Ursula Schneider

Arbeit des Erinnerns

(19.03.2020)

Ihre Tätigkeit erfordere viel Geduld und Neugier sowie eine gewisse Freude an der Ordnung, sagt Ursula Schneider. „Ich selbst bin zwar nicht so die Ordnungsliebende. Doch ich liebe die Ästhetik der Ordnung.“ Schneider ist Wissenschaftlerin und stellvertretende Leiterin des Brenner-Archivs, eines Forschungsinstituts der Uni Innsbruck. Die gebürtige Wienerin studierte Vergleichende Literaturwissenschaft und Deutsche Philologie, zuerst in ihrer Heimatstadt, ab 1988 in Innsbruck. Hier machte sie auch ihr Doktorat.

Ordnung in der „Piefke Saga“

Im Arbeitsalltag hat Schneider viel mit BenutzerInnen des Literaturarchivs zu tun. Deren unterschiedliche Anliegen sorgen für Abwechslung, sodass kein Tag vorhersehbar ist. „Im Brenner-Archiv gibt es 288 Bestände – von Personen, Institutionen oder Sammlungen. Darin sind beispielsweise Manuskripte, Briefe oder Fotos enthalten“, weiß Schneider. „Durch die vielen Jahre, die ich im Brenner-Archiv arbeite, kenne ich mich ganz gut aus.“ Vor 30 Jahren begann sie dort als wissenschaftliche Mitarbeiterin, seit 2009 ist die Wahltirolerin fest angestellt. Darüber hinaus beschäftigt sich Schneider als Archivarin mit den Hinterlassenschaften von AutorInnen, die im Brenner-Archiv für die Nachwelt gesammelt, aufbewahrt und erforscht werden. Sie ist für verschiedene Bestände zuständig, zum Beispiel für die Nachlässe von Karl Felix Wolff, der die Dolomitensagen gesammelt und herausgegeben hat, und Fritz von Herzmanovsky-Orlando, „der für seine humorvollen, aber sehr elaborierten Texte bekannt ist“. „Wir Archivarinnen haben uns die Bestände aufgeteilt – auch je nach Vorlieben“, erzählt Schneider. Vor Kurzem hat sie gemeinsam mit einer Kollegin und einem Praktikanten die Arbeitsunterlagen des Tiroler Autors Felix Mitterer verzeichnet. Ein Jahr lang hat es gedauert, bis das komplette Material sortiert und geordnet war. „Wir nehmen dabei jeden einzelnen Zettel in die Hand, sortieren ihn und legen ihn im Kontext ab“, beschreibt Schneider den Prozess.

Detektivin in der Pension

In sogenannten Kassetten werden die Vor- und Nachlässe aufbewahrt. Anders als bei Mitterer, der dem Brenner-Archiv seine Unterlagen bereits zu Lebzeiten übergeben hat, finden die Archivalien nicht immer den direkten Weg ins Literaturarchiv. „In manchen Fällen kommen die Menschen zu uns, manchmal suchen wir die Menschen auf, und manchmal müssen wir die Leute erst suchen“, erzählt Schneider. Für eine aktuelle Forschungsarbeit ist die Wissenschaftlerin in einem Team dabei, Briefe eines 1994 verstorbenen Autors zu suchen, was sich als große Herausforderung gestaltet. „Ich habe mir erst gestern gedacht, dass ich in der Pension als Privatdetektivin arbeiten könnte“, sagt Schneider und lacht. „Man geht Fragen nach wie: Wer sind die Kinder, wie viele gab es, wo sind sie.“ Zudem ist Schneider daran beteiligt, gemeinsam mit Kolleginnen die Hinterlassenschaften von Frauen ins Brenner-Archiv zu holen. „Bestände von Frauen wurden weniger ernst genommen und seltener aufbewahrt“, weiß die Archivarin. „Geht man der kulturellen Hinterlassenschaft einer Frau nach, hat man mehr Arbeit, als wenn man die eines Mannes sucht. Schon allein, weil Frauen oft ihren Namen gewechselt haben.“

Gärtnern zur Entspannung und Inspiration

Einen Ausgleich zu ihrer kopflastigen Arbeit findet Schneider in Blumentöpfen. „Beim Wühlen in der Erde fällt mir oft etwas ein“, sagt die Hobbygärtnerin. „Die Arbeit mit den Händen ist fast ein Signal an das Hirn, du darfst jetzt rasten. Und plötzlich kommt man auf neue Lösungen.“ An ihrem Beruf schätzt Schneider die Möglichkeit, in vergangene Zeiten einzutauchen, in Kontakt mit Vergessenem zu treten, dabei kulturelle Produkte neu zu entdecken und diese Entdeckungen zu vermitteln. Sie bezeichnet ihre Tätigkeit als eine Arbeit des Erinnerns.

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Steckbrief

Ursula Schneider

Name

Mag. Dr. Ursula A. Schneider

Funktion

Senior Scientist, stellvertretende Institutsleiterin

An der Uni seit

2009

Wohnort

Tiroler Unterland

Herkunft

Wien

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