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By Henrik Morten Lischke. Image via: https://henriklischke.com/sunday-times-style-26072020-bernardine-evaristo-issue

Intermedialer Aktivismus: Autorinneninszenierung im 21. Jahrhundert

Sarah Agath präsentiert in diesem Beitrag einen Teilbereich der medialen Inszenierung der Autorin Bernadine Evaristo – ihren Aktivismus rund um Schönheitsideale, die Schönheitsindustrie und die Rolle der Schwarzen Frau.

Die Schreibkultur Schwarzer Autorinnen im anglophonen Raum ist traditionell stark mit aktivistischer Arbeit verbunden. Diese Autorinnen haben lange wenig gesellschaftliche Aufmerksamkeit erfahren und richteten daher ihre Anliegen an ein überschaubares Publikum. In den vergangenen Jahren konnten Schwarze Autorinnen jedoch vermehrt in internationalen Bestsellerlisten gefunden werden. Im gesellschaftspolitischen Kontext der Black-Lives-Matter-Bewegung und einem vermehrten allgemeingesellschaftlichen Bewusstsein für (populär-)feministische Anliegen hat die Anerkennung von Schwarzen Autorinnen international deutlich zugenommen. Die gesellschaftspolitische Signifikanz einer solchen Entwicklung darf nicht unterschätzt werden: Literatur – vor allem wenn geschickt vermarket – kann als Tool dienen, um soziale Ungleichheiten aufzuzeigen und marginalisierten Gruppen eine Stimme zu geben.

Es hat sich gezeigt, dass zeitgenössische Schwarze Autorinnen ihre aktivistischen Vorhaben mit ihrer Literatur zunehmend zu einem medialen Netz verbinden. Hierfür bedienen sie sich unterschiedlicher (Online-)Medienkanäle wie Sozialen Medien, Zeitschriften, Zeitungen und publizierten Essays, Videos und Vlogs. Zudem publizieren sie Werke im Printformat und beziehen sich auf deren Inhalte in den unterschiedlichen Medienkanälen.

Die Inhalte der aktivistischen Ziele variieren von Autorin zu Autorin. In diesem Beitrag wird ein Teilbereich der medialen Inszenierung der Autorin Bernadine Evaristo präsentiert. Am Beispiel des Diskurses um Schönheitsideale und die Schönheitsindustrie wird ersichtlich, dass Evaristo ihr aktivistisches Anliegen sowohl in ihre Literatur als auch in unterschiedliche mediale Beiträge integriert und der Leser_innenschaft so die komplexe Problematik um das Thema Schönheit auf eine zugängliche Weise näherbringt.

Ein intermediales Modell der Autorinneninszenierung

Das Modell, mit dem die aktivistische Inszenierung der Autorinnenfiguren im 21. Jahrhundert untersucht wird, ist intermedial ausgerichtet. Bei Intermedialität handelt es sich um das Verhältnis zwischen Kunst und verschiedenen digitalen Medien. Sie unterstützt als Tool die Analyse kommunikativer und ästhetischer Mechanismen. Für den/die Erzeuger_in ist Intermedialität eine Form von Selbstreflexion in der digitalen Kunst – also ein geplanter Vorgang. Die Einzelteile intermedialer Repräsentation sind bereits so konstruiert, dass sie sich geschickt in ein Ganzes integrieren lassen und das Publikum dazu drängen, „das Ganze“ zu konsumieren. Zu intermedialen Methoden gehören beispielsweise das Nesting – das Verschränken von digitalen Medien – und das Braiding – das Erschaffen einer scheinbar kohärenten Erzählung. Daher kann mit einer intermedialen Analyse untersucht werden, was in den Schnittpunkten zwischen Print und digitalen Räumen passiert – was kommuniziert und vielleicht sogar neu geschaffen wird.

Bernadine Evaristos intermedialer Appell an die Schönheitsindustrie

Die Autorin Bernadine Evaristo ist seit Jahrzehnten in der Förderung Schwarzer Autor_innen im Vereinigten Königreich aktiv. Obwohl ihre Romane im literaturwissenschaftlichen Bereich seit den 1990er Jahren Anklang finden, hat Evaristo erst 2019 mit dem Booker-Preis-gekrönten Roman Girl, Woman, Other1 internationale Bekanntheit erlangt.

Evaristo erschafft mit ihrer intermedialen Praxis Verbindungen zwischen den Inhalten ihres Romans und ihrer Online-Medienpräsenz (Online-Artikel und Essays sowie Postings in Sozialen Medien). Durch intermediale Techniken wie Nesting und Braiding formuliert sie einen kohärenten sozialpolitischen Appell an ihre Leser_innen. Sie veröffentlicht ihre Texte in Mainstream-Medien und erreicht somit eine breite Leser_innenschaft.

Bernadine Evaristo bringt den Schönheitsdiskurs in Verbindung mit Hautfarbe, Geschlecht, Alter und sozioökonomischem Hintergrund im Kontext von Neoliberalismus und Kapitalismus. Zudem stellt sie den Schwarzen Körper als Untersuchungsgegenstand ins Zentrum ihres medialen Auftritts. Auch in ihrem Roman Girl, Woman, Other (GWO), der von zwölf Schwarzen Frauen handelt, behandelt sie die Beziehungen zwischen Schwarzen Frauen und ihren Körpern in einer Gesellschaft, die Weißsein als Idealbild portraitiert. Sie zeigt Probleme auf, mit welchen Schwarze Frauen ständig konfrontiert werden und verdeutlicht, wie tief gesellschaftliche Bilder von (weißer) Schönheit in den Köpfen von (nicht-)weißen Personen verwurzelt sind.

Ein Beispiel von Evaristos Schönheitsdiskurs in Onlinemedien

Im Juli 2020 war Bernadine Evaristo in ein großes mediales Projekt zum Schönheitsdiskurs involviert. Sie war Jurorin eines Schreibwettbewerbs, der in Zusammenarbeit mit The Black Writers' Guild2 und Times UK veranstaltet wurde und aufstrebende Schwarze Journalist_innen in der Mode- und Beautyszene fördern sollte. Im Zuge dieses Projekts war Evaristo Gastherausgeberin einer Sonderausgabe des Sunday Style Magazine der Times UK. In Bezugnahme auf ihre Rolle als Herausgeberin hat Evaristo einen von der Times UK veröffentlichten Artikel mit dem Titel „Bernardine Evaristo guest edits Style: Putting Black women and womxn3 in the spotlight" verfasst. Evaristo eröffnet den Artikel wie folgt: “Women’s magazines have traditionally excluded us . . . Now things are changing for the better“. Sie kontextualisiert ihre Rolle als Herausgeberin gesellschaftspolitisch und spricht über ihre persönlichen Erfahrungen mit der mangelnden Darstellung von Schwarzen Frauen in Zeitschriften und Magazinen. Es sei ihr deswegen ein Anliegen, eine neue Form von Schönheit in Frauenmagazinen abzubilden, nämlich eine von Schwarzen und/oder queeren Frauen. Evaristo bezieht sich zudem auf ihren Roman GWO und argumentiert, dass GWO und diese Sonderausgabe dasselbe Ziel verfolgen, nämlich Schwarze und/oder queere Frauen ins Rampenlicht zu rücken. In ihrem Roman GWO zeigt Evaristo, wie restriktiv die Definition von Schönheit in unserer Gesellschaft ist und wie stark diese auf körperlichen Merkmalen beruht, die Schwarze Frauen häufig nicht aufweisen. Der Hauptcharakter Amma definiert ihren Körpertyp beispielsweise als „African“; gleichzeitig beschreibt sie ihr Aussehen als “objectively ugly“. Ihre Freundin Dominique, eine Schwarze Frau deren Figur und Gesichtszüge westlichen Idealen entsprechen, bezeichnet sich dagegen als "living goddess". Zudem wird anhand von Courtney – einer weißen Frau, die deutlich mehr Aufmerksamkeit von Schwarzen Männern erhält als ihre Schwarze Freundin Yazz – veranschaulicht, dass Weißsein nicht nur unter weißen Personen der westlichen Gesellschaft als Idealbild gesehen wird. Ein weiteres Thema, das Evaristo in ihrem Artikel anspricht, ist der Schwarze Haardiskurs4 – ein globales Phänomen, das in der Diskriminierung Schwarzer Frauen eine erhebliche Rolle spielt. In diesem Kontext bezieht sich Evaristo auf Schwarze Models und Aktivistinnen, die den neuen Trend des weiblichen Kopfrasierens promoten. Evaristo argumentiert, dass Frauen mit rasierten Köpfen eine einzigartige Attraktivität und Kraft ausstrahlen, da sie sich sowohl von langen Haaren (als patriarchalisches Schönheitsideal) als auch vom Ideal des glatten Haars (also dem weißen Schönheitsideal) befreit haben. Fragen im Zusammenhang mit westlichen Schönheitsidealen und der Haarstruktur Schwarzer Frauen werden auch im Roman GWO wiederholt behandelt. Beispielsweise rasiert sich der nicht-binäre Charakter Meghan/Morgan den Kopf, um sich von geschlechterspezifischen Rollenerwartungen zu lösen. Mit rasiertem Kopf fühlt sich Morgan dann "eventually gender-free". Der Charakter Yazz trägt wiederum einen voluminösen Afro; während die 19-Jährige Yazz stolz auf ihr "wild and energetic“ Haar ist, wird es von (älteren) Schwarzen Frauen in ihrer Umgebung kontrovers diskutiert. Eine dieser Frauen ist Shirley, die ihr Haar seit ihrer Kindheit glatt trägt. Nachdem sie jedoch beobachtet, welches Selbstbewusstsein Yazz mit ihrem Afro ausstrahlt, beginnt Shirley ihren eigenen jahrzehntelangen Gehorsam gegenüber westlichen Schönheitsidealen zu hinterfragen. Evaristo erklärt schlussendlich, dass sie durch diese Times-Style-Sonderausgabe – wie auch ihren Roman GWO – nicht nur Konzepte von Schönheitsidealen wie sie von den Medien dargestellt werden, erweitern möchte, sondern auch deren Verflechtung mit der Stereotypisierung und Marginalisierung sowie dem Rassismus und Sexismus aufzuzeigen will, mit denen Schwarze Frauen in allen Lebenslagen konfrontiert sind.

Bernadine Evaristos Schönheitskritik ist ein Beispiel dafür, wie zeitgenössische Schwarze Autorinnen ihre Literatur und ihre Beiträge in Online-Medienkanälen intermedial nutzen, um die Leser_innenschaft auf unterschiedliche sozialpolitische Problematiken hinzuweisen. Weitere Beispiele solcher Problematiken sind Gewalt an marginalisierten Gruppen (z.B. nicht-weißen Frauen), Homophobie oder das koloniale Erbe – welche mit ständigem Bezug auf Race (Hautfarbe etc.), Geschlecht (trans und nicht-binär), Klasse (sozioökonomische Privilegien/Benachteiligung) und Körper (Einbeziehung aller Körpertypen und Altersgruppen) diskutiert werden.

(Sarah Agath)

[1] Deutsche Übersetzung: Mädchen, Frau etc.

[2] Eine Gruppe von über 200 Schwarzen Autor_innen, darunter viele britische Bestsellerautor_innen. Ihr Ziel ist es, nachhaltige, faire und gleichberechtigte Bedingungen für Schwarze literarische Talente im britischen Verlagswesen zu schaffen.

[3] Womxn: „Womxn“ ist eine abgewandelte Form des englischen Wortes für „Frau“, „woman“. Die Frauenbewegung will damit ihre Unabhängigkeit vom Mann ausdrücken. Der Transgender-Bewegung dient der Begriff als Ausdruck der geschlechtlichen Diversität.

[4] Haarstruktur ist neben Hautfarbe ein zentraler Faktor im Colourismus. Afrohaare sind stigmatisiert, glattes Haar (westliches, europäisches) gilt als Norm. Daraus hat sich eine milliardenschwere globale Haarglättungsindustrie entwickelt.

 


Sarah Agath studierte Anglistik an der Universität Innsbruck. Sie ist gegenwärtig Doktorandin der Literatur- und Kulturwissenschaft im Fachbereich anglistische Literaturwissenschaft. Zudem ist sie Referentin des Doktoratskollegs Grenzen, Grenzverschiebungen und Grenzüberschreitungen in Sprache, Literatur, Medien und Sprecherin des Doktorand*innennetzwerks des CGI (Center für Interdisziplinäre Geschlechterforschung) and der Universität Innsbruck.

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