01-cover-935x561

Recht verstehen? Die Linguistik macht es möglich

In Rechtsbelangen könnte vieles besser und effizienter funktionieren, wenn sich alle Beteiligten sprachlich verstünden. Die mangelnde Verständlichkeit von Rechtstexten beklagen nicht nur juristische Lai*innen, auch Jurist*innen selbst erkennen hierin ein Problem und streben nach einer Verbesserung dieses Zustandes.

Komplexe Inhalte, komplizierte Sprache?

Gesetze nehmen im Rechtswesen eine zentrale Stellung ein. Sie gehören zur Textsorte der Rechtstexte, zu denen etwa auch Erlasse, Verordnungen, Satzungen, Gerichtsurteile, Ausführungsbestimmungen, Verträge und Bescheide zählen. Rechtstexte sind nicht nur für die Kommunikation innerhalb einer Expert*innengruppe bestimmt, sondern richten sich in vielen Fällen auch an die breite Öffentlichkeit, die fast täglich mit Rechtstexten und deren Auswirkungen auf ihr Leben konfrontiert ist. Rechtstexte müssen daher nicht nur für Jurist*innen, sondern auch für Lai*innen verständlich sein. Wer schon einmal mit einem Rechtstext konfrontiert war, stellt allerdings unschwer fest, dass dies bei Weitem nicht immer der Fall ist. Wenn man als ‚mündige*r Bürger*in‘ versucht, sich über die eigenen Rechte und Pflichten zu informieren, oder wenn man einen Bescheid erhält und infolgedessen mit einem Rechtstext konfrontiert ist, stößt man rasch auf Formulierungen, die nicht unmittelbar verständlich sind. Rechtstexte gelten geradezu als Paradebeispiel für schwerverständliche Texte – ein Umstand, der meist als gegeben hingenommen wird. Von solchen Verständnisproblemen im Umgang mit juristischen Textsorten geht das laufende Promotionsverfahren von Linda Prossliner aus, in welchem die Linguistin zeigen möchte, dass das sprachliche Verbesserungspotential von Rechtstexten sehr hoch ist, wenn deren Inhalte optimal vermittelt werden sollen.

Sprache ist dabei das zentrale Handwerkzeug der Jurist*innen. Erlasse, Verordnungen, Satzungen und Bescheide sind sprachlich verfasst, Recht wird also durch Sprache vermittelt. Jurist*innen erlernen in ihrer Ausbildung die Fähigkeit zu fachlich korrekten Formulierungen, die aber oft mit sich bringen, dass die Allgemeinverständlichkeit verloren geht. Die Rechtssprache schreckt so sehr ab, dass die wenigsten Bürger*innen sich trauen, das Labyrinth des Rechts ohne Beistand eines Anwalts zu betreten. Allerdings bereitet es nicht nur Durchschnittsbürger*innen, sondern auch Anwält*innen oft Schwierigkeiten, Rechtstexte auszulegen. Beim Verständnis von Rechtstexten spielt also nicht bloß reines Fachwissen eine Rolle: Wenn selbst Jurist*innen Schwierigkeiten in der Auslegung solcher Texte haben, liegt es nahe, dass manche Inhalte sprachlich besser vermittelt werden könnten und sollten. Sperrige und umständliche Formulierungen stehen im juristischen Alltag also auf der Tagesordnung und schaffen Verständnisbarrieren in der Rezeption von Rechtstexten. Dabei ist die Kritik an der geringen Verständlichkeit der Rechtssprache kein neues Phänomen. Schon der römische Redner und Politiker Cicero ließ in seinem Dialog De oratore den Redner und Anwalt Crassus sagen, dass die frühen römischen Rechtsgelehrten aus Machtgründen nicht daran interessiert gewesen wären, ihr Fach allgemeinverständlich und zugänglich aufzubereiten. Friedrich der Große kritisierte beispielsweise, dass die preußischen Gesetze für die Bevölkerung nicht verständlich seien, und erließ 1780 eine Verordnung, nach der Gesetze in allgemeinverständlicher Sprache verfasst sein müssten.

Dass Rechtstexte schwer verständlich sind, kann natürlich in vielen Fällen auf deren komplexe Inhalte zurückzuführen sein, vor allem da sich inhaltliche Komplexität auch bis zu einem gewissen Grad in sprachlich formeller Kompliziertheit widerspiegelt. Allerdings hängt vieles auch davon ab, wie das zur Verfügung stehende sprachliche Instrumentarium genutzt wird. „Wenn ein Text schwer zu verstehen ist, liegt das in nicht immer an seinem Inhalt“, meint Linda Prossliner. Der Inhalt solcher Texte ist in vielen Fällen zwar komplex, aber die komplizierte sprachlich-formelle Darstellung kann zumindest reduziert werden. Mangelnde Verständlichkeit beruht weniger auf dem Was, sondern auf dem Wie, nicht auf dem Inhalt, sondern auf der sprachlichen Form eines Textes – das ist die These, die Linda Prossliner in ihrer Dissertation vertritt. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass Rechtstexte nicht notwendigerweise auf der Inhaltsseite verändert werden müssen, um verständlicher zu werden. Vielmehr würde es genügen, die sprachliche Form solcher Texte umzugestalten, um für ihre Leser*innen an Verständlichkeit zu gewinnen.

Vom Problem zu einem Lösungsansatz

Die Linguistin versucht in ihrer Dissertation zunächst, diese Problematik zu veranschaulichen. In einem einführenden theoretischen und transdisziplinären Teil bereitet sie bereits vorhandene Erkenntnisse aus unterschiedlichen Forschungstraditionen im Bereich der Verständlichkeitsforschung auf und führt sie zusammen. Dabei thematisiert sie auch linguistische Hintergründe und Forschungsstränge wie etwa jene der Rhetorik, Stilistik, Textlinguistik, Fachsprachenforschung, diskutiert aber auch Lösungsansätze wie das Konzept der Plain Language, der Leichten Sprache und der Lesbarkeitsforschung genauer. Sie präsentiert die bekanntesten und wichtigsten Modelle zur Optimierung von Textverständlichkeit wie etwa das im deutschen Sprachraum gängige Hamburger Modell mit seinen Forschungsdefiziten.

Bei dem sogenannten Hamburger Modell handelt es sich um ein von drei Psychologen in den 1970er-Jahren entwickeltes Verfahren, in dem die Verständlichkeit von Texten anhand der vier Merkmale Einfachheit, Gliederung/Ordnung, Kürze/Prägnanz und zusätzliche Anregungen bewertet wird. Wenn Leser*innen einen Text nicht verstehen, liegt es weniger daran, dass die beschriebenen Sachverhalte zu komplex sind. Schuld ist vielmehr die Art der Formulierung. Das Modell ist demnach stark an Rezipient*innen orientiert. Jedes Merkmal der Verständlichkeit kann auf einer Skala von +2 bis −2 beurteilt werden. +2 bedeutet etwa: Der Text ist in hohem Maß durch das jeweilige Merkmal gekennzeichnet. Er ist zum Beispiel sehr einfach. −2 bedeutet das extreme Gegenteil, der Text ist sehr kompliziert. +1, 0 und −1 sind Zwischenstufen. Obwohl das Modell im deutschsprachigen Raum zu einem Standard geworden ist, wird es vor allem von Seiten der Linguistik und der Kognitionswissenschaften kritisiert: Dabei wird nicht so sehr die praktische Verwertbarkeit angezweifelt, sondern vor allem die mangelnde Verbindung zu theoretischem Wissen bemängelt. So wird beispielsweise das Vorwissen der Leser*innen nicht berücksichtigt, das Modell wird nicht theoretisch begründet, Erkenntnisse aus (Text-)Linguistik und Terminologieforschung werden nicht einbezogen, die Merkmale für Textverständlichkeit werden nicht genau definiert und das Modell liefert keine konkreten Handlungsanweisungen zur Verbesserung der Verständlichkeit der Texte.

Gerade aus dieser Kritik heraus ist es für Linda Prossliner unter Berücksichtigung kognitiver, kontextueller und situationeller Faktoren wichtig, vorab einige zentrale Begriffseingrenzungen zu präsentieren. Die begrifflichen Unterscheidungen von Komplexität und Kompliziertheit, Verständlichkeit als Texteigenschaft und Verstehen als psychischem Prozess, Über- und Unterforderung stellen die Grundlage dar, um ihren Entwurf eines verbesserten Rahmenmodells zur Textverständlichkeit zu entwickeln. Eine solche Differenzierung ist auch wichtig, um vielen Kritiker*innen des ‚Verständlich-Machens‘ entgegenzutreten, die mit dem Vorwurf der Simplifizierung argumentieren: Durch die sprachliche Vereinfachung würden komplexe Sachverhalte verkürzt, weshalb es für differenzierte Rechtsbelange ein sinnloses Unterfangen sei, die sprachliche Verständlichkeit verbessern zu wollen. Unterscheidet man aber klar zwischen inhaltlicher Komplexität und formaler Kompliziertheit, wird deutlich, dass es in den meisten Fällen primär um eine verbesserte sprachliche Darstellung ginge.

Aus einer angewandt-linguistischen Perspektive erstellt Linda Prossliner in ihrer Dissertation dann ein Modell zur Optimierung der Textverständlichkeit für Rechtstexte. Dabei handelt sich um ein hierarchisches und problemzentriertes Schema, das aus der Arbeit mit Rechtstexten induktiv entstand. Das Modell operiert auf allen Ebenen der Sprachwissenschaft. Es beginnt auf der Ebene der Syntax (Ebene 1), welche die wichtigste Stellschraube darstellt, um Verständlichkeit zu maximieren, zumal die bearbeiteten Texte fast ausnahmslos bereits auf der Satzebene Verbesserungspotential aufwiesen: Ein grundlegendes Charakteristikum der untersuchten Texte ist beispielsweise, dass die durchschnittliche Satzlänge aufgrund des Bedarfs an Informationsverdichtung oft über drei Zeilen hinausgeht. Bei Leser*innen führen solche Satzstrukturen auf kognitiver Ebene nicht nur zu einer Informationsüberflutung, sondern schränken auch das Verständnis des Inhalts stark ein. Hauptgrund dafür sind die oftmals großen Verbklammern, bei denen der finite Verbteil am Satzbeginn und der infinite Teil am Satzende steht und das sog. ‚Mittelfeld‘ eine Fülle an Informationen enthält, die Leser*innen aufnehmen und speichern müssen, bis sie zum Verb gelangen und verstehen, worum es überhaupt geht. Denn das Kurzzeitgedächtnis wird mit einer Menge an Informationen konfrontiert, die es kaum verarbeiten kann. Die Aufnahmekapazität des Kurzzeitgedächtnisses ist eingeschränkt, da nur etwa sieben Informationseinheiten aufgenommen und kurzfristig behalten werden. Wenn die Informationsmenge dieses Limit überschreitet, kommt es zu Filterungsprozessen im Gehirn. Die Folge davon: Wichtige Informationen können verloren gehen und das Textverständnis wird eingeschränkt.

Diese sprachliche Besonderheit in der Syntax von Rechtstexten und der vorgeschlagene Lösungsansatz lassen sich an folgenden Beispielen illustrieren:

AB
Beispiel 1
Originalfassung Das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht fasst durch die Richter des Landesgerichtes HR Dr. G. als Vorsitzenden sowie Mag. K. und Mag. Dr. H. in der Rechtssache der Klägerin Stadt Wien, Wiener Wohnen für den 14., 15. und 16. Bezirks, Opfermanngasse 1, 1160 Wien, vertreten durch Dr. S., Rechtsanwalt in 1040 Wien, wider den Beklagten W. K***** Wien, wegen Räumung infolge des Rekurses der Zustellkuratorin Dr. H. H***** Wien gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 4.2.2013, 16 C 631/12x-11, den Beschluss: Alternativfassung Das Landesgericht für ZRS Wien als Rekursgericht fasst einen Beschluss. Die Richter des Landesgerichtes sind: HR Dr. G. (Vorsitzender) Mag. K. Mag. Dr. H. Es handelt sich um einen Beschluss in der Rechtsache der Klägerin „Stadt Wien, Wiener Wohnen“ (ein Wiener Vermietungs­unternehmen) für den 14., 15. und 16. Bezirk, Opfermanngasse 1, 1160 Wien. Die Klägerin (Stadt Wien) wird vertreten durch Dr. S., Rechtsanwalt in 1040 Wien. Der Beschluss richtet sich gegen den Beklagten W. K***** Wien wegen Räumung. Daraufhin hat die für den Beklagten Wesley K***** eingesetzte Zustellkuratorin Dr. H. H***** Wien gegen den Beschluss des Bezirksgerichtes Hernals vom 4.2.2013 16 C 631/12x-11, Rekurs eingelegt. Das Landesgericht für ZRS fasst als Rekursgericht den Beschluss:
Auswertung 1 Satz, Verbteile weit voneinander entfernt (mehr als 70 Wörter zwischen 1. und 2. Verbteil) Auswertung 7 Sätze, Verbteile bleiben ungetrennt
Beispiel 2
Originalfassung Das Landesgericht Klagenfurt hat durch den VPräs Dr. L. als Vorsitzenden sowie die Richter Dr. P. und Dr. S. in der Strafsache gegen ***** wegen der Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB über die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 11.09.2007, 19 U 127/07 h-19, nach der am 14. Februar 2008 in Gegenwart des Staatsanwaltes Mag. L., des Vertreters des Privatbeteiligten *****, Dr. T., sowie des Angeklagten ***** und seiner Verteidigerin Mag. P. durchgeführten Berufungsverhandlung zu Recht erkannt: Alternativfassung Das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht entscheidet durch die Richter V. Präs Dr. L. (Vorsitzender) Dr. P. - Dr. S. über die folgende Berufung: Das Bezirksgericht Klagenfurt hat am 11.09.2007 gegen ***** nach § 88 Abs 1 StGB das Urteil der fahrlässigen Körperverletzung (19 U 127/07 h-19) ausgesprochen. Auf dieses Urteil hat der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. In der Berufungsverhandlung vom 14. Februar 2008, zu welcher der Staatsanwalt Mag. L., der Vertreter des Privatbeteiligten *****, Dr. T., sowie der Angeklagte ***** und seine Verteidigerin Mag. P. anwesend waren, hat das Landesgericht Klagenfurt als Berufungsgericht aber zu Recht erkannt:
Auswertung 1 Satz, Verbteile weit voneinander entfernt (mehr als 70 Wörter zwischen 1. und 2. Verbteil) Auswertung 7 Sätze, Verbteile nahe beieinander (7 Wörter zwischen 1. und 2. Verbteil)


Je länger ein Satz ist, desto größer ist die Gefahr, dass er unübersichtlich wird. Unklare Satzstrukturen sind meist intuitiv erkennbar. Man kann versuchen, die Inhalte neu zu gruppieren, indem man Zusammengehöriges herausfiltert und zusammensetzt oder vom restlichen Text trennt. Dabei hilft es, sich zu fragen, worum es in der zentralen Aussage des Satzes geht, wen der Sachverhalt betrifft und welche Einschränkungen, Ausnahmen oder Sonderregelungen es gibt. Dadurch wird eine Aufspaltung in mehrere Teilsätze oder Abschnitte möglich, die kurz, prägnant und übersichtlich sind, etwa eingeteilt in den Vorspann, den wesentlichen Inhalt, den Hauptteil, die Definition möglicher Betroffener, Einschränkungen und Ausnahmen, den Schluss und die Rahmenbedingungen. Da der Syntax die größte Bedeutung zukommt, um Rechtstexte verständlicher zu formulieren, untersucht Linda Prossliner die behandelten Texte auch korpuslinguistisch, um zu quantitativen Ergebnissen zu gelangen und etwa diverse Oberflächenmerkmale wie die Satzlänge, die Frequenz von Wortformen, die syntaktische Verschachtelungstiefe oder die Größe und Verteilung der Verbalklammern ermitteln zu können.

Das angewandt-linguistische Modell, das Linda Prossliner in ihrer Dissertation entwickelt, berücksichtigt zudem die Ebene der Morphologie (Ebene 2: Wortbildung) und schlägt beispielsweise vor, den unpersönlichen Nominalstil und das Passiv einzuschränken sowie Wortschlangen zu vermeiden. Was die Semantik (Ebene 3: Wortbedeutung) betrifft, plädiert der Ansatz dafür, veraltete Begriffe und Wendungen durch alltagsnähere und vertrautere Wörter zu ersetzen und Fachwörter vom restlichen Text abzuheben und zu kennzeichnen, gegebenenfalls auch in einer Fußnote zu erklären. Den vierten Bereich bildet die Textlinguistik und Pragmatik. Dabei geht es um Regeln der Argumentation, etwa jene, vom Allgemeinen zum Besonderen überzugehen und eine klare Abfolge zwischen alter und neuer Information einzuhalten. Der fünfte Bereich betrifft Regeln zur Gestaltung und Typographie, in dem unter anderem vorgeschlagen wird, Textblöcke etwa durch Überschriften und Unterüberschriften und Aufzählungen zu gliedern. Dieses Fünf-Ebenen-Modell der Maximierung der Textverständlichkeit soll sowohl für Berufspraktiker*innen als auch für Lai*innen anwendbar sein, die einen juristischen Text hinsichtlich seiner Verständlichkeit bewerten oder für sich selbst optimieren möchten. Den Abschluss der Dissertation bildet eine Fallstudie, in der Textproben aus bestehenden Rechtstexten und deren umformulierte Varianten gegenübergestellt und auf ihre Verständlichkeit hin getestet werden. Als Zielgruppe dieser Testphase dienen juristische Lai*innen (mit Maturaniveau). So soll ermittelt werden, ob die jeweiligen Umformulierungen tatsächlich Erfolg in Bezug auf eine bessere Verständlichkeit versprechen, um über diesen ‚Praxistest‘ das Modell mit qualitativen empirischen Ergebnisse zu unterfüttern.

Vom Lösungsansatz zur Anwendung

Das Projekt möchte als Vorbild für einen bewussten Umgang mit sprachlichen Mitteln dienen. Denn die Möglichkeiten von Sprache sind nahezu unerschöpflich und erlauben einen gezielten Einsatz, wie er für das Gelingen unterschiedlicher Aufgaben in verschiedenen alltäglichen Kontexten jeweils am gewinnbringendsten ist. Dieses Potential wird oft durch Formulierungsroutinen eingeschränkt, wenn sprachliche Konstrukte übernommen, aber nicht hinterfragt und bisweilen auch nicht richtig verstanden werden, anstatt auf dieses Potential zurückzugreifen und die zur Verfügung stehenden Mittel optimal auszuschöpfen. Die Dissertation will dabei helfen, eine solche ‚Language Awareness‘ zu wecken, um eine vertiefte Reflexion darüber zu entwickeln, wie Sprache entsteht, eingesetzt und ‚gemacht‘ wird. Nur durch ein solches Bewusstsein können Texte künftig verständlicher gestaltet und bestehende Texte analysiert und optimiert werden.

Dieser starke Anwendungsbezug steht allerdings nicht erst am Ende der Dissertation. Denn die Idee zu dem Promotionsprojekt entwickelte sich Ende 2016 aus einer Kollaboration mit dem österreichischen Bundesministerium für Justiz (nunmehr: Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, in weiterer Folge Ministerium), die bereits zu einem Arbeitstreffen im Ministerium führte und 2017 in einer Zusammenarbeit mündete. In dieser Kooperation zwischen Rechts- und Sprachwissenschaft formulierte Linda Prossliner zunächst bestehende Rechtstexte um, vor allem Formulare und Bescheide, bevor in einem zweiten Schritt die Expert*innen des Ministeriums die Effizienz dieser Textvarianten evaluierten. Aus dieser Kooperation ging ein Leitfaden für die verständlichere Gestaltung von Rechtstexten hervor, den Linda Prossliner im August 2017 an das Ministerium übermittelte und der in die Aus- und Fortbildung von Justizbediensteten, insbesondere von Richter*innen, Staatsanwält*innen, Richteramtsanwärter*innen, Rechtspfleger*innen und Bezirksanwält*innen einfließen soll. Nach der nun abgeschlossenen Kollaboration mit dem Justizministerium stellt nun auch das Oberlandesgericht Innsbruck Textmaterial zur Verfügung, das Linda Prossliner auf Basis ihres Modells umformulieren soll. Im Frühjahr 2019 wird dem Dissertationsprojekt zudem vor dem Oberlandesgericht eine Ausstellung gewidmet sein, um das Vorhaben und sein Anliegen einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.

(Linda Prossliner)


01-portrait-prossliner
Linda Prossliner ist Dissertantin am Institut für Sprachen und Literaturen (Bereich Sprachwissenschaft) der Universität Innsbruck. In Brixen (Südtirol) besuchte sie nach der Grund- und Mittelschule das Sprachengymnasium Jakob Philip Fallmerayer. Nach der Matura studierte sie ab 2011 an der Universität Innsbruck Sprachwissenschaft und schloss ihr Masterstudium im Frühjahr 2014 mit einer Arbeit zur neueren Forschung zur Sapir-Whorf-Hypothese ab. Ihre Masterarbeit mit dem Titel „Der Einfluss von Kausalketten auf die Vorstellung von Agentivität: Eine empirische Untersuchung in Anlehnung an die jüngere Forschung zur Sapir-Whorf-Hypothese am Beispiel der Medienberichterstattung zum Bankunternehmen Hypo-Alpe-Adria“, erschien 2017 in der Reihe Studia Interdisciplinaria Aenipontana im Präsens-Verlag.

Nach oben scrollen