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Das Fischwunder (1959) 

Als Franziskus noch bettelnd und Lob und Liebe Gottes verkündend mit einem Häuflein brauner Brüder die schönen Lande Italiens durchzog, den Tieren in Wald und Feld predigte und dabei der Menschen nicht vergaß, vielmehr den Sündern in die Schöpfe fuhr, die Armen mit Fröhlichkeit tröstete und den Reichen unsanft an Wanst und Beutel pochte, weil dort ihr Gewissen saß, kam er eines Morgens an einen Fluß.

Es war ein stiller Herbsttag mit blauem Himmel und goldenem Laub. Auf allen Wegen kollerten Kastanien wie braune Kobolde und blinzelten mit blanken Augen unter ihren Stachelwimpern hervor nach den rosigen Fersen des Heiligen, der fröhlich dahinschritt. Libellen schossen gleich Blitzen aus Smaragd und Türkis über das Wasser, in seinem Spiegel sah man Vögel nach bunten Hügeln fliegen, bis jäh ein Fisch vom Grunde emporschnellte und den Trug in tausend glitzernde Scherben zerbrach.

Franziskus stimmte der Anblick über alle Maßen heiter und festlich, und er wunderte sich, daß ihm bis zur Stunde nicht eingefallen war, sein Preislied der Schöpfung auch den stillen Bewohnern der rauschenden Tiefen zu singen. Schon begann er im Herzen die Worte zu überlegen, mit denen er das Versäumte nachholen wollte, da hörte er es hinter einem roten Beerenstrauch lustig hervorpfeifen, und neugierig darauf zugehend, entdeckte er einen Mann, der feine Hölzer in der Sonne zum Trocknen ausgelegt hatte und eifrig mit allerlei merkwürdigem Gerät hantierte.

Es war ein Fiedelschnitzer aus dem nahen Städtchen, den der leuchtende Tag aus seiner dumpfen Werkstatt gelockt hatte. Nun suchte er Vögeln, Wind und Wellen ein wenig von ihrem Geheimnis abzulauschen, um es ins tönende Holz zu bannen, daraus es später die Spielleute mit zartem oder keckem Bogenstrich wieder hervorholten.

Franziskus, dem dies Handwerk wohlgefiel, hockte nach einem freundlich erwiderten Gruß neben dem kunstfertigen Gesellen nieder. Und da es sich gerade traf, daß auch der andere den heiteren Frieden der Stunde nicht mit Geschwätz zu vertreiben liebte, konnte er ungestört die Netze seiner Gedanken knüpfen.

Aber wie sehr er sich auch um die rechten Worte für seine Predigt mühte, es wollte ihm nicht gelingen, sie festzuhalten. Unruhig wie flinke Fische flitzten sie ihm durch den Sinn, und je dichter ihr Gewimmel wurde, desto ratloser wurde der Heilige in der Bedrängnis seines übervollen Herzens. Schon meinte er für diesmal dem Herrn die fromme Pflicht schuldig bleiben zu müssen, da kam ihm eine Erleuchtung. Was sollten ihm denn Worte vor den stummen Fischen? In ihrer Sprache wollte er predigen! Und daß ihm gerade ein Geigenmacher über den Weg geraten war, schien ihm ein Wink des Himmels.

„Bruder, willst du um Gottes Lohn mir eine Fiedel schnitzen, die stumm ist?" fragte er.

Der Geselle lächelte. Denn seit er das braune Mönchlein, von dem so viel Wunderliches und Ergreifendes im Munde der Leute umging, in einem nahegelegenen Marktflecken zum Volke reden gehört hatte, hing er ihm mit heimlicher Neigung an. „Warum nicht? Aber was willst du denn mit einer Fiedel, die nicht tönt?"

„Das wirst du schon sehen", entgegnete Franziskus fast übermütig. „Beeil' dich nur, ich will gleich darauf warten." Und er sprang auf und begann in freudiger Erregung am Ufer hin- und herzulaufen, daß ihm der Kuttenstrick leichtfertig um die hageren Hüften zu tanzen anhub, und dem Fiedelschnitzer vor Neugier das Messer mit blitzender Behendigkeit durch die blanken Brettlein fuhr.

So dauerte es nicht lange und Franziskus hielt eine artige kleine Fiedel in Händen. Noch wußte der Geselle nicht, ob es Scherz oder Ernst geben sollte, als der Heilige auch schon zu ein paar vorspringenden Ufersteinen hinabkletterte und den zierlichen Bogen hob.

Da wurden die Wasser mit einem Male so klar wie Glas: Sand und Kiesel leuchteten golden vom Grund, wie Regenbogen ruhten dazwischen die sanften Schalen der Muscheln, und das Grün der Algen, die ihre zarten Schleier über die Tiefe spannen, schien geheimnisvoll aufzuglühen. Doch kaum berührte der Bogen das Holz, als eine Bewegung und ein Rauschen in den Fluten entstand und von überall Fische herbeizuströmen begannen, so zahlreich, wie die beiden sie ihr Lebtag nicht gesehen hatten. Immer kamen noch neue hinzu, und bald glich der Fluß dem schuppigen Rücken eines einzigen riesigen Fisches.

Und so gewaltig war das allgemeine Drängen nach der Stelle, wo der seltsame Spielmann stand, daß selbst die scheuen Krebse aufs Rückwärtsgehn vergaßen und aus ihren Verstecken hervorkamen, sich um seine Füße zu scharen, wobei sie sich so redlich mühten, ihre grimmen Scheren vor seinen bloßen Zehen zu verbergen, daß etliche vor Anstrengung ganz rot anliefen.

Sogar der räuberische Hecht kam angeschwänzelt wie ein zahmes Hündlein und rückte freundlich beiseite, einem stattlichen Karpfen Platz zu machen, der in dem Gedränge schon ein wenig ängstlich nach Luft zu schnappen begann. 

(aus: Das andere Schaf, Stiasny 1959)

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