insbild-thuemingermappe2_1800x1080

Credit: Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur (Kinderbuchpreis), 1989, unterzeichnet von Bundesministerin Hilde Hawlicek. Vorlass Rosmarie Thüminger, noch ohne Sig.

Ins Bild gerückt

Ursula Schneider: Preisurkunde für Rosmarie Thüminger für das Buch "Zehn Tage im Winter"

 

Preisurkunde für Rosmarie Thüminger für das Buch Zehn Tage im Winter. (Vorlass Rosmarie Thüminger, noch ohne Sig.)

Erst seit den 1920er Jahren gibt es in der Kinderliteratur die Tendenz, „Kinder als ernst zu nehmende AnsprechpartnerInnen“ zu sehen. Als ProtagonistInnen dieser Richtung gelten etwa Erich Kästner (1899-1974) oder Hermynia Zur Mühlen (1883-1951). Davor hatte es vor allem „eher moralisierende und verniedlichende Kinderbücher traditioneller, häufig christlicher Prägung“ gegeben (Sigrid Schmid-Bortenschlager, beide Zitate). Nach der Zeit des Nationalsozialismus und der darauf folgenden Jahre kam 1968, und seither drückt sich das gesellschaftspolitische Engagement von Autorinnen verstärkt und deutlich sichtbar nicht nur in der Literatur für Erwachsene, sondern auch in jener für Kinder aus. Probleme dürfen beim Namen genannt werden, und nicht auf alle Fragen gibt es leichte Antworten.

Von dieser Entwicklung der 1970er und 1980er Jahre wurde auch Rosmarie Thüminger erfasst. Die 1939 in Laas im Vinschgau Geborene war als Kind mit ihren Eltern im Zuge der Option nach Nordtirol gekommen und im Zillertal und im Ötztal aufgewachsen. Nach dem Abschluss der Kinderkrankenpflegeschule ging sie als Erzieherin nach Rom und nach Paris. Sie kam zurück nach Innsbruck, heiratete und bekam selbst Kinder. Sie begann zu schreiben und zu veröffentlichen. Von ihrem ersten Text für Kinder (die Erzählung Ich werde Lokführerin, 1980) angefangen bis zu ihren jüngsten Kinder- und Jugendbüchern (zuletzt: Sichelmondleben, 2009) engagiert sie sich politisch, für Mädchen- und Frauenrechte, für ein lebenswertes Arbeitsleben, für Frieden und ein gerechtes Miteinander.

Urkunde: Österreichischer Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur (Kinderbuchpreis), 1989, unterzeichnet von Bundesministerin Hilde Hawlicek. (Vorlass Rosmarie Thüminger, noch ohne Sig.)

In ihrem bekanntesten Werk Zehn Tage im Winter beschäftigt sich Rosmarie Thüminger mit der österreichischen Vergangenheit – anhand der Geschichte eines Mädchens, das entdeckt, dass seine Mutter einen geflohenen Kriegsgefangenen versteckt. Das Kind, das bisher relativ geborgen in der ländlichen Welt in den Bergen gelebt hat, entdeckt, dass die verehrte Lehrerin in ihrer Begeisterung für den Führer einen Irrweg geht, und dass der geliebte Onkel ein Kriegsverbrecher ist: Sie belauscht, wie er unter Alkoholeinfluss von der Ermordung russischer Kinder und Frauen berichtet. Die Geschichte endet „gut“ – der versteckte russische Kriegsgefangene kann sich von seiner Verwundung erholen und weiter fliehen, die kindliche Protagonistin hat viel gelernt, über Angst, Solidarität und Zivilcourage und nicht zuletzt über sich selbst.

1988 war das damals so genannte „Bedenkjahr“: Der Jahrestag des so genannten „Anschlusses“ Österreichs an Nazideutschland jährte sich zum 50. Mal. Die österreichische Literatur reagierte darauf – man erinnere sich nur an Thomas Berhards Stück Heldenplatz und seine skandalisierte Aufführung im Wiener Burgtheater –, und auch die Kinderliteratur nahm an der Aufarbeitung teil. Das „geschönte Selbstbild, das auch in der Kinder- und Jugendliteratur konstruiert wurde“ (Peter Malina) wurde von Autorinnen wie Käthe Recheis (Lena. Unser Dorf und der Krieg, 1987) oder Rosmarie Thüminger gezielt umgestaltet.

Zehn Tage im Winter und seine Autorin waren lange auf der Suche nach einem Verlag gewesen; niemand hatte das Buch herausbringen wollen. Schließlich fand sich der Wiener Dachs-Verlag, dessen Risikobereitschaft sich lohnte: Zehn Tage im Winter wurde 1988 vorgestellt und war ein großer Erfolg. Preise (neben dem Österreichischen Staatspreis für Kinderliteratur auch der Kinderbuchpreis der Stadt Wien), Übersetzungen und Neuauflagen folgten. (2019 ist das Buch vergriffen, eine Neuauflage wäre wünschenswert!) 

Neben Rosmarie Thüminger erhielt 1989 unter anderen auch Renate Welsh (geb. 1937, Preis für Drachenflügel) einen der Staatspreise, Christine Nöstlinger (1936-2018) bekam einen Würdigungspreis zugesprochen. Die Zeit der moralisierenden, verniedlichenden und geschönten Kinderliteratur war auch in Österreich vorbei.
 

Literatur:

Susanne Blumesberger: Handbuch der österreichischen Kinder- und Jugendbuchautorinnen. Wien: Böhlau 2014.

Lexikonartikel Rosmarie Thüminger, Online Lexikon LiteraturTirol, Forschungsinstitut Brenner-Archiv der Universität Innsbruck

Peter Malina: Zu sehen, was zu sehen ist. Zur Erinnerungsarbeit in der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur nach 1945. In: Hans-Heino Ewers, Ernst Seibert (Hg.): Geschichte der österreichischen Kinder- und Jugendliteratur von 1800 bis zur Gegenwart. Wien: Buchkultur 1997, 158-165.

Sigrid Schmid-Bortenschlager: Österreichische Schriftstellerinnen 1800-2000. Eine Literaturgeschichte. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2009, Kapitel Kinderliteratur, 98-99.

Ursula A. Schneider: Laudatio für Rosmarie Thüminger zu ihrem 80. Geburtstag, gehalten am 10.10.2019 im Literaturhaus am Inn. In: LiLit. Literarisches Leben in Tirol. Online Magazin für Ost-, Nord und Süd, 2019.

Nach oben scrollen