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Bild: Hammerflügel von Johann Georg Gröber, Innsbruck, ca. 1830, Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Musiksammlung, Inv.-Nr. M/I 271, Foto: Tiroler Landesmuseen

Saitenblicke: Von der Bedeutung des kulturellen Transfers für die Entwicklung besaiteter Tasteninstrumente in Tirol

Für die Entwicklung und die Verbreitung von besaiteten Tasteninstrumenten (Cembalo, Clavichord, Hammerklavier) spielte insbesondere in Tirol vor dem frühen 19. Jahrhundert der kulturelle Transfer eine wichtige Rolle. In seiner Dissertation wählt Andreas Holzmann verschiedene methodische Perspektiven, um dieses vielschichtige Thema aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu untersuchen.

Neue Wege zur Erforschung besaiteter Tasteninstrumente

Die Geschichte der besaiteten Tasteninstrumente wurde bisher für den geografischen Raum Tirol in vorindustrieller Zeit kaum untersucht. Das liegt zum einen an der lückenhaften und über weite Strecken völlig fehlenden Quellensituation, zum anderen an den sehr wenigen erhaltenen Instrumenten aus der Zeit vor 1800, die uns Auskunft über die regionale Entwicklung geben könnten. Erschwerend kommt hinzu, dass die musikwissenschaftliche Forschung im 20. Jahrhundert für die Kategorisierung dieser Instrumente mit Schubladen hantierte, die vor allem auf regionale Zuordnungen von Tasteninstrumenten abzielten. Instrumente aus dem historischen Tirol, einer Region mit traditionell engen dynastischen, ökonomischen und politischen Verbindungen nach Süddeutschland, Norditalien und in den Osten der Habsburgermonarchie, lassen sich aber nur mit Mühe in diese starren Konstruktionen einpassen. In meiner Dissertation verfolge ich daher das Ziel, neue Wege zu finden, die Verbreitung und Verwendung von besaiteten Tasteninstrumenten in der Region zu untersuchen, ohne vorgefertigte Kategorien zu bedienen.

Die Fragen, die sich aus der Untersuchung des Forschungsgegenstands ergeben und die zumindest teilweise im Zuge der Dissertation beantwortet werden sollen, beziehen sich auf Protagonistinnen und Protagonisten: Wer spielte diese Instrumente? Wer kaufte sie? In welchem sozialen Kontext kamen die Instrumente zum Einsatz? – ebenso wie auf die Objekte selbst: Woher kamen die Instrumente oder ihre Technologie? Welche Baueigenschaften lassen sich auch anderswo feststellen? Wie wurden technologische und ästhetische Neuerungen im regionalen Instrumentenbau rezipiert?

Um dem Vorsatz gerecht zu werden, nicht auf bestehende Konstruktionen zurückzufallen, versuche ich in der Dissertation, die zeitliche und geografische Brennweite mehrfach zu wechseln. Dies geschieht, indem ich über den Verlauf der Arbeit mehrere Perspektiven einnehme, die – ähnlich wie unterschiedliche Beleuchtungen bei der Untersuchung eines komplexen dreidimensionalen Gegenstands – verschiedene Aspekte zu Tage fördern sollen. Im Zentrum stehen ein regionaler und ein thematischer Fokus: Ich verstehe die Region des historischen Tirol als Ansammlung von kulturellen Knotenpunkten, die aus Institutionen und Personen gleichermaßen bestehen können. Der thematische Fokus liegt auf der Gattung der historischen besaiteten Tasteninstrumente, also der Cembali, Clavichorde und Hammerklaviere und ihrer Verwandten.

Austausch mit anderen Regionen

Zunächst werden diese Fragen innerhalb eines größeren zeitlichen Rahmens untersucht: Die Situation der besaiteten Tasteninstrumente am Innsbrucker Hof im 17. Jahrhundert erweist sich hierbei als wertvoller Untersuchungsgegenstand, da die Landesfürsten bis zum Tod des Erzherzogs Ferdinand Karl im Jahr 1662 außerordentlich großen Wert auf die prachtvolle Musikentfaltung am Innsbrucker Hof legten. Die engen familiären Verbindungen zu den Medici in Florenz begünstigten einen starken kulturellen Austausch nach Italien: In Innsbruck wurde eigens für die Aufführung der hochmodernen italienischen Oper ein Opernhaus nach italienischen Vorbildern gebaut, führende Musiker und Komponisten wurden aus Italien angeworben und gut bezahlt, und es wurden – man könnte fast sagen: selbstverständlich – italienische Tasteninstrumente importiert. Durch die Vorbildwirkung des Hofes und den Kontakt der regionalen Orgel- und Cembalobauer mit diesen Instrumenten liegt die Rezeption und Imitation von gewissen Baueigenschaften auch im Tiroler Cembalobau nahe. Leider sind sehr wenige Instrumente aus Tirol aus dieser Zeit erhalten geblieben, sodass die Bestätigung dieser Hypothese nur anhand von dokumentarischen Quellen erfolgen kann. Um hier einen Überblick zu bekommen, war es höchste Zeit Belege für besaitete Tasteninstrumente aus dem 17. und 18. Jahrhundert zusammenzutragen. In einem weiteren Schritt versuche ich, Spuren zum Leben des Kufsteiner Klavier- und Orgelbauers Sebastian Lengerer (1764–1809) zu finden. Sein Werdegang ist ein Beispiel für das häufige Phänomen im ausgehenden 18. Jahrhundert, dass Instrumentenbauer aus dem süddeutschen Raum nach Wien auswanderten und den Wiener Klavierbau bedeutend beeinflussten.

Eine Tiroler Adelsfamilie als Fallbeispiel

Um die Brennweite der Untersuchung zu ändern, verwende ich die aus den Geschichtswissenschaften entlehnte Methode der Mikrogeschichte. So kann ich eine kleine zeitliche Periode und ein eng umrissenes Themenfeld möglichst hochauflösend untersuchen. Im Zentrum dieser Detailstudie steht die für Tirol bedeutende Grafenfamilie Tannenberg, die insbesondere im ausgehenden 18. und frühen 19. Jahrhundert ein florierendes musikalisches Leben entwickelte. Den Zeitraum grenze ich auf etwa zweieinhalb Jahrzehnte zwischen 1775 und 1800 ein. Der stark quellenbasierte Ansatz wird durch die Erschließung eines bisher unberücksichtigten Privatarchivs ermöglicht. Dieses beherbergt umfangreiche Informationen zu zahlreichen Aspekten des Lebens der Grafen von Tannenberg. So zeigt sich, dass eine der Pionierinnen des Klavierspiels in Tirol die hochbegabte, blinde Gräfin Josepha von Tannenberg (1770–1854) war. Ihr Vater, Graf Ignaz Josef Johann von Tannenberg (1743–1810), ließ bereits 1780 einen Hammerflügel vom berühmten Augsburger Klavier- und Orgelmacher Johann Andreas Stein (1728–1792) nach Tirol kommen. Zu diesem Zeitpunkt war das Hammerklavier in Tirol noch kaum bekannt; innerhalb weniger Jahrzehnte sollte es dann aber das Cembalo als gängigstes Tasteninstrument beinahe völlig verdrängen. Dank der Fülle an zusätzlichen Informationen, die ich auf einer mikroskopischen Ebene darstellen kann, wird der Kauf dieses besonderen Instruments nicht als singuläres Ereignis dargestellt, sondern wir können ihn in das Umfeld eingebettet betrachten. So veranstaltete die Familie Tannenberg regelmäßig halböffentliche Konzerte, für die viele verschiedene Musiker engagiert wurden. Zudem leistete sich die Familie mit dem gebürtigen Wiener Johann Michael Malzat (1749–1787) einen fähigen Hauskomponisten, der regelmäßig neue Werke für geistliche und weltliche Anlässe schrieb. Neben den musikalischen Details lassen sich durch den mikrohistorischen Ansatz auch andere Bereiche in den Kontext bringen: Die Sammelleidenschaft und das große Interesse an Naturwissenschaften und Künsten des trotz seiner angeborenen fast vollständigen Blindheit – er vererbte den Grauen Star (Katarakt) an mehrere seiner Kinder – universell gebildeten Grafen Ignaz von Tannenberg spiegelte sich in einem Naturalien- und Raritäts-Kabinett sowie einer umfassenden Bibliothek wider; leider wurden diese Schätze beim Brand des Palais Tannenberg in Schwaz im Jahr 1809 ein Raub der Flammen. Ebenfalls können wir einen Einblick in die Reisen der Familienmitglieder bekommen, die stets durch genaue Abrechnungen dokumentiert sind. Nicht zuletzt lässt sich die gesundheitliche Versorgung der Familienmitglieder dank der guten Quellensituation sehr detailreich nachvollziehen. So reiste der berühmte Wiener Augenarzt Joseph von Barth (1745 oder 1746–1818) im Jahr 1787 durch Tirol und vollzog an mehreren Mitgliedern der Familie Tannenberg Star-Operationen, die mehr oder weniger erfolgreich verliefen und laut den Abrechnungsbüchern außerordentlich teuer waren.

Erkundung von Netzwerken

In einem erneuten Perspektivenwechsel bediene ich mich einer anderen Methode, nämlich des Ansatzes der Historischen Netzwerkanalyse. Hierbei wird der zeitliche Fokus auf die Wende zum 19. Jahrhundert gelegt. Für diese Herangehensweise werden die relationalen Verbindungen zwischen Protagonist_innen des frühen Hammerklaviers in Tirol und vor allem in Innsbruck in den Vordergrund gestellt. So können grafisch Relationen zwischen Personen dargestellt werden, die aufgrund der verschiedenartigen Quellensituation ansonsten kaum sichtbar wären, beispielsweise in der tabellarischen Gegenüberstellung von Lehrer_in–Schüler_in, Instrumentenbauer_in–Käufer_in etc. Um den Überblick zu behalten, werden die Personen um drei zentrale, besonders bedeutende Protagonisten gruppiert: um den für die frühe Verbreitung des Hammerklaviers in Tirol wichtigen Komponisten Johann Baptist Gänsbacher (1778–1844), um den in Innsbruck tätigen Orgel- und Klaviermacher Johann Georg Gröber (1775–1849) und um den Klavier- und Musikpädagogen Martin Goller (1764–1836). Am Beispiel Gänsbachers können wir die Rolle einzelner „Brückenpersonen“ für die Etablierung des zu diesem Zeitpunkt noch recht jungen Hammerklaviers in Tirol erkennen: Er war bestens mit adeligen Familien in Tirol, Wien und anderen Orten der Habsburgermonarchie vernetzt, wirkte als Musiklehrer ebenso wie als Komponist. Seine internationalen Verbindungen kamen auch der regionalen Entwicklung der Musikausübung und -ausbildung in Tirol zugute. Die Netzwerk-Darstellung zeigt, wie einzelne Individuen die Verbreitung des Hammerklaviers durch ihre Kontakte innerhalb und außerhalb Tirols begünstigten. Zugleich können wir so Rückschlüsse auf die Bedeutung von politischen Entwicklungen, Migration und überregionalen Kommunikationswegen ziehen. Durch die verschiedenen Perspektiven auf das Thema der besaiteten Tasteninstrumente in Tirol werden viele der eingangs gestellten Fragen beantwortet, gleichzeitig eröffnen sich aber zahlreiche neue Fragen. Zwar ist das Ergebnis keine homogene Darstellung, die nahtlos in bestehende Kategorien passt, vielleicht spiegelt genau das aber die Vielschichtigkeit des Themas wider. Das Resultat ist eine an Ansatzpunkten für zukünftige, weiterführende Studien reiche Grundlagenarbeit, die sich auch als Ideengeberin für neue methodische Herangehensweisen in anderen Bereichen der musikwissenschaftlichen Arbeit versteht.

(Andreas Holzmann)

 


Andreas Holzmann wurde in Hall in Tirol geboren. Diplomstudien der Musikwissenschaft und Translationswissenschaft (Englisch, Französisch) in Innsbruck mit einem Studienaufenthalt in Tours/ Frankreich. Diplomarbeiten im Bereich des Cembalobaus. Seit 2013 als wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Musiksammlung der Tiroler Landesmuseen mit der Betreuung, Katalogisierung und wissenschaftlichen Erforschung des Instrumenten- und Notenarchivs sowie der Mitarbeit bei Konzert- und CD-Produktionen der Reihe musikmuseum befasst. Freiberufliche Beschäftigung mit dem Stimmen von Cembali, Orgeln und Hammerklavieren. 2021 Promotion am Institut für Musikwissenschaft der Universität Innsbruck.

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