Kapitel 5 | |
| |
| |
| |
|
Wir
haben im vorangegangenen Kapitel die Rechtsfähigkeit und – von ihr
abgeleitet – die Handlungsfähigkeit behandelt. Zentraler Inhalt
der aus der Handlungsfähigkeit abgeleiteten Geschäftsfähigkeit ist
– wie schon der Name sagt – die Vornahme von Rechtsgeschäften. In
der Rechtsgeschäftslehre wird der Frage nachgegangen, was ein Rechtsgeschäft
ist, welche Arten von Rechtsgeschäften es gibt und was vom Rechtsgeschäft
unterschieden werden muss (A.). – Punkt B. geht darauf ein, wie
dieses praktisch so wichtige Rechtsgebilde gültig entsteht, wobei
insbesondere der Vertrag als zwei- und mehrseitiges Rechtsgeschäft
behandelt wird. Darauf folgen in den Punkten C. (Dissens) und F.
(Willensmängel) praktisch wichtige Teile einer Rechtsgeschäftspathologie.
Dazwischen liegt die für das Verständnis wichtige Lehre von der
Vertragsfreiheit und Privatautonomie – eine Rechtsschöpfung der
griechischen Antike und in der Moderne des Naturrechtsdenkens (D.),
gefolgt von Ausführungen über die Bedeutung von Steuern, Abgaben und
Gebühren für den Vertragsschluss (E.) und das der ausgleichenden
Gerechtigkeit zuzurechnende Korrektiv der Kondiktionen – sog ungerechtfertigte
Bereicherung (G.), die idR am „fehlgeschlagenen” Rechtsgeschäft
ansetzt. | Überblick |
|
| |
I. Was will die
Rechtsgeschäftslehre? | |
Die
Lehre vom Rechtsgeschäft hat ihren Sitz nicht zufällig im „Allgemeinen
Teil” des bürgerlichen Rechts. Sie ist sein Herzstück.
Ihr sollte beim Studium besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden!
– Der „Allgemeine Teil” des bürgerlichen Rechts
behandelt Rechtsgeschäfte schlechthin, also abstrakt. Im Gesetzbuch
sind sie dagegen in konkreter Form als Kauf-, Werkvertrag, Schenkung
oder Ehevertrag in den verschiedenen besonderen Teilen des bürgerlichen Rechts
– also dem Schuld-, Sachen-, Familien- oder Erbrecht – geregelt.
– Die Lehre vom Rechtsgeschäft gilt für alle Arten von Rechtsgeschäften:
unentgeltliche und entgeltliche, solche von Todes wegen und unter
Lebenden, einseitige, zweiseitige und mehrseitige; personen-, familien-
und erbrechtliche, insbesondere aber schuldrechtliche. | |
In den „besonderen Teilen”
des bürgerlichen Rechts, vor allem im Schuldrecht, finden wir konkret ausgeformte
Rechtsgeschäftstypen, insbesondere Verträge wie: Kauf, Tausch, Schenkung,
Darlehen, Verwahrung, Werk- und Arbeitsvertrag, Vereinsgründung,
Ehe(schließung), Verlobung, Testament und Erbvertrag. – Die Rechtsgeschäftslehre
des „Allgemeinen Teils” hebt das all diesen konkreten Rechtsgeschäftstypen
Gemeinsame heraus, abstrahiert vom Besonderen und schafft so – zum
besseren Verständnis – den Idealtypus „Rechtsgeschäft”, der in der
juristischen Wirklichkeit in dieser Form gar nicht existiert. Dieser Idealtypus „Rechtsgeschäft”
dient didaktisch-dogmatischen Zielen und verfolgt ein besseres Verständnis
der Vorgänge im und um das Rechtsgeschäft. – Es ist wie beim Mechaniker,
der, um einen Fehler zu finden, die möglichen Fehlerquellen einzeln und
nacheinander durchgeht, was aber deren Kenntnis voraussetzt. | Idealtypus
„Rechtsgeschäft” |
Neben der Vertragsfreiheit und der
Privatautonomie als Rahmenbedingungen, gehört auch die Willenserklärung
zum Fundament der Lehre vom Rechtsgeschäft. Daneben spielt im Rechtsgeschäftskonzept
des ABGB aber auch der Verkehrsschutzgedanke eine wichtige Rolle → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| Willenserklärung: Fundament
der Lehre
vom Rechtsgeschäft |
| |
II. Begriff und
Erklärung | |
1. DtBGB und „moderne”
Rechtsgeschäftslehre | |
Die
Rechtsgeschäftslehre orientiert sich in Bezug auf das Verständnis
des Rechtsgeschäfts an den Motiven / Materialien, also den Entstehungsprotokollen
zum dtBGB: Motive I 126 (= Mugdan I 421); so auch Gschnitzer (AllgT1+2).
– Die Lehre vom Rechtsgeschäft ist eine bedeutende Leistung der
deutschen Pandektistik des 19. Jhd. | |
Der Terminus „Rechtsgeschäft”
stellt eine Übersetzung der gemeinrechtlichen Termini „actus juridicus”
und „negotium juridicum” dar. | Terminus |
| |
2. Willenserklärung
und Rechtsgeschäft | |
Die
Willenserklärung/en der Partei/en ist / sind der wesentliche Teil
des Rechtsgeschäfts, denn Rechtsgeschäfte bestehen aus Willenserklärungen;
wenigstens einer oder häufig aus zwei oder mehreren → Ein-,
zwei- und mehrseitige Willenserklärungen –
Der Parteiwille ist die treibende Kraft für den
Abschluss von Rechtsgeschäften. | Parteiwille |
Willenserklärung
meint privatrechtlich: Willensäußerung mit rechtsgeschäftlichem
Kundgebungszweck (Gschnitzer). | Die rg Willenserklärung |
Nicht immer gelingt es der oder
den Partei/en ihren rechtsgeschäftlichen Willen richtig zu bilden oder
zu äußern; sei es, dass sie sich versprechen, im Wort vergreifen,
verhören oder einfach – auf Grund von Unwissen oder unrichtigen
Schlussfolgerungen – von falschen Vorstellungen ausgehen. Unter
bestimmten Voraussetzungen – etwa nach den §§ 871 ff ABGB (Irrtumsregeln → Willensmängel
– Irrtum)
– kann eine misslungene Willensbildung oder Willenserklärung „korrigiert”
werden. Allein: Immer ist das nicht möglich. Die Auslegung und Korrektur
von Willenserklärungen orientiert sich nämlich nicht nur am Willen
des oder der Erklärenden (sog Willenstheorie),
sondern mitunter auch an der abgegebenen Erklärung (sog Erklärungstheorie)
und – bei den wichtigen entgeltlichen Rechtsgeschäften – auch nach
dem Verständnis des Publikums, der sog Verkehrssitte oder Verkehrsauffassung
iSd § 914 ABGB (sog Vertrauenstheorie). Mehr dazu → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| Willens-,
Erklärungs-
und Vertrauenstheorie |
| Abbildung 5.1: Das Rechtsgeschäft |
|
3. Begriff des
Rechtsgeschäfts | |
Das Rechtsgeschäft ist (in einer
ersten Annäherung; vgl auch → Einteilung
und Abgrenzung)
Privat-Willenserklärung, gerichtet auf Rechtswirkung, die willensgemäß
eintritt, weil sie rechtmäßig ist: Gschnitzer + Motive zum dtBGB.
– Betrachten wir idF die einzelnen „Elemente” des Rechtsgeschäfts: | Elemente
des
Rechtsgeschäftsbegriffs |
•
Privat-WillenserklärungDas
Element „Privat-Willenserklärung” will von öffentlichrechtlichen
Willenserklärungen abgrenzen (<->); zB der Ausübung des Wahlrechts
in der Wahlzelle oder einem Richterspruch. | |
• „ ... gerichtet auf Rechtswirkung”:
also Hervorbringung eines rechtlichen Erfolgs. Die Rechtswirkungen
bestehen danach in der Begründung, Aufhebung oder Abänderung von
Rechten und/oder Pflichten. Dieses Begriffselement ist abzugrenzen
(<->) von unverbindlichen Willensäußerungen iSv nicht einklagbaren
(!), etwa bloß gesellschaftlichen Verabredungen; zB gemeinsam ins
Kino oder Essen zu gehen oder einem Rendezvous. | |
•
„ ... die [gemeint ist:
die Rechtswirkung] willensgemäß eintritt”: Der
Erfolg tritt nach der Rechtsordnung deswegen ein, weil er [vom /
von den Erklärenden] gewollt ist; das heißt, der Erfolg / das Ziel
des Rechtsgeschäfts wird vom Parteiwillen getragen. Dabei muss der
Wille nicht alle rechtsdogmatischen Details, insbesondere nicht
sämtliche Tatbestandselemente und Rechtsfolgen eines Rechtsgeschäfts
umfassen. Es genügt vielmehr das Bewusstsein der Parteien, ein Rechtsgeschäft
abschließen, also einen Rechtsakt setzen zu wollen! Man verlangt
demnach nur das Vorliegen einer Rahmenvorstellung.
– Der (Rechts)Geschäftswille richtet sich – nach W. Flume – auf
einen weitgefassten Rechtsfolgewillen, der häufig
einen rechtlichen und/oder wirtschaftlichen Erfolg auf rechtlich
gesicherte Weise herbeiführen will; sog gemäßigte Rechtsfolgenlehre. | |
|
EvBl 1977/68: Danach kommt ein Vertrag
zustande, wenn nicht „den Parteien erkennbar das Bewusstsein
fehlt, mit ihrer Vereinbarung Rechtsfolgen auszulösen”. | |
|
| |
•
„ ... weil sie [sc:
die Rechtswirkung] rechtmäßig ist”: Der rechtsgeschäftliche
Erfolg tritt, wie gewünscht, ein, wenn das (vom / von den Erklärenden)
Gewollte rechtmäßig ist, also der Rechtsordnung nicht widerspricht.
– Rechtsgeschäftliches Handeln ist also nur innerhalb der Grenzen des
rechtlich Erlaubten / Zulässigen möglich. Diese Grenzen
müssen von den Parteien eingehalten werden; wollen sie ihre Erklärung
oder Vereinbarung mit Rechtsfolgen ausstatten. Nur in dem von ihr
vorgegebenen – freilich weiten – Rahmen gewährt die Rechtsordnung
Rechtsschutz/Rechtssicherheit und verleiht dem Geschäfts- oder Parteiwillen
rechtliche Wirksamkeit. – Daher führt gesetz- oder sittenwidriges
(rechtsgeschäftliches) Handeln nicht zum gewünschten rechtsgeschäftlichen
Erfolg; vgl § 879 ABGB. | |
4. Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB | |
Aufmerksam
gemacht werden muss darauf, dass die Rechtsgeschäftslehre des dtBGB (und
dabei auch das Verständnis der Willenserklärung) nicht ohne Einschränkung
auf das ABGB übertragen werden darf, was aber immer
wieder geschieht. Das ABGB stellt nämlich, obwohl wesentlich älter, aufgrund
seiner naturrechtlichen Wurzeln (K.A.v. Martini), stärker – und
aus heutiger Sicht: moderner – auf
Vertrauens-
und
Verkehrs(schutz)überlegungen ab, als
das jüngere dtBGB, das vornehmlich willenstheoretisch ausgerichtet
ist. | Vertrauens- und Verkehrsschutzüberlegungen |
Als zurechenbare Willenserklärung iSd ABGB gilt nämlich
nicht nur eine gewollte Erklärung, sondern – darüber hinaus – auch
jedes menschliche Verhalten, das nach den Erfahrungen des rechtsgeschäftlichen
Verkehrs die Annahme rechtfertigt, dass damit die Begründung,
Abänderung oder Aufhebung von Rechten oder Rechtsverhältnissen angestrebt
wird und dies der Erklärende durch sein Verhalten (als ein Tun oder
Unterlassen) kundtut; dies auch unabhängig davon, ob tatsächlich
ein innerer Wille beim Erklärenden vorhanden ist, dass er eine (derartige)
Erklärung abgibt oder nicht. Vgl auch → Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB –
Im Regelfall stimmen aber Wille, Erklärung und Verhalten überein. | |
In
diesem Sinne schon Gschnitzer in Klang2 IV/1,
72 und idF auch Kramer, Grundfragen der vertraglichen Einigung 171
und derselbe im: Münchner-Kommentar, BGB3,
Vor § 116 Rz 17. – Versteht man die Willenserklärung in diesem Sinne
und hält man sie von psychologischen Elementen frei, führt das auch
zu einem besseren Verständnis automatisierter „Willens”-Erklärungen
(Computererklärungen). Es macht dann keine Probleme, solche Erklärungen
als zurechenbare (Willens)Erklärungen zu verstehen. |
Computererklärungen |
| Abbildung 5.2: Das Rechtsgeschäft/RG |
|
| Abbildung 5.3: Ausdrückliche und schlüssige Willenserklärung |
|
III. Einteilung
und Abgrenzung | |
1. Ein-,
zwei- und mehrseitige Willenserklärungen | |
Rechtsgeschäfte
bestehen entweder aus der Willenserklärung einer (zB
Testament, Auslobung oder Kündigung) oder von zwei (zB
Vertrag) oder mehreren Parteien (zB Vereins- oder
Gesellschaftsgründung) → Einteilung
nach ihrer Entstehung Danach
unterscheiden wir ein-, zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte. | |
Die Begriffe Person und Partei sind
rechtlich nicht identisch. Eine Partei kann wiederum aus mehreren
Personen bestehen, also mehrgliedrig sein. So, wenn Geschwister
ein Auto kaufen. – Besteht das Rechtsgeschäft nur aus einer Willenserklärung,
decken sich die Begriffe Rechtsgeschäft und Willenserklärung (zB
Testament), mag auch ersterer Begriff das Ergebnis, letzterer das
Mittel, um dorthin zu gelangen, betonen. Andernfalls – etwa beim
Vertrag – ist die Willenserklärung nur ein Teil des (Gesamt)Rechtsgeschäfts,
das bei zweiseitigen Rechtsgeschäften, den Verträgen, aus Antrag
und korrespondierender Annahme besteht. | Person und Partei |
| Abbildung 5.4: Einteilung der Rechtsgeschäfte: Entstehung |
|
| Abbildung 5.5: Einteilung der Rechtsgeschäfte: Wirkungen |
|
2. Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB | |
Der rechtsgeschäftliche
Wille kann nach § 863 ABGB (Gesetz lesen!) entweder: | |
•
ausdrücklich oder | |
•
schlüssig / konkludent oder | |
•
stillschweigend erklärt werden. | |
Jedenfalls muss ein rechtsgeschäftlicher Wille erklärt,
dh erkennbar geäußert werden, weil sonst kein Rechtsgeschäft zustande
kommt. Zu einem gültigen Testament braucht es daher mehr, als eine bloße
gedankliche Überlegung, wer, was bekommen soll. – Zur Bedeutung
des Stillschweigens im rechtsgeschäftlichen Verkehr → Schlüssiger
und stillschweigender Vertragsschluss
| |
Von einer rechtlich
beachtlichen Willenserklärung sprechen wir idR – daran
sei erinnnert – aber nur dann, wenn der jeweilige Wille in rechtsgeschäftlicher Erklärungs-
oder Kundgebungsabsicht (gültig) geäußert wird. | Kundgebungsabsicht |
Rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche
Willenserklärungen spielen neben dem Privatrecht auch
im öffentlichen Recht eine Rolle. Auch dort werden
Verträge geschlossen und verbindliche Erklärungen abgegeben. Rechtsträger
begeben sich dabei aber regelmäßig auf das Gebiet des Privatrechts
(Privatwirtschaftsverwaltung). Abgrenzungen können sich dabei aber
als schwierig erweisen, zumal Erklärungen auch sowohl dem privaten
wie dem öffentlichen Recht angehören können; Mischerklärungen. Als
eine solche rechtsgeschäftliche Mischerklärung könnte bspw auch die
Patientenverfügung ( → KAPITEL 17: Exkurs:
Die Patientenverfügung)
verstanden werden. Auch Hoheitsträger können Willenserklärungen
nicht nur ausdrücklich, sondern auch konkludent abgeben. Die Rspr zieht
dabei aber realistische Grenzen. So wird es abgelehnt, Beamten ohne
ausdrückliche Zustimmung des zuständigen Organs ein Zusatzentgelt
gewähren zu können; ZAS 2001, 51 (5). | Privatrecht und
öffentliches Recht |
| |
| |
Zwischen ausdrücklichen sowie schlüssigen und stillschweigenden Willenserklärungen
gibt es Übergänge. Wichtig ist vorerst, dass verstanden wird, dass
Rechtsgeschäfte und Verträge nicht nur durch ausdrückliche Willenserklärungen
geschlossen werden können, sondern auch dadurch, dass Parteien ein
Verhalten an den Tag legen, das objektiv – also nach der Verkehrsauffassung –
als Zustimmung oder Ablehnung gedeutet werden kann. | Die Bedeutung der Verkehrsauffassung |
Wir sind bereits auf solche Situationen
gestoßen; vgl etwa den Abschluss eines schlüssigen Verwahrungs-
oder Leihvertrags. – Im gesetzlichen Anerkennen von Konkludenz liegt
ein Schutz anderer Verkehrsteilnehmer, die auf
einen äußeren „Tatbestand” (iSv Verhalten) vertrauen. | |
Konkludenz,
schlüssiges Verhalten scheidet daher aus, wenn für einen Vertragsabschluss
die Schriftform vorgeschrieben ist. Andernfalls
könnte diese Formvorschrift umgangen werden; vgl SZ 61/241 (1988). | Konkludenz/Schlüssigkeit |
| |
|
OGH 17. 8. 2001, 1 Ob 83/01i, EvBl 2001/14:
Hausverwalter eines Mietwohnhauses klagt den Dritteleigentümer auf
Zahlung der von ihm vorgestreckten Auslagen, wogegen der Miteigentümer
Verjährung einwendet. – OGH wendet § 355 HGB (Kontokorrent) analog
an, obwohl eine Kaufmannseigenschaft des Hausverwalters nicht festgestellt
wurde. Ein solches „uneigentliches” Kontokorrentverhältnis kann auch schlüssig zustande
kommen. Die Verjährung beginnt in diesem Fall erst mit Beendigung
der Kontokorrentperiode. | |
|
Stillschweigen
iSd § 863 ABGB gilt in der Rechtsgeschäftslehre grundsätzlich nicht
als Zustimmung. Bloßes Schweigen besitzt nämlich grundsätzlich keinen
(positiven) Erklärungswert; SZ 64/185 (1991). – Anders liegt der
Fall aber, wenn der Stillschweigende nach dem Gesetz oder dem Vertrag oder
nach der
Verkehrssitte ( → KAPITEL 11: Verkehrssitte)
oder nach Treu und Glauben ( → KAPITEL 11: Treu
und Glauben)
hätte reden müssen oder wenn dem Stillschweigen schlechterdings
keine andere Bedeutung (als Zustimmung) beigelegt werden kann. –
Zur Bedeutung des Stillschweigens im Rahmen von Vertragsschlüssen → Schlüssiger
und stillschweigender Vertragsschluss –
Vgl ferner die folgenden Beispiele. |
Stillschweigen |
| |
|
Zum schlüssigen Widerruf
eines Testaments: EvBl 1999/195. | |
|
|
Reden hätte der
Stillschweigende nach Treu und Glauben bspw müssen
(insbesondere bei bestehender Rechtsbeziehung), wenn wichtige Interessen
des Erklärenden (Vorschlagenden) dies verlangen und dies ohne ernstliche
Behelligung des schweigenden Partners möglich war. Das gilt auch
für jene Fälle, wenn ein Vorschlagender mit Antwort rechnen und
bei deren Ausbleiben mit gutem Grund annehmen durfte, dass alles
in Ordnung sei; HS 6227 (1968). | |
|
|
HS 4220/26 (1963): In der unbeanstandeten
Annahme einer Faktura / Rechnung über nicht bestellte
Ware liegt keine schlüssige oder stillschweigende Zustimmung zum
Abschluss eines Kaufvertrags; es besteht auch kein derartiger Handelsbrauch.
Vgl schon ACl 2122 (1900). | |
|
|
HS 4213 (1964): Das österreichische
Recht kennt kein allgemeines Rechtsinstitut der
Verwirkung ( → KAPITEL 6: Verwirkung )
im Sinne eines schlüssigen oder stillschweigenden Anspruchsverzichts durch
bloßen Zeitablauf. Es müssen vielmehr besondere Umstände hinzukommen,
die ein späteres Geltendmachen des Anspruchs als Verstoß gegen Treu
und Glauben erscheinen lassen. | |
|
|
HS 4216: Bei Dauerschuldverhältnissen
darf aus der Nichtausübung eines Rechts im Einzelfall oder aus der
Unterlassung des Widerspruchs gegen vereinzelte Eingriffe noch nicht
auf einen Verzicht geschlossen werden. | |
|
|
EvBl 1951/485: Keine
Zustimmung liegt im Stillschweigen auf
eine in die Faktura oder den Lieferschein aufgenommene Eigentumsvorbehaltsklausel. | |
|
|
SZ 38/112 (1965):
Auch bei der Annahme eines stillschweigenden Haftungsverzichts erscheint
Vorsicht geboten. Ein „Handeln auf eigene Gefahr” ist nur dann anzunehmen,
wenn der später Verletzte erkannt hat, dass er sich in eine besondere
Gefahrenlage begibt. Ein anzunehmender Verzicht bezieht sich zudem
idR nur auf den Eintritt eines unverschuldeten Erfolges oder einer
solchen Gefahr, und im Bereich der Verschuldenshaftung nur auf die
Haftung für leichte Fahrlässigkeit. Auch Unentgeltlichkeit befreit
nicht von der Verschuldenshaftung. | |
|
|
OGH 5. 4. 2000, 9 Ob A 40/00y, JBl 2001, 192:
Gewährt der Arbeitgeber regelmäßig und vorbehaltslos bestimmte Leistungen
an seine Arbeitnehmer, gilt dies als schlüssiges Anbot (§§ 863,
914 ABGB), dies auch künftig zu tun. Nehmen die Arbeitnehmer diese
Zahlungen entgegen, so liegt darin eine schlüssige Annahme. So werden
die Leistungen (dieser Betriebsübung) Inhalt der
einzelnen Arbeitsverträge. | |
|
Das Privatrecht orientiert sich in
§ 863 ABGB an den allgemeinen Grundregeln der Kommunikation, wo
zwischen verbalen und non-verbalen Botschaften / Äußerungen / Mitteilungen
unterschieden wird. Über Mimik, Gestik, überhaupt Körpersprache
verständigt sich schon die höhere Tierwelt, insbesondere die Primaten.
Mitgeteilt werden Informationen, Gefühle, Gemütszustände oder Triebregungen,
die alle auch rechtlich eine Rolle spielen können. – § 863 ABGB
trägt auch insofern der allgemeinen Kommunikationstheorie Rechnung,
als er nicht nur auf die Absicht der Botschaft, sondern vor allem
auch auf die erzielte (soziale) Wirkung achtet → Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB:
Wie war das, wie konnte und durfte das verstanden werden? Auch das
Rechtsdenken hat sich demnach mit der Vielschichtigkeit und Komplexität
von Kommunikation / Verhalten auseinander zu setzen, in die das
Rechts- und Wirtschaftsleben nolens-volens eingebettet ist. | Grundregeln
der Kommunikation |
Beispiel: So kann bspw ein zunächst (objektiv)
mehrdeutiger Inhalt einer Botschaft uU erst im Zusammenhang / Kontext
mit der konkreten (Parteien)Beziehung eindeutig verstanden werden;
so muss, was unter Kaufleuten klar ist, nicht auch für Verbraucher
/ Konsumenten verständlich sein. | |
| Bedeutung für die Auslegung |
| |
3. Einteilung
nach ihrer Entstehung | |
Nach Ihrer Entstehung werden einseitige, zweiseitige und
mehrseitige Rechtsgeschäfte unterschieden: Einseitige Rechtsgeschäfte
entstehen durch die Willenserklärung nur einer Partei; die zweiseitigen
entstehen durch die (korrespondierenden) Willenserklärungen zweier
Parteien (Verträge) und die mehrseitigen Rechtsgeschäfte entstehen
durch die Willenserklärungen mehrerer Parteien. – Zuerst wird auf
die einseitigen Rechtsgeschäfte eingegangen und dabei die Auslobung näher
behandelt. | Einseitige
Rechtsgeschäfte |
Zu den mehrseitigen Rechtsgeschäften sei angemerkt: | |
Bei ihnen
haben wir es nicht nur mit zwei, sondern mit mehreren (auch vielen)
auf ein gemeinsames Ziel gerichteten Willenserklärungen zu tun.
– Typische Beispiele: Vereins- oder Gesellschaftsgründung. | |
Auch mehrseitige
Rechtsgeschäfte sind Verträge. Wie jeder Vertragsschluss, kommen
auch diese Verträge (nur) durch die Willenseinigung aller
Parteien zustande. Daher ist Einstimmigkeit bei der Vereins-
oder Gesellschaftsgründung nötig. – Später, wenn Gesellschaft oder
Verein einmal entstanden sind, genügt idR auch eine mehrheitliche
Entscheidung / Beschlussfassung; Mehrheitsbeschluss. – Auch das
Völkerrecht unterscheidet zwischen bilateralen und multilateralen Verträgen. | |
| |
Die Willenserklärung bei
einseitigen Rechtsgeschäften wirkt aber verschieden: | Wirkung
einseitiger Willenserklärungen |
•
Bestimmte einseitige
Rechtsgeschäfte kommen schon durch Abgabe der Willenserklärung zustande;
zB das Testament, das mit Niederschrift gültig wird (etwa § 578
ABGB: eigenhändiges Testament), oder die Dereliktion (§§ 362, 386
f ABGB) wirkt mit Ausführung der Handlung. – Man kann sagen, die
Willenserklärung ist hier nur abgabebedürftig (ohne
dass sie zunächst nach außen dringen oder jemandem zugehen muss). | |
•
Eine andere
Gruppe einseitiger Rechtsgeschäfte / Willenserklärungen wird (nicht
schon durch Abgabe, sondern) erst dann wirksam, wenn die Willenserklärung dem Rechtsgeschäftspartner
/ Adressaten zugeht; so Kündigung oder Auslobung. Wir nennen diese
Gruppe zugangs- oder empfangsbedürftige
Willenserklärungen. Empfangsbedürftig sind vor allem auch
die einander entsprechenden Willenserklärungen, aus denen der Vertrag
entsteht: Antrag und Annahme. | |
| |
Die Begriffe Willenserklärung und Rechtsgeschäft werden
oft synonym verwendet, sind aber nicht identisch; synonym sind sie
beim einseitigen Rechtsgeschäft, das nur aus einer Willenserklärung
ent- und besteht; zwei- und mehrseitige Rechtsgeschäfte dagegen
bestehen aus zwei oder mehreren Willenserklärungen. Hier ist das
„Ganze” (= Rechtsgeschäft / Vertrag) mehr als seine beiden Teile
(= Willenserklärungen) aus denen es sich zusammensetzt. – Zu beachten
ist ferner, dass beim Rechtsgeschäft für seine Gültigkeit neben
der Willenserklärung oft noch etwas dazukommen muss; etwa eine behördliche
Genehmigung udgl, also die Willenserklärung allein gar nicht das
gesamte Rechtsgeschäft ausmacht. | Willenserklärung
und Rechtsgeschäft |
4. Die
Auslobung: §§ 860, 860a, 860b ABGB | |
| |
| Was macht eine
Willenserklärung zu einer Auslobung? |
•
Die Auslobung ist ein einseitiges Rechtsgeschäft,
kein Vertrag! Das Besondere daran: Die in der Auslobung steckende
Verpflichtungserklärung wird bereits durch ihren Zugang
an die Öffentlichkeit wirksam; zB durch
das Anschlagen des Zettels. | |
• Die Auslobung richtet sich an einen unbestimmten
Personenkreis und verspricht eine Belohnung,
wenn ein bestimmter Erfolg /Leistung erbracht wird.
– Hier bspw das Zurückbringen der entlaufenen Katze oder allfällige
zielführende Hinweise darauf. Verbindlich wird die Auslobung also
durch ihre öffentliche Bekanntmachung, die sehr unterschiedlich
erfolgen kann;
§ 860 Satz 1 ABGB. | |
•
Eine
Auslobung kann bis zur tatsächlichen Erbringung der ausgelobten
Leistung widerrufen werden. Der Widerruf hat nach
§ 860a ABGB „in derselben [oder einer gleich wirksamen] Form” zu
erfolgen. – Worin liegt der Unterschied zur Offerte? | |
•
Man
könnte sagen, dass in der Widerrufsmöglichkeit trotz Zugangs bei
der Auslobung noch der letzte Rest der alten Vertragsschlusslehre
vor der wichtigen Entdeckung der Antragsbindung durch das ABGB liegt.
– Martinis Entwurf (1796) und das ALR (1794) kannten die Antragsbindung
noch nicht → Antragsbindung
| |
•
§ 860 b ABGB regelt den Sonderfall, dass die Leistung
von mehreren Personen erbracht wird. | |
Diese Bestimmuung stellt klar, dass
auch eine „Preisbewertung” in Form der Auslobung erfolgen kann,
verlangt für deren Gültigkeit aber, dass „in der Bekanntmachung
eine Frist für die Bewerbung bestimmt sein muss”. – Während bei
der normalen Auslobung die Leistung / der Erfolg grundsätzlich nur
einmal erbracht werden kann, gilt das für ein Preisausschreiben
nicht. Innerhalb der „Frist” kann der Erfolg beliebig oft erbracht
werden. – Die korrekte Abwicklung eines Preisausschreibens (Ermittlung
der Gewinner) verlangt idR eine Jury / Preisgericht. | Preisausschreiben:
§ 860 Satz 2 ABGB |
Weitere praktische (Auslobungs)Beispiele: –
VerbrechensopferschutzG; – Wiener Mietermitbestimmung; – Schönheitskonkurrenz. | |
Die öffentliche
Ausschreibung zur Errichtung eines Bauwerks ist nicht Auslobung,
sondern Einladung zur Offertstellung. Der Ausschreibende kann eines
der eingelangten Anbote annehmen und dadurch den Vertrag zustande
bringen. – Werden jedoch im Rahmen eines Architektenwettbewerbs (zB
für den Neubau des Innsbrucker Rathauses) Preise ausgeschrieben,
liegt wieder Auslobung vor und die Auswahl des oder der Preisträger/innen
bedarf fachlicher Qualifikation und die (möglichst an Kriterien
zu bindende) Beurteilung darf nicht beliebig erfolgen (cic): | Architektenwettbewerb |
„Das Recht an preisgekrönten Entwürfen geht dadurch aber
noch nicht [auf den Auslobenden] über; ihr Ankauf ist davon unabhängig”;
Gschnitzer, SchRAT2. | |
5. Zweiseitige
Rechtsgeschäfte – Verträge | |
Der Vertrag
entsteht aus zwei einander entsprechenden – sog korrespondierenden
– Willenserklärungen. Diese Willenserklärungen heißen Antrag (Anbot,
Offert/e) und Annahme. Dazu gleich mehr. – Antrag
und Annahme sind empfangsbedürftige Willenserklärungen; dh ihre
Wirksamkeit ist vom Zugang abhängig. Der Antrag kann von jeder Vertragspartei
ausgehen; also zB beim Kauf vom Verkäufer oder Käufer. Eine Vertragspartei
kann wiederum aus zwei oder mehreren Personen bestehen; zB Freundin
und Freund kaufen gemeinsam ein Auto oder Grundstück. | |
Beim Vertrag(sschluss) spricht man (nach
griechischem Vorbild) auch von lex contractus und meint damit das
individuelle „Gesetz”, das sich die Parteien im Vertrag selbst geben.
Im Gegensatz zum „richtigen” Gesetz gilt dieses vertragliche Gesetz
aber nur inter partes. | lex
contractus |
Der Vertrag
ist ein Akt rechtlicher Selbstverpflichtung und Selbstbestimmung.
Er setzt ein unwiderruflich freies Individuum voraus, das in der
Rechtsgeschichte erstmals durch Solons Gesetzgebung geschaffen wurde.
– In der persönlichen Freiheit des Einzelnen wurzelt die Vertragsfreiheit, als
Freiheit Verträge zu schliessen. Die Privatautonomie braucht diesen
Freiraum, um sich entwickeln zu können. | Vertrag
als Akt rechtlicher „Selbstverpflichtung“ |
Wurde ein Vertrag
geschlossen, sind beide Parteien an ihn gebunden; römisch-gemeines
und Kirchenrecht: pacta sunt servanda –Verträge
sind zu- oder einzuhalten. Kein (Vertrags)Teil kann einseitig vom
Vereinbarten abgehen oder (auch nur kleine) Abänderungen vornehmen.
Daher: Vor Vertragsschluss alles gut überlegen und rechtzeitig Rat
einholen! Das erspart nachträglichen Katzenjammer. Geschlossene
Verträge können also grundsätzlich nicht rückgängig gemacht oder abgeändert
werden. Käufern steht (ohne diesbezügliche Vereinbarung) auch nicht
das Recht zu, einseitig gegen Bezahlung eines bestimmten Betrags
(etwa eines bestimmten Prozentsatzes des Kaufpreises → KAPITEL 15: Reugeld:
§§ 909 ff ABGB und § 7 KSchG:
Stornogebühr) vom Vertrag abzugehen / zurückzutreten. Der Vertragspartner
kann diesen Wunsch akzeptieren, muss das aber nicht. |
pacta sunt servanda |
| |
Die zweiseitigen Rechtsgeschäfte (=
Verträge) werden wiederum unterteilt in: | Unterteilung der zweiseitigen
Rechtsgeschäfte |
•
Einseitig
verpflichtende Verträge: Hier wird nur ein Vertragsteil
aus dem Vertrag (zu einer Leistung) verpflichtet; zB bei der Schenkung
der Schenkende, während der andere Vertragsteil aus dem Vertrag
nur Rechte erlangt. | |
•
Und zweiseitig
verpflichtende / verbindliche Verträge:
Hier werden beide Vertragsteile gegenseitig berechtigt
und verpflichtet. Hier wird wechselseitig jeder Vertragsteil Gläubiger
und Schuldner des anderen und zwar: | |
| |
| |
| Verträge
zugunsten Dritter |
6. Einteilung
nach der Wirkung des Rechtsgeschäfts | |
•
Schuldrechtliche: zB Kauf,
Miete; | |
•
sachenrechtliche: zB WE-Begründung,
Servitutsvertrag; | |
•
personenrechtliche:
zB Verlöbnis; | |
•
familienrechtliche:
zB Ehe; | |
•
erbrechtliche:
zB Testament oder Erbvertrag. | |
7. Weitere
Einteilungsgesichtspunkte | |
•
Entgeltliche (§§
917 ff ABGB), unentgeltliche (zB Schenkung: §§
938 ff ABGB) oder | |
•
entgeltfremde Geschäfte. | |
Die Kategorie der entgeltfremden
Geschäfte geht auf Franz Gschnitzer zurück; vgl seinen
Aufsatz, JBl 1935, 122 ff: Entgeltlich – unentgeltlich; abgedruckt
auch im FGL 325. Zur Kategorie der entgeltfremden Geschäfte zählen
zB: gesetzliche Unterhaltsleistungen, Verfügungen von Todes wegen,
Ausgedingsleistungen, aber auch die Erfüllung und bestimmte Sicherungsgeschäfte
oder eine Abfertigung für ein nicht eingelöstes Eheversprechen /
Verlobung → KAPITEL 16: Das Verlöbnis: GlU 12.111. | |
•
Verfügungs-
und Verpflichtungsgeschäfte
→ KAPITEL 2: Verpflichtungs-
und Verfügungsgeschäft; | |
•
abstrakte und kausale Rechtsgeschäfte → KAPITEL 2: Kausale
und abstrakte Rechtsgeschäfte; | |
•
formfreie und formgebundene Rechtsgeschäfte → KAPITEL 15: Die
Form (im Privatrecht); | |
•
privatrechtliche und öffentlichrechtliche Rechtsgeschäfte. | |
Es gibt auch ganz unterschiedliche öffentlichrechtliche
Verträge: zB völkerrechtliche, Verträge zwischen Bund und Ländern
oder solche zwischen Bundesländern untereinander. | |
| |
| Abbildung 5.6: Rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen |
|
8. Exkurs: Rechtsgeschäftsähnliche
Erklärungen | |
IdF wird
kurz auf die Abgrenzung von Willenserklärungen, Rechtsgeschäften,
Rechtshandlungen, Wissenserklärungen und Realakten eingegangen. | Abgrenzung |
Nicht
jede rechtlich beachtliche Erklärung, Äußerung oder Handlung ist
nämlich Willenserklärung oder Rechtsgeschäft im technischen Sinn.
Es gibt vielmehr auch solche, die gleichsam sub limine von Rechtsgeschäft
und Willenserklärung liegen. Rechtsnatur und Zuordnung solcher Handlungen und
Erklärungen sind freilich nicht immer klar, vielmehr umstritten.
– Hierher gehören insbesondere die Rechtshandlungen, Wissenserklärungen
und Realakte. | Nicht jede rechtlich beachtliche
Erklärung/Handlung ist
rechtsgeschäftliche Willenserklärung oder Rechtsgeschäft |
Der Unterschied zu den Rechtsgeschäften soll
darin bestehen, dass bei Rechtsgeschäften der Parteiwille bewusst
und unmittelbar (wenigstens iSd gemäßigten Rechtsfolgenlehre!) auf
Rechtswirkungen gerichtet ist, während das bei Rechtshandlungen
und Realakten nicht gefordert wird; die Rechtswirkungen treten hier
vielmehr ex lege, also von Gesetzes wegen, und nicht wie bei Rechtsgeschäften
ex voluntate, also willensgemäß ein. – Rechtshandlungen richten
sich aber ebenso wie Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen, an
andere Personen, erfolgen also in Erklärungsabsicht. | |
Zum Unterschied vom Rechtsgeschäft kann ihnen aber jeder
auf bewusste Gestaltung bedachte Rechtsfolgewillen fehlen. – IdF
wird auf einige solcher Fälle eingegangen | |
Die
Mahnung wird häufig zu den Rechtshandlungen gezählt, die den Rechtsgeschäften
(insbesondere den einseitigen empfangsbedürftigen Willenserklärungen,
wie Antrag, Annahme, Vollmachterteilung, Kündigung) sehr nahe stehen
(Enneccerus), sodass deren Regeln analog angewendet werden können.
Das relativiert die Bedeutung des Streits. Auch Rechtshandlungen lösen
demnach Rechtswirkungen / Rechtsfolgen aus; freilich – wie erwähnt
– ex lege und nicht ex voluntate (?). | „Mahnung“ Die
Rechtshandlungen |
Wie
theoretisch dieser Streit ist, zeigt aber der Umstand, dass es schwer
vorstellbar ist, dass ein Gläubiger auch hier ohne jeden Rechtsfolgewillen
handelt, wenn er bspw mahnt! Gschnitzer zählt (daher) die Mahnung
– was für das ABGB (§ 1334) richtiger erscheint – „eher zu den Rechtsgeschäften”,
weil ihr Zugang (beim Adressaten) auch Geschäftsfähigkeit voraussetzt. | |
|
JBl
1985, 235: Kündigung wegen Mietzinsrückständen – Beklagter war wegen
Schizophrenie geschäfts- und prozessunfähig – OGH verlangt daher
Mahnung an den gesetzlichen Vertreter. | |
|
Zu den Rechtshandlungen
zählen auch die denuntiatio, also die Verständigung
des Schuldners von der Zession (§ 1396 ABGB → KAPITEL 14: Schuldnerverständigung?),
die Zustimmung zum Schuldnerwechsel (§ 1405 ABGB → KAPITEL 14: Der
Schuldnerwechsel),
die Nachfristsetzung im Rahmen des Rücktritts nach §
918 ABGB ( → KAPITEL 7: Zum
gesetzlichen Rücktrittsrecht des § 918 ABGB) und die Mängelrüge nach
§ 377 HGB ( → KAPITEL 7: Kaufmännische
Rügepflicht), weil für diese cum grano salis dasselbe
zu gelten hat wie für die Mahnung. Denuntiatio und Mängelrüge werden
aber auch als bloße Wissenserklärung angesehen; so Frotz, F. Bydlinski,
Kramer, Krejci und die Rspr. Geht es doch bspw bei der Mängelrüge
stets um das (mehr oder weniger) bewusste – gegenüber dem ABGB modifizierte
– außergerichtliche Geltendmachen und Sichern von Gewährleistungsansprüchen
gegenüber dem Vertragspartner, die typischerweise in Kenntnis eines
andernfalls drohenden Rechtsverlustes getätigt wird; wobei es sich
noch dazu um ein sehr hartes „Rechtsmittel” unter Kaufleuten handelt.
Ein einheitliches Verständnis ihres Rechtscharakters mit der Geltendmachung
bürgerlichrechtlicher Gewährleistungsansprüche erscheint daher angezeigt.
Die Mängelrüge ist daher zutreffenderweise zwar keine Willenserklärung,
wohl aber wie Wandlung, Preisminderung
und Verbesserung etc (§ 932 ABGB) als Rechtshandlung und
nicht bloß als Wissenserklärung anzusehen. All diese Rechtsakte sind
auch gesetzlich determiniert. | Weitere
Beispiele für Rechtshandlungen |
Die Grenze zwischen Rechtshandlungen und Rechtsgeschäften
ist auch deshalb unscharf, weil auch bei rechtsgeschäftlichen Erklärungen
die Vorstellungen der beteiligten Parteien in Bezug auf den angestrebten
rechtlich-wirtschaftlichen Erfolg oft vage bleiben und iSd gemäßigten
Rechtsfolgenlehre nicht zuviel verlangt werden darf. | Unscharfe
Grenze |
Umstritten, ob Rechtsgeschäft oder bloß
Rechtshandlung, war auch die Rechtsnatur der Einwilligung
/ Zustimmung in die ärztliche Heilbehandlung ( → KAPITEL 10: Die
¿Einwilligung¿ in die medizinische Behandlung.
Exkurs: Behandlungsvertrag), die von manchen (zB Koziol) als Rechtsgeschäft,
von anderen und insbesondere der Rspr zutreffend aber als bloße
Rechtshandlung verstanden wird; nur dieses letztere Verständnis
unterscheidet klar zwischen Vertragsschluss (Behandlungsvertrag)
und Einwilligung in eine bestimmte Behandlung (zB Operationsmethode),
was nicht dasselbe ist. § 146c ABGB (idFd KindRÄG 2001 → KAPITEL 10: Der
minderjährige Patient)
hat dies nunmehr im hier vertretenen Sinne entschieden. – Hierher
gehört auch die Widerspruchserklärung nach § 62a
Abs 1 KAKuG, mit der jemand untersagt, dass seine Organe für Organtransplantationen
verwendet werden dürfen; Totenspende. Auch die Widerspruchserklärung
ist – wie die Einwilligung in eine konkrete ärztliche Heilbehandlung
– kein Rechtsgeschäft, vielmehr bloße Rechtshandlung. Sie ist zwar
auf Rechtswirkung gerichtet, ohne dass dabei aber ein privatautonom
zu nutzender Raum verbliebe. – Entsprechend ist die Erklärung
des Organspenders für eine Lebendspende (zB eine Niere)
zu bewerten. | Einwilligung
in die ärztliche Heilbehandlung + Widerspruchserklärung nach § 62a
Abs 1 KAKuG |
| Patientenverfügung |
Diese Vorausverfügung eines
Patienten, wie er künftig idR medizinisch behandelt werden will,
ist eine einseitige Willenserklärung, die allerdings nicht – wie
immer wieder behauptet – zugangs- oder empfangsbedürftig ist, sondern
vielmehr schon mit (Ent)Äußerung wirksam wird. Sie richtet sich
nicht an einen bestimmten Behandler, sondern „to whom it may concern”.
Das Patiententestament (Patientenverfügung, Letztverfügung, Patientenbrief
oder living will) ist kein Rechtsgeschäft, wohl aber Rechtshandlung. | |
Alle
diese medizinisch relevanten Erklärungen sind Ausdrucksmittel des
Selbstbestimmungsrechts von Patienten, nicht aber auf rechtsgeschäftliche
Folgewirkungen bedacht. (Auch bei positiver Spendererklärung kann
die Patientenverfügung nicht etwa als Offerte zum Vertragsschluss
odgl verstanden werden.) In diesen Fällen wird durch autonome Erklärung
ein Persönlichkeitsrecht – als Ausdruck der individuellen Selbstbestimmung
des Patienten – realisiert und konkretisiert. Bei allen Unterschieden
im Detail handelt es sich also in all diesen Fällen um Rechtshandlungen. | |
Auch die Wissens- und Gefühlsäußerungen
oder -erklärungen sind von Rechtsgeschäften und Willenserklärungen
(= Willensäußerungen) zu unterscheiden. – Wissenserklärungen geben
nach hA die Meinung des Erklärenden über bestimmte Fakten / Tatsachen
wieder, was schriftlich oder mündlich geschehen kann. | Wissens-
und
Gefühlsäußerungen |
| |
Gute Beispiele für Realakte
oder Tathandlungen bei Gschnitzer (AT 2)
– Musiker/in komponiert, Dichter/in schreibt, Maler/in malt und
erlangt, auch ohne es zu wissen und zu wollen, Urheberrechte am
jeweiligen Produkt. Auch mit dem Finden verbindet das Gesetz (unabhängig
vom Willen des Finders) bestimmte Rechtsfolgen; §§ 388 ff ABGB.
– Realakte wollen im Gegensatz zu Rechtsgeschäften, Willenserklärungen
und Rechtshandlungen anderen nichts kundtun, erfolgen also ohne Erklärungs-
oder Kundgebungsabsicht und zielen nicht auf Rechtswirkung, obwohl
sie solche nach sich ziehen (können). – Hierher gehören auch die
Erfüllungshandlungen und der Spezialfall der „stillen Annahme” nach
§ 864 Abs 1 ABGB → Die
Sonderfälle des § 864 ABGB
| Realakte oder
Tathandlungen |
|
Der OGH erblickt
im Sri Chinmoy-Fall in der staatlichen Information und Warnung der
Öffentlichkeit vor bestimmten „Sekten” einen öffentlichrechtlichen
Realakt, der in engem inneren und äußeren Zusammenhang mit der Pflicht
des Staates steht, die persönliche Freiheit seiner Bürger zu schützen;
JBl 2000, 179. – Korrekt wäre hier eine Wissenserklärung anzunehmen. | |
|
|
| |
| |
| |
I. Allgemeines
zum Vertragsschluss: § 861 ff ABGB | |
| |
1. Idealtypische
und realistische Sicht des Vertrags | |
Die Vertragsparteien streben
im Rechts- und Wirtschaftsleben mit rechtlichen Mitteln einen wirtschaftlichen
(sie wollen zB kaufen oder verkaufen), familienrechtlichen (zB Eheschließung)
oder erbrechtlichen (zB Erbschaftskauf) Erfolg / Zweck an und verfolgen
dabei ihre – uU ganz verschieden gelagerten – Interessen und bedienen
sich dafür des Vertrags als eines flexiblen Gestaltungsmittels.
In ihren Willenserklärungen äußern sie, was ihrer Absicht nach geschehen
oder nicht geschehen soll. – Die (beiden) Willenserklärungen der
Vertragsparteien verdichten sich durch ihre Übereinstimmung / Korrespondenz
zum Vertrag, der eine wechselseitige Selbstverpflichtung der Vertragsparteien
darstellt; lex contractus. | |
durch
VertragDer Vertrag gewährt den Parteien Raum zur rechtlich-konkreten
Gestaltung ihrer Interessen innerhalb des weiten Rahmens des nach
der Rechtsordnung Erlaubten und sichert den durch ihre übereinstimmenden
Willenserklärungen angestrebten Erfolg rechtlich ab; Rechtssicherheit
durch Vertragsschluss. – Der Vertrag gewährt also Spielraum
für
Selbstbestimmung ( → Vertragsfreiheit
und Privatautonomie).
Er schafft jene Möglichkeiten, um die konkrete Situation der Vertragsschließenden
so zu gestalten, wie sie es haben wollen. Und dies unter Zuhilfenahme
aller Mittel, die von der Rechtsordnung zur Verfügung gestellt werden:
Das beginnt bei der Möglichkeit aus den gesetzlich vorgegebenen
Vertragstypen einen gewünschten Typus auszuwählen oder bestehende
Typen zu modifizieren, mit anderen zu kombinieren oder neue Typen
zu schaffen ( → Gemischte
und atypische Verträge: Mischverträge) und setzt sich bspw darin
fort, zusätzliche – dh das Gesetz ergänzende – Sicherheiten in Verträge
aufzunehmen oder für besondere (Auf)Lösungsmöglichkeiten des Vertrags
zu sorgen. Zu all dem reicht die Rechtsordnung „ihren starken Arm”.
So wie die Parteien es selbst vereinbart haben, soll es gelten und
die Rechtsordnung schützt den privat-autonom geschlossenen Vertrag. | Rechtssicherheit |
Thomas Hobbes hat den Grundsatz des pacta
sunt servanda im Hinblick auf den staatlichen Rechtsschutz realistisch
vertieft und erweitert, wenngleich er die Bedeutung der Selbstverpflichtung
der handelnden Parteien noch unterschätzt. Im „Leviathan” (XVII
131) führt er aus: „Verträge ohne das Schwert sind bloße Worte und
besitzen nicht die Kraft, einen Menschen auch nur die geringste Sicherheit
zu bieten.” | pacta sunt
servanda |
Der Vertrag ist somit ein genialer rechtlicher
Transmissionsriemen, der die Interessen der am Abschluss beteiligten
Parteien funktional verbindet und gestaltend festschreibt. – Ein
gültiger Vertragsschluss setzt aber, was § 861 ABGB zu entnehmen
ist, wenigstens zwei Parteien /Rechtssubjekte voraus,
woran es im folgenden Beispiel fehlte. | Zwei
Rechtssubjekte |
|
OGH 17. 12. 2001, 4 Ob 204/01f, EvBl 2002/73:
Die ÖBB schlossen mit dem Finanzminister eine
Vereinbarung über die Benützung von Räumlichkeiten und klagten die
Republik Österreich aus diesem Übereinkommen aus dem Jahre 1961
(Mietvertrag) auf Bezahlung der Heizungskosten. – OGH: Da das Übereinkommen
zwischen Finanz- und Verkehrsministerium von zwei Behörden desselben
Rechtsträgers (Republik Österreich) geschlossen wurde, liegt kein
wirksamer bürgerlichrechtlicher Vertrag vor; dieser setzt nämlich
zwei Rechtssubjekte voraus. OGH deutet aber die Möglichkeit einer
relocatio tacita (stillschweigende „Vertrags”-Verlängerung) nach
Ausgliederung der ÖBB an. | |
|
Es
wäre aber unrealistisch, nicht auch die Schattenseiten des rechtlichen
Instruments Vertrag sehen zu wollen, denn Verträge sind nicht immer
nur Mittel wahrer Selbstbestimmung und Freiheit, sondern auch von
Machterwerb, Machtausübung und Unterdrückung / Knebelung und zudem effizientes
Mittel, den eigenen Vorteil auf Kosten anderer zu suchen. – Deshalb
bedarf es immer wieder des rechtlichen Korrektivs durch den Gesetzgeber
und die Rechtsprechung. | Schattenseiten des Instruments „Vertrag“ |
| |
2. Allgemeine
Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse | |
Das
Erfüllen der formalen Vertragsschlussregeln, die idF dargestellt
werden sollen, allein reicht aber nicht aus, um gültige Verträge
zu schließen! Dazu braucht es mehr (vgl die Überschrift vor
§ 865 ABGB: „Erfordernisse eines gültigen Vertrages” und insbesondere
§ 869 ABGB), nämlich: | §§ 865, 869 ABGB |
•
die Geschäftsfähigkeit der
vertragsschließenden Parteien; | |
• Zur Beeinträchtigung der Geschäftsfähigkeit
durch Alkohol, Drogen oder andere Gebrechen → Fehlende
Ernstlichkeit
| |
•
die Möglichkeit (§
878 ABGB) und Erlaubtheit (§ 879 ABGB) des Vertragsinhalts; | |
• das Fehlen von Irrtum, Zwang oder Täuschung (Willensmängel:
§§ 870 ff ABGB → Willensmängel
– Irrtum) | |
•
sowie
das Einhalten allfälliger Formvorschriften; §§
883 ff ABGB. | |
| Abbildung 5.7: Vertragsschluss: Allgemeine Voraussetzungen |
|
3. Konsens:
Korrespondierende Willenserklärungen | |
Zum Abschluss eines Vertrags
sind gegenseitig übereinstimmende oder – wie man sie auch nennt –
korrespondierende Willenserklärungen der (Vertrags)Parteien
erforderlich. Liegen diese vor, besteht Konsens und
der Vertrag kommt zustande. – Die beiden einseitigen Willenserklärungen
aus denen der Vertrag entsteht heißen: Antrag / Anbot / Offerte
und Annahme. | |
Eine Partei, der Offerent, Anbot-
oder Antragsteller schlägt idR vor, einen Vertrag
eines bestimmten Inhalts zu schließen und der andere Teil (der Anerklärte oder Oblat)
nimmt den gemachten Vorschlag (vollinhaltlich!) an. – Ein Antrag
kann von beiden (potentiellen) Vertragsparteien gestellt werden. | |
Nicht
immer läuft (in der Praxis) der Vorgang des Vertragsschlusses so
einfach und „modellhaft” ab, wie hier geschildert. Nicht selten
kommt es zu einem längeren hin und her – sog Vorverhandlungen (vgl
§ 861 Satz 2 ABGB), ehe ein endgültiger Antrag und eine endgültige
Annahme erfolgen. Antrag, Antragsablehnung und Gegenantrag gehen
oft nur schwer unterscheidbar ineinander über. – Schon während der
Dauer der Vorverhandlungen sind die verhandelnden
Parteien aber zu gegenseitiger Sorgfalt verpflichtet und haften
für verschuldete Schädigung des Verhandlungspartners; mehr zum Vorfeld
vertraglicher Einigung im Rahmen der Haftung für cic → KAPITEL 6: Cic
¿ culpa in contrahendo. | Vorverhandlungen |
Im Wirtschaftsleben werden Anträge / Offerte
häufig (unrichtig!) als „ Aufträge” bezeichnet.
Der „Auftrag” ist aber ein eigener Vertragstypus. Dazu und zu weiteren
terminologischen Verwirrungen → KAPITEL 12: Zum
Begriff.
– Zu vermeiden ist auch der Begriff Angebot, weil
es sich dabei um einen ökonomischen Terminus handelt. Korrekt sollte von
Offerte, Anbot oder Antrag gesprochen werden. Der alte Begriff für
Antrag, nämlich „ Versprechen” – vgl noch § 861
ABGB und schon Martinis Entwurf (1796) und WGGB (1797) – ist heute
nicht mehr üblich. – Zum Dissens → Der
Dissens
| Schlampige
Terminologie |
| |
Verträge werden grundsätzlich
formfrei – dh mündlich oder schriftlich – gültig geschlossen. Nicht
selten vereinbaren aber Parteien, ohne dazu gesetzlich gezwungen
zu sein, eine sog gewillkürte – dh eine sich selbst auferlegte –
(Schrift)Form. Gerade bei umfangreichen, wichtigen und schwierigen
Vertragswerken ist dies sinnvoll; sei es als Gedächtnisstütze, zur
besseren Beweisbarkeit oder überhaupt zur Abschlussklarheit etc.
Damit werden auch allfällige Unklarheiten darüber ausgeräumt, ob
überhaupt (schon) ein Vertrag geschlossen wurde oder nicht, denn
auch das kann strittig sein. | |
Mit der Unterfertigung eines schriftlichen
Vertrags durch beide Vertragsparteien wird der Vertrag
perfekt, also gültig geschlossen. – Dasselbe gilt natürlich für
die mündliche Einigung der Parteien, die durch den Zugang der beiden
korrespondierenden Willenserklärungen erfolgt. | |
| |
5. Schlüssiger
und stillschweigender Vertragsschluss | |
Verträge
können aber auch – wie wir gehört haben – schlüssig und
sogar stillschweigend geschlossen werden, ohne
dass auch nur ein Wort gesprochen wird: So beim Kauf im SB-Laden, wo
sie ihre ausgewählten Waren auf das Kassenförderband legen und der
Kassier wortlos die Preise eintippt / -scannt und sie wortlos zahlen;
§ 863 ABGB. | |
| |
•
Zu § 863
ABGB → Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB
| |
•
Zur
Punktation (§ 885 ABGB) → KAPITEL 15: Punktation und → KAPITEL 6: Vorvertrag
<-> Punktation. | |
• Zu Vertragsfreiheit und Privatautonomie → Vertragsfreiheit
und Privatautonomie
| |
•
Zum Vertragsschluss
unter Zugrundelegung von AGB → KAPITEL 6: Allgemeine
Geschäftsbedingungen. | |
|
OGH 5. 4. 2000, 9 Ob A 40/00y, JBl 2001, 192:
Gewährt der Arbeitgeber regelmäßig und vorbehaltslos bestimmte Leistungen
an seine Arbeitnehmer, gilt dies als schlüssiges Anbot (§§ 863,
914 ABGB), dies auch künftig zu tun. Nehmen die Arbeitnehmer diese
Zahlungen entgegen, so liegt darin eine schlüssige Annahme. So werden
die Leistungen (dieser
Betriebsübung) Inhalt der einzelnen
Arbeitsverträge. | |
|
| Abbildung 5.8: Vertragsschluss: §§ 861 ff ABGB |
|
| |
Der Bereich der Rechtsgeschäfts- und Vertragslehre wurde
durch die III. TN (1916) zum Teil neu gefasst, wofür das dtBGB (von
1900) als Vorbild diente. Manches wurde zwar nicht übernommen, stellt
aber dennoch eine wichtige Argumentationshilfe für die österreichische
Rspr und das Schrifttum dar. Auch auf die dtRspr (BGH) wird immer
wieder – offen oder verdeckt – zurückgegriffen. Vgl nur in Bezug
auf den Vertragsschluss die §§ 130, 131, 147 ff dtBGB oder die Rspr: etwa
EvBl 1983/12 → KAPITEL 6: Rechtsprechungsbeispiele . | |
| |
1. Voraussetzungen
einer gültigen Offerte | |
Eine Offerte muss zwei Voraussetzungen erfüllen,
um gültig zu sein. Sie muss: | |
•
inhaltlich
bestimmt sein; dh, sie muss bereits die wesentlichen Vertragspunkte
enthalten (beim Kauf etwa: Kaufgegenstand und Kaufpreis) und | Bestimmtheit |
•
einen endgültigen
Bindungswillen erkennen lassen; dh die Offerte muss so
gestaltet sein, dass der darin vorgeschlagene Vertrag durch ein
einfaches „Einverstanden” oder „Ja” des anderen Vertragsteils zustande
kommen kann. Ein endgültiger Bindungswille ist anzunehmen, wenn
der Antragsteller dem Anerklärten / Oblaten das Gestaltungsrecht
einräumt, den Vertrag mit dem von ihm vorgeschlagenen Inhalt (ohne
weiteres eigenes Zutun) zustandezubringen. Diese Frage ist nicht
immer einfach zu beantworten. – Wir merken uns: Der Bindungswille
muss sich bereits in der Offerte manifestieren, wozu auch die Übung
des redlichen Verkehrs (§ 914 ABGB) heranzuziehen ist. | Bindungswille |
|
JBl
1999, 602: Angenommener Bindungswille bei
Abschluss eines Mietvertrags trotz Vorbehalts eines noch zu formulierenden
Räumungsvergleichs ( → KAPITEL 6: Anwendungsbereich
des MRG):
Die Abrede anlässlich der Verlängerung eines Mietvertrags, demnächst
einen neuen Räumungsvergleich mit dem schon bisher üblichen Inhalt
abzuschließen, schließt den Bindungswillen bezüglich der Vertragsverlängerung
nicht notwendig aus. Kommt dann wegen Änderungswünschen des Vermieters
der Räumungsvergleich nicht zustande, ist der vollstreckbare Räumungsanspruch
aus dem früheren Vergleich erloschen, aber das Mietverhältnis (dennoch)
verlängert. | |
|
|
OGH 14.9.1999, 4 Ob 238/99z, EvBl 2000/42:
Zur Bestimmtheitheit einer Untermietvereinbarung. | |
|
| Abbildung 5.9: Erfordernisse einer gültigen Offerte |
|
2. Gestaltungsrecht
des Anerklärten /Oblaten | |
Diese Kriterien
einer gültigen Offerte müssen deshalb erfüllt werden, weil der Anerklärte
/ Oblat ab Zugang der Offerte ein einseitiges Gestaltungsrecht erlangt,
den Vertrag zustande zu bringen oder nicht und der Antragsteller
gar keinen Einfluss mehr darauf hat, ob ein Vertrag zustande kommt
oder nicht. Daher muss die Offerte alles beinhalten,
was der Offertsteller im Vertrag geregelt wissen will. – Fehlt eines
der beiden (in Pkt 1 genannten) Kriterien liegt bloß eine Einladung
zur Offerte vor. – Mit dem Zugang der Offerte ist – um
einen Begriff des Kartenspiels zu verwenden – „ausgespielt” und
ab diesem Zeitpunkt gilt: „Was liegt, das pickt!” | |
| |
3. An wen richtet
sich eine Offerte? | |
Offertstellungen / Anträge richten sich üblicherweise an bestimmte Personen.
Aber dies ist nicht unbedingt nötig. Offertstellungen sind nämlich
heute auch an einen unbestimmten Personenkreis zulässig;
zB beim Automatenkauf oder einem Versandhauskatalog → Beispiele:
Automatenkauf, Kauf im SB-Laden etc
| |
Offertstellungen
der öffentlichen Hand sind mittlerweile gesetzlich
geregelt und folgen eigenen Regeln. Für den Bereich des Bundes wurde
ein BundesvergabeG / BVergG 1993, BGBl 462 beschlossen,
womit das Vergabewesen auf eine gesetzliche Grundlage gestellt wurde.
Daneben existieren einschlägige Landesgesetze. – Öffentliche Aufträge
spielen zB im Bauwesen eine wichtige Rolle. | Offertstellungen
der öffentlichen Hand: Vergaberecht |
Die §§ 29 ff BVergG behandeln das „Angebot”,
die §§ 32-43 leg cit das Zuschlagsverfahren und die Prüfung der „Angebote”;
§ 40 BVergG enthält das sog Bestbieterprinzip.
– Daneben bestehen landesrechtliche Vergabevorschriften. | |
|
OGH 28. 3. 2000, 1 Ob 201/99m, JBl 2000, 519 = EvBl 2000/166:
Überträgt eine Gemeinde die Durchführung eines Bauvorhabens einem
Privaten, so haftet sie dennoch selbst für die Einhaltung
der Vergabenormen; va Gleichbehandlungsgebot und Diskriminierungsverbot. | |
|
Sonderregeln über die Behandlung von Offerten
/ Anträgen enthält auch die KO; § 26 Abs 2: Anträge,
die vor der Konkurseröffnung vom Gemeinschuldner noch nicht angenommen
worden sind, bleiben aufrecht, sofern nicht ein anderer Wille des
Antragstellers aus den Umständen hervorgeht. – § 26 Abs 3 KO: An
Anträge des Gemeinschuldners, die vor der Konkurseröffnung noch
nicht angenommen worden sind, ist der Masseverwalter nicht gebunden. | Sonderregeln
der KO |
| |
4. Antrag
und Annahme als zugangsbedürftige Willenserklärungen – Zugang | |
Antrag und Annahme sind einseitige,
empfangs- oder zugangsbedürftige Willenserklärungen. – Empfangsbedürftig ist
eine Willenserklärung dann, wenn sie erst mit Zugang wirksam wird.
– Zugegangen ist eine Willenserklärung, wenn sie
so in den Machtbereich des Geschäftspartners (Anerklärten / Adressaten)
gelangt ist, dass dieser sich von ihr Kenntnis verschaffen kann
(!). Es kommt also nicht darauf an, dass sich der Anerklärte tatsächlich
Kenntnis verschafft hat! Es muss nur nach der Verkehrsanschauung die
Möglichkeit dazu bestehen. – Gültiger Zugang setzt auch voraus,
dass die jeweilige Erklärung mit Willen des Erklärenden seinen Machtbereich
verlassen und den des Anerklärten (Oblaten / Adressaten) erreicht
hat. Daher ist kein Zugang anzunehmen, wenn sich der Adressat selbst
Kenntnis von ihrem Inhalt (zB noch im Machtbereich des Erklärenden)
verschafft hat; vgl das Beispiel oben → Einteilung
nach ihrer Entstehung:
Zimmerkündigung. | |
Der
wirksame Zugang einer empfangsbedürftigen Willlenserklärung setzt
(zumindest dann, wenn die Erklärung für den Erklärungsempfänger
nicht nur Vorteile mit sich bringt,) auch die Geschäftsfähigkeit
des Erklärungsempfängers voraus; SZ 54/72, SZ 57/52; JBl 1991, 113;
DRdA 1996/18 (Anm Dullinger). – Dieser Grundsatz gilt auch für die
Kündigung (als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung) im
Arbeitsrecht; EvBl 2000/96: Unwirksame Entlassungserklärung, weil
der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Zustellung der Entlassungserklärung
geschäftsunfähig war. | Geschäftsfähigkeit des Erklärungsempfängers |
| |
|
EvBl 1999/156:
Ein/e Versicherungsantrag / -Polizze ist dem Versicherer zugegangen,
wenn er/sie beim Versicherungsagenten eingelangt ist. Das Risiko
unrichtiger Übermittlung des Antrags trägt der Versicherer; (vertrauenstheoretisches)
Sphärendenken. | |
|
Wer
sich auf den Zugang einer Willenserklärung beruft, hat dies zu beweisen,
ihn trifft die Beweislast. Der Beweis des Absendens der Erklärung
reicht aber nicht aus und bildet keinen Prima facie-Beweis / Anscheinsbeweis
für den Zugang; vgl JBl 1984, 487. | Beweislast |
| Abbildung 5.10: Empfangsbedürftigkeit und Zugang |
|
| |
Mit Zugang
der Offerte beim Anerklärten / Oblaten /Erklärungsempfänger entsteht
die sog Antragsbindung. Sie ist eine grossartige Schöpfung der Redaktoren
des ABGB, wahrscheinlich Zeillers; § 862 letzter Satz (alt). | |
| |
Das (W)GGB 1797
(III 1 § 6) kennt die Antragsbindung noch ebenso wenig wie das ALR (I
5 §§ 90 ff insbesondere 103 ff) und gewährt dem Gegner des Antragstellers
bei vorzeitiger Antragsrücknahme durch den Offertsteller nur einen
Entschädigungsanspruch. Unrichtig Flume (Das Rechtsgeschäft 640
[1965]), der die Entdeckung der Antragsbindung bereits dem ALR zuschreibt.
Spätere Kodifikationen und Entwürfe (vgl insbesondere Art 319 ADHGB,
§ 145 dtBGB und Art 3 Schweizer OR)
folgen der Lösung des ABGB, das demnach wichtige
legistische Pionierarbeit leistete. Dem gemeinen Recht war die Antragsbindung
noch fremd. – Europäisierung und Internationalisierung des Privatrechts
drohen diese Errungenschaft wieder zu verlieren; vgl Wiener Kaufrecht ! | Rechtsgeschichte |
Antragsbindung
meint, dass der Antragsteller ab Zugang seiner Offerte beim Oblaten,
die Offerte nicht mehr (einseitig) zurücknehmen / widerrufen oder
auch nur inhaltlich abändern / modifizieren kann; § 862 Satz 3 ABGB:
„Vor Ablauf der Annahmefrist kann der Antrag nicht zurückgenommen werden”.
– Dazu → Antragsbindung Vgl auch § 145 dtBGB. | Was bedeutet
Antragsbindung? |
Mit Zugang der Offerte (Eintritt der Antragsbindung)
erlangt der Geschäftspartner / Anerklärte/Adressat ein (einseitiges) Gestaltungsrecht dahingehend,
den Vertrag zustande zu bringen oder den gemachten Vorschlag abzulehnen,
was auch stillschweigend erfolgen kann. Ohne weiteres Zutun des
Antragstellers kommt es idF zum Vertragsschluss,
wenn der Anerklärte annimmt und seine (gültige) Annahmeerklärung
dem Offerenten zugeht. – Mit Vertragsschluss entstehen dann die
vereinbarten Rechte und Pflichten; vor allem beidseitige Erfüllungsansprüche.
Kein Vertragsteil kann nunmehr einseitig vom Vereinbarten abgehen; pacta sunt servanda: lex contractus. | Gestaltungsrecht
des Anerklärten |
| Abbildung 5.11: Antragsbindung |
|
6.
Widerruf und Existentwerden
der Offerte | |
Bis zum Zugang
der Offerte, also spätestens gleichzeitig mit deren Zugang, kann
die Offerte aber noch zurückgenommen / widerrufen
oder inhaltlich abgeändert werden. – Eine solche
Offerte gilt dann (allenfalls) als neue Offerte. | |
Mit Einwurf
des Briefes (der die Offerte enthält) in den Postkasten (Absendung
/ Entäußerung der Offerte; Verlassen der Sphäre des Anstragstellers)
durch den Offerenten wird die Offerte zwar noch nicht (rechts)wirksam,
aber doch „existent”; dh sie zeitigt bereits gewisse rechtliche
Wirkungen, führt aber noch nicht zur Antragsbindung: vgl etwa §
862 letzter Satz ABGB. | Existentwerden
einer Willenserklärung meint nicht Zugang |
| |
7. Anträge
unter Anwesenden und Abwesenden | |
Grundsätzlich
müssen Anträge unter Anwesenden sogleich / sofort
angenommen werden (§ 862 Satz 2 ABGB), sonst erlischt der Antrag
und der Antragsteller ist nicht weiter gebunden. – Es bestehen aber
Ausnahmen zu diesem Grundsatz: | |
•
Bedient sich ein Antragsteller des Telefons (telefonischer
Antrag), gilt dies als Antrag unter Anwesenden und ist
daher sogleich anzunehmen; § 862 Satz 2 ABGB. Vgl auch Art 4 Abs
2 SchwOR. – (Tele)Fax und e-mail sind
dagegen Anträge unter Abwesenden. Ein Telefax erfüllt grundsätzlich
auch nicht das Formgebot der Schriftlichkeit; JBl 1994, 119. | telefonischer
Antrag |
•
Umgekehrt werden auf übergebene schriftliche
Offertstellungen – trotz Übergabe unter Anwesenden – die
Regeln der Offerte unter Abwesenden angewandt; Grund: Eine schriftliche
Offerte (zB ein Vertragsentwurf) muss erst gelesen und studiert
werden! | schriftliche
Offerte |
Für Anträge unter Abwesenden gilt nach
§ 862 Satz 2 ABGB ferner folgendes: Nach Zugang der Offerte steht
dem Geschäftspartner / Anerklärten eine angemessene Überlegungsfrist zu, innerhalb
der er annehmen oder ablehnen kann. Dazu kommt bspw der Postweg
retour. Verstreicht diese Frist ungenützt, erlischt die Offerte
von selbst, also ohne weiteres Zutun. Andernfalls kommt der Vertrag
mit Zugang der Annahmeerklärung beim Offertsteller / Offerenten
zustande. | |
8. Unbefristete
und befristete Anträge | |
Anträge können befristet oder unbefristet gestellt
werden: | |
Sie müssen nach § 862
Satz 1 ABGB „innerhalb der vom Antragsteller bestimmten
Frist angenommen werden”; dh der Zugang (!) der Annahme muss spätestens
am letzten Tag der Frist erfolgen. Es genügt daher nicht, wenn die
Annahmeerklärung am letzten Tag der Frist erst zur Post gegeben
wird. | Befristete
Anträge |
In der kaufmännischen Praxis werden befristete
Offertstellungen vor allem deshalb abgegeben, weil ein/e OfferentIn
die gemachten Konditionen (Preis-Leistungsverhältnis) idR nur für
eine bestimmte überschaubare Zeit garantieren kann und will; zB
Offerte für den Druck eines Buches. – Zusätzlich wird mit einer
Befristung / Terminisierung kaufmännisch ein gewisser Entscheidungsdruck
ausgeübt. Etwa: Eine Druckerei wird von einem Verlag aufgefordert
eine Offerte für ein bestimmtes Publikationsprojekt zu legen und
bietet ihre Leistungen konkret aufgeschlüsselt nach einzelnen Positionen
bis zu einem Endtermin an. Danach erlischt die Offerte ohne weiteres
zutun. | Kaufmännische
Praxis |
| Abbildung 5.12: Offerte: Dauer der Antragsbindung |
|
Unterscheide folgende – in der Graphik ausgewiesene – Stadien
der Willenserklärung: Willensbildung, Willensäußerung, Übermittlung,
Zugang, Kenntnisnahme (jeweils der Willenserklärung). | |
Für unbefristete Anträge gilt die gesetzliche
Regelung; dh: dem Geschäftspartner steht eine angemessene, sich
nach den jeweiligen Umständen richtende, Überlegungsfrist zur Verfügung.
Dazu kommt der Postlauf für die Annahmeerklärung. – Will man die
Unsicherheit in Bezug auf die konkrete Dauer der „angemessenen”
Überlegungsfrist vermeiden, empfiehlt es sich, befristet zu offerieren.
Denn die Dauer der Überlegungsfrist ist gesetzlich nicht festgelegt
und hängt vom konkreten Geschäft ab; insbesondere von dessen Größe
und Bedeutung für den Annehmenden. – Faustregel: Fax kann mit Fax,
Telegramm mit Telegramm, e-mail mit e-mail rechnen. Das Beförderungsmittel
der Offerte sollte daher grundsätzlich auch für die Annahme gewählt
werden. | Unbefristete
Anträge |
Die gesetzliche Gesamtfrist bei unbefristeten Offertstellungen
setzt sich daher zusammen aus: Postlauf / iSv Beförderung hin +
angemessene Überlegungsfrist + Postlauf / iSv Beförderung retour. | |
|
EvBl 1977/81: § 862
ABGB (§ 862a ABGB): Die Annahmeerklärung ist eine dem Offerenten
(gegenüber) zugangsbedürftige Willenserklärung. – Es trifft zu,
dass die §§ 862, 862a ABGB nicht zwingendes Recht sind. Die (Sachverhalts)Feststellungen
bieten aber keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Parteien von der
in diesen Bestimmungen getroffenen Regelung einverständlich abgegangen
wären. Es ist daher nicht zielführend, wenn die Klägerin argumentiert,
die Frage, ob sich die Beklagte auch nach dem 30.11.1970 an ihr Anbot
gebunden erachtet hätte, müsse nach dem Inhalt ihrer Revisionsausführungen
bejaht werden; hiezu komme, dass aus dem Anbotstext der Beklagten
vom 11.11.1970 „nicht zwingend” abgeleitet werden könne, die schriftliche
Annahmeerklärung hätte bereits am 30.11.1970 in Händen der Beklagten
gewesen sein müssen. Wie schon das Berufungsgericht uH auf die Lehre
zutreffend dargelegt hat, ist die Annahmeerklärung nach der aus
§ 862a ABGB abgeleiteten und herrschenden Zugangstheorie eine dem
Offerenten zugangsbedürftige Willenserklärung. War daher, wie im
vorliegenden Fall, im Anbot selbst eine Annahmefrist und eine bestimmte
Form der Annahmeerklärung vorgesehen, dann konnte diese Annahmeerklärung
nur dann rechtswirksam erfolgen, wenn sie in der bedungenen Form
und vor Ablauf der gesetzten Annahmefrist dem Offerenten zugegangen
war, so dass er sich unter normalen Verhältnissen vom Inhalt der
Annahmeerklärung in der vorgesehenen Form Kenntnis verschaffen konnte;
dazu Gschnitzer, AllgT1 145. Da dies
nicht der Fall war, haben die Vorinstanzen mit Recht das Erlöschen
des Anbots vom 11.11.1970 zufolge Ablaufs der Annahmefrist angenommen. | |
|
| |
| Abbildung .12: Vertragsschluss: Vorgänge und Sphären |
Gschnitzers Skizze zeigt sehr schön die drei Sphären
beim Vertragsschluss – die Sphäre des Antragstellers, die neutrale
Sphäre (im Rahmen der Beförderung von Antrag und Annahme) sowie
die Sphäre des Empfängers / Oblaten. – Dieses Sphärendenken ist
nicht ohne Bedeutung, zumal dadurch Übermittlungsfehler rechtlich
zugerechnet werden können. So ist ein Fehler in der neutralen Sphäre
entweder dem Offerenten oder für die Beförderung der Annahmeerklärung
dem Oblaten / Empfänger zuzurechnen, nicht dagegen dem jeweils Anerklärten.
Es wäre denn etwas anderes vereinbart worden. – Ein anderer wichtiger
Bereich für das Sphärendenken ist bspw der Werkvertrag → KAPITEL 12: Gefahrtragung
beim Werkvertrag. |
|
III. Sonderfälle
des Vertragsschlusses | |
| |
invitatio
ad offerendumVon einer gültigen und verbindlichen Offerte zu unterscheiden
ist die bloße Einladung zur Offerte / invitatio ad offerendum;
zB ein Zeitungsinserat oder Waren im Schaufenster. – Für den privaten (zB:
Sie wollen in ihrer Wohnung neue Jalousien montieren lassen und
laden mehrere Firmen ein, verbindliche Offerten zu legen) und geschäftlichen
Gebrauch dient die Einladung zur Offerte dazu, um sich über die
vertragliche Leistung und insbesondere ihren Preis einen (Markt)Überblick
zu verschaffen; Ermitteln des Bestbieters und des konkreten Leistungsinhalts.
– Einladungen zur Offerte dienen aber auch dazu (vgl Zeitungsinserat!),
um sich aus den einlangenden Offerten, das einem am besten Zusagende
auszusuchen. Beim Vermieten einer Wohnung ist auch die Persönlichkeit
des Mieters / der Mieterin von Bedeutung. | |
| |
Neben der „Einladung zur Offerte“ hat sich in der Rechts-
und Wirtschaftspraxis als Instrument zur Geschäftsanbahnung die
Einladung zur „Abgabe einer Interessenbekundung“
entwickelt. Die Republik Österreich (vertreten durch Lehmann Brothers
Bankhaus AG, Frankfurt/Main) fordert bspw im Rahmen ihrer politisch
fragwürdigen Privatisierung von fünf Bundeswohnbaugesellschaften
allfällige Interessenten auf, eine „Interessenbekundung abzugeben,
die als Grundlage weiterer Schritte dienen soll“. | |
| Abbildung 5.13: Besonderheiten beim Vertragsschluss |
|
| Abbildung 5.14: Sonderfälle des Vertragsschlusses |
|
2. Offerte solange
der Vorrat reicht | |
Von der bloßen Einladung zur Offerte zu unterscheiden
ist die Offerte solange der Vorrat reicht; dazu zählen zB Speisekarten
und häufig Versandhauskataloge. Sie ist bereits gültige
Offerte, wenngleich – und das lässt den Unterschied wiederum
unsicher werden – eingeschränkt durch den begrenzten Vorrat des
Offerenten, den eigentlich nur er selber kennt. Allein das Geschäftsinteresse ist
im Normalfall ein hinreichendes Korrektiv. – Im Geschäftsleben ist
sie für Massengeschäfte nötig; zB Bestellungen nach Versandhauskatalogen,
Prospekten, Presseaussendungen udglm. Der Offerent sichert sich
(für alle Fälle) gegen eine unbekannte – allenfalls zu große – Nachfrage
ab. Andernfalls könnten so viele Bestellungen eingehen, dass sie
nicht erfüllt werden können. | |
Sowohl Speisekarte, als auch Versandhauskataloge könn(t)en
daher auch als bloße Einladung zur Offerte zu deuten sein. – Definitive
Antworten können nur nach einer Beurteilung im konkreten Einzelfall
gegeben werden. | |
| |
3. Beispiele:
Automatenkauf, Kauf im SB-Laden etc | |
Zu prüfen ist jeweils:
Worin liegen Antrag und Annahme ? | |
| Abbildung 5.15: Worin liegen Antrag und Annahme? |
|
Der Folie ist zu entnehmen,
dass auch zwei (unterschiedliche) Lösungen möglich sind oder dass
im Laufe der Zeit unterschiedliche Lösungen favorisiert wurden.
– Zum Vertragsschluss durch öffentliche Verkehrsmittel ist anzumerken:
Für bestimmte Verkehrsmittel – etwa die U-Bahn in Wien – sind zum
Teil andere Lösungen als für Standardfälle (Bus oder Strassenbahn)
angezeigt. – Etwa: Im Regelfall wird der Beförderungsvertrag am
Schalter oder am Automaten geschlossen. Durch die Entwertung der
Karte wird bloß der Erfüllungszeitraum der Verkehrsbetriebe festgelegt.
Das Vorfahren des Zuges und Einsteigen sind bloße Vollzugsakte.
Schwarzfahrer schließen den Vertrag durch die oben erwähnte Art:
Vorfahren des Zuges (Antrag an einen unbestimmten Personenkreis), Einsteigen
(Annahme). Die zu bezahlende „Strafe” ist wohl Konventionalstrafe;
§ 1336 ABGB. | |
4. Veränderte Annahme
– Sich kreuzende Offerte | |
Was ist die Konsequenz
einer veränderten „Annahme”? – Es kommt zunächst (überhaupt) kein Vertrag
zustande. Es fehlt am nötigen Konsens. – Jedoch: die modifizierende
„Annahme” ist als neue Offerte zu deuten. – Nur eine unveränderte
Annahme führt zum Vertragsschluss. Das gilt auch für Kleinigkeiten!
Konsens bedeutet eben 100%ige Übereinstimmung und nicht nur 99%ige. | |
Vgl
§ 150 dtBGB: „(1) Die verspätete Annahme eines Antrags gilt als
neuer Antrag. | § 150 dtBGB |
(2) Eine Annahme unter Erweiterungen, Einschränkungen oder
sonstigen Änderungen gilt als Ablehnung verbunden mit einem neuen
Antrage.” | |
| |
Im
Geschäftsleben kann es aber vorkommen, dass Geschäftspartner unabhängig
voneinander der anderen Partei eine Offerte (zB auf Verkauf und
Kauf zu identen Bedingungen) zusenden; sog Kreuzofferte. Man lässt
in einem solchen Fall den Vertrag mit dem Zugang beider Anträge
zustande kommen. | Sog Kreuzofferte |
| |
Was bewirkt eine
verspätet zugehende Annahme? – Gesetz lesen: § 862a Satz
1 ABGB. Überlegen Sie, warum der Gesetzgeber diese und
keine andere Regelung getroffen hat. – Vgl auch gleich unten → Annahme
durch Stillschweigen?:
Annahme durch Stillschweigen! | |
6. Die
Sonderfälle des § 864 ABGB | |
Die Erfüllung bedeutet einen Verzicht
auf eine ausdrückliche Annahmeerklärung. Man spricht hier auch von
einem Vertragsschluss ohne (ausdrückliche) Annahmeerklärung oder
von „stiller” Annahme, weil dem Antrag (ohne „formelle” Annahmeerklärung)
bloß durch tatsächliche Ausführung entsprochen wird; vgl JBl 1969,
337. Das Gesetz trifft diese Regelung aus Gründen der Vereinfachung
des Vertragsschlusses und kaufmännischer Rationalisierung. Deshalb
verzichtet es auf eine mündliche oder schriftliche Annahmeerklärung
der Offerte. – Das Kaufhaus sendet bspw die bestellte Ware innerhalb
angemessener Frist (!) zu, ohne vorher (separat) schriftlich angenommen
zu haben. Im Absenden der bestellten Ware liegt das tatsächliche
Entsprechen iSd Gesetzes. | Annahme durch tatsächliches Entsprechen: §
864 Abs 1 ABGB |
Um eine willkürliche Anwendung dieser gesetzlichen Ausnahmeregel
auszuschalten, schränkt das Gesetz selbst ihre Anwendung durch den
Hinweis auf die Natur des Geschäfts und die Verkehrssitte ein. | |
| |
Das Gesetz stellt
nunmehr (ab 1.1.1997, BGBl I 6) ausdrücklich klar, dass unbestellte
Ware weder bezahlt, noch aufbewahrt oder zurückgesandt werden muss,
sondern sogar weggeworfen / entsorgt werden kann. Ausnahme: Die
zugesandte Sache ist – den Umständen nach erkennbar – irrtümlich an
den Empfänger gelangt; zB Postbote legt Päckchen (der Nachbarin)
ins falsche Hausbrieffach ein. – Das Behalten, Verwenden (zB Notizenmachen
in einem Buch) oder Verbrauchen solcher Sachen gilt daher bei unbestellter
Ware nicht mehr als (Real)Annahme einer (Real)Offerte! | Zusendung
unbestellter Waren: § 864 Abs 2 ABGB |
7. Annahme
durch Stillschweigen? | |
Wie steht es um die
rechtsgeschäftliche Bedeutung des Stillschweigens? Gibt es auch
eine Annahme durch (Still)Schweigen des Vertragspartners? – Grundsätzlich
nicht! Denn Schweigen gilt rechtlich – und zwar
sowohl im bürgerlichen wie im Handelsrecht (vgl HS 6227 [1968])
– als Ablehnung und nicht als Zustimmung zum Vertragsschluss.
Daher keine Geltung des Satzes: Qui tacet consentire videtur; vgl
etwa SZ 55/106 (1982) oder JBl 1974, 373. Nur unter besonderen Umständen
kann Stillschweigen als Annahme gewertet werden, nämlich dann, wenn
der sich nicht Äußernde nach Vertrag, Gesetz, nach der Verkehrssitte
oder nach Treu und Glauben hätte reden/sich äussern müssen. | Stillschweigen
bedeutet grundsätzlich Ablehnung |
Hier
geht es um die Bedeutung schlichten Stillschweigens,
nicht um ein sonstiges Verhalten iSd § 863 ABGB, wo zwar auch das
Stillschweigen eine Rolle spielen kann, aber häufig zusätzlich Handlungen
gesetzt werden, die objektiv einen bestimmten Erklärungswert besitzen,
weshalb der Rechtsgeschäftspartner Vertrauensschutz verdient. | |
Das Gesetz selbst macht
aber wichtige Ausnahmen: | Ausnahmen |
•
§ 862a Satz 2 ABGB:
Rechtzeitige Absendung – verspäteter Zugang – „Trotz ... Verspätung
[der Annahme] kommt jedoch der Vertrag zustande, wenn der Antragsteller
erkennen musste [zB durch den Poststempel oder das Maildatum!],
dass die Annahmeerklärung rechtzeitig abgesendet wurde, und gleichwohl
seinen Rücktritt dem andern nicht unverzüglich anzeigt.” – Regeln
wie diese sorgen für einen klaglosen und effizienten Ablauf des
rechtsgeschäftlichen Verkehrs, was zentraler Gedanke des Vertrauensschutzes
ist. | |
Diese Lösung des Gesetzes trägt den Interessen beider Verhandlungspartner
Rechnung: Denen des Offerenten, der schon anders disponiert haben
kann, und denen des Annahmenden, der korrekt gehandelt hat. Dem
Offerenten gebührt aber ein vorrangiger (Verkehrs)Schutz; daher
sein Rücktrittsrecht. | |
•
Bei der Freibleibend-Offerte muss
der Offerent unverzüglich nach dem Zugang der Annahmeerklärung ablehnen.
Sein Stillschweigen oder zu langes Zögern gilt als (fingierte) Zustimmung → Die
(allgemeine) Freibleibend-Offerte; | |
•
§
1081 ABGB: Kauf auf Probe (Gesetz lesen) → KAPITEL 2: Nebenabreden
beim Kauf,
S. 66; | |
•
§ 362
HGB: sog Antrag zur Geschäftsbesorgung. Vgl damit
§ 1003 ABGB, dessen Rechtsfolge weniger weit geht: bloße Haftung
für Vertrauensschaden → KAPITEL 6: Wofür
wird bei cic gehaftet?. | |
| |
| Abbildung 5.16: § 362 HGB – § 1003 ABGB |
|
•
Im Mietrecht spielt
das Stillschweigen bei Vertragsverlängerungen eine Rolle; vgl §
1114 ABGB: „Der Bestandvertrag kann aber nicht nur ausdrücklich;
sondern auch stillschweigend erneuert werden ....” ZB dann, wenn
das zeitlich befristete Bestandverhältnis nach Ablauf der Bestandzeit
fortgesetzt wird, „und der Bestandgeber es dabei bewenden lässt.”
– § 1115 ABGB bestimmt, dass die „stillschweigende Erneuerung des
Bestandvertrages ... unter den nämlichen Bedingungen [geschieht]
unter welchen er vorher geschlossen war.” Dort wird auch geregelt
für wie lange die stillschweigende Vertragsverlängerung gilt. –
Vgl zB auch § 29 Abs 3 MRG. | Mietrecht |
Schweigen wird von der Rspr auch dann rechtlich
als Zustimmung gewertet, wenn eine Pflicht
zur Äußerung bestanden hat. Das ist insbesondere dann anzunehmen,
wenn der Schweigende nach Gesetz oder redlicher Verkehrsübung (Treu
und Glauben → KAPITEL 11: Treu
und Glauben) hätte reden müssen. | |
| |
8. Realofferte
und Realannahme | |
Man
versteht darunter eine Offerte mit gleichzeitiger Übersendung
der angebotenen Ware; zB Bücher, Zeitschriften. Dafür trifft
nunmehr § 864 Abs 2 ABGB (ab 1.1.1997, BGBl I 1997/6 → Die
Sonderfälle des § 864 ABGB)
eine neue Regelung für das bürgerliche Recht, während für das Handelsrecht
weiterhin § 362 Abs 2 HGB (Aufbewahrungspflicht) gilt. | Realofferte |
Auch
Real-Annahme ist möglich; zB durch Gebrauch / Benützung: Ins Buch
werden Anmerkungen geschrieben! – Oder: Sie beißen bereits im SB-Laden
vor Hunger vom Brotwecken ein Stück ab oder trinken aus der Milchflasche.
– Zu beachten ist aber auch hier nunmehr § 864 Abs 2 ABGB. | Real-Annahme |
9. Die
(allgemeine) Freibleibend-Offerte | |
Bei normaler Offertstellung
tritt die Antragsbindung des Offerenten mit dem
Zugang seiner Offerte beim Anerklärten ein. Der Offertsteller muss
ab diesem Zeitpunkt – der Partner erlangt ein einseitiges Gestaltungsrecht!
– damit rechnen, dass sein Geschäftspartner die Offerte annimmt, wodurch
der Vertrag zustande kommt. Der Antragsteller muss daher leistungsbereit
sein – dh zB: die Ware vorrätig halten, um den (von ihm angeregten)
Vertrag erfüllen zu können. Das zeitigt die Konsequenz, dass der
Antragsteller nur ganz bestimmte Anbote stellen kann, wenn sein
Warenvorrat begrenzt ist. – Diese oft unerwünschte Konsequenz will
die Freibleibend-Offerte ausräumen. Sie ermöglicht es, auch bei
einer bloß geringen Anzahl vorhandener Waren, einem viel größeren Interessentenkreis
zu offerieren und dadurch die Verkaufschancen zu erhöhen. Im kaufmännischen Geschäftsleben
ist die Freibleibend-Offerte deshalb beliebt, weil sie es zulässt, betriebswirtschaftlich
flexibler anzubieten, ohne sich zu binden und die Entscheidung
über den Vertragsschluss schon zu früh aus der Hand zu geben. | Rasche
Antragsbindung soll vermieden werden |
Offeriert jemand „freibleibend”,
„ohne obligo”, „unverbindlich” udgl, will er als Antragsteller die
übliche Antragsbindung vermeiden. – Im Zweifel gilt:
Der „Antragsteller” kann hier auch noch die zugegangene „Annahme”
ablehnen. Seine „Offerte” wird dadurch zur bloßen Aufforderung / Einladung
einen Antrag zu stellen. Die „Annahme” ist dann eigentlich nur der
Antrag, der wiederum angenommen oder abgelehnt werden kann. | Zweifelsregel |
Offeriert jemand „freibleibend”, muss er aber
nach Zugang der „Annahme” seitens des Geschäftspartners nach hA
unverzüglich ablehnen, sonst gilt sein Stillschweigen ausnahmsweise
als Annahme und der Vertrag kommt zustande; § 862a ABGB iVm § 362
Satz 1 HGB analog. Es handelt sich hier um einen jener Ausnahmefälle,
bei denen Stillschweigen als Zustimmung gilt → Annahme
durch Stillschweigen?
| „Unverzüglich“
ablehnen |
| |
| |
| Abbildung 5.17: Freibleibend-Offerte/FO |
|
10. Klausel
„Preise freibleibend”, sog Zirkaklausel | |
Hier wird ein gültiger und unbedingter Vertrag
geschlossen, freilich mit der Nebenabrede, dass der Offertsteller
nicht endgültig an den im Vertrag genannten Preis gebunden sein
soll, sondern diesen nachträglich auch einseitig (angemessen oder
nach im Vertrag festgelegten Kriterien) noch ändern kann. Der vereinbarte
Preis ist eben bloß ein vorläufiger, ein Zirkapreis. – Bspw der
Verkäufer kann den vereinbarten Preis zwar einseitig, aber nicht
willkürlich (!) bis zur Lieferung erhöhen. | Keine
Willkür |
Mit der Klausel
„Preise freibleibend” überbürdet der Verkäufer die sonst von ihm
zu tragende Gefahr einer allfälligen Preiserhöhung
(zwischen Vertragsschluss und Lieferung) auf den Käufer. | Gefahrüberbürdung |
In der
Praxis wird eine Zirkaklausel vor allem beim Abschluss von Lieferverträgen
(mit Lieferterminen, die zB wenigstens einige Monate nach dem Vertragsschluss
liegen oder bei Dauervereinbarungen) über Güter / Waren vereinbart,
die am (Welt)Markt größeren und häufigeren Preisschwankungen unterliegen
und die – ohne Zusatzvereinbarung – der Verkäufer zu tragen hätte;
zB bei Erdöl und seinen Derivaten, Tee, Kaffee, Kakao, Gold udgl. | Bedeutsam
für mittel- bis langfristige Lieferverträge |
Anders als bei der Freibleibend-Offerte
geht es bei der Klausel „Preise freibleibend” nicht darum, ob überhaupt
ein Vertrag geschlossen wird oder nicht, sondern nur um die Möglichkeit,
auch noch nachträglich den vereinbarten Preis verändern
– dh idR erhöhen – zu können. Der Verkäufer kann aber – wie angedeutet
– keine Phantasiepreise verlangen. In der Praxis empfiehlt sich
das Vereinbaren einer Obergrenze (zB: „maximal
10 %”) oder eines Kriteriums, wonach der Preis
erhöht werden kann; zB: „ ... vorbehaltlich einer Erhöhung durch
Preisänderungen im Sektor Druck und Papier.” – Oder: Praktisch häufig
ist eine Koppelung an den jeweiligen Markt- oder Börsenpreis zum
Lieferzeitpunkt. – Bei unbilliger einseitiger Preiserhöhung kann
der Richter angerufen werden, der nachträglich
korrigierend eingreifen kann. Vgl dazu → KAPITEL 2: Preisbestimmungsmodalitäten;
§ 1056 ABGB. | Vereinbaren
einer Obergrenze ratsam – Überprüfbarkeit durch
den Richter |
| Abbildung 5.18: Klausel: „Preise freibleibend” |
|
11. Das
(kaufmännische) Bestätigungsschreiben | |
Auch
wichtige Verträge werden im Rechts- und Wirtschaftsleben oft nur mündlich
ausgehandelt: „Einverstanden?” – (vielleicht mit Handschlag)
„Einverstanden!” Dennoch besteht im Nachhinein oft das Bedürfnis,
den Inhalt des bloß mündlich geschlossenen Vertrags auch schriftlich
– wenigstens in seinen Hauptpunkten – niederzulegen. | |
| |
Das
Bestätigungsschreiben kommt diesem praktischen Bedürfnis entgegen
und legt eine vorangegangene mündliche Vereinbarung nachträglich
einseitig schriftlich nieder. Dieses nachträgliche einseitige schriftliche
Niederlegen des mündlich Vereinbarten – das jeder Vertragsteil vornehmen kann
– dient vor allem der Beweissicherung, aber auch
als Gedächtnisstütze. Denn oft wird mündlich keineswegs
alles besprochen, Details werden – bewusst oder unbewusst – offengelassen, was
Unsicherheit nach sich ziehen kann und die Gefahr birgt, das Versäumte
nachzuholen. | Beweissicherung und Gedächtnisstütze |
| |
|
JBl
1970, 478: Das kaufmännische Bestätigungsschreiben
verfolgt den Zweck, den Inhalt eines mündlich, telefonisch, telegraphisch
oder durch Vertreter abgeschlossenen Vertrags zu wiederholen, um
etwaige Missverständnisse, Unklarheiten oder sonstige Unstimmigkeiten
hintanzuhalten und den Abschluss der Nachprüfung des anderen Teiles
zu unterbreiten. – Sachverhalt: Bestellung von Werbeprospekten für
ein Infragrillgerät – Irrtum im Format: A
4 statt A 3: Ein Angestellter einer Druckerei
füllt etwa eine halbe Stunde nach geschlossenem mündlichen Vertrag,
um den „Auftrag” festzuhalten, ein betriebsinternes Formular aus,
in das er irrtümlich ein falsches Druckformat einträgt: nämlich
A 4 statt A 3. Eine Kopie des (falsch!) ausgefüllten Formulars übermittelt
er dem Besteller des Druckauftrags, der den Fehler nicht bemerkt,
weil er das Formular gar nicht mehr liest; er meinte ohnehin zu
wissen, was es enthält. Erst bei Lieferung der gedruckten Prospekte
wird der Fehler entdeckt. – Da eine gütliche Einigung misslang und
der Besteller die Druckkostenzahlung verweigerte, klagte die Druckerei
ihre Werklohnforderung ein. Wie würden Sie entscheiden? | |
|
Diese vor
allem – aber nicht nur – im kaufmännischen Bereich vorkommende „Übung”
soll also eilige, bloß mündlich getroffene Vereinbarungen schriftlich
festhalten, um mögliche Unklarheiten und unterschiedliches Verständnis
ebenso auszuräumen, wie ein späteres Vergessen oder Abändern des
Vereinbarten verhindern. – Kein Problem entsteht, wenn das Bestätigungsschreiben
vollständig mit dem mündlich Vereinbarten übereinstimmt. Probleme
entstehen dagegen, wenn Bestätigungsschreiben und mündliche
Vereinbarung nicht übereinstimmen – sei es unbeabsichtigt
oder beabsichtigt – und dem Vertragspartner dies (zunächst vielleicht
gar) nicht auffällt, weil er zB das Bestätigungsschreiben nicht
mehr liest; vgl den Sachverhalt von JBl 1970, 478. – Ein Problem entsteht
uU aber auch dann, wenn die Vertragsparteien zwar eine grundsätzliche
Einigung erzielt haben, Details aber entweder gar nicht oder doch
nur ‘grob’ erörtert haben und das ‘Fehlende’ nun von einem Vertragsteil
in seinem Bestätigungsschreiben (nach seinem Verständnis) schriftlich ergänzt
wird. | Worin liegt das Problem? |
Zu beachten ist hier grundsätzlich,
dass fehlende Parteivereinbarungen durch das Dispositivrecht zu
ergänzen sind, keinesfalls aber einseitig durch eine der Vertragsparteien
vorgenommen werden darf, sofern dies vom Dispositivrecht abweicht.
– Zum Dispositivrecht überhaupt und zu dessen Gerechtigkeitsgewähr → KAPITEL 7: Nachgiebiges
und zwingendes Recht. | Bedeutung des
Dispositivrechts |
| |
Das (kaufmännische)
Bestätigungsschreiben ist gesetzlich nicht geregelt,
vielmehr ein Geschöpf der (Rechts)Praxis. – Die Rspr hat unser Problem
im Laufe der Zeit unterschiedlich behandelt, was zeigt, dass sich
die Judikaturmeinung von Höchstgerichten (hier des OGH) ebenso ändern
kann, wie die Ansichten im Schrifttum. | Gesetzlich nicht geregelt |
Nach älterer Lehre und Rspr (vgl
neben JBl 1970, 478 etwa HS 6228) – etwa bis zur
Mitte der 70er Jahre – galt Schweigen auf ein zugegangenes Bestätigungsschreiben,
außer bei Arglist (, die aber immer schwer zu beweisen ist!), als
stillschweigende Zustimmung zur Änderung. Das ist heute noch die
deutsche Lösung (vgl etwa BGH NJW 1994, 1288), die jedoch nur für
Kaufleute und andere geschäftsgewandte Personen des Wirtschaftsverkehrs
gilt, was wohl auch für Österreich sachgerechter wäre, zumal das
ABGB den Verkehrsschutz in den Vordergrund stellt → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| |
Heute wird weitgehend die Meinung vertreten,
dass grundsätzlich – und zwar ohne Unterscheidung
für das bürgerliche und Handelsrecht – am mündlich Vereinbarten
festzuhalten ist und dass dem Schweigen (auf ein vom mündlich
Vereinbarten abweichendes Bestätigungsschreiben) keine zustimmende
Bedeutung gegenüber der mündlichen Vereinbarung zukommt. – Abweichungen
davon werden nur ausnahmsweise zugelassen und dies vor allem im
kaufmännischen Bereich; zB wenn Änderungen oder Ergänzungen im Bestätigungsschreiben
klar als solche gekennzeichnet sind oder nach Treu und Glauben eine
Äußerungspflicht desjenigen anzunehmen ist, dem das Bestätigungsschreiben
zugeht → Das
(kaufmännische) Bestätigungsschreiben und → Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB:
§ 863 ABGB. | Lösung
– Heute |
Eingehende
Bestätigungsschreiben sind aufmerksam zu lesen!
Und zwar von dem, der „dabei” war. Wenn nötig, muss unverzüglich
richtiggestellt werden! | Faustregel für die Praxis |
Der OGH änderte seine Meinung wegen grundsätzlicher Kritik
seitens des Schrifttums; so Wahle in Klang2,
IV/2, 37, insbesondere 39 und idF auch F. Bydlinski,
Privatautonomie und objektive Grundlagen des verpflichtenden Rechtsgeschäftes
194 (1967), sowie derselbe, Zur Entmythologisierung des „kaufmännischen
Bestätigungsschreibens” im österreichischen Recht, in: FS Flume
335 (1978); vgl auch Gschnitzer, AllgT 523 (19922). | |
Vgl nunmehr etwa SZ 47/83 (1974), SZ 50/112 (1977) oder
SZ 55/106 (1982): Das Schweigen auf ein kaufmännisches Bestätigungsschreiben,
das vom wirklich Vereinbarten abweicht, vermag den Vertrag also
nicht nachträglich zu ändern, wenn nicht besondere Ausnahmefälle
vorliegen. – Diese Position gewichtet eigentlich nur den Grundsatz
des pacta sunt servanda. | |
| Abbildung 5.19: Das (kaufmännische) Bestätigungsschreiben |
|
12. § 867 ABGB: Vertragsschlüsse mit der
öffentlichen Hand – Zur Geschäftsfähigkeit von Gemeinden | |
Schließt eine juristische Person des öffentlichen
Rechts – die Gemeinde steht im Gesetz dafür als Beispiel
– ein (privatrechtliches) Rechtsgeschäft, so ist es ihren Vertragspartnern
nicht immer einsichtig, ob auch die (internen) Voraussetzungen für
die Gültigkeit des Rechtsgeschäfts, insbesondere die Abschlussberechtigung,
Zuständigkeits- und Formvorschriften, vorliegen. Es gilt daher der
Grundsatz: Sich erkundigen oder – noch besser – selbst zB in die Gemeindeordnung Einsicht
nehmen, wer abschlussberechtigt ist; der Bürgermeister oder der
Gemeinderat oder beide zusammen. | Gemeinde
als Beispiel |
„Was zur Gültigkeit eines Vertrages mit einer
unter der besondern Vorsorge der öffentlichen Verwaltung stehenden Gemeinde
(§ 27 ABGB), oder ihren einzelnen Gliedern und Stellvertretern erfordert
werde, ist aus der Verfassung derselben und den politischen Gesetzen
zu entnehmen (§ 290 ABGB).” | §
867 ABGB |
Wird daher zB mit dem Bürgermeister (allein)
ein Vertrag geschlossen, der auch der Zustimmung des Gemeinderats
bedarf, ist der Vertrag nach hA – für die es nachhaltig einzutreten
gilt – ungültig! Man kann sich also rechtlich nicht darauf verlassen,
wenn ein Gemeindeorgan behauptet, für den Abschluss zuständig zu
sein. Ungültig ist das Rechtsgeschäft deshalb, weil die nötige Geschäftsfähigkeit
(!) der handelnden öffentlichen Körperschaft nur dann vorliegt,
wenn diese Körperschaft korrekt, also „statutengemäß”, dh unter
Einhaltung bestehender Zuständigkeits- und Formvorschriften – vom
richtigen Organ – vertreten wird. | Bürgermeister
versprechen immer wieder zuviel |
Ein
den Vertrag fälschlicherweise abschließendes Organ kann aber eine Haftung
der jeweiligen Körperschaft des öffentlichen Rechts – zB
für cic – begründen, wobei der haftenden Körperschaft uU wiederum
Rückgriffsansprüche zustehen; JBl 1995, 522. | Cic-Haftung |
| |
|
SZ
54/11 (1981): Bestimmungen einer GemeindeO (hier:
NÖ), die den Abschluss bestimmter Rechtsgeschäfte dem Gemeinderat vorbehalten,
stellen nicht bloß interne Organisationsvorschriften dar, sondern
beinhalten eine Beschränkung der allgemeinen Vertretungsbefugnis
(richtig: der Geschäftsfähigkeit) des Bürgermeisters. | |
|
|
ZAS 2001, 51/5: Kollidieren die Interessen
eines gutgläubigen Dritten an der Gültigkeit seiner mit
der öffentlichen Hand geschlossenen Verträge mit dem Interesse der
öffentlichen Hand an der Einhaltung ihrer Zuständigkeits- und Formvorschriften,
ist bei der eindeutigen Vorschrift einer bestimmten Form des Abschlusses
dieser der Vorrang einzuräumen. | |
|
|
SZ 61/241 (1988) – Errichtung
eines Abwasserkanals durch eine BauGmbH für eine Salzburger Gemeinde:
§ 39 der Slbg Gemeindeordnung, wonach mit einer Gemeinde abgeschlossene
Verträge zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform bedürfen, begrenzt
in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise die Vollmacht der Gemeindeorgane
und schließt das konkludente Zustandekommen eines Vertrags aus,
nicht aber Bereicherungsansprüche; hier nach § 1042 ABGB → Verwendungsansprüche –
Sachverhalt: Die beklagte Gemeinde beauftragte eine BauGmbH, einen
Abwasserkanal zu errichten. Im Zuge der Bauarbeiten traten Risse
in den Außenwänden des im Eigentum der Republik Österreich stehenden
Flussbauhofs auf. Der Auftrag zur Errichtung des Kanals wurde entgegen
den Bestimmungen der Slbg Gemeindeordnung bloß mündlich (telefonisch)
erteilt. Aus den Entscheidungsgründen des OGH: „ ... Geht man also
davon aus, dass jener Werkvertrag, aus dem die Klägerin in erster
Linie ihren Anspruch ableitet, mangels Einhaltung der vorgeschriebenen
Schriftform nicht rechtswirksam zustande gekommen ist, so scheidet
ein vertraglicher Entgeltanspruch der Klägerin aus. Selbstverständlich
kann dort, wo die Wirksamkeit eines Vertrages von der Einhaltung
bestimmter Formvorschriften abhängig gemacht wird, das konkludente
Zustandekommen eines Vertrages nach § 863 ABGB bei Verletzung der
Formvorschriften nicht in Frage kommen. Wer mit einer Gemeinde einen
Vertrag schließt, muss die für ihre Willensbildung geltenden öffentlichrechtlichen Bestimmungen
beachten und sie auch dann gegen sich gelten lassen, wenn er sie
nicht gekannt hat ( ...). Der Schutz des Vertrauens auf einen äußeren
Tatbestand kommt insoweit nicht in Betracht ( ...).” – Wie die BauGmbH
dennoch zu ihrem Geld kam erfahren Sie unter → Ungerechtfertigte
Bereicherung
| |
|
|
OGH 22. 2. 2000, 1 Ob 14/00s, SZ 73/34:
Die Kläger erwerben eine Liegenschaft in Kärnten, zu deren Gutsbestand
eine Baufläche mit Haus gehörte; dieses befand
sich innerhalb der „roten Zone” des Gefahrenzonenplans,
die für Siedlungszwecke ungeeignet ist. Dies war jedoch im Flächenwidmungsplan der
beklagten Gemeinde nicht ersichtlich gemacht. Auch der Gemeindesekretär
erklärte dem Käufer auf dessen Rückfrage, es liege „alles in der
‚gelben Zone’” und es seien keine „Auflagen zu befürchten”. Als sich
der tatsächliche Sachverhalt herausstellt, klagt der Käufer die
Gemeinde auf Schadenersatz. – OGH: Behördliche Auskünfte bezwecken
den Schutz wirtschaftlicher Dispositionen des Auskunftswerbers (OGH
bejaht somit Rechtswidrigkeitszusammenhang); dieser hat daher ein
subjektives öffentliches Recht (führt zur Anwendbarkeit des § 1298
ABGB) auf Erteilung einer der Sache nach richtigen Auskunft. Bezieht
sich die Auskunft auf eine hoheitlich zu vollziehende Verwaltungsmaterie,
ist auch der Realakt der Auskunft selbst
eine Maßnahme hoheitlicher Verwaltung; daher Anwendbarkeit
des AHG. – OGH ging nicht den einfacheren Weg über
die auch für den Bereich des öffentlichen Rechts anerkannte cic-Haftung
der Gemeinde nach dem Muster des Golf-Hotel-Falls, der
die Probleme fasslicher gelöst hätte; cic iVm § 867 ABGB. | |
|
| Abbildung 5.20: Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: § 867 ABGB |
|
13. Elektronischer
Vertragsschluss – E-Commerce | |
Immer mehr Menschen
haben Zugang zum Internet, immer mehr Verkäufer (zB Versandhäuser) bieten
ihre neuen Waren/Kollektionen etc im Medium Internet an (= Einladung
zur Offerte). | |
Die Umsetzung
der E-Commerce-RL der EU erfolgte durch das E-Commerce-Gesetz /ECG
2001, BGBl I 152. Das Ziel der RL bestand darin, die kommerziellen
Online Angebote und Online Dienste einer vereinheitlichten (Gemeinschafts)Regelung
zuzuführen. Damit wird der Rechtsrahmen für Dienstleistungen in der Informationsgesellschaft national
und EU-weit ausgebaut. | |
Nach der Fernabsatz- RL (1997/7/EG)
über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz,
mit der für den Versandhandel und das Verbrauchergeschäft im Internet
ein Mindeststandard geschaffen wurde – umgesetzt durch das FernabsatzG,
BGBl I 185/1999 – und der Signatur-RL (1999/93/EG)
über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen
– umgesetzt durch das SignaturG, BGBl I 190/1999
( → KAPITEL 15: Bundesgesetz
über elektronische Signaturen) – folgte nun ein weiterer legistischer
Schritt. | |
| |
| |
| |
| |
Wir wissen bereits, dass der Vertragsschluss
Konsens voraussetzt. Aber nicht immer gelingt er. Mitunter besteht,
ohne dass es den verhandelnden Parteien oder einer von ihnen aufgefallen
ist, Dissens; eine Rolle spielt das auch bei sich widersprechenden
AGB. Das passiert – bspw in der Eile des Geschäftslebens – leichter
als man glaubt. – Dissens, der – wie das AGB-Beispiel zeigt – auch bloß
ein Teil-Dissens sein kann, ist anzunehmen, wenn sich die (Willens)Erklärungen
beider Parteien – objektiv (!) – nicht decken,
obwohl die Parteien (subjektiv) meinen, einig zu sein. | |
Beim Konsens wird zwischen natürlichem und normativem unterschieden.
Jener liegt vor, wenn die Willenserklärungen inhaltlich tatsächlich
übereinstimmen; dieser, wenn die Erklärung einer Partei zwar etwas
anderes wollte, aber nach der bei entgeltlichen Verträgen anzuwendenden
Vertrauenstheorie zugunsten der anderen Partei ausgelegt wird, weil
diese nach der Verkehrsauffassung zu schützen war. In beiden Fällen
kommt aber ein Vertrag zustande. – Die üblichen (Lehr)Beispiele
betreffen den Währungs-”Dissens” (Franken- oder Dollar-Fälle); etwa: | Natürlicher
und
normativer Konsens |
Der eine Teil meinte
beim Vertragsschluss Schweizer Franken, der andere französische.
Wird der Vertrag in der Schweiz geschlossen oder ist Schweizer Recht
anzuwenden, ergibt die Auslegung nach der Verkehrsauffassung, dass
Schweizer Franken als vereinbart gelten. Mag das auch nicht dem
Willen der einen Partei entsprechen; normativer Konsens. Der Vertrag
ist zuzuhalten. | |
2. Offener und
versteckter Dissens | |
Innerhalb des Dissenses
wird zwischen offenem (er ist den Parteien bewusst und daher unproblematisch)
und verstecktem Dissens unterschieden. | |
•
Bei offenem Dissens
wissen die Parteien, dass sie noch keinen Konsens erzielt haben.
– Auf den offenen Dissens gelangt die gemeinrechtliche Regel: falsa
demonstratio non nocet (= Falschbezeichnung schadet nicht)
zur Anwendung. Das heißt: Vertragsinhalt wird (nur) das, was die
Parteien wirklich wollten (und nicht das anders oder falsch Bezeichnete)!
Vgl RGZ 99/147: Haakjöringsköd. | falsa demonstratio ... |
| |
•
Versteckter
Dissens liegt vor, wenn beide Parteien meinen oder wenigstens
eine meint, Konsens sei erzielt worden, dies aber nicht zutrifft. | |
|
Berühmte RGZ-Urteile:
– Einen klassischen Fall einer unbewussten Falschbezeichnung / Falsa
demonstratio hatte das deutsche Reichsgericht 1920 zu entscheiden;
RGZ 99/147: Haakjöringsköd (= norwegisch: Haifischfleisch).
Beide Kaufvertragsparteien meinten, es handle sich dabei um Walfischfleisch.
Das Reichsgericht betrachtete den Kauf über Walfischfleisch als
gültig zustande gekommen. | |
|
|
Ein anderes berühmtes Beispiel des Reichsgerichts
betrifft den Kauf von Weinsteinsäure (RGZ 104,
265): Beide Parteien wollten ver kaufen. Da die
Erklärungen beider Parteien hier aber objektiv zweideutig waren,
war Dissens anzunehmen und die Klage der einen Partei auf Abnahme
einer bestimmten Menge wurde abgewiesen. – In diesem Fall wurde
also wegen unterlaufenen (versteckten) Dissenses kein gültiger Vertragsschluss
angenommen → §
869 Satz 2 ABGB als gesetzliche Dissensregel
| |
|
3. §
869 Satz 2 ABGB als gesetzliche Dissensregel | |
Das ABGB trifft für den (versteckten) Dissens
keine detailierte Regelung. § 869 Satz 2 ABGB bestimmt
aber, und damit wird der Dissens wenigstens angesprochen: | |
„ ... oder erfolgt die Annahme unter anderen Bestimmungen,
als unter welchen das Versprechen [sc die Offerte] geschehen ist;
so entsteht kein Vertrag.” | |
Rspr und Schrifttum nehmen auf Grund dieser
unvollständigen gesetzlichen Regelung in § 869 ABGB häufig stille
Anleihen beim dtBGB, das in § 154 den „offenen Einigungsmangel”
und in
§ 155, den „versteckten Einigungsmangel” behandelt. – Die Rechtsfolgen
bei unterlaufenem Dissens sind nämlich unterschiedlich und nicht
nur iSv § 869 Satz 2 ABGB zu ziehen. | Offener und versteckter Einigungsmangel
des dtBGB |
Am brauchbarsten erscheinen
die Ausführungen Gschnitzers (AllgT1 186),
der für die Entstehung von verstecktem Dissens drei Gruppen unterscheidet,
die vom Schrifttum gerne „stillschweigend” übernommen werden: | Gschnitzers Lösung
für den versteckten Dissens |
(1) Die Parteieneinigung ist unvollständig: | |
Betrifft die Unvollständigkeit
einen Hauptpunkt des Vertrags, kommt kein Vertrag
zustande; betrifft sie einen Nebenpunkt, lässt
Gschnitzer den Vertrag zustande kommen; arg § 885 ABGB (Punktation)
iVm mit Ergänzung durch Dispositivrecht. „War freilich die Vereinbarung
über die offen gebliebenen Punkte – auch unwesentliche (!) – vorbehalten,
ist der Vertrag noch nicht geschlossen”; Gschnitzer aaO. | |
| |
(3) Die Erklärungen
stimmen zwar dem Wortlaut nach überein,
sind aber objektiv zwei- oder mehrdeutig, und jede
Partei versteht sie anders; so etwa im Weinsteinsäurefall des Reichsgerichts. –
Hier liegt versteckter Dissens vor und als Rechtsfolge gelangt §
869 Satz 2 ABGB zur Anwendung: „ ...[es] entsteht kein Vertrag.” | |
4. Abgrenzung von
Dissens und Irrtum | |
Die Abgrenzung von Dissens
und Irrtum bereitet immer wieder Schwierigkeiten. – Als Zusammenfassung
und Faustregel mag gelten: | |
•
Missversteht eine Partei eine objektiv (also
eindeutig) in bestimmter Weise zu verstehende Erklärung, liegt Irrtum vor; | |
•
ist eine Erklärung dagegen objektiv
zweideutig, Dissens. | |
Dissens berechtigt jeden (!)
Vertragsteil, sich iSd § 869 ABGB darauf zu berufen, der Vertrag
sei nicht zustande gekommen; beim Irrtum kann nur der Irrende das
Geschäft anfechten (§ 871 ABGB), der Vertrag ist aber zunächst als
zustande gekommen anzusehen. | |
C. Vertragsfreiheit
und Privatautonomie |
| |
I. Allgemeines
zur Vertragsfreiheit | |
1. Freiheit des
Vertragsschlusses | |
Freiheit ist nach
den Institutionen Justinians (1, 3) die „natürliche Fähigkeit, das
zu tun, was einem jeden zu tun beliebt, sofern es nicht durch Gewalt
oder Recht verhindert wird”. Es steht daher auch jedermann frei,
Verträge zu schließen oder darauf zu verzichten. Genauer: Wir können
selbst bestimmen „ob”, „wie” und „wann” ein Vertrag geschlossen
wird und wie lange er gelten soll. Wo kämen wir auch hin, wenn andere
einen dazu zwingen oder verpflichten könnten. – Diese Freiheit autonomer
rechtsgeschäftlicher, insbesondere aber vertraglicher Betätigung
ist ein fundamentales Recht in freien Gesellschaften. Man spricht
von Privatautonomie und meint damit, dass die Rechtsordnung
es den Parteien des Rechts- und Wirtschaftslebens überantwortet,
ihre rechtlichen Fragen und Beziehungen zueinander selbst(verantwortet)
zu regeln; Selbstgestaltungsfreiheit von Rechtsverhältnissen. | |
Die
Wirtschaft benötigt rechtliche Rahmenbedingungen. Der Vertrag ist
häufig das Mittel, um wirtschaftliches Handeln, ökonomische Zielsetzungen
unter den Schutz staatlich-rechtlicher Rahmenbedingungen zu stellen.
Im Vertrag begegnen sich gleichsam der Staat und sein Recht und
die Parteien des Wirtschaftslebens. Ökonomisches Vertrauen braucht
eine rechtliche Basis, die im Ernstfall jene „Gerechtigkeit” (wieder)herstellen
soll, welche die Marktwirtschaft alleine nicht zu schaffen vermag;
Rechtssicherheit. – Privatautonomie und Vertragsfreiheit sind demnach (privat)rechtliche
Entsprechungen und unverzichtbare Ergänzungen jedes marktwirtschaftlichen Systems. | Rechtssicherheit |
Zum historischen Entstehen von Vertragsfreiheit,
Privatautonomie und überhaupt von Rechtssubjektivität und subjektiven
Rechten: Barta, „Graeca non leguntur?” – Zum Ursprung des europäischen
Rechtsdenkens im antiken Griechenland (in Vorbereitung: 2005). | |
2.
Vertragsfreiheit
und Verfassung | |
Im Privatrecht
gilt Vertragsfreiheit. Aber nicht in allen Bereichen des Privatrechts
tritt sie gleichermaßen stark in Erscheinung. Besonders umfassend
wird sie im Schuldrecht gewährt, was einen wichtigen Unterschied
zum Sachenrecht (Typenzwang → KAPITEL 8: Typenzwang)
oder Familienrecht darstellt. – Es erstaunt, dass diese für unsere
Staats- und Wirtschaftsordnung so grundlegende Freiheit, Verträge
zu schließen, in Österreich verfassungsrechtlich / grundrechtlich
nicht ausdrücklich abgesichert ist. (Die Grundrechtsreform stellt
ein trauriges Kapitel der österreichischen Rechtspolitik dar.) –
Vertragsfreiheit und Privatautonomie werden heute nach hA verfassungsrechtlich
durch die Grundrechte des Wirtschaftslebens garantiert: d. s.: Art
5 StGG: Unverletzlichkeit des Eigentums und Art
6 StGG: Freiheit der Erwerbsbetätigung und Freiheit des Liegenschaftsverkehrs.
Eine eigene Regelung erschiene aber wünschenswert. | Grundrechtsreform? |
| |
Die Freiheit, Verträge schließen zu können,
kann als Beispiel für (nichtnormiertes) Verfassungs(gewohnheits)recht betrachtet
werden, zumal die interpretative Ableitung aus den Art 5 und 6 StGG
umständlich und gezwungen erscheint und keineswegs auf der Hand
liegt. | |
Karl
Anton von Martini hat dieses Problem bereits klar
gesehen und in seinem Entwurf (1796) berücksichtigt. Es wäre eine
noble Geste unseres Gesetzgebers gewesen und hätte die aufgezeigte
Lücke in unserer Rechtsordnung auf elegante Weise gefüllt, hätte
der Gesetzgeber im Gedenken an Martinis 200. Todestag am 8. August
2000 – cum grano salis – dessen Formulierung übernommen und sie
in den Verfassungsrang erhoben. Was immer noch nachgeholt werden
kann. In Martinis Entwurf (I 2 § 3) heißt es: „Wer seinen rechtlichen
Willen erklärt, Jemanden etwas zu leisten, der macht ein Versprechen.
Wird ein Versprechen angenommen, so entsteht durch beiderseitige Einwilligung
ein Vertrag. [~ § 861 ABGB] Es gehöret demnach unter die allgemeinen
Rechte der Menschen auch das Recht, Verträge zu schließen und andurch
Sachen, das heißt Alles, was zu irgend einem Gebrauch dienlich ist, zu
erwerben, oder an einen Andern etwas zu übertragen.” | Martinis Vorschlag |
3. Vertragsfreiheit
und Privatautonomie | |
Vertragsfreiheit, als
Erscheinungsform der Privatautonomie, ist nach W. Flume „das Prinzip
der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch den Einzelnen
nach seinem Willen”; AllgT des Bürgerlichen Rechts, § 1, 1 (19924). | W. Flume |
”Im Bereich der Privatautonomie kann der
einzelne … grundsätzlich nur für sich selbst und sein Vermögen rechtsgeschäftliche
Regelungen treffen. Durch eine rechtsgeschäftliche Regelung kann
jemand grundsätzlich nur betroffen werden, wenn er selbst als Beteiligter
des Rechtsgeschäfts sie mit in Geltung gesetzt hat”; W. Flume. | |
Zu den tatsächlichen Beeinträchtigungen der Vertragsfreiheit
vgl → Vertragsfreiheit
und Privatautonomie – Zum Spannungsverhältnis zwischen rechtlicher
und tatsächlicher Vertragsfreiheit: Canaris, Wandlungen des Schuldvertragsrechts,
in: AcP 200 (2000) 273. | |
Vertragsfreiheit
und Privatautonomie sind aber auch nicht grenzenlos,
vielmehr haben sich die Parteien in den vorgegebenen Rahmen und
die Wertungen der (Gesamt)Rechtsordnung einzufügen; Verstöße dagegen
werden – zB durch § 879 ABGB: Gesetz- und Sittenwidrigkeit → KAPITEL 11: Gesetz-
und Sittenwidrigkeit.
– sanktioniert. | Vertragsfreiheit
und Privatautonomie sind nicht schrankenlos |
Die grundsätzliche Gleichbehandlung
beider Vertragsparteien verkennt nicht, dass im Rechts-
und Wirtschaftsleben mitunter beträchtliche Ungleichheiten herrschen;
zB: Vertrag eines Greißlers mit einem Weltkonzern. Daher setzt die
Rechtsordnung der Privatautonomie immer wieder Schranken; neben
§ 879 ABGB, zB in den §§ 864a, 870, 871 ff oder den §§ 922 ff ABGB
(Gewährleistung), §§ 934 f ABGB (Verletzung über die Hälfte) und
durch das KSchG ( → KAPITEL 2: Verbraucherrecht ¿ Konsumentenschutz). Überhaupt durch Schutzgesetze: MRG, WEG,
WGG, PHG, Arbeitsrecht (etwa DNHG)! – Auch Äquivalenzstörungen über
ein gewisses Maß hinaus werden nicht geduldet. | Gleichbehandlung
beider Vertragsparteien |
|
SZ 69/176 (1996): Es ist Ausfluss
des Grundsatzes der Vertragsfreiheit, wenn ein Zeitungsunternehmen den
Abdruck eines Inserats, welches das Logo eines Konkurrenten enthält,
verweigert. Auch ein Kontrahierungszwang wird verneint. Zur fehlenden
Sittenwidrigkeit → KAPITEL 11: Gegen
die guten Sitten. | |
|
4. Grenzen der
Vertragsfreiheit | |
Die Freiheit
des Vertragsschlusses, die natürlichen und juristischen Personen
zusteht (§ 26 ABGB), wird aus verschiedenen Gründen – individualistischen
und kollektiven – eingeschränkt: | |
Einerseits stellt das Gesetz / die
Rechtsordnung selbst klar, dass diese Freiheit in ihrer konkreten einzelnen
Anwendung nur innerhalb der vorgegebenen Grenzen der Rechtsordnung
gewährt wird. Sie ist also keine schrankenlose. Verstöße gegen das
Gesetz (= gesetzwidrige Vereinbarungen:
§ 879 ABGB) oder – mag etwas nicht ausdrücklich ver- oder geboten
sein – gegen den Geist der Rechtsordnung (= Verstöße gegen die guten
Sitten: § 879 ABGB), werden nicht geduldet. Dies aus der einfachen
Überlegung heraus, dass jemand, der sich der Rechtsordnung bedienen
will, um Rechtsfolgen und dadurch rechtlichen Schutz iSv Rechtssicherheit
zu erlangen, sich an deren Regeln halten muss. Das gilt sowohl dafür,
dass beide Vertragsparteien bewusst gegen die Rechtsordnung verstoßen,
wie dafür, dass eine Partei die andere ungebührlich übervorteilt;
zB in Knebelungsverträgen oder durch einseitige AGB ( → KAPITEL 6: Allgemeine
Geschäftsbedingungen)
oder durch unzulässige Freizeichnungsklauseln → KAPITEL 9: Verschulden
(culpa). | Grenzen
der Rechtsordnung |
Kollektive
Einschränkungen der Vertragsfreiheit erfolgen zB aus: | Einschränkungen |
• Gründen des wirtschaftlichen
Wettbewerbs (UWG, Kartellrecht, Preisregelungen / -bindungen, Ladenschlusszeiten
etc) oder | |
• sozialen Gründen (Kinder-, Jugend-, Mutterschutz,
Nachtarbeitsverbot etc), überhaupt Schutzgesetze!; zB MRG, KSchG,
PHG, Arbeitsrecht: Kollektivverträge! → KAPITEL 11: Der
Kollektivvertrag als Rechtsquelle. | |
• Schließlich aus allgemeinen Gerechtigkeits-
und wohlfahrtsstaatlichen Überlegungen heraus. Dazu dient bspw der
Kontrahierungszwang (→ Kontrahierungs-
oder Abschlusszwang ),
der zB eine verkehrs- oder transportmäßige Versorgung der Bevölkerung
gewährleisten soll, die nicht vom Belieben monopol- oder oligopolartiger
Anbieter abhängen soll; zB Post, Bahn, aber auch private Beförderungsmittel.
– Hierher gehört auch die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln,
die das NahversorgungsG mittels Kontrahierungszwanges zu gewährleisten
versucht. | |
Die
Vertragsfreiheit wird auch durch zahlreiche Verwaltungsvorschriften
eingeengt. So benötigen bestimmte Berufe schon für den Vertragsabschluss
bspw ein amtsärztliches Zeugnis nach dem BazillenausscheiderG 1950;
zB Köche oder Kellner. – Arbeitssuchende, die nicht österreichische
oder EU-Bürger sind, brauchen eine Beschäftigungsbewilligung (gilt
für bestimmte Tätigkeit bei einem bestimmten Arbeitgeber). | |
| |
| |
5. Beispiel:
Bankgeschäfte | |
Die Vertragsfreiheit
hat in gewissen Bereichen zu einer Entwicklungsexplosion neuer oder
doch gemischter Vertrags- und Geschäftstypen geführt
oder deren Vorbereitung gefördert. Als Beispiel soll schon hier
(zu den sog atypischen und Mischverträgen → Gemischte
und atypische Verträge)
ein Wirtschaftsbereich angeführt werden, dessen rechtsgeschäftliche
Diversifikation ein beeindruckendes Ausmaß erreicht hat: der Bankensektor.
Die in § 1 BWG umschriebene Geschäftstätigkeit der Kredit- und Finanzinstitute
wird in Form eines „Links” angeboten. Mehr zu den Bankgeschäften → KAPITEL 14: Bankgeschäfte ( V.
Thurnher) | |
§ 1. (1) Ein Kreditinstitutist,
wer ... berechtigt ist, Bankgeschäfte zu betreiben. Bankgeschäfte sind
die folgenden Tätigkeiten, soweit sie gewerblich durchgeführt werden: | |
. Die Entgegennahme fremder Gelder zur Verwaltung
oder als Einlage (Einlagengeschäft); | |
. die Durchführung des bargeldlosen Zahlungsverkehrs
und des Abrechnungsverkehrs in laufender Rechnung für andere (Girogeschäft); | |
. der Abschluss von Geldkreditverträgen und
die Gewährung von Gelddarlehen (Kreditgeschäft); | |
. den Kauf von Schecks und Wechseln, insbesondere
die Diskontierung von Wechseln (Diskontgeschäft); | |
. die Verwahrung und Verwaltung von Wertpapieren
für andere (Depotgeschäft); | |
.
die Ausgabe und Verwaltung von Zahlungsmitteln wie Kreditkarten und Reiseschecks; | |
7. der Handel ... mit | |
a) ... | |
b)
ausländischen Zahlungsmitteln (Devisen- und Valutengeschäft); | |
c)
Optionen und Finanzterminkontrakten (Termin- und Optionsgeschäft); | |
d) ... | |
e) Wertpapieren (Effektengeschäft);
… | |
. die Übernahme von Bürgschaften, Garantien
und sonstigen Haftungen für andere, sofern die übernommene Verpflichtung
auf Geldleistungen lautet ( Garantiegeschäft); | |
. die
Ausgabe von Pfandbriefen, Kommunalschuldverschreibungen und fundierten
Bankschuldverschreibungen und die Veranlagung des Erlöses nach den
hiefür geltenden besonderen Rechtsvorschriften (Wertpapieremissionsgeschäft); | |
10. die Ausgabe anderer festverzinslicher
Wertpapiere zur Veranlagung des Erlöses in anderen Bankgeschäften (sonstiges
Wertpapieremissionsgeschäft); | |
. die Teilnahme an der Wertpapieremission Dritter
und die diesbezüglichen Dienstleistungen (Loroemissionsgeschäft); | |
. die Entgegennahme von Bauspareinlagen und
die Vergabe von Bauspardarlehen nach dem Bausparkassengesetz (Bauspargeschäft); | |
. die Verwaltung von Kapitalanlagefonds nach
dem Investmentfondsgesetz (Investmentgeschäft); | |
. die Errichtung
oder Verwaltung von Beteiligungsfonds nach dem Beteiligungsfondsgesetz
(Beteiligungsfondsgeschäft); | |
. das
Finanzierungsgeschäft durch Erwerb von Anteilsrechten und deren
Weiterveräußerung (Kapitalfinanzierungsgeschäft); | |
. der Ankauf von Forderungen aus Warenlieferungen
oder Dienstleistungen, die Übernahme des Risikos der Einbringlichkeit
solcher Forderungen – ausgenommen die Kreditversicherung – und im
Zusammenhang damit der Einzug solcher Forderungen (Factoringgeschäft); | |
17 .... | |
18. die Vermittlung von
Geschäften nach ... | |
(2) Ein Finanzinstitut ist,
wer kein Kreditinstitut iSd Abs 1 ist und berechtigt ist, eine oder
mehrere der folgenden Tätigkeiten gewerbsmäßig durchzuführen, sofern
er diese als Haupttätigkeit betreibt: | |
. Der Abschluss von Leasingverträgen (Leasinggeschäft); | |
. der schaltermäßige Ankauf von ausländischen
Zahlungsmitteln (zB Geldsorten, Schecks, Reisekreditbriefen und Anweisungen)
und der schaltermäßige Verkauf von ausländischen Geldsorten und
Schilling-Reiseschecks (Wechselstubengeschäft); | |
3. die Beratung von Unternehmen über
die Kapitalstruktur, die industrielle Strategie und die damit verbundenen Fragen
sowie die Beratung und die Erbringung von Dienstleistungen auf dem
Gebiet der Zusammenschlüsse und Übernahme von Unternehmen; | |
. die Portfolioberatung; | |
. die Erteilung von Handelsauskünften; | |
. die
Erbringung von Schließfachverwaltungsdiensten. | |
| |
| Abbildung 5.21: Vertragsfreiheit – Privatautonomie |
|
| Abbildung 5.22: Die „4 Freiheiten” der Privatautonomie |
|
| |
II. Die
„vier Freiheiten” | |
In Anlehnung
an die vier „EU-Freiheiten” wird hier von „Vier Freiheiten
der Vertragsfreiheit “ gesprochen; P. Jordan. Selbstbestimmung,
Privatautonomie, Vertragsfreiheit des Einzelnen ist ein Grundrecht
in freien Staaten. – Die Begriffe „Privatautonomie” und „Vertragsfreiheit”
werden häufig synonym verstanden; W. Flume: | |
„Das ergibt sich daraus, dass der Vertrag
die Hauptform privatautonomer Gestaltung ist.” | |
Unter Privatautonomieversteht man im Privatrecht
die Möglichkeit der Selbstgestaltung der Rechtsverhältnisse durch
natürliche und juristische Personen (nach deren Willen). Das Mittel dazu
ist das Rechtsgeschäft, insbesondere der Vertrag.
– Freie Gesellschaften stellen es ihren Rechtssubjekten frei, ob
sie Verträge schließen wollen oder nicht; Vertragsfreiheit.
Besondere Bedeutung besitzt die Vertragsfreiheit im Schuldrecht. | |
Man unterscheidet grundsätzlich folgende vier Facetten der
Vertragsfreiheit: | |
1. Abschlussfreiheit
<-> Kontrahierungszwang | |
Mit
der Abschlussfreiheit wird die grundsätzliche – naturrechtlich fundierte
– Freiheit, Verträge zu schließen oder nicht zu schließen, angesprochen →
Vertragsfreiheit
und Verfassung –
Sie setzt, wie bereits erwähnt, ein freies Individuum voraus. | |
Eine wichtige Ausnahme
von der weithin bestehenden Abschlussfreiheit statuiert der nur
unter gewissen Voraussetzungen bestehende Kontrahierungs- oder Abschlusszwang.
– Darunter wird die Verpflichtung verstanden, einen Vertrag bestimmten
Inhalts abschließen zu müssen; vgl SZ 44/138. Eine solche Verpflichtung
wird aber nur ausnahmsweise angenommen: | Kontrahierungs-
oder Abschlusszwang |
• für Unternehmen mit
Monopolstellung oder doch monopolähnlichem Charakter; insbesondere wenn
diese Unternehmen Einzelne mit lebenswichtigen Gütern versorgen.
Hier zu nennen ist die Versorgung durch kommunale öffentliche Betriebe
mit Strom, Gas, Wasser, Kanal, Verkehrsbetriebe, Müllabfuhr, Telefonanschlüsse,
öffentliche Bibliotheken, Museen, Galerien, Sportstätten, Schwimmbäder
usw; | |
• aber auch aufgrund besonderer gesetzlicher
Anordnung; vgl die folgenden Beispiele. | |
| |
| |
Kein
Abschlusszwang besteht aber bspw für Kinos, Gaststätten, Diskotheken (Harry
Belafonte in Linz!), es sei denn, es handelt sich wieder um monopolartige
Betriebe wie in SZ 59/130. | Kinos, Gaststätten, Diskotheken |
|
EvBl
1998 / 22 (OGH 9.9.1997, 4 Ob 214/97):
Abschlusspflicht des Filmverleihers gegenüber Kinounternehmern:
Besitzt ein Filmverleiher an den von ihm verliehenen
Filmen die ausschließlichen Verwertungsrechte für Österreich, kommt
ihm insoweit die Stellung eines Monopolisten zu. Er ist daher verpflichtet, mit
jedem Kinobetreiber einen Filmverleihvertrag abzuschließen, sofern
er nicht sachlich gerechtfertigte Gründe für die Lieferverweigerung
hat. | |
|
|
| |
|
| Abbildung 5.23: Kontrahierungs- oder Abschlusszwang (1) |
|
| Abbildung 5.24: Kontrahierungs- oder Abschlusszwang (2) |
|
2. Gestaltungs-
oder Inhaltsfreiheit | |
Sie betrifft die
Freiheit der inhaltlichen vertraglichen und rechtsgeschäftlichen
(Aus)Gestaltung. – Die Rechtsordnung zieht der Gestaltungsfreiheit
der Parteien nur sehr weite Grenzen – zB durch
§ 879 ABGB: Gesetz- und Sittenwidrigkeit von Verträgen – und lässt
sie im Übrigen weithin autonom gewähren. | |
Das Privatrecht regelt eine ganze
Reihe von Verträgen typusmäßig / modellhaft; zB Kauf, Werk- und
Dienstvertrag, Zession oder Darlehen. Der Gesetzgeber wollte aber
keine abschließende Regelung der Vertragstypen treffen. Vielmehr
war er sich der Notwendigkeit bewusst, dass das Rechtsleben und
die Wirtschaft bei Bedarf Abweichendes und „Neues” schaffen können
sollen. Der Gesetzgeber wollte demnach weder die Kombination bestehender
Typen verbieten (Typenkombination), noch der Typenneubildung einen
Riegel vorschieben, weil er weiß, dass sich Recht, Gesellschaft
und Wirtschaft weiterentwickeln und nicht auf dem einmal erreichten
Niveau stehen bleiben können. | Typenkombination
und Typenneubildung |
Diese Überlegung
gilt jedoch nicht für alle Teile des Privatrechts in gleicher Weise.
Wir merken uns: Die Inhaltsfreiheit gilt vor allem im Schuldrecht,
das freilich für die Wirtschaft von größter Bedeutung ist. Hier
können die vertragschließenden Parteien inhaltlich fast alles selber
bestimmen, also zB auch neue Vertragstypen schaffen oder bestehende
kombinieren. Dadurch wird größte Sach- und Problemnähe gewährleistet.
– Freilich: Auch innerhalb des Schuldrechts zieht der Gesetzgeber
da und dort Grenzen und erlässt sog Schutzgesetze oder doch Schutzbestimmungen; zB
im Arbeitsrecht, MRG, KSchG, PHG oder § 864a ABGB. | Sach- und Problemnähe |
So wichtig
die Gestaltungs- oder Inhaltsfreiheit für die Vertragspraxis ist,
so soll nicht verschwiegen werden, dass sie immer wieder auch Probleme
schafft, weil Zweifel bestehen, wie ein bestimmter Vertragsinhalt
zu „qualifizieren” ist. Denn mit der Bezeichnung als Typus „X“ ist
es noch nicht getan. – So ist die Typisierung des
Softwareüberlassungsvertrags streitig.
Das Meinungsspektrum reicht vom Kauf, über die Annahme eines Werk-
oder Lizenzvertrags bis hin zur gallertigen Einstufung als Vertrag
oder
contractus
sui generis; vgl Aicher in Rummel, ABGB 2
§ 1053 Rz 52. Eine erste Hilfestellung mag es sein, dass die Qualifikation
immer nur im Einzelfall und nicht generell erfolgen kann. So wird
eine individuell maßgeschneiderte Software für ein bestimmtes Unternehmen
in Richtung Werkvertrag ( → KAPITEL 12: Der
Werkvertrag)
tendieren, Software von der Stange” dagegen zum Kauf → KAPITEL 2: Kauf
und Tausch.
Zur Sachqualität von Software → KAPITEL 8: Bedeutung
der
Unterscheidung . | Wie
sind „neue Typen“ rechtlich zu behandeln? |
Für
andere Teile des Privatrechts, die für den gesellschaftlichen Grundkonsens
besonders wichtig sind, wie das Sachenrecht (Zweck: überschaubare
Sachgüterzuordnung → KAPITEL 8: Recht
der Sachgüterzuordnung),
Erbrecht oder das Familienrecht gilt die Inhaltsfreiheit nicht oder
doch nicht in gleichem Masse. | Einschränkungen der Inhaltsfreiheit |
| |
Vorsorgliche
– iSv auch die Entwicklung künftiger Möglichkeiten bedenkende und
mögliche Schwierigkeiten vorweg ausräumende – Vertragsgestaltung
wird als
Kautelarjurisprudenz bezeichnet.
Es handelt sich um eine wichtige und verantwortungsvolle Aufgabe
rechtlicher Berufe, die Erfahrung und Einfühlungsvermögen verlangt.
Mit dem Abschreiben von Vertragstexten aus „Schimmelbüchern” ist
es nicht immer getan! Dabei werden nicht nur einzelne Verträge oder andere
Rechtsgeschäfte – zB Testamente – verfasst und eine oder auch beide
Vertragspartei/en beraten, sondern zB auch Musterverträge, AGB ( → KAPITEL 6: Allgemeine
Geschäftsbedingungen)
und Vertragsformblätter (vgl § 864a ABGB) entworfen und überhaupt
Parteien bei Vertragsverhandlungen begleitet. | Kautelarjurisprudenz |
|
SZ
69/283 II (1996): Das Verfassen
von Vertragsentwürfen durch Rechtsanwälte genießt Urheberrechtsschutz;
Voraussetzung: eigene schöpferische Leistung. Vgl auch SZ 43/140. | |
|
| |
Mitunter geht
rechtliche Hilfe(stellung) zu weit und wird dann unerlaubt; Beihilfe
zur Gesetzesübertretung und Gesetzesumgehung. – Derartige unerlaubte
Hilfe birgt jedoch für Rechtsanwälte und Notare – neben standesrechtlichen
Folgen – auch zivilrechtliche Gefahren; vgl das folgende Beispiel. | Beihilfe
zur
Gesetzesübertretung und Gesetzesumgehung |
|
wobl 1995,
90: Haftung für die Kosten der Errichtung eines Kaufvertrags. Dem
Rechtsanwalt steht kein Entlohnungsanspruch zu,
falls er einen Vertrag auftragswidrig verfasst oder eine sonst für
den Klienten völlig wertlose Tätigkeit verrichtet. Der Klient haftet
dem Rechtsanwalt auch dann als Auftraggeber für die Vertragserrichtungskosten
(hier: eines Kaufvertrags über eine Eigentumswohnung), wenn die
Kosten vereinbarungsgemäß auf den Käufer überwälzt worden sind und
der Käufer im Kaufvertragsentwurf aus steuerlichen Gründen als alleiniger
Auftraggeber der Vertragserrichtung bezeichnet wird. – Zum Verhältnis
und zur Tragweite von Scheingeschäften und verdeckten Geschäften → Scheingeschäft
/ Simulation: § 916 ABGB
| |
|
| |
Formfreiheit gilt
wiederum vor allem für das Schuldrecht und damit für alle Schuldverträge.
Wie wir gehört haben, ist sogar der Liegenschaftskauf formfrei gültig → KAPITEL 2: Besonderheiten
des Liegenschaftskaufs.
– Formpflicht besteht nur ausnahmsweise: zB für Schenkungen „ohne
wirkliche Übergabe” (§ 943 ABGB); oder einseitig für den Bürgen
– und zwar nur für seine Verpflichtungserklärung – nach § 1346 Abs
2 ABGB; beim Ratenkauf / Abzahlungsgeschäft (Errichtung eines Ratenbriefes:
§ 24 Abs 1 KSchG) sowie nach dem Bankwesengesetz (BWG) für den Abschluss
von Verbraucherkreditverträgen (§ 33 Abs 2 BWG) und Verbrauchergirokontoverträgen
(§ 34 Abs 2 BWG). Als Vorbild der neuen Regelungen nach dem BWG
diente die Ratenbriefregelung des KSchG. Die Regelungen des BWG
geben auch inhaltliche Mindestregelungen vor und beschränken insoferne auch
die Inhaltsfreiheit. – Mehr zur Form → KAPITEL 15: Die
Form (im Privatrecht). | |
In manchen
Teilen des Privatrechts – insbesondere außerhalb des Schuldrechts
– kommt der gesetzlichen Form größere Bedeutung zu; zB im Familienrecht
(Form der zivilen Eheschließung: §§ 15, 17 EheG), insbesondere aber
auch im Erbrecht: zB Testamentsform. | |
| |
| |
So
wie die Parteien Verträge frei abschließen können, und darin den
Beginn einer konkreten Rechtsbeziehung festlegen, können sie diese
auch einvernehmlich (im Rahmen der Dauerschuldverhältnisse sogar
einseitig → KAPITEL 6: Bedeutung
der Unterscheidung) wieder beenden. Das ist grundsätzlich
immer möglich. – Man spricht von contrarius actus. | |
| |
III. Gemischte
und atypische Verträge | |
| |
| |
Das Schuldrecht
kennt – wie wir gehört haben – keinen Typenzwang. Eine wichtige
Konsequenz der im Schuldrecht bestehenden Vertragsfreiheit ist es
daher, dass verhandelnde Parteien nicht nur im Gesetz vorgeformte
Vertragstypen – zB einen Kauf- oder Werkvertrag – vereinbaren können, sondern
auch neue Typen schaffen (sog atypische Verträge,
römisches Recht: Innominatkontrakte; contracta sui generis) und
bestehende, also kodifizierte Typen untereinander sowie mit neuen
Typen(elementen) kombinieren können; gemischte oder mehrtypische
Verträge; contracta mixti iuris / generis. | |
Die
Rechtspraxis macht davon immer wieder Gebrauch, weil dadurch den
Vorstellungen und Bedürfnissen der Vertragsparteien in erhöhtem
Maße Rechnung getragen werden kann. Dh: Die verhandelnden und vertragschließenden
Parteien können für ihre speziellen Zwecke bestehende Verträge modifizieren
oder neue schaffen. Die Vertragsfreiheit sorgt daher für optimale
praxisgerechte (Vertrags)Adaptierung und eröffnet die Möglichkeit
einer hohen Regelungs- und Problemnähe. | Regelungs- und Problemnähe |
|
SZ 27/222 (1954): Voraussetzungen
der Beurteilung eines Leibrentenvertrags ( → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte) als
gemischte Schenkung. | |
- OGH 21.4.2005, 6 Ob 69/05y - Mobilfunkvertrag: Ist ein gemischter Vertrag mit überwiegenden Elementen des freien Dienst- und Bestandvertrags; allfällige zusätzliche Werkvertragselemente treten dem gegenüber so stark zurück, dass eine unmittelbare Anwendung des § 15 Abs 1 KSchG und der dort vorgesehenen günstigeren Kündigungsregelungen ausscheidet. – Fundstelle: EvBl 2005/166 = JBl 2005, 735 ff | |
| |
|
| |
| Gesetzliche Vertragstypen – Gruppen |
•
Veräußerungsverträge: Kauf,
Tausch, Schenkung | |
•
Gebrauchsüberlassungsverträge:
Miete, Pacht, Leihe, Darlehen | |
•
Dienstleistungsverträge: Dienst-
oder Arbeitsvertrag, freier Dienstvertrag, Werkvertrag, Auftrag, Verwahrung | |
•
Gesellschaftsverträge: GesbR
(§§ 1175 ff ABGB), Personengesellschaften des Handelsrechts (OHG,
KG), Kapitalgesellschaften (GmbH, AG), Genossenschaften, (eingetragene)
Erwerbsgesellschaften (OEG, KEG) | |
•
Glücksverträge: → KAPITEL 12: Glücksverträge ¿ Gewagte Geschäfte. | |
•
Sicherungsverträge: Bürgschaft,
Pfandbestellungsvertrag; dazu kommen weitere nicht zu eigenen Vertragstypen
ausgestaltete Sicherungsmittel → KAPITEL 15: Überblick. | |
| Neue „Typen” iwS sind zB: |
•
der Kredit(eröffnungs)vertrag
→ KAPITEL 3: Der
Kredit(eröffnungs)vertrag; | |
•
der freie
Dienstvertrag (zB: der übliche Behandlungsvertrag zwischen
Arzt und Patient → KAPITEL 12: Der
sog freie Dienstvertrag); | |
• der Inkassovertrag
→ KAPITEL 14: Inkassozession. | |
•
der Garantievertrag (Bankgarantie) → KAPITEL 15: Garantievertrag
und Bankgarantie; | |
•
das Factoring
→ KAPITEL 14: Das
Factoring:
EvBl 1994/143; | |
•
Franchising
→ Franchising; | |
• der Lizenzvertrag (→ Lizenzvertrag)
und– der Know-How-Vertrag
→ Know
how-Vertrag; | |
•
Sponsorverträge
→ Leasing; | |
•
der Ergebnisabführungsvertrag (als
Unternehmensvertrag): → KAPITEL 14: Bankgeschäfte Vereinbarung
wonach eine Gesellschaft / juristische Person ihren ganzen Gewinn
an eine andere Gesellschaft abzuführen hat, die sich ihrerseits
verpflichtet, den ganzen Verlust der „Organgesellschaft” zu übernehmen;
vgl EvBl 1999/200. | |
| Typische Mischverträge sind: |
•
das Leasing:
bestehend aus Miete und Kauf etc: Mietkauf! → Leasing; | |
•
die gemischte
Schenkung: Schenkung und Kauf → KAPITEL 3: Arten
der Schenkung;
zB in Gutsübergabe- oder Leibrentenverträgen (§§ 1284-1286 ABGB); | |
•
Kauf und Tausch; | |
•
Dienstvertrag und Auftrag; | |
•
der Tankstellenvertrag (OGH
JBl 1986, 721 und 1987, 41) verbindet Bestandvertrag / genauer: Pacht-,
mit Dienst- und Kaufvertrag (Abnahmeverpflichtung!). | |
•
Ein typischer Mischvertrag
aus mehreren herkömmlichen Typen ist auch der Gastaufnahme-
/ Beherbergungs- / Pensionsvertrag, der Elemente von Kauf,
Miete, Werkvertrag, Verwahrung und allenfalls weitere Elemente (zB
Geschäftsbesorgung / Auftrag) enthält. | |
• Zur Typendiversifikation im Bereich des Werkvertrags
→ KAPITEL 12: Der
Werkvertrag. | |
| Nicht gesetzlich geregelt sind derzeit bspw
folgende Verträge: |
•
der allgemeine Bankvertrag (beinhaltend:
Girokontoeröffnung und -prüfung, Scheckauszahlung und Scheckkartenverkehr,
Überweisungs- und Lastschriftenverkehr mit Überziehungskredit) → KAPITEL 14: Bankgeschäfte; | |
•
der Alten-
und Pflegeheimvertrag →
Heimvertrag – Pflegegeld
| |
• "Contracting" | |
| |
| |
•
der Filmverleih-
und Filmverwertungsvertrag | |
•
der Kreditkartenvertrag | |
• Bühnenaufführungsvertrag | |
• Joint-Venture-Verträge | |
• Management- und Consultingverträge | |
• Poolverträge usw. | |
2. Rechtsanwendungsregeln | |
Für die Rechtsanwendung stellt sich für gemischte und atypische
Verträge die Frage, welche gesetzlichen Bestimmungen für solche
Neuschöpfungen oder Kombinationen gelten sollen. | |
Anders ausgedrückt: Welche gesetzlich vorgebildeten oder
doch richterrechtlich entwickelten Regeln sind auf atypische oder
Mischverträge anzuwenden? – Zunächst gilt als Merkregel:
Der Mischvertrag oder neue Typus ist danach zu beurteilen, was seinem
Zweck und den Leistungspflichten der Parteien nach dem Parteiwillen
am besten entspricht. | |
| |
3. Regeln
zur rechtlichen Behandlung neuer Vertragsformen | |
§ 1055 ABGB bestimmt
für Mischungen aus Kauf und Tausch, dass auf den konkreten Vertrag
der vorherrschende Typus anzuwenden ist; sog Absorptionsprinzip.
Das schwächere Typuselement bleibt dabei unberücksichtigt. | |
Vgl
auch § 1091 ABGB (Miete und Pacht): „Werden durch einen Vertrag
Sachen von der ersten und zweiten Art zugleich in Bestand gegeben,
so ist der Vertrag nach der Beschaffenheit der Hauptsache zu beurteilen.”
– Dieser Gedanke wird über die gesetzlichen Regelungen hinaus ausgedehnt. | |
Ein
anderes Prinzip enthält § 1151 Abs 2 ABGB: Dienst- und Werkvertrag
sowie Geschäftsbesorgung gelangen danach nebeneinander, also parallel
und gleichzeitig zur Anwendung; sog (Typen)Kombination. | |
Vgl auch § 1403 Abs 1 Satz 2 ABGB: Typenkombination von
Anweisung und Bevollmächtigungsvertrag. | |
Neben Absorption und Kombination
besteht noch die weitere Möglichkeit der (Gesetzes- und Rechts)Analogie;
§ 7 Satz 1 ABGB. Zur Anwendung gelangt hier kein konkreter – gesetzlich
vollständig geregelter – Typus, sondern zB nur die allgemeinen Regeln
des Schuldrechts, insbesondere die für Dauerschuldverhältnisse. | |
|
EvBl 1969/215:
Fernlehrkurs als Vertrag eigener Art / contractus sui generis. | |
|
Entsprechend der höchsten
Analogiestufe des § 7 Satz 2 ABGB, den natürlichen Rechtsgrundsätzen
( → KAPITEL 11: Beispiele
zur Anwendung der ¿natürlichen
Rechtsgrundsätze¿), kann ein weiter Anwendugnsschritt unterschieden
und dabei von einer Neuschöpfung- oder Kreation gesprochen werden;
Möglichkeit des Entstehens von Richterrecht zur Behandlung von Innominatkontrakten
nach den Grundregeln der Privatrechtsordnung. Die Rspr spricht auch
hier von contracta sui generis, womit inhaltlich wenig ausgesagt
wird. | Neuschöpfung-
oder Kreation |
| |
|
EvBl 1977/82: § 1165
ABGB (§§ 859, 1053 ABGB): Erwirkung von Werbeaktionen für
Beat-Veranstaltungen und Auftritt als Conferencier bei
diesen Veranstaltungen gegen Zahlung eines Honorars und entsprechender
Gestaltung der Plakate – Innominatkontrakt / Vertrag eigener Art.
– In der zwischen den Streitteilen getroffenen Vereinbarung verpflichtete
sich der Beklagte, für die vom Kläger beabsichtigten Beat-Veranstaltungen
in Steyr und Dornbirn verschiedene Werbeaktionen (Hinweis auf die
Veranstaltungen in Zeitungen, im Rundfunk und Fernsehen, Auftreten
einzelner Beat-Gruppen in Fernsehsendungen) zu erwirken und bei
diesen selbst als Conferencier aufzutreten; der Kläger hingegen
sollte dem Beklagten ein Honorar von insgesamt 10.000,- S entrichten
und in die zu druckenden Plakate dessen Namen als den eines Conferenciers
aufnehmen. – Die Übereinkunft der Streitteile lässt sich keinem
normierten Vertragstyp unterstellen und ist daher als gesetzlich
nicht geregelter Innominatkontrakt (Ehrenzweig2 II/1,
181) zu betrachten. In den gedruckten Werbeplakaten schien der Name
des Beklagten als Conferencier der beiden Beat-Veranstaltungen nicht
auf. Diese Nichterfüllung einer nach den Feststellungen der Unterinstanzen
wesentlichen Vertragspflicht berechtigte den Beklagten zum Vertragsrücktritt nach
§ 918 ABGB, welcher in der Einstellung seiner weiteren Tätigkeit
für den Kläger zu erblicken ist. Eine Nachfristsetzung war entbehrlich,
weil der Kläger die Erfüllung seiner eben erwähnten Vertragspflicht
in einer Weise verweigert hat (Drucken des Plakates ohne Aufnahme
des Namens des Beklagten als Conferencier), die eine Nachholung
der Erfüllung innerhalb einer ihm zu setzenden Nachfrist ausgeschlossen
erscheinen ließ (Gschnitzer in Klang2 IV/1,
458; Ehrenzweig2 II/1, 206; SZ 31/118;
SZ 40/53 uam). Der vom Kläger verschuldete Vertragsrücktritt berechtigte
den Beklagten, den Ersatz des ihm durch das Unterbleiben des Leistungsaustausches
erwachsenen Schadens zu begehren (HS 5328). Dieser besteht im Hinblick
auf die mangelnde Behauptung eines weiteren Schadens in den dem
Beklagten durch seine Tätigkeit für den Kläger erwachsenen, vom
Erstgericht (gemäß § 273 Abs 1 ZPO) mit 3.000,- S festgesetzten
Auslagen und wird durch die vom Beklagten erhaltenen Vorschüsse
in der gleichen Höhe gedeckt. | |
|
4. Vertragsverbindung
oder -koppelung | |
Von den gemischten
oder mehrtypischen Verträgen zu unterscheiden ist die Vertragsverbindung oder
Vertragskoppelung. Hier verlaufen zwei oder mehrere selbständig
bleibendeVerträge/Typen parallel zueinander, wobei
der eine oder andere Vertrag allerdings vom anderen in gewisser
(funktioneller) Weise abhängig ist, weil er mit ihm in einem inneren,
geschäftlich-wirtschaftlichen Zusammenhang steht. – Hier sind auf
jeden einzelnen Vertrag, die für ihn maßgeblichen Regeln anzuwenden.
Zwischen den selbständig bestehenbleibenden Verträgen besteht mitunter
rechtlich eine explizite konditionale Koppelung; dies etwa in dem
Sinne, dass dann, wenn der eine endet, auch der andere beendet werden
muss oder doch kann. | |
| |
| |
Eine typische
Neuentwicklung ist das Leasing, das aus steuerlichen und betriebswirtschaftlichen Überlegungen
entstanden ist. Leasing dient heute vornehmlich als Finanzierungsinstrument.
– Der Leasingvertrag tritt im Rechts- und Wirtschaftsleben in verschiedenen
Varianten auf, ist aber gesetzlich nicht geregelt. | |
| Abbildung 5.25: Leasing-Neugeschäft in Österreich |
|
Terminologie:
Leasinggeber / LG und Leasingnehmer / LN. | Definition |
Definition – Gemeinsamkeiten: Beim typischen
Leasingvertrag gewährt der LG dem LN den Gebrauch / die Nutzung
einer Sache gegen laufendes Entgelt; Leasingentgelt- oder Leasingrate.
– Der LG bleibt weiterhin Eigentümer des Leasingobjekts. Die dem
LN verschaffte Rechtsposition gleicht der eines Käufers. | |
Mögliche Leasingobjekte sind
Sachen aller Art; Konsum-, wie Investitionsgüter. Sie können – und das
ist an dieser Rechtsform interessant – „erworben” werden, ohne den
Kaufpreis zur Gänze und sofort entrichten zu müssen. Sei es, dass
eine Schule oder ein Kraftwerk ( Immobilienleasing) gebaut,
sei es, dass ein Kraftfahrzeug oder Fernsehgeräte ( Mobilienleasing)
angeschafft werden, oder sogar Arbeitskräfte gewerblich überlassen
werden, freilich nicht als Leasingobjekte; zum sog Personalleasing
(Leiharbeit / Arbeitskräfteüberlassung) → KAPITEL 12: Arbeitnehmerüberlassung. | Leasingobjekte |
Wer
ist Leasinggeber ? – Einerseits der Hersteller des Gutes,
andererseits ein Händler oder – wie häufig – ein eigenes Leasing-Finanzierungsinstitut,
etwa eine Bank: zB X-Bank Leasing-GesmbH. | Leasinggeber und -nehmer |
Wer ist Leasingnehmer ?
– Privatpersonen / Verbraucher und Kaufleute. | |
Gefahrtragung und Instandhaltungspflicht:
Anders als bei der Miete (!) trägt beim Leasing grundsätzlich der
LN die Gefahr, dh den Nachteil für den zufälligen Untergang oder
die Beschädigung / Verschlechterung der Sache. Ihn trifft – ebenfalls
abweichend von der Miete – auch die Instandhaltungspflicht. | Gefahrtragung |
In
Bezug auf die Zulässigkeit der Gefahrüberwälzung auf
den LN hat die Praxis Grundsätze entwickelt: Weitgehend unzulässig
ist danach die Gefahrüberwälzung beim Operating-Leasing, grundsätzlich
zulässig beim Finanzierungsleasing. – Zum Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen
beim sog selbständigen Finanzierungsleasing gleich unten: MietSlg
31.165. – Für Verbraucher ist allenfalls § 864a ABGB zu beachten:
Ungewöhnlichkeit. Für Kaufleute gelten strengere Maßstäbe; vgl SZ
53/128 (1980). | |
| |
Worin
liegt der Steuervorteil von Miete oder Leasing
gegenüber dem Kauf? Er liegt darin, „dass das Mietentgelt (Leasingrate)
als Betriebsausgabe den Gewinn und damit idR die Steuerbelastung sofort
vermindert, während im Falle des Kaufes der Kaufpreis zunächst akontiert
werden muss.” (Doralt / Ruppe) – Leasingraten sind als Betriebsausgaben
zur Gänze absetzbar, während beim Kaufpreis eine Abschreibung über
mehrere Jahre erfolgt! | Steuervorteil |
| |
Ähnlichkeiten
bestehen einerseits zur Miete, andererseits zum Kauf, insbesondere
zum Raten- und Kreditkauf. – Abzugrenzen ist das Leasing aber vom
bloßen Mietkauf: Das ist ein (normaler) Mietvertrag
gekoppelt mit Kaufoption (am Ende der Vertragsdauer). Das Leasing
hat sich über diesen Mischvertrag hinaus entwickelt. – Man kann
sagen: Leasing ist ein Mietvertrag besonderer Art, dh insbesondere
mit modifizierter Gefahrtragung und Instandhaltungspflicht. Das
hat Folgen für die Rechtsanwendung: Die gesetzlichen Regeln des
Mietvertrags sind entsprechend – dh modifiziert um die unterschiedlichen
Gefahr- und Kostentragungsregeln – anzuwenden. | Rechtliche Einordnung |
Arten des Leasing: | |
| Abbildung 5.26: Leasing: Rechtliche Beziehungen |
|
Finanzierungsleasing /
financial lease: Hier kauft der LG das Leasingobjekt auf Wunsch
des LN, übernimmt also eine Finanzierungs-Rolle; daher Finanzierungsleasing!
Auch hier wird das Leasingobjekt dem LN zur Nutzung überlassen,
wobei der LN alle mit der Nutzung verbundenen Kosten zu tragen hat.
– Eine Variante des Finanzierungsleasing ist das Full-Service-Leasing (operating lease):
Hier übernimmt der LG (gegen weiteres Entgelt) zB auch Reparatur,
Service, Versicherung etc. | Arten
des Leasing |
| |
|
MietSlg 31.165 (1979):
Ist beim sog selbständigen Finanzierungsleasing –
wenn also nicht der LG, sondern ein Dritter (Lieferant) unmittelbar
an den LN über dessen Bestellung den geleasten Gegenstand ausgeliefert
hat – der LG berechtigt, die Bezahlung der Leasingraten für die
ganze Vertragsdauer trotz des Umstandes zu verlangen, dass das Gerät
für den LN unbrauchbar (geworden) ist, so hat der LG (je nach Vereinbarung)
die ihm als Käufer gegen den Lieferanten zustehenden Gewährleistungsansprüche
an den LN abzutreten oder auf dessen Gefahr und Kosten selbst geltendzumachen.
Lehnt der LG ein derartiges Begehren ab, so ist der LN vor Erfüllung
dieser Vertragspflicht (durch den Leasinggeber) gemäß § 1051 ABGB
nicht gehalten, seinerseits zu erfüllen .... – Kommt es aber zur
Wandlung des Kaufvertrages, so wird damit wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage
auch der Leasingvertrag aufgehoben .... Gemäß den §§ 877, 1435 ABGB
haben LG und LN einander alles zurückzustellen oder zu vergüten,
was sie aus dem unwirksam gewordenen Leasingvertrag zu ihrem Vorteil
erhalten haben. | |
|
Operating-Leasing:
Dabei handelt es sich um eine Sonderform der Miete über Investitionsgüter. Das
idente Leasing-Objekt wird aufeinanderfolgend mit kurzen Vertragszeiten
an verschiedene LN vermietet, wobei die Sach- und Preisgefahr beim
LG bleibt und auch eine ordentliche Kündigung möglich ist. Der Begriff
Leasing wird hier nur aus marktpsychologischen Gründen gebraucht. | Operating-Leasing |
Die Antwort auf die Frage: Leasing
oder Kauf? (insbesondere Ratenkauf) hängt von der finanziellen Situation
eines Unternehmens und vom jeweiligen Anlagegut ab. Für das Leasing
spricht, dass das Leasing-Objekt nicht im Voraus bezahlt werden
muss, also keine unmittelbar Liquiditätsbelastung mit sich bringt.
Dazu kommt, dass das Kapital nicht im Anlagevermögen des Unternehmens
gebunden wird und daher anderweitig eingesetzt werden kann. Leasing ermöglicht
eine 100-prozentig Fremdfinanzierung; und dies ohne weitere Sicherheiten
über das Leasing-Objekt hinaus. Leasing erfüllt die goldene Finanzierungsregel:
Pay as you earn, was meint: Die Leasing-Raten können aus den erwirtschafteten
Erträgen geleistet werden. Leasing für begrenzte Zeit löst auch
die Frage des Überalterungsrisikos von Anlagegütern; Slogan: „Wer
least, bleibt beweglich!” Leasing ist auch bilanzneutral: Leasing-Raten müssen
in der Handels- und Steuerbilanz ebenso wenig passiviert werden
wie normale Mietzinszahlungen. | Leasing als Investitions- und
Finanzierungsmethode |
Wirtschaftlich-rechtliche
Beurteilung: Leasing verdankt seinen Erfolg insbesondere
den steuerrechtlichen Vorteilen für LN: Wirtschaftliches Eigentum
im Steuerrecht: LG ist Eigentümer auch nach (ertrags)steuerrechtlicher
Behandlung. Woraus mehrfache steuerrechtliche Vorteile resultieren:
Einkommens-, Körperschafts-, Gewerbe Gefahrtragung -, Vermögenssteuer
etc. Vor allem aber werden die in der Handels- und Steuerbilanz
auszuweisenden Aktiva des LN (durch Überlassung des Leasing-Objekts)
nicht vermehrt. Der LN kann vielmehr die Leasing-Raten als Betriebsausgaben
absetzen und ist nicht auf Abschreibung für Abnutzung (AfA) beschränkt. | Beurteilung |
Begriff
des wirtschaftlichen Eigentums = steuerrechtliche
Zurechnung eines Vermögensgegenstandes an eine Person; wirtschaftliche
Betrachtungsweise des Steuerrechts! | Wirtschaftliches Eigentum |
Steuerliche Vorteile des Leasing-Geschäfts setzen aber voraus,
dass das konkrete Leasing steuerlich nicht als verdeckter Kauf anzusehen
ist; Gefahr bei Kaufoption. | |
Im Kostenvergleich ist Leasing aber häufig
teurer als ein Kredit oder Kauf. Der Grund dafür liegt darin, dass
in den Leasing-Raten oft eine hohe Gewinnspanne steckt. Es sollte
daher in jedem Einzelfall gut überlegt werden, welcher Vertrag geschlossen
wird. | |
Auch
bei der Treuhand ( → KAPITEL 15: Die Treuhand)
ist der Treugeber und nicht der Treuhänder wirtschaftlicher Eigentümer!
Bedeutsam ist dies im Konkurs des Treugebers. Der Treuhänder, als
bloß formeller Eigentümer, hat kein Aussonderungsrecht nach § 44
KO, sondern nur ein Absonderungsrecht nach § 48 ff KO. | |
| |
Mit dem Lizenzvertrag werden gewerbliche
Schutzrechte, insbesondere Patente an
andere Personen zur Nutzung überlassen; vgl § 33 Abs 2 iVm § 35
PatG 1970 oder § 11 Abs 2 MarkG und
§ 10 MuSchG. | |
Der Lizenzvertrag
ist ein Vertrag eigener Art (contractus sui generis), am ehesten
aber der Rechtspacht vergleichbar, der uU mit Kaufelementen versetzt
ist. – Lizenz ist (idR) das von einem Patentinhaber
erteilte Recht, eine Erfindung zu nutzen, wobei dieses Recht sowohl
örtlich, als auch zeitlich begrenzt sein kann, und auch mehreren
Personen zugleich zustehen kann. | |
| |
Er ist vom Lizenzvertrag
abzugrenzen: Mit ihm wird technisches, kaufmännisches und betriebswirtschaftliches
Wissen / exklusives Spezialwissen (Betriebserfahrungen und -geheimnisse
etc), das nicht durch ein gewerbliches Schutzrecht geschützt ist,
rechtlich übertragen. Haftung und Geheimhaltung werden im jeweiligen
Vertrag detailiert geregelt. – Auch der Know how-Vertrag kommt aus
dem anglo-amerikanischen Rechtskreis und tritt in vielen (Erscheinungs)Formen
auf. | |
Terminologie: Know how-Geber und Know how-Nehmer. | |
In
seiner Entstehung war der Know how-Vertrag eng
mit dem Patentwesen verbunden. Auch ohne Erfindungscharakter und
Patentierbarkeit sollte exklusives Wissen rechtlich abgesichert
übertragen werden können. So wurden bspw Erfahrungen und Kenntnisse
über komplizierte industrielle / gewerbliche Fertigungsprozesse
zwischen Firmen / Unternehmen entgeltlich übertragen; technical informance,
manufacturing experience. Auf diese Weise können sich einzelne Unternehmen
hohe personelle und finanzielle Aufwendungen für Forschung, Entwicklung
und Erprobung von Produkten ersparen. | Entstehung |
Anders
als beim Lizenzvertrag wird beim Know how-Vertrag idR kein ausschließliches
Recht übertragen, sondern Know how wird stets an mehrere Interessenten
veräußert werden; insbesondere örtlich gestreut. – Auch beim Lizenzvertrag
ist das aber möglich. | Kein ausschließliches Recht |
Ursprünglich betrafen Know how-Verträge
fast ausschließlich die Übertragung von technischem Spezialwissen (industrial
know how); erst nach dem Zweiten Weltkrieg trat daneben immer stärker
die Übertragung nicht technischen, insbesondere gewerblichen Wissens
in Erscheinung; commercial know how. | |
Die rechtliche Einordnung des Know how-Vertrags
ist schwierig und muss im Einzelfall vorgenommen werden: | Rechtliche
Einordnung |
• Bei endgültiger Übertragung
liegt häufig Kauf- oder Werkvertrag vor, bei Überlassung auf Zeit dagegen
Miete oder (Rechts)Pacht. | |
•
Wie Lizenzverträge sind auch
Know how-Verträge Dauerschuldverhältnisse, auf die die allgemeinen
Regeln des Schuldrechts, insbesondere die für Dauerschuldverhältnisse
(am ehesten Miete und Pacht) anzuwenden sind. | |
•
Nach hA ist der Know
how-Vertrag bloßer Schuldvertrag und vermittelt keine mit Drittwirkung ausgestaltete
Rechtsposition; wie zB der Patent- oder Lizenzvertrag. | |
•
Die Vielfalt der
Ausgestaltungsmöglichkeiten verbietet es, generell von einem Vertrag
sui generis zu sprechen; im Kernbereich ist dies aber möglich. Der
typische Know how-Vertrag ist ein zweiseitig verpflichtender entgeltlicher
Vertrag sui generis, dessen Hauptpflichten (des Know how-Gebers)
einerseits dienstvertragsähnlich (= Verpflichtung zur Verschaffung
von Know how) und andrerseits pachtvertragsähnlich (= Verpflichtung
zur Nutzungs- und Verwertungsüberlassung) sind. Im Falle eines Rechtsstreits
erscheint es aber unverzichtbar, den einzelnen Know how-Vertrag
im Hinblick auf die in ihm geregelten Parteiinteressen und die darin
festgelegten Rechte und Pflichten zu beurteilen. | |
| Abbildung 5.27: Franchising |
|
| |
| |
Wie
das Leasing kommt auch das Franchising aus den USA. – Franchising
wird auch in Österreich immer beliebter. Auf dem Vormarsch sind
insbesondere kleine und mittlere Betriebe und der Dienstleistungssektor.
Derzeit sind in Österreich ca 300 Franchising-Systeme auf dem Markt
mit mehr als 3000 Franchisingnehmern. Etwa die Hälfte dieser Systeme
sind ausländischen Ursprungs, der Großteil aus Deutschland. Die
Zahl der in Österreich entwickelten Konzepte nimmt aber ständig
zu. – Auf Dienstleistungsfranchising entfällt in
Österreich etwa die Hälfte aller Systeme. Das Vertriebsfranchising wächst
dagegen nur mäßig und das Produktionsfranchising stagniert. | |
Das Wort „Franchise” stammt aus dem Französischen
– und wurde idF anglisiert – und bedeutet „Privileg” oder „Konzession”.
Seit der Jahrhundertwende dient der Begriff der Bezeichnung einer
privatunternehmerischen Form der Kooperation unter gleichzeitiger
Übertragung von Rechten. | |
Franchising (F)
begann als besondere Form des Warenvertriebs über bestimmte Händler;
sog reines Produkt-Franchising / straight product
franchising. Im Außenverhältnis selbständig, sind
die Händler im Innenverhältnis an den jeweiligen
Hersteller gebunden. – Nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte sich
daneben das Franchising der „zweiten” Generation; sog Betriebs-Franchising /
entire business franchising. Die F-Beziehung erfasst hier nicht
nur ein einzelnes Produkt, sondern den ganzen Betrieb des FN. Der
FG erbringt für den FN ein idR umfassendes Leistungspaket; Ausstattung
des Betriebs, Konzept der Geschäftspolitik, Betriebsführungsorganisation
etc. | |
•
Betriebswirtschaftlich und rechtlich
handelt es sich beim Franchising um eine Vertriebsmethode für
Konsumgüter oder Dienstleistungen, die eine funktionale Variante
des Filialsystems darstellt, wobei der signifikante Unterschied
darin liegt, dass der FN selbständiger Unternehmer
ist / bleibt. | |
- KautelarjurisprudenzFranchisegeber (FG)
und Franchisenehmer (FN). – Die Interessenbeziehungen
zwischen FG und FN können sehr unterschiedlich ausgestaltet sein,
weshalb der Ausarbeitung des Vertrags große Bedeutung zukommt. | Parteien |
| Abbildung 5.28: Franchising in Europa und den USA |
|
Der FG überträgt zB den Vertrieb einer
Geschäftsidee oder eines Produkts, einer Dienstleistung oder alles
zusammengenommen auf den FN, der das idR unter einem bestimmten
Namen, Symbol oder in bestimmter Ausstattung entwickelte „Produkt”
vertreiben soll. Dabei wird der FN idR strikt an die (Vertriebs)Vorgaben
– wie Werbung, Marketing, Mindestkontingente – des FG gebunden und
unterliegt dessen Inspektion und Kontrolle. Die Rechtsübertragung
erfolgt typischerweise exklusiv für bestimmte geographische
/ örtliche Gebiete. | Wirtschaftlicher
Vertragsinhalt |
Auch hier besteht die Gefahr der Knebelung,
zumal es sich bei FG oft um mächtige Marken / Firmen handelt, von deren
Bekanntheitsgrad der FN auf der anderen Seite wiederum profitiert.
Vgl damit die Problematik bei Bierbezugsverträgen → KAPITEL 6: Rechtsprechungsbeispiele .
Zur Vermeidung unseriöser Praktiken wurde von der European Franchise Federation
(seit 1972) ein Europäischer Verhaltenskodex für Franchise geschaffen,
der zugleich Ehrenkodex für die Mitglieder des Österreichischen
Franchise-Verbandes ist. Dieser Verhaltenskodex ist eine sachdienliche
Zusammenstellung von wesentlichen Vorschriften fairer Verhaltensweisen
für die F-Praxis in Europa. | |
Begriffsumschreibung
nach dem Europäischen Franchising-Kodex: „Franchising
ist ein Vertriebssystem, durch das Waren und/oder Dienstleistungen
und/oder Technologien vermarktet werden. Es gründet sich auf eine
enge und fortlaufende Zusammenarbeit rechtlich und finanziell selbständiger
und unabhängiger Unternehmen, den FG und seine FN. Der FG gewährt
seinen FN das Recht und legt ihnen gleichzeitig die Verpflichtung
auf, ein Geschäft entsprechend seinem Konzept zu betreiben. Dieses
Recht berechtigt und verpflichtet den FN, gegen ein direktes oder indirektes
Entgelt im Rahmen und für die Dauer eines schriftlichen zu diesem
Zweck zwischen den Parteien abgeschlossenen Franchisevertrag bei
laufender technischer und betriebswirtschaftlicher Unterstützung
durch den FG, den Systemnamen und/oder das Warenzeichen und/oder
die Dienstleistungsmarke und/oder andere gewerbliche
Schutz- oder Urheberrechte sowie das Know-how,
die wirtschaftlichen und technischen Methoden und das Geschäftssystem
des FG zu nutzen.” | |
Als
Schuldvertrag ist der Franchisingvertrag grundsätzlich formfrei.
– Wird dabei aber eine Patentlizenz eingeräumt oder ein Musterrecht
übertragen, muss dies zur Wirksamkeit gegenüber Dritten schriftlich
erfolgen und im Patent- oder Musterregister eingetragen werden;
vgl bspw §§ 10, 22 Abs 2 MuSchG. | Form? |
| Abbildung 5.29: Österreichs größte Franchise-Systeme |
|
Zu
beachten ist ferner die kartellrechtliche Einordnung von
Franchiseverträgen. Die Grenze zwischen verschiedenen Kartellarten
ist fließend und erfordert Vorsicht; Vereinbarungs-, Verhaltens- oder
Absichtskartell. Als unternehmerische Vertriebsbindung kann ein
Franchisesystem anzeigepflichtig sein. Bestimmte Formen sind sogar
genehmigungsbedürftig. | Kartellrechtliche Einordnung |
| |
| |
Der Franchisingvertrag
ist echter Mischvertrag, der (Rechts)Pachtelemente,
gewerbliche Schutzrechte (Marken, Symbole, Patente), wie Werk-,
Kauf-, Dienst-, Gesellschafts- und Know how-Vertragselemente umfasst,
wobei sich im einzelnen immer wieder Unterschiede ergeben. – IdR
handelt es sich um detaillierte Vertragswerke, die die vielfältigen
Sachfragen eingehend regeln, weil der Vertragsinhalt keinem gesetzlich
normierten Typus zugeordnet werden kann. Große Bedeutung kommt daher
einer kautelarjuristischen Vertragsgestaltung zu → Gestaltungs-
oder Inhaltsfreiheit Besondere
Regelung erfahren üblicherweise die beiderseitigen Vertragspflichten
insbesondere das – idR wertgesicherte – Entgelt, das der FN dem
FG zu zahlen hat. Das zu zahlende Entgelt ist idR umsatzabhängig;
prozentuelle Beteiligung. Dazu kommen Sicherungen des FG zB Wettbewerbsverbote
oder für den Fall der Insolvenz des FN; zu Sicherungsmitteln allgemein → KAPITEL 15: Überblick.
Auch die Vertragsauflösung / Kündigung des Dauerschuldverhältnisses
Franchising wird erfahrungsgemäß ausführlich geregelt; ordentliche
und außerordentliche Kündigung, Abfindungen, Konkurrenzklauseln
etc. | Mischvertrag |
9.
Heimvertrag – Pflegegeld | |
Von M. Ganner | |
Beim Heimvertrag, dem Vertrag zwischen dem Rechtsträger
eines Altenwohn- oder Pflegeheimes und dem/r jeweiligen BewohnerIn,
handelt es sich um einen typischen Mischvertrag bestehend aus:
vornehmlich Miete (Unterkunft), Kauf (Verpflegung), Werkvertrag
(Betreuung und Pflege) sowie mitunter Geschäftsbesorgung, also Auftrag
und Verwahrung. | |
Die Bundesländer Steiermark, Kärnten, Burgenland,
Oberösterreich, Niederösterreich, Salzburg und Vorarlberg treffen
im jeweiligen Landes-HeimG oder einer HeimVO zum SozialhilfeG sonderprivatrechtliche
Regelungen bezüglich der Vertragsbeziehung zwischen Heimträger und
HeimbewohnerIn, wogegen aber verfassungsrechtliche Bedenken bestehen,
zumal eine Zivilrechtskompetenz der Länder gem Art. 15 Abs 9 B-VG
hier nicht gegeben ist; vgl Ganner, Die Kompetenzlage in der Alten-
und Pflegebetreuung, SozSi 1997, 938. | |
Inhaltlich schaffen
die heimrechtlichen (Landes)Regelungen Schutzbestimmungen
zugunsten der BewohnerInnen, indem zumeist schriftliche
Vertragsabschlüsse sowie Leistungs- und Kostentransparenz vorgeschrieben
und BewohnerInnenrechte festgelegt werden. In der Praxis unterbleibt
die schriftliche Vertragserrichtung aber häufig aus Kostengründen.
Zusätzlich wird die Möglichkeit der Vertragskündigung auf Seiten
des Heimträgers auf eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem
Grund beschränkt. Diese
Kündigungsbeschränkung besteht
aber schon nach allgemeinem Zivilrecht und daher auch in jenen Bundesländern,
die keine diesbezügliche Regelung getroffen haben; das betrifft
dzt: Tirol und Wien. Eine Vertragsbestimmung, die eine jederzeitige
Auflösung des Dauerschuldverhältnisses Heimvertrag ohne Vorliegen
eines wichtigen Grundes oder schon bei geringfügigen Verletzungen
vorsieht, wäre grob benachteiligend und sittenwidrig, weil sie der
Natur, dem Zweck des Vertrags und der zu unterstellenden Parteienabsicht widerspricht,
den Heimplatz auf Lebenszeit, jedenfalls solange dies der Gesundheitszustand
des Bewohners erlaubt, zur Verfügung zu stellen und in Anspruch
zu nehmen. | Schutzbestimmungen |
|
OGH 16.10.1997, 6 Ob 247/97k und Barta/ Ganner,
Zur Auflösung des Altenheimvertrags durch den Heimträger, wobl 1998,
93. Vgl auch Ganner, Heimvertrag – Rechtsgeschäfte im Heim (2001). | |
|
Rechtspolitisch
wäre es wünschenswert, ein Bundes-Heimvertragsgesetz für
ganz Österreich zu beschließen, das auch ein konsumentenpolitisches
Anliegen darstellt und die gleichwertige Stellung von HeimbewohnerInnen
und Heimträger rechtsinstrumentell noch stärker als bisher zum Ausdruck
bringen würde. Es liegt dazu ein Entwurf zur Änderung des
KSchG vor, wonach in den §§ 27 b-f KSchG wichtige Aspekte
des Heimvertrags geregelt werden sollen. Verpflichtend vorgesehen
sind demnach vorvertragliche Informationspflichten (Prospektpflicht).
Zusätzlich liegt ein Entwurf für ein Heimaufenthaltsgesetz vor,
mit dem die Möglichkeit der Vornahme freiheitsbeschränkender
Maßnahmen an PflegeheimbewohnerInnen wegen Selbst- oder
Fremdgefährdung einer schon lange überfälligen Regelung zugeführt
werden soll. Nachdem mit dem VfGH-Erk vom 28.6.2003, G 208/02-16,
diesbezüglich die ausschließliche Regelungskompetenz des Bundes
festgestellt wurde, steht der Umsetzung nichts mehr im Wege, wobei
der Entwurf in einigen Punkten durchaus verbesserungsbedürftig ist. | Bundes-Heimvertragsgesetz |
| |
1993
wurde mit der Vereinbarung zwischen Bund und Ländern gem
Art 15a B-VG über gemeinsame Maßnahmen für pflegebedürftige Personen (BGBl
1993/866) die Vorsorge für den Fall der Pflegebedürftigkeit neu
geregelt. Kern dieser Neuregelung war die Einführung des
Pflegegeldes durch das Bundes- und die neun LandespflegegeldGe: | Zum Pflegegeld |
„Das Pflegegeld hat den Zweck, in Form eines Beitrages pflegebedingte
Mehraufwendungen pauschaliert abzugelten, um pflegebedürftigen Personen
soweit wie möglich die notwendige Betreuung und Hilfe zu sichern sowie
die Möglichkeit zu verbessern, ein selbstbestimmtes, bedürfnisorientiertes
Leben zu führen;” § 1 BPGG. | |
Voraussetzung für einen Anspruch auf Pflegegeld ist
der Bezug einer Pension oder einer ähnlichen Leistung (§ 3 BPGG),
ein zu erwartender Pflegebedarf von mindestens sechs Monaten sowie
von durchschnittlich mehr als 50 Stunden pro Monat; § 4 BPGG. Der
weit überwiegende Anteil der Pflegegeldbezieher erhält Bundes-Pflegegeld.
Nur bei Ruhebezügen, die auf einem landesrechtlichen Dienstverhältnis
beruhen, sowie in einigen Sonderfällen steht Landes-Pflegegeld zu.
Der Pflegegeldanspruch besteht unabhängig von Einkommen und Vermögen. | |
| Abbildung 5.30: Pflegegeld |
|
| Abbildung 5.31: Anzahl der Pflegegeldbezieher |
|
| |
| Abbildung 5.32: Gesamtkosten des Pflegegeldes |
|
IV. Zu
Funktion und Wandel des Vertrags | |
1. Die klassische
Vertragslehre | |
Die
klassische Vertragslehre geht davon aus, dass die Vertragsparteien
den gesamten Vertragsinhalt – also alle Bedingungen und Einzelheiten
ihrer Vereinbarung – vollständig und frei untereinander aushandeln.
Wir wissen, dass diese Grundvoraussetzung heute oft nicht zutrifft,
aber dennoch fingiert wird. Das Leitbild des Individualvertrags
wurde im modernen Rechtsgeschäftsverkehr durch den Massenvertrag
ersetzt, freies Aushandeln durch häufiges „Unterwerfen”; dh zB ein
pauschales Akzeptieren der vom Verkäufer aufgestellten Bedingungen
durch den Käufer. Dem Käufer bleibt oft nur die mehr oder weniger
enge Wahlmöglichkeit zwischen mehreren Marktanbietern. | Vom Individual- zum Massenvertrag |
| |
und
H.S. MaineW. Friedmann, Recht und sozialer Wandel (1969), hat diese
Entwicklung untersucht und nennt vier Gründe, welche die soziale
Funktion des Vertrages in der Entstehungszeit moderner industrieller
und kapitalistischer Gesellschaften charakterisieren. Dazu kommt,
dass das für das Privatrecht so zentrale und typische Rechtsinstitut
Vertrag – das seinerseits beachtlichen entwicklungsgeschichtlichen
Wandlungen unterlag – rechtshistorisch nicht unwesentlich dazu beigetragen
hat, um Menschen persönlich und gesellschaftlich freier und unabhängiger
zu machen, sie aus alten, gesellschaftlich gewachsenen (Rechts)Zwängen
und Status-Abhängigkeiten zu lösen. Diese von der Rechtsgeschichte
oft vernachlässigte Funktion des Vertrags beleuchtet die Hypothese
des Amerikaners H. S. Maine (Ancient Law 1861, Neuausgabe Boston
1963, S. 295 ff), deren kurze Formel lautet:
From
Status to Contract.
| W. Friedmann |
| |
„Die soziale [iSv:
gesellschaftliche] Funktion des Vertrags in der
Entstehungszeit der modernen industriellen und kapitalistischen
Gesellschaft wird durch vier Elemente gekennzeichnet: [1] wirtschaftliche
Bewegungsfreiheit des Einzelnen, [2] Absicherung
gegen kalkulierbare wirtschaftliche Risiken,
[3] Privatautonomie und [4] Gleichheit der
Parteien.” – Zur „wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit” führt
Friedmann aaO 99 f aus: „In einer im Entstehen begriffenen Industriegesellschaft
war der Vertrag das rechtliche Instrument, das Menschen und Waren
einen freien Verkehr ermöglichte. Und eben dies ist der Hauptaspekt
der Maine’schen These, daß progressive Gesellschaften vom bloßen
Standes- [oder Status-] zum Vertragsrecht übergehen. Im Gegensatz
zu einem Rechtsstatus, der durch [gesellschaftliche] Bindungen und
Bedingungen bestimmt wird, die außerhalb der persönlichen Entscheidungsfreiheit liegen,
erlaubt der Vertrag dem Einzelnen, Aufenthaltsort und Beschäftigung
zu wechseln. – Im amerikanischen Bürgerkrieg [Friedmann war Professor
an der Columbia Universität in N.Y.] stand hinter der ideologischen
Auseinandersetzung zwischen Sklaverei und individueller Freiheit
[auch] der Widerstreit zwischen Status und Vertrag. Die
ländlich strukturierte, vom Patriarchat geprägte und statische Gesellschaft
des Südens wünschte eine hierarchische Unbeweglichkeit. Der Sklave
als Bestandteil des Eigentums stand auf der untersten Sprosse der
Stufenleiter, wenngleich – wie sich in der Folgezeit zeigen sollte
– seine wirtschaftliche und soziale Lage oft besser war als innerhalb
der mobilen und freien Wirtschaftsordnung, die der industrialisierte
und kommerzialisierte Norden forderte und erreichte. Einstellungs-
und Kündigungsfreiheit und die uneingeschränkte freie Wahl des Arbeitsplatzes sind
Kennzeichen dieser Gesellschaft .... | From status to contract |
Die Entwicklung vom Status zum Vertrag,
von der Unbeweglichkeit zur Bewegungsfreiheit, dehnt sich allmählich über
den Bereich der Handels- und Arbeitsverträge auf
alle Lebensgebiete aus. Sie griff auf familienrechtliche Verhältnisse
und auf das Erbrecht über. Sie wurde zur Grundlage
der Vereins- und Gewerkschaftsmitgliedschaft. Schritt
für Schritt faßte sie sogar Fuß im Recht des Grundbesitzes,
der Grundstücksveräußerung und -vererbung.” | |
Diese Ausführungen erscheinen für ein tieferes Verständnis
des Vertrags und seiner Funktionen von Bedeutung. Die Vertragsfreiheit –
als Freiheit für jedermann Verträge zu schließen – ist aber viel
älter und wurde nicht erst im amerikanischen Bürgerkrieg geschaffen.
In Österreich hatte sie K. A. v. Martini in seinen Entwurf eines
bürgerlichen Gesetzbuchs (1796) und in das WGGB (1797) aufgenommen,
von wo sie leider nicht ins ABGB gelangte → Vertragsfreiheit
und Privatautonomie
| |
Erstmals gewährt wurde Vertragsfreiheit von Solon im
Rahmen seiner Gesetzgebung 594/93 v. C. für alle Bürger Athens /
Attikas: Sie war ua die Konsequenz der damals gewährten unverlierbaren
bürgerlichen Freiheit (Aufhebung der Schuldknechtschaft)
samt der privatrechtlichen und (wenn auch noch nicht vollständigen,
so doch schon weitgehenden) öffentlichrechtlich-politischen Gleichheit.
Freiheit (Eleutheria) und Gleichheit (Isonomia) waren unverzichtbare
Voraussetzungen, um „moderne” Rechtssubjekte zu
schaffen, die Träger von subjektiven Rechten und Pflichten sein
und Verträge schließen konnten. – Dieser frühe griechische Entwicklungsstandard ermöglichte
idF das Entstehen der Demokratie, die freie und
gleiche Individuen als Träger politischer Teilhaberechte am Staat
/ der Polis voraussetzt. Der Vertrag ist somit seit der Antike ein
wichtiges rechtlich-gesellschaftliches Gestaltungsmittel des Menschen,
um seine Interessen festzuschreiben und insbesondere auch sein Wirtschaften rechtlich
abzusichern. | |
| |
Die gesellschaftliche Entwicklung hat dazu beigetragen,
die klassische Vertragslehre zum Idealtypus werden zu lassen, dem
in der Praxis oft abweichende Realtypen gegenüberstehen. – Als wichtigste
soziale Ursachen der „
Wandlung
des Vertragsbegriffs“ führt
Friedmann folgende an (S. 110 f): | |
„Vier Faktoren können als hauptverantwortlich
für eine Wandlung der Funktion und des Wesens des Vertrags angesehen
werden, ... : | |
• Der erste Faktor
[1] ist der starke Konzentrationsprozeß in Industrie
und Handel, der mit einer zunehmenden Vermassung und einer Standardisierung
des Lebens einhergeht. Sein juristisches Ergebnis sind die ‚allgemeinen Geschäftsbedingungen’
oder der ‚Standardvertrag’. | |
• Der zweite Faktor [2] ist die immer häufigere Verdrängung
des Individualvertrags
durch kollektives Aushandeln in der Industriegesellschaft.
Seinen rechtlichen Niederschlag findet er im Tarif[Kollektiv]vertrag
zwischen Arbeitgeberseite und Gewerkschaft, wobei die Mitwirkung
des Staates unterschiedlich stark ist. | |
• Der dritte Faktor [3] besteht in der gewaltigen Ausweitung
der Wohlfahrts- und Sozialleistungsfunktionen des Staates....
Er hat ein doppeltes rechtliches Ergebnis; einmal eine Vielzahl
gesetzlich vorgeschriebener Vertragsbestimmungen, die entweder die
zwischen den Parteien vereinbarten ersetzen oder sie ergänzen [zB
im Arbeitsrecht oder dem Konsumentenschutz]; zum andern werden jetzt
wesentlich mehr Verträge zwischen Regierung oder anderen öffentlichen
Stellen einerseits und einem privaten Kontrahenten andrerseits abgeschlossen.
Das hat nachhaltige Wirkungen auf das Vertragsrecht .... | |
• Schließlich [4] wird der Aspekt der
wirtschaftlichen Sicherungsgarantie des Vertrags, dh. die
Sanktionierung des Vertragsbruchs, durch die Zunahme politischer,
wirtschaftlicher und sozialer Katastrophen wie Krieg, Revolution
und Inflation immer mehr beeinflußt. Das juristische Resultat ist
die Lehre von der Vernichtbarkeit des Vertrages mit der folgerichtigen
Ausweitung rechtlicher Entschuldigungsgründe für seine Nichterfüllung.” | |
| |
• Als weitere Gründe
der Wandlung des Vertragsbegriffs können heute der umfassende Einsatz
von EDV und Internet sowie die Globalisierung (und
der dadurch weiter forcierte Konzentrationsprozess) angesehen werden. Dazu
tritt der politische Prozess der Europäisierung (EU)
und die Harmonisierung und Internationalisierung des
Vertragsrechts durch diverse Abkommen; zB CISG → KAPITEL 1: Das
UN- oder Wiener
Kaufrecht. | |
| |
|
Neu bearbeitet von R. Beiser | |
| |
I. Begriff und
Funktionen | |
| |
Steuern (Abgaben) sind Geldleistungen,
die einer Gebietskörperschaft zufließen und auf Grund öffentlichen
Rechts geschuldet und eingebracht werden. Der Steuerzahler hat eine
Gegenleistung nicht zu erwarten: Die öffentliche Hand kassiert Steuern
nicht in einem Leistungsaustauschverhältnis (nicht nach dem Äquivalenzprinzip),
sondern lediglich mit der weit gefassten Widmung einer Verwendung
zum Wohle der Allgemeinheit („bonum commune”). Die Gebühren nach
dem Gebührengesetz (GebG) sind Steuern; eine äquivalente Gegenleistung
ist nicht Voraussetzung einer Gebührenpflicht nach dem GebG. | |
| |
| |
Steuern erfüllen drei Funktionen: | |
• Sie finanzieren die
Staatsausgaben und sichern so die Erfüllung der Staatsaufgaben (Finanzierungsfunktion). | |
• Sie nehmen Geld und somit Wirtschaftsmacht
vom Einzelnen (Individuum; Steuerzahler) und geben das genommene
Geld der öffentlichen Hand. Wirtschaftsmacht wandert so von der
Privatautonomie in die Staatsautonomie, vom Markt in die Disposition
der Politik (Umverteilungsfunktion). | |
• Steuern können schließlich dazu eingesetzt
(und missbraucht) werden, um Gesellschaft und Wirtschaft zu steuern
/ zu lenken (Lenkungsfunktion). | |
II. Grobskizzierung
einiger Steuern | |
1. Die Einkommensteuer (ESt) | |
Die ESt besteuert im Wesentlichen das von natürlichen Personen
am Markt durch Leistungen erzielte Einkommen. Die ESt wird in drei
Formen erhoben: | |
• durch Veranlagung mittels
ESt-Bescheid (allgemeine Erhebungsform), | |
• durch Lohnsteuerabzug beim
auszahlenden Arbeitgeber und | |
• durch Kapitalertragsteuerabzug insbesondere
bei Banken anlässlich von Zinsgutschriften und bei Kapitalgesellschaften
anlässlich von Gewinnausschüttungen. | |
Die ESt hat im Jahr 2002 ca 21 Mrd ı Abgabenertrag
erbracht, das sind rund 39 % vom Abgabenerfolg des Bundes in Höhe
von rund 55 Mrd ı 2002 (AÖF 2003/37). | |
2. Die Körperschaftsteuer
(KöSt) | |
Die Körperschaftsteuer besteuert das Markteinkommen
juristischer Personen (Kapitalgesellschaften, Genossenschaften,
Vereine, Privatstiftungen, juristische Personen des öffentlichen Rechts). | |
Sie hat 2002 ca 4,5 Mrd ı erbracht, also
rund 8 % vom Gesamterfolg von 55 Mrd ı. | |
3. Die Umsatzsteuer (USt) | |
Die Umsatzsteuer besteuert den Konsum in
Österreich in der Regel mit 20 % oder 10 % (ermäßigter Steuersatz)
auf das Entgelt; der zivilrechtliche Preis setzt
sich aus dem Leistungsentgelt + USt zusammen. Der
Vorsteuerabzug sichert die Kostenneutralität der Umsatzsteuer in
der Unternehmerkette. Die Unternehmer haben die
USt aus dem an sie bezahlten Leistungspreis herauszurechnen und
an das Finanzamt abzuführen. Der Konsument wird durch den Ausschluss
vom Vorsteuerabzug belastet (= Steuerträger der USt), der Unternehmer
(= Steuerschuldner der USt) wird durch die umsatzsteuerbedingte
Verteuerung seiner Produkte und Leistungen und den damit verbundenen
Nachfragerückgang entsprechend der jeweiligen Preiselastizität der
Nachfrage indirekt belastet. | |
Die USt hat 2002 rund 17,6 Mrd ı Abgabenertrag
erbracht (also rund 32 % des Abgabengesamterfolges von rund 55 Mrd
ı 2002). | |
4. Weitere Beispiele
für Verbrauchsteuern | |
Andere Verbrauchsteuern / Konsumsteuern sind
die Tabak-, Bier-, Mineralöl-, Alkohol- und Schaumweinsteuer. | |
Sie haben 2002 rund 4,7 Mrd ı erbracht. | |
5. Die Grunderwerbsteuer
(GrESt) | |
Die Grunderwerbsteuer besteuert den Verkehr
mit österreichischen Grundstücken: Ein Grundstückskauf
löst 3,5 % (2 % im engsten Familienkreis – Ehegatten/Kinder) Grunderwerbsteuer
und rund 1 % Eintragungsgebühr für die Einverleibung im Grundbuch
aus. | |
Die Grunderwerbsteuer hat im Jahr 2002 einen
Abgabenerfolg von rund 451 Mio ı erbracht (also 0,8 % der Abgabengesamteinnahmen
des Bundes von rund 55 Mrd ı). | |
6. Die Veräußerung
eines bebauten Grundstückes als Fallbeispiel einer
Steuerkumulation | |
Einkommensteuer, Umsatzsteuer und Grunderwerbsteuer können kumulativ anfallen:
Grundstücksumsätze sind in der Regel nach § 6 Abs 1 Z 9 lit a UStG
1994 unecht umsatzsteuerfrei; ein solcher umsatzsteuerfreier Verkauf
löst jedoch eine so genannte Vorsteuerkorrektur nach § 12 Abs 10
ff UStG 1994 aus, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten zehn
Jahre vor dem Verkauf zB anlässlich von Gebäudeinvestitionen einen
Vorsteuerabzug beansprucht hat. Die Vorsteuerkorrektur wird auch
in der Unternehmerkette zum Kostenfaktor, weil eine korrigierte
Vorsteuer beim Käufer nicht vorsteuerabzugsfähig ist. Der Veräußerer
kann jedoch nach § 6 Abs 2 UStG 1994 zur Umsatzsteuerpflicht optieren:
Der Verkauf des (bebauten) Grundstückes löst dann 20 % USt auf das
vereinbarte Entgelt aus. In einem solchen Fall kommt es zusätzlich
zu einer Kumulierung von USt und GrESt: Grunderwerbsteuer (und ebenso
die Eintragungsgebühr) werden vom zivilrechtlichen Kaufpreis (Entgelt
+ USt) bemessen; die USt erhöht also die Bemessungsgrundlagen der GrESt
und Eintragungsgebühr um 20 %. Die GrESt erhöht jedoch nicht die
Bemessungsgrundlage der USt: Die GrESt ist nicht Entgelt, sondern
eine Steuer ohne Gegenleistung; die GrESt steht außerhalb eines
wechselseitig final verknüpften Leistungsaustausches im Sinn der
Umsatzsteuer. | |
Im Einzelfall sind also die Nachteile einer
nicht vorsteuerabzugsfähigen Zehntelkorrektur nach § 12 Abs 10 ff
UStG gegen die Erhöhung der Bemessungsgrundlagen der GrESt und Eintragungsgebühr
durch 20 % USt im Fall der Option zur USt-Pflicht gegeneinander
abzuwägen. Bei der Abfassung von Kaufverträgen über inländische
Grundstücke ist zu vereinbaren, ob das Grundstück umsatzsteuerfrei
oder umsatzsteuerpflichtig veräußert wird; nur im Fall einer steuerpflichtigen
Veräußerung hat der Käufer als Unternehmer den Vorsteuerabzug (Achtung:
Auch die Vermietung einer Wohnung begründet die Unternehmerqualität
im Sinn der Umsatzsteuer.), die Option zur Umsatzsteuerpflicht liegt
in der Hand des Veräußerers. Es sollte somit vereinbart werden,
ob der zivilrechtliche Kaufpreis von zB 12 Mio ı sich aus 10 Mio
ı Entgelt + 2 Mio ı USt zusammensetzt oder 12 Mio ı ohne USt beträgt,
weil umsatzsteuerfrei veräußert wird (und der Erwerber somit keinen
Vorsteuerabzug in Höhe von 2 Mio ı hat). | |
In der Einkommensteuer ist zu differenzieren:
Wird ein Gebäude aus dem Privatvermögen innerhalb
der zehnjährigen Spekulationsfrist veräußert, fallen bis zu 50 %
Einkommensteuer auf den erzielten Gewinn/Überschuss an. Zählt das
veräußerte Gebäude dagegen zum Betriebsvermögen,
ist zu unterscheiden: Bei im Firmenbuch eingetragenen Gewerbebetrieben ist
der auf Grund und Gebäude entfallende Veräußerungsgewinn steuerpflichtig
(bis zu 50 % ESt), bei anderen Betrieben ist dagegen Grund und Boden,
der nach Ablauf der Spekulationsfrist (§ 30 EStG) aus dem Anlagevermögen
veräußert wird, steuerfrei (§ 4 Abs 1 EStG), nur die Gebäudetangente
ist steuerpflichtig (bis zu 50 % ESt). Nutzt der Erwerber das Gebäude
zur Einkunftserzielung, sind die Anschaffungskosten für das Gebäude
abschreibbar (Absetzung für Abnutzung nach den §§ 7 und 8 EStG),
die Anschaffungskosten für den Grundanteil dagegen nicht. | |
Das Beispiel zeigt: Bei einer Gebäudeveräußerung
sind nicht nur wirtschaftliche (Investitions- und Finanzierungsrechnung)
und zivilrechtliche (zB Lastenfreiheit; Gewährleistung) Probleme
zu lösen, sondern auch Einkommensteuer, Umsatzsteuer, Grunderwerbsteuer
und Eintragungsgebühr zu berücksichtigen. | |
7. Die Gesellschaftsteuer | |
Die Gesellschaftsteuer besteuert die Kapitalzufuhr
in Kapitalgesellschaften (Gesellschaftereinlagen) mit 1 %. | |
Die Gesellschaftsteuer hat 2002 rund 51
Mio ı erbracht (also rund 0,1 % der Abgabengesamteinnahmen des Bundes von
rund 55 Mrd ı). | |
8. Die Erbschafts- und Schenkungssteuer (ErbSt) | |
Die Erbschafts- und Schenkungssteuer besteuert | |
• Erwerbe von Todes
wegen | |
• Schenkungen unter Lebenden sowie freigebige
Zuwendungen und | |
• Zweckzuwendungen (nicht eine bestimmte Person
wird bedacht, sondern ein abstrakter Zweck wird gefördert, zB: Ein
Zehntel des Jahresgewinnes ist für die Kinderkrebsforschung zu verwenden.) | |
Der Erbschaftssteuertarif ist zweifach progressiv gestaffelt:
Nach dem Verwandtschaftsgrad zwischen Erwerber und Überlasser gibt
es fünf Steuerklassen. Je entfernter die Verwandtschaft ist, desto
höher ist die Steuer. Zweckzuwendungen fallen in die Steuerklasse
V und sind deshalb nicht zu empfehlen. Der engste Familienkreis
wird am günstigsten gestellt. | |
Die Tarifspannweite ist groß: Je nach Steuerklasse
und Höhe des Vermögensanfalles fallen zwischen 2 % und 60 % Steuer
an. Zahlreiche Befreiungen durchlöchern die Erbschafts- und Schenkungssteuer
und stellen deren sachliche Rechtfertigung (Art 7 B-VG) insgesamt
in Frage: Im Ergebnis kommt es nach der gegenwärtigen ErbSt nicht
primär darauf an, wieviel Vermögen zwischen welchen
Personen unentgeltlich übertragen wird, sondern wie Vermögen übertragen
wird. Auf Grund der damit verbundenen ungleichen/willkürlichen Lastenverteilung
sieht der deutsche Bundesfinanzhof die ErbSt als verfassungswidrig
(BFH 22.5.2002, II R 61/99, BStBl 2002 II 598). Im Einzelfall (insbesondere
bei unerwarteten Todesfällen) kann die ErbSt zur Veräußerung des
vererbten Vermögens zwingen und dadurch weitere Steuern (USt/GrESt/Gebühren)
auslösen. Die Unternehmensnachfolge kann so erschwert werden. | |
Die
ErbSt ist bei der Gestaltung der Erbfolge zu beachten: Eine fideikommissarische
Substitution nach §§ 608 ff ABGB ist steuerlich ungünstig, weil
die ErbSt zweimal anfällt, eine Fruchtgenuss-konstruktion nach §
509 ABGB kommt der fideikommissarischen Substitution nahe und ist
steuergünstig, weil nur einmal ErbSt anfällt. | |
Das Gesamtaufkommen der ErbSt hat im Jahr
2002 rund 148 Mio ı (also rund 0,3 % des Abgabenerfolges des Bundes
von rund 55 Mrd ı) betragen. Budgetär fällt die ErbSt also nicht
ins Gewicht. Andere Abgaben sind ertragreicher. Die Normverbrauchsabgabe hat
2002 zB 415 Mio ı erbracht, die motorbezogene Versicherungssteuer 1.185
Mio ı, die Versicherungssteuer 826 Mio ı, die Mineralölsteuer 3.109
Mio ı. | |
9. Die Gebühren nach dem Gebührengesetz (GebG) | |
Das Gebührengesetz besteuert | |
bestimmte Schriften und Amtshandlungen im
Sinn des § 14 GebG: | |
zB Abschriften, amtliche Ausfertigungen,
Eingaben und Beilagen, Protokolle zB 260 ı für das Protokoll über
eine Hauptversammlung einer AG, 130 ı für ein Generalversammlungsprotokoll
einer GmbH; | |
Unterschriftsbeglaubigungen durch Urkundspersonen (die Gebühr
für Vollmachten ist entfallen), Reisedokumente, Zeugnisse, Führerscheine
sowie | |
Urkunden über folgende Rechtsgeschäfte nach § 33
GebG:
| |
Annahmeverträge: 1 % vom Vermögen des Annehmenden | |
Anweisungen: 2 % vom angewiesenen Wert | |
Bestandverträge: 1 % im Allgemeinen, 2 % bei der Jagdpacht;
Bemessungsgrundlage: alle Gegenleistungen des Mieters/Pächters | |
Bürgschaften und Schuldbeitritte: 1 % der verbürgten Schuld | |
Darlehen: 0,8 % der Darlehenssumme | |
Dienstbarkeiten: 2 % des Entgeltes für die Einräumung einer
Dienstbarkeit | |
Ehepakte: 1 % vom „paktierten” Vermögen | |
Glücksverträge: zB 2 % vom kapitalisierten Rentenwert bei
einer Leibrentenzusage | |
Hypothekarverschreibungen: 1 % der Hypothekarschuld | |
Kreditverträge: 0,8 % der Kreditsumme, wenn diese nur einmal
oder in maximal fünf Jahren mehrmals verfügbar ist; 1,5 % in allen
anderen Fällen | |
außergerichtliche Vergleiche: 1 % bei Streithängigkeit,
2 % bei nicht gerichtshängigen Streitigkeiten vom Gesamtwert der
von jeder Partei übernommenen Leistungen | |
Zessionen: 0,8 % des Zessionsentgeltes | |
Wechsel: ein Achtel Prozent = 0,125 % der Wechselsumme. | |
Die Gebühren nach dem GebG verteuern die Beweisvorsorge durch
Urkundenerrichtung und durch die Schriftlichkeit von Verträgen,
sie belasten die Fremdfinanzierung von Investitionen und beeinträchtigen
Österreichs Banken im internationalen Wettbewerb (0,8 % bis 1,5
% Darlehens- oder Kreditvertragsgebühr sind ein entscheidender Kostenfaktor
bei der Darlehens- und Kreditvergabe). | |
Die Gebühren nach dem GebG haben 2002 766
Mio ı erbracht (also rund 1,4 % der Abgabengesamteinnahmen des Bundes
von rund 55 Mrd ı). | |
III. Das Verhältnis
zwischen Abgabenrecht
und Privatrecht | |
| |
Abgabenrecht
ist zwingendes öffentliches Recht. Eine einmal
entstandene Abgabenschuld steht nicht zur Disposition der
Abgabenschuldner. Wird ein Rechtsgeschäft zivilrechtlich im
Einvernehmen der Vertragspartner rückgängig gemacht (mit
Wirkung ex tunc aufgehoben), bleibt die einmal ausgelöste Abgabenschuld
dennoch bestehen (§ 4 BAO). Steuergesetze lassen die zivilrechtliche
Aufhebung / Rückabwicklung / Minderung der Gegenleistung nur in
Ausnahmefällen auf das Steuerschuldverhältnis durchschlagen; so
zB § 17 GrEStG für den Fall der Nichterfüllung oder Ungültigkeit,
§ 33 ErbStG für den Fall eines Schenkungswiderrufes, § 16 UStG für
den Fall einer nachträglichen Entgeltsminderung zB wegen Gewährleistung
oder Forderungsausfalles oder im Fall einer Rückgabe der gelieferten
Ware. Nach § 17 Abs 5 GebG gilt dagegen: | |
”Die Vernichtung der Urkunde, die Aufhebung
des Rechtsgeschäftes oder das Unterbleiben seiner Ausführung heben
die entstandene Gebührenschuld nicht auf.” | |
Ein Mieter muss also die Bestandvertragsgebühr nach § 33
TP 5 GebG für eine Wohnungsmiete auf unbestimmte Dauer auch dann
bezahlen (1 % von der dreifachen Jahresmiete), wenn er nach drei
Wochen wieder auszieht. | |
Zivilrecht und Abgabenrecht sind vielfach miteinander
verknüpft und verwoben: | |
Das zeigen die beiden folgenden Beispiele einer mehrwertsteuergerechten
Rechnung und des wirtschaftlichen Eigentums: | |
2.
Mehrwertsteuergerechte
Rechnung | |
§ 11 UStG begründet einen zivilrechtlichen Anspruch
auf eine mehrwertsteuergerechte Rechnung in der
Unternehmerkette, um den Vorsteuerabzug sicherzustellen. Welche
Merkmale diese Rechnung aufweisen muss, regelt § 11 UStG. Der zivilrechtliche
Anspruch auf Rechnungslegung nach § 11 UStG ist im Streitfall beim
Zivilgericht einzuklagen. | |
3.
Wirtschaftliches
Eigentum | |
Das wirtschaftliche
Eigentum (§ 24 BAO) löst sich vom sachenrechtlichen Eigentum
und stellt darauf ab, wer schuldrechtlich über
Substanz und Nutzung verfügen/disponieren kann. So mag ein Treuhänder
sachenrechtlich Eigentümer sein, die umfassende Dispositionsgewalt
liegt jedoch auf Grund der schuldrechtlichen Bindung beim Treugeber,
§ 24 BAO ordnet deshalb das wirtschaftliche Eigentum dem Treugeber
zu. Die Zurechnung von Leasinggegenständen in der Handels- und Steuerbilanz
folgt nicht dem sachenrechtlichen Eigentumsübergang; entscheidend
ist, ob der Leasingnehmer nach der gesamten Sach- und Vertragslage
eine eigentümerähnliche Herrschaftsgewalt erlangt hat: | |
„Wirtschaftsgüter, über die jemand die Herrschaft
gleich einem Eigentümer ausübt, werden diesem zugerechnet”;
§ 24 Abs 1 lit d BAO. | |
Das wirtschaftliche Eigentum zielt nicht auf eine Antinomie
zwischen Zivil- und Steuerrecht. Das wirtschaftliche Eigentum löst
sich vom sachenrechtlichen Eigentumsübergang, knüpft jedoch gerade
an den Kern des subjektiven Eigentumsbegriffes an: | |
„Als ein Recht betrachtet, ist Eigentum das Befugnis,
mit der Substanz und den Nutzungen einer Sache nach Willkür zu schalten,
und jeden andern davon auszuschließen”; § 354 ABGB. | |
Exakt an diese umfassende Dispositionsgewalt knüpft die
„Herrschaft gleich einem Eigentümer” an. Das wirtschaftliche
Eigentum legt den Schwerpunkt der Zurechnung von Wirtschaftsgütern
/ Vermögensgegenständen nicht auf den sachenrechtlichen Eigentumsübergang,
sondern auf die subjektiven Kernbefugnisse im Sinn einer umfassenden
tatsächlichen Sachherrschaft. Die schuldrechtliche Vertragslage
ist jedoch einzubeziehen, um die Frage zu klären, wem die umfassende Sachherrschaft
zukommt. | |
| |
4. Das Realisationsprinzip | |
| |
Die
Gewinnrealisierung iSd § 201 Abs 2
Z 4 lit a HGB erfolgt beim Maschinenlieferanten ebenfalls mit der
Lieferung der Maschine, wenn und weil er damit seinen Liefervertrag
wirtschaftlich erfüllt und sich seine Gegenleistungsgefahr auf die
Risiken aus Gewährleistung und Einbringlichkeit reduziert. Der schuldrechtliche
Übergang der Preisgefahr führt zu einer (relativ) sicheren Forderung
des Lieferanten auf die vereinbarte Gegenleistung. Dieser schuldrechtliche
Gefahrenübergang löst die Gewinnrealisierung handels- und steuerrechtlich
aus; Mayr aaO, 36. Handels- und Steuerbilanz messen also dem schuldrechtlichen
Gefahrenübergang ein größeres Gewicht zu als dem sachenrechtlichen
Eigentumsübergang. | |
5. Der Lieferbegriff
in der Umsatzsteuer | |
Auch
der umsatzsteuerrechtliche Lieferbegriff (§ 3 UStG
1994) löst sich vom sachenrechtlichen Eigentumsübergang: Mit der
Übergabe oder dem Beginn der Beförderung oder Versendung ist ein Gegenstand
umsatzsteuerrechtlich geliefert; vgl auch § 429 ABGB. Ein zivilrechtlich
wirksam vereinbarter Eigentumsvorbehalt hindert eine umsatzsteuerrechtliche
Lieferung nicht. Wird die gelieferte Maschine an den Lieferanten
zurückgegeben, weil der Abnehmer den Kaufpreis nicht zur Gänze bezahlt,
so geht das sachenrechtliche Eigentum infolge des zivilrechtlich
wirksam vereinbarten Eigentumsvorbehaltes nicht auf den Abnehmer
über; umsatzsteuerrechtlich liegt dagegen zunächst eine Lieferung
vor, die in der Unternehmerkette beim Lieferanten zur USt-Pflicht
und beim Abnehmer zum Vorsteuerabzug führt; die Rückgabe der gelieferten
Maschine löst nach § 16 UStG für den Rückgabemonat eine entsprechende
USt-Korrektur beim Lieferanten und eine korrelierende Vorsteuerkorrektur
beim Abnehmer aus. | |
| |
Die Wahl der Rechtsform eines Unternehmers (Einzelunternehmer,
Gesellschaft bürgerlichen Rechts, OHG, KG, OEG, KEG, GmbH, AG, GmbH
& Co KG, Verein, Privatstiftung) wird von steuerlichen Gesichtspunkten
maßgebend beeinflusst. | |
| |
In einer verlustbringenden Anlauf- und Aufbauphase ist
eine Personengesellschaft vorteilhaft, weil ertragsteuerrechtlich
nicht die Gesellschaft als solche, sondern deren Gesellschafter
besteuert werden (Durchgriffsprinzip); die Gesellschafter einer
Personengesellschaft können Verluste aus der Gesellschaft mit anderen
positiven Einkünften ausgleichen; außerdem sind Finanzierungskosten
aus einer Fremdfinanzierung von Anteilen an einer Personengesellschaft
abzugsfähig. Die Rechtsform einer GmbH & Co KG ermöglicht eine
Haftungsbeschränkung für alle natürlichen Personen. | |
| |
In der Gewinnphase ermöglicht eine Kapitalgesellschaft eine
ertragsteuergünstige Gewinnspeicherung (34 % KöSt statt 50 % ESt).
Nach dem Trennungsprinzip ist die Kapitalgesellschaft
ein eigenständiges Steuersubjekt, Verluste einer Kapitalgesellschaft
können deshalb nicht von deren Gesellschaftern zum Ausgleich mit
positiven Einkünften genutzt werden. Kosten einer Fremdfinanzierung
von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft (zB kreditfinanzierter
Aktienkauf oder kreditfinanzierte Einlage in eine GmbH) sind beim
Gesellschafter nicht abzugsfähig (Abzugsverbot nach § 20 EStG). | |
| |
Das Markteinkommen von Vereinen unterliegt der Körperschaftsteuer.
Viele Vereine sind gemeinnützig tätig. Gemeinnützige Vereine sind
mit ihren „unentbehrlichen Hilfsbetrieben” unter drei (kumulativ
zu erfüllenden) Voraussetzungen steuerfrei (§ 5
Z 6 KStG iV mit § 45 Abs 2 BAO): | |
a) Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb muss in seiner Gesamtausrichtung
auf Erfüllung der gemeinnützigen Zwecke ausgerichtet sein. | |
b) Die gemeinnützigen Zwecke dürfen nicht anders als durch
den wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb erreichbar sein. | |
c) Der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb darf zu abgabepflichtigen
Betrieben derselben oder ähnlichen Art nicht in größerem Umfang
in Wettbewerb treten, als dies bei Erfüllung der Zwecke unvermeidbar
ist. | |
| |
§ 5 Z 6 KStG befreit alle gemeinnützigen Körperschaften
von der Körperschaftsteuer hinsichtlich ihrer unentbehrlichen Hilfsbetriebe
(also auch eine gemeinnützige GmbH, AG oder PS). – Allerdings ist
zu beachten: Gemeinnützigkeit und Gewinnmaximierung schließen einander
grundsätzlich aus; ein Gewinnmaximierungsbetrieb zerstört in der
Regel den abgabenrechtlichen Gemeinnützigkeitsstatus (im Detail:
§ 44 und § 45 a BAO). | |
| |
Eine Privatstiftung darf nach § 1 Abs 2
PSG zwar nicht einen Gewerbebetrieb führen, eignet sich jedoch als
Holding einer GmbH. Ein Einzelunternehmen kann nach Art III UmgründungssteuerG steuergünstig
(Buchwertfortführung) in eine GmbH eingebracht werden, deren Alleingesellschafter
der bisherige Einzelunternehmer ist. Die 100 % Beteiligung an der
GmbH wird dann durch einen Stiftungsakt ganz oder teilweise auf
eine Privatstiftung übertragen, zB um den Bestand des Unternehmens
auf Dauer zu sichern, Erbrechtsprobleme zu lösen, die Familie über
mehrere Generationen zu versorgen, Erbschaftssteuerprobleme zu vermeiden
etc. | |
| |
Das UmgründungssteuerG erleichtert den
Wechsel zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften; es erleichtert
damit wirtschaftlich erforderliche Neustrukturierungen und mildert
die ertragsteuerrechtliche Ungleichbehandlung von Personen- und
Kapitalgesellschaften nach dem Durchgriffs- und Trennungsprinzip. | |
E. Willensmängel
– Irrtum |
| |
Die
§§ 869–875 ABGB handeln laut Überschrift / Marginalrubrik vor §
869 ABGB von der „wahren Einwilligung” in einen Vertrag → Allgemeine
Voraussetzungen gültiger Vertragsschlüsse §
876 ABGB stellt klar, dass diese Regeln nicht nur auf vertragliche,
sondern auch „auf sonstige Willenserklärungen, welche einer anderen
Person gegenüber abzugeben sind” entsprechende Anwendung finden.
Das kann zB eine einseitige rechtsgeschäftliche Erklärung wie eine
Kündigung oder eine Vollmachtserteilung sein; vgl JBl 1953, 576:
Entlassung. | |
1. Wann unterlaufen
Willensmängel? | |
Willensmängel unterlaufen
idR im Vorfeld von Vertragsschlüssen. Man meint „A” und sagt „B” oder
hat als Käufer vom Leistungsgegenstand andere Vorstellungen als
der Verkäufer; vielleicht deshalb, weil der Verhandlungspartner
sich nicht klar genug ausgedrückt hat oder dies gar nicht wollte.
– Willensmängel spielen nicht nur im Schuldrecht, sondern auch im
Familien-, Ehe- oder Erbrecht eine Rolle. Daher werden die Willensmängel
im „Allgemeinen Teil” behandelt. – Aus dem weiten Kreis der Willensmängel
wird idF der Irrtum als wichtigster Teilbereich umfassender dargestellt. | |
| Abbildung 5.33: Willensmängel – Überblick |
|
| Abbildung 5.34: Willensmängel (1) |
|
| Abbildung 5.35: Willensmängel (2) |
|
2. §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung | |
Das bedeutet natürlich nicht, dass bspw § 870
ABGB, der die vorsätzliche Täuschung und Drohung behandelt,
unwichtig wäre. Vielmehr kommen immer wieder auch derart schwerwiegende
Eingriffe in die Willensbildung anderer Vertragspartner vor. – In
der Praxis sind aber absichtliche Täuschungen oder Drohungen schwerer
zu beweisen, als bloßer Irrtum iSv objektiver Irreführung, weshalb
häufig – auch bei „Vorliegen” einer Täuschung – auf den Irrtum ausgewichen
wird, zumal dessen Tatbestandsvoraussetzungen nicht einmal ein Verschulden
des in die Irre Führenden voraussetzen → Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB
| |
|
JBl 1989, 657: Ein sog Partnerschaftsvermittlungsinstitut verleitet
einen Interessenten arglistig dadurch zum Abschluss eines Partnervermittlungsvertrags,
weil es mit Fotos gar nicht vermittelbarer Fotomodelle warb. Ein
solcher Vertrag ist, da List vorliegt, nichtig und den vom Interessenten
gezahlten Betrag hatte das Institut zurückzuzahlen. | |
|
|
JBl
1999, 49 (Anm Apathy): Haftung des Drohenden
für Vorsorgemaßnahmen des Bedrohten? – Aufwendungen für die Sicherung
einer Wohnung durch eine Alarmanlage, ein Balkenschloss
und eine Geheimnummer kann der telefonisch mit dem Umbringen bedrohte
Wohnungseigentümer vom Drohenden, der sich der Wohnung nicht genähert
und auch seine Drohung nicht wiederholt hat, nicht als Schadenersatz begehren.
(?) – Diese E des OGH ist ein Beispiel dafür, wie anfechtbar Urteile
praktisch und theoretisch sein können. Vgl dazu die Ausführungen
zum sog Rettungsaufwand bei Vermögensschaden → KAPITEL 9: Vermögensschäden. | |
|
|
DRdA 2000/30: Erzwingung einer Arbeitnehmer-Eigenkündigung durch
Drohung (Anm Rummel). | |
|
Die Rechtsfolge von
Täuschung oder Drohung ist Nichtigkeit → Wie
wirkt Nichtigkeit? Die
Rspr lässt aber auch im Falle des § 870 ABGB die Rechtsfolge des
§ 872 ABGB – nämlich Vertragsanpassung – zu; vgl JBl 1991, 584. | Rechtsfolge |
Drohung, Täuschung und Gewalt werden auch sonst
von der Rechtsordnung nicht toleriert. So können Leistungen, die
durch Drohung und/oder Anwendung von Gewalt bewirkt wurden und auf
die der Empfänger keinen Rechtsanspruch hat – zB Zahlung einer Prostituierten
an ihren Zuhälter – trotz § 1432 ABGB ( → Leistungskondiktionen
– Überblick)
zurückverlangt werden; RZ 1983/71 = HS 14.987. | |
3. Wille, Vorstellung
und Erklärung | |
Das Problem bei Willensmängeln liegt häufig
darin, dass beim Abschluss von Rechtsgeschäften, Verträgen oder
überhaupt bei der Abgabe von Willenserklärungen Vorstellung, Wille
und Erklärung nicht oder doch nicht vollständig übereinstimmen.
– Wie wir schon wissen, kommt ein Vertrag durch korrespondierende
Willenserklärungen, also Konsens der Vertragsparteien zustande; Antrag
und Annahme. § 869 ABGB verlangt zudem, dass die Einwilligung in
einen Vertrag eine „wahre” sein muss und meint damit, dass die Willenserklärungen
der Vertragsparteien frei von Fehlern sein müssen, insbesondere
auch frei von Irrtum (§§ 871 ff ABGB) oder noch schwerwiegenderen
Beeinträchtigungen der Willensbildung, wie Täuschung, Drohung oder
Zwang → §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung
| Wahre
Einwilligung |
4.
Willens-, Erklärungs- und Vertrauenstheorie | |
Die gesetzlichen Regeln
über Willensmängel benennen die Voraussetzungen, unter denen solche Fehler
– zB ein bei Vertragsabschluss unterlaufener Irrtum – auch noch
nachträglich korrigiert werden können. Dabei kann – wie auch bei
der Rechtsgeschäftslehre – die Rechtsordnung nicht nur vom Willen
des Irrenden ausgehen (sog Willenstheorie; §§ 565, 570–572 ABGB;
§ 901 Satz 3 ABGB), sondern hat auch auf die Rechtssicherheit des
Rechtsverkehrs und die „andere” Seite des Vertragsschlusses zu achten.
Das bedeutet, dass die Rechtsordnung auch der abgegebenen Erklärung
selbst, wie immer sie gemacht wurde (sog Erklärungstheorie) und
dem Verständnis des Publikums (allgemein: des Erklärungsempfängers)
Beachtung schenken muss; sog Vertrauenstheorie: Vgl auch → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| |
•
Die Willenstheorie gilt
nicht überall, sondern nur bei den unentgeltlichen Geschäften und
letztwilligen Verfügungen; denn der Wille von Schenkenden oder Testierenden
verdient umfassenden Schutz. | |
•
Die Erklärungstheorie gelangt
bspw bei Wechsel und Scheck, überhaupt Wertpapieren zur Anwendung,
weil deren Umlauffähigkeit ausschließlich vom Erklärten abhängt
und auf andere Gründe keine Rücksicht genommen werden kann. | |
•
Bei
den praktisch so wichtigen entgeltlichen Geschäften schließlich
gilt ausschließlich die sog Vertrauenstheorie: Dh
das Gewollte und Erklärte ist (verbindlich) nur so zu verstehen,
wie es ein redlicher und verständiger Erklärungsempfänger nach der
Verkehrsauffassung verstehen durfte: dies aus Rücksichtnahme auf
die Verkehrssicherheit und den allgemeinen Verkehrsschutz: § 914
ABGB – „Übung des redlichen Verkehrs” → KAPITEL 11: Verkehrssitte. | |
Die Erklärung ist also nicht immer so
auszulegen, wie der Erklärende meint oder es wollte, dass die Erklärung
zu verstehen sei. Die Anwendung der Vertrauenstheorie führt zur
Feststellung der dem Vertrag zugrundeliegenden Absicht „der” Parteien
(§ 914 ABGB), also dem (hypothetischen) Willen beider Parteien
und nicht nur der Absicht einer, der erklärenden
Partei. – Kann durch die Anwendung der Vertrauenstheorie im Rahmen
der konkreten Vertragsauslegung die Absicht der Parteien iSd § 914
ABGB festgestellt werden, kommt die Unklarheitenregel (§ 915, 2.
HalbS iVm § 869 ABGB) nicht mehr zur Anwendung. Zu den sich oft
überschneidenden Vertragsauslegungsregeln → KAPITEL 11: Auslegung
von Rechtsgeschäften und Verträgen: §§ 914, 915 ABGB. | Absicht
„der” Parteien
iSd § 914 ABGB |
|
JBl
1987, 521: Matrose schließt
Fernlehrvertrag mit
Fernlehrinstitut über „Radio- und Fernsehtechnik” und fühlt sich
idF überfordert. Fernlehrinstitut will „Rücktritt” (Ausstieg aus
dem Vertrag) des Matrosen nicht gelten lassen. Leitsatz: „§ 871
ABGB: Im Rahmen seiner vorvertraglichen Aufklärungs- und Informationspflichten
[cic!] darf sich das Fernlehrinstitut nicht mit der Selbsteinschätzung
des Kursinteressenten begnügen, sondern hat durch geeignete Pädagogen
zu prüfen, ob jener die Voraussetzungen für eine erfolgverheißende
Teilnahme an dem Ausbildungskurs besitzt und dementsprechend aufzuklären.
Wer in Verletzung seiner Aufklärungspflicht in contrahendo [ → KAPITEL 6: Cic
¿ culpa in contrahendo]
den Gegner irreführt, muss beweisen, dass der Irrtum nicht wesentlich
oder nicht einmal kausal war. Vgl die Rspr zur Beweislast bei Verletzung
der ärztlichen Aufklärungspflicht → KAPITEL 10: Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht.
Kein schlüssiger Verzicht auf die Irrtumsanfechtung, wenn der Irrende,
der zunächst vom Vertrag loskommen wollte, an diesem doch festzuhalten
erklärt, wenn er dabei noch in demselben Geschäftsirrtum wie bei
Vertragsschluss befangen war.” | |
|
|
RG 5.3.1941, DR (A) 1941, 1753:
Das ABGB steht hinsichtlich der Wirkung von Willenserklärungen nicht
auf dem Boden der Willens-, sondern der Vertrauenstheorie. | |
|
|
Eine gemischte
Schenkung ( → KAPITEL 3: Arten
der Schenkung)
kann wegen Irrtums zur Gänze angefochten werden; EvBl 1961/479. | |
|
| |
Die Unterscheidung
in wesentlichen und unwesentlichen Irrtum kannte schon das ABGB
von 1811. Die „3 Fälle” des § 871 ABGB stammen allerdings von der
III. TN (1916). § 871 Abs 2 ABGB wurde erst 1979 angefügt. § 872 ABGB
gilt aber noch heute in seiner ursprünglichen Fassung. – Die „Urfassung”
des § 871 ABGB lautete: „Wenn ein Teil von dem andern Teile durch
falsche Angaben irregeführt worden, und der Irrtum die Hauptsache,
oder eine wesentliche Beschaffenheit derselben betrifft, worauf
die Absicht vorzüglich gerichtet und erklärt worden; so entsteht
für den Irregeführten keine Verbindlichkeit.” | |
Irrtum bedeutet falsche
Vorstellung oder Unkenntnis der Wirklichkeit. – Unterlief
bei Vertragsschluss der einen oder andern Vertragspartei ein Willensmangel
/ Irrtum, so ist dieser unter gewissen, gesetzlich umschriebenen,
Voraussetzungen korrigierbar; und zwar entweder so: | Was ist Irrtum? |
• dass
die irrende Partei schließlich überhaupt nicht an den Vertrag
gebunden bleibt, also vom Vertrag (nach erfolgreicher Anfechtung)
abgehen kann; zB bei wesentlichem Irrtum (§ 871 ABGB) oder bei Täuschung
(§ 870 ABGB) → §§
870, 874 f ABGB: Täuschung und Drohung; | |
• oder so, dass die Partei doch nicht
„so” an den Vertrag gebunden sein, wie er geschlossen wurde
(Vertragskorrektur oder -anpassung); § 872 ABGB, unwesentlicher
Irrtum. | |
Die vom Gesetz her bestehende klare Unterscheidung
in den Rechtsfolgen zwischen Täuschung und Drohung auf der einen
sowie wesentlichem und unwesentlichem Irrtum auf der anderen Seite,
wird von der Praxis / Rspr verwischt; zB wird die Vertragskorrektur
sowohl bei Täuschung und Drohung, als auch beim wesentlichen Irrtum angewandt → Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB
| |
Willensmängel –
und daher auch der Irrtum – wirken nicht von selbst (eo ipso), sondern
müssen geltend gemacht werden, was durch Anfechtung geschieht. Anfechtbarkeit ( → Was
heißt Anfechtung?)
bedeutet, dass der Vertrag bis zur rechtskräftigen Nichtigerklärung
gültig bleibt; JBl 1957, 240. – Natürlich kann eine irrende Partei
auf das Geltendmachen ihres Irrtums auch verzichten. Dann bleibt
der Vertrag (gültig) bestehen. | Anfechtbarkeit |
| Abbildung 5.36: Irrtumsarten – Überblick |
|
1. Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB | |
Zur Abgrenzung
vom unwesentlichen Irrtum: | |
•
Ein Irrtum
ist wesentlich, wenn der Vertrag ohne ihn „gar nicht”
geschlossen (!) worden wäre
(§ 873 ABGB); und zwar: überhaupt nicht geschlossen worden wäre. | |
•
Unwesentlich ist ein Irrtum dann, wenn der Vertrag
zwar geschlossen, aber bei richtiger Kenntnis der Umstände „doch
nicht auf solche Art errichtet worden
wäre” (§ 873 ABGB), vielmehr mit anderem Inhalt; zB mit anderer
Menge, insbesondere anderem Preis, anderen Konditionen. – Dementsprechend
variieren die Rechtsfolgen. | |
|
GlUNF 109
(1898): Wesentlich ist der Irrtum über das ausdrücklich
zur Bedingung erhobene Motiv iSd § 901 ABGB (zum Motivirrtum → Der
Motivirrtum); | |
|
|
GlUNF 42 (1898)
oder über die Echtheit einer Briefmarke (GlUNF
388) oder eines Bildes (ZBl 1916 Nr 3) oder über
das Eigentum des Verkäufers (ZBl 1933 Nr 145):
Ebenso wesentlich der Irrtum über den Preis eines Kaufobjekts. | |
|
•
Der wesentliche Irrtum
ermöglicht die Anfechtung und Beseitigung des Gesamtvertrags.
Ist die Anfechtung erfolgreich, fällt der Gesamtvertrag und damit
das Titelgeschäft dahin → „Wie
wirkt” die Vertragsanfechtung?
| |
•
Beim unwesentlichem Irrtum nach § 872 ABGB dagegen,
kommt es bloß zu einer Vertragskorrektur / -anpassung
oder wie das Gesetz sich ausdrückt, zu einer „angemessenen Vergütung”.
Der Vertrag bleibt hier aber aufrecht. | |
Die
folgenden Beispiele zeigen, dass die Meinungen, ob der Irrtum wesentlich
oder unwesentlich war, leicht auseinandergehen und dass es – so
etwa SZ 54/88 – jeweils auf den festzustellenden Willen der konkreten
Parteien ankommt und nur dann, wenn sich dieser nicht (mehr) feststellen
lässt, gemäß § 914 ABGB, auf den sog hypothetischen Parteiwillen
abzustellen ist. | |
|
JBl 1956, 365 (Irrtum über
Grundstücksgröße: zB statt 1500 m2 nur
1450 m2) abgedruckt im Franz Gschnitzer
Lesebuch 754. Dieser Irrtum wird vom OGH als wesentlich, von Gschnitzer
– zutreffender – als unwesentlich angesehen. (Am Meinungsunterschied
zeigt sich, dass diese Grenze eine fließende ist!). Auch ein Personenirrtum (§
873 ABGB) kann unwesentlich sein; so, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer
(in bestimmter Hinsicht) für besonders qualifiziert hielt und ihm
daher einen höheren Lohn bewilligte, sich dies aber als falsch herausstellt. | |
|
|
SZ 53/108
(1980) – Kauf einer Kleinwohnung:
Verkäuferseite teilte Käufer mit, die Wohnung sei 50 m2 groß,
sie hatte aber tatsächlich nur 40 m2.
(Hier ist eher wesentlicher Irrtum anzunehmen! – Warum?) | |
|
|
SZ 54/88 (1981) –
Pächter irrt über die Erträge der gepachteten Frühstückspension –
Aus den Entscheidungsgründen des OGH: „Unzweifelhaft handelt es
sich nämlich bei der zugesagten Eigenschaft des verpachteten Unternehmens
um eine, die im abgeschlossenen Geschäft wertbildend, also für die
Bestimmung der Gegenleistung (Pachtzins) maßgebend war und deshalb
zum Inhalt des Geschäfts gehört, weshalb der beim Kläger dadurch
– die Unrichtigkeit der Zusicherung einmal vorausgesetzt – ausgelöste
Irrtum als Geschäftsirrtum anzusehen ist. In diesem Falle müsste
allerdings geprüft werden, ob der Geschäftsirrtum des Klägers ungeachtet
seiner Wesentlichkeit ein unwesentlicher in dem Sinne war, dass
beide Vertragsparteien den Vertrag ohne Irrtum ebenfalls, wenngleich
mit einem anderen Inhalt, nämlich einem niedrigeren Pachtzins, geschlossen
hätten, wozu in erster Linie der hypothetische Wille der Parteien
ermittelt und, wenn auf diese Weise kein Ergebnis erzielt werden
könnte, die Frage beantwortet werden müsste, wie normale Parteien
redlicherweise gehandelt hätten.” | |
|
Für die Anfechtung eines Vertrags
wegen Irrtums genügt es aber nicht, dass der Irrtum wesentlich war.
Nach § 871 ABGB muss zusätzlich einer der folgenden „drei
Fälle” alternativ dazukommen. Diese sind: | Die
„3 Fälle” des
§ 871 Abs 1 ABGB |
• ,,falls der Irrtum
durch den anderen veranlasst war; oder | |
• diesem aus den Umständen offenbar auffallen musste;
oder | |
• noch rechtzeitig aufgeklärt wurde”. | |
Zu den ,,3 Fällen”
des § 871 ABGB kommen noch zwei weitere, von der Praxis entwickelte
„Fälle” dazu, die im Gesetz aber nicht aufscheinen und die sowohl
Tatbestands- wie Rechtsfolgevoraussetzungen betreffen. Man kann
daher heute von den ,,5 Fällen” des § 871 ABGB sprechen. – Die neu entwickelten
Fälle sind: | Zwei weitere Fälle |
•
Gemeinsamer Irrtum der
Vertragsparteien. Hier steht das Anfechtungsrecht beiden Vertragsteilen
zu; und zwar auch ohne das Vorliegen eines der „3 Fälle” des § 871
ABGB. Der Irrtum muss für den Anfechtenden aber „wesentlich” sein. | |
• Dass es auch beim wesentlichen Irrtum nach
der Rspr uU zur Vertragsanpassung nach § 872 ABGB
kommen kann. | |
| |
|
SZ 26/71 (1953):
Im Falle eines nach § 871 ABGB beachtlichen wesentlichen Irrtums
hat der Irregeführte die Wahl, an Stelle der Aufhebung des Vertrages
(nach § 871 ABGB) nach § 872 ABGB vom Urheber des Irrtums eine angemessene
Vergütung zu verlangen. | |
|
|
§ 871, Fall 1 ABGB
– ,,durch den anderen veranlasst ...”, dh nicht: „verschuldet” (!)
wurde! Die Tatbestandsvoraussetzungen der Irrtumsanfechtung – das
gilt für den wesentlichen wie den unwesentlichen Irrtum – setzten
demnach prinzipiell kein Verschulden – auch nicht leichte Fahrlässigkeit
– voraus, sondern begnügen sich mit einem objektiven Verursachungsnachweis.
Eine (Verständnis)Grenze zieht aber die Vertrauenstheorie → Zur
Rechtsgeschäftslehre des ABGB
| Zum
ersten Fall des § 871 |
|
|
SZ 28/103
(1955) Hotelverkauf: Die Verkäufer verschweigen den Käufern, die
große Umbaupläne für das Hotel haben, dass das Gebäude nicht in
sog Massivbauweise, sondern nur in sog Holzriegelbaukonstruktion
errichtet wurde. OGH: Veranlassen iSd § 871 ABGB setzt weder absichtliche
noch fahrlässige Irreführung voraus. Es genügt jedes für die Entstehung
des Irrtums ursächliche Verhalten. Kann ein Kontrahent nach der
Verkehrsauffassung mit dem Vorhandensein oder Nichtvorhandensein
gewisser den Geschäftsinhalt betreffender Umstände rechnen, solange
ihm nicht das Gegenteil vom anderen Vertragsteil mitgeteilt wird,
begründet schon das Unterlassen dieser Mitteilung ein Veranlassen
des Irrtums. | |
|
|
JBl 1971, 258 (Verkauf
eines Kraftfahrzeugs Marke R.): Verkäufer behauptet wahrheitswidrig,
das Fahrzeug sei unfallfrei (sog Havariefreiheit) und weise einen
bestimmten Kilometerstand auf, was ebenfalls unrichtig war. | |
|
Zur sog Anspruchskonkurrenz und Anspruchskumulierung im
Rahmen der gerichtlichen Anspruchsdurchsetzung (zB zum gleichzeitigen
Geltendmachen eines Willensmangels und/oder einer Leistungsstörung) → KAPITEL 7: Die
Leistungsstörungen. | |
,,offenbar
auffallen musste” – dh dass ,,der andere“ (= der Geschäftspartner
des Irrenden) den Irrtum (des andern) hätte erkennen können / müssen. | Zum zweiten Fall des § 871 |
|
Es muss dem Verkäufer
auffallen, wenn der Käufer das Bild / Schmuckstück aufgrund des
hohen Preises für echt hält. – Oder: JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur) → Erklärungs-
und Geschäftsirrtum
| |
|
|
SZ 51/144 (Insektizidkauf) → Der
Kalkulationsirrtum
| |
|
§ 871, Fall 3 ABGB
– ,, ... rechtzeitig aufgeklärt wurde”; sog „res integra”-Aufklärung.
– Kurz: Der andere Vertragsteil darf (seit Vertragsschluss bis zur
Anfechtung) noch keine wesentlichen rechtlichen oder wirtschaftlichen
Dispositionen (über den Vertragsgegenstand) getroffen haben; zB kein
Bauansuchen gestellt haben oder eine Weiterveräußerung des Kaufgegenstands
oder Investitionen getätigt haben. | Zum
dritten Fall des § 871 |
Im 3. Fall des § 871 ABGB steckt eine objektive
vertrauenstheoretische Verkehrsschutzüberlegung. Das Recht des Irrenden,
seinen Irrtum geltend zu machen, reicht nur bis zu einem gewissen
Punkt, nämlich dorthin, wo sein Geschäftspartner irreversible Dispositionen
getroffen hat, nicht weiter. Der zB durch eine getroffene Investition geschaffene
rechtliche oder wirtschaftliche Wert soll nicht gefährdet werden. | |
|
SZ 24/288 (1951):
„Rechtzeitig aufgeklärt” ist der Irrtum nur, wenn der Gegner noch
nicht im Vertrauen auf die Erklärung des Irrenden gehandelt hat;
insbesondere, wenn der Gegner (des Irrenden) anlässlich eines abgeschlossenen
Vertrags noch keine rechtliche oder wirtschaftliche Verfügung getroffen
und auch nicht die Gelegenheit zu einer solchen Verfügung infolge
des geschlossenen Vertrags versäumt hat; SZ 26/129 (1953). | |
|
|
SZ 14/40 (1932): Eine infolge
Irrtums des Gläubigers unrichtig ausgestellte Quittung hindert nicht
das Geltendmachen des Forderungsrechts, wenn der Irrtum aufgeklärt
wurde, bevor der Schuldner im Vertrauen auf die Erklärung gehandelt
und sich eingerichtet hat. | |
|
|
Als nicht mehr rechtzeitig
aufgeklärt wurde folgender Fall angesehen (JBl 1963, 439): Irrtum
über die Höhe einer dem Dienstnehmer zustehenden Abfertigung. –
Der Direktor einer Raiffeisenkasse wurde gekündigt und die Kasse
zahlte ihm irrtümlich 12 statt der ihm zustehenden 9 Monatsgehälter
als Abfertigung. Der Geltendmachung dieses Irrtums im darauf von
der Raiffeisenkasse geführten Prozess wurde als verspätet angesehen. | |
|
|
SZ 42/121 (1969):
Rechtzeitiges Aufklären eines bei einer Abfindungserklärung nach
einem Verkehrsunfall unterlaufenen Irrtums. | |
|
| |
| Abbildung 5.37: Wesentlicher Irrtum – § 871 ABGB |
|
| Abbildung 5.38: Gemeinsamer Irrtum |
|
Dieser Absatz wurde erst 1979 durch das
KSchG ins ABGB eingefügt; vgl auch § 873 Satz 2 ABGB. Diese Neuregelung
sollte der Pfuscherbekämpfung dienen; Nichtaufklärung über die fehlende
Gewerbeberechtigung gilt stets als „Irrtum über den Inhalt des Vertrages
und nicht bloß als solcher über den Beweggrund oder den Endzweck
(§ 901)”. – In der Praxis findet diese Bestimmung kaum Anwendung. | 871
Abs 2 ABGB |
2. Unwesentlicher
Irrtum; § 872 ABGB | |
Zur Unterscheidung:
„wesentlicher – unwesentlicher” → Wesentlicher
Irrtum: § 871 ABGB Die
Rechtsfolge des § 872 ABGB liegt – wie erwähnt – in einer Vertragsanpassung / Vertragskorrektur;
das Gesetz spricht von „angemessener Vergütung”, weil eine solche
Anpassung häufig zu einer Preisreduktion führt. – Der Vertrag bleibt
bestehen, wird aber kraft richterlicher Gestaltung inhaltlich modifiziert. | |
| |
| |
| Abbildung 5.39: Unwesentlicher Irrtum: § 872 ABGB |
|
| |
§ 873 ABGB stellt
klar, dass die „Grundsätze” des wesentlichen und unwesentlichen
Irrtums auch für den „Irrtum in der Person desjenigen [gelten],
welchem ein Versprechen gemacht worden ist”. Gemeint ist damit: | |
• ein Irrtum über
die Person (iSd Identität des Geschäftspartners), oder | |
• über eine wesentliche (dh
insbesondere eine geschäftsrelevante) Eigenschaft dieser
Person. | |
|
EvBl 1956/269: Irrtum über die Person des Geschäftspartners bei
einem Holzgeschäft; | |
|
|
GlUNF
1911 (1902): Irrtum über bestehende Vorstrafen; | |
|
|
EvBl 1951/109: Nachträglich hervorgekommene Vertrauensunwürdigkeit eines
Vertragsteils berechtigt zur Anfechtung. Besonders wichtig ist das
bei Kreditgeschäften (Kreditwürdigkeit) oder bei Dienst- oder Pachtverträgen,
wo auch der Irrtum über das Vorliegen von Fähigkeiten –
zB eines Pächters oder Arbeitnehmers – zur Anfechtung berechtigen
kann. | |
|
Eine Sonderregelung betreffend den Irrtum über
die Eigenschaften einer Person findet sich in
§ 37 EheG; vgl JBl 2003, 50 = EvBl 2002/133: Geisteskrankheit der
Ehefrau. | §
37 EheG |
§ 873 Satz 2 ABGB wurde – ebenso wie
§ 871 Abs 2 ABGB – erst 1979 (BGBl 140) durch das KSchG ins ABGB
eingefügt und richtet sich gegen gewerberechtliche Pfuscher: Der
„Irrtum über das Vorhandensein einer erforderlichen verwaltungsrechtlichen
Befugnis zur Erbringung der Leistung” ist ein Irrtum in der Person.
– Üblicherweise besteht darüber aber keine Unklarheit. | §
873 Satz 2 ABGB |
4. §
875 ABGB: Veranlassung durch einen Dritten | |
Veranlasst ein Dritter
den Irrtum eines der Vertragspartner berechtigt das grundsätzlich
nicht zur Irrtumsanfechtung. Der Vertrag bleibt vielmehr gültig.
– „Nur in dem Falle, dass der andere [Vertrags]Teil an der Handlung
des Dritten teilnahm oder von derselben offenbar wissen musste, kommen
die §§ 870-874 ABGB zur Anwendung.” | |
Zu beachten ist
die Sphärenzurechnung, die der gesetzlichen Lösung
zugrunde liegt: Sphäre des einen + des andern Vertragspartners +
Sphäre des Dritten als neutrale Sphäre. Allenfalls wird der Dritte
der Sphäre des nicht irrenden Vertragspartners zugerechnet. | Sphärenzurechnung |
Mit der „Dritte”
ist an Außenstehende gedacht, die nicht wie Bevollmächtigte, überhaupt
als direkte oder indirekte Stellvertreter, Vermittler, Hilfsorgane
bei der Vorbereitung (EvBl 1954/131) oder als Boten dem anderen
Vertragsteil sphärenmäßig zuzurechnen sind; EvBl 1939/134. | Dritte |
|
JBl 1991, 584: Eine Person, die
maßgeblich auf der Seite des Vertragspartners am Zustandekommen
des Geschäfts mitgewirkt hat, ist kein Dritter iSd§
875 ABGB. Der Verkäufer muss eine von einem mit der Vermittlung
des Verkaufs einer Liegenschaft beauftragten Immobilienmakler in
dieser Eigenschaft begangene Täuschung des Kaufinteressenten gegen
sich gelten lassen. | |
|
|
Das gilt insbesondere
auch für die Einschaltung „Dritter” beim Kreditkauf (SZ 33/123) oder beim Leasing:
SZ 58/183 = ÖBA 1986, 356 (finanzierende Bank bedient sich des Leasinggebers
als Verhandlungsgehilfen). | |
|
5. Rechtsvergleich
mit dem dtBGB | |
Im dtBGB ist der Irrtum ganz anders – für uns sehr fremd
– gelöst als im ABGB. – Irrt jemand und will er deshalb den geschlossenen
Vertrag nicht zuhalten, kann er seine (eigene) Erklärung wegen Irrtums
nach § 119 Abs 1 dtBGB anfechten. Dabei hat der Anfechtende seinen
Irrtum zu beweisen. Anfechten kann ein Irrender aber stets, und
nicht nur – wie nach ABGB – zB in den drei Fällen des § 871. Nach
§ 122 dtBGB ist jedoch der Anfechtende (!) grundsätzlich zu Schadenersatz verpflichtet
(Ausnahme: § 122 Abs 2 dtBGB), weil sich der Fehler in seiner Sphäre
ereignete. Der Schadenersatzanspruch des Kontrahenten des Irrenden
richtet sich auf das negative (Vertrags)Interesse, womit der Vertrauensschaden gemeint
ist. Zu ersetzen sind dem Vertragspartner (des Irrenden) also vor
allem Aufwendungen, die er im Vertrauen auf die Gültigkeit des Vertrags gemacht
hat. – Zum Vertrauensschaden → KAPITEL 6: Wofür
wird bei cic gehaftet?.
– Kein Schadenersatzanspruch des Vertragspartners des Irrenden besteht
in den von § 122 Abs 2 dtBGB genannten Gründen; kennen oder kennen
müssen des Irrtums. | |
§ 119 dtBGB [Anfechtbarkeit
wegen Irrtums] | |
Abs 1: Wer bei der Abgabe einer Willenserklärung über deren
Inhalt im Irrtume war oder eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt
nicht abgeben wollte, kann die Erklärung anfechten, wenn anzunehmen
ist, dass er sie bei Kenntnis der Sachlage und bei verständiger
Würdigung des Falles nicht abgegeben haben würde. | |
Abs 2: Als Irrtum über den Inhalt der Erklärung gilt auch
der Irrtum über solche Eigenschaften der Person oder der Sache,
die im Verkehr als wesentlich angesehen werden. | |
§ 122 dtBGB [Schadenersatzpflicht des Anfechtenden] | |
Abs 1: Ist eine Willenserklärung nach § 118 nichtig oder
auf Grund der §§ 119, 120 angefochten, so hat der Erklärende, wenn
die Erklärung einem anderen gegenüber abzugeben war, diesem, andernfalls
jedem Dritten den Schaden zu ersetzen, den der andere oder der Dritte
dadurch erleidet, dass er auf die Gültigkeit der Erklärung vertraut,
jedoch nicht über den Betrag des Interesses hinaus, welches der
andere oder der Dritte an der Gültigkeit der Erklärung hat. | |
Abs 2: Die Schadenersatzpflicht tritt nicht ein, wenn der
Beschädigte den Grund der Nichtigkeit oder der Anfechtbarkeit kannte
oder infolge von Fahrlässigkeit nicht kannte (kennen musste). | |
Die Irrtumsanfechtung nach ABGB setzt kein
Verschulden voraus und Irrtum und Schadenersatz, die zwar zusammenfallen
können, aber nicht müssen, sind zwei Paar Schuhe. Außerdem wird
nach ABGB nicht die eigene Erklärung angefochten, sondern die Gültigkeit
des Vertrags. Die österreichische Lösung, die naturrechtlich fundiert ist
und auf K. A. v. Martini zurückgeht, erscheint nicht nur einfacher,
sondern auch klarer und überzeugender an Gerechtigkeits- und Praktikabilitätserwägungen
orientiert. Sie empfiehlt sich daher für ein europäisches Privatrecht. | |
| Abbildung 5.40: Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum |
|
III. Erklärungs-,
Geschäfts- und Motivirrtum | |
Wir unterscheiden im Bereich des Irrtums ferner zwischen
Erklärungs-, Geschäfts- und Motivirrtum. – Während der Erklärungs-
und der Geschäftsirrtum – praktisch vor allem im zentralen Bereich
der entgeltlichen Geschäfte – anfechtbar sind, trifft das auf den
Motivirrtum nicht zu. Von Bedeutung ist daher die Grenzziehung zwischen
Erklärungs- und Geschäftsirrtum auf der einen und dem Motivirrtum
auf der anderen Seite. | |
Die Rspr (SZ
42/155 [1969]) hat dafür folgende Merkregeln entwickelt: | Merkregeln |
• Beim Geschäftsirrtum bezieht
sich die unrichtige Vorstellung des/der Irrenden auf Punkte, die innerhalb des
Geschäfts liegen, | |
• beim Motivirrtum auf solche außerhalb des
Geschäfts. | |
1. Erklärungs-
und Geschäftsirrtum | |
Erklärungsirrtum liegt
zB vor, wenn sich der / die Erklärende verspricht oder verschreibt
– jedenfalls etwas anderes erklärt, als eigentlich gewollt ist.
– Geschäftsirrtum liegt vor, wenn über den Gegenstand,
also über das abzuschließende Geschäft oder auch über den Geschäftspartner
geirrt wird; jemand nimmt etwa Schenkung oder Leihe statt Darlehen
an oder Verlobung statt Ehe; § 36 Abs 1 EheG. Hierher gehört auch
der Irrtum über die Eigenschaften einer Person; § 37 EheG → KAPITEL 16: Die
Auflösung der Ehe. | |
|
JBl 1965, 318 (Eismaschinenreparatur):
Berechnet ein Vertragspartner dem anderen für eine Reparatur einen
günstigen Sonderpreis in der irrigen Annahme, dass der andere das
reparierte Gerät bei ihm gekauft habe, so liegt Geschäftsirrtum
vor, der unter den weiteren gesetzlichen Voraussetzungen (der §§
871, 872 ABGB) zur Anfechtung berechtigt. | |
|
|
SZ 47/148 (1974, Kauf einer
Eigentumswohnung in Badgastein – Geschäftsirrtum): Die
Beklagte will von der Klägerin eine Eigentumswohnung kaufen und
entschließt sich deshalb zum Kauf, weil in den Plänen (der Wohnanlage)
eine Badeanlage vorgesehen ist. Unmittelbar nach
Unterzeichnung des Kaufanbots (!) erklärt ihr ein Angestellter des
WE-Organisator, dass die Bäder nicht gebaut werden. Es wird idF
von Grünanlagen gesprochen und die Beklagte ist
der Meinung, dass nunmehr im Innenhof der Anlage statt der ursprünglich
geplanten Autoabstellplätze eine Grünanlage vorgesehen sei, was
aber nicht zutrifft. Erst viel später (bei der Baustellenbesichtigung)
erfährt die Klägerin, dass im Anlagenhof Autoabstellplätze errichtet
werden. – Der WE-Organisator klagt idF den Kaufpreis ein, wogegen
die Beklagte (erfolgreich) Irrtum einwendet. – OGH: Dass ein Irrtum
der [Beklagten] über die Verwendung der unmittelbar vor ihrer ebenerdigen
Wohnung gelegenen Fläche als Abstellplatz für etwa 12 Pkws als Geschäftsirrtum
über wesentliche Umstände anzusehen wäre, ist entgegen der Meinung
des Erstrichters nicht zu bezweifeln. Wenn auch die Lage einer Wohnung
zur Umwelt nicht in jedem Fall und nicht hinsichtlich jedes Details
ein wesentlicher Inhalt des Geschäftes ist, sondern im Einzelfall
bloßes Motiv zum Kauf darstellen oder unwesentliche Nebenumstände
betreffen kann, so liegt doch offenkundig eine ungewöhnliche Belästigung
des Eigentümer einer Wohnung in einem Neubau eines Kurortes vor,
wenn unmittelbar vor seinem zu einem Innenhof gelegenen Balkon fast
in gleicher Höhe eine größere Anzahl von Autos abgestellt wird.
Ein solcher Umstand verändert die Beschaffenheit des Kaufgegenstandes
selbst ... und stellt nach objektiver Verkehrsanschauung ... eine
wesentliche Abweichung vom Normalfall dar. Anders wäre es bloß,
wenn schon der Kaufpreis auf diesen Nachteil abgestellt worden wäre. | |
|
|
Vgl auch ecolex 1998, 197: Wertirrtum
beim Teppichkauf. – Beruht der Wertirrtum eines Käufers
auf Umständen, die im redlichen Geschäftsverkehr eine Aufklärung
durch den Verkäufer erwarten lassen, liegt nicht bloß Motiv-, sondern
Geschäftsirrtum vor. | |
|
| |
Beim Motivirrtum handelt
es sich um einen Irrtum im Beweggrund, eben im Motiv eines Vertragsschließenden;
zB „warum” er eine bestimmte Sache kauft oder verkauft; vgl → Erklärungs-,
Geschäfts- und Motivirrtum Kauft
jemand Blumen in der Meinung, X habe heute Geburtstag und ist das
falsch, kann er die Blumen nicht wieder zurückgeben, denn ein Motivirrtum ist grundsätzlich
unbeachtlich; dh wegen eines Motivirrtums können Verkehrsgeschäfte
– also entgeltliche Verträge – nicht angefochten werden. Und zwar
weder nach § 871, noch nach § 872 ABGB. | |
Zur Relevanz der Arglist auch
beim Motivirrtum vgl gleich unten: EvBl 1975/205: Dienstvertrag. | |
Will man ein
bloßes Motiv aber zum Geschäftsinhalt (und damit den Irrtum anfechtbar)
machen, muss das Motiv ausdrücklich zur Bedingung erhoben werden;
vgl § 901 ABGB: Gesetz lesen! Relevant ist der Motivirrtum aber
auch im Bereich letztwilliger (Erbrecht) und unentgeltlicher Geschäfte,
also vor allem bei Schenkungen, aber auch der Leihe; vgl § 901 Satz
3 ABGB. Nicht aber – wie erwähnt – im Bereich entgeltlicher Verkehrsgeschäfte.
Eine unbedingt abgegebene Erbserklärung ( → KAPITEL 17: Die
unbedingte Erbserklärung)
kann aber nicht wegen Motivirrtums angefochten werden; EvBl 1969/424. | „Motiv“
kann zum Geschäftsinhalt erhoben werden |
|
SZ 23/272 (1950): Warenlager: unabsetzbare
Nachkriegsware. Motivirrtum ist der Irrtum (zB des Käufers) über
die Absatzfähigkeit und den gemeinen Wert von Waren.
Anfechtung wegen listiger Irreführung wäre jedoch möglich. | |
|
|
SZ 48/9 (1975): Beispiel für die Beachtlichkeit
eines Motivirrtums bei unentgeltlichen Geschäften (Schenkung!)
– Frau schenkte ihrem Gatten die Hälfte eines Grundstücks,
weil sie voraussetzte, dass die Ehe aufrecht bleiben würde und weil
sie hoffte, ebenfalls Hälfteeigentümerin einer Liegenschaft ihres Mannes
zu werden. Die Ehe wird jedoch idF geschieden. – Aus den Entscheidungsgründen
des OGH: Nach dem vorliegenden Sachverhalt sind die Streitteile
bei Übereignung des Liegenschaftsanteils übereinstimmend davon ausgegangen,
dass ihre Ehe Bestand haben werde ... Durch die rechtskräftige Scheidung der
Ehe ist diese von beiden Parteien bei Abschluss des Schenkungsvertrags
zugrunde gelegte Voraussetzung weggefallen. (Vgl dazu auch →
Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage:
Wegfall der Geschäftsgrundlage) ... Der ohne Verschulden oder aus
gleichteiligem Verschulden geschiedene Ehegatte hat Anspruch auf
Rückstellung dessen, was er in die Ehe einbrachte. – Machte der
andere (als der anfechtende) Gatte auf eine rückzustellende Liegenschaft
Aufwendungen, steht ihm ein Anspruch auf Ersatz dieser Aufwendungen
zu, der durch Zurück(be)haltung ( → KAPITEL 15: Das
Zurückbehaltungsrecht: § 471 ABGB)
der herauszugebenden Liegenschaft gesichert werden kann. | |
|
|
§ 901 ABGB stellt klar, dass
der Beweggrund bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlich ist (Satz
2), wenn er nicht ausdrücklich zur Bedingung erhoben wurde (Satz
1). Die hA versteht dieses „ausdrücklich” aber nicht so, dass dadurch
einer schlüssigen / konkludenten oder stillschweigenden Erhebung
einer Bedingung zum Motiv der Boden entzogen wäre. – Vgl in diesem
Sinne neben der eben erwähnten E SZ 48/9 auch etwa
HS 6450/35 (1968), wo bei einem Kaufvertrag über einen Lkw,
die Möglichkeit einer Kreditfinanzierung – zu recht
– als stillschweigend vereinbarte Bedingung angesehen wurde. | |
|
|
SZ 39/206 (1966): Unbeachtlicher
Motivirrtum, wenn ein Kunstliebhaber das Bild eines unbekannten Künstlers
(„Argo 1945”) gegen einen Brillantring eintauscht
und sich die Hoffnungen des Bilderwerbers, der Wert des Bildes würde
steigen, zerschlagen. | |
|
|
EvBl 1975/205: Der Motivirrtum
ist bei entgeltlichen Geschäften (wie einem Dienstvertrag)
unbeachtlich; ausgenommen ist Arglist und ausdrückliches
Vereinbaren des Beweggrundes / Motivs als Bedingung. | |
|
IV. Der
Kalkulationsirrtum | |
| |
,,Unter
Kalkulationsirrtum wird Verschiedenes verstanden und danach ist
auch die Beurteilung verschieden. Man kann daher ebenso wenig allgemein
sagen, der Kalkulationsirrtum sei wesentlich, wie, er sei bloßer
Motivirrtum. – Ein [beachtlicher ] Geschäftsirrtum liegt
vor, wenn ein Teil sich im Preis verschreibt, verspricht,
einen Rechenfehler oder dgl begeht oder bspw den
Vierteljahreszins entgegen der Ortsüblichkeit und Angemessenheit
für einen Jahreszins hält. Die Anfechtung ist in solchen Fällen
natürlich ... an die weiteren Voraussetzungen der §§ 871 ff ABGB
geknüpft, insbesondere [aber] dann zulässig, wenn der Irrtum dem
Gegner offenbar auffallen musste. – Nicht zum Geschäfts- sondern
zum (bei entgeltlichen Geschäften unbeachtlichen) Motivirrtum gehört aber
jener Kalkulationsirrtum, bei dem der Verkäufer oder Unternehmer
die Kosten der Erzeugung, Beschaffung, der ihm obliegenden Versendung
usw zu niedrig berechnet, also im eigentlichen Sinne falsch kalkuliert”;
Gschnitzer in Klang2 IV/1, 127 mwH. | |
Vgl auch die folgenden Beispiele. – Der Kalkulationsirrtum
kann also wesentlich oder unwesentlich sein, ebenso bloßer Motivirrtum. | |
2. Rspr-Beispiele
zum Kalkulationsirrtum | |
|
SZ
51/144 (1978)
Kauf von 25 Tonnen
eines Insektizides: Ein Irrtum bei der Preiskalkulation
im Ausmaß von drei Dezimalstellen muss dem Großeinkäufer einer Ware
selbst dann auffallen, wenn er sonst nicht damit handelt: Kilopreis
von 1,90 S statt richtig 265,– S. – OGH nimmt ohne weitere Erörterung (wesentlichen)
Geschäftsirrtum an. – Hier wurde also nicht wirtschaftlich falsch
kalkuliert, sondern es liegt ein Rechen- und/oder Schreibfehler
vor. | |
|
|
EvBl 1983/100: Tischlermeister
kalkuliert (wirtschaftlich) falsch – „Kalkulationsirrtum
ieS” eines Gewerbetreibenden; Bedeutung der nach einem Leistungsverzeichnis
aufgeschlüsselten Preisansätze; Kläger = (ausschreibender) Hotelier;
Beklagter = Tischlermeister, der inhaltlich / fachlich falsch kalkuliert. | |
|
|
WBl 1987, 62:
Gemeinde schreibt öffentlich Kanalbauarbeiten aus
– Firma irrt über von ihr zu erbringende Leistungen. – OGH: ,,Der
sog Kalkulationsirrtum betrifft idR nicht die rechtsgeschäftliche Erklärung
selbst, sondern nur Umstände, die dieser vorangegangen sind und
damit nur den Beweggrund. Wenn jedoch die Kalkulation zum Gegenstand
der entscheidenden Vertragsverhandlungen gemacht wurde und der geforderte
Preis erkennbar als ein auf dieser Kalkulation beruhender bezeichnet
worden ist, liegt ein Irrtum über den Inhalt der Erklärung vor.
Ein Motivirrtum ist hingegen anzunehmen, wenn ein Vertragsteil die
Höhe der von ihm zu tragenden Kosten oder der von ihm zu tätigenden
Aufwendungen falsch einschätzt (EvBl 1983/100 [Tischler]; Gschnitzer
in Klang2 IV/1, 127). Im vorliegenden
Fall wurden die Kalkulationsgrundlagen in der Ausschreibung eindeutig
dargelegt. Nach der Ausschreibung war klar, dass die Fertigteilschächte
aus Stahlbetonringen mit zugfester Schraubverbindung und eingelegtem
Rollring auszuführen sind. Die Beklagte hat bei Erstellung des Anbots
nicht etwa die Kosten für die Erbringung derartiger Leistungen falsch
eingeschätzt, sondern hat ein Anbot erstellt, das in diesem Punkt
von der Ausschreibung abwich. Dem Anbot lag demnach nicht ein bloß
unbeachtlicher Kalkulationsirrtum, sondern ein [beachtlicher und
wesentlicher] Geschäftsirrtum zugrunde. Ein solcher Irrtum berechtigt
aber grundsätzlich zu einer Anfechtung nach § 871 ABGB.” | |
|
|
SZ 70/133: Beidseitiger
Kalkulationsirrtum, wobei der Irrtum für einen Vertragsteil
bei enstsprechender Sorgfalt erkennbar gewesen wäre; vgl die berechtigte
Kritik Kramers, in: AcP 200 (2000) 395. – Unsere Rspr sollte „stolz”
auf unsere fortschrittlichen naturrechtlichen Irrtumsregeln sein
und nicht unnötig deutsches Recht übernehmen. | |
|
| |
| Abbildung 5.41: Kalkulationsirrtum (1) |
|
| Abbildung 5.42: Kalkulationsirrtum (2) |
|
V. Tatsachen-
und Rechtsirrtum | |
Ein weiteres Irrtums(begriffs)paar
ist der Tatsachen- und Rechtsirrtum: das ist der Irrtum über angenommene
Fakten oder tatsächliche Verhältnisse oder über die bestehende Rechtslage
oder die Rechtsfolgen; vgl § 326 Satz 3 ABGB: | |
„ ... Aus Irrtum in Tatsachen oder aus Unwissenheit der
gesetzlichen Vorschriften kann man ein unrechtmäßiger (§ 316) und
doch ein redlicher Besitzer sein.” | |
Beide Irrtumsarten
folgen den Regeln der §§ 871, 872 ABGB, können also sowohl wesentlich
wie unwesentlich sein. Tatsachen- oder Rechtsirrtum können aber
auch bloß unbeachtlicher Motivirrtum sein, ebenso wie beachtlicher
Geschäfts- oder Erklärungsirrtum. – Rechtlich relevant können demnach
(in den vom ABGB anerkannten Fällen) beide Irrtumsarten sein. | |
§ 2 ABGB beruht zwar scheinbar auf dem Grundgedanken
des error iuris nocet (also darauf, dass ein Rechtsirrtum dem Irrenden
stets schadet), doch modifiziert das ABGB diesen Grundsatz sowohl
in § 326 (wonach der über Tatsachen oder gesetzliche Vorschriften
Irrende dennoch ein redlicher Besitzer sein kann), als auch § 1431
(Anspruchsvoraussetzungen bei Zahlung einer Nichtschuld / condictio
indebiti → Leistungskondiktionen
– Überblick) ins Gegenteil und stellt den Rechts-,
dem (immer beachtlichen) Tatsachenirrtum gleich! – Diese Einteilung
überschneidet sich also mit anderen Irrtumsarten. | §
2 ABGB |
Bloße Rechtsunkenntnis
stellt aber noch keinen Rechtsirrtum dar. Es gilt vielmehr
§ 2 ABGB: „Sobald ein Gesetz gehörig kundgemacht worden ist, kann
sich niemand damit entschuldigen, dass ihm dasselbe nicht bekannt
geworden ist.” – Die Rspr zieht daraus aber nicht immer zutreffende Schlüsse;
so in MietSlg 38.069 (1986): Beispiele. | Rechtsunkenntnis
ist noch kein Rechtsirrtum |
Mayer-Maly, Rechtskenntnis
und Gesetzesflut (1969). | |
|
Irrtum über die Echtheit
eines gekauften Bildes oder einer Briefmarke (=
Tatsachenirrtum); ZBl 1916 Nr 3 und GlUNF 388 (1898). | |
|
|
EvBl 1969/423: Gutgläubiger
Pkw-Käufer gibt (von der Polizei dazu aufgefordert) gestohlenes
Auto zurück, weil er (wie diese) § 367 ABGB nicht kennt. Beachtlicher
Rechtsirrtum! | |
|
|
MietSlg 38.069 (1986): Als unerheblichen
Rechtsfolgenirrtum betrachtet die Rspr den Irrtum der Parteien beim
Abschluss eines Bestandvertrags darüber, ob der Bestandgegenstand
den Bestimmungen der Mieterschutzgesetzgebung unterliegt
(?); vgl schon EvBl 1960/222. | |
|
Das
Strafrecht regelt in § 9 StGB den Rechtsirrtum: | Auch das Strafrecht kennt den Rechtsirrtum |
(1) Wer das Unrecht der Tat wegen eines Rechtsirrtums nicht
erkennt, handelt nicht schuldhaft, wenn ihm der Irrtum nicht vorzuwerfen
ist. | |
(2) Der Rechtsirrtum ist dann vorzuwerfen,
wenn das Unrecht für den Täter wie für jedermann leicht erkennbar war
oder wenn sich der Täter mit den einschlägigen Vorschriften nicht
bekannt gemacht hat, obwohl er seinem Beruf, seiner Beschäftigung
oder sonst den Umständen nach dazu verpflichtet gewesen wäre. | |
(3) Ist der Irrtum vorzuwerfen, so ist, wenn der Täter vorsätzlich
handelt, die für die vorsätzliche Tat vorgesehene Strafdrohung anzuwenden,
wenn er fahrlässig handelt, die für die fahrlässige Tat. | |
Beachte: Im Strafrecht spielt vornehmlich der verschuldete
/ vorwerfbare Rechtsirrtum eine Rolle; vgl leg cit. – Im Zivilrecht
dagegen ist Verschulden grundsätzlich keine Tatbestandsvoraussetzung,
wenngleich auch hier Verschulden dazutreten kann. | |
VI. Rechtsfolgen
von Willensmängeln: Anfechtung, Nichtigkeit und
Rückabwicklung | |
| |
Wir haben von den Willensmängeln allgemein,
insbesondere dem Irrtum gehört und mehrfach vernommen, dass ein
etwa bei einem Vertragsschluss unterlaufener Irrtum (unter gewissen
Voraussetzungen) geltend gemacht werden kann, genauer: zur Anfechtung
berechtigt. – Aber was ist damit gemeint? Werfen wir einen Blick
ins Gesetz: | |
•
§ 871 ABGB trifft die Rechtsfolge: „So entsteht...
für ihn [gemeint ist der Irrende] keine Verbindlichkei t”
und | §
871 ABGB |
•
§ 870 ABGB
formuliert ähnlich: Ein Bedrohter oder Getäuschter ist den Vertrag
„zu halten nicht verbunden”. – Anders freilich § 872 ABGB,
der – wie wir gehört haben – nur ein Recht auf Vertragsanpassung
/ -korrektur gewährt und nicht ein Recht darauf, den ganzen Vertrag
aus den Angeln zu heben. | § 870 ABGB |
•
§ 877 ABGB
schließlich, der die sog Rückabwicklung bei Willensmängeln
regelt, ordnet an, dass derjenige, der „die Aufhebung eines Vertrages
aus mangelnder Einwilligung verlangt” (= Anfechtung iwS) selbst
„auch alles zurückstellen [muss], was er aus einem solchen Vertrage
zu seinem Vorteil erhalten hat.” – Denn niemand soll aus dem fehlgeschlagenen
Leistungsaustausch Vorteile ziehen, also bereichert werden → Ungerechtfertigte
Bereicherung
| § 877 ABGB |
Der
Anfechtung unterliegen Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen ( → Einteilung
und Abgrenzung),
nicht aber zB Prozesshandlungen (SZ 23/237 [1950]) oder bloße Beweisurkunden
wie eine Rechnung oder eine Quittung; EvBl 1966/300. | Was kann angefochten werden? |
| |
Anfechten kann (nach österreichischem Privatrecht) immer
nur der Vertragsteil, dem der Willensmangel
unterlaufen ist; also zB der Irrende oder Getäuschte, nicht
aber ein Dritter: GH 1878, 329. – Anfechten kann aber auch der (Gesamt)Rechtsnachfolger des
Irrenden, zB ein Zessionar (SZ 41/33 [1968]), zumal dadurch die
gesamte Rechtsstellung oder doch die Berechtigungsposition übergeht. | |
Wie steht es um die Anfechtung von unterlaufenen
Willensmängeln bei der Stellvertretung? – Um bspw
einen Irrtum geltend zu machen genügt es, dass entweder der Vertretene
oder der Stellvertreter geirrt hat. Geltend zu machen ist der Irrtum
aber stets durch den Vertretenen, der ja letztlich hinter dem Geschäft
steht. | |
Gschnitzer (AT2 776)
hat folgende Grundregel aufgestellt: | Gschnitzers Grundregel |
„Nach dem Einfluß, den jeder von beiden auf den Abschluß
des Geschäftes genommen, ist auf beide oder auf den Vertreter oder
auf den Vertretenen abzustellen. – Konkret: | |
a) Irrt der Vertragspartner, wurde er getäuscht oder bedroht,
kann er anfechten, wenn für die Anfechtung notwendigen Umstände entweder beim
Vertreter oder beim Vertretenen vorliegen. Sie bilden zusammen den andern
Teil iS der §§ 870 ff. | |
b) Irrt der Vertreter, kann der Vertretene
anfechten, außer die Umstände waren ihm schon bei Erteilung der Vollmacht
bekannt. | |
c) Irrt der Vertreter nicht, ist Irrtum
des Vertretenen belanglos.” | |
• Irrtum oder Täuschung
verpflichten aber nicht zur Anfechtung. Die Anfechtung ist ein Recht, keine
Pflicht. Man kann, muss aber nicht anfechten; kann vielmehr
das Geschäft auch so bestehen lassen wie es ist, weil man zB keinen
Ärger haben will. | |
|
OGH 23. 11. 2000, 6 Ob 271/00t, EvBl 2001/78:
Der Kläger vermietet an den Beklagten ein Forsthaus, benützt
es aber weiter. Das Bestandobjekt war in mehrfacher Hinsicht mangelhaft.
Zwischen den Parteien waren im Zusammenhang mit dem Bestandverhältnis
zahlreiche Prozesse anhängig, welche durch einen Generalvergleich beigelegt
werden sollten. Dabei ist eine Partei durch einen Sachwalter vertreten.
Diese ficht den Vergleich später wegen Irrtums mit dem Argument
an sie habe auf Grund extremen psychischen Stresses den Vergleich
nicht richtig verstanden. – OGH zur Irrtumsanfechtung bei Geschäften,
bei denen ein Stellvertreter tätig wird: Grundsätzlich ist ein Irrtum
des Vertretenen nicht kausal; es sei denn dieser Irrtum hätte sich
in einer Weisung an den Stellvertreter ausgewirkt. – Für die Fälle
der gesetzlichen oder richterlichen Vertretung gilt demnach anderes,
als im Normalfall. | |
|
Bisher nicht judiziert erscheint die Frage
des Irrtums beim Falsus. Ist es doch denkbar, dass ein
Vertreter über Art und Umfang seiner Vertragsschlussvollmacht irrt
und erst dadurch zum Falsus wird. – Ist dieser Irrtum entschuldbar, bestehen
jedenfalls keine Schadenersatzansprüche; weder aus Vertrag, noch
aus Delikt. Andernfalls gelangen die allgemeinen Regeln für den
Falsus zur Anwendung. | |
3. Gegen „wen”
richtet sich die Anfechtung? | |
Grundsätzlich
gegen den „anderen Teil”, den Vertragspartner,
also zB denjenigen, der getäuscht oder in Irrtum geführt hat. –
Vgl jedoch § 875 ABGB, der die Bedeutung der Einwirkung „Dritter” auf
den Vertragsschluss behandelt. | |
| |
4. „Wie” ist anzufechten? | |
Wirksame Anfechtung erfolgt durch gerichtliche Klage oder
– falls der Irrende zB schon auf Zahlung geklagt wurde – durch Einrede (=
prozessuales Geltendmachen eines Gegenrechts) im Prozess. Der Irrende,
bspw auf Leistung geklagt, muss den unterlaufenen Irrtum mittels
Einrede einwenden, weil das Gericht den Irrtum nicht von
Amtswegen berücksichtigt; EvBl 1958/160 oder SZ 46/84 (1973). | |
|
SZ 54/7 (1981): Auch ein (bei unentgeltlichen
Rechtsgeschäften unter Lebenden beachtlicher) Motivirrtum darf
mangels Anfechtung nicht von Amts wegen aufgegriffen werden. | |
|
|
SZ 46/84 (1973): Anfechtung eines
Gebrauchtwagenkaufs wegen Irrtums über die Verkehrstüchtigkeit des gekauften
Fahrzeugs – Die Anfechtung eines Vertrags wegen arglistiger
Irreführung schließt die Irrtumsanfechtung ein. | |
|
§ 933 ABGB Es erfolgt durch den Irrenden
wie das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen (§ 933 ABGB)
und der Verkürzung über die Hälfte (§ 934 ABGB) durch Klage oder Einrede
im Prozess! | Geltendmachen
des Irrtums |
Der Rücktritt (des Gläubigers) vom Vertrag
(bei Schuldnerverzug) kann dagegen auch außergerichtlich gültig
erklärt / geltend gemacht werden; und zwar so lange, als Schuldnerverzug
besteht, während das Geltendmachen von Gewährleistungsansprüchen
zeitlich befristet ist. – Zur Verjährung des Anspruchs auf Irrtumsanfechtung → Verjährung
| |
Möglich ist
auch ein kumuliertes Geltendmachen – sog Anspruchskumulierung –
von Willensmängeln; also zB gleichzeitig wegen Irrtums, List und
mangelnder (Willens)Freiheit (Alkohol!) oder Ernstlichkeit. | Anspruchskumulierung |
| |
| |
Gesetz und Rspr verlangen für die Anfechtung keine
besondere Form. | |
|
JBl
1982, 36 (Kauf von Baugrund in
einem Naturschutzgebiet): Die Anfechtung eines Vertrags
hat gerichtlich zu erfolgen. Eine förmliche Anfechtungserklärung
ist aber nicht notwendig. Es genügt, wenn aus dem Parteivorbringen
des Anfechtenden hervorgeht, dass er den Vertrag nicht oder – bei
Vertragsanpassung – nur mit einer Korrektur gelten lassen will. | |
|
| |
| |
7. „Wie
wirkt” die Vertragsanfechtung? | |
Ist die gerichtliche Anfechtung erfolgreich,
führt dies zur „Aufhebung” (§ 877 ABGB) des Vertrags, dh des Titelgeschäfts! | Aufhebung
des Vertrags |
Da ein gültiger
Eigentumserwerb nach der Lehre von Titel und Modus ( → KAPITEL 2: Die
Lehre von Titel und Modus) sowohl
einen gültigen Titel, als auch einen gültigen Modus voraussetzt,
wird bei erfolgreicher Anfechtung (= Vernichtung des Titelgeschäfts!)
der Veräußerer wieder Eigentümer; und zwar ohne weiteres eigenes
oder fremdes Zutun: sog dingliche Rückwirkung.
Dies im Gegensatz zur schuldrechtlichen / obligatorischen
Rückwirkung (zB beim Rücktritt nach § 918 ABGB oder bei
der Wandlung nach § 932 ABGB), wo bereits übertragenes Eigentum
erneut rückübertragen werden muss, also keine vergleichbare „Automatik”
besteht → KAPITEL 7: Wirkungen
der Ausübung des gesetzlichen Rücktrittsrechts: Gewährleistung. Aber auch eine erfolgreiche
Wandlung oder ein wirksam erklärter Rücktritt vom Vertrag nach §
918 ABGB beseitigen das Titelgeschäft; die Rückwirkung hinsichtlich
bereits geänderter dinglicher Rechtspositionen (zB Eigentumsübertragung)
ist aber – wie erwähnt – eine andere, umständlichere. | Dingliche
oder obligatorische Rückwirkung? |
Dh sie wirkt zurück auf den Vertragsschluss
und lässt vom abgeschlossenen Geschäft / Vertrag nichts bestehen.
– Zu unterscheiden davon ist die sog ex nunc-Wirkung:
Hier bleibt das Geschäft bis zu einem gewissen Zeitpunkt – der zB
durch Kündigung bestimmt wird – aufrecht und erst ab diesem Zeitpunkt,
also für die Zukunft, zeitigt es keine Wirkungen
mehr. | |
| Anders bei Dauerschuldverhältnissen |
| |
8. Wie
wirkt Nichtigkeit? | |
Anders als die Anfechtung, die (von der anfechtenden Partei)
immer gerichtlich geltend gemacht werden muss um Rechtswirkungen
auszulösen, bedeutet das Vorliegen der Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts
seine vollkommene Rechtsunwirksamkeit / Unverbindlichkeit
und zwar von Anfang an; zur Restwirkung (zB Auskunftspflicht) nichtiger
Verträge vgl idF SZ 24/304. Der Vertrag kommt also von vornherein
nicht, auch nicht scheinbar, gültig zustande. Es liegt gar kein gültiges
Rechtsgeschäft vor. Es bedarf daher auch keiner gerichtlichen Geltendmachung,
um die Ungültigkeit des Geschäfts zu bewirken. – Eine gerichtliche
Feststellung ist aber uU doch nötig, wenn der Geschäftspartner die
Nichtigkeit bestreitet. Etwa bei mangelnder Geschäftsfähigkeit → KAPITEL 4: Die
Handlungsfähigkeit . | |
|
Auch ein nichtiger
Vertrag begründet aber zwischen den Parteien gewisse Verbindlichkeiten,
wie die Pflicht zur Auskunftserteilung; SZ 24/304 (1951). | |
|
Wir unterscheiden die absolute
(dh eine für alle Personen bestehende) von der relativen Nichtigkeit;
hier kann sich nur eine bestimmte (Vertrags)Partei auf die Unwirksamkeit
des Rechtsgeschäfts berufen. Das ist sinnvoll, wenn das Gesetz nur
den Schutz eines Vertragsteils bezweckt. Relative Nichtigkeit muss
– wie die Anfechtung – (gerichtlich) geltend gemacht werden. Beruft sich
aber der benachteiligte Vertragspartner nicht auf die für ihn bestehende
relative Nichtigkeit / Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts, wird das
Rechtsgeschäft als wirksam betrachtet, da auch relative Nichtigkeit
(wie die Anfechtbarkeit) im Verfahren nicht von Amts wegen beachtet
wird. | Absolute
und relative Nichtigkeit |
Absolut
nichtige Geschäfte verstoßen gegen fundamentale Interessen
der Rechtsordnung. Es kann sich daher nicht nur jedermann auf
ihre Nichtigkeit berufen, sondern diese Nichtigkeit kann auch ohne
zeitliche Begrenzung geltend gemacht werden. Für diese
Form der Nichtigkeit gelten demnach auch keine Verjährungsgrenzen !
Das wird immer wieder verkannt. – Rückforderungsansprüche aus solchen
Verträgen, die auf Kondiktionsrecht beruhen, verjähren aber in 30
Jahren → Verschulden?
– Verjährung
| Starke Wirkung absoluter Nichtigkeit |
Beispiele relativer Nichtigkeit: | |
• Allgemeine Sittenwidrigkeit nach
§ 879 Abs 1 ABGB; | |
• § 879 Abs 2 Z 4 ABGB: Wucher;
vgl Gschnitzer in Klang2 IV/1 207 f; | |
• § 879 Abs 3 ABGB: gröbliche Benachteiligung durch
AGB; | |
•
§
24 WEG 1975 = § 38 WEG 2002: Rechtsunwirksame Vorbehalte oder
Vereinbarungen zwischen WE-Werber / Wohnungseigentümer und WE-Organisator;
so OGH 1 Ob 784/79. | |
Neben
der Voll- oder Total-Nichtigkeit kennen
wir auch die Teil-Nichtigkeit / Restgültigkeit,
bei der nicht das Ganze, sondern nur ein Teil des Rechtsgeschäfts
ungültig ist. – Das spielt bei AGB eine praktische Rolle: Die gesetz-
oder sittenwidrige Klausel wird als nichtig aus dem Vertrag herausgenommen,
der Rest des Vertrags bleibt bestehen. | Teil-Nichtigkeit |
Vgl § 6 Abs 1 KSchG: „… sind besonders solche
Vertragsbestimmungen … nicht verbindlich, …” | |
|
SZ 24/170 (1951): Sind in einem
Vertrag verbotene und erlaubte Leistungen vereinbart,
so ist bei Absonderungsmöglichkeit der Vertrag nur hinsichtlich
des Verbotenen nichtig. Der Schuldner muss dem Gläubiger die ihm
durch das Entfallen der verbotenen Leistungen entstandene Bereicherung
herausgeben; § 877 ABGB → Die
Kondiktionstypen des ABGB und
ebendort → Entscheidungsbeispiele
| |
|
| Abbildung 5.43: Rechtsfolgen bei Willensmängeln |
|
| Abbildung 5.44: Anfechtung und Rückabwicklung von/bei Willensmängeln: Voraussetzungen |
|
| Abbildung 5.45: Wie wirkt die „(Vertrags)Anfechtung”? |
|
| Abbildung 5.46: Willensmängel (1) |
|
| Abbildung 5.47: Willensmängel (2) |
|
9. Rückstellungspflichten
– Rückabwicklung | |
Es wurde schon erwähnt, dass § 877 ABGB eine
Rückstellungspflicht Zug um Zug anordnet. Diese Rückabwicklung ist
aber nicht immer einfach und betrifft grundsätzlich beide Seiten.
Daher muss auch der Anfechtende uU – zB für die Benützung einer
Maschine oder eines Kraftfahrzeugs – ein Benützungsentgelt für die
Zwischenzeit entrichten; Rspr-Beispiele: SZ 26/195. | §
877 ABGB |
Zur Rückabwicklung kann es nicht nur in
Zwei-, sondern auch in Dreipersonenverhältnissen kommen; Anweisung, Bürgschaft,
Streckengeschäft etc. | |
| |
§ 877 ABGB gilt für alle nichtigen Verträge;
also bei fehlender Geschäftsfähigkeit ebenso, wie bei Ungültigkeit
wegen Zwangs, Irrtums oder eines Dissenses sowie beim Scheingeschäft, Formmängeln
oder Wucher. – Stehen beiden Vertragsteilen Rückforderungsansprüche
zu, sind diese wiederum Zug um Zug zu erfüllen. | Weiter
Geltungsbereich
des § 877 ABGB |
Der
Rückstellungsanspruch des § 877 ABGB ist ein Kondiktionsanspruch ( → Die
Kondiktionstypen des ABGB),
dem der Empfang einer Leistung zugrunde liegt, die eines rechtlichen
Grundes entbehrt; SZ 54/156 (1981). – Die Kondiktion richtet sich
bei Unmöglichkeit der Rückstellung (zB infolge Verschuldens des Beklagten)
auf Schadenersatz; GlU 11.890 (1887) oder GlUNF 5600 (1911). Sonst
auf die Herausgabe der Bereicherung; GlUNF 3246 (1905). | Kondiktionsanspruch |
|
ZVR 1989/169: Rückabwicklung eines Pauschalreisevertrags.
Hier muss sich der Kunde die Lebenshaltungskosten für sich uns seine
Familie für die Zeit der Reisedauer anrechnen lassen. | |
|
|
SZ
26/195 (1953): Wer eine fremde Sache ohne
Rechtsgrund benützt hat, muss ein Benützungsentgelt entrichten.
Das gilt auch für den Käufer, der den Vertrag nach Empfang der Kaufsache
gewandelt hat; JBl 1992, 456. | |
|
Die
Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der Rückabwicklung ist letztlich
– wie schon ausgeführt – der Grund dafür, dass bei Dauerschuldverhältnissen keine
ex tunc wirkende, sondern bloß eine ex nunc-Rückabwicklung erfolgt. | Ex nunc-Wirkung der Rückabwicklung bei DSchV |
10. Verzicht auf
das Anfechtungsrecht? | |
Auf das
Recht, einen Vertrag wegen Irrtums anzufechten,
kann gültig (!) verzichtet werden: | |
• und
zwar sowohl im vorhinein (= vor/bei Vertragsschluss),
wie auch | |
•
nachträglich (zB auch schlüssig). | |
• Zu Recht zurückhaltend ist die Rspr aber bei
der Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf
das Anfechtungsrecht; vgl zB ZVR 1989/169: Beispiele. | |
Überhaupt nicht
gültig verzichtet werden kann im Vorhinein auf die Willensmängel
des § 870 ABGB, also Täuschung und Drohung.
Trotzdem geschieht dies immer wieder auch in von Rechtsanwälten
verfassten Verträgen. | Keine
Verzichtsmöglichkeit im Vorhinein nach § 870 ABGB |
„Im vorhinein” verzichtet
wird idR im Rahmen von Vertragsschlüssen, indem zB in einem eigenen
Vertragspunkt oder in AGB das Recht der Irrtumsanfechtung ausgeschlossen
wird. – „Im nachhinein” dadurch, dass vom bestehenden
Anfechtungsrecht nicht Gebrauch gemacht wird. | „Im vorhinein” … |
|
HS 7335/13 (1969): Kauf einer Eiscremerzeugungsmaschine: Einen schlüssigen (§
863 ABGB) Verzicht hat der OGH angenommen, weil
der Käufer in Kenntnis des Irrtums die Maschine die ganze Saison benützt
und nichts unternommen hat. | |
|
|
SZ 55/21 (1982): Nach der Rspr
ist bei Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf
das Anfechtungsrecht aber immer besondere Vorsicht geboten. Er darf
nicht zu „leicht” angenommen werden; zB nicht, wenn ein gebrauchter
Pkw, der mit schweren Mängeln gekauft wurde (ua schwere Rostschäden
an der Bodenplatte) idF rasch weiterverkauft wird. | |
|
|
ZVR 1989/169 (OLG Wien): Ein stillschweigender
Verzicht auf Anfechtung eines Pauschalreisevertrags kann
nicht im Unterlassen des Urlaubsabbruchs erblickt werden, wenn dies
aus wirtschaftlichen Gründen geboten oder nicht möglich war; hier
wegen eines fix vereinbarten Charterrückflugs. | |
|
| |
Das Recht der Irrtumsanfechtung verjährtnach
§ 1487 ABGB in 3 Jahren; das Recht einen Vertrag nach
§ 870 ABGB anzufechten in 30 Jahren.
– Die Verjährungsfrist läuft in beiden Fällen ab Vertragsschluss. | §
1487 ABGB |
|
SZ 54/71 (1981): Kauf eines
Halbrohbaus – 3-Jahresfrist wurde hier versäumt! | |
|
|
RSpr 1932 Nr 309: Das Erlöschen
des Gewährleistungsanspruchs durch Zeitablauf schließt die Anfechtung
wegen Irrtums nicht aus (!). – Freilich muss die Anfechtung innerhalb
der Irrtumsverjährungszeit erfolgen → Verjährung
| |
|
VII. Sogenannte Willensvorbehalte | |
Eine andere Gruppe
von Willensmängeln wird auch unter dem Begriff der „Willensvorbehalte “ unter
ein gemeinsames dogmatisches Dach zu bringen versucht. Die Abgrenzung
zwischen relevanten Beeinträchtigungen der Geschäftsfähigkeit und
einem unbeachtlichen Willensvorbehalt ist aber nicht immer leicht.
– Hierher gehören: | |
1. Geheimer
Vorbehalt oder Mentalreservation | |
Geregelt in § 869 Satz 3 ABGB: Wer sich,
„um einen andern zu bevorteilen, undeutlicher Ausdrücke bedient
oder eine Scheinhandlung unternimmt, leistet Genugtuung”. – Die
Rechtsordnung toleriert solche Vorbehalte nicht und „hält den Erklärenden
an seiner Erklärung fest”; Gschnitzer: Das Geschäft ist von Anfang
an gültig und bleibt es auch. | §
869 Satz 3 ABGB |
|
EvBl 1968/234: Mann wollte
eine Ehe auf Zeit schließen, um ein gemeinsames Kind zu legitimieren. Geschlossene
Ehe ist gültig, der geheime (Zeit)Vorbehalt des Mannes unbeachtlich.
– Darin liegt eine berechtigte Einschränkung des Willensprinzips. | |
|
2. Fehlende
Ernstlichkeit | |
Bedeutung für
die Qualität der Willenserklärung und damit uU auch für die Frage
der Geschäftsfähigkeit (!) besitzt dagegen die fehlende Ernstlichkeit,
die auch „Scherzerklärung” genannt wird. Sie spielt
praktisch insbesondere bei Rechtsgeschäften von und mit Alkoholisierten oder
unter Drogeneinfluss stehenden eine wichtige Rolle.
Der OGH wendet hier ebenfalls § 869 ABGB an; arg: Dem Vertragspartner
hätte die mangelnde Ernstlichkeit – iS einer willensmäßigen Beeinträchtigung
– auffallen müssen. Wichtig ist das für „Wirtshausgeschäfte”!
Eine Rolle spielen kann das Kriterium der Ernstlichkeit aber auch
bei Rechtsgeschäften mit alten Menschen / Demenz etc. – Beweisfragen
in diesem Zusammenhang sind oft schwierig. | |
|
Die Rspr unterscheidet
– angeheitert, ist nicht berauscht und alkoholisiert nicht
volltrunken. – Unterscheidung scheint in der Tat nötig; vgl GlU 3672 (1870): Der im
Rausche, wenn gleich nicht in Volltrunkenheit geschlossene
Vertrag kann mangels Ernstlichkeit des Willens ungültig sein. | |
|
|
SZ 39/191 (1966): Verlöbnis
als Scherz führt zu Schadenersatz; einfältiger Mann suchte
Frau für das von ihm zu eröffnende Gasthaus: Er bezahlte eine Verlöbnisfeier
– und die Frau nahm von ihm einen Pelzmantel als Geschenk an. | |
|
|
GlU 3672: Eine Erklärung, deren mangelnde
Ernstlichkeit sich aus der Art der Äußerung und aus den Begleitumständen objektiv (!)
ergibt und dem Erklärungsempfänger erkennbar ist, ist ungültig. | |
|
|
SZ
39/191 (1966): Dagegen sind Scherzerklärungen,
deren mangelnde Ernstlichkeit dem anderen Teil nicht erkennbar war,
gültig; dazu treffend Gschnitzer, AllgT1 167
f. | |
|
|
JBl
1960, 445: Auch eine Gemütsaufregung kann
die Ernstlichkeit einer Erklärung ausschliessen. | |
|
3. Scheingeschäft
/ Simulation: § 916 ABGB | |
Praktisch wichtig ist
§ 916 Abs 1 Satz 2ABGB; sog Dissimulation.
Mittels eines Scheingeschäfts soll das wahre, eigentlich gewollte
Geschäft verdeckt werden. | |
Zu unterscheiden ist dabei das: | |
• vorgeschobene
oder simulierte Geschäft vom | |
• verdeckten oder dissimulierten. | |
Das simulierte Geschäft wird,
als bloß vorgetäuscht und nicht gewollt, „weggeräumt”.
Das dissimulierte / verdeckte Geschäft dagegen
bleibt – weil gewollt – gültig bestehen; es ist
„nach seiner wahren Beschaffenheit zu beurteilen”: also zB als Kauf
und nicht – wie vorgetäuscht – als Schenkung oder Miete. | Rechtsfolgen für das simulierte und das dissimulierte
Geschäft |
§ 916 Abs 2 ABGB legt
noch fest, dass einem „Dritten, der im Vertrauen auf die [simulierte] Erklärung
Rechte erworben hat, ... die Einrede des Scheingeschäftes nicht
entgegengesetzt werden” kann. – Das sind häufig Behörden, insbesondere
das Finanzamt; vgl auch § 23 Abs 1 BAO 1961, BGBl 194: | Wirkung
des Scheingeschäfts auf „Dritte“ |
„§ 23.
[BAO] (1) Scheingeschäfte und andere Scheinhandlungen sind für die
Erhebung von Abgaben ohne Bedeutung. Wird durch ein Scheingeschäft
ein anderes Rechtsgeschäft verdeckt, so ist das verdeckte Rechtsgeschäft für
die Abgabenerhebung maßgebend. | § 23 BAO |
(2) Die Erhebung einer Abgabe wird nicht dadurch ausgeschlossen,
daß ein Verhalten (ein Handeln oder ein Unterlassen), das den abgabepflichtigen
Tatbestand erfüllt oder einen Teil des abgabepflichtigen Tatbestandes
bildet, gegen ein gesetzliches Gebot oder Verbot oder gegen die
guten Sitten verstößt. | |
(3) Ist ein Rechtsgeschäft wegen eines Formmangels oder
wegen des Mangels der Rechts- oder Handlungsfähigkeit nichtig, so
ist dies für die Erhebung der Abgaben insoweit und so lange ohne
Bedeutung, als die am Rechtsgeschäft beteiligten Personen dessen
wirtschaftliches Ergebnis eintreten und bestehen lassen. | |
(4) Die Anfechtbarkeit eines Rechtsgeschäftes ist für die
Erhebung von Abgaben insoweit und so lange ohne Bedeutung, als nicht
die Anfechtung mit Erfolg durchgeführt ist. | |
(5) Von den Anordnungen der Abs. 2 bis 4 abweichende Grundsätze
der Abgabenvorschriften bleiben unberührt.” | |
| |
|
wobl 1995, 90/39:
Haftung (eines Rechtsanwalts) für die Kosten der Errichtung eines
Kaufvertrags – Zum Verhältnis und zur Tragweite von Scheingeschäften
und verdecktem Geschäft. | |
|
4. Umgehungs- und
Umweggeschäfte | |
Abzugrenzen
vom Scheingeschäft sind: | |
• Umgehungs- und | |
• Umweggeschäfte. | |
Sie sind grundsätzlich gültig,
weil der Gesetzgeber nur einen bestimmten Weg verbietet,
nicht aber andere oder alle Wege zu einem (an sich) erlaubten Ziel. | |
| |
Sie sind
dagegen immer unzulässig und von Anfang
an nichtig. – Das Umgehungsgeschäft will grundlegende Zielsetzungen
des Gesetzgebers – insbesondere Verbote oder eine Genehmigungspflicht
– unterlaufen, verstößt also gegen Ziel und Zweck einer gesetzlichen
Vorschrift. Das spielt(e) bspw im Grundverkehrsrecht eine bedeutende,
aber unrühmliche Rolle. Auf das Umgehungsgeschäft wird bei § 879
ABGB eingegangen → KAPITEL 11: Die
(Gesetzes)Umgehung. | |
VIII.
Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage | |
| |
1. Ein (weiterer)
Auffangtatbestand | |
Die Judikatur versteht die St/WdGG richtig als
Wegfall/Störung der verkehrstypischen Voraussetzungen eines
Geschäfts – nicht nur der individuellen Voraussetzungen
einer Partei, eben seiner geschäftlichen Grundlage für beide
Seiten und betont: | |
„Da die Lehre von der Geschäftsgrundlage
als Ergebnis einer Lückenfüllung zu verstehen ist.., muss ein Rückgriff auf
sie dort unterbleiben, wo ein Sachverhalt durch das Gesetz [ohnehin]
geregelt ist”; SZ 54/71 (1981). | |
Das heißt: Dieses Rechtsinstitut dient – neben den Willensmängeln
und den Kondiktionen – als Auffangtatbestand der
Lückenfüllung und soll helfen, unangemessene und ungerechte Ergebnisse zu
vermeiden; vielleicht auch dazu, Ergebnisse leichter gewinnen und
besser begründen zu können. | |
|
SZ
48/9
→ Der
Motivirrtum,
wo statt eines Motivirrtums auch eine StdGG angenommen werden könnte.
– Zur Bewertung des Rechtsinstituts → Sparsamer
Umgang erscheint angezeigt
| |
|
| Entstehung |
Grundgedanken in diese Richtung
gibt es in und außerhalb des ABGB: Abgesehen von § 901 Satz 2 ABGB
(= ausdrücklich zur Bedingung erhobener Beweggrund / Endzweck) sind
vor allem zu nennen: – die Umstandsklausel des § 936 ABGB; – § 1052
Satz 2 ABGB (sog Unsicherheitseinrede); – § 1435 ABGB (condictio
causa finita und condictio causa data, causa non secuta); –
§§ 947 ff und § 1247 ABGB (Schenkungswiderruf); – Unterhaltsvereinbarungen
unterliegen nach der Rspr grundsätzlich der clausula rebus sic stantibus
(Umstandsklausel) und überhaupt – die Kündbarkeit von DSchVn. | |
| |
Abzugrenzen
gilt es unser Rechtsinstitut vom Irrtum und hier
wiederum vor allem vom gemeinsamen Irrtum. Der
für die Praxis nicht unwichtige Unterschied liegt dabei darin, dass
der gemeinsame Irrtum schon bei Vertragsschluss vorliegen
muss (!), während es die St/WdGG ermöglicht, auch noch nachträgliche
Veränderungen, die den vereinbarten Leistungsaustausch (also
das Schuldverhältnis) betreffen – etwa solche, die zwischen Vertragsschluss
und Erfüllung oder bei aufrechter Leistungsbeziehung eines DSchV
entstehen – so sie ein gewisses Maß übersteigen, zu berücksichtigen.
Das rückt die Lehre von der St/WdGG in die Nähe der Lehre von den Dauerrechts-
und Dauerschuldverhältnissen, wo aber die Kündigung(smöglichkeit)
dafür sorgt, dass unzumutbare Entwicklungen nicht eintreten, weil
(nachträglichen) Veränderungen durch Kündigung begegnet werden kann.
– Für den Bereich der DSchVe erscheint die Lehre von der St/WdGG
daher überflüssig; vgl aber →
Störung
oder Wegfall
der Geschäftsgrundlage:
Anpassungskündigung. | Unterschiede zwischen Irrtum und StdGG |
Als
um 1900 die Elektrizität die bisherige kommunale Gas(straßen)beleuchtung ablöste,
wollten viele Städte auf die neue Energie umsteigen. Beim Abschluss
der oft langfristigen (Gas)Energiebezugsverträge hatte niemand daran gedacht
(Unvorhersehbarkeit!), dass das Gas einmal durch Strom abgelöst
werden könnte. (Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass dazu wohl
auch die Kündigung von Dauerschuldverhältnissen ausgereicht hätte.
Allein auch das Recht der Dauerschuldverhältnisse war damals noch
unentwickelt! Vgl F. Gschnitzer, Die Kündigung nach deutschem und
österreichischem Recht, in: FGL 129 ff.) – Ein vergleichbarer Fall
liegt vor, wenn ein Unternehmer biologische oder doch schonende
und unschädliche Düngemittel beziehen will und
sich erst später – nämlich nach Vertragsschluss und nach zwischenzeitig
begonnener Erfüllung – herausstellt, dass ausgerechnet „sein” Düngemittel umweltschädigende
Substanzen enthält. Natürlich muss er künftig „dieses Mittel” nicht
weiter beziehen! Selbst wenn er sich dazu vertraglich verpflichtet
hätte. (Auch eine aktuelle Lieferung kann rückabgewickelt werden!)
Hier kann es auch zur Aufkündigung langfristiger Lieferverträge
kommen; und zwar aus wichtigem Grund, also ohne Einhaltung allenfalls
bestehender Kündigungstermine oder -fristen. | Historische Entwicklung |
Unser Rechtsinstitut vermag aber nicht dingliche oder verdinglichte
Rechtsbeziehungen”leichter” aushebeln zu helfen. Mag auch
die Auflösbarkeit dinglicher Rechtsbeziehung „modern” geworden sein;
dazu → KAPITEL 6: Was
ist und wie wirkt die Kündigung?. | |
3. Sparsamer
Umgang erscheint angezeigt | |
Diese Überlegungen
zeigen, dass auf der einen Seite das Rechtsinstitut der St/WdGG
gar nicht gebraucht wird, weil oft auch der (gemeinsame) Irrtum
weiterhilft – auch der Bundesligaskandalfall ( → Rspr-Beispiele:
Rspr-Beispiele) wäre so zu lösen gewesen! – und auf der andern Seite
die Anwendung der Regeln der Dauerschuldverhältnisse ein über die
Möglichkeit der (insbesondere ao) Kündigung hinausgehendes Rechtsmittel
erübrigt! Ein „wichtiger Grund” berechtigt dann eben zur ao Kündigung!
– Das soll aufzeigen, dass mit der Anwendung unseres Rechtsinstituts
sparsam umgegangen und seine Funktion als „Auffangtatbestand” ernstgenommen
werden muss. | |
4. §
313 dtBGB neu: Störung der Geschäftsgrundlage | |
§ 313 dtBGB – eingeführt durch die am 1.1.2002 in Kraft
getretene sog Schuldrechtsreform – regelt nunmehr ausdrücklich die
„Störung” und nicht nur den „Wegfall”
der (gesamten) Geschäftsgrundlage. Dadurch wurde das bislang auch
in Deutschland nur von der Rspr anerkannte, nicht aber gesetzlich
geregelte, Rechtsinstitut vom Gesetzgeber „eingefangen”. Der flexibel
gestaltete Tatbestand ermöglicht nunmehr nicht nur – parallel zu
unseren §§ 871, 872 ABGB (die wohl als Vorbild dienten) – eine Anfechtung
des Gesamtvertrags, sondern auch eine Vertragsanpassung (wie beim
unwesentlichen Irrtum). | |
Neben
dem erwähnten Lösungspotential des | Vorbildliche deutsche Lösung |
• Irrtums berücksichtigt
die vorbildliche deutsche Lösung auch jenes der | |
• Dauerschuldverhältnisse (Kündigung)
und darüber hinaus der | |
• Zielschuldverhältnisse (Rücktritt). | |
In Bezug auf eine Vertragsanpassung bei Dauerschuldverhältnissen
könnte dies nach den neuen BGB-Regeln auch zu einer Änderungs-
oder Anpassungskündigung führen. | |
„Störung
der Geschäftsgrundlage
| Text des § 313 dtBGB neu |
(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags
geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und
hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen,
wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung
des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller
Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen
Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht
zugemutet werden kann. | |
(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn
wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden
sind, sich als falsch herausstellen. | |
(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem
Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag
zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse
das Recht zur Kündigung.” | |
Eine allfällige neue österreichische
Regelung könnte legistisch in den Kontext der Irrtumsregeln gestellt
werden; zB als neuer § 877 a ABGB (allenfalls noch
§ 877 b). – Die neue deutsche Regelung wird aber wohl schon vor
einer gesetzlichen Regelung in Österreich als Analogiebasis (§
7 ABGB) für die Rspr Bedeutung gewinnen und verdiente dies auch. | Neue
österreichische Regelung? |
§ 313 dtBGB kombiniert demnach Irrtumsanfechtung (Anpassung
nach Abs 1) mit dem Rücktritt vom Vertrag (Abs
3) und der Kündigung (Abs 3). – Abs
2 stellt der „Veränderung der Umstände” nach Vertragsschluß
den Fall gleich, dass die Geschäftsgrundlage von vorneherein”falsch”
war, wodurch die neue bestimmung in Konkurrenz zu anderen
Willensmängeln – insbesondere den Irrtum – tritt. | |
Die Verjährung ( → KAPITEL 13: Die
Verjährung)
wäre de lege ferenda durch Aufnahme des neuen Tatbestands in § 1487 ABGB
zu regeln, wodurch – anders als dzt ( → Verjährung)
– eine einheitliche 3-jährige Verjährungsfrist geschaffen werden
könnte. Sie sollte mit Kenntnis oder Kennenmüssen der Störung zu
laufen beginnen. | |
5. Geltendmachen
durch Anfechtung | |
Wie beim Irrtum lässt die Rspr auch beim W/StdGG die Anfechtung zu.
Auch die Wirkung ist dieselbe: ex tunc bei Ziel-, ex
nunc bei Dauerschuldverhältnissen. | |
| |
Die vom OGH dzt unterschiedlich angenommene Verjährungsfrist
unseres Rechtsinstituts – nämlich 3 oder 30
Jahre – macht deutlich, dass der OGH unser Rechtsinstitut
das eine Mal zur Ergänzung des gemeinsamen Irrtums, ein andres Mal
(mehr) als Facette eines Bereicherungsausgleichs betrachtet → Ungerechtfertigte
Bereicherung –
Auch das offenbart das dogmatische Zwitterdasein des Rechtsinstituts
W/StdGG. | |
| |
| |
|
JBl 1954, 396: Schenkung
von Liegenschaften der Gauhauptstadt K(lagenfurt) an die NSV [Nationalsozialistische
Volkswohlfahrt] im Jahre 1942. – Nach Kriegsende verlangt die Geschenkgeberin,
also die Stadt Klagenfurt, die Grundstücke, die mittlerweile in
das Eigentum der Republik übergegangen sind, zurück, da „sie bei
Kenntnis des Umstandes, dass dem Wirkungskreis der NSV nur eine
kurze Dauer beschieden sein werde”, der NSV die beiden Liegenschaften
nicht geschenkt hätte. [!] – Der OGH lehnte aber das Begehren der
Stadt Klagenfurt ab und führt aus: „Die Möglichkeit der Änderung
eines politischen Systems ist, wie die geschichtlichen Erfahrungen
der letzten Jahrhunderte zeigen, keine bloß akademische oder entfernte.
Eine unbeschränkte Fortdauer des NS-Staates, der im wesentlichen
auf Furcht und Zwang gegründet und in einem Kampf auf Leben und
Tod mit den wirtschaftlich und militärisch mächtigsten Staaten der
Erde verstrickt war, musste mit Rücksicht auf die Erfahrungen des
1. Weltkrieges zumindest als zweifelhaft erscheinen. Daran ändert
auch nichts, dass die Machthaber des nationalsozialistischen Staates
eine solche Möglichkeit einer Änderung des politischen Systems als
ein strafwürdiges Verhalten erblickten.” | |
|
|
SZ 37/8 (1964)
Kauf einer
Waschmaschine ohne geeigneten Stromanschluss: Das Vorhandensein
einer ausreichenden elektrischen Stromstärke stellt in einem solchen
Fall eine Geschäftsgrundlage dar, und nicht, wie der Erstrichter
meint, einen nur in die persönliche Sphäre der Beklagten fallenden
Umstand. Denn es hat der Verkäufer ohne weiteres erkennen können,
dass der Ankauf der für den Haushalt bestimmten Waschmaschine nur
dann für die Beklagte von Wert ist, wenn diese die Waschmaschine
mit dem in ihrem Haushalt zur Verfügung stehenden elektrischen Strom
auch betreiben kann. Sollte das Geschäft nur infolge Unkenntnis
vom Nichtvorhandensein dieser Voraussetzung zustande gekommen sein,
dann wäre die Beklagte in der Tat nicht an den Vertrag gebunden
.... Darauf, ob für die Prüfung des Vorliegens dieser Voraussetzung
die Kenntnisse der Vertragspartner ausreichten oder ob besondere
Fachkenntnisse erforderlich gewesen wären, kommt es in diesem Zusammenhang
nicht an. Das Fehlen dieser Geschäftsgrundlage hätte auch dann die
Unverbindlichkeit des Vertrages für die Beklagte zur Folge, wenn der
Verkäufer nicht über die erforderlichen Kenntnisse verfügt haben
sollte, um das Fehlen dieser Voraussetzung selbst feststellen zu
können. – Die Irrtumsregeln hätten ausgereicht. | |
|
|
EvBl 1972/126: Der Vertrag
über die Ausbildung zum Programmierer kann nicht eindeutig
einer der im ABGB geregelten Vertragstypen zugeordnet werden; er
ist ein Vertrag sui generis. Grundlage eines solchen
Vertrag ist die Eignung des Schülers für diesen Beruf. Stellt sich
später heraus, dass sie fehlt und jede Schulung zwecklos ist, dann
ist damit eine von beiden Parteien dem Vertragsabschluss unterstellte Voraussetzung
nicht gegeben und infolgedessen die Geschäftsgrundlage weggefallen.
– Das Lehrinstitut hat dann keinen Anspruch auf Zahlung des vereinbarten
Entgelts. ( Vgl die E JBl 1987, 521: Fernlehrvertragsabschluß durch
einen Matrosen, wo bei gleicher Argumentation unser Rechtsinstitut
nicht herangezogen wird. – Anwendung der Irrtumsregeln hätte genügt.) | |
|
|
EvBl
1974, 29: Mann schenkt seiner Freundin
150.000,– S, damit sie ihn heirate, und beruft sich nach dem Scheitern
der Ehe auf den Wegfall der Geschäftsgrundlage, was der
OGH ablehnt, weil ihn selbst Mitverschulden an der Scheidung traf. | |
|
|
JBl 1979, 652: Tischler
inseriert in Stadtplan, weil er der Meinung war, es handle
sich um eine politisch neutrale Publikation, was seines Erachtens
aber durch eine ÖVP-Werbeeinschaltung nicht mehr gewährleistet war:
„Wer einen Auftrag zur Einschaltung eines kommerziellen Inserats
in eine Broschüre (Stadtplan) erteilt, der erkennbarerweise durch
verschiedenste Inseratenaufträge finanziert wird, kann nicht erwarten,
dass sich unter den Inseraten nicht auch eines einer politischen
Partei befindet, weil das allein dem Druckwerk noch nicht den Charakter
einer parteipolitischen Propagandaschrift gibt. Bei Aufnahme einer
solchen Anzeige liegt daher weder Geschäftsirrtum, noch Wegfall
der Geschäftsgrundlage, noch ein zur Gewährleistung verpflichtender
Mangel vor.” | |
|
|
NZ 1980, 37 (1976): Verkauf
geplanter Eigentumswohnungen an deutsche Staatsbürger (Hotelappartements!),
ohne diese aufzuklären, dass die Grundverkehrsbehörde in gleichgelagerten
früheren Fällen die Genehmigung verweigert hatte. – OGH trägt dem
Argument der Käufer (= Kläger), die Geschäftsgrundlage sei weggefallen,
Rechnung. (Irrtum hätte ausgereicht.) | |
|
|
NJW 1976, 565: Bundesligaskandalfall.
– Zwei deutsche Bundesligavereine schlossen einen sog Spieler(kauf)vertrag.
Beide Vereine wussten im Zeitpunkt des Vertragsschlusses nicht,
dass der Spieler in eine Bestechungsaffäre verwickelt war, deretwegen
er idF für lange Zeit „gesperrt” wurde, also nicht spielen konnte.
Der erwerbende Verein machte erfolgreich WdGG geltend, weil er davon
ausgegangen war, dass der Spieler in der neuen Saison spielberechtigt
sei. – Nach ABGB hätte ebenso wesentlicher (gemeinsamer) Irrtum
nach § 871 ABGB angenommen werden können! | |
|
F. Ungerechtfertigte
Bereicherung |
| |
| |
Den
Kondiktionen und Verwendungsansprüchen kommt als subsidiären Auffangtatbeständen
die Aufgabe zu, ungerechtfertigte Bereicherungen iSv rechtsgrundlosen
Vermögensverlagerungen auszugleichen oder rückgängig zu machen.
– Es handelt sich um ein Instrument der ausgleichenden Gerechtigkeit → KAPITEL 18: Austeilende
und ausgleichende Gerechtigkeit. | Korrektur rechtsgrundloser Vermögensverlagerung |
Abzulehnen ist
es, in fragwürdiger Spurenfolge der deutschen Bereicherungsdogmatik,
die von ganz anderen Voraussetzungen auszugehen hat ( → ABGB,
frCode Civil und dtBGB),
auch das österreichische Privatrecht mit einem komplizierten Wust
bereicherungsrechtlicher Probleme zu überziehen. Verkomplizierung
ist keine wissenschaftliche Leistung. Hier wurde schon großer Schaden
angerichtet. Einfachheit sollte dagegen ein Rechtswert sein, den
vor allem künftiges europäisches Privatrecht benötigt. Dazu kommt,
dass nicht dogmatisch-juristische Selbstgefälligkeit ein künftiges
österreichisches oder europäisches Privatrecht leiten sollte, sondern
der Anspruch, auch in Zukunft nicht auf spürbare Gerechtigkeitsumsetzung
und Verständlichkeit verzichten zu wollen. | ABGB ernst nehmen! |
Kondiktionen
(condictiones) sind Rückforderungsklagen / -ansprüche, die das römische
Recht entwickelt hat, wenn ein Vermögenswert ohne Rechtsgrund (causa)
in fremdes Vermögen gelangt ist. | Rückforderungsklagen |
Diese Klagen sind auf Rückstellung
des grundlos Empfangenen gerichtet, was mehr oder weniger sein kann
als der beim Empfänger noch vorhandene Wert: Dennn das ABGB ordnet
an, dass der redliche Empfänger (§§ 329: in Rücksicht auf die Substanz
der Sache, § 330: der Nutzungen,
§ 331f: des Aufwandes) weniger als der unredliche (§ 335 ABGB) herauszugeben
hat; vgl auch
§ 1437 ABGB. | Anwendung
der Besitzregeln |
Diese einfachen Grundgedanken des ABGB wurden
im Schrifttum gedehnt und gestreckt; vgl das sog Ohla- Urteil (JBl
1969, 272 ff) und dazu F. Bydlinski, Zum Bereicherungsanspruch gegen
den Unredlichen, JBl 1969, 252 ff. | |
|
GlU 3065 (1868): Mann schenkte
seiner Frau ante nuptias eine Stute und
verlangt diese und die mittlerweile geworfenen Fohlen (2
wurden schon verkauft, 2 sind noch bei der Frau) bzw deren Wert
nach Rückgängigmachung/Annulierung der Ehe heraus. – OGH: Frau muss
wegen Redlichkeit nur die Stute, nicht aber die verkauften sowie
die noch bei ihr befindlichen Fohlen herausgeben. Hier ist § 338
ABGB, wonach der redliche Besitzer durch die zugestellte Klage in
einen unredlichen verwandelt wird, nicht anzuwenden. Und nach §
335 ABGB kommen Nutzungen und Früchte der geschenkten Sache dem
Beschenkten zu Statten, er wäre denn unredlicher Besitzer. | |
|
Die
nützliche Verwendung / versio in rem, die im ABGB nicht zufällig
im Anschluss an die GoA behandelt wird, stellt eine Ergänzung der
GoA-Regeln dar; und zwar für jenen Fall, dass eine Sache ohne Geschäftsführung(sabsicht)
zum Nutzen eines anderen verwendet wird. | Nützliche Verwendung – Ergänzung der GoA-Regeln |
Kondiktionen und Verwendungsansprüche haben an und für sich
nichts miteinander zu tun, werden aber häufig gemeinsam behandelt.
F. Gschnitzer, der dabei A. Ehrenzweig folgt, behandelt dagegen noch,
durchaus konsequent, beide Rechtsinstitute getrennt. Zu den Kondiktionen
merkt er an (vgl F. Gschnitzer, SchRBesT unter Rückgriff auf A.
Ehrenzweig): | |
„Wir haben also Klagen aus grundloser Leistung
vor uns und nicht Bereicherungsklagen, wie man üblicherweise sagt.
Der Ton liegt nicht auf Bereicherung, sondern auf ungerechtfertigt.” | |
1. Zur Funktion
der Kondiktionen | |
Wir
werden Fälle behandeln, wo ein zunächst (scheinbar) gültig geschlossener
Vertrag wegen eines Mangels in der Wurzel (des Titelgeschäfts) –
zB eines Irrtums oder Formmangels – oder eines Mangels in der Abwicklung
(zB Rücktritt des Gläubigers bei Schuldnerverzug oder Wandlung im Rahmen
der Gewährleistung) wegfällt. Oft sind aber in solchen Fällen zwischen
den Vertragsparteien bereits Leistungen ausgetauscht worden, die
mit dem Wegfall des Vertrags (Titelgeschäfts) rechtlich buchstäblich
in der Luft hängen. § 877 ABGB ordnet daher – für die Mängel in
der Wurzel – an, dass derjenige, der einen Vertrag aufheben will,
„auch alles zurückzustellen [hat], was er durch einen solchen Vertrag
zu seinem Vorteil erhalten hat.” Und § 1435 ABGB gewährt – um allfällige
Ungerechtigkeiten auszuschalten – dem jeweiligen Leistungserbringer
ein Rückforderungsrecht, „wenn der rechtliche Grund [für den Vertragspartner],
sie [sc die geleisteten Sachen] zu behalten, aufgehört hat.” Vgl
auch § 921 ABGB, dessen zweiter Satz bestimmt, dass empfangenes Entgelt
auf solche Art zurückzustellen oder zu vergüten ist, „dass kein
Teil aus dem Schaden des anderen Gewinn zieht”. – In diesen Fällen
liegt eine sog Leistungskondiktion ( → Die
Leistungskondiktionen)
wegen nachträglichen Wegfalls des Rechtsgrundes vor. Dazu gleich
mehr. | |
| |
Wenn, wie in unserem
Beispiel ( → § 867 ABGB: Vertragsschlüsse mit der
öffentlichen Hand – Zur Geschäftsfähigkeit von Gemeinden: SZ 61/241), ein Vertragspartner „leer
ausgehen” würde – hier die Baufirma, weil sich der Vertrag, auf
den er sich stützen könnte, nachträglich als ungültig herausstellt,
gewährt das Gesetz „Hilfe” durch unser Rechtsinstitut. Denn es wäre
„ungerechtfertigt”, dass die Gemeinde ihren Kanal gratis bekommt,
nur weil ihr Vertragspartner keine Kenntnis von der in der Slbg
GemeindeO vorgesehenen Formvorschrift für Verträge mit Gemeinden
besaß und ihn die Gemeinde auch nicht darauf hingewiesen hat. –
Auf diesen Fall wendet der OGH freilich den Verwendungsanspruch
des § 1042 ABGB an ( → Verwendungsansprüche)
und beseitigt dadurch die drohende Ungerechtigkeit gegenüber dem
Bauunternehmer. – Vgl aber auch die folgenden Beispiele. | |
| |
|
| |
|
|
EvBl 1994/135: Drittschadensliquidation des
Lohnfortzahlungsschadens eines Arbeitgebers bei Verletzung seines
Arbeitnehmers durch einen Dritten → Drittschadensliquidation
des Arbeitgebers bei einem Lohnfortzahlungsschaden Zu
den Drittschäden → KAPITEL 9: Drittschäden. | |
|
II. Begriffe / Terminologie | |
Man spricht einerseits: | |
• vom Bereicherten,
dem Kondiktionsschuldner und andrerseits | |
• vom Entreicherten oder Verkürzten,
dem Kondiktionsgläubiger. | |
III. Verschulden?
– Verjährung | |
Kondiktionsansprüche setzen – anders als Schadenersatzansprüche
– weder Verschulden (des Bereicherten), noch einen Schaden voraus;
vgl SZ 58/104 (1985) oder 68/116 (1995). | |
Kondiktionsansprüche verjähren zudem
grundsätzlich erst in 30 Jahren. Handelt es sich
allerdings um (Bereicherungs)Ansprüche aus sog „zweckverfehlender
Arbeitsleistung” iSd § 1152 ABGB ( → Zweckverfehlende
Arbeitsleistungen – Hausbau von Lebensgefährten:
SZ 53/20) wendet die Rspr darauf die 3-jährige Verjährungsfrist
des § 1486 Z 5 ABGB an. | |
IV. Die
Kondiktionstypen des ABGB | |
Das
ABGB kennt Leistungskondiktionen und Ausgleichsansprüche;
neben den §§ 1431–1437 ABGB (Zahlung einer Nichtschuld), insbesondere
noch die §§ 1041 ff ABGB (Verwendung einer Sache zum Nutzen eines
andern): sog Verwendungsansprüche, die das römische Recht versio
in rem nannte. Daher auch die Bezeichnung Versionsklage. | |
Zu unterscheiden sind danach zwei Typen von
Ausgleichsansprüchen: • einerseits
die (Leistungs)Kondiktionen der §§ 1431 ff ABGB
und | | •
andrerseits die Verwendungsansprüche:
§§ 1041, 1042 ABGB. | |
| |
V. Die
Leistungskondiktionen | |
Sie
gehen tatbestandsmäßig von einer Leistung – iS einer gewollten
und bewussten (Vermögens)Zuwendung – des idF Verkürzten
an den dadurch ungerechtfertigt Bereicherten aus → Leistungskondiktionen
– Überblick:
Überblick. – Die zu einer ungewollten Vermögensverschiebung führende
Leistung des Verkürzten kann idF kondiziert, dh – unter bestimmten
vom Gesetz umschriebenen Voraussetzungen – zurückgefordert werden;
vgl die oben angeführte E GlU 3065: Schenkung einer Stute. Die §§
1431 ff ABGB formulieren die Voraussetzungen unter denen dies möglich
ist. | |
| |
Bei den Leistungskondiktionen
und überhaupt im Bereicherungsrecht geht es – und das ist wichtig zu
verstehen – nicht darum, rechtsgeschäftliche Erklärungen oder vertragliche
Vereinbarungen zu modifizieren oder zu korrigieren, wenn diese unvorteilhaft
oder gar ungerecht erscheinen. Ein zwischen den Parteien bestehender
Vertrag stellt vielmehr grundsätzlich – wie wir schon wissen – einen
gültigen Rechtsgrund dar, der nicht ohne weiteres aus den Angeln
gehoben werden kann. Er bleibt auch dann gültig, wenn er unvorteilhaft
für einen Vertragsteil ist, solange nicht bestimmte Anfechtungsgründe
greifen – sei es Drohung oder List, Irrtum oder Wucher (als Mängel
in der Wurzel) oder ein Rücktritt beim Schuldnerverzug oder eine
Wandlung bei einem Gewährleistungsmangel, welche ebenfalls die vertraglichen
Grundlagen (rückwirkend) beseitigen. Mehr zur Subsidiarität unseres
Rechtsinstituts → Subsidiarität
der Kondiktionen
| Leistungskondiktionen korrigieren
nicht vertragliche Vereinbarungen |
| |
Das Bereicherungsrecht
„greift” also erst dann ein, wenn der ursprünglich bestehende Rechtsgrund –
im Regelfall ein Vertrag – weggefallen ist oder überhaupt ein solcher
nie wirklich bestanden hat oder entstanden ist; vgl § 1431 ABGB:
Irrtümliche Zahlung einer Nichtschuld. – Nur dann kann die von einem
Vertragsteil erbrachte Leistung kondiziert, dh als ungerechtfertigte
Vermögenszuwendung / Bereicherung zurückgefordert werden. Und zwar
grundsätzlich in Natur, also zB das geleistete Auto, und nur bei
Unmöglichkeit der Naturalrestitution als Wertausgleich. | Grundsätzlich
ist „in Natur“ zurückzustellen |
| |
| |
Anders als die
Leistungskondiktionen gewähren die Verwendungsansprüche der §§ 1041
ff ABGB dann einen Ausgleich, wenn die ungerechtfertigte Vermögensverschiebung
oder -zuwendung nicht durch eine bewusste oder gewollte
Leistung des Verkürzten, sondern auf andere Weise bewirkt wurde,
und zwar durch: •
(schlichte) Verwendung
einer Sache zum Nutzen eines andern (§ 1041 ABGB, sog Verwendungsklage)
oder | | •
dass jemand einen Aufwand getätigt
hat, den eigentlich ein anderer hätte machen müssen; § 1042 ABGB. | |
| |
Ein Verwendungsanspruch setzt demnach voraus, dass ein Nichtberechtigter Vorteile aus
der Verwendung einer Sache gezogen hat, die ihm rechtlich nicht
zustehen; vgl EvBl 2003/180. | |
| |
Als Rechtsfolge statuiert
das Gesetz bei Verwendungsansprüchen: | Rechtsfolge |
•
die Herausgabe
der (ohne Rechtsgrund) verwendeten Sache;
§ 1041, 1. HalbS ABGB oder | |
•
wenn
eine Herausgabe nicht (mehr) möglich ist, kann Wert-
oder Aufwandersatz verlangt werden; § 1041, 2.
HalbS ABGB und § 1042 ABGB. – Wertersatz für einen unzulässigen Gebrauch
wird durch ein Benützungsentgelt geleistet. | |
|
JBl 1999, 458: Verwendungsanspruch
wegen rechtsgrundloser (Sonder)Nutzung
von öffentlichem Grund – hier: Straßenflächen der Stadt Linz –
im Rahmen eines Bauvorhabens. Wie dieser Fall zeigt, kann ein Benützungsentgelt
auch neben der ersten Alternative (Herausgabe der Sache) verlangt
werden. | |
|
Die grundsätzliche Unterscheidung
zwischen Leistungskondiktionen (, die von einer gewollten/bewussten
Vermögenszuwendung des Verkürzten ausgehen) und Verwendungsansprüchen,
die den „Rest” erfassen sollen, wird von der Praxis oft so verschliffen,
dass ein Unterschied kaum mehr feststellbar ist. | Leistungskondiktionen versus
Verwendungsansprüche |
So geschehen
im Eingangsbeispiel (SZ 61/241), wo die Leistung
der Baufirma zunächst durchaus als gewollte und bewusste Zuwendung
(im Rahmen einer vermeintlichen Vertragserfüllung) erfolgt ist und
der OGH dennoch § 1042 ABGB anwendet, weil § 1432 ABGB einen Kondiktionsausschluss
für formungültige Schulden statuiert. Korrekter wäre es (gewesen),
§1432 zu korrigieren, dh teleologisch zu reduzieren! | |
| |
| |
| |
|
SZ 24/59 (1951): Erhaltungspflicht
einer Brücke über einen Fluss trifft mehrere. Der
Kläger begehrt von der Beklagten den Ersatz des von ihm getätigten
Aufwands. | |
|
|
OGH 28. 5. 2002, 4 Ob 114/02x, EvBl 2002/180:
Hauseigentümer will umbauen und stützt Haus mit einem Gerüst ab,
damit es im Zuge der Umbauarbeiten durch das Entfernen tragender
Teile nicht einstürzt. IdF kommt es zur Zwangsversteigerung des
Hauses. Zwei Jahre später verlangt der ehemalige Eigentümer 71.000
S aus § 1041 ABGB, da die Ersteigerer das Gerüst zum eigenen Vorteil
verwendet hätten. Tatsächlich aber hatten diese das Haus bereits
abgerissen (und anschließend das Gerüst zurückgestellt), was auf
Grund der Rücksichtnahme auf das Gerüst mit höheren Kosten war.
– OGH: Ein Verwendungsanspruch steht nur dann zu, wenn und soweit
ein Nichtberechtigter Vorteile aus der Sache gezogen hat. Fehlt auch
bei objektiver Betrachtung ein Vorteil des Benützers der Sache,
steht dem Eigentümer der Sache unabhängig davon, ob die Sache redlich
oder unredlich verwendet wurde, kein Verwendungsanspruch zu. | |
|
|
OGH 29. 1. 2002, 4 Ob 266/01y, EvBl 2002/118:
Ein Hersteller von Fertigteilhäusern verwendet das Foto eines
Schwimmbades ohne Erlaubnis des Eigentümers für einen seiner
Kataloge (als Lückenfüller auf der Rückseite), wofür der Eigentümer
20.000 S aus § 1041 ABGB (Verwendungsanspruch) verlangt. – OGH: Wird
das Foto eines Schwimmbades für Werbezwecke verwendet, so hat der
Eigentümer des Schwimmbads keinen Verwendungsanspruch, wenn er nicht
beweist, dass und aus welchen Gründen die Abbildung gerade seines
Schwimmbades werbewirksam war; eine allgemein positive Wirkung reiche nicht
aus. | |
|
|
OGH 10. 7. 2001, 4 Ob 66/01m, EvBl 2002/3:
Das Theater in der Josefstadt führt das Stück „1000 Clowns”
auf. Verschiedene Verlage behaupten, sie seien die richtigen Gläubiger
für die Tantiemenzahlungen. Die Theaterbetreiberin zahlt an einen
der Verlage anstatt die Aufführungstantiemen gerichtlich zu hinterlegen.
Der leer ausgegangene Verlag klagt idF den anderen. – OGH erklärt
§ 1041 ABGB – aufgrund des weiten Verständnisses von „Sache” im
ABGB – als taugliche Anspruchsgrundlage. | |
|
VII. Subsidiarität
der Kondiktionen | |
Die Kondiktionen (condictiones) entstammen dem
römischen Recht, dem sie das ABGB nachgebildet hat. – Gerichtet
sind sie noch heute auf Rückforderung oder Rückstellung des (rechts)grundlos
Geleisteten oder Empfangenen; vgl § 877 oder § 921 Satz 2 ABGB:
Diese Bestimmungen regeln Rückstellungspflichten im Rahmen der vertraglichen
Rückabwicklung (nach Wegfall des Titelgeschäfts). | |
Zur Anwendung gelangen die Kondiktionen aber
nur subsidiär, nämlich dann, wenn das angestrebte Ziel nicht schon
auf andere Weise erreicht werden kann. Deshalb wurde eingangs von
Auffangtatbeständen gesprochen. – Dh: Speziellere (Rechts)Vorschriften
gehen vor; zB die Verzugs- oder Gewährleistungsregeln, aber auch
Anfechtungsgründe wegen Mängeln in der Wurzel, und – vor allem –
Schadenersatzansprüche wie § 1299 ABGB. | Speziellere (Rechts)Vorschriften
gehen vor |
| |
|
OGH
20. 1. 2000, 6 Ob 304/99w, JBl 2000, 590: Keine Rückforderung des
Honorars für eine sinnlose Stuerbereatung allein
aus Bereicherungsrecht. Auf Grund des geschlossenen Vertrags besteht
Subsidiarität der §§ 1431ff ABGB gegenüber Gewährleistung sowie
Schadenersatz wegen Schlechterfüllung; hier
§ 1299 ABGB: Rspr-Änderung. | |
|
Gesetz (§ 1432
ABGB) und Rspr verweigern Kondiktionsansprüche aber auch dann, wenn speziellere
Ansprüche, die ursprünglich zustanden, idF verjährt sind.
Da Bereicherungsansprüche nach hA erst nach 30/40 Jahren verjähren,
würden ansonsten der kurzen Verjährungszeit unterliegende Ansprüche
durch die Hintertüre der Kondiktionen doch wieder einklagbar, was
das Rechtsinstitut der Verjährung funktional unterlaufen würde. | Verjährte
Ansprüche können nicht kondiziert werden |
| |
Subsidiarität eines (privatrechtlichen) Kondiktions-Rückforderungsanspruchs
besteht auch insoferne, als ein sozial-, also öffentlichrechtlicher
Anspruch nicht wahlweise durch eine Bereicherungsklage
erfolgen kann. | |
|
In SZ 71/11 (1998) wollte ein Sozialhilfeträger von
ihm zu Unrecht erbrachte Leistungen vom Zahlungsempfänger zurückfordern,
hatte es aber unterlassen, wie in § 72 BSVG ausdrücklich vorgesehen,
einen Rückforderungsbescheid gegen den Zahlungsempfänger zu erlassen.
– OGH: Die Klägerin „konnte diese klare Rechtslage nicht dadurch
umgehen, dass sie anstelle der Erlassung eines Rückforderungsbescheides eine
auf Bereicherung gestützte Klage einbrachte. Diese Klage wurde von
den Vorinstanzen zutreffend wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurückgewiesen.” | |
|
Die
Kondiktionsregeln des ABGB werden analog auf öffentlichrechtliche
Sachverhalte angewandt. | Anwendung im öffentlichen Recht |
VIII. Umfang der Rückforderung | |
Der Umfang der Rückforderung richtet sich danach,
ob der (Leistungs)Empfänger redlich oder unredlich war.
– Faustregel: Der redliche Leistungsempfänger, der von der Rechtsgrundlosigkeit der
erlangten Leistung weder etwas weiß, noch dies wissen musste, hat
weniger, der unredliche mehr herauszugeben als die Bereicherung;
vgl §§ 330, 335 (Besitz) und § 1437 ABGB. Die Besitzregeln haben
also – wie bereits ausgeführt – Bedeutung für die Kondiktionen!
Vgl oben → Auffangtatbestände: GlU 3065: Schenkung einer Stute. | |
| |
IX. Bereicherungsrecht
im ABGB? | |
1. Kausale und
abstrakte Natur der Tradition | |
Das
ABGB besitzt nämlich, wie das römische Recht, genau genommen – anders
als das dtBGB: §§ 812 ff – kein systematisches Bereicherungsrecht,
sondern nur einzelne Rückforderungsklagen (Kondiktionen),
die noch dazu über das ganze Gesetzbuch unsystematisch verstreut
sind; vgl §§ 877, 921 Satz 2, 1041 ff, 1174, 1431 ff ABGB. Dieses
Fehlen eines systematischen Bereicherungsrechts ist aber insoferne
verständlich und sogar entbehrlich, weil das ABGB vom römischen
Recht auch die Lehre von Titel und Modus übernommen
hat und daher nach österreichischem Privatrecht grundsätzlich alle
Rechtsgeschäfte kausal, dh rechtsgrundabhängig sind; sog kausale
Natur der Tradition. Gültige Rechtsübertragung setzt daher
– wie wir wissen – nach österreichischem Privatrecht einen gültigen
Titel und (!) einen gültigen Modus voraus, während bspw nach deutschem
Recht schon ein gültiger Modus für die Eigentumsübertragung hinreicht;
sog abstrakte Natur der Tradition. Fehlt nach ABGB
ein gültiger Titel oder stellt sich das Titelgeschäft – wie in unserem
Eingangsbeispiel (SZ 61/241) – wegen Formmangels nachträglich als
ungültig heraus, kommt überhaupt kein gültiger dinglicher Rechtsübergang
zustande. Mittlerweile allenfalls übertragene Leistungen können
dann, da der Erwerber entgegen dem äußeren Anschein nicht Eigentümer
geworden ist, vom Veräußerer sogar mit der Eigentumsklage (§ 366
ABGB) zurückverlangt werden; vgl auch § 877 ABGB. | Warum
hat das ABGB kein systematisches Bereicherungsrecht ausgebildet? |
Mitunter
„greift” aber – wie in unserem Beispiel – die Eigentumsklage nicht,
denn die Rohre sind mit ihrer Verlegung in den Boden ins Eigentum
der Gemeinde übergegangen und es wäre auch unwirtschaftlich sie
wieder herauszureissen. Dann muss ein kondiktionsrechtlicher Ausgleich geschaffen
werden. – Das dtBGB lässt dagegen trotz nichtigen Titel- oder Grundgeschäfts Eigentum
(gültig!) übergehen und braucht daher als Korrektiv und Ausgleich
für diese Fälle den Bereicherungsanspruch; denn es ist bereits zu
einer rechtlich gültigen (!) Vermögensverschiebung gekommen. Eine
Rechtsänderung wurde – trotz des zB nichtigen Grundgeschäfts – bereits
bewirkt. Das ABGB kann sich dagegen mit einer Rückstellungsanordnung
– eben einer Kondiktion – wie in § 877 ABGB begnügen. | |
Sich wieder verstärkt an dieser österreichischen
Grundintention zu orientieren, erschiene ein Gebot der Stunde. Denn niemand
kann einem europäischen Privatrecht die deutsche Bereicherungsdogmatik
(auch nur in ihren österreichischen Versionen) wünschen. | |
2. ABGB,
frCode Civil und dtBGB | |
In
Bezug auf die Ausgestaltung der Lehre von Titel und Modus unterscheiden
sich also – wie wir schon wissen – ABGB (1811), dtBGB (1900)
und der frCC (1804) grundlegend. – Der frCC lässt (bei
Fahrnis) Eigentum bereits grundsätzlich mit dem gültigen Titelgeschäft
(Schuldvertrag) übergehen; begeht also nach ABGB gleichsam einen
Anfängerfehler. – Das dtBGB vertritt nicht wie das ABGB
die sog kausale Natur der Tradition, sondern löst den Modus völlig
von der causa; abstrakte Natur der Tradition / Übergabe. Das ABGB
dagegen hält – wie Gschnitzer sagt – „die rechte Mitte zwischen
frCC und dtBGB.” Vgl → KAPITEL 2: Kausale
und abstrakte Rechtsgeschäfte. | ABGB, frCC, dtBGB |
Von
den drei angeführten gesetzlichen Lösungen besitzt die des ABGB
wohl den größten Gerechtigkeitsgehalt, ohne dabei unpraktisch, weltfremd
oder inkonsequent zu sein und empfiehlt sich daher für eine künftige
„europäische” Lösung. Am wenigsten überzeugt die Lösung des dtBGB.
– Zu erinnern ist auch daran, dass rechtliche Lösungen der „Mitte”
seit den alten Griechen (Solon, Platon, Aristoteles) als gute Lösungen
anzusehen sind, zumal es nie Aufgabe des Rechts war, Extreme zu
fördern. Das gilt auch für ein europäisches Privatrecht. | Gerechtigkeitsgehalt |
Es ist aber in Österreich üblich, diese
grundlegenden Unterschiede zum dtBGB zu übergehen. | |
X. Leistungskondiktionen
– Überblick | |
| |
•
§
877 ABGB (ähnlich schon das römische Recht): condictio sine
causa = Rückforderungsansprüche wegen Fehlens eines / Ungültigkeit
des Rechtsgrunds; zB wegen Form- oder Willensmangels. | |
•
§ 1174 ABGB (ähnlich römisches Recht): condictio
ob turpem vel injustam causam = sog verwerflicher Empfang. | |
| |
•
§ 1174 ABGB
statuiert Ausnahmen vom Grundsatz des § 877 ABGB. Nicht
zurückgefordert werden können danach Leistungen: | |
die
„jemand wissentlich zur Bewirkung einer unmöglichen oder unerlaubten
Handlung gegeben hat”; § 1174 Abs 1 Satz 1 ABGB. | |
Sowie
ein „zum Zweck eines verbotenen
Spieles gegebenes Darlehen”; § 1174 Abs 2 ABGB. | |
Das Gesetz will aber nur solchen Leistungen die Rückforderbarkeit
versagen, die zur Begehung einer unerlaubten Handlung (zB Mordlohn;
oder im Römischen Recht: quod meretrici datur, also das, was der
Dirne gegeben wurde), nicht aber solchen, die in Erfüllung eines
nichtigen Vertrags erbracht wurden; SZ 23/159 (1950). Erpresstes
Lösegeld kann daher zurückgefordert werden, nicht dagegen der bezahlte
Verlust im verbotenen Spiel; SZ 19/184 (1937). Zurückgefordert werden kann
nach der Rspr das gegebene Schweigegeld bei Offenbarwerden eines
Geheimnisses (GlU 10.161: 1884), nicht aber die der außerehelichen
Geliebten geschenkten Geldbeträge; so GlU 7526 (1879). – Nicht rückforderbar
wäre auch das von einer politischen Partei zB einem Polizeibeamten ausbezahlte
Entgelt von monatlich 10.000 S, damit dieser aus dem Polizeicomputer
für diese Partei interessante Daten illegal entnimmt. | |
| |
•
§§
1431–1434 sowie 1436 f ABGB(ähnlich
römisches Recht): condictio indebiti = irrtümliche
Zahlung einer Nichtschuld. – Typisches Beispiel: Fehlüberweisung
einer Bank; zB SchwFr statt ı. – Die §§ 1431 ff ABGB spielen von
allen Kondiktionen des ABGB die praktisch grösste Rolle. | |
|
EvBl 1999/96: Anwendung des § 1431
ABGB auf den Rückforderungsanspruch aus einer zu Unrecht abgerufenen Bankgarantie
→ KAPITEL 15: Garantievertrag
und Bankgarantie.
Ein Werkunternehmer hatte an Stelle eines sog Haftungsrücklasses
eine Bankgarantie zur Verfügung gestellt, die vom Werkbesteller
zu Unrecht abgerufen wurde. | |
|
|
OGH 18. 1. 2000, 4 Ob 348/99a, SZ 73/10 = EvBl 2000/120:
Zur Absicherung der bedingten Forderung aus einem Kooperationsvertrag
zwischen A u B bestellt B eine Bankgarantie. A
zediert den Zahlungsanspruch aus dieser Bankgarantie an seine Hausbank
zur Absicherung eines Kredites. Diese ruft die Garantiesumme ab,
obwohl die Bedingung aus dem Kooperationsvertrag nicht eingetreten
ist. Kurz darauf geht A in Konkurs. B will daher gegen A’s Hausbank
als Zessionar bereicherungsrechtlich vorgehen. – OGH: Die besondere
Vertrauenssituation bei abstrakten Garantien verlangt, dass trotz
erfolgter Abtretung des Zahlungsanspruchs der Bereicherungsanspruch
des Garantieauftraggebers weiterhin nur gegen den ursprünglich Begünstigten
(A als Vertragspartner des Grundgeschäftes und Zedent) besteht.
(?) | |
|
Beispiele zu § 1435 ABGB: – §§ 947–953 ABGB
(Schenkungswiderruf); | |
•
Eine Sondervorschrift enthält
§ 1421 ABGB, wenn ein beschränkt oder voll
Geschäfts(un)fähiger eine Schuld zahlt, die entweder noch
nicht fällig oder überhaupt „ungewiss” ist; Satz 2 gibt dem gesetzlichen
Vertreter das Recht, „das Bezahlte zurückzufordern.” – Vgl auch
§ 1434 ABGB. Zu § 1421 ABGB auch → KAPITEL 7: ¿Von
wem¿ ist zu leisten? ¿ §§ 1421 ff ABGB. | |
•
§
1435 ABGB (ein römisches Recht): condictio causa finita =
(nachträglicher) Wegfall des ursprünglich vorhandenen Rechtsgrundes und
(ein römisches Recht): condictio causa data causa non secuta = Nichteintritt
des erwarteten Erfolgs. | |
|
| |
|
| |
|
SZ 42/94 (1969): Brautleuten steht
ein Anspruch zu, wenn sie im Hinblick auf eine beabsichtigte und dann
unterbliebene Eheschließung Aufwendungen für ihren/e Partner/in
gemacht haben. – § 46 ABGB gewährt zusätzlich Schadenersatzansprüche
und § 1247 Satz 2 ABGB gewährt ein besonderes Schenkungswiderrufsrecht. | |
|
XI. Sondergesetzliche
Ansprüche | |
Nicht nur das ABGB kennt Rückforderungstatbestände, Kondiktionen
oder Verwendungsansprüche, sondern auch andere Gesetze wie: | |
• §§ 13a und b GehaltsG;
sog Übergenuss. | |
•
§ 9 EFZG: Rückforderung zu Unrecht geleisteter
Erstattungsbeträge – Der Krankenversicherungsträger kann
zu Unrecht geleistete Erstattungsbeträge vom Arbeitgeber zurückfordern.
Das Recht auf Rückforderung verjährt binnen 2 Jahren nach dem Zeitpunkt,
in dem dem Krankenversicherungsträger bekannt geworden ist, dass
der Erstattungsbetrag zu Unrecht geleistet worden ist. | |
•
§ 86 UrhG (ein Verwendungsanspruch): zB Verlag
produziert ohne Zustimmung einer Musikergruppe deren Lieder auf
CD / MC. | |
| |
•
Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurden mehrere Rückstellungsgesetze erlassen,
um während der Zeit des Nationalsozialismus zu unrecht entzogene
Leistungen (vornehmlich jüdisches Vermögen) zurückfordern zu können. | |
Als redlicher Erwerber einer entzogenen
Sache (iSd Rückstellungsgesetze) war nur derjenige anzusehen, der
von der im Zusammenhang mit dem Nationalsozialismus erzwungenen
Veräußerung des Vermögens entschuldbarerweise keine Kenntnis gehabt
hat, nicht dagegen derjenige, der vermuten musste, dass sich ihr
Eigentümer nicht freiwillig, sondern nur im Zusammenhang mit der
nationalsozialistischen Machtübernahme entäußern musste; | |
vgl die bei Heller / Rauscher aaO
abgedruckten Entscheidungsnummern 151, 153 und 169 der Obersten
Rückstellungskommission. | |
•
§ 27 Abs 1 Z 1 iVm
Abs 3 MRG statuiert einen gesetzlichen Rückstellungsanspruch
verbotener Ablösen. Derartige Ansprüche können nach Abs 3 leg cit
innerhalb von 10 Jahren zurückgefordert werden und sind erleichtert
nach § 37 Abs 1 Z 14 MRG im Außerstreitverfahren geltend zu machen. | |
•
Einen richterlichen Bereicherungsausgleich gewährt
der OGH nunmehr zB dann, wenn ein Arbeitgeber dadurch einen Schaden
erleidet, dass einer seiner Arbeitnehmer bei einem Verkehrsunfall
verletzt wird und idF nicht arbeiten kann, der Arbeitgeber aber
aufgrund gesetzlicher Vorschriften (zB § 8 AngG, oder § 1154 b ABGB oder §
2 EFZG) zur Lohnfortzahlung verpflichtet ist, wodurch
der Schaden auf ihn (als mittelbar Geschädigten) überwälzt wird;
Drittschadensliquidation. Näheres → Drittschadensliquidation
des Arbeitgebers bei einem Lohnfortzahlungsschaden:
EvBl 1994/135. | |
•
Zu Bereicherungsansprüchen
im Konkurs (§§ 44, 46 Abs 1 Z 6 KO) mangels möglicher
Ersatzaussonderung; vgl EvBl 2000/103. | |
• Zur „Bereicherung im öffentlichen Recht”,
F. Kerschner (1983). | |
XII. Entstehung von
Schuldverhältnissen | |
Schuldverhältnisse entstehen nach § 859 ABGB
entweder: | §
859 ABGB |
• aus Vertrag = vertragliche
Schuldverhältnisse oder | |
• unmittelbar aus dem Gesetz = gesetzliche Schuldverhältnisse. | |
Zu den vertraglichen Schuldverhältnissen gehören
die Verträge. – Zu den gesetzlichen Schuldverhältnissen des Privatrechts
– die deswegen so heißen, weil sie nicht auf Rechtsgeschäften und
den diese konstituierenden Willenserklärungen beruhen, sondern unmittelbar
auf Gesetz – zählen: | Vertragliche
und gesetzliche
Schuldverhältnisse |
•
Konsensual-
und Realverträge | Verträge |
• Veräußerungsverträge (Kauf, Tausch, Schenkung), | |
• Gebrauchsüberlassungsverträge: Miete und Pacht
(sog Bestandverträge), Leihe und Darlehen; | |
• die Dienstleistungsverträge (Dienst- oder Arbeitsvertrag,
Werkvertrag, freier Dienstvertrag, Verwahrung, Auftrag / Bevollmächtigungsvertrag); | |
•
Gesellschaftsverträge (§§ 1175 ff ABGB: Gesellschaft
bürgerlichen Rechts; die hr Personengesellschaften: OHG, KG; die
eingetragenen Erwerbsgesellschaften: OEG, KEG; die Kapitalgesellschaften:
AG und GmbH; die Genossenschaften); | |
• Sicherungsverträge (Bürgschaft, Pfandbestellungsvertrag,
Garantievertrag etc); | |
• Glücksverträge (Leibrentenvertrag, Versicherungsverträge); | |
• eine Reihe weiterer Vertragstypen: wie Zession,
Anweisung sowie die atypischen und die Mischverträge. | |
•
das Recht des Schadenersatzes; | gesetzliche
Schuldverhältnisse |
•
die ungerechtfertigte Bereicherung; | |
•
die
Geschäftsführung ohne Auftrag; | |
•
die Gläubigeranfechtung und | |
• die cic. | |
XIII. Entscheidungsbeispiele | |
Allein die beiden wiedergegebenen OGH-Urteile
zeigen, dass der Bereicherungsausgleich häufig schwierige Fragen
betrifft. | |
1. Drittschadensliquidation
des Arbeitgebers bei einem Lohnfortzahlungsschaden | |
|
EvBl 1994/135 (gekürzt)
| |
§
1295 ABGB (§§ 1042, 1358 ABGB; § 8 AngG; § 67 VersVG) – Ersatzansprüche
des Dienstgebers gegen den Schädiger seines Dienstnehmers –
Drittschadensliquidation des Lohnfortzahlungsschadens eines Arbeitgebers
bei Verletzung seines Arbeitnehmers durch einen Dritten. | |
Vorauszuschicken ist,
dass der OGH solche Schäden bis zu diesem Urteil als Drittschäden ( → KAPITEL 9: Drittschäden)
nicht entschädigt hat. Das Urteil stellt demnach ein Judikaturwende
um 180 Grad dar! – Bereicherungsrechtlich greift der OGH hier auf
§ 1042 ABGB (Verwendungszusage) zurück.
Kläger = Arbeitgeber des Verletzten
Arbeitnehmers
Erstbeklagter =
Schädiger / Lenker und Halter des Unfallfahrzeuges (Lkw) Zweitbeklagter =
Haftpflichtversicherer des Unfall-Lkw | |
Leitsatz: Wird ein Dienstnehmer
bei einem Verkehrsunfall [durch einen dritten Schädiger] verletzt
und ist der Dienstgeber seinem Dienstnehmer deswegen gesetzlich
zur Lohnfortzahlung verpflichtet, dann wird der Schaden auf den
Dienstgeber überwälzt; der Schädiger hat den auf den Dienstgeber
überwälzten Schaden des Dienstnehmers zu ersetzen. Bei der Überleitung
des Anspruchs des Dienstnehmers auf den Dienstgeber sind § 1358
ABGB und § 67 VersVG analog anzuwenden. (Eine rechtsgeschäftliche Abtretung
des Schadenersatzanspruchs durch den Dienstgeber ist also nicht
erforderlich.) Der Dienstgeber hat auch Anspruch auf Ersatz der
Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung. | |
Sachverhalt: Der Kläger
brachte vor, dass Josef Z seit 1.1.1988 bei ihm als Angestellter
mit einem Gehalt von monatlich 28.000 S brutto beschäftigt sei.
Am 23.5.1989 habe der Erstbeklagte mit seinem bei der Zweitbeklagten
haftpflichtversicherten Lkw Josef Z als Fußgänger verletzt. Der
Erstbeklagte sei alkoholisiert und nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung
gewesen; er sei mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Gemäß §
8 AngG [Gesetzestext am Ende der Entscheidung] sei der Kläger verpflichtet
gewesen, Josef Z während seiner durch den Unfall verursachten Dienstunfähigkeit
[den Lohn] einschließlich der Dienstgeberbeiträge (Lohnnebenkosten)
bis August 1989, insgesamt 121.340,83 S zu zahlen. Gemäß
§ 1325 ABGB habe der Schädiger im Fall der Körperverletzung dem
Verletzten den entgangenen Verdienst zu ersetzen. Infolge des §
8 AngG habe Josef Z selbst keinen Verdienstentgang erlitten. Der Schaden,
der ohne diese Vorschrift bei ihm eingetreten wäre, sei wirtschaftlich
auf den Kläger verlagert worden. Der Kläger begehrt von den Beklagten
121.340,83 S sA. Er sei zur Geltendmachung des auf ihn verlagerten
Schadens aktiv legitimiert; überdies habe ihm Josef Z alle Forderungen
aus dem Verdienstentgang abgetreten. – Die Beklagten wendeten ein,
dass Josef Z an dem Unfall ein mindestens gleichteiliges Mitverschulden
[§ 1304 ABGB] treffe, weil er durch Stehenbleiben während des Überquerens
der Fahrbahn den Unfall hätte vermeiden können. Der vom Kläger geltend
gemachte Schaden sei ein nicht ersatzfähiger Drittschaden
→ KAPITEL 9: Drittschäden.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ohne Beweisaufnahme
ab. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers
nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht
zulässig sei. Der OGH gab der außerordentlichen
Revision des Klägers Folge und hob die Entscheidungen der Vorinstanzen
auf. | |
§ 8 AngG: (1) Ist ein
Ang[estellter] nach Antritt des Dienstverhältnisses durch Krankheit
oder Unglücksfall an der Leistung seiner Dienste verhindert, ohne
dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit
herbeigeführt hat, so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt
bis zur Dauer von 6 Wochen. Beruht die Dienstverhinderung jedoch
auf einem Arbeitsunfall oder einer Berufskrankheit iSd Vorschriften
über die gesetzliche Unfallversicherung, so verlängert sich die
Frist von 6 Wochen um die Dauer dieser Dienstverhinderung, höchstens
jedoch um 2 Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt beträgt, wenn das
Dienstverhältnis 5 Jahre gedauert hat, jedenfalls 8 Wochen; es erhöht
sich auf die Dauer von 10 Wochen, wenn es 15 Jahre, und auf 12 Wochen,
wenn es 25 Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch je weitere 4
Wochen behält der Ang den Anspruch auf das halbe Entgelt. | |
§ 67 VersVG: (1) Steht dem Versicherungsnehmer
ein Schadenersatzanspruch gegen einen Dritten zu, so geht der Anspruch
auf den Versicherer über, soweit dieser dem Versicherungsnehmer
den Schaden ersetzt. Der Übergang kann nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers
geltend gemacht werden. Gibt der Versicherungsnehmer seinen Anspruch
gegen den Dritten oder ein zur Sicherung des Anspruches dienendes Recht
auf, so wird der Versicherer von seiner Ersatzpflicht insoweit frei,
als er aus dem Anspruch oder dem Recht hätte Ersatz erlangen können. | |
(2) Richtet sich der Ersatzanspruch des Versicherungsnehmers
gegen einen mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebenden Familienangehörigen,
so ist der Übergang ausgeschlossen; der Anspruch geht jedoch über, wenn
der Angehörige den Schaden vorsätzlich verursacht hat. | |
|
2. Zweckverfehlende
Arbeitsleistungen – Hausbau von Lebensgefährten | |
Zum Bereicherungsausgleich zwischen Lebensgefährten nach
Auflösung der Lebensgemeinschaft: § 1435 ABGB. | |
| |
|
SZ 53/20: Hausbau von Lebensgefährten.
Kläger = Ehemaliger Lebensgefährte; Beklagter = Ehemalige Lebensgefährtin.
Außerhalb einer Erwerbsgesellschaft umfasst der Kondiktionsanspruch
eines früheren Lebensgefährten für Geld- und Arbeitsleistungen nur
die Rückerstattung der Geldleistung und angemessenes Entgelt für
die Arbeit, nicht aber einen Anteil an der Werterhöhung des gemeinsam
errichteten Hauses. – OGH 31. Jänner 1980, 7 Ob 802/79 (OLG Ibk,
2 R 279/79; LG Ibk 13 Cg 3/79). Mit seiner Klage begehrt der Kläger
von der Beklagten die Zahlung von 1,994.867 Mio S samt Anhang. Von
1963 bis Jänner 1977 sei er der Lebensgefährte der Beklagten gewesen.
Die Auflösung der Lebensgemeinschaft sei deshalb erfolgt, weil die
Beklagte einen anderen Mann kennengelernt und schließlich geheiratet
habe. Im Jahre 1972 hätten die Streitteile mit dem Bau eines Hauses
auf einem der Beklagten gehörigen Grundstück begonnen. An die Professionisten
und für Baumaterialien habe der Beklagte aus eigenen Mitteln 733.865,70
S gezahlt. Für die Planungsarbeiten (Verfassung der Baupläne und
Erwirkung der Baubewilligung) stehe dem Kläger ein Architektenhonorar
von 357.176 S und für persönliche Arbeitsleistungen beim Hausbau
ein Lohnanspruch von 320.000 S zu. An der Errichtung des Hauses
K, U-Weg Nr 47, das einen Wert von 4,500.000 Mio S repräsentiere,
seien die Streitteile in finanzieller Hinsicht und in bezug auf
ihre persönlichen Arbeitsleistungen je zur Hälfte beteiligt gewesen.
Dem Kläger stehe daher gegen die Beklagte ein Bereicherungsanspruch
in der Höhe des Wertes des halben Hauses zu. Die Beklagte beantragt
Klagsabweisung und behauptet, dass es bereits im Jänner 1976 zur
Auflösung der Lebensgemeinschaft gekommen sei, weil der Kläger Beziehungen
zu einer anderen Frau aufgenommen habe. Sie habe erst im Oktober
1976 ihren jetzigen Gatten kennengelernt und im Jahre 1977 geheiratet.
Der Kläger habe von der Beklagten niemals den Auftrag erhalten,
für sie als Architekt tätig zu werden. Seine Leistungen habe der Kläger
im Rahmen der Lebensgemeinschaft erbracht. Die Streitteile seien
sich auch einig darüber gewesen, dass eine Honorierung des Klägers
für seine Leistungen nicht zu erfolgen habe. Am Hausbau habe sich
der Kläger weder finanziell noch durch persönliche Arbeitsleistungen
zur Hälfte beteiligt. Schließlich habe er bei der Auflösung der
Lebensgemeinschaft auf eine Entschädigung für alle seine Leistungen
im Zusammenhang mit dem Hausbau verzichtet. Der Kläger habe daher
gegen die Beklagte keinen Bereicherungsanspruch. Der Beklagten stehe
hingegen aus ihren für den Kläger erbrachten Leistungen eine Gegenforderung
von 555.940 S zu, die von ihr aufrechnungsweise geltend gemacht
werden. | |
|
| |
|
Vgl auch
JBl 1991, 588: Wurde zwischen Lebensgefährten bei gemeinschaftlicher
Bebauung eines Grundstücks zwar keine ausdrückliche Abrede über
den Rechtsgrund der Zuwendungen getroffen, aber doch deutlich zum
Ausdruck gebracht, dass die Leistungen im Hinblick auf den bestimmten,
dem Leistungsempfänger erkennbaren Zweck des zukünftigen
gemeinsamen Wohnens erbracht werden, so begründet die Zweckverfehlung
der Leistungen im Fall der Aufhebung der Lebensgemeinschaft grundsätzlich
einen Bereicherungsanspruch nach § 1435 ABGB. Nur bei treuwidriger
Leistungsvereitelung wird die Rückforderung ausgeschlossen. Der
Treuebruch des Partners einer Lebensgemeinschaft ist wegen der rechtlichen Unverbindlichkeit
des Verhältnisses kein rechtserheblicher Verstoß gegen Treu und
Glauben. | |
|
|
SZ 24/170 (1951):
Teilnichtigkeit eines verbotene und unerlaubte Leistungen enthaltenden
Vertrags – Vgl die Ausführungen im Rahmen der Nichtigkeit → Wie
wirkt Nichtigkeit? Die
Herausgabe der Bereicherung kann auch mit Klage nach § 368 EO (sog
Interessenklage) verlangt werden. | |
|
| |