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Krieg gegen den Irak - Warum?
(Welche längerfristige Strategie könnte hinter der amerikanischen Kriegsrhetorik stehen?)

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2002-10-14

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die Kriegsrhetorik und Kriegspropaganda der amerikanischen Regierung stellt das christliche Gewissen vor eine Herausforderung. Da wir es aber mit einem komplexen Vorgang zu tun haben, ist es nötig, sich zunächst ein Urteil zu bilden, welche längerfristige Strategie und Zielsetzung hinter dieser Rhetorik stehen könnte. Da sie schon längere Zeit andauert und ihr - trotz namhafter kritischer Stimmen - auch der Senat und das Repräsentantenhaus mit großer Mehrheit zustimmen, kann sie nicht aus einer augenblicklichen Stimmungslage erklärt werden. Hinter ihr muss eine Strategie stehen, die viele verantwortliche und erfahrene Politiker sachlich überzeugt und die sie mittragen.

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Zunächst ist auffallend, dass die USA als Reaktion auf die Terrorattentate des 11. September 2001 nicht Strafaktionen, sondern einen 'Krieg gegen den Terror' angekündigt und diese Redeweise seither beibehalten haben. Im Krieg geht es - im Unterschied zu Strafaktionen - um einen längeren Konflikt, bei dem man mit Gegenschlägen des Feindes rechnet und der deshalb bewusst eigene Opfer einschließt. Der Krieg gegen den Terror führte zunächst zum Krieg gegen das Taliban Regime in Afghanistan, wobei die Erfahrung gemacht wurde, dass dank des neuen Feindes eine weltweite politische Allianz geschmiedet werden konnte und eine Stationierung amerikanischer Soldaten in asiatischen Staaten, wo große Ölvorkommen liegen, möglich wurde. Der erste Akt im Krieg gegen den Terror war folglich aus amerikanischer Sicht erfolgreich, und er hatte etwas gebracht, was ohne den 11. September kaum zu realisieren gewesen wäre. Nun soll dieser Krieg gegen den Irak weitergeführt werden. Dabei fällt auf, dass die Zielsetzung ausgeweitet und weitere Motive einbezogen werden. Einerseits sind 'Schurkenstaaten' daran zu hindern, moderne Massenvernichtungswaffen zu entwickeln, und anderseits sollen gute und demokratische Staaten gefördert werden, wodurch auch Staaten wie Saudiarabien, die islamistische Bewegungen unterstützen, indirekt gedroht wird. In den arabischen Staaten wird deshalb der angedrohte Krieg gegen den Irak - trotz der Abneigung gegen Saddam Hussein - als Krieg gegen die ganze islamische Welt empfunden. Da diese Reaktionen der amerikanischen Regierung bekannt sind und sie trotzdem bewusst von der Ausbreitung der Demokratie als Kriegsziel spricht, scheint ihre Strategie darauf zu zielen, Staaten zu destabilisieren, die ein anderes Verständnis von öffentlicher Ordnung haben und dem Westen unfreundlich gesinnt sind. Dies trifft in erster Linie auf muslimische Staaten zu, weil einerseits der Islam ein ganz anderes Verhältnis von Religion und öffentlicher Ordnung kennt als der Westen seit der Aufklärung und der amerikanischen und französischen Revolution und weil anderseits in den muslimischen Staaten die größten Ölvorräte der Welt liegen, auf die der Westen angewiesen ist.

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Der Krieg gegen den Terror hat auch die Zusammenarbeit zwischen den USA und Israel, die schon lange die Weltpolitik prägte, weiter verstärkt. Israel wurde schon vor dem 11. September durch Terrorattentate getroffen, und diese haben seither noch mehr Opfer gefordert. Die politisch Verantwortlichen in Jerusalem ließen sich aber nicht davon beeindrucken. Sie entschieden sich für eine Politik der 'Stärke', reagierten auf jedes Attentat mit Vergeltungsschlägen, wobei sie gleichzeitig neue Fakten setzen und ihren Aktionsradius jeweils erweiterten. Sie sind überzeugt, bereits entscheidende Erfolge erzielt zu haben und den Krieg gegen den Terror gewinnen zu können. Die Gegner des Osloer Friedensprozesses sehen so im Kampf gegen die Selbstmordattentate bereits ein Mittel, das ihnen unverhofft zufiel, diese Abkommen endgültig zu torpedieren und zu begraben. Die Attentate haben ja dazu geführt, dass eine Mehrheit in Israel ein hartes Vorgehen unterstützt und der Friedensprozess ohne allzu große internationale Kritik durch eine Politik der harten Fakten ersetzt werden kann. Diese Strategie zielt darauf, den Palästinensern eine politische Zukunft zu verunmöglichen und ihre Gebiete schrittweise in kleine Einheiten aufzusplittern, die leicht beherrscht werden können. Damit diese Politik aber auch längerfristig aufgeht, muss gleichzeitig verhindert werden, dass arabische Staaten, die Israel feindlich sind, sich Massenvernichtungswaffen beschaffen und dass die Einheit der islamischen Welt weiter geschwächt wird. Diese letzteren Anliegen dürften sich nahtlos mit den amerikanischen Anliegen im Krieg gegen den Irak treffen.

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Die Terrorattentate haben die USA und Israel schmerzlich getroffen. Beide Staaten machen aber übereinstimmend die Erfahrung, dass dieser Terror und der Kampf gegen ihn auch unverhoffte Vorteile bringt. Von dieser Erfahrung ist es nur ein kleiner Schritt, weitere Attentate und die Vorteile, die daraus gezogen werden können, für eine kommende Politik bewusst einzuplanen. Diese Annahme ist um so naheliegender, als namhafte Kräfte in den USA ganz bewusst dafür plädieren, dass Führerschaft ein 'heidnisches' Ethos verlangt (vgl. R. Kaplan, Warrior Politics. Why Leadership Demands a Pagan Ethos [2002]), das sich nicht durch die christliche Sorge um Opfer 'schwächen' lässt.

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Da die USA und Israel sich durch Kräfte aus der islamischen Welt herausgefordert sehen und da die islamische Einheit von Religion und Öffentlichkeit nicht zum westlichen Verständnis der Trennung von Staat und organisierter Religion passt, ist es naheliegend, dass ein Konflikt, der bisher de facto abgelaufen ist, bewusst zu einer Strategie für die Zukunft erhoben wird. Die längerfristige Strategie hinter der amerikanischen Kriegsrhetorik dürfte folglich darin bestehen, islamische Staaten, die dem Westen ablehnend oder gar feindlich gegenüberstehen, systematisch zu destabilisieren, um sie durch Regime zu ersetzen, die sich dem Westen annähern und ihm freundlich gesinnt sind.

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Da die politisch Verantwortlichen aber wissen, dass die westliche Öffentlichkeit keinen allgemeinen Krieg gegen islamische Staaten mitträgt, dürfte die Strategie darin bestehen, zunächst einen einzelnen Feind auszumachen, um diesen in die Knie zu zwingen. Dabei wird es zu Terrorreaktionen kommen. Gerade diese können die westliche Öffentlichkeit aber emotionalisieren und zu je neuen Angriffen gegen weitere islamische Regime mobilisieren. Diese Strategie wäre längerfristig angelegt und würde Opfer kosten. Sie könnte aber - trotz Risiken - dem Westen entscheidende Vorteile bringen: 1) es ließe sich verhindern, dass feindliche Staaten sich Massenvernichtungswaffen beschaffen; 2) die Herrschaft über die Gebiete mit Erdölvorräten würde gesichert; 3) das westliche Staatsverständnis würde sich in neuen Ländern durchsetzen, wodurch auch die westliche Herrschaft stabilisiert würde.

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Bevor eine ethische und christliche Antwort auf diese mögliche Strategie entworfen wird, ist zunächst zu diskutieren, ob das entworfene Szenario wahrscheinlich ist und der politischen Wirklichkeit entspricht. Eines dürfte allerdings schon jetzt klar sein, normative Überlegungen allein genügen heute kaum mehr. Es bedarf vielmehr eines 'dramatischen' Modells, gemäß dem nicht bloß ein Ziel verfolgt, sondern auch Reaktionen auf das eigene Handeln einkalkuliert werden und die Frage gestellt wird, wie man auf die Reaktionen selber wieder antworten will.

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