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Die Anwendung einer Grammatiktheorie auf die koreanische Sprache

Ein wesentlicher Bestandteil jeder Sprache ist ihre Grammatik, die sowohl formal als auch funktional beschrieben werden kann. Die Functional Discourse Grammar verbindet beide Ansätze und erlaubt eine umfassendere Grammatikbeschreibung. Welche Möglichkeiten sich dadurch eröffnen und warum der Vergleich mit einem Fahrrad gar nicht so absurd ist, erklärt die Linguistin Tamara Terbul.

In meinem Dissertationsprojekt geht es darum, die Grammatik der koreanischen Sprache sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Sprachgebrauch anhand der Functional Discourse Grammar (FDG) zu beschreiben und zu analysieren. Neben einer ausführlichen Beschreibung der koreanischen Grammatik möchte ich zudem mögliche Besonderheiten und Schwierigkeiten bei der Sprachbeschreibung aufzeigen. Bevor die Grammatik einer Sprache beschrieben werden kann, gilt es, die passende Herangehensweise auszuwählen. Innerhalb der Linguistik wird oft unterschieden zwischen einem formalen Ansatz, einer Beschreibung der Grundbausteine der Grammatik, und einem funktionalen Ansatz, also der Anwendung dieser Bestandteile in der Praxis. Um eine möglichst umfassende Beschreibung der Sprache zu erreichen, wird bei der Bearbeitung dieses Dissertationsprojekts der Fokus auf die Verbindung dieser beiden Perspektiven gelegt.

Warum die gegenseitige Ergänzung dieser Anschauungen so wichtig ist, erklären Kees Hengeveld und Lachlan Mackenzie anhand einer Analogie zwischen der Grammatik einer Sprache und einem Fahrrad. Aus der Perspektive des formalen Ansatzes werden an einem Fahrrad seine charakteristischen Bestandteile beschrieben: die Pedale, der Lenker, die Kette, die zwei Räder usw. Doch mit diesem Wissen erhält man noch keine Information über den Verwendungszweck des Fahrrads. Aus diesem Grund gibt die formale Perspektive zwar Auskunft darüber, dass ein Fahrrad aus zwei Rädern bestehen muss, jedoch nicht über die Verwendung dieser, nämlich den Transport einer Person von A nach B. Erst wenn man weiß, welchem Zweck ein Fahrrad dient, versteht man, warum es aus den Teilen besteht, die ein Fahrrad ausmachen. Ebenso ist es mit der Grammatik einer Sprache.

Illustriert werden kann dies am Futur der koreanischen Sprache. Formal wird angezeigt, dass das Futur aus der folgenden Verbindung besteht: Verb + (으)-ㄹ 거예요. Dabei wird zwar klar, wie das Futur im Koreanischen gebildet wird, jedoch sagt es nichts über dessen Verwendung aus. Unter der Berücksichtigung der funktionalen Perspektive wird dies folgendermaßen veranschaulicht:

내일 집 청소를 할 거예요.
naeil jib cheongso-reul hal geoyeyo.
Morgen Haus Putz-AKK machen-FUTUR-DEKL.
Morgen werde (ich) (wahrscheinlich) einen Hausputz machen.

Diese Beschreibung zeigt nicht nur, woraus sich das Futur im Koreanischen zusammensetzt, sondern liefert durch den angegebenen Beispielsatz einen realen Bezug zur Verwendung dieser Form. Weiters wird durch die Übersetzung zusätzlich angezeigt, dass es sich hierbei im Gegensatz zu einer feststehenden Handlung in der Zukunft nur um ein mögliches zukünftiges Ereignis handelt.

Was sind die Bestandteile der Grammatiktheorie?

Um diese beiden Ansätze effektiv miteinander zu verknüpfen, benötigt es einen geeigneten Aufbau der Grammatiktheorie. Aus diesem Grund verwirklicht die FDG den Zusammenschluss dieser Herangehensweisen durch einen Aufbau der Grammatiktheorie in vier große Bereiche, welche als interpersonelle, repräsentative, morphosyntaktische und phonologische Ebene bezeichnet werden.

Die interpersonelle Ebene behandelt die Pragmatik und die Rhetorik, die auf einer sprachlichen Interaktion basiert und somit den Diskurs zwischen zwei oder mehreren Gesprächsteilnehmenden darstellt. Das Äquivalent zur repräsentativen Ebene bildet die Semantik. Der Begriff Semantik wird in der FDG auf zwei Arten definiert und erzeugt so zum einen eine Beziehung zur außersprachlichen Realität und zum anderen die Bedeutung rein auf der Wort- bzw. Phrasenebene. Der strukturelle Rahmen für die interpersonelle und repräsentative Ebene wird in der morphosyntaktischen Ebene erstellt. Schließlich werden in der phonologischen Ebene Phoneme sowie prosodische Strukturen näher betrachtet. Alle vier Bereiche sind nicht als unabhängig voneinander zu betrachten, sondern stehen in einem kontinuierlichen Austausch miteinander.

Erste Einblicke und Ergebnisse

Das Koreanische bietet als agglutinierende Sprache und durch ihre verschiedenen Höflichkeitsstufen eine interessante Basis, um die FDG darauf anzuwenden. Grundsätzlich dient die FDG als Instrument, um die Grammatik von verschieden Sprachen zu analysieren. Die FDG zieht bei der Beschreibung der einzelnen Bestandteile der Theorie zwar unterschiedliche Sprachen zur Veranschaulichung der Verwendung heran, jedoch wurde die Theorie in ihrer Gesamtheit bisher nur am Englischen angewandt.

Wird der Diskurs bzw. die interpersonelle Ebene der Functional Discourse Grammar an der koreanischen Sprache näher betrachtet, wird schnell klar, dass vor allem die Verwendung des Honorativsystems eine große Rolle spielt. Der Name der Gesprächsteilnehmenden wird zum Beispiel je nach Beziehungsstatus der Gesprächsteilnehmenden auf unterschiedliche Weise lexikalisch erweitert. Die wohl am häufigsten verwendeten Erweiterungen sind 씨 (ssi) und 님 (nim). Wird nun der Name Sujin Kim herangezogen, so kann die Anrede 씨 nicht nur in Verbindung mit dem gesamten Namen, Kim-Sujin-ssi (김수진 씨), sondern auch nur mit dem Vor- oder Nachnamen, Sujin-ssi, Kim-ssi (수진 씨, 김 씨), verwendet werden. Allerdings wird die Kombination aus 씨 und dem Nachnamen einer Person nur selten gebraucht. 님 wird hingegen häufig in Kombination mit Amts- Berufs- oder Familienbezeichnungen benutzt.

Zudem können Familienbezeichnungen an den Namen angefügt werden. Sujin Kim wäre somit für eine jüngere Frau Sujin-eonni (수진 언니), da 언니 die Familienbezeichnung für die ältere Schwester aus der Perspektive einer Frau ist. Dabei muss jedoch keine familiäre Beziehung bestehen, um diese Anrede nutzen zu können. Durch 김 과장(님) (Kim guajang-nim) wird der Amtstitel 과장 ‚Abteilungsleiter/in‘ an den Nachnamen Kim gefügt. Optional kann zur Verstärkung der Höflichkeit zusätzlich die Anrede 님 (nim) an den Amtstitel gehängt werden.

Auch die Art und Weise, wie miteinander kommuniziert wird, kann dementsprechend angepasst werden. So ergeben sich aufgrund des Höflichkeitssystems je nach Art des Verbs pro Satztyp (Aussagesatz, Fragesatz, Befehl und Aufforderung) bis zu sechs verschiedenen Möglichkeiten, denselben Satz auszudrücken. Dabei wird bei der Umsetzung zwischen prozessiven Verben wie 막다 ‚absperren‘ und Zustandsverben wie 작다 ‚klein‘ unterschieden:

Nach Lee/Lee/Wan Chae, Die koreanische Sprache, 2017, S. 222
ABCDE
AussagesatzFragesatzBefehlssatzEinladungssatz
Hapsyo- (합쇼)- Stufe막습니다 작습니다막습니까 작습니까막으십시오 ----------------막으십시오 ----------------
Haeyo- (해요)- Stufe막아요 작아요막아요작아요막아요 ----------------막아요 ----------------
Hao- (하오)- Stufe막으오 작으오막으오 작으오막으오 ----------------막읍시다 ----------------
Hage- (하게)- Stufe막네 작네막나 작은가막게 ----------------막세 ----------------
Banmal- (반말)- Stufe막아 작아막아 작아막아 ----------------막아 ----------------
Haera- (해라)- Stufe막는다 작다막느냐 작으냐막아라 ----------------막자 ----------------

Des Weiteren wird der Ausdruck von Ironie auch über das Höflichkeitssystem gesteuert. Ein Zeichen für eine ironische Aussage ist beispielsweise die Verwendung einer höheren Höflichkeitsstufe mit einem engen Freund oder einer engen Freundin. Besteht ein sehr enges Verhältnis zu einer Person, gibt es die Möglichkeit auf vier verschiedene Weisen, eine Aussage ironisch zu formulieren. Gerade diese charakteristischen Merkmale machen die Sprachbeschreibung besonders interessant. Durch sie muss auch der Grundrahmen für die Sprachbeschreibung, in diesem Fall die FDG, entsprechend angepasst werden. Dies liefert nicht nur eine umfassende Beschreibung der koreanischen Sprache aus einem grammatikalischen Blickpunkt, sondern eröffnet zudem neue Betrachtungsperspektiven auf die Grammatiktheorie.

(Tamara Terbul)


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Tamara Terbul maturierte im Jahr 2012 an der Handelsakademie Feldkirchen i.K. und begann anschließend das Sprachwissenschaftsstudium an der Universität Innsbruck. Während ihres Masterstudiums, welches sie im Jahr 2017 mit der Arbeit ‚Zur praktischen Anwendbarkeit moderner Stilfiguren-Theorien auf archaische Textcorpora, untersucht an ausgewählten Hymnen des altindischen Rigveda‘ abschloss, arbeitete sie als Studentische Mitarbeiterin am Forschungszentrum Digital Humanities. Zurzeit ist sie neben ihrem Doktoratsstudium im Bereich Sprachwissenschaften als Koordinatorin im Forschungszentrum Digital Humanities sowie als Projektmitarbeiterin bei Transkribus tätig.

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