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Pressestatements zu den Maßnahmen gegen die Covid-19-Krise; Foto von M2k~dewiki, CC BY 2.0, modifiziert.

Echt authentisch…!? – Konzeptualisierungen und Zeichenregister von Authentizität in (visueller) politischer Kommunikation

Welche Konzeptualisierungen und Zeichenregister von Authentizität finden sich in visueller Wahlkampfkommunikation auf Social Media und im Feld politischer Öffentlichkeitsarbeit? Und wie wird diese visuelle politische Kommunikation in „alltäglicher“ Rezeption wahrgenommen und bewertet? Diese Fragen untersucht das Projekt mit einem interdisziplinären und multiperspektivischen Design.

Authentizität als virulente soziale Kategorie in spätmodernen Mediengesellschaften

Ob Influencer, Joko und Klaas, Yogakurse, Pizza, Tirolerisch oder Markenkleidung: Authentisch zu sein – oder von gewissen Menschen so wahrgenommen und beurteilt zu werden – gilt heutzutage in vielfältiger Weise als ein wichtiges Gut: In einer von (digitalen) Medien und Marketingpraktiken durchzogenen Alltags- und Lebenswelt gilt es sowohl als Asset von Produkten als auch als Anforderung an eine gelingende Selbst-Gestaltung, einzigartig, erlebensorientiert und echt zu sein.

Was genau das Authentische ausmacht, wie es konzeptualisiert wird und welche zeichenhaften Elemente als Ausdruck von Authentizität gelten, ist entlang historischer Phasen und in spezifischen soziokulturellen Kontexten oft sehr unterschiedlich: Während für Trump-Fans das derbe Herumpöbeln und das Zeigen von Facetten des „echten Amerikaners“ ein Ausdruck des Authentischen sind, gelten in anderen Kontexten Camp und Cross-Dressing als dessen Inbegriff.

Zugleich ist das Authentische heutzutage durch diverse Aspekte der Digitalität besonders herausgefordert und auch bedroht: Ob es sich bei lancierten Nachrichten auf Social Media, bei digitalen Videos oder Fotos um Fake oder Authentisches handelt, kann in alltäglicher Mediennutzung oft nur schwer eruiert werden. Dennoch – oder gerade deswegen – gelten Glaubwürdigkeit und Authentizitätszuschreibungen als ein zentrales Kapital für soziale Akteure, nicht zuletzt in der Politik.

Gegenwärtige politische Kommunikation als personenzentriert und (audio-)visuell

Politische Kommunikation ist in heutigen digitalen Mediengesellschaften durch eine starke Salienz und Relevanz von visueller Kommunikation ausgezeichnet: Dabei geht eine personalisierende Zuspitzung auf Politiker*innen Hand in Hand mit der Dominanz von (audio-)visuellen Medienformaten – in den strategischen Kommunikaten von politischem Marketing genauso wie in der journalistischen Politikberichterstattung: Wir sehen Politiker*innen in TV-Talkshows, auf Plakaten, auf Instagram-Fotos, auf Pressefotografien und an vielen anderen Orten.

Dabei ranken sich seit dem ersten TV-Duell der Geschichte, dem Duell zwischen Richard Nixon und John F. Kennedy auf CBS im September 1960, diverse Legenden um die Wirkung und die Effekte von visuellen Elementen politischer Kommunikation auf die Wahrnehmung – und vor allem auch auf das Wahl- und Zustimmungsverhalten – von Bürger*innen. Empirische Untersuchungen, welche die Rezeption und Aneignung visueller politischer Kommunikation in „alltäglichen“ Settings systematisch (mit) ins Zentrum stellen, bilden nach wie vor ein Forschungsdesiderat.

Ein multiperspektivisches Projektdesign

Als Konsequenz aus den genannten Aspekten werden in diesem Forschungsprojekt unterschiedliche Datenebenen und unterschiedliche methodische Auswertungsperspektiven miteinander in Bezug gesetzt: Kombiniert werden dabei Diskursanalysen von Kontextmaterial aus dem professionellen Bereich politischer PR mit der (teils auch quantitativen) Analyse eines Korpus von Politiker-Fotos aus den Social-Media-Kampagnen (Facebook, Instagram) der damals chancenreichsten Spitzenkandidat*innen des österreichischen Nationalratswahlkampfes 2017. Die dritte Datenebene bildet die Analyse von Fokusgruppen-Diskussionen unterschiedlicher soziopolitischer Milieus, deren Aufgabe es war, über ein Set an ausgewählten Bildern aus dem Fotokorpus zu sprechen.

Die Authentizität liegt im Medium: Medienformate und Medienideologien

Authentizität wird in unterschiedlichen soziohistorischen Phasen nicht nur unterschiedlich konzeptualisiert. Die entsprechenden Diskurse, Zeichenregister und Evaluierungskriterien sind auch stets mit den spezifischen Ausgestaltungen von (medialer) Öffentlichkeit verwoben. So wandelt sich im soziohistorischen Verlauf, welchen Medienformaten gemeinhin besondere Aspekte des Authentischen zugeschrieben werden: Waren ab Ende des 19. Jahrhunderts die neuen Techniken der (Atelier-)Fotografie immer auch ein zentrales Medium für die kulturelle Verfertigung authentischer, „echter Volkstypen“ (wie etwa die berühmten „Wiener Typen“ von Otto Schmidt), so kamen soziale Zuschreibungen der Unmittelbarkeit, Intimität und Direktheit in den (frühen) „Fernsehgesellschaften“ ab den 1960er Jahren vorrangig dem Fernsehen zu.

Heute im digitalen Zeitalter gelten vielen Mediennutzern Social Media als Sphäre naher, direkter und unmittelbarer Kommunikation – während klassische Massenmedien wie Presse und Fernsehen in den Verruf von Behäbigkeit oder wirklichkeitsverzerrender Inszeniertheit geraten sind. Nicht zuletzt im Diskurs von rechts-/populistischen Akteuren werden unter dem Kampfbegriff der „Lügenpresse“ klassische massenmediale Institutionen, und vorrangig kritische Medienakteure, diffamiert, während die eigenen Social-Media-Kanäle als Medien unmittelbarer und wahrhaftiger Kommunikation gepriesen werden. Diese beiden letztgenannten medienideologischen Diskurse zu Social Media und klassischen Massenmedien finden sich auch markant im analysierten Material aus dem Bereich professioneller Politik-PR.

Authentizität, Dilettantismus und soziale Klasse

Teilergebnisse zu den Fokusgruppen-Diskussionen verweisen unter anderem auf die Verwobenheit von Authentizitätsurteilen, visuellem Stil und der Dimension sozialer Klasse: Studien zu Formaten des Trash- und „Unterschicht-Fernsehens“ haben herausgearbeitet, wie Verstöße gegen einen ausbalancierten professionellen visuellen Stil als Ausdruck von Dilettantismus und somit als Verweis auf Authentizität gelten können (z. B. im übertriebenen und also dilettantischen Einsatz von künstlich-inszenatorischen Mitteln in Volksmusik-Shows, die von Fans in ihrem hyperartifiziellen Arrangement als authentisch empfunden werden). Demgegenüber werden derartige klare Verstöße (etwa bezüglich Komposition, Bildwinkel, Bildlinien) von Rezipient*innen in den Fokusgruppen, die sich als „Kenner*innen von guter Fotografie“ positionieren, nicht als authentisch, sondern als schlicht inkompetent und hässlich beurteilt. Ein spannender Nebenaspekt hierbei ist, dass auch Akteure, die sich in einem links-intellektuellen Spektrum positionieren, in diesen Kontexten Versatzstücke von konservativ-naturalistischen Ästhetikdiskursen reproduzieren (z. B. der Topos, dass Hässlichkeit nicht eine soziale Evaluierung ist, sondern eine gewissermaßen natürliche Beurteilung durch den visuellen Wahrnehmungsapparat des Menschen).

(K)ein Blick in die Kamera: Nähe, Distanz und der fiktionalisierte Blick

Eines der prägnantesten Teilergebnisse in der Analyse des Korpus von Politiker*innen-Fotos betrifft eine spezifische interpersonale Dimension visueller Kommunikation: Die Frage, ob eine abgebildete Partizipant*in direkt in die Kamera blickt oder nicht. Dabei wird der direkte Blick in die Kamera in der visuellen Kommunikationsforschung zumeist als eine Form des interpersonalen Kontaktangebots an die Bildbetrachterin verstanden. In ihrem Klassiker zu politischer Selbstdarstellung zitieren Lothar Laux und Astrid Schütz eine US-amerikanische medienpsychologische Studie aus den 1980er Jahren, der zufolge Fernsehzuschauer*innen den direkten Blick in die Kamera als authentischer beurteilten als das Ausbleiben von direktem Blickkontakt. Und bereits zum TV-Duell Nixon-Kennedy 1960 gibt es die legendäre Geschichte, dass ein Mitgrund für den späteren Wahltriumph Kennedys darin lag, dass er in diesem Duell öfters die Zuschauer*innen mit Blick in die Kamera direkt ansprach.

Ganz im Gegensatz dazu überwiegt im gesamten Fotokorpus der Anteil mit Bildern ohne direkten Blick in die Kamera, am stärksten im Korpus von Sebastian Kurz (ca. 95%). Dieser Aspekt ist besonders spannend, denn Kampagnen-Manager Philipp Maderthaner gab für diesen Wahlkampf „Authentizität als Dogma“ aus. Zumindest in einem bestimmten Bereich politischer PR hat sich die soziale Evaluierung der Dimension des Blickkontaktes im medienhistorischen Verlauf offensichtlich diametral gewandelt. Greift man auf filmwissenschaftliche Arbeiten zum Kamerablick des klassischen fiktionalen Kinos zurück, so lässt sich diese Dominanz des ausbleibenden Blickkontakts als eine Form der Fiktionalisierung verstehen: Gezeigt wird hier – oftmals aus der Position eines „unbemerkten Beobachters“ – eine Figur innerhalb von Szenen. Es ergibt sich in diesem Foto-Set aus dem Social-Media-Wahlkampf von Sebastian Kurz demnach eine sehr widersprüchliche Amalgamierung von „Nähe“ und „Distanz“: Authentisch, greifbar und ganz nahe – wie es die diskursive Rahmung von Kampagnen-Manager Maderthaner verheißt –, wird uns Sebastian Kurz hier gewissermaßen erst und nur in einem immer auf Distanz verbleibenden und fiktionalisiert-voyeuristischen (Kino-)Blick.

Selbstbestimmtes Sich-Zeigen(-Können) im analogen Raum des Öffentlichen als eine Essenz der Demokratie

Konzeptionen von Authentisch-Sein stehen auch in einer engen Verbindung mit bestimmten politischen Herrschaftskonzepten. So liegt es im Sinne – und in der gut beobachtbaren Anstrengung – von (rechts-)populistischen Leadern, immer auch als authentische Verkörperung von „Volkswillen“ und „Volkstypen“ zu erscheinen. Aber auch pluralistische Vorstellungen von Demokratie heben auf einen bestimmten Begriff von Authentisch-Sein ab: Das Immer-anders-Sein des Einzelnen gegenüber allen anderen, das oft nicht „gelesen“ werden, sondern sich in seiner Eigenart erst in Beziehung und Begegnung mit anderen mitteilen und verständlich machen kann, bildet dabei den untilgbar pluralistischen Boden der modernen Demokratie. Wie essentiell die Möglichkeiten eines selbstbestimmten und vielfältigen (leiblich-verorteten) Sich-Zeigens und Sich-Begegnens im anlogen Raum der Öffentlichkeit für die Demokratie sind – ein Aspekt, den zuletzt Judith Butler in ihrer politischen Theorie der Versammlung betont hat –, unter anderem dies führt uns auch die gegenwärtige Corona-Krise spürbar vor Augen.

(Lisa Blasch)


Lisa Blasch, Studium der Allgemeinen und Angewandten Sprachwissenschaft (Schwerpunktfach Diskursanalyse), Universität Wien; bis Februar 2020 Universitätsassistentin am Institut für Germanistik, Universität Innsbruck; seit März 2020 Doktoratsstipendium des Vizerektorats für Forschung der Universität Innsbruck. Ihr Buch „Politiker*innen als Figuren in der digitalen Mediengesellschaft“ erschien 2020 im Verlag Peter Lang. Ihre Dissertation „Authentizität als ‚soziales Zeichen‘ in politischer Kommunikation: Zur (visuellen) Indexikalität und Metapragmatik einer sozialen Kategorie im politischen Feld“ wird von Prof. Jürgen Spitzmüller (Universität Wien), Prof. Silke Meyer und Prof. Thomas Schröder betreut.

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