Zukunft Forschung

Ausgabe 01 | 20

Interview mit Hans Stötter "Als Vordenker auch Vorlebender sein"

Universitäre Nachhaltigkeit heißt für Hans Stötter auch Verantwortung gegenüber künftigen Generationen. Das bedeutet für den Geographen, dass Universitäten sich in den gesellschaftlichen Diskurs einbringen, gemeinsam mit der Gesellschaft an der Wissensproduktion arbeiten und dafür sorgen, „dass alle unsere Absolventinnen und Absolventen eine grundlegende Ahnung von den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts haben“. 

Zukunft: Nachhaltigkeit ist in aller Munde, Wirtschaft, Landwirtschaft, Ernährung etc. soll(t)en nachhaltig sein. Wie kann man Nachhaltigkeit in Bezug auf Universitäten definieren?

hans stötter: Ob „man“ es so definieren kann, sei dahingestellt, für mich definiere ich es so: Nachhaltigkeit ist so etwas wie ein Leitfaden, der für alle Teilaspekte, die eine Universität ausmachen – Forschung, Lehre, Betrieb und der Diskurs mit der Gesellschaft –, eine zentrale Bedeutung hat. Das heißt, dass in Forschung und Lehre die Aspekte der Nachhaltigkeit, der nachhaltigen Entwicklung zu berücksichtigen sind. Ebenso im Betrieb, bei der Beschaffung, beim Energieverhalten, bei Reisetätigkeiten etc. Und ebenso im gesellschaftlichen Diskurs, in der Diskussion mit der Gesellschaft müssen wir – ich erinnere an das neue Manifest der Universitätenkonferenz zur Nachhaltigkeit – als Vordenker auch Vorlebende sein. Noch ein weiterer Aspekt in Hinblick auf diesen roten Faden: Meiner Meinung nach hat Nachhaltigkeit ganz klar eine ethische Komponente, es geht ganz stark um Verantwortung; und zwar um Verantwortung gegenüber der Zukunft und der Gesellschaft, vor allem aber gegenüber künftigen Generationen.

Zukunft: Provokant gefragt: Sollte dies nicht per se die Aufgabe einer Universität sein?

hans stötter: Provokante Antwort: Ja. Doch dann kommt ein „…aber es ist halt nicht so.“  Universitäten haben sich bisher sehr stark auf ihre klassischen Kernbereiche Forschung und Lehre konzentriert, auf den Betrieb natürlich auch. Der Betrieb ist dadurch gekennzeichnet, dass wir als „Staatsunternehmen“ meist den Billigstbieter nehmen müssen. Dementsprechend geht es oft nicht um Qualität, sondern um das, was am wenigsten kostet. Folgekosten werden bei den Angeboten nicht eingeholt bzw. berücksichtigt, d.h. es kann in Summe sogar teurer werden. Nachhaltigkeit würde, sieht man sie in einem größeren Zusammenhang, lehren, dass man in diesem Bereich sparen könnte.

Zukunft: Und die Nachhaltigkeit in Hinblick auf die gesellschaftliche Verantwortung?

hans stötter: Die Entwicklungen im 21. Jahrhundert, auch schon im ausgehenden 20. Jahrhundert, haben ein Umdenken angeregt. Dahingehend, dass an den Universitäten – so wie sie es gewohnt waren – neben der klassischen Produktion von Wissen und Erkenntnissen, neben dem Betreiben von Grundlagenforschung und dem Produzieren von Systemwissen begonnen wurde, angewandte Forschung zu betreiben und zielorientiertes Wissen zu produzieren. Jetzt ist eine neue Dimension dazugekommen, nämlich Transformationswissen zu produzieren und transformativ an der Wissensproduktion zu arbeiten, also nicht der Gesellschaft – wie es im klassischen Sinne war – einfach etwas vorzusetzen. Verantwortung heißt, dass wir uns in die gesellschaftlichen Prozesse einbringen, dass wir mit der Gesellschaft zusammen an der Wissensproduktion arbeiten. Einfach deshalb, weil die Gesellschaft, wenn sie bei der Wissensproduktion dabei ist, so etwas wie Ownership besitzt, sie sich als Teil des Systems fühlt – und eine gesellschaftliche Umsetzung dadurch um vieles leichter wird. Das ist eine neue Form der Verantwortung, der wir uns jetzt bewusst werden müssen. Das hängt natürlich damit zusammen, dass es gewaltige Herausforderungen gibt – kurzfristig Corona, in einer längerfristigen Dimension der Klimawandel, Biodiversitätsverluste und andere globale Probleme.

Zukunft: 2012 wurde die „Allianz Nachhaltige Universitäten Österreich“ gegründet. Hat sie auch das Ziel, dass Bevölkerung am Erkenntnisgewinn partizipiert?

hans stötter: Ja, vor allem aber auch an der Erkenntnisproduktion. Im Sinne einer Co-Produktion von Erkenntnissen, damit die Menschen Erkenntnisse als etwas Eigenes sehen, damit erreicht man eine ganz andere Akzeptanz.

Zukunft: Soll universitäre Forschung diesen Wissenstransfer ständig mitdenken?

hans stötter: Ja, es ersetzt aber definitiv nicht die klassischen Felder. Es ist eine Aufgabe, die dazukommt, dass wir in einem diskursiven Prozess gemeinsam mit der Gesellschaft etwas gestalten. Natürlich wird es auch Grundlagenforschung wie bisher geben, Forschung aus wissenschaftlichem Erkenntnisinteresse heraus. Aus dieser Grundlagenforschung entstehen ja viele Impulse. Parallel dazu braucht es diese neue Schiene, in die Vertreter der Gesellschaft eingebunden sind, in der gemeinsam Fragestellungen entwickelt werden und in der ein Erkenntnisprozess gemeinsam durchlaufen wird. Das ist ein problemgetriebener Ansatz, der nicht-universitäre Gesellschaft mit der universitären vereint

Zukunft: Die „Allianz Nachhaltige Universitäten Österreich“ gibt es nun seit acht Jahren seit der Gründung Highlights? Wenn ja welche?

hans stötter: Das erste Highlight war, dass sich Universitätsleistungen zusammengefunden haben und ein gemeinsames Dokument – das „Memorandum of Understanding zur Zusammenarbeit der Allianz Nachhaltige Universitäten in Österreich“ – unterschrieben und damit kundgetan haben, mit dieser interuniversitären Einrichtung im Bereich der Nachhaltigkeit zusammenarbeiten zu wollen. Konkret steht in diesem Memorandum of Understanding, dass Nachhaltigkeit alle Felder – nämlich Forschung, Lehre, Betrieb und gesellschaftlichen Dialog – betrifft. Ein anderes Highlight, das nicht so leicht zu fassen ist, ist das Vertrauensverhältnis, das entstanden ist. Österreich ist ein kleines Land, die Universitäten rittern oft um die gleichen Geldtöpfe. Oftmals sieht man Forscher einer anderen Universität, die etwas Ähnliches machen, durchaus als Konkurrenz. Als wesentlicher Punkt der interuniversitären Aktivitäten ist es gelungen, diese Konkurrenzsituation zu überwinden und das Gefühl zu entwickeln, dass wir stärker sind, wenn wir gemeinsam an einem Strick ziehen, dass wir Möglichkeiten haben, etwas – und das ist dann etwas Größeres – zu tun, wenn wir nicht konkurrieren. Ein weiteres Highlight ist das Projekt UniNEtZ.

Zukunft: In dem Projekt „UniNEtZ –Universitäten und Nachhaltige Entwicklungsziele“ soll bis 2021 ein Optionenpapier erarbeitet werden, das die österreichische Bundesregierung in der Umsetzung der 17 Sustainable Development Goals der UNO, der SDGs, unterstützen soll. Gibt es schon Zwischenergebnisse?

hans stötter: Anfang März wurde, anlässlich einer zweitägigen Versammlung des UniNEtZ-Konsortiums, dem Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung ein Perspektivenbericht überreicht. In diesem Bericht ist in einer Kurzdarstellung aufgezeigt, in welche Richtung in den einzelnen SDG-Gruppen gearbeitet wird, welche Fokussierungen angestrebt werden – es ist ja nicht so, dass für Österreich alle SDGs gleich bedeutend sind –, wo die Hauptproblemfelder in Österreich gesehen werden, wie ein SDG mit anderen SDGs interagiert… Damit ist der Weg klar vorgegeben, den der Optionenbericht gehen wird.

Zukunft: Stichwort SDGs. Befürchten Sie, dass diese anlässlich der Corona-Krise und ihrer wohl lang andauernden Bewältigung in den Hintergrund rücken?

hans stötter: Lassen Sie mich das positiv darstellen. Die Corona-Krise hat einen höchst interessanten Aspekt aufgezeigt, von dem – glaube ich – Politiker viel lernen können. Politiker, die klare Ansagen und klare Vorgaben machen, können durchaus von der Gesellschaft sehr einschneidende Schritte einfordern – und es schadet ihrer Popularität überhaupt nicht. Interessanter Weise zeigen Umfragen in Ländern, wo Regierungsparteien klare Vorgaben gemacht haben, wie stark diese in der Wählergunst gestiegen sind – das sieht man z.B. in Österreich und Deutschland. Regierungen, die keine Vorgaben machen und mit ihren Anweisungen herumeiern, haben kein positives Feedback. Wenn man den Menschen also klar erklärt, warum man etwas machen muss, auch wenn es große Einschnitte mit sich bringt, gibt es eine große Akzeptanz. Man muss also davor keine Angst haben. Da sehe ich die Chance. Wenn wir die Wirtschaft wieder ankurbeln und versuchen, die negativen Effekte wieder aufzufangen, dann können wir diese Ankurbelung, diese Investitionen, die getätigt werden, natürlich mit Vorgaben koppeln, die gleichzeitig dazu dienen, den Klimaschutz oder die Nachhaltigkeitsziele einzuhalten. Das muss jetzt geschehen, da sehr viel Geld in die Hand genommen wird. Das wird auch von vielen Gruppierungen eingefordert, auch in Tirol mit z.B. mit der Initiative „Wann wenn nicht jetzt“. Und ich bin guter Hoffnung, dass das stattfindet. Auf europäischer Ebene ist es einfacher, zu fordern, dass Corona-Hilfsmaßnahmen mit Klimaschutzmaßnahmen gekoppelt werden – und es wird auch gefordert. Auf österreichischer Ebene wird immer betont, dass das Regierungsprogramm, das in dieser Hinsicht sehr ambitioniert ist, auch hält. Es ist zu hoffen, dass das in Tirol ähnlich gesehen wird und dass die Maßnahmen, die gesetzt werden, um vor allem den Tourismus wieder anzukurbeln, mit entsprechenden Auflagen verbunden werden. Ein Zurück zum Vorgehen vor der Corona-Krise, ein Eins-zu-Eins kann es nicht geben.

Zukunft: Sie sehen die Krise also als Chance?

hans stötter: Ja. Wichtig ist, den Entscheidungsträgern klar zu machen, dass sie jetzt eine einmalige Chance haben. Mit klaren Ansagen kommt man in der Bevölkerung an, das muss man beibehalten. Vor Corona hatte ich immer das Gefühl, dass die politischen Entscheidungsträger Angst vor einigermaßnahmen drastischen Maßnahmen hatten und nicht wussten, wie sie solche kommunizieren können.

Zukunft: Ein Blick auf die Universität Innsbruck – was passiert hier in Bezug auf Nachhaltigkeit und Forschung, Lehre, Betrieb und Wissenstransfer? Wie unterscheidet man sich von anderen Unis?

hans stötter: Einen großen Schritt, den wir gemacht haben und der uns von anderen Universitäten unterscheidet, ist im Bereich der Lehre das Ergänzungsstudium Nachhaltigkeit, das im kommenden Wintersemester starten soll. Es hat einen Umfang von 30 ECTS, Vertreterinnen und Vertreter aus den unterschiedlichen Fakultäten wurden in ein Boot geholt, um gemeinsam Module zu entwickeln, die an den SDGs, den Sustainable Development Goals der Agenda 2030, ausgerichtet sind. Damit setzen wir einen Schritt, wie er an keiner anderen österreichischen Universität gesetzt wurde. Vorläufer waren letztes Wintersemester und sind dieses Sommersemester die „Lectures for Future“ für Studierende aller Fakultäten – Lehrveranstaltungen aus unterschiedlichen Fachrichtungen, die sich mit Fragen und Herausforderungen des 21. Jahrhunderts beschäftigten. Nachholbedarf in Innsbruck sehe ich – im Vergleich zu Regelungen anderer Universitäten – im Betrieb. In einigen Teilbereichen sind wir sehr stark, in anderen gilt es nachzuholen, etwa beim Reisemanagement oder bei der Beschaffung. Insgesamt wäre es wichtig, Nachhaltigkeit an der Universität institutionell zu verankern. Es wird über die Gründung eines Zentrums für Nachhaltigkeit diskutiert, eine interfakultäre Einheit, in dem alle Nachhaltigkeitsaspekte koordiniert werden sollen. An der Universität für Bodenkultur in Wien gibt es etwas Vergleichbares, das Zentrum für Globalen Wandel & Nachhaltigkeit – und man muss schon sagen: Das ist eine Erfolgsgeschichte, wenn so eine Koordination stattfindet. Insofern wäre es ein großer Gewinn, wenn es das an der Uni Innsbruck auch geben würde.

Zukunft: Sie haben mit dem Ergänzungsstudium Lehre und Studierende erwähnt. Können/Sollen Studierende in einen universitären Klimawandel eingebunden werden bzw. sich in diesen einbringen? Wenn ja, wie?

hans stötter: Auf jeden Fall. Ich möchte die Antwort mit einem provokanten Satz beginnen: Als Universität ist es unsere absolute Verantwortung, dass alle unsere Absolventinnen und Absolventen eine grundlegende Ahnung von den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts haben müssen. Wenn ich heute eine akademische Ausbildung abschließe und weiß nichts von den dringendsten globalen Problemen – das kann nicht sein. Wer eine akademische Ausbildung macht, ist potenzieller Entscheidungsträger in der Zukunft. Und Entscheidungsträger müssen wissen, was die zentralen Herausforderungen sind und wie – zumindest im Grundkonzept – Lösungsansätze aussehen. Es muss nicht jeder absoluter Spezialist sein, aber grundlegende Kenntnisse haben. Insofern müssen die Studierenden eingebunden sein, Lehre ist daher ganz, ganz wichtig. Die Studierenden müssen aber in allen Bereichen eingebunden sein, Nachhaltigkeit muss auch gelebt werden. Universitäten haben Vorbildfunktion, das müssen sie auch leben – und das geht nur mit einem Miteinander. In Innsbruck gibt es eine starke Initiative von studentischer Seite, die INUI– Initiative Nachhaltige Universität Innsbruck. Von INUI sind viele Impulse ausgegangen – die Initiative hat sich gut entwickelt und ist ein Beispiel, wie ein Miteinander bei solch grundlegenden Fragen möglich ist.

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