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Ein Fall kommt selten allein
(Spuren vom Kreuzweg in unserer Gegenwart)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:Tiroler Tageszeitung 82 vom 7. April 2004
Datum:2004-04-13

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Viel braucht man ja wirklich nicht: eine völlig unerwartete Krebsdiagnose, der Verlust des Arbeitsplatzes, der Verrat seitens eines geliebten Menschen. Der Boden unter den Füßen fängt an zu schwanken, und der Horizont verdunkelt sich. "Gott sei Dank", da gibt es noch die Hoffnung auf die Chemotherapie und die Operation. Es gibt die Sozialabsicherung und auch die anderen Menschen, die mir unter die Arme greifen. Mich ausführen in ein Gasthaus, wo ich mit ihnen essen, trinken und reden kann. Wo die Not gewendet werden kann.

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Und doch sitzt die Angst tief in den Knochen. In meinen Knochen! Was denn, wenn diese Wendung der Not nicht gelingt? Oder wenn alle Versuche die Not zu wenden, die Not nur noch verschlimmern? Wenn die Chemotherapie das Immunsystem lahmlegt und ich nur noch "japsen" kann! An die Schläuche der Intensivstation angeschlossen, von den Mitmenschen isoliert. Das Ende steht vor der Tür. "Es wird schon werden!" Formelhaft trösten wir oft einander. Und wir erstarren, wenn wir merken, dass es eben nicht aufwärts, sondern abwärts geht. Dass sich gerade in der Krankheit Menschen aus dem Staub machen können. Nicht Fremde. Nein! Lebenspartner, Liebhaber, Kinder. Sie ergreifen oft die Chance, ihr eigenes Leben zu leben. Jedem Menschen seinen eigenen Gott, seinen eigenen Himmel und auch seinen eigenen Weg dorthin - so dröhnt es heutzutage im Grunde aus allen Werbeagenturen. Und wir alle klatschen begeistert dazu. Und bereiten damit aber stückweise den eigenen Absturz in die Einsamkeit im Alter vor. Oder den unserer Freunde.

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Eine Zeit, in der die mitmenschliche Treue schon in den "guten Tagen" zum teuren Markenartikel wurde, programmiert die "schlechten Tage" allzu oft zum Kreuzweg um. Daran wird auch die demagogischste Werbung über private Vorsorge angesichts der düsteren Zukunft unseres Sozialsystems nichts ändern. Auch nicht der zweischneidige medizinische Fortschritt.

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Woran mochten wohl unsere Vorfahren gedacht haben, als sie in ihrer Frömmigkeit die Weisheit vom mehrmaligen Fall Jesu unter dem Kreuz tradierten? Die alltägliche Erfahrung, dass ein Fall selten allein kommt, lässt den alten Kreuzweg doch ganz modern erscheinen. Und auch ganz nahe am Lebenspuls.

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