines Tieres in unmittelbarer Nähe einer stark frequentierten Straße muss besonders sorgfältig erfolgen. Ein selbst nach altem Herkommen üblicher unbeaufsichtigter Weidegang von Tieren auf einer uneingefriedeten Fläche, an die eine dem öffentlichen Verkehr dienende Straße unmittelbar angrenzt, muss als Verstoß gegen die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht angesehen werden. Die Aufstellung eines Gefahrenzeichens „Achtung Tiere“ reicht nicht aus, um eine geeignete Aufsicht des Weideviehs auf nicht abgezäunten Grundstücken zu ersetzen. (Ein solches Gefahrenzeichen kann aber zur Annahme von Mitverschulden führen.)
ZVR 1977/59: Warntafel „Bissiger Hund” allein genügt nicht. Das Übersehen eines solchen Hinweises stellt aber ein Mitverschulden dar.
SZ 69/264 (1996): Wird eine Rassehündin von einem (Mischlings)Rüden ohne Wissen und Willen der Halter gedeckt, liegt in der dadurch bewirkten Einschränkung der Nutzbarkeit der Hündin zu Zuchtzwecken eine nach § 1320 ABGB zu beurteilende Sachbeschädigung vor, welche auch für Folgeschäden, wie entgangenen Gewinn und Tierarztkosten haftbar macht. )Jedoch Mitverschulden: § 1304 ABGB!)
EvBl 1987/106: Hat ein scharfer Hund die Neigung, Radfahrern nachzulaufen, verletzt sein Halter die Verwahrungspflicht, wenn er das Tier in Fahrbahnrichtung einen Ball apportieren lässt.
EvBl 1967/451: Für nicht bösartige Tiere besteht in Haus und Hof grundsätzlich volle Bewegungsfreiheit.
SZ 41/161 (1968): Liegt ein Haus nahe an einer vielbefahrenen Straße, ist der Hühnerhalter verpflichtet, die Hühner von der Straße fernzuhalten.
EvBl 1982/43: Ein Tierhalter haftet auch für seine Gehilfen nach § 1313a ABGB; Analogie zu § 19 Abs 2 EKHG. Er haftet dann nicht nur nach § 1315 ABGB.
ZVR 1986, 115: Der Betreiber eines Wildparks haftet aber nicht nach § 1320 ABGB, wenn ein Damhirsch nur deshalb aus der sicheren Umzäunung ausbrechen kann und in der Folge auf der nahen Bundesstraße mit einem Pkw zusammenstößt, weil ein Unbekannter das Gehege mit einer Drahtschere aufgeschnitten hat.
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3. Welche Haftung statuiert § 1320 ABGB?
Die Meinungen zur Haftung des § 1320 ABGB gehen weit auseinander. OGH (vgl etwa EvBl 1982/43 → Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10 oder SZ 69/162 [1996]) und Schrifttum liegen überwiegend falsch. Es handelt sich nämlich nachweislich seit 1812 um eine Verschuldenshaftung. Die III. TN, die nur geringfügige Änderungen brachte, änderte daran nichts. – Am besten ist es, eine objektivierte Verschuldenshaftung (iSd § 1299 ABGB) mit statuierter Beweislastumkehr anzunehmen.
Verschuldenshaftung
Literaturquelle
Die ABGB-Textierung bedeutet wiederum gegenüber den Vorstufen der Kodifikationsgeschichte keinen legistischen Gewinn: § 1320 ABGB ~ Martinis Entwurf III 13 § 47 = (W)GGB III 13 § 457. Zeiller übernimmt fast wörtlich den Text des (W)GGB. Martinis Entwurf und der (W)GGB-Text sind aber noch klarer hinsichtlich anderer Schäden als jener, die von (Körper)Verletzungen durch Tiere herrühren, zumal der Passus „ ... oder Schaden zugefügt” gestrichen wurde; vgl Kasten. – Vgl auch schon Hortens Entwurf III 23 §§ 12 ff, 30, der bereits die Grundgedanken der späteren Regelung enthält. – Die österreichischen Vorentwürfe, einschließlich (W)GGB, kennen aber den Begriff des Tierhalters noch nicht; vgl damit aber ALR I 6 § 72, wo von dem gesprochen wird, der „Thiere hält”. Das ALR statuiert übrigens für bestimmte Tiere eine Erfolgs- oder Verursachungshaftung; vgl I 6 § 70 oder § 72. Generell hatte nur Art 1385 Code Civil diesen Weg eingeschlagen.
Vorstufen des ABGB, ABGB-Textierung und Rechtsvergleich
Textvarianten des späteren § 1320 ABGB
III 13 Entwurf MartiniIII 13 WGGBABGB von 1811ABGB III TN
§ 47
„Wird Jemanden durch ein Thier Verletzung oder Schaden zugefügt, so ist Derjenige, der es dazu angetrieben, gereizt, gehetzt oder zu verwahren vernachlässiget hat, dafür verantwortlich; kann Niemand eines Verschuldens überwiesen werden, so ist die Verletzung oder Beschädigung für einen blosen Zufall anzusehen.”
§ 457
„Wird Jemand durch ein Thier verletzt, oder beschädigt; so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereitzt, oder zu verwahren vernachläßigt hat. Kann Niemand eines Verschuldens dieser Art überwiesen werden; so wird die Verletzung oder Beschädigung für einen Zufall gehalten.”
§ 1320
„Wird jemand durch ein Thier beschädiget; so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereitzt, oder zu verwahren vernachlässiget hat. Kann Niemand eines Verschuldens dieser Art überwiesen werden; so wird die Beschädigung für einen Zufall gehalten.”
§1320
„Wird jemand durch eine Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.”
Dieser Begriff wurde ins ABGB erst – über den Umweg von § 833 dtBGB – durch die III. Teilnovelle eingeführt, obwohl der CodTher III 22 Num 31 bereits anschaulich vom „Herr[n] des Viehs” spricht.
Begriff des Tierhalters
Die Situierung unserer Bestimmung schon in Martinis Entwurf im Schadenersatzrecht des 13. Hauptstücks macht deutlich, daß an eine Verschuldenshaftung gedacht war. Alles andere ist unhistorisch und auch rechtspolitisch nicht sinnvoll. Aber wir haben schon bei den §§ 1318, 1319 ABGB aF gehört, wie gefahrbehaftet bestimmte – wenngleich anerkannte – Auslegungsmethoden sind; hier vornehmlich die systematische und historische Methode. Martinis Entwurf (III 13 § 47) konzipiert noch klar beide Sätze unserer Bestimmung – und nicht etwa nur den ersten – als Verschuldenshaftung. Ebenso das WGGB und das ABGB in seiner Urfassung. Martinis Entwurf kennt allerdings die Beweislastumkehr noch nicht; ebensowenig WGGB und ABGB aF. Sie wurde erst durch die III. Teilnovelle in den Gesetzestext des ABGB aufgenommen.
Die historische Genesis dieser Bestimmung und ihre Situierung sprechen demnach klar für eine ausschließliche Verschuldenshaftung, wenngleich eine solche mit – im Vergleich zum Normalfall – umgekehrter Beweislast. Nichts anderes wollte auch die III. TN (S. 396):
„Vielmehr geht der Antrag dahin, die Haftung für Beschädigung durch ein Tier überall (wie bisher § 1320 a.b.G.B.) nur auf Verschulden zu basieren, ...”
Nicht sinnvoll ist es daher, von einer in die Form der Beweislastumkehr gekleideten Gefährdungshaftung zu sprechen; so aber Gschnitzer (SchRBesT1 181) und ihm folgend Reischauer (in: Rummel2 § 1320 Rz 21), die zusätzlich aus der „Idee der Gefährdehaftung der Materialien der III. TN (S. 396), eine Gefährdungshaftung machen, was nicht dasselbe ist. (Die Formulierung Gschnitzers beruht uU auf einem Schreibfehler und sollte wohl richtig heißen: Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast; vgl nur die Erklärung Gschnitzers, aaO 146.)


Beweislastumkehr: § 1319 + § 1320 ABGB
Abbildung 10.18:
Beweislastumkehr: § 1319 + § 1320 ABGB
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4. Weiterentwicklung des Halterbegriffs
Ausgehend von der Tierhalterhaftung des § 1320 ABGB wurde der heute so wichtige „Halter”-Begriff auf die Eisenbahn-, Kraftfahrzeug- und Luftfahrzeughaftpflicht etc und in der Folge auf Wegehalter (§ 1319a ABGB) übertragen; vgl aber auch schon § 1318 ABGB: „Wohnungsinhaber” und § 1319 ABGB: „Besitzer des Gebäudes oder Werkes”.
Der Halterbegriff spielt heute vor allem in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung (EKHG) eine bedeutende Rolle: Der rechtliche Kfz-Halterbegriff stellt – wie der des § 1320 ABGB – nicht etwa darauf ab, wem ein Kraftfahrzeug gehört (iSv Eigentum); vielmehr wird – ähnlich wie beim Besitz (was schon die Tierhalterhaftung tut) – auf eine bestimmte tatsächliche Beziehung (zum Kraftfahrzeug) abgestellt.
Halterbegriff und Kfz-Haftpflicht
Halter ist nach der Rspr, wer zB ein Kraftfahrzeug:
wirtschaftlich auf eigene Rechnung gebraucht und
• darüber tatsächlich verfügen und
• über Aufsicht und Verwahrung (im eigenen Namen) bestimmen kann.
Näheres zum weiterentwickelten Halterbegriff in den folgenden Judikaturbeispielen.
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1985, 551: Hat der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, der auch Zulassungsbesitzer und Haftpflichtversicherungsnehmer ist, das Kraftfahrzeug einem anderen, der den Aufwand für Kraftstoffe und Reparaturen trägt, überlassen und sich nur eine ganz ausnahmsweise Benützung vorbehalten, so ist Halter nicht der Eigentümer, sondern dieser andere .... Für die Beurteilung der Haltereigenschaft ist nicht in erster Linie entscheidend, für wen das Fahrzeug zugelassen wurde, wer Eigentümer des Fahrzeuges oder wer Versicherungsnehmer der für das Fahrzeug abgeschlossenen Haftpflichtversicherung war. Diese Umstände können als zusätzliche, die Bejahung der Haltereigenschaft unterstützende Momente Bedeutung haben, wenn diese Frage im Einzelfall zweifelhaft ist ( ...). Nach stRspr sind aber für die Beurteilung der Haltereigenschaft die wirtschaftlichen und tatsächlichen, nicht die rechtlichen Verhältnisse entscheidend. Danach ist die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug und der Gebrauch des Fahrzeugs auf eigene Rechnung maßgebend. Halter eines Fahrzeugs ist somit, wer darüber bestimmt, wann und wo das Fahrzeug gefahren wird, wer die Kosten der Unterbringung, Instandhaltung und Bedienung des Fahrzeugs sowie der Betriebsmittel trägt. Auch mehrere Personen können gleichzeitig Halter sein, wenn bei Würdigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehung zum Betrieb des Fahrzeugs die Merkmale, die für die Haltereigenschaft wesentlich sind, bei mehreren Personen in so großer Zahl und so sehr gegeben sind, dass die Belastung mit der Haftung für Betriebsunfälle dem Wesen der gesetzlichen Haftung des Halters entspricht. Eine Mehrheit von Haltern ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich mehrere Personen die Verfügung über das Fahrzeug so teilen, dass darin ein ständiger Wechsel gegeben ist. Es soll ein ‘geradezu schaukelhafter Wechsel’ der Haltereigenschaft, der diesem Begriff widerspräche, vermieden werden. – Beispiele: Lebensgefährten, Ehegatten, Freunde / Freundinnen.
ZVR 1990/88: Wer ständig die tatsächliche Verfügungsgewalt über ein Kraftfahrzeug innehat und dieses im eigenen Interesse verwendet, steht dazu in einem derartigen tatsächlichen und wirtschaftlichen Naheverhältnis, dass er zumindest als Mithalter anzusehen ist, mag auch das Kraftfahrzeug von der Ehegattin angeschafft und erhalten worden sein und diese Zulassungsbesitzerin und Versicherungsnehmerin sein.
SZ 39/99 (1966): Mithaltereigenschaft der Ehefrau, die Miteigentümerin des Kraftfahrzeugs ist, das auf ihren Namen polizeilich zugelassen und haftpflichtversichert ist, obgleich ausschließlich der Mann fährt, der auch sämtliche Kosten trägt. ( ...) Beim Zusammenstoß mit einem vom Zweitbeklagten gelenkten Pkw, Marke Peugeot 404, wurde das Taxi der Erstklägerin beschädigt. Unter Inanspruchnahme der Solidarhaftung der Erstbeklagten wegen ihrer Haltereigenschaft und des Zweitbeklagten – des Ehegatten des Erstbeklagten – als am Zusammenstoß schuldtragenden Lenkers begehrte die Erstklägerin den Ersatz ihres Verdienstentganges (wegen der durch die Reparatur bedingten Stehzeit), während der Zweitkläger die ihm von der Erstklägerin zedierte Forderung auf Ersatz der Reparaturkosten geltend macht .... Mit Lehre und Rspr ist von der bereits von den Vorinstanzen vertretenen Ansicht auszugehen, dass Halter gemäß § 5 EKHG ist, wer das Fahrzeug zur Zeit des Schadensfalles für eigene Rechnung in Gebrauch hat und diejenige Verfügungsgewalt darüber besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt. Dass auch mehrere Personen gleichzeitig nebeneinander Halter sein können, wenn auf jeden von ihnen beide Voraussetzungen zutreffen, ist in Lehre und Rspr unbestritten ( ...). Ein Miteigentümer kann die Verfügungsgewalt – dieser Begriff wird in der Rspr weit ausgelegt ( ...) – über das Fahrzeug auch dadurch ausüben, dass er den ihm auf Grund seines Eigentumsrechts zustehenden Gebrauch einem anderen überlässt (RG 127, 176). Die Haltereigenschaft wird auch dadurch nicht ausgeschlossen, dass ein anderer einen wesentlichen Teil der Betriebsausgaben bestreitet ( ...). Es entspricht einer lebensnahen Betrachtung, anzunehmen, dass ein Gattenteil, für den ein in seinem Miteigentum stehendes Kraftfahrzeug zugelassen ist und der – wie hier – als Vertragspartner des Haftpflichtversicherers in Erscheinung tritt, dieses Fahrzeug, und sei es auch nur etwa fallweise, zu Vergnügungs- oder Bequemlichkeitsfahrten benützt. Sollte aber im speziellen Fall aus nicht festgestellten Gründen die Erstbeklagte davon absehen, ihre Rechte an dem Fahrzeug wirklich praktisch auszuüben, so ist sie gleichwohl als Mithalterin anzusehen, weil auf Grund der vorliegenden Tatsachenfeststellungen davon auszugehen ist, dass sie sowohl die (auf das Miteigentum gegründete) rechtliche als auch die (durch die Überlassung an den Zweitbeklagten ausgeübte) tatsächliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug hat ( ...).
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5. Die historische Tierhalterhaftung als Entwicklungsmodell der modernen Gefährdungshaftung?
Das Verhalten von Tieren ist oft unberechenbar. Das weiß man seit langem. Schon die Griechen und Römer regeln diese Fragen rechtlich. – Nicht voll beherrschbare Techniken und Organisationsformen am Beispiel des rechtlichen Einstehensmüssens (= Haftung) für Tiere zu entwickeln, war daher durchaus konsequent aber – dennoch – originell gedacht. Die Idee stammt aber nicht von Juristen, sondern aus der Philosophie. – Wenn der Schein nicht trügt, war es G. W. F. Hegel, der das gedanklich-konstruktive missing link vom einen zum anderen Bereich lieferte. – Ich habe mich dazu vor gut 20 Jahren in meiner Habilitationsschrift „Kausalität im Sozialrecht” (234 f, 1983) geäußert.


Entwicklung der Gefährdungshaftung (1) – (10)
Abbildung .19:
Entwicklung der Gefährdungshaftung (1) – (10)
„Von Bedeutung erscheint Hegel aber – auch das interessiert hier – nicht nur für den Bereich des Kausalitätsdenkens [ieS]. In § 116 seiner Rechtsphilosophie entsteht so etwas wie das Ur-Konzept einer juristischen Gefährdungshaftung; und zwar in seiner Formulierung fast schon losgelöst von den auch noch auf Hegel einwirkenden gemein- bzw römischrechtlichen Wurzeln; darauf weist auch Benöhr, FS Kaser 699 f, hin:
§ 116: „Meine eigene Tat ist es zwar nicht, wenn Dinge, deren Eigentümer ich bin und die als äußerliche in mannigfaltigem Zusammenhange stehen und wirken (wie es auch mit mir selbst als mechanischem Körper oder als Lebendigem der Fall sein kann), andern dadurch Schaden verursachen. Dieser fällt mir aber mehr oder weniger zur Last, weil jene Dinge überhaupt die meinigen, jedoch auch nach ihrer eigentümlichen Natur nur mehr oder weniger meiner Herrschaft, Aufmerksamkeit usf. unterworfen sind.”
Diese Gedanken auf eine Eisenbahnanlage oder ein Industrieunternehmen zu beziehen, fällt nicht schwer. – In den Notizen verweist Hegel noch auf Heineccius’ „Elementa Iuris Civilis”: §§ 1235, 1229: actio de pauperie. Im Zusammenhang mit dem bei Hegel in noch recht allgemeiner Form auftauchenden Gedanken (gefährdungs)haftungsrechtlicher Zurechnung ist auch auf die seiner Lehre vom Unrecht (§§ 82 ff) zugrunde liegende Unterscheidung von „unbefangenem” und „schuldhaftem” Unrecht hinzuweisen. [Es ist wohl kein Zufall, wenn 1870 der Hegelianer Moriz Heyssler (Prof. der Wiener Universität), ganz gegen die damals hL (Ihering, Merkel), in seinem Werk: „Das Civilunrecht und seine Formen”, unter Hinweis auf diese Unterscheidung Hegels (aaO 13) streng zwischen verschuldetem und nicht verschuldetem „Civilunrecht” unterscheidet; zB aaO 15 und 16: „Nach der hier (in Uebereinstimmung mit der Vulgartheorie) vertretenen Auffassung … gehört das Schuldmoment nicht zum Begriff des Civilunrechts; es hat im Civilunrecht keine constitutive, sondern nur eine qualificierende Bedeutung.” (Hinweis auf Heyssler bei Gerhard Oberkofler, FS Hellbling 625). Civil- und Strafunrecht sondern sich nur allmählich stärker voneinander ab. (Nichtjuristen ist der Unterschied noch heute fremd!) Insofern überrascht es nicht, dass sich kausaltheoretisch verhältnismäßig lange gemeinsame (Kausal)Zurechnungsüberlegungen halten konnten.] 1821 erscheint Hegels Rechtsphilosophie. 1833 gibt Gans Hegels Werk erneut heraus. 1838 findet der Gedanke der Gefährdungshaftung erstmals im PreußEisbG – das unter Umständen sogar von Savigny (?) überarbeitet wurde, somit in einem Zeitalter keimender Industrialisierung höchst wichtigen Bereich, legistischen Niederschlag. Eine monokausale Erklärung soll damit aber nicht gegeben werden; vgl die Ausführungen zu § 1334 ABGB. [Ob ein Einfluss Hegels auf Savignys praktisches Wirken vorlag oder nicht, muss hier dahingestellt bleiben. Diese Frage bedarf – trotz scheinbar negativer Antworten durch Larenz und Wieacker (PRG2 414 f; vgl jedoch die zahlreichen, zumindest einen möglichen Einfluss Hegels nicht ausschließenden Belege Wieackers 349 ff) – erneuter Behandlung. Diese ablehnenden Ansichten scheinen mir zu sehr an der Hegelschen Begriffsbildung orientiert, weniger am materiellen Substrat Hegelschen Denkens. Wieacker weist aber bspw selbst darauf hin (PRG2 357 FN 38, S. 358), dass die älteste Fundstelle für Savignys wichtigen Begriff des Volksgeistes, Hegels Schrift „Volksreligion und Christentum” (1793) sei; vgl Nohl 21 und Landsberg 213 ff, FN 66 ff; anders Coing, NJW 1979, 2021 bei FN 16.]
Neben römisch- und gemeinrechtlicher Doktrin trägt auch naturrechtliches Denken zur Entwicklung der Grundlagen der Gefährdungshaftung bei. Es war vor allem K. A. v. Martini, der das Recht Geschädigter auf (Schaden)Ersatz primär nicht auf das Verschulden, sondern das „Vertheidigungsrecht” des Geschädigten stützte. Dazu meine Ausführungen in: Barta/Palme/ Ingenhaeff (Hg), Naturrecht und Privatrechtskodifikation (1999) Vgl idF auch Zeiller, Commentar III 729.
Die geistige Ahnenreihe des nunmehr im öffentlichen Recht so starken Anklang findenden Kausalkonzepts der ArbeiterUV, ja juristischen Kausalitätsdenkens überhaupt, erscheint lang. Genealogisch verkürzende Zuweisungen an diesen oder jenen späteren Autor nehmen sich vor diesem breiten historischen Hintergrund noch problematischer aus. Dem arbeiter-uv-rechtlichen war das zivilrechtliche RHG-Konzept vorgelagert, welches wiederum strafrechtliche Wurzeln besitzt. Das Strafrecht offenbart in dieser Frühzeit juristischen Kausalitätsdenkens große innovatorische Kraft. Allein auch das Strafrecht saugt nicht nur aus eigenen Wurzeln, zehrt vielmehr in bisher noch zu wenig beachtetem und untersuchtem Maße aus dem Mutterboden damaligen Denkens: der Philosophie. Die Verbindung von Strafrecht und Philosophie erscheint ja noch heute enger, als jene von Zivilrecht und Philosophie. Zivilisten waren und sind idR keine Philosophen. Ihr Denken bewegt sich – meist ohne sachlichen Zwang – in enger Bahn. Es erstaunt allerdings wie wenig Juristen bereit sind, diese, ihre genetische Linie aufzudecken.
Erste Ansätze eines Loslösens der Haftung vom Verschulden eines Schädigers finden sich aber schon bei Aristoteles, Nikomachische Ethik V 10, 1135a.
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6. Tatbestandsvoraussetzungen des § 1320 ABGB
Wird jemand durch ein Tier verletzt, was auch bedeuten kann, dass fremdes Vermögen beschädigt wird, so ist primär derjenige dafür verantwortlich,
• „der es dazu angetrieben” oder „gereizt” hat;
• und erst in zweiter Linie der, der das Tier „zu verwahren vernachlässigt hat”.
Der zweite Satz unserer Bestimmung enthält die Umkehr der Beweislast:
„Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.”
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 30. 4. 2002, 1 Ob 57/02t, EvBl 2002/175: 2 Hundebesitzerinnen lassen ihre Hunde (Riesenschnautzerhündin und Dobermannweibchen) im Park einer Wohnhausanlage umhertollen und unterhalten sich miteinander. Als die spielenden Hunde an das rechte Bein einer Hundehalterin geraten, verletzen sie diese schwer am Knie. Die Verletzte klagt idF die zweite Hundehalterin auf Schadenersatz wegen Vernachlässigung der Aufsichtspflicht nach § 1320 ABGB. – OGH: Lassen Hundehalter ihre an sich gutmütigen Hunde im gegenseitigen Einverständnis frei laufen, um ihnen einerseits den Auslauf und andrerseits das Umhertollen miteinander zu ermöglichen, kann dem einen Halter keine schuldhafte Vernachlässigung seiner Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht vorgeworfen werden, wenn der andere bei einem Zusammenstoß mit den spielenden Hunden verletzt wird.


Tierhalterhaftung: § 1320 ABGB (1) + (2)
Abbildung .20:
Tierhalterhaftung: § 1320 ABGB (1) + (2)


Begriff des Tierhalters (1)
Abbildung 10.21:
Begriff des Tierhalters (1)


Begriff des Tierhalters (2)
Abbildung 10.22:
Begriff des Tierhalters (2)
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IX. Zivilrechtlicher Schutz der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes: § 1330 ABGB
Oben wurde auf den Schadensbegriff und die Schadensarten eingegangen (→ KAPITEL 9: Schadensbegriff, Schadensarten, Schadensfeststellung) und dabei die Verletzung der Ehre als Personen-, Nichtvermögens- oder immaterieller Schaden bezeichnet. – § 1330 ABGB enthält in seinem Abs 1 einen Tatbestand zum Schutz der persönlichen Ehre (Personenschaden); Abs 2 dagegen kann nicht mehr ausschließlich als Personenschadensnorm verstanden werden, vielmehr bestehen hier bereits Übergänge zum Vermögensschaden. Die Einfügung durch die III. TN hat die klare Unterscheidung des ABGB (das den Vermögensschaden im anschließenden § 1331 ABGB geregelt hatte) verwischt, sodass heute zu sagen ist: Die Grenze zwischen Personen- und Vermögensschaden verläuft mitten durch § 1330 ABGB hindurch.
1. Die zivilrechtliche Ehrenbeleidigung
Abs 1: „Wenn jemand durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schade oder Entgang des Gewinnes verursacht worden ist, so ist er berechtigt, den Ersatz zu fordern.”
Auch für das Zivilrecht ist die Ehre ein schützenswertes Rechtsgut, mag auch der strafrechtliche Schutz bekannter und mitunter effizienter sein; vgl §§ 111 ff StGB:
§§ 111 ff StGB
(1) Wer einen anderen in einer für einen Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen, ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(2) Wer die Tat in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst auf eine Weise begeht, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit zugänglich wird, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen.
(3) Der Täter ist nicht zu bestrafen, wenn die Behauptung als wahr erwiesen wird. Im Fall des Abs. 1 ist der Täter auch dann nicht zu bestrafen, wenn Umstände erwiesen werden, aus denen sich für den Täter hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptung für wahr zu halten.
Die Verletzung des absolut geschützten Rechtsgutes „Ehre” stellt für sich genommen einen Schaden iSd Gesetzes dar; es handelt sich um eine Persönlichkeits(rechts)verletzung; § 16 ABGB → KAPITEL 4: Die Persönlichkeitsrechte. Es braucht daher nicht auch noch (zusätzlich) ein Vermögensschaden eingetreten sein, um sich auf diese Bestimmung stützen zu können.
„Ehre”: Schaden iSd Gesetzes
Rechtssprechungsbeispiel
Ratschen-Fall” (SZ 56/63) → KAPITEL 4: Rechtsprechungsbeispiele.
JBl 2000, 179: Kein Unterlassungsanspruch nach § 1330 Abs 2 ABGB gegen eine staatlich (fragwürdige) Sektenwarnung (?), zumal diese eine hoheitliche Verwaltungstätigkeit darstellt und dem AHG unterliegt, das aber einen derartigen Anspruch nicht kennt; Sri Chinmoy-Bewegung (Anm Kalb). Vgl auch → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
Literaturquelle
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2. § 1330 Abs 2 ABGB: Wirtschaftlicher Ruf – Kreditwürdigkeit – Kreditschädigung
Literaturquelle
Praktisch für Wirtschaft und Wettbewerb ist Abs 2 unserer Bestimmung, der – von der III. TN eingefügt – die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs (Kredit, Erwerb, Fortkommen) schützt. – Auch der Ruf juristischer Personen (inklusive von OHG, KG und Erwerbsgesellschaften/GesbR) wird geschützt!
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1986/150: Kreditschädigende Äußerungen gegen eine Kapitalgesellschaft in einem Leserbrief → Weitere Beispiele
OGH 15. 3. 2001, 6 Ob 14/01d, EvBl 2001/163: In einem Wochenmagazin wird im Zuge der Berichterstattung über einen Pyramidenspiel- Skandal der Kläger als „größenwahnsinniger Brutalo-Faschist” bezeichnet. Nach dem Strafverfahren (§ 115 StGB) das über ein Jahr dauerte, bringt der Kläger auch noch eine Zivilklage nach § 1330 ABGB ein. – OGH verweist darauf, dass das Geltendmachen zivilrechtlicher Ansprüche auch im Strafverfahren möglich gewesen wäre (Adhäsionsverfahren) und daher die Erhebung einer Privatanklage nach § 115 StGB allein noch keine Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche darstellt, also die Verjährung nicht unterbricht.
Ähnlich wie § 1330 Abs 2 ABGB ist § 7 UWG konzipiert. Er sanktioniert die Herabsetzung eines Unternehmens. Die Sanktions- und Anspruchsgestaltung ist bereits moderner; Schadenersatz, Widerruf samt Veröffentlichung und Begehren auf Unterlassung der Behauptung oder Verbreitung der Tatsachen.
§ 7 UWG
§ 7 UWG
„(1) Wer zu Zwecken des Wettbewerbes über das Unternehmen eines anderen, über die Person des Inhabers oder Leiters des Unternehmens, über die Waren oder Leistungen eines anderen Tatsachen behauptet oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens oder den Kredit des Inhabers zu schädigen, ist, sofern die Tatsachen nicht erweislich wahr sind, dem Verletzten zum Schadenersatz verpflichtet. Der Verletzte kann auch den Anspruch geltend machen, daß die Behauptung oder Verbreitung der Tatsachen unterbleibe. Er kann ferner den Widerruf und dessen Veröffentlichung verlangen.
(2) Handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen und hat der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr ein berechtigtes Interesse, so ist der Anspruch auf Unterlassung nur zulässig, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet oder verbreitet sind. Der Anspruch auf Schadenersatz kann nur geltend gemacht werden, wenn der Mitteilende die Unrichtigkeit der Tatsachen kannte oder kennen musste.”
Vgl auch § 152 StGB: Kreditschädigung:
„(1) Wer unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen eines anderen schädigt oder gefährdet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Die Freiheits- und die Geldstrafe können auch nebeneinander verhängt werden.
(2) Der Täter ist nur auf Verlangen des Verletzten zu verfolgen.” – Sog Privatanklagedelikt.
Zum Begriff der „Verbreitung” iS dieser Gesetzesstelle → Weitere Beispiele – Homepage.
„Verbreitung“
Für den Beweis der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung und des dem Werturteil zugrundegelegten Sachverhalts genügt der Nachweis der Richtigkeit des Tatsachenkerns. Eine Äußerung ist grundsätzlich als noch richtig anzusehen, wenn sie nur in unwesentlichen Details nicht der Wahrheit entspricht; SZ 71/96 → Weitere Beispiele
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3. Weitere Beispiele
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1986/150: Die Aufzählung von Schutzobjekten in § 1330 Abs 2 ABGB ist nicht erschöpfend. Sie erfasst auch den ‘wirtschaftlichen Rufeiner juristischen Person.
SZ 63/1 (1990): Das Verbreiten unwahrer Tatsachenbehauptungen über eine Person, die Geschäftsführer einer juristischen Person ist oder doch maßgebenden Einfluss auf eine solche hat, kann auch die juristische Person zur Klage nach § 1330 Abs 2 ABGB berechtigen.
”Der Standard” klagt „TV-Media”: Das Fernsehmagazin TV-Media behauptet in seiner jüngsten Ausgabe, „Der Standard” brauche neuerlich einen 50-Mio-Kredit. Diese jeder Grundlage entbehrende Behauptung stellt eine schwere Image-Schädigung dar. Durch massive rechtliche Schritte sollen daher solche Praktiken unterbunden werden. Der Standard, 1.2.1996, S. 1. – Worin könnten diese Schritte bestehen?
Vgl auch JBl 2000, 179: Sektenwarnung → KAPITEL 11: § 7 ABGB: Die Lückenschließung.
OGH 22.2.2001, 6 Ob 307/00s: Kreditschädigung durch ein Interview, das in eine Homepage mit weiterführenden Links aufgenommen wird – Vorwurf von Behandlungsfehlern gegen einen stellvertretenden Klinikvorstand in Innsbruck. – Leitsätze des OGH: Wer im Rahmen eines von ihm einem Journalisten gewährten Interview unwahre, kreditschädigende Tatsachenbehauptungen über einen Dritten aufstellt, hat diese auch in Ansehung der Veröffentlichung des Interviews in der Zeitschrift iSd § 1330 Abs 2 ABGB „verbreitet”, liegt doch in der Veröffentlichung des Interviews in aller Regel gerade ihr Zweck; der Mitteilende ist daher in Ansehung der Verbreitung in der Zeitschrift zumindest Mittäter. – Wer einem Dritten zu Zwecken der Verbreitung „in jeder möglichen Form und in jedem möglichen Medium” Informationen zur Verfügung stellt, die von dem Dritten in der Folge in eine Homepage beziehungsweise in deren Unterverzeichnisse aufgenommen werden, hat an deren Verbreitung im Internet mitgewirkt und muss diese gegen sich gelten lassen, ohne dass es darauf ankäme, ob er auf die inhaltliche Gestaltung der Homepage und deren Unterverzeichnisse Einfluss nehmen konnte. – Die Aufnahme von Tatsachen in eine Homepage oder deren Unterverzeichnisse, die von dieser aus abgefragt werden können, erfüllt den Tatbestand der Verbreitung iSd § 1330 Abs 2 ABGB. – Ansprüche aus § 1330 ABGBrichten sich nicht nur gegen den unmittelbaren Täter – also gegen jene Person, von der die Beeinträchtigung ausgeht –, sondern auch gegen den Mittäter, den Anstifter und den Gehilfen des eigentlichen Störers, welche den Täter bewusst fördern.
SZ 71/96 (1998): Bei einer ehrverletzenden, im Tatsachenkern aber richtigen Äußerung – hier: Vorwurf der Tierquälerei gegen das Stift K. in Bezug auf eine Massenhaltung von Hühnern in Legebatterien – kann die Gewichtigkeit des Themas für die Allgemeinheit im Rahmen der gebotenen Interessensabwägung den Ausschlag für die Bejahung eines Rechtfertigungsgrundes geben. – Eingegangen wird auch auf das verfassungsrechtlich gewährleistete Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRG und Art 13 StGG) und den dort statuierten Gesetzesvorbehalt, den konkret § 1330 ABGB ausführt.
OGH 14. 3. 2000, 4 Ob 55/00t, JBl 2000, 664: Der Vorwurf eines Rechtsanwalts gegenüber einem Kollegen, er begehe durch ein überhöhtes Kostenverzeichnis ein „Standesvergehen des höchsten Ranges”, ist ein Werturteil, keine Tatsachenbehauptung. Dennoch wird kein Wertungsexzess angenommen und damit die Schadenersatzpflicht nach § 1330 Abs 2 ABGB verneint.
OGH 13. 7. 2000, 6 Ob 114/00h („Omofuma-Fall I”), SZ 73/117: Im Rahmen einer Pressekonferenz zum Tod des Schubhäftlings Marcus Omofuma bezeichnet der Anwalt der Verwandten die betroffenen Beamten als „Verbrecherpolizisten”. Diese klagen auf Unterlassung und Widerruf nach § 1330 ABGB. – OGH: Die Bezeichnung von Polizeibeamten als „Verbrecherpolizisten” ist eine überprüfbare Tatsachenbehauptung. Wenn sie von einem Rechtsanwalt außerhalb eines Prozesses in einer Pressekonferenz aufgestellt wird und die Richtigkeit des Sachverhalts nicht feststeht, kann die ehrverletzende Äußerung nicht mit dem Rechtfertigungsgrund des Interesses an einer unbehinderten Prozessführung iSd § 9 RAO gerechtfertigt werden. (Didaktisch vorbildlicher Entscheidungsaufbau.)
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B. Behandlungsvertrag – Medizinhaftung
Mitbearbeitet von Gertrud Kalchschmid
Literaturquelle
Der folgende „Exkurs” behandelt einen Sonderfall des § 1299 ABGB und geht auf den Behandlungsvertrag und damit verwandte Fragen ein. – Der Behandlungsvertrag bildet die rechtliche Grundlage der Beziehung zwischen Krankenanstalt/Arzt und Patient/in. Eine bestimmte Form für den Abschluß eines Behandlungsvertrags ist nicht vorgeschrieben, sodaß er mündlich, schriftlich oder konkludent geschlossen werden kann. IdR wird er bloß mündlich und häufig konkludent abgeschlossen. Aus dem Behandlungsvertrag heraus entsteht – bei längerer Dauer – das Behandlungsverhältnis (→ Rechte und Pflichten aus dem Behandlungsvertrag), das auf jeder Seite unterschiedliche und uU vielfältige und sich wiederholende Rechte und Pflichten entstehen lässt.


Recht und Medizin
Abbildung 10.23:
Recht und Medizin


Medizinrecht (Vorlesungsfolien)
Abbildung .24:
Medizinrecht (Vorlesungsfolien)
I. Arten des Behandlungsvertrags
Der Behandlungsvertrag tritt in der Rechtspraxis in unterschiedlichen Ausformungen in Erscheinung, die klar auseinandergehalten werden müssen. Diesem Ziel dient die folgende Unterscheidung, die auch der Rechtssicherheit dient.
1. Der einfache Behandlungsvertrag
Die einfachste Form eines Behandlungsvertrags ist der Vertragsschluss zwischen Patient und frei praktizierendem Arzt / Allgemeinmediziner oder Facharzt. Dabei trifft den Arzt grundsätzlich eine unmittelbare und persönliche Behandlungspflicht; § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998. Der Patient hat – als korrespondierende vertragliche Hauptpflicht – das vereinbarte Behandlungsentgelt zu leisten.
Überweist ein Arzt den Patienten, mit dem er den Behandlungsvertrag geschlossen hat, an einen anderen Arzt, kommt es idR zu einer neuen vertraglichen Beziehung. Übernimmt der Arzt, an den der Patient überwiesen wurde, die selbständige Behandlung oder Teilbehandlung des Patienten, so kommt ein eigener Behandlungsvertrag zustande. Der überweisende Arzt haftet in einem solchen Fall allenfalls für culpa in eligendo, also für Verschulden, das ihn bei der Auswahl des anderen Arztes trifft. Er haftet aber keinesfalls für ein (fachliches) Verschulden des anderen Arztes. – Zieht dagegen ein Arzt einen anderen Arzt konsiliariter zu Rate und/oder überläßt ihm Behandlungsunterlagen/ Material zur Durchführung von Spezialuntersuchungen, entsteht zwischen dem Patienten und dem Konsiliararzt keine (eigene)Rechtsbeziehung. Vielmehr bleibt der erste Arzt ausschliesslicher Vertragspartner des Patienten. Zwischen den Ärzten bestehen dann gesonderte rechtliche Beziehungen; insbesondere ist das Vorliegen einer § 1313a ABGB-Beziehung (Erfüllungsgehilfe) – zB mit einem medizinisch-technischen Labor – oder eine werkvertragliche Beziehung zu prüfen. Schutzwirkungen aus dem Vertrag zwischen den beiden Ärzten erstrecken sich aber idR auf den Patienten, sodass diesem sofern er aus einem schuldhaften Fehlverhalten des „zweiten” Arztes einen Schaden erleidet, auch gegen diesen vertragliche Ersatzansprüche erheben kann; Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ( → KAPITEL 9: Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter): RdM 2002, 20 ff – Abklärung eines Mammakarzinoms.
Überweisung zur Behandlung
Daneben entstehen – wie erwähnt – auf jeder Seite Nebenpflichten → Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag: So trifft Patienten/innen eine Mitwirkungspflicht an der Behandlung, Arzt und Ärztin ua eine Verschwiegenheitspflicht. Dazu gleich mehr.
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2. Der einfache Krankenhausaufnahmevertrag
Wird ein/e Patient/in in einer Krankenanstalt behandelt, wird der Behandlungsvertrag zwischen ihm/r und der Krankenanstalt geschlossen. Das kann wiederum mündlich oder schriftlich, ausdrücklich oder konkludent geschehen.
Eine gemeinnützige Krankenanstalt hat jede anstaltsbedürftige Person nach Maßgabe der Anstaltseinrichtungen aufzunehmen (Kontrahierungszwang! → KAPITEL 5: Abschlussfreiheit <-> Kontrahierungszwang) und die Patienten/innen so lange in der Krankenanstalt unterzubringen, ärztlich zu behandeln, zu pflegen und zu verköstigen, als es ihr Gesundheitszustand erfordert. – Für die ärztliche Behandlung und Pflege ist ausschließlich der Gesundheitszustand des Patienten maßgebend; §§ 23, 24 Tir-KAG. Das gilt für alle Arten der Behandlung und insbesondere auch für Operationen. – Unabweisbare Personen müssen in Anstaltspflege genommen werden; § 33 Abs 2 Tir-KAG. Als unabweisbar iSd Abs 2 gelten Personen, deren geistiger oder körperlicher Zustand wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren schweren Gesundheitsschädigung eine sofortige Anstaltsbehandlung erfordert, sowie Frauen, deren Entbindung unmittelbar bevorsteht. Als unabweisbar gelten auch Personen, die aufgrund besonderer Vorschriften behördlich eingewiesen werden. Die unbedingt notwendige ärztliche Hilfe darf in öffentlichen Krankenanstalten niemanden verweigert werden. – In Krankenanstalten hat die ärztliche Betreuung grundsätzlich auf fachärztlichem Niveau zu erfolgen; § 11 Abs 2 Tir-KAG. – Der ärztliche Dienst muß so eingerichtet sein, daß ärztliche Hilfe in der Anstalt jederzeit und sofort erreichbar ist; § 12 Abs 1 Tir-KAG. Patienten dürfen nur nach den Grundsätzen und anerkannten Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt werden; § 12 Abs 3 Tir-KAG. Zudem besteht die Verpflichtung der Krankenanstalt, eine dauernde qualifizierte Pflege für stationär aufgenommene Patienten sicherzustellen; § 9a Z 12 Tir-KAG. – Krankenanstalten sind ferner zur Durchführung von Maßnahmen der (medizinischen) Qualitätssicherung verpflichtet (§ 9 b Tir-KAG), was immer das bedeuten mag.
Kontrahierungszwang etc
Im Krankenhausaufnahmevertrag verspricht die Krankenanstalt eine sachgemäße Behandlung durch ihr ärztliches und nichtärztliches Personal. Zwischen Personal – ärztlichem wie Pflege- oder sonstigem Personal – und Patient/in besteht keine Vertragsbeziehung. Das gesamte Personal der Krankenanstalt haftet aber (allenfalls neben dem Träger) Patienten/innen deliktisch → KAPITEL 9: Vertrags- und Deliktshaftung. Krankenanstaltsträger schulden ihren Patienten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag als Gesamtleistung eine sachgemäße Heilbehandlung, Unterkunft und volle Anstaltspflege. Die einzelnen behandelnden Krankenhausärzte und Krankenschwestern treten in keine (persönliche) vertragliche Beziehung zum Patienten. Sie werden vielmehr als Erfüllungsgehilfen des Anstaltsträgers tätig; § 1313a ABGB. Nur der Anstaltsträger haftet seinen Patienten/innen gegenüber vertraglich für Schäden, die vom ärztlichen und nichtärztlichen Krankenhauspersonal verursacht werden.
Vertragsinhalt
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 41/87 (1968): Krankenanstalt haftet für Krankenschwester, welche der Hebamme bei der Geburt hilft; zu heiße Wärmflasche verbrennt Säugling.
OGH 11. 7. 2001, 7 Ob 156/01v, RdM 2002/8: Schutz- und Verkehrssicherungspflichten von Krankenhäusern – Der Vertrag eines Patienten mit einer Krankenanstalt auf stationäre Behandlung ist regelmäßig in erster Linie auf die ärztliche (Heil)Behandlung gerichtet. Er umfasst aber auch die Pflege des Patienten, seine Beherbergung und die Wahrung seiner körperlichen Sicherheit. Der Rechtsträger einer Krankenanstalt ist verpflichtet, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, damit der Patient durch andere Patienten, durch Besucher, durch die technischen Einrichtungen zur Heilbehandlung und Pflege und durch sonstige betriebliche Anlagen in seiner körperlichen Unversehrtheit nicht zu Schaden kommt. – Das gilt auch für Krankenzimmer: Hier Verletzung einer teilweise gelähmten Patientin durch eine umfallende Stehlampe.
Zur unbefriedigenden Rspr bezüglich der Haftung von Krankenanstalten bei deren Verletzung von Verkehrssicherungspflichten gegenüber Besuchern → KAPITEL 9: Verträge mit Schutzwirkung zugunsten Dritter: sog Krankenhausbesuchs- fälle.
Die Krankenanstalt muss auch für eine entsprechende Weiterbildung ihres Arzt- und Pflegepersonals sorgen, was durch den raschen medizintechnischen Fortschritt besonders wichtig ist. – Man denke an Endoskopie oder laparaskopische Methoden.
Weiterbildung
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 62/125 (1989): Der Patient hat Anspruch auf die nach dem Stand der Wissenschaft/state of the art sichersten Maßnahmen zur Abwendung bekannter Operationsgefahren. Vgl auch SZ 62/53.
SZ 62/53 (1989): Der Artz handelt nicht fahrlässig, wenn er eine Behandlungsmethode wählt, die von einer anerkannten Schule medizinischer Wissenschaft vertreten und noch nicht von einem gewichtigen Teil der medizinischen Wissenschaft und Praxis für bedenklich gehalten wird, selbst wenn andere kompetente Mediziner eine andere Methode bevorzugt hätten. Vgl auch SZ 62/125.
Behandlungsverträge werden gleichermassen von Kassen- wie Privatpatienten geschlossen und kommen wie jeder andere Vertrag zustande, wobei den Beteiligten klar sein muss, dass durch ihr Verhalten Rechte und Pflichten erworben und übernommen werden sollen. – Behandlungsverträge werden nach § 863 ABGB (→ KAPITEL 5: Arten von Willenserklärungen: § 863 ABGB) entweder ausdrücklich (mündlich oder schriftlich) oder schlüssig sowie allenfalls auch stillschweigend geschlossen.
Kassen- und Privatpatienten
Zum Anwendungsbereich der GoA im Zusammenhang mit dem Erbringen medizinischer (Hilfe)Leistungen → KAPITEL 12: Geschäftsführung ohne Auftrag.
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3. Mischformen des Behandlungsvertrags
Neben den beiden genannten Grundformen des Behandlungsvertrags existieren in der Praxis Mischformen, insbesondere:
Mischformen der Praxis
• Bei Aufnahme in die Sonderklasse einer Krankenanstalt wird ebenso ein modifizierter Behandlungsvertrag geschlossen wie bei der
• Behandlung in einem (Privat)Sanatorium durch einen Belegarzt.
Dazu gleich mehr.
Die Sonderklasse erfüllt von ihrem Anspruch her hinsichtlich Verpflegung und Unterbringung höhere Ansprüche; insbesondere durch eine niedrigere Bettenanzahl in den Krankenzimmern (Tendenz zum Einbettzimmer) sowie eine bessere Ausstattung und Lage der Krankenzimmer. Der Standard muss höher sein, als in der allgemeinen Gebührenklasse der jeweiligen Krankenanstalt (!). Die Realität hält hier nicht überall mit dem Anspruch Schritt. – In die Sonderklasse dürfen Patienten nur auf eigenes Verlangen aufgenommen werden; vgl § 30 TirKAG. Patienten/innen haben sich bei ihrer Aufnahme in die Sonderklasse durch eine schriftliche Erklärung zu verpflichten, den allgemeinen Kostenbeitrag und die zusätzlich anfallenden Sondergebühren zu tragen. Zuvor sind Patienten/innen über die voraussichtliche Höhe dieser Gebühren sowie über die Honorarberechtigung der Ärzte zu informieren, was oft unterbleibt.
Sonderklasse
Sonderklassepatienten/innen schließen zusätzlich zum Krankenhausaufnahmevertrag einen Behandlungszusatzvertrag mit einem idR leitenden Spitalsarzt ab, der darin die persönliche medizinische Betreuung, worin immer sie bestehen mag, zusagt. Nicht immer wird diese Zusage eingelöst, denn es kommt immer wieder vor, dass der medizinische Vertragspartner nicht selber behandelt oder operiert, sondern andere für ihn. – Die anfallenden zusätzlichen Behandlungskosten übernimmt idR eine private (Kranken)Zusatzversicherung. Zu zahlen ist natürlich nur einmal: Zusatzversicherung oder selbstzahlende/r Patient/in. Doppelverrechnungen sind aber vorgekommen und wurden sogar als standesgemäß betrachtet.
Behandlungszusatzvertrag
Krankenhausträger und leitender Spitalsarzt haften aus einer solchen Vertragsbeziehung gemeinsam – dh solidarisch – für die medizinische Behandlung von Patienten/innen. Das stellt ein Privileg dieser Ärztegruppe dar, das längst (im Innenverhältnis) hinterfragt gehörte. Für den Bereich öffentlicher Krankenanstalten hat ein sorgfältiger Träger hier Klarstellungen zu treffen, wofür mehrere Möglichkeiten offen stehen: Abschluss von spezifischen Haftpflichtversicherungen in angemessener Höhe, Erfüllungsübernahmen udglm. Auch hinsichtlich der allgemeinen Verpflegung wäre ein Ausgleich anzustreben. Erstaunlicherweise ist die „Geduld” der Privatversicherer, die das alles bezahlen müssen, hier sehr groß. Über die Gründe darf nachgedacht werden. – Vgl auch → Der Sonderklassepatient: Der Sonderklassepatient.
Haftung
Belegärzte haften – mangels gegenteiliger Vereinbarung – auch für das ihnen vom Rechtsträger des Spitals zur Verfügung gestellte Personal. Das Personal des Belegspitals wird idR als Erfüllungsgehilfe des Belegarztes tätig.
Belegarztvertrag
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 27. 10. 1999, 1 Ob 267/99t („Blutleermanschette- Fall”), SZ 72/164 = JBl 2001, 56 = EvBl 2000/67: Die im „Belegarztvertrag” erkennbare Aufgabenteilung führt gegenüber dem Patienten zu einer entsprechenden Aufspaltung der Leistungspflichten des Belegarztes einerseits und des Belegspitals andrerseits. Der Belegarzt haftet für „Assistenz seiner Wahl” im Rahmen einer Operation nach § 1313a ABGB. Dies gilt auch für Verletzungen der Sorgfaltspflichten bei der Operationsvorbereitung (hier: Anlegen einer Blutleermanschette), weil diese untrennbar mit dem Operationsvorgang selbst verbunden ist.
OGH 23. 11. 1999, 1 Ob 269/99m („Die brutale Anästhesistin”), JBl 2001, 58 = RdM 2000, 90: Wirtschaftlich selbständige Anästhesistin hilft befreundetem Belegarzt „aus Gefälligkeit” bei Knieoperation. Als der erste Intubationsversuch fehlschlug, benützte sie „mehr Kraft”, wodurch sie die Zähne der Patientin im Oberkiefer samt deren Wurzeln lockerte und ein Stück des Kieferknochens abbrach. – OGH: Die Vertragspflicht des Belegarztes, eine bestimmte Operation am Patienten durchzuführen, schließt auch eine fachgerechte Operationsvorbereitung ein. Der Belegarzt haftet auch für das Verhalten aller wirtschaftlich selbständigen (Fach)Ärzte, die ärztliche Leistungen unter seiner medizinischen Oberleitung erbringen. (Eine fachliche Weisungsbefugnis des Belegarztes ist somit keine notwendige Voraussetzung für seine Haftung für Erfüllungsgehilfen.) Personen, denen sich ein Belegarzt zur Erfüllung seiner Pflichten aus dem Behandlungsvertrag bedient, sind auch dann Erfüllungsgehilfen, wenn ein solcher Vertrag im Einzelfall als freier Dienstvertrag einzuordnen wäre.
In der Praxis schließen Patienten aber nicht nur mit dem Belegarzt einen (Behandlungs)Vertrag, sondern für Verpflegung und Unterbringung auch einen Aufnahmevertrag mit dem Belegspital, zB einem Sanatorium. Die Grenzziehung ist in der Praxis aber oft unsicher – weil in Verfolgung einer beruflichen Vogelstraußpolitik häufig keine schriftlichen Verträge zwischen Belegspital und Belegarzt geschlossen werden. Dies sollte im Interesse aller Beteiligten durch klare schriftliche Verträge verbessert werden; vgl den Mustervertrag bei Hilber / Barta 61 (1999).
Literaturquelle


Belegarztvertrag: Doppelvertragsvariante
Abbildung 10.25:
Belegarztvertrag: Doppelvertragsvariante


BelegarztV: Erfüllungsgehilfenvariante
Abbildung 10.26:
BelegarztV: Erfüllungsgehilfenvariante


BelegarztV: NL-Zentralhaftung
Abbildung 10.27:
BelegarztV: NL-Zentralhaftung
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II. Zur Rechtsnatur des Behandlungsvertrags
1. Der Behandlungsvertrag als freier Dienstvertrag
Der Patient ist Subjekt, nicht Objekt der Behandlung. Der Gedanke der Privatautonomie fordert rechtliche Gleich-, nicht Unterordnung! Die rechtliche Grundlage dafür legt die durch den Behandlungsvertrag geschaffene vertragliche (Sonder)Beziehung zwischen Patient/in und Arzt.
Der Behandlungsvertrag – als grundsätzlich entgeltlicher Vertrag – wird heute überwiegend als freier Dienstvertrag verstanden, der vom normalen Arbeitsvertrag, wie vom Werkvertrag, aber auch dem Auftrag zu unterscheiden ist; mehr dazu in Kapitel 12. Beim freien Dienstvertrag (einer nicht unproblematischen und rechtlich schillernden Rechtsfigur) wird – anders als beim Werkvertrag – kein Erfolg (hier iSv Heilung oder Gesundung) geschuldet; vielmehr nur eine fachgerechte medizinische Behandlung. Dies deshalb nicht, weil die komplexen Abläufe im menschlichen Körper und deren Reaktionen auf medikamentöse oder operative Eingriffe nicht immer völlig vorhersehbar und zur Gänze beherrschbar sind. – Dieses Argument wird von medizinischer Seite aber gerne überdehnt und zur eigenen Exkulpierung überbewertet!
Zum freien Dienstvertrag
Aus diesem Grund schulden Ärzte idR keinen vertraglichen Erfolg, sondern bloß ein korrektes, fachliches Bemühen. Es ist darauf gerichtet, die Gesundheit ihrer Patienten/innen möglichst wiederherzustellen oder doch Linderung zu verschaffen.
Was wird geschuldet?
Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass Arzt, Pflegepersonal und Krankenanstalt privatrechtlich in Bezug auf ihre medizinische Tätigkeit als Sachverständige iSd § 1299 ABGB behandelt werden und ihre Tätigkeit daher an den jeweiligen Wissens- und Könnens-”Standards” gemessen wird → Die Sachverständigenhaftung
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2. Der Behandlungs-Werkvertrag
Ausnahmsweise schulden Ärzte ihren Patienten/innen einen bestimmten Erfolg, was bedeutet, dass ein (Behandlungs)Werkvertrag anzunehmen ist. Ein Behandlungs-Werkvertrag wird bspw beim Anfertigen von individuell passendem Zahnersatz (etwa einer Zahnbrücke), bei diversen Prothesen, dem Einsetzen von Implantaten, dem Erheben eines EEG- oder EKG-Befundes, dem Durchführen von Labortests oder dem Anlegen eines Gipsverbands angenommen. Indiz für das Vorliegen eines (Behandlungs)Werkvertrags ist es, wenn technische und handwerkliche Fähigkeiten des Arztes bei der Behandlung im Vordergrund stehen und die beschriebenen Ungewissheiten zurücktreten. Das Arbeitsergebnis hängt in diesem Fall überwiegend von der technisch-fachlichen Qualifikation des Arztes und seiner Hilfspersonen und der richtigen Verwendung von Materialien und Arbeitsbehelfen ab. – Die Abgrenzung ist aber nicht immer einfach, rechtlich aber bedeutsam.
Hier wird ein Erfolg geschuldet
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3. Der Sonderklassepatient
Der Sonderklassepatient schließt – wie wir gehört haben – zusätzlich zum gewöhnlichen Krankenhausaufnahmevertrag (mit dem Anstaltsträger) noch einen weiteren Behandlungszusatzvertrag (mit einem idR leitenden Spitalsarzt) ab. Inhalt dieses Zusatzvertrags ist zB das Versprechen durch Herrn Prof. X, den Patienten persönlich zu betreuen. Die persönliche Betreuung wird durch ein Zusatzhonorar abgegolten. Mit dem Abschluss eines solchen Zusatzvertrags will sich ein Patient die Behandlung durch einen Spezialisten, etwa durch einen hervorragenden Internisten oder Chirurgen, sichern. Beim einfachen Krankenhausaufnahmevertrag hat der Patient nämlich keinen Anspruch auf Behandlung/Operation durch einen bestimmten Arzt! – Manche Krankenanstalten gewähren ihren Patienten aber im Rahmen des Möglichen ein Wahlrecht, obwohl sie es nicht müssten.
Zusatzvertrag und Zusatzhonorar
Wurde ein Behandlungszusatzvertrag abgeschlossen, haften – wie erwähnt – Krankenhausträger und leitender Spitalsarzt als Vertragspartner gemeinsam für die medizinische Behandlung des Patienten; Gesamt- oder Solidarhaftung: „Einer für alle und alle für einen”. Der Anstaltsträger haftet also auch für Fehler des honorarberechtigten Arztes (und umgekehrt), kann aber, falls er als Anstaltsträger zur Haftung herangezogen wird, uU vom Behandler Ersatz verlangen; Rückgriff/Regress.
Solidarhaftung von Träger und Arzt
Für die (persönliche) Haftung des Arztes/der Krankenanstalt gegenüber Patienten kommen demnach sowohl:
Die Arzthaftung als Vertrags- oder Deliktshaftung
• eine vertragliche Haftung, wie eine
deliktische Haftung in Frage; angestellter Krankenhausarzt haftet bspw Patienten nur deliktisch! Auch hier gilt: Vertragshaftung ist günstiger! (§ 1313a + § 1298 ABGB) Als Haftungsmaßstab dient § 1299 ABGB (Sachverständigenhaftung), der eine objektivierte Verschuldenshaftung enthält.
• Die Arzthaftung ist eine allgemeine Verschuldenshaftung und greift daher ab leichter Fahrlässigkeit; derzeit bestehen keine Sonderregeln. Auf Grund der besonderen Vertrauensbeziehung und gesteigerter Sorgfaltspflichten (§ 1299 ABGB) zwischen Arzt und Patient erscheint eine Freizeichnung (→ KAPITEL 9: Verschulden (culpa)) von leichter Fahrlässigkeit unzulässig. Vgl aber meinen Vorschlag einer neuen Medizinhaftung: http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/mitarbeiter/barta/index.html
Literaturquelle
Eine ausreichende ärztliche Aufklärung (→ Zur ärztlichen Aufklärungspflicht) ist Voraussetzung für eine wirksame Zustimmung / Einwilligung des Patienten zur Heilbehandlung! Die Rechtmäßigkeit der konkreten (Heil)Behandlung hängt von einer korrekten ärztlichen Aufklärung ab! Andernfalls liegt eine (rechtswidrige) eigenmächtige Heilbehandlung iSd § 110 Abs 1 StGB vor. Die ärztliche Aufklärung dient als Rechtfertigungsgrund für den ärztlichen Eingriff, der an und für sich nach hA immer noch eine Körperverletzung darstellt! Hier tut ein Umdenken und ein neues Verständnis im Zivilrecht not! Vgl dagegen § 90 StGB: einwilligung des Verletzten – Abs 1: „Eine Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit ist nicht rechtswidrig, wenn der Verletzte oder Gefährdete in sie einwilligt und die Verletzung oder Gefährdung als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt.“ – Allein hier verlangt der Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ eine Korrektur zivilrechtlichen Denkens. Vgl auch → Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten
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III. Partner des Behandlungsvertrags
Partner eines Behandlungsvertrags sind einerseits Arzt oder Krankenanstalt und andrerseits der Patient, der voll geschäftsfähig oder minderjährig sein kann oder – bei Vorliegen einer geistigen Krankheit oder Behinderung – unter Sachwalterschaft stehen oder einen Patientenanwalt nach dem UbG haben kann → KAPITEL 4: Das Unterbringungsgesetz 1990 .
1. Der voll geschäftsfähige Patient
Das sind Patienten/innen, die das 18. Lebensjahr vollendet haben und im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sind. Sie schließen den Behandlungsvertrag persönlich ab.
Sie geben auch persönlich ihre Zustimmung zur Behandlung aufgrund vorangegangener ärztlicher Aufklärung.
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2. Der minderjährige Patient
Diese Alters- und Patientengruppe kann, mangels voller Geschäftsfähigkeit, selbständig noch keine Verpflichtungen eingehen und daher auch keinen (sie verpflichtenden) entgeltlichen Behandlungsvertrag abschließen, für den die Kosten oft sehr hoch sind. Das trifft auf Kinder, unmündige Minderjährige und mündige Minderjährige zu. Bei diesen Personengruppen ist daher für den Abschluss des Behandlungsvertrages die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nötig. Der gesetzliche Vertreter – das sind im Normalfall Mutter oder Vater oder der alleinerziehende Elternteil, allenfalls ein Vormund oder Sachwalter – schließt in diesen Fällen den Behandlungsvertrag für den minderjährigen Patienten ab oder stimmt dem vom Minderjährigen bereits geschlossenen Vertrag nachträglich zu. Für geistig behinderte Patienten schließt ein Sachwalter den Behandlungsvertrag, wobei dafür uU eine zusätzlich Genehmigung des Pflegschafftsgerichts einzuholen ist; §§ 273 ff ABGB → KAPITEL 4: Die Sachwalterschaft.
Die ärztliche Aufklärung hat dieser Patientengruppe angepasst zu erfolgen und muss eher mehr als weniger umfassen. – Zur Vorgangsweise bei Patienten/innen, die unter Sachwalterschaft stehen → KAPITEL 4: Was bewirkt die Sachwalterschaft? : Grundsätzlich schliesst in solchen Fällen der Sachwalter den Behandlungsvertrag und gibt im Normalfall die Einwilligungserklärung ab; zu § 146d ABGB → Die „Einwilligung“ in die medizinische Behandlung
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3. Die „Einwilligung“ in die medizinische Behandlung
Literaturquelle
Von der für den Abschluss entgeltlicher (Behandlungs)Verträge durch Minderjährige nötigen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§§ 151 ff, 865 ABGB) zu unterscheiden ist die Einwilligung Minderjähriger in die medizinische Behandlung / Operation, die grundsätzlich schon von mündigen Minderjährigen, ja Kindern selbst – entsprechend ihrer Einsicht – gegeben oder verweigert werden kann. Diese Zustimmung hängt also nicht vom Erreichen der Volljährigkeit (18 Jahre) ab; § 146c ABGB hat diese Zustimmung Minderjähriger neu geregelt und damit Judikaturrecht gesetzlich eingefangen.
Unterscheide
Zum Zusammenhang zwischen ärztlicher Aufklärungspflicht und der Einwilligung von Patienten/innen in die ärztliche Behandlung → Zur ärztlichen Aufklärungspflicht
§ 146c ABGB (idFd KindRÄG 2001, BGBl I 135)
„(1) Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen; im Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilfähigkeit bei mündigen Minderjährigen vermutet. Mangelt es an der notwendigen Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist die Zustimmung der Person erforderlich, die mit Pflege und Erziehung betraut ist.
(2) Willigt ein einsichts- und urteilsfähiges minderjähriges Kind in eine Behandlung ein, die gewöhnlich mit einer schweren oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit oder der Persönlichkeit verbunden ist, so darf die Behandlung nur vorgenommen werden, wenn auch die Person zustimmt, die mit der Pflege und Erziehung betraut ist.
(3) Die Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen Kindes sowie die Zustimmung der Person, die mit Pflege und Erziehung betraut ist, sind nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend notwendig ist, dass mit der Einholung der Einwilligung oder der Zustimmung verbundene Aufschub das Leben des Kindes gefährden würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit verbunden wäre.”
§ 146d ABGB: „Weder ein minderjähriges Kind noch die Eltern können in eine medizinische Maßnahme, die eine dauernde Fortpflanzungsunfähigkeit des minderjährigen Kindes zum Ziel hat, einwilligen.” (Hervorhebungen von mir)
Zu beachten ist, dass die Zustimmung / Einwilligung des Patienten in die konkrete Behandlung auch nur begrenzt / limitiert, also eingeschränkt erteilt werden kann. Daran ist der jeweilige Arzt vertraglich gebunden! – In der Praxis ergeben sich aber immer wieder Probleme, weil bspw Operierende sich nicht an die getroffene Vereinbarung halten. Vgl das folgende, nicht erfundene Beispiel.
Limitierte Zustimmung
Literaturquelle
Beispiel


Arzthaftung: Einwilligung
Abbildung 10.28:
Arzthaftung: Einwilligung
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IV. Rechte und Pflichten aus dem Behandlungsvertrag
Aus dem Behandlungsvertrag – und dem daraus entstehenden Behandlungsverhältnis – erfließen eine Reihe von Haupt- und oft auch (wiederkehrende) Nebenpflichten.
1. Ärztliche Hauptpflichten
Die Hauptpflichten bestehen in der sachgemäßen medizinischen Behandlung (einschliesslich die ärztliche Aufklärung → Zur ärztlichen Aufklärungspflicht) auf der einen und der Entgeltzahlung auf der anderen Seite. Ärzte und Krankenpflegepersonal schulden Patienten/innen eine sorgfältige medizinische und pflegerische Behandlung im Einklang mit den beruflichen Standards und allfälligen bestehenden Vorgaben.
Hauptpflichten
Der ärztliche (Haupt)Pflichtenkatalog beginnt bei praktischen Ärzten mit der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung, wozu die Verpflichtung gehört, eine Anamnese zu erheben, Patienten fachkundig zu untersuchen und – wenn nötig – an einen Facharzt oder in stationäre Behandlung zu überweisen. – Die Untersuchung umfasst Diagnose- und Indikationsstellung, woran sich eine sachgemäße Therapie anzuschließen hat. Die ärztlichen Informations- und Beratungspflichten (gegenüber ihren Patienten), wie das Mitteilen der Diagnose, des Behandlungsverlaufs und der Behandlungsrisiken, zählen ebenfalls zu den Hauptpflichten des Arztes aus dem Behandlungsvertrag. Patienten haben zudem Anspruch darauf, nach dem letzten Stand der Wissenschaft und mit den sichersten Methoden behandelt zu werden.
Was zählt zu den ärztlichen Hauptpflichten?
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2. Nebenpflichten aus dem Behandlungsvertrag
Bedeutsame Nebenpflichten des Behandlungsvertrags sind auf ärztlicher Seite bspw das Erstellen einer Dokumentation des (gesamten) Behandlungsverlaufs, Medikation eingeschlossen und ihren Patienten gegenüber das Gewähren des Einsichtsrechts in ihre Krankenunterlagen / sog Krankengeschichte, Ambulanzaufzeichnungen, Röntgen- und CT-Bilder sowie die Pflegedokumentation; vgl dazu die Zusammenfassung im Anschluss. Krankenanstalten sind nämlich verpflichtet Krankengeschichten anzulegen, in denen die Vorgeschichte der Erkrankung (Anamnese), der Zustand des Patienten zur Zeit der Aufnahme (status praesens), der Krankheitsverlauf (decursus morbi), die angeordneten Maßnahmen sowie die erbrachten ärztlichen Leistungen einschließlich Medikation (insbesondere hinsichtlich Name, Dosis und Darreichungsform), die Aufklärung des Patienten (→ Zur ärztlichen Aufklärungspflicht), sonstige angeordnete sowie erbrachte wesentliche Leistungen, insbesondere der pflegerischen, einer allfälligen psychologischen oder psychotherapeutischen Betreuung sowie Leistungen der medizinisch-technischen Dienste dargestellt werden. – Eine wichtige ärztliche Nebenpflicht aus dem abgeschlossenen Behandlungsvertrag heraus ist die Verschwiegenheitspflicht, die auch für andere Berufsgruppen des Medizinsektors gilt; etwa Pflegeberufe, medizinisch-technisches Personal oder (Psycho)Therapeuten; vgl aber vor allem § 54 ÄrzteG 1998 oder § 15 PsychotherapieG. – Ärzte, Pflegepersonal oder Psychotherapeuten können aber gerichtlich von ihrer Pflicht zur Verschwiegenheit entbunden werden; vgl insbesondere § 321 ZPO.
Kassenpatienten trifft die (Neben)Pflicht, einen Krankenschein (oder die geplante Chipcard) zur Behandlung mitzubringen, um sich gegenüber dem Vertragsarzt zu legitimieren und ihm die Abrechnung mit dem Krankenversicherungsträger zu ermöglichen. Patienten sind auch verpflichtet, notwendige ärztliche Maßnahmen zu unterstützen sowie ärztliche Hinweise zu befolgen; sog Mitwirkungspflicht. Andernfalls kann der Arzt/die Krankenanstalt den Behandlungsvertrag, der idR ein Dauerschuldverhältnis ist, sogar lösen. § 50 ÄrzteG 1998 spricht vom Rücktritt von einer Behandlung.
Patientennebenpflichten
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 10. 9.2001, 15 R 135/01k, RdM 2002/9: Wird ein Psychotherapeut gerichtlich gültig von seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden, ist er verpflichtet, als Zeuge vor Gericht auszusagen.
Der Dokumentationsanspruch des Patienten gegen den Arzt ist ein vertraglicher Nebenanspruch aus dem Behandlungsvertrag.
Einsichtsrecht und Herausgabe in/von Behandlungsunterlagen: § 51 ÄrzteG 1998
• Der Dokumentationsanspruch hängt mit dem Recht auf umfassende und erschöpfende Aufklärung zusammen; Selbstbestimmung des Patienten. – Was umfasst er?
• Herausgabe der Unterlagen? – Ja! Untersuchungsergebnisse; zB Röntgenbilder, EKGs, Befunde
• Bloße Mitteilung des Inhalts? – Nein! OGH: Kopie ist anzufertigen!
• Aufzeichnungen über objektive physische Befunde und Berichte über Behandlungsmaßnahmen. Therapeutische Gründe können dagegen sprechen; sog therapeutisches Privileg. Eventuell gütliche Einigung auf neutralen Arzt. In Einzelfällen hat der OGH (SZ 57/98, JBl 1985, 161) ein therapeutisches Privileg befürwortet. Nur bei der Unterbringung in psychiatrischen Krankenanstalten kann uU das Einsichtsrecht aus therapeutischen Gründen beschränkt werden; § 39 UbG. Aber auch hier ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Einsicht zu gewähren ist; jedenfalls dem Patientenanwalt.
Literaturquelle
Der wesentliche Zweck der ärztlichen Dokumentationspflicht liegt in der Therapiesicherung, der Beweissicherung und der Rechenschaftslegung. – Die Dokumentationspflicht besteht für diagnostische wie therapeutische Leistungen. Bei medizinisch erteiltem Rat ist auch die zugrunde liegende Diagnose zu dokumentieren.
Zur ärztlichen Dokumentationspflicht – Zweck
Vgl JBl 1985, 159 - Die Pflicht des Arztes zur Führung einer „ärztlichen Dokumentation” resultiert aus:
• Öffentlichrechtlicher Verpflichtung: KAKuG oder § 5 GuKG (Pflegedokumentation)
• Standesrechtlicher Verpflichtung: § 51 Abs 1 ÄrzteG 1998 (früher § 22a ÄrzteG 1984)
• Vertraglicher Nebenpflicht des Behandlungsvertrags zur Information und Aufklärung des Patienten; RdM 2002/4.
• § 16 ABGB: Persönlichkeitsschutz personenbezogener Daten!
• Ärztliche „Kunst” verlangt nach Gedächtnisstütze; § 1299 ABGB. Es handelt sich somit auch um eine Maßnahme ärztlicher Sorgfalt.
Recht auf Einsicht in Dokumentationen – Auskunftserteilung resultiert aus:
Rechtsgrundlage ist der Behandlungsvertrag + § 10 KAKuG + Landes-KAG + ÄrzteG 1998 (§ 51 Abs 1) + UbG
• Ist zu gewähren, wenn keine therapeutischen Gründe entgegenstehen.
• Die Verletzung ärztlicher Dokumentationspflichten hat im Prozess beweisrechtliche Konsequenzen, die dazu führen, dass dem Patienten zum Ausgleich der durch die Verletzung der Dokumentationspflicht eingetretenen größeren (Beweis)Schwierigkeiten, einen ärztlichen Behandlungsfehler nachzuweisen, eine der Schwere der Dokumentationspflicht entsprechende Beweiserleichterung zugute kommt. Sie begründet die Vermutung, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch nicht getroffen wurde; OGH 1. 12. 1998, 7 Ob 337/98d, ebenso OGH 16. 8. 2001, 8 Ob 134/01s, RdM 2002/4: Zur Dokumentationspflicht bei Vorsorgeuntersuchungen.
Rechtssprechungsbeispiel
RdM 2002/4: Arzt weist im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung auf die Notwendigkeit einer neuerlichen Untersuchung innerhalb eines Jahres hin, dokumentiert aber nicht, worauf sich dieser Rat stützte. OGH: Ziel von Vorsorgeuntersuchungen liegt insbesondere darin, bösartige Gefahren aufzudecken (hier: rechtes Ovar), ein Nichtdokumentieren der diagnostischen Grundlage des erteilten Rates stellt eine Verletzung der Dokumentationspflicht dar und macht beweispflichtig dafür, warum die Nachfolgeuntersuchung nicht schon früher (zB in einem halben Jahr) angeordnet wurde.
Auch Erben / Angehörige haben ein Recht auf Einsicht und Abschrift der Krankengeschichte, wenn sie ein berechtigtes Interesse nachweisen können; zB § 1327 ABGB: Unterhaltsanspruch bei fraglichen Behandlungsfehler, Unklarheit der Todesursache). – Der Persönlichkeitsschutz Verstorbener darf aber nicht entgegenstehen; das fortwirkende Persönlichkeitsrecht von Patienten/innen (zB § 16 ABGB, Art. 8 EMRK) ist zu beachten. Eine allenfalls weiterbestehende Verschwiegenheitspflicht muss aber vom Arzt begründet, und allenfalls durch Sachverständige beurteilt und richterlich entschieden werden.
Recht von Angehörigen auf Einsicht
Zeitliche Aufbewahrungspflichten: § 51 Abs 3 ÄrzteG 1998 bestimmt, dass Behandlungsaufzeichnungen sowie sonstige der Dokumentation dienliche Unterlagen mindestens 10 Jahre aufzubewahren sind. Die bundesrechtliche Grundsatzbestimmung des § 10 Abs 1 Z 3 KAKuG überbindet diese Pflichten an die Landesgesetzgeber. Die Ausführungsgesetze der Länder kennen aber unterschiedliche Regelungen. – Nach überwiegender Auffassung sind Krankengeschichten und Röntgenbilder 30 Jahre, Ambulanzaufzeichnungen mindestens 10 Jahre aufzubewahren.
Zeitliche Aufbewahrungspflichten
Literaturquelle
§ 9 Abs 1 KAKuG statuiert für die in Kranken- und Kuranstalten tätigen Personen sowie die Mitglieder der Ethikkommissionen (nach § 8c KAKuG) eine Verschwiegenheitspflicht; Abs 2 nennt Ausnahmen. – § 54 ÄrzteG 1998 normiert in den Abs 1-3 die ärztliche Verschwiegenheitspflicht samt statuierten Ausnahmen. Bei Verdacht strafbarer Handlungen bestehen Anzeige- und Meldepflichten. Der Arzt und seine Hilfspersonen sind grundsätzlich – von Ausnahmen abgesehen – zur Verschwiegenheit über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Zahlreiche sanitätspolizeiliche und sonstige gesundheitsrechtliche Vorschriften sehen aber Meldepflichten vor, so etwa beim Auftreten ansteckender Krankheiten: zB § 1 ff EpidemieG, BGBl 1950/186; §§ 1 ff AIDS-G, BGBl 1993/728. – Keine Verschwiegenheitspflicht besteht dann, wenn ärztliche Mitteilungen oder Befunde an Sozialversicherungsträger, Krankenfürsorgeanstalten oder sonstige Kostenträger übermittelt werden oder der Patient den Arzt von seiner Verschwiegenheitspflicht entbindet oder die Offenbarung eines Geheimnisses zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen Gesundheitspflege oder Rechtspflege unbedingt erforderlich ist oder Unterlagen an „Dienstleistungsunternehmen” zur Honorar- oder Medikamentenabrechnung überlassen werden müssen. – Im Zweifel geht aber das Patientenwohl vor.
Verschwiegenheits-, Anzeige- und Meldepflichten
Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes der Verdacht, daß durch eine gerichtlich strafbare Handlung der Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt, oder ein Minderjähriger oder sonst eine Person, die ihre Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält, vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist, so ist er ermächtigt, hierüber persönlich Betroffenen oder Behörden oder öffentlichen Dienststellen Mitteilung zu machen, sofern das Interesse an dieser Mitteilung das Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Bei Verdacht, dass durch eine gerichtlich strafbare Handlung – zB durch Misshandlung eines Kindes – der Tod oder die schwere Körperverletzung (länger als 24 Tage dauernde Gesundheitsschädigung: § 84 StGB) eines Menschen herbeigeführt wurde, hat ein Arzt der Sicherheitsbehörde unverzüglich und nachweislich Anzeige zu erstatten; § 54 Abs 5 ÄrzteG 1998. Für nahe Angehörige (§ 166 StGB) besteht eine Sonderregelung.


Behandlungsvertrag (1)
Abbildung 10.29:
Behandlungsvertrag (1)


Behandlungsvertrag (2)
Abbildung 10.30:
Behandlungsvertrag (2)


Arzthaftung: Vertrags- oder Deliktshaftung
Abbildung 10.31:
Arzthaftung: Vertrags- oder Deliktshaftung


Ärztliche Dokumentationspflicht (1)
Abbildung 10.32:
Ärztliche Dokumentationspflicht (1)


Ärztliche Dokumentationspflicht (2)
Abbildung 10.33:
Ärztliche Dokumentationspflicht (2)


Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte
Abbildung 10.34:
Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte
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V. Behandlungsfehler – Übersicht
Hinsichtlich der allgemeinen Schadenersatzvoraussetzungen, die hier von grosser Bedeutung sind – nämlich insbesondere das Vorliegen eines Schadens, von Verschulden und Kausalität – sowie der Bedeutung der Beweislast oder der Möglichkeit Schmerzengeld verlangen zu können, wird auf Kapitel 9 verwiesen.
Es empfiehlt sich Behandlungsfehler im engeren und im weiteren Sinn zu unterscheiden. Der Behandlungsvertrag verpflichtet – wie ausgeführt – den Arzt oder die Krankenanstalt zu fachgerechter Behandlung. Es kommt aber immer wieder vor, dass trotz bester Absicht und Bemühens, mitunter aber auch aus „Schlamperei” oder Unfähigkeit, Fehler unterlaufen. Es hat sich eingebürgert, von „Behandlungsfehlern” zu sprechen. Dabei wird unterschieden:
Der Begriff „Behandlungsfehler ieS” umfasst ärztliches Verhalten im Rahmen einer medizinischen Behandlung, das (ungewollt) zur Schädigung der Gesundheit des Patienten führt; und zwar körperlich oder psychisch.
Behandlungsfehler ieS
Zu den „Behandlungsfehlern iwS” zählen auch noch die praktisch wichtigen (weil immer noch häufigen) Fehler bei der Aufklärung von Patienten (→ Zur ärztlichen Aufklärungspflicht) sowie Konsultationsfehler und das Verletzen von Organisationspflichten samt fehlerhafter Apparateüberwachung, die vor allem für Krankenanstalten von Bedeutung sind. Dazu gleich mehr. – Hierher gehören auch Pflegefehler und Lagerungsmängel, bspw Decubitus. Dieser weit gefasste Begriff des Behandlungsfehlers ersetzt die alten Termini „Kunstfehler” und „Verletzung der lex artis”.
Behandlungsfehler iwS
Vorwürfe unterlaufener Behandlungsfehler dürfen aber nicht leichtfertig erhoben werden, zumal dies verantwortlich machen kann, was die folgenden Urteile deutlich machen.
Medizinsche Fallbeispiele
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 22. 2. 2001, 6 Ob 307/00s, RdM 2002/5: Der (unberechtigter) Vorwurf eines Behandlungsfehlers im Internet (Aufnahme in eine Homepage oder deren Unterverzeichnisse) erfüllt den Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB – „Ingrid R’s Homepage und Biographie”.
OGH 20. 12. 2001, 6 Ob 249/01p, RdM 2002/51: Vorwurf eines Behandlungsfehlers im Fernsehen (Facelifting): Die Haftung des Medienunternehmers für rufschädigende Äußerungen Dritter (Gäste) nach § 1330 Abs 2 ABGB setzt die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen voraus. Der dem „Täter” obliegende Wahrheitsbeweis wird schon dann als erbracht angesehen, wenn die Richtigkeit des Tasachenkerns nachgewiesen ist. Die Bezeichnung eines Aufklärungsfehlers als Behandlungsfehler schadet nicht → Rechte und Pflichten aus dem Behandlungsvertrag sowie die hier getroffene Unterscheidung zwischen Behandlungsfehlern ieS und iwS. Für Text- und Bildberichterstattung gelten gleiche Grundsätze. Bildberichte über nachweislich wahre Sachverhalte sind daher auch dann zulässig, wenn sie für davon Betroffene nachteilig, bloßstellend oder herabsetzend wirken.
1. Behandlungsfehler ieS
Der hier verwendete Begriff des Behandlungsfehlers ieS umfasst folgende Typen: Fehler bei der Anamnese, bei der Diagnoseerstellung, der Prophylaxe, der Therapie und bei der Nachsorge. Dazu einige Beispiele:
Irrtümer in der Diagnoseerstellung (iS einer objektiv unrichtigen Diagnose) kommen in der Praxis nicht selten vor. Sie bedeuten nicht automatisch eine Haftung des jeweiligen Arztes, zumal Krankheitssymptome nicht immer eindeutig in Erscheinung treten.
Diagnosefehler
Unter Diagnose wird begrifflich das Erkennen einer Krankheit verstanden. Die Diagnose ist aber nicht gleichzusetzen mit einer endgültigen Feststellung der Krankheit und ihrer Ursachen. – Fehldiagnosen sind meistens dann Gegenstand einer Haftung, wenn Krankheitserscheinungen in unvertretbarer, der (Schul)Medizin nicht entsprechender Weise gedeutet, elementare Kontrollbefunde nicht erhoben werden oder eine Überprüfung der ersten Diagnose im weiteren Behandlungsverlauf unterbleibt. Standards der Diagnostik sind zu erfüllen. Ärzte sind nach dem Behandlungsvertrag verpflichtet, im Laufe der Behandlung auch eine ursprünglich gesicherte Diagnose zu überprüfen und notfalls zu revidieren.
Zu beachten ist, dass ein Behandlungsfehler nicht immer schon dann anzunehmen ist, wenn ein Arzt zu einer objektiv unrichtigen Diagnose gelangt. Nur das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome ist als Behandlungsfehler zu bewerten; vgl E des dtBGH vom 8. 7. 2003, VI ZR 304/02: Nichterkennen des Bruchs des achten Brustwirbelkörpers; fälschlich wurde eine Prellung angenommen.
Ferndiagnosen sind danach unzulässig, wenngleich insbesondere im Gutachtensbereich nicht selten. – Dies schliesst aber nicht aus, dass Ärzte in Notfällen zu telefonischer Information/Anordnung berechtigt sind, um bis zum Eintreffen ärztlicher Hilfe einstweilige Maßnahmen zu ermöglichen.
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 1985, KRSlg 696: Um einen Diagnosefehler handelt es sich, wenn ein Verrenkungsbruch der Halswirbelsäule als Folge eines Bergunfalls nicht erkannt wird und in Folge zu einer Querschnittslähmung führt.
OGH: JBl 1962, 91 = EvBl 1961, 39: Diagnoseprobleme treten oft auf, wenn sich mehrdeutige Symptome überlagern und die Krankheit dadurch nicht leicht festzustellen ist. Das ist bspw bei der Feststellung einer Blinddarmentzündung/Appendizitis der Fall. In einem konkreten Fall überlagerten sich Grippesymptome mit den Symptomen einer Appendizitis, einer Nierenentzündung sowie Darmverschluss und Magenkatarrh. Der behandelnde Arzt ließ den Patienten trotz dieser Symptome über das Wochenende ohne ärztliche Betreuung zu Hause und veranlasste erst am kommenden Montag die Einweisung ins Krankenhaus, wo sogleich eine Blinddarmnotoperation durchgeführt werden musste. Der Patient konnte aber dennoch nicht mehr gerettet werden und verstarb an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs. – Der OGH erblickte einen Behandlungsfehler darin, dass der behandelnde Arzt trotz Vorliegens mehrdeutiger Symptome mit der Einweisung ins Krankenhaus über das Wochenende gewartet hatte. – Ärzte sind daher verpflichtet, Patienten/innen entsprechend den medizinischen Erfordernissen rechtzeitig zu behandeln.
Beispiel
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2. Behandlungsfehler iwS
Beispiel
Die Zusammenarbeit ausgebildeter Ärzte mit diplomiertem Krankenpflegepersonal in der ärztlichen Einzel- und Gruppenpraxis darf nach den einschlägigen Rechtsvorschriften (insbesondere dem ÄrzteG) nur bei Wahrung der ärztlichen Eigenverantwortung erfolgen. Ärzte sind grundsätzlich zur persönlichen Behandlung verpflichtet; § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998. Ihnen steht – ohne Zustimmung des Patienten – nicht das Recht zu, sich eines Vertreters/Substituten zu bedienen. Patienten gegenüber haftet grundsätzlich nur der jeweils behandelnde Arzt. Ein frei praktizierender Arzt haftet daher grundsätzlich nicht für seinen Urlaubsvertreter. Zur Überweisung an einen Kollegen → Der einfache Behandlungsvertrag
Verletzung von Organisations- und Aufsichtspflichten
Bedient sich der behandelnde Arzt aber der Mithilfe anderer (als ärztlicher) Hilfspersonen (§ 49 Abs 3 ÄrzteG), treffen ihn nach dem Gesetz Anleitungs- und Überwachungspflichten. Weiters kann der Arzt nach § 49 Abs 3 ÄrzteG 1998 im Einzelfall an Angehörige anderer Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende Personen ärztliche Tätigkeiten übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind; zB nach dem GuKG, MTD-G, HebG. Ärzte tragen aber die Verantwortung für ihre Anordnungen an diese Personen und haften für das Verschulden dieser (Hilfs)Personen im Rahmen des Behandlungsvertrags wie für ihr eigenes; § 1313a ABGB: Erfüllungsgehilfenhaftung. Die ärztliche Aufsicht entfällt nur dann, wenn die Regelung der entsprechenden Gesundheitsberufe (bei der Durchführung übertragener ärztlicher Tätigkeiten) keine ärztliche Aufsicht vorsehen; § 49 Abs 3 ÄrzteG 1998. Dasselbe gilt für Krankenanstalten.
Anleitungs- und Überwachungspflichten
Beispiel
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 19. 12. 2001, 3 Ob 237/00z, RdM 2002/20: Zieht der behandelnde Arzt im ausdrücklichen oder stillschweigenden Einverständnis seines Patienten einen weiteren Arzt (Konsiliarius) für die zu stellende Diagnose und/oder die beim Patienten einzuschlagende Therapie hinzu (hier: Überweisung zur Kernspintomografie), kommt auch zwischen Konsiliararzt und Patient ein eigenes vertragsverhältnis zustande. Bei bloß interner Konsultation zwischen Arzt und Konsiliarius entsteht zwischen diesem und dem Patienten keine eigene Vertragsbeziehung. (Im Einzelfall ist das abzuklären.)
Diese Grundsätze bestehender Organisations- und Aufsichtspflichten gelten auch für die Teamarbeit in einer Krankenanstalt oder einer Gemeinschaftspraxis; § 52 ÄrzteG 1998. Auch die Berufsausübung angestellter Ärzte erfolgt eigenverantwortlich. Allerdings haftet – wie ausgeführt – Patienten gegenüber vertraglich nur die Krankenanstalt für Verschulden ihres ärztlichen und nichtärztlichen Personals. Krankenhausärzte und Pflegepersonal haften – wie erwähnt – Patienten/innen gegenüber nur deliktisch.
Teamarbeit und Gemeinschaftspraxen
Ein/e geschädigte/r Patient/innen kann aber gleichzeitig die Krankenanstalt aus Vertrag und den behandelnden Krankenhausarzt oder eine Krankenschwester zusätzlich deliktisch klagen: Der Schaden ist aber nur einmal zu ersetzen, und Krankenanstalt und Krankenhausärzte/Schwestern haften – bei Erfolg der Klage – gemeinsam/solidarisch. – Allfällige Regressansprüche der Krankenanstalt gegen angestellte Ärzte und Pflegepersonal regelt das D(N)HG → KAPITEL 12: Die Dienstnehmerhaftung.
Auch Krankenschwestern und -pfleger sind Sachverständige iSd § 1299 ABGB und haften ab leichter Fahrlässigkeit. Eine Krankenschwester haftet für Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen ihres beruflichen Fachwissens. Diese Berufe haben für das Wohl und die Gesundheit der Patienten, Klienten und pflegebedürftigen Personen unter Einhaltung der hiefür geltenden Vorschriften und nach Maßgabe fachlicher und wissenschaftlicher Standards und Erfahrungen zu sorgen. Dabei ist jede eigenmächtige Heilbehandlung zu unterlassen; § 4 GuKG. – Angehörige der Gesundheits- und Krankenpflegeberufe haben sich über die neuesten Entwicklungen und Erkenntnisse der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der medizinischen und anderer berufsrelevanter Wissenschaften regelmäßig fortzubilden; § 4 Abs 2 GuKG: Fortbildungspflicht. Der Anstaltsträger hat dafür vorzusorgen.
Pflegefehler
Beispiel
Setzt ein Arzt ein Behandlungsgerät ein – und das geschieht, wie wir wissen häufig –, hat er die Pflicht, sich über dessen Funktionsweise zu informieren und allenfalls einschulen zu lassen. Selbstverständlich müssen medizinische Geräte auch entsprechend gewartet werden. In der Praxis werden diesbezüglich immer wieder Fehler gemacht! Entsteht einem Patienten durch eine derartige Nachlässigkeit ein Schaden, haben Krankenanstalt oder praktischer Arzt (ab leichter Fahrlässigkeit) einen Behandlungsfehler zu vertreten. Krankenanstalten trifft auch die Pflicht für eine angemessene technische und organisatorische Schulung und Weiterbildung ihres Personals vorzusorgen. Auch hier gelten die Standards der Sachverständigenhaftung.
Mängel bei der Bedienung und Überwachung von Apparat(ur)en
Beispiel
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VI. Zur ärztlichen Aufklärungspflicht
1. Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten
Von besonderer Bedeutung in der Praxis ist die ärztliche Aufklärungspflicht, gegen die immer wieder – bewusst oder unbewusst – verstoßen wird. Sie soll eine optimale Kooperation von Patienten/innen mit dem behandelnden Arzt sicherstellen und den Patienten vor Übergriffen und möglichen schädlichen (Aus)Wirkungen bewahren. Sichergestellt werden soll dadurch aber vornehmlich die freie Entscheidung von Patienten/innen im Rahmen einer (Heil)Behandlung. – Dies ist das unverzichtbare Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Dieses Selbstbestimmungsrecht wird grundsätzlich durch die Einwilligung Betroffener in die ärztliche Behandlung ausgeübt. Diese Einwilligung in die Behandlung ist streng vom Abschluß des Behandlungsvertrags zu unterscheiden. Eine korrekte Einwilligung setzt aber eine (vorangehende) entsprechende ärztliche Aufklärung voraus.
Selbstbestimmungsrecht des Patienten als Persönlichkeitsrecht
Eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten bedeutet stets einen Verstoß gegen das absolut wirkende Persönlichkeitsrecht des Patienten, das von § 16 ABGB iVm dem Bundes-KAKuG und den Länder-KAGs gewährt wird. Dieser wichtige Zusammenhang zwischen der ärztlichen Aufklärungspflicht und der Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten als Persönlichkeitsrecht wird von Medizinern immer wieder missverstanden.
Zur rechtlichen Qualifikation der Einwilligung von Patienten/innen in die ärztliche (Heil)Behandlung → Die „Einwilligung“ in die medizinische Behandlung: Exkurs – Rechtsgeschäftliche Erklärungen.
Ein Fehlen der ärztlichen Aufklärung führt zivilrechtlich zur Rechtswidrigkeit des gesamten medizinischen Eingriffs, weil ein Patient ohne entsprechende ärztliche Aufklärung über die geplante Behandlung und die damit verbundenen Risiken keine gültige Einwilligung in diese abgeben kann. Zu beachten ist dabei: Das Nichteinholen der Zustimmung des Patienten macht den Arzt rechtlich immer verantwortlich; und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff erfolgreich war. Neben der zivilrechtlich-schadenersatzrechtlichen, kommt hier auch die strafrechtliche Verantwortung nach § 110 StGB (eigenmächtige Heilbehandlung) zum Tragen.
Fehler bei der Aufklärung und Einwilligung
Zivilrechtlich bedeutet der ärztliche Eingriff nach überwiegender Auffassung immer eine Körperverletzung. Die nach korrekter ärztlicher Aufklärung erfolgte Einwilligung stellt aber einen Rechtfertigungsgrund (→ KAPITEL 9: Rechtswidrigkeit) dar; vgl damit § 90 StGB, der diese Frage bereits lebensnäher regelt → Der Sonderklassepatient – Dieses Verständnis sollte längst legistisch überdacht werden.
Literaturquelle
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2. Wobei ist aufzuklären?
Heute wird zwischen Diagnose-, Verlaufs-, Therapie- und Risikoaufklärung unterschieden. Umfang und Grenzen der ärztlichen Aufklärung richten sich grundsätzlich danach, ob Patienten/innen die Bedeutung und Tragweite der ärztlichen Behandlung im großen und ganzen überblicken können, die Vor- und Nachteile des bevorstehenden Eingriffs abzuwägen vermögen und somit über die notwendige Entscheidungsbasis verfügen, um eine Einwilligung in den ärztlichen Eingriff zu erteilen. Die „gewissenhafte ärztliche Übung und Erfahrung unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten des Krankheitsbildes” bildet den Maßstab, wie weit die Aufklärung in concreto zu reichen hat; JBl 1991, 455 f. – Darüber hinaus sind aber auch die seelische Verfassung, die Art des geplanten Eingriffs, mögliche Risiken und Komplikationen sowie der Grad der Verständigkeit des Patienten, mögliche alternative Behandlungsmethoden, die Dringlichkeit des Eingriffs und die Indikation der medizinischen Behandlung zu berücksichtigen. Es geht um die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts von Patienten/innen.
Aufklärungspflichten bestehen für alle Formen der medizinischen Behandlung, invasiven (also in den Körper eindringenden) Eingriffen ebenso, wie bei medikamentöser Behandlung. – Die Diagnoseaufklärung umfaßt die Aufklärung von Patienten/innen über den vom Mediziner erhobenen Befund. – Die Verlaufs- oder Therapieaufklärung dient der Mitteilung über Art, Umfang, Durchführung, Schwere, Schmerzintensität, Dringlichkeitsgrad und Erfolgsaussichten des geplanten Eingriffs sowie über mögliche Behandlungsalternativen und Krankheitsverläufe bis zur Ablehnung der medizinischen Maßnahme. Darüber hinaus ist vom Arzt darauf hinzuweisen, ob der medizinische Eingriff vorbeugenden, diagnostischen oder therapeutischen Zwecken dient. Besonders hohe Anforderungen werden bei Eingriffen verlangt, die keinen therapeutischen Eigenwert besitzen. – Der Umfang der Verlaufsaufklärung richtet sich grundsätzlich nach den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls, wie Dringlichkeit des Eingriffs, Aufklärungswunsch und persönliche Kriterien auf Seite des/der Patienten/in. Die Verlaufsaufklärung soll Patienten/innen das Wesen des Eingriffs und die damit verbundenen Belastungen verdeutlichen. Sie schafft somit auch die Basis für die darauf folgende Risikoaufklärung. Die Risikoaufklärung dient der Mitteilung möglicher Komplikationen und Nebenfolgen eines ärztlichen Eingriffs, die auch bei einer Behandlung lege artis und bei Anwendung der größten Sorgfalt nicht vermieden werden können.
Umfang der Aufklärungspflicht
Bei klinischen Prüfungen und der Anwendung neuer Behandlungsmethoden sind Patienten/innen auch darüber aufzuklären, daß es sich um eine neue oder erst im Versuchsstadium befindliche Methode mit noch nicht abschätzbaren Risiken handelt; vgl dazu das folgende Beispiel. – Ähnliches gilt für die Vertrautheit des/der Behandlers/erin mit einer Methode.
Klinische Prüfungen – neue Behandlungsmethoden
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 23. 11. 1999, 1 Ob 254/99f, SZ 72/183 = JBl 2000, 657: Die Beweislast für die ordnungsgemäße ärztliche Aufklärung trägt der Arzt oder das Krankenhaus. (Interessante Ausführungen über die Gründe, die eine Beweislastumkehr rechtfertigen).
OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, SZ 73/13: Unzulässige Patientenversuche an Salzburger Landesnervenklinik – Patientenanwalt beantragt, nach Entlassung von Patienten aus der Landesnervenklinik Salzburg die Zulässigkeit von an diesen durchgeführten Heilbehandlungen in Form der Verabreichung von in klinischer Prüfung befindlichen und damit nicht zugelassenen Medikamenten zu überprüfen. – OGH: Die Rechtsschutzbestimmungen des UbG sind im Lichte der Bestimmungen der Art 3 und 13 EMRK dahin auszulegen, dass derjenige, der behauptet, in dem Recht auf Achtung der Menschenwürde verletzt zu sein, auch noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahmen ein rechtliches Interesse an der Feststellung hat, ob die an ihm vorgenommene Behandlung zu Recht erfolgte. Jedoch unterliegt die klinische Prüfung von Arzneimitteln an Untergebrachten als Versuchspersonen der nachträglichen Zulässigkeitskontrolle durch das Unterbringungsgericht nach Meinung des OGH nur dann, wenn die klinische Prüfung im Zuge einer Heilbehandlung erfolgte. Aus Gründen des Rechtsschutzdefizits ist eine Ausweitung der Entscheidungskompetenz des Unterbringungsgerichtes nicht erforderlich, da die Betroffenen bei einer Überschreitung der ärztlichen Befugnisse einen individuellen Rechtsschutz in Form von Amtshaftungsansprüchen haben. (?) Die E ist in sich widersprüchlich – Heilbehandlung! – und unbefriedigend. Zu vieles bleibt offen.
RdM 2002/2: Nasenseptumoperation. Ein bloß formularmäßiges Einholen der Zustimmung des Patienten zu einer Operation oder die nur in einem Formular gegebene Aufklärung ohne ärztliches Aufklärungsgespräch ist nicht ausreichend. Informationsblätter etc können aber das Aufklärungsgespräch vorbereiten und unterstützen. Die Risken des jeweiligen Eingriffs müssen jedoch im unmittelbaren Gespräch zwischen (behandelndem oder operierenden) Arzt und Patient/in erörtert werden. Der Arzt darf dem Patienten gegenüber jedenfalls nicht den Eindruck vermitteln, dass aus der Alltäglichkeit des Eingriffs auf seine völlige Ungefährlichkeit geschlossen werden darf.
Der Begriff der Dringlichkeit besitzt sowohl eine zeitliche Komponente, als auch eine sachliche Indikation. Beide Komponenten können zusammenfallen, müssen das aber nicht. Hat eine Behandlung zwar nicht binnen kürzester Frist zu erfolgen, erscheint sie aber (insgesamt) medizinisch dringend geboten, hat die Aufklärung hohen Anforderungen zu genügen. Hat demgegenüber die Behandlung rasch bei einem nicht vital indizierten Eingriff zu erfolgen, da sonst schwere gesundheitliche Nachteile zu befürchten sind, genügt eine weniger umfassende Aufklärung.
Von der Rspr entwickelte „Allgemeine Grundsätze” der ärztlichen Aufklärung
Je weniger dringlich der medizinische Eingriff, desto umfassender hat die Aufklärung zu erfolgen.
Je dringlicher der medizinische Eingriff, desto weniger ausführlich hat die Aufklärung zu erfolgen.
Ärzte sind aber nicht verpflichtet, Patienten/innen über alle nur erdenklichen nachteiligen Behandlungsfolgen aufzuklären. Der behandelnde Arzt hat aber über jene Risiken aufzuklären, die für eine eigenverantwortliche Behandlungseinwilligung des/der Patienten/in ernsthaft ins Gewicht fallen. Über häufig eintretende und typische Risiken eines Eingriffs ist aufzuklären.
Aufklärungspflicht darf nicht überzogen werden
Als typische Risiken werden vom OGH bspw angesehen: Tetanie und Nebenschilddrüsenverletzungen bei einer Schilddrüsenoperation, Strahlenschäden durch Röntgenbehandlung, Erblindung nach einer Nasen- oder Septumoperation, Gesichtslähmungen nach einer Tympanoplastik, Verschlußgelbsucht nach einer Cholezystektomie, das Durchtrennen des Ductus choledochus bei einer Gallenblasenentfernung, Peronaeusnervlähmung bei einer Varizenoperation oder Lähmungen bei Bandscheibenoperationen.
Rechtssprechungsbeispiel
Aufklärungspflicht – Rspr-Beispiele
Aufklärungspflicht wird von der Rspr etwa angenommen bei:
Kropf- oder Schilddrüsenoperationen: Stimmbandlähmung (SZ 55/114)
Herzoperationen: zB Hirnschädigung (SZ 57/207)
Nierensteinentfernung : bezüglich anderer Behandlungsmethoden (KRSlg 685)
Ozonbehandlung: wegen Embolie(gefahr) etc (SZ 62/18)
Lumbalpunktion : wegen möglicher Komplikationen (SSt 59/18)
Nasenseptumoperation – schwere Nachblutungen bei 2,6 % der Fälle als typisches Risiko (OGH 28.2. 2001, 7 Ob 233/00s, RdM 2002/2)
(Weisheits)Zahnextraktion – mögliche Schädigung des Nervus lingualis: OGH 8.3.2001, 8 Ob 33/01p, RdM 2002/3.
Besonders streng handhabt die Rspr die ärztliche Aufklärungspflicht bei Schönheitsoperationen. Es besteht demnach ein reziproker Zusammenhang zwischen medizinischer Indikation (der Operation) und ärztlicher Aufklärungspflicht: Je geringer die Notwendigkeit eines operativen Eingriffs, desto umfangreicher und sorgfältiger die Aufklärungspflicht!
Aufklärungspflicht bei Schönheitsoperationen
• Arzt muss bei Schönheitsoperationen hinweisen auf:
• das zu erwartende Ergebnis, einschließlich etwaiger Misserfolge
• auf damit verbundene bloße Unannehmlichkeiten, wie Schmerzen;
• die Tatsache, dass er einen bestimmten Erfolg nicht garantieren kann etc;
• Schließlich darf Patienten/innen nicht unterstellt werden (im Gegensatz zu medizinisch erforderlichen Operationen), dass sie Risiken, die mit Operationen sonst verbunden sind, auch hier bereit sind in Kauf zu nehmen.
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 63/152 (1990): „Ein Facharzt der allgemeinen Chirurgie muss den Patienten nach dem jeweiligen Stand der ärztlichen Wissenschaft über alternative Operationsmethoden der plastischen Chirurgie informieren.” – Die Klägerin hatte als Kind schwere Verbrühungen im Bereich des rechten Oberarms, der rechten Schulter und im oberen Brust- und Halsbereich erlitten, woraus großflächige Narben verblieben. – OGH-Merksatz: „Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung ist umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheint. Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig.” Vgl auch SZ 55/114 (1982).
Rspr-Beispiele zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht
JBl 1999, 531: Die ärztliche Aufklärungspflicht ist um so umfassender, je weniger vordringlich oder gar geboten der Eingriff aus Sicht eines vernünftigen Patienten ist. In einem solchen Fall ist Aufklärung über mögliche Risken selbst dann geboten, wenn die nachteiligen Folgen wohl erheblich, jedoch wenig wahrscheinlich sind. – Die Aufklärungspflicht ist bei Vorliegen typischer, mit der Heilbehandlung verbundener Risken verschärft. Auf sie ist auch bei Seltenheit ihres Eintritts hinzuweisen. – An der Rspr, wonach den Arzt im Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht die Beweislast dafür treffe, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte, wird festgehalten.
JBl 2000, 169: Schadenersatzansprüche eines Blutspenders wegen einer Hepatitis C-Infektion: Bei Fehlen eines ärztlichen Aufklärungsgesprächs tritt eine umfassende Haftung für die negativen Behandlungsfolgen ein, auch wenn im Tatsachenbereich Zweifel bestehen, ob über das besonders seltene Risiko, das sich im konkreten Fall verwirklicht hatte, überhaupt Aufklärung erforderlich gewesen wäre. Bei Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt hätte.
Ein Aufklärungsfehler liegt auch vor, wenn einem Patienten die von ihm einzuhaltenden Verhaltensmaßregeln zum Schutze seiner bestrahlten Haut nicht mitgeteilt wurden, weshalb er zu Schaden kommt. – In einem anderen Fall wurde ein Patient unzureichend über die richtige Dosierung einer arsenhaltigen Lösung informiert, weshalb er einen Gesundheitsschaden erlitt. – Über Nebenwirkungen von Medikamenten, etwa eine mit der Verabreichung verbundene eingeschränkte Lenkfähigkeit von Kraftfahrzeugen, ist ebenfalls aufzuklären; zB wenn bei Magen- oder Darmspiegelungen eine Beruhigungsspritze verabreicht wird: 24 Stunden!
Weitere Aufklärungspflichten
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3. Die therapeutische Aufklärung
Dabei geht es um die Sicherung des Heilerfolgs und eines therapiegerechten Verhaltens von Patienten/innen. – Eine wichtige vertragliche Nebenpflicht des Behandlungsvertrags stellt daher die Pflicht zur Ausstellung eines Arztbriefs nach Abschluss der medizinischen Behandlung oder Operation dar. Der Arztbrief hat alle für die weitere medizinische Betreuung maßgebenden Angaben und Empfehlungen zu enthalten. Er richtet sich an den/die Patient/in/en und den nachbetreuenden Arzt und ist auf Wunsch Patienten/innen selbst auszuhändigen. – In der Praxis werden Arztbriefe oft mit (großer) zeitlicher Verspätung erstellt. Das stellt einen Sorgfaltsmangel dar und kann zu Behandlungsfehlern und idF zu Haftungen führen, wenn dadurch eine sachgemäße (Nach)Behandlung unterbleibt oder erst verspätet einsetzen kann. – Die gesetzliche Anordnung – zB § 35 Abs 6 Tir-KAG, dass der Arztbrief unverzüglich auszustellen sei, bedeutet: ohne schuldhaftes Zögern ! Die Beweislast für das korrekte Erfüllen dieser gesetzlichen Pflicht trägt die Krankenanstalt oder der behandelnde Arzt nach § 1298 ABGB iVm § 1311 ABGB; sog Schutzgesetzverletzung → KAPITEL 9: § 1311 Satz 2 ABGB: Schutzgesetzverletzung.
Rechtssprechungsbeispiel
Der Patient ist im Rahmen der therapeutischen Aufklärung auch auf allfällige nachteilige Folgen einer Nichtbefolgung therapeutischer Anweisungen sowie darauf hinzuweisen, dass er bei atypischen Veränderungen unverzüglich ärztlichen Rat einholen müsse; OGH 23.3.2000, 10 Ob 24/00b, RdM 2001, 18: Hinweis auf die Möglichkeit des Auftretens einer Sudeck´schen Dystrophie (Muskelschwäche) bei unterlassener Bewegungstherapie.
Wünscht ein/e Patient/in vorzeitig entlassen zu werden, ist darüber eine Niederschrift (Revers) aufzunehmen, die vom Patienten zu unterfertigen ist und in der er auf mögliche nachteilige Folgen aufmerksam zu machen ist. – Eine solche Entlassung auf Wunsch von Patienten kann sinnvoll sein, wenn sich bspw zeigt, dass der behandelnde Arzt nicht in der Lage ist eine plausible Diagnose zu stellen und den Patienten als Simulanten abtut. Durch das Unterfertigen eines Reverses wird aber nicht auf allfällige Ansprüche verzichtet oder ein Eigenverschulden einbekannt.
Vorzeitige Entlassung


Aufklärungspflicht (1)
Abbildung 10.35:
Aufklärungspflicht (1)


Aufklärungspflicht (2)
Abbildung 10.36:
Aufklärungspflicht (2)


Aufklärungspflicht (3)
Abbildung 10.37:
Aufklärungspflicht (3)


Aufklärungspflicht (4)
Abbildung 10.38:
Aufklärungspflicht (4)


Aufklärungspflicht (5)
Abbildung 10.39:
Aufklärungspflicht (5)


Aufklärungspflicht (6)
Abbildung 10.40:
Aufklärungspflicht (6)
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VII. Medizinhaftung – Beweislast
Die Arzt- oder besser Medizinhaftung ist derzeit in Österreich gesetzlich nicht besonders geregelt. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen des ABGB; insbesondere § 1299 ABGB: sog Sachverständigenhaftung. Ärzte, Krankenanstalten, aber auch Pflegepersonal oder Therapeuten unterliegen ihr. Sie greift ab leichter Fahrlässigkeit. Eine Besonderheit des § 1299 ABGB liegt darin, dass sein Tatbestand eine objektivierte Verschuldenshaftung enthält, was meint, dass für Wissens-, Könnens- und Sorgfaltsstandards einzustehen ist → Die Sachverständigenhaftung
Vgl die E-Beispiele im Rahmen der Beweislastausführungen zu § 1299 ABGB → Wer ist Sachverständiger?
1. Schwierige Beweislast
Vertrakt und für Patienten/innen ungünstig wird die Frage der Beweislast von der Rspr und einem Teil des Schrifttums (vgl Reischauer in Rummel2, § 1298 ABGB Rz 26) gehandhabt: Obwohl zwischen Krankenanstalt / Arzt und Patient/in eine vertragliche Beziehung – der Behandlungsvertrag – besteht, wird die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB auf diese Beziehung zum Teil nicht angewandt; anders behandelt wird aber die Frage der Erfüllung der ärztlichen Aufklärungspflicht für deren Durchführung der behandelnde Arzt beweispflichtig ist. Für den Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt oder den für das Fehlverhalten seiner Ärzte haftenden Krankenanstaltsträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichenderAufklärung die Zustimmung zur Behandlung gegeben hätte.
Ein umstrittenes Problem
Dazu auch → Der Behandlungsvertrag als freier Dienstvertrag (Beweislast bei § 1299 ABGB) und → KAPITEL 9: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung: Beweislast und Anspruchsdurchsetzung.
Probleme bereitet vor allem der Verschuldensbeweis, bei dem ein beträchtlicher Teil von Schrifttum und Rspr einen „arztfreundlichen Standpunkt” – so treffend Karl Kohlegger – einnimmt. Es wird nämlich die Meinung vertreten, dass es Sache des schadenersatzfordernden Patienten sei, den Beweis eines Behandlungsfehlers des Arztes iS einer Sorgfalts- oder Wissensverletzung nach § 1299 ABGB zu erbringen. Erst aus diesem objektiven Beweis eines unterlaufenen Behandlungsfehlers sei sodann in subjektiver Hinsicht, bis zum Beweis des Gegenteils, auch auf eine Sorgfaltsverletzung des Arztes zu schließen.
Verschuldensbeweis
Literaturquelle
Wie zur Beweislast dargelegt, ist zwischen Schadens-, Kausalitäts- und Verschuldensbeweis zu unterscheiden. Ein Rspr-Beispiel für die Anforderungen an den Kausalitätsbeweis findet sich im Franz Gschnitzer Lesebuch 735 (JBl 1953, 18 mit Anm von F. Gschnitzer): Zur Begründung des Schadenersatzanspruchs genügt danach der Nachweis schlichter (!) Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Schaden und dem schädigenden Ereignis, insbesondere wenn es in Unterlassungen bestehen soll.
Zur Wahrscheinlichkeitsproblematik im Rahmen der Kausalzurechnung → KAPITEL 9: Kausalität / Verursachung. und dort insbesondere → KAPITEL 9: Kausalitätsspektrum.: Kausalitätsspektrum. Die Rspr verlangt aber seit geraumer Zeit, schlecht beraten vom Schrifttum, entgegen früherer anderer eigener Position, hohe und höchste Wahrscheinlichkeitsgrade, was abzulehnen ist. Klar und strikt zu trennen wären die Bereiche „Möglichkeit” und „Wahrscheinlichkeit” innerhalb des Kausalitätsspektrums. Schlichte/einfache Wahrscheinlichkeit sollte jedoch ausreichend sein, um rechtlich einen Kausalzusammenhang annehmen zu können.
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2. Welche Konsequenzen hat das?
Wenn Sie bspw operiert und dafür narkotisiert werden, also bei der Operation gar nicht bei Bewusstsein waren, müssen Sie dennoch den oben geschilderten objektiven Verschuldensbeweis eines Behandlungsfehlers erbringen. Sie können sich vorstellen, wie hoch Ihre Chancen insbesondere in schwierigen Fällen sind. – Ein beachtlicher Teil des Schrifttums zeigt sich auch von solch’ unleugbaren Fakten unberührt und huldigt einer weltfernen Dogmatik: Man kann dazu nicht einmal sagen – Fiat iustitia pereat mundus, denn das Gesetz, konkret § 1298 ABGB, sähe es ja anders vor.
Beispiel
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3. Entwurf eines MedHG
Aus diesem Grund habe ich bereits 1995 in Buchform einen Vorschlag für eine neue Medizinhaftung unterbreitet und nunmehr auch einen Gesetzesvorschlag für ein MedizinhaftungsG/ MedHG erstellt: http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/mitarbeiter/barta/index.html
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4. § 27 a KAKuG: Patientenentschädigungsfonds
Literaturquelle
Nunmehr besteht eine weitere Möglichkeit der Entschädigung nach Schäden, die durch die Behandlung von Patienten in Fonds-Krankenanstalten entstehen. Nach § 27a KAG (BGBl I 5/2000) sind die Träger von Fonds-Krankenanstalten verpflichtet, einen Betrag in der Höhe von 0,7267 ı (10 öS) pro Verpflegstag von Patienten einzuheben.
Bedauerliche Entwicklung
Diese Beträge werden zur Entschädigung nach Schäden zur Verfügung gestellt:
Gesetzliche Tatbestandsvoraussetzungen
• die durch die Behandlung entstanden sind und
• bei denen eine Haftung des Rechtsträgers nicht eindeutig gegeben ist.
Auf dieser fragwürdigen bundesgesetzlichen Grundlage sind in den einzelnen Bundesländern Ausführungsgesetze erlassen worden oder noch zu erlassen.
Wie es aber bei einer derart anspruchslosen bundesgesetzlichen Grundlage zu einer einheitlichen Landesausführungsgesetzgebung kommen soll, bleibt abzuwarten, wobei schon jetzt aufgrund vorliegender Ausführungsgesetze in einzelnen Bundesländern (Niederösterreich, Salzburg, Tirol, Wien) gesagt werden kann, dass die Lösung einer verschuldensunabhängigen Haftung verfehlt wurde und die Praxis alles andere als Gutes verheißt. – Das Schweigen der Lehre/Theorie zu dieser niveaulosen Gesetzgebung und Praxis ist beschämend.
Anspruchslose bundesgesetzliche Grundlage
Die Formulierung des § 27a KAKuG „…Haftung nicht eindeutig gegeben” lässt bei allen bestehenden Zweifeln eines erkennen, dass nämlich grundsätzlich von einer „Haftung” auszugehen ist, mag diese auch nicht eindeutig – das heißt insbesondere beweismäßig – durchsetzbar erscheinen.
Formulierung des § 27a KAKuG
Es wurden eigene Patientenentschädigungsfonds geschaffen. Eine Entschädigungskommission hat sodann die Aufgabe, zu entscheiden, ob die Voraussetzungen zur Erlangung einer Entschädigung erfüllt sind. Geprüft werden muss, ob der eingetretene Schaden mit einer Behandlung in einer Fonds-Krankenanstalt im zeitlichen, örtlichen und ursächlichen Zusammenhang steht; rechtliche Schadenszurechnung. Es ist also der Zusammenhang des konkreten Schadenfalls mit dem Risikobereich der behandelnden Fonds-Krankenanstalt und der Zusammenhang des eingetretenen Schadens mit der jeweiligen Behandlung zu prüfen.
Patientenentschädigungsfonds
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VIII. Zur Verjährung von Ansprüchen aus Behandlungsfehlern
1. § 1489 ABGB
Mehr zur Verjährung von Schadenersatzansprüchen in → KAPITEL 9: Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen ¿ Verjährung: § 1489 ABGB, wo auch auf die Notwendigkeit eines Feststellungsbegehrens eingegangen wird, um die Anspruchsdurchsetzung von Spät- oder Folgeschäden zu sichern; vgl auch gleich unten.
§ 1489 ABGB unterscheidet zwischen kurzer Verjährungszeit (drei Jahre) und allgemeiner oder langer Verjährungszeit (30 Jahre). Die dreijährige Frist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schade und die Person des Beschädigers bekannt geworden sind. – Lehre und Rspr legen diese Bestimmung dahin aus, dass die Verjährung beginnt, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist, dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann. Das bedingt die Kenntnis des Kausalzusammenhangs und auch die Kenntnis der Umstände, die das Verschulden behandelnder Personen begründen. Ist aber der Geschädigte Laie und setzt die Kenntnis dieser Umstände Fachwissen voraus, so beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der Geschädigte bspw durch ein medizinisches Sachverständigengutachten Einblick in die bestehenden Zusammenhänge erlangt hat; vgl RdM 2001, 21. – Werden Schädiger und Schaden (insbesondere der Kausalzusammenhang) zunächst nicht bekannt, verjährt der Anspruch (absolut) in 30 Jahren. Bestehende Pläne, diese Frist auf 10 Jahre zu kürzen, dienen nicht dem Interesse der Patienten/innen.
Voraussetzungen der Verjährung
Ist ein sog Erst- oder Primärschaden entstanden und sind künftige Schäden vorhersehbar, muss innerhalb der kurzen Verjährungsfrist eine Feststellungsklage eingebracht werden, um Verjährungsfolgen auszuschließen. Kommen nicht vorhersehbare Folgen/Wirkungen eines Schadensfalles hervor oder tritt ein nicht vorhersehbarer Schaden als Folge des ursprünglichen Schadensfalles ein, so beginnt eine neue Verjährungsfrist zu laufen; OGH 27. 1. 1998, 1 Ob 155/97v, JBl 1998, 454 = ZVR 1998/94.
Feststellungsklage
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 6 Ob 273/98k: Kommt demnach jemand durch einen ärztlichen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler zu Schaden, beginnt die Verjährungsfrist nicht, solange die Unkenntnis, dass es sich um einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler handelt, andauert, mögen auch der Schade und die Person des (möglichen) Schädigers an sich bekannt sein.
OGH 23.5.2000 4 Ob 131/00v, RdM 2001, 21: Über ein derart umfassendes Wissen wird ein Patient aber regelmäßig nicht verfügen, denn Klarheit wird erst ein Sachverständigengutachten schaffen. – Es besteht aber keine Verpflichtung der geschädigten Partei zur Einholung eines Gutachtens!
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2. § 58 a ÄrzteG 1998
Der Verlauf der Verjährungsfrist wird aber nunmehr gemäß § 58a ÄrzteG 1998 gehemmt, dh, die bereits laufende Verjährungsfrist wird vorübergehend angehalten, wenn zB zwischen dem geschädigten Patienten und der Haftpflichtversicherung des Schädigers Schadenersatzverhandlungen (iSv Vergleichsverhandlungen → KAPITEL 7: Der Vergleich: §§ 1380-1390 ABGB) geführt werden. Um solche Verhandlungen nicht zeitlich „unter Druck” zu setzen, beginnt die Verjährungsfrist erst nach deren Beendigung – also etwa dem Scheitern – dieser Verhandlungen zu laufen.
Hemmung der Verjährung
Diese Rspr des OGH hatte einen „realen” Anlaß: Eine Versicherungsgesellschaft hatte lang und hinhaltend verhandelt, um nach Ablauf von drei Jahren festzustellen, daß der Anspruch nun verjährt sei. Dieser unseriösen Vorgangsweise trat der OGH entgegen.
Bei Wegfall des Hemmungsgrundes läuft die Verjährungsfrist – unter Einrechnung der bereits abgelaufenen Zeit – weiter. Hat ein Patient, der behauptet, durch Verschulden eines Arztes bei dessen Beratung, Untersuchung oder Behandlung geschädigt worden zu sein, schriftlich eine Schadenersatzforderung erhoben, so ist der Lauf der Verjährungsfrist von dem Tag an gehemmt, an welchem der bezeichnete Schädiger (sein bevollmächtigter Vertreter oder sein Haftpflichtversicherer oder der Rechtsträger jener Krankenanstalt, in welcher der genannte Arzt tätig war) schriftlich erklärt hat, zur Verhandlung über eine außergerichtliche Regelung der Angelegenheit bereit zu sein. Diese Hemmung tritt auch ein, wenn ein Patientenanwalt oder eine ärztliche Schlichtungsstelle vom angeblich Geschädigten oder vom angeblichen Schädiger oder von einem ihrer bevollmächtigten Vertreter schriftlich um Vermittlung ersucht wird, in welchem Falle die Hemmung an jenem Tag beginnt, an welchem dieses Ersuchen beim Patientenanwalt oder bei der ärztlichen Schlichtungsstelle einlangt. Die Hemmung des Laufes der Verjährungsfrist endet mit dem Tag, an welchem entweder der angeblich Geschädigte oder der bezeichnete Schädiger oder einer ihrer bevollmächtigten Vertreter schriftlich erklärt hat, dass er die Vergleichsverhandlungen als gescheitert ansieht oder durch den angerufenen Patientenanwalt oder die befasste ärztliche Schlichtungsstelle eine gleiche Erklärung schriftlich abgegeben wird, spätestens aber 18 Monate nach Beginn des Laufes dieser Hemmungsfrist. So nunmehr die neu eingeführte Bestimmung des § 58a ÄrzteG 1998, idF BGBl I 110/2001.
Wegfall des Hemmungsgrundes
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C. Entscheidungsbeispiele zu den Kapiteln 9 und 10
Die folgenden „Fälle” zu den Kapiteln 9 und 10 dienen dazu, das Gelernte zu vertiefen und in die Praxis der Fallbehandlung einzuführen. Das Lesen höchstrichterlicher En schärft die eigene Argumentation und fördert schon im Studium die Verständnis- und Kritikfähigkeit. Es handelt sich also nicht um Prüfungsstoff, sondern um „Lektüre” für Interessierte. Die idR gekürzt abgedruckten En sollen dazu anregen, den Volltext dieser und anderer En nachzulesen.
Fälle in zeitlichem Abstand zum vermittelten Stoff zu lesen, vermittelt zudem einen Wiederholungseffekt.
I. Eine missglückte Sterilisation
Rechtssprechungsbeispiel
Urteil des LG Ried i.I. (1993) – gekürzt. Klägerin = Anneliese St, Mutter eines trotz Sterilisation gezeugten Kindes. Beklagte = Betreiberin des Krankenhauses B. Das LG Ried im Innkreis erkennt in der Rechtssache der klagenden Partei Anneliese St gegen die beklagte Partei [Krankenhaus B.] wegen Feststellung (Streitwert: 300.000 S) nach öffentlicher mündlicher Streitverhandlung zu Recht: (1) Es wird der beklagten Partei gegenüber festgestellt, dass diese der klagenden Partei für sämtliche Schäden aus der am 22.7.1989 im Krankenhaus B. durchgeführten Sterilisationsoperation haftet. (2) Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die Kosten dieses Rechtsstreites in der Höhe von 64.878,80 S zu ersetzen. Aus den E-Gründen: Die klagende Partei begründete ihr Feststellungsbegehren mit den nachstehenden Behauptungen: Sie ... habe am 21.7.1989 ihr viertes Kind geboren. Im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand habe sie sich damals auch zu einer Sterilisation entschlossen, die am 22.7.1989 ... durchgeführt worden sei. Diese Sterilisation sei in Form einer Tubenligatur durchgeführt worden .... Eine Aufklärung, welche Sterilisationsmethoden angewendet werden können und welchen Sicherheitsgrad die jeweilige Methode aufweise.., sei nicht erfolgt, ebenso wenig ein Hinweis, dass ein derartiger Eingriff unmittelbar nach der Entbindung äußerst ungelegen sei .... Abgesehen davon, habe der behandelnde Arzt den Eingriff nicht „lege artis” vorgenommen. Dies habe letztendlich dazu geführt, dass sie wieder schwanger geworden sei und am 13.9.1991 ihr fünftes Kind zur Welt gebracht habe .... Die beklagte Partei hafte iSd § 1313a ABGB für den behandelnden Arzt. Aufgrund des fehlerhaften Eingriffs sowie der mangelnden Aufklärung stünden ihr Schadenersatzforderungen zu, und zwar in Form eines Schmerzengeldes, der Entlohnung von Betreuungspersonen für die Kinder im Zusammenhang mit ihren gesundheitlichen Problemen während der Schwangerschaft und in Form einer Unterhaltsleistung der beklagten Partei für das fünfte Kind.
Sterilisation: § 90 Abs 2 StGB
§ 90 Abs 1 StGB behandelt allgemein die „Einwilligung des Verletzten” (volenti non fit iniuria) als Rechtfertigungsgrund, schränkt aber insoferne ein, als die Körperverletzung oder Gefährdung der körperlichen Sicherheit nicht gegen die guten Sitten verstoßen darf. – Da die Erlaubtheit / Sittenwidrigkeit einer Sterilisation, die nicht zu Heilzwecken erfolgte lange umstritten war, bestimmt nunmehr Abs 2:
„Die von einem Arzt an einer Person mit deren Einwilligung vorgenommene Sterilisation ist nicht rechtswidrig, wenn entweder die Person bereits das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet hat oder der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten Sitten verstößt.”
In Deutschland hat die Frage um die Begründung des Schadenersatzes für ein ungewolltes Kind (Sterilisationsfälle; sog planwidrige Geburt) zum Streit zweier Senate des Bundesverfassungsgerichtes geführt, obwohl die zivilrechtliche Entschädigung des dadurch bewirkten Unterhaltsschadens außer Streit steht.
Literaturquelle
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II. Aufklärung über Erfolgsaussicht bei Sterilisationen
Rechtssprechungsbeispiel
Vgl damit OGH, 26.1.1995, 6 Ob 502/95, RdM 1995, 69 (Anm Bernat): – § 1293 ff, 1325 ABGB. Aus der Mitteilung des Arztes, dass eine geplante Sterilisation durch operative Eileiterunterbindung„zu den sichersten” gehöre, ist für die Patientin hinreichend erkennbar, dass mit einem Erfolg nicht zu 100% gerechnet werden kann. Eine derartige Erklärung stellt daher eine ausreichende Aufklärung über die Erfolgsaussicht des Eingriffs im Hinblick auf die beabsichtigte Verhinderung künftiger Empfängnisse dar. – Vgl dazu die Vor-E (LG Ried i.I.): vgl E 1.
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III. Geburt eines behinderten Kindes als Schaden der Eltern
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1999, 593: Arzthaftung – §§ 1295 ff ABGB, § 97 Abs 1 Z 2 StGB: Der Senat teilt die Bedenken gegen die Annahme, die Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes sei ein Schaden. – Der Fall der Geburt eines überaus schwer behinderten Kindes, der den Eltern eine besonders schwere, ihr Leben einschneidend verändernde Belastung aufbürdet, ist jedoch mit dem Problemkreis der bloß fehlgeschlagenen Familienplanung nicht vergleichbar. In einem solchen Fall kann es nicht ohne weiteres als ausgeschlossen angesehen werden, aus der unterlassenen Abtreibung Schadenersatzansprüche abzuleiten. – Der weitaus überwiegenden Auffassung folgend vertritt der Senat die Ansicht, dass eine von der schwangeren gewünschte Abtreibung nicht rechtswidrig ist, wenn die Voraussetzungen des § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB vorliegen. – Der Arzt, der die mögliche Aufklärung über eine schwere Behinderung des werdenden Kindes unterlässt, verstößt gegen seine Vertragspflicht, die auch den Schutz der Eltern vor Vermögensnachteilen in Folge der unerwünschten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung unterbliebenen Geburt eines schwerst behinderten Kindes umfasst. Ein Schadenersatzanspruch des Kindes gegen den Arzt für die unerwünschte eigene Existenz („wrongful life”) wird in Übereinstimmung mit dem dtBGH abgelehnt. Für die Ersatzpflicht des verantwortlichen Arztes kann es keine Rolle spielen, wie sich die Belastung im Einzelfall zwischen den Eheleuten verteilt.
Literaturquelle
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IV. Was darf ein Arzt in Facharztausbildung?
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1987, 104: §§ 1295, 1299, 1298 und 1313a ABGB; § 1a ÄrzteG: Ein in Facharztausbildung befindlicher Arzt darf nicht selbständig ohne Anleitung und Aufsicht eine Narkose verabreichen. Tut er das dennoch und fügt er dabei durch Unterlassung ... dem Patienten einen Körperschaden zu, so wird er schadenersatzpflichtig, wenn er nicht beweist, dass auch ein erfahrener Arzt in gleicher Lage die indizierte Maßnahme unterlassen hätte. Wäre die Maßnahme von einem Fachmann vorgenommen worden, hat der Täter deren Unterlassung nach § 1299 ABGB zu vertreten. ... Neben dem Täter haftet nach § 1313a ABGB auch der Träger der Krankenanstalt.


Skizze zu JBl 1987, 104
Abbildung 10.41:
Skizze zu JBl 1987, 104
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V. Fehlverhalten eines Spitalsarztes – Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht
Rechtssprechungsbeispiel
OGH 31.1.1995, 4 Ob 509/95, ÖJZ-LSK 1995/194: § 1299 ABGB(§§ 1298, 1313a ABGB): Ein dem Spitalsarzt anzulastendes Fehlverhalten für welches der Krankenhausträger dem Patienten als Partner des abgeschlossenen Behandlungsvertrages zu haften hat, liegt dann vor, wenn der Arzt nicht nach Maßgabe der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist oder die übliche Sorgfaltspflicht eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes in der konkreten Situation vernachlässigt hat. Der Behandlungsvertrag umfasst auch die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. – Jede ärztliche Heilbehandlung, die mit einer Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist, ist also Körperverletzung und damit als Verletzung eines absolut geschützten Rechtsgutes zu werten und somit rechtswidrig; erst die Zustimmung des Patienten kann den rechtswidrigen Eingriff rechtfertigen. – Auf typische Risiken einer Operation ist ganz unabhängig von der prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen. Für den Fall einer Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation erteilt hätte.
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VI. Alternative Kausalität und Arzthaftung
Rechtssprechungsbeispiel
JBl 1996, 181: Alternative Kausalität zwischen Behandlungsfehler und „Zufall” bei Arzthaftung: Zum Problemkreis der alternativen Kausalität bei ärztlichen Behandlungsfehlern, insbesondere zur Konkurrenz zwischen einem Haftungsgrund aus einem Behandlungsfehler und einem dem Geschädigten zuzurechnenden Zufall liegt nur eine scheinbar einheitliche Rspr des OGH vor; in Wahrheit fehlt eine solche. – Nur eine Schadensteilung gewährleistet in solchen Fällen eine dem Gerechtigkeitsgebot entsprechende Problemlösung. Kläger = mit schweren Schädigungen geborenes Kind. Beklagter = Land Tirol als Krankenhausträger.
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VII. Weitere E-Beispiele zum allgemeinen Schadenersatzrecht
Rechtssprechungsbeispiel
EvBl 1969/217: Anspruch der Witwe nach § 1327 ABGB, die wegen des Todes ihres Gatten dessen Dienstwohnung räumen muss, auf Ersatz des dadurch verursachten Aufwandes zur Beschaffung einer neuen Wohnung.
EvBl 1988/80: § 1327 ABGB: Mit der Wiederverheiratung einer Witwe erlischt ihr Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger wegen entgangener Unterhaltsleistung durch ihren verstorbenen Ehegatten.
SZ 44/8 (1971): Zu § 1309 ABGB: Die Erziehungspflicht der Eltern besteht unabhängig vom Alter der Kinder so lange, als die Kinder einer entsprechenden Aufsicht bedürfen. Der Besitz und die Aufbewahrung einer Pistole samt Munition in einer Privatwohnung bedeutet an sich das Schaffen einer Gefahrenquelle, die Vorkehrungen zur Abwehr von Schädigungen notwendig macht. Die Art der jeweils erforderlichen Vorkehrungen wird durch den Einzelfall bestimmt.
SZ 4/91 (1922): Diebstahl eines Gummimantels – Zur Anwendung der §§ 970 und 1323 ABGB(Naturalersatz! Beachten Sie die Zeit, aus der die E stammt – nach dem 1. Weltkrieg) – Ersatz für ein gestohlenes Kleidungsstück durch Übergabe eines anderen gleicher Art und gleichen Wertes. Der Kläger, der in seinem im Gasthof des Beklagten aufgenommenen Zimmer von einem unbekannten Täter bestohlen worden war, verlangte als Ersatz Übergabe eines „Gummimantels der Firma P, Marke K oder eines diesem gleichwertigen Mantels”. Der Beklagte bestritt die rechtliche Begründung dieses Begehrens insbesondere auch deshalb, weil er schon vergeblich versucht habe, einen entsprechenden Mantel bei jenem Händler zu bekommen, bei dem der Kläger den seinen gekauft hatte, weil also die begehrte Ersatzleistung nicht „tunlich” sei (§ 1323 ABGB). Das Prozessgericht erkannt iSd Klagebegehrens mit der Begründung, es handle sich um eine vertretbare, nach der Aussage eines Zeugen leicht beschaffbare Sache und es stehe außer Frage, dass der Kläger berechtigt sei, zum Ersatz einen gleichwertigen Mantel zu verlangen. Das Berufungsgericht wies die Klage ab. – Vgl auch SZ 4/95 (1922): Diebstahl von 4000 Stück Sensen – Naturalersatz!
EvBl 1976/233: § 1 AHG (§§ 1311, 1325, 1326 ABGB): Verletzung eines zu einer Waffenübung einberufenen Soldaten beim Werfen von Handgranaten, weil sich der Ausbildner nicht an die Ausbildungsvorschriften hält; militärische Ausbildungsvorschrift, hier: Blg 4 zur „Allg Schießausbildung (ASA)”, als Schutznorm für den Auszubildenden. – Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung bei gänzlicher Erblindung eines Auges. Zur Amtshaftung → KAPITEL 12: Die Amtshaftung ¿ AHG 1948.
SZ 52/136 (1979): § 1325 ABGB– Der Schaden aus einer Körperverletzung ist auch dann zu ersetzen, wenn ein ungeborenes Kind durch ein schädigendes Ereignis, das nach der Zeugung (also während der Schwangerschaft) gesetzt wird, beeinträchtigt und dadurch mit Missbildungen etc geboren wird. Zur Begründung eines derartigen Ersatzanspruches genügt der Nachweis der Wahrscheinlichkeit eines Ursachenzusammenhanges; die Frage, ob ein solcher Wahrscheinlichkeitsgrad erreicht ist, gehört dem Gebiet der Beweiswürdigung an; vgl dazu auch → KAPITEL 11: Freie richterliche Beweiswürdigung.
EvBl 1982/43: § 1320 ABGB (§§ 1297, 1299 ABGB): § 1320 ABGB normiert eine verschuldensunabhängige [?] Haftung des Tierhalters. Ob der Tierhalter für die „erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung” des Tieres gesorgt hat, ist regelmäßig nach der von ihm durchschnittlich aufzuwendenden Sorgfalt (§ 1297 ABGB) zu beurteilen; erscheinen im Einzelfall besondere Sachkenntnisse notwendig (§ 1299 ABGB), dann kann auch ein strengerer Maßstab angelegt werden. – Das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung ist in elastischer, den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu bestimmen; dabei spielen vor allem die Gefährlichkeit des Tieres – je nach dessen Art und Individualität, die Möglichkeit einer Schädigung durch das spezifische Tierverhalten sowie eine Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Rolle.
Zur unrichtigen Meinung, § 1320 ABGB statuiere eine verschuldensunabhängige Haftung → Die Tierhalterhaftung
EvBl 1995/57: § 1320 ABGB: Pflicht zur Beaufsichtigung auch gutmütiger Hunde. Die gänzlich unterlassene Verwahrung oder Beaufsichtigung eines großen Hundes kann nicht durch dessen erwiesene Gutmütigkeit allein gerechtfertigt werden. Der Tierhalter ist in diesem Fall nicht von jeder Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht befreit. Kläger = bei Abwehrhandlungen zum Schutz des eigenen Hundes von Bernhardiner gebissen. Beklagter = Halter des Bernhardiners.
JBl 1983, 255: §§ 1294, 1295, 1297, 1313a, 1320, 879 und 914 ABGB – Reitunfall einer 15jährigen: Überlässt der Tierhalter (Reitstall) das Tier einer geeigneten, zureichend informierten und angeleiteten Person zur Verwahrung, so ist er von der Halterhaftung frei. – Wer Reitpferde vermietet und einen Vorreiter beistellt, bedient sich seiner als Gehilfen bei Erfüllung der vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflichten (§ 1313a ABGB). – Begründet das Vorbeireiten mit einem Hengst an Stuten in knappem Abstand, wie dem Vorreiter bekannt ist und im Reitunterricht hervorgehoben wird, immer eine gewisse Gefahr, so verschuldet er eine Bissverletzung der geschädigten Reiterin (durch den Hengst), wenn er diese Gefahr durch Wenden seines Hengstes und knappes Vorbeireiten aktualisiert. – Vertragliche Freizeichnung von der Schadenersatzpflicht ist für den Fall leichter Fahrlässigkeit nicht sittenwidrig, jedoch nach redlicher Verkehrsübung nur auf Schäden zu beziehen, die voraussehbaren und kalkulierbaren Risken entsprechen. Zur Freizeichnung → KAPITEL 9: Verschulden (culpa).
JBl 1984, 207 (= SZ 55/167) – §§ 1325 und 91 ABGB: Auch der Ehemann, der den Haushalt führt, hat einen Anspruch auf Verdienstentgang wegen Minderung der Erwerbstätigkeit an der Haushaltsführung, wenn er infolge Körperverletzung daran gehindert ist. Entscheidend ist, dass der haushaltsführende Gatte (Hausmann) seine Arbeitskraft nicht wie gewohnt als Beitrag iSd § 91 ABGB zur Verfügung stellen kann; dass Aufwendungen für eine Ersatzkraft getätigt wurden, ist nicht erforderlich. Kläger = „Hausmann”, Lenker eines Mopeds Erstbeklagter = Halter des Pkw Zweitbeklagter = Lenkerin des Pkws Drittbeklagter = Haftpflichtversicherung des Pkw.
SZ 32/153 (1959): § 1313a ABGB – Bei einem Delikt des Erfüllungsgehilfen innerhalb des vom Geschäftsherrn vertraglich übernommenen Pflichtenkreises haftet der Geschäftsherr nach § 1313a ABGB für den durch den Erfüllungsgehilfen verschuldeten Schaden. – Hier hatte der Angestellte des Beklagten verschiedene Wertgegenstände gestohlen, während diese beim Beklagten in Verwahrung waren.
JBl 1987, 524: §§ 1330 und 1315 ABGB: Wird ein entscheidungsbefugtes Gemeindeorgan von einem Journalisten mit der Mitteilung konfrontiert, dass bei der Vergabe öffentliche Bauaufträge durch die Gemeinde einer der Bieter von Gemeindebeamten über die Angebote der Konkurrenzunternehmen informiert wurde und er darüber einen Artikel veröffentlichen wolle, so ist eine in der Folge von diesem Organ verhängte Bausperre über das beschuldigte Unternehmen als durch das Verhalten des Journalisten kausal und adäquat herbeigeführt zu betrachten. Behauptet jemand vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Tatsachen und führt dies zu einer Schädigung von Kredit, Erwerb oder Fortkommen eines anderen, so handelt er auch diesem gegenüber rechtswidrig, selbst wenn der Schaden direkt erst durch eigenen Entschluss eines Dritten bewirkt wird. [Zur Zurechnungsfigur der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs → KAPITEL 9: Sonderformen der Kausalität.] – Ein Redakteur ist bei der Verfolgung einer Geschichte als Besorgungsgehilfeder Zeitung anzusehen, auch wenn er nicht ausdrücklich damit betraut ist. – Die Untüchtigkeit eines Redakteurs ist anzunehmen, wenn er ohne ausreichende Recherche und unter Verwendung frei erfundener Hinweise Berichte über Schmiergeldzahlungen verbreitet. – Während der Bausperre durchgeführte andere Projekte sind nicht als schadensmindernde adäquate Ersatzaufträge anzusehen, wenn die ausgefallenen Bauaufträge der öffentlichen Hand zur selben Zeit ohne merkliche Ausweitung der betrieblichen Leistungskapazität hätten durchgeführt werden können.
EvBl 1987/6: § 16 ABGB(§§ 879, 1295, 1330 Abs 2 ABGB) – „Lokalverbot„ eines NÖ-Multifunktionärs: Eine diskriminierende, den Betroffenen gegenüber anderen Personen zurücksetzende Abweisung oder Ausweisung durch den Inhaber einer öffentlichen Gaststätte ist jedenfalls dann sittenwidrig, wenn dem Lokalinhaber eine monopolartige Stellung zukommt und er deshalb einem Abschlusszwang unterliegt; das fällt insbesondere solchen Personen gegenüber ins Gewicht, die als Funktionäre oder Mitglieder bestimmter Vereine oder Organisationen oder überhaupt aus wirtschaftlichen Gründen auf den Zutritt zu dieser Gaststätte geradezu angewiesen sind. – Das Lokalverbot betraf einen NÖ-Multifunktionär eines Weilers, der auf das einzige Gasthaus angewiesen war. – Die klagsmäßig erzwungene Aufhebung des Lokalverbots stützte sich geschickt auf mehrere Anspruchsgrundlagen (ua § 1330 ABGB) und führte so leichter zum Erfolg.
Ein Schadenersatzfall aus der Alltagspraxis: § 1299 ABGB – Kunstfehler kostet Tierarzt rund eine halbe Million. Zu lange mit Kaiserschnitt gewartet – Hündin verendete: 500.000 S für tote Hündin. Vöcklabruck: Tierarzt musste wegen Kunstfehlers vor Gericht. Aus: Oberösterreichische Nachrichten, 2.11.1991, S. 1 und 23. – Piroschka war eine Klassehündin. Weil ein Tierarzt aus dem Bezirk Vöcklabruck so lange mit einem Kaiserschnitt wartete, bis die trächtige deutsche Dogge nicht mehr zu retten war, ging Piroschkas Herrl vor Gericht. Dieses bürdete dem Tiermediziner gut 266.000,– S Schadenersatz und die Prozesskosten auf, zusammen rund eine halbe Million. – Dass ein Tierarzt für einen Hund so tief in die Taschen greifen muss, dürfte in Österreich einzigartig sein. Aber Piroschka war eben etwas Besonderes. – Die Hundedame aus dem Bezirk Vöcklabruck hatte eine einwandfreie Ahnentafel und war im österreichischen Hundezuchtbuch eingetragen. Viele internationale Auszeichnungen waren ihr sicher. 100.000 bis 150.000 S ist eine solche Hündin wert, wie der Sachverständige, der Wiener Univ-Prof Harro K, feststellte. Da der Markt wegen der geringen Lebenserwartung der deutschen Dogge und der geringen Fruchtbarkeit sehr eingeschränkt ist, wurde Piroschka auf stolze 200.000 S geschätzt. Die Welpen, die sie noch hätte bekommen können, dazugerechnet und einiges andere abgerechnet, ergaben die Summe von exakt 266.666 S, die Piroschkas Herrl, vertreten durch den Linzer Rechtsanwalt Dr. Franz B, vom Welser Kreisgericht zugesprochen bekam. Der Tierarzt legte gegen das Urteil Berufung ein. Das Linzer OLG „gab dieser nicht Folge”, wie es im Juristendeutsch so schön heißt. – Piroschka warf vor ihrem Tod drei Welpen. Piroschkas Herrchen züchtet schon seit vielen Jahren deutsche Doggen. Er hat schon viele Würfe miterlebt, holt aber immer einen Tierarzt, wenn es soweit ist. Der Mediziner, den er vor den Kadi brachte, behandelte zwar die trächtige Piroschka, verordnete ihr Wehenmittel, auch starken Kaffee mit viel Zucker. Zwei Welpen kamen lebend zur Welt, einer tot. Die Hündin verendete. Eines ihrer „Kinder” überlebte. – Hätte der Tierarzt den Kaiserschnitt zeitgerecht gemacht, hätten, so Köhler, „aller Voraussicht nach das Muttertier und zumindest drei Welpen lebend durchgebracht werden können”. Die verspätete Einleitung des Kaiserschnittes, obwohl die Wehenschwäche der Hündin erkennbar war, sei eine „auffallend grobe Abweichung von den anerkannten Regeln tierärztlicher Kunst”. – Der Tierarzt hatte zwar die Möglichkeit eines solchen Eingriffes mehrmals erwähnt, sich aber zu spät zur Operation entschlossen. Noch bevor der Veterinärmediziner den Bauch der Hündin aufschneiden konnte, verendete die Hündin Piroschka an Kreislaufversagen. – Eines ihrer beiden lebend geborenen Welpen starb wenige Tage danach.
EvBl 1982/43: Deutsche Dogge verletzt Kind – Zur Tierhalterhaftung: § 1320 ABGB (§§ 1297, 1299 ABGB) normiert (nach Meinung des OGH) eine verschuldensunabhängige [?] Haftung des Tierhalters (OGH 20.10.1981, 5 Ob 510/81: LG Salzburg 32 R 346/80; BezG Zell am See C 698/78). Dazu ablehnend → Wer ist Tierhalter?
SZ 40/2 (1967): Wirklicher Schaden oder entgangener Gewinn? – Beschädigung eines Fernmeldekabels der Post. (Gekürzt). Kläger = Post- und Telegraphenverwaltung Beklagter = Beschädiger eines Fernmeldekabels bei Bauarbeiten. Der Ausfall an Gebühren, den die Post- und Telegraphenverwaltung durch die infolge Beschädigung eines Fernmeldekabels eingetretene Unbenutzbarkeit desselben erleidet, ist wirklicher Schaden, nicht entgangener Gewinn. (E vom 12. Jänner 1967, 2 Ob 355/66. I. Instanz: LG Ibk; II. Instanz: OLG Ibk). Wie unbestritten feststeht, wurde am 27. November 1964 im Zuge von Bauarbeiten, die von Arbeitern der erstbeklagten Partei unter der Aufsicht des Zweitbeklagten auf einer Bezirksstraße durchgeführt wurden, ein im Bereich der Baustelle verlaufendes Fernmeldekabel der klagenden Partei beschädigt. Der Schaden wurde weder aus böser Absicht noch aus einer auffallenden Sorglosigkeit verursacht. Die beklagten Parteien haben die Kosten der Wiederherstellung des Kabels ersetzt, verweigern jedoch den mit der vorliegenden Klage geltend gemachten Ersatz des infolge Ausfalles des Kabels eingetretenen Gebührenentgangs in der Höhe der Klagssumme mit der Begründung, dass es sich diesfalls nicht um positiven Schaden, sondern um entgangenen Gewinn handle. Aus den E-Gründen: Zunächst ist festzuhalten, dass iS stRspr entgangener Verdienst grundsätzlich positiver Schaden ist. Der Entgang einer bestimmten Gewinnmöglichkeit gilt dann nicht als Entgang von Gewinn iSd § 1323 ABGB, wenn das Bestehen der Gewinnmöglichkeit im Verkehr als selbständiger Vermögenswert angesehen wird; in einem solchen Fall liegt positiver Schaden vor. Auch der Entgang eines Nutzens, den ein Geschäftsmann aus seinem Geschäftsbetrieb zieht, ist wirklicher Schaden. Die Post- und Telegraphenverwaltung ist in dieser Hinsicht nicht anders zu beurteilen als ein beliebiger Unternehmer. Die Unmöglichkeit der Verwertung des Kabels stellt für die klagende Partei einen Schaden dar, den ihr die beklagten Parteien zu ersetzen haben.
Beachte
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 46/36 (1973 – gekürzt): Feuerwerk als „gefährlicher Betrieb„. Zur sog Analogiepraxis des OGH im Bereich der Gefährdungshaftung; → KAPITEL 9: Entscheidungsbeispiele zur Analogiepraxis). Der Inhaber eines Unternehmens, dessen Betriebsgegenstand das Abbrennen von Feuerwerken ist, haftet für die mit diesem „gefährlichen Betrieb” notwendig verbundene spezifische Betriebsgefahr ohne Rücksicht darauf, ob ihm selbst oder seinen Leuten im konkreten Fall der Vorwurf schuldhaften Handelns gemacht werden kann. Diese Haftung muss freilich dort ihre Grenze finden, wo der Schaden auf einem Selbstverschulden des Geschädigten, einem vom Unternehmer nicht zu vertretenden Verschulden Dritter oder auf höherer Gewalt beruht; die Beweislast für das Vorliegen solcher Umstände trifft den beklagten Unternehmer. Kläger = Unternehmen zur Errichtung und Vermietung von Zelten Beklagter = Pyrotechniker-Team, Ausrichtung von Feuerwerken.
JBl 1985, 556 (gekürzt): Gefährlicher Betrieb?; § 7 ABGB: Ein „Sturmboot„ im Wiener Prater– eine große, zum Vergnügen des Publikums bestimmte Schaukel – ist kein „gefährlicher Betrieb”, für den in Analogie zu den Gefährdungshaftpflichtnormen zu haften wäre (OGH 10.7.1984, 4 Ob 506/84).
JBl 1988, 117: § 333 Abs 4 ASVG: Der Dienstnehmer, der auf Weisung seines Dienstgebers Arbeitskollegen mit seinem Pkw zum Arbeitsplatz befördert, ist „Aufseher im Betrieb” iSd § 333 Abs 4 ASVG und kommt in den Genuss des dort normierten Haftungsprivilegs. – Zu den §§ 332 ff ASVG → KAPITEL 12: Schadenersatz und Sozialversicherung: Der Arbeitsunfall:
OGH 14. 3. 2002, 6 Ob 155/01i, EvBl 2002/145: Ein Kleingartenbesitzer will unter einer Eisenbahnoberleitung ein unterkellertes Gartenhaus errichten und erkundigt sich bei einem befreundeten ÖBB-Bediensteten über etwaige Voraussetzungen. Weder dieser noch die Baubehörde weisen ihn auf die Genehmigungspflicht nach dem EisbG hin. Trotz mehrfacher Warnungen des Häuslbauers kommt der Betonlieferwagen mit der 110-kV-Übertragungsleitung in Kontakt und der Lkw-Fahrer stirbt durch den Stromschlag. Lkw-Versicherung regressiert bei der ÖBB (nach RH[Pfl]G) und diese beim Häuslbauer. – OGH: § 9 b RHPflG ist eine Ausgleichsvorschrift zwischen mehreren gesamtschuldnerisch Haftenden für den Fall, dass mindestens einer nach § 1 a RHflG haftet – es kommt dabei auf die überwiegende Verursachung der mehreren Ersatzpflichtigen an. Im konkreten Fall führte das weitaus überwiegende Verschulden des Lkw-Fahrers zur gänzlichen Ablehnung des Regressanspruchs gegen den Häuslbauer (bei dem der OGH kein oder doch nur ein zu vernachlässigendes Verschulden feststellte). – Damit im Zusammenhang nimmt der OGH auch zur Zumutbarkeit der Kenntnis von Rechtsnormen (§ 2 ABGB) Stellung.


Vorlesungsfolien Medizinrecht
Abbildung .42:
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