Kapitel 3 | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Darlehen
und Kredit |
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A. Sachenrecht:
Besitz, Eigentum, Innehabung |
I. Die
Funktion des Besitzes | |
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Der Begriff des Besitzes erscheint zunächst
klar und unproblematisch. Man glaubt zu wissen, was gemeint ist.
Bei näherem Hinsehen bemerkt man jedoch, dass er Probleme birgt
und keineswegs so einfach zu verstehen und zu erklären ist, wie
dies zunächst scheint. Schon die einfache Frage, wozu er rechtlich
dient und worin der tiefere Sinn seiner Unterscheidung vom Eigentum
liegt, bereitet – nicht nur Anfängern – Schwierigkeiten. Die juristische
Bedeutung des Besitzes zeigt sich auch darin, dass ihn das ABGB
ausführlich regelt; §§ 309–352 ABGB sowie weitere Bestimmungen: etwa
§§ 372 ff ABGB. | Juristische
Bedeutung
des Besitzes |
Auch für den Besitz gilt:
seine rechtliche Ausformung deckt sich in manchem
Punkt nicht mit dem Rechtsgefühl des Volkes, das – wie ein Gschnitzerzitat
in der Folge deutlich macht – nicht zwischen Besitz und Eigentum
unterscheidet. Das erklärt sich auch daraus, dass unser heutiges
Verständnis des Besitzes, wie das vorangestellte Motto von Schey
/ Klang zeigt, eine Mischung aus römischem, germanischem und naturrechtlichem
Denken ist. – Gschnitzer, Sachenrecht 4 (1968): | Rechtsgefühl
des Volkes |
„Der
Laie sagt mit Vorliebe Besitz und meint Eigentum: Haus- und Grundbesitz,
sein Besitz, besitzende und besitzlose Volksklassen. – Der Jurist
unterscheidet: Besitz, die tatsächliche Macht, und Eigentum, die
rechtliche Herrschaft [über eine Sache]. Zwar entspricht es der
rechtlichen Ordnung und dem normalen Zustand, dass tatsächliche
Macht und rechtliche Herrschaft in einer Hand sind, der Besitzer
auch Eigentümer, der Eigentümer auch Besitzer ist. Doch kann beides
auseinanderfallen: der Dieb hat Besitz, nicht Eigentum; der Bestohlene
Eigentum, nicht Besitz.” | |
2. Besitz: Faktischer
Sockel des Sachenrechts | |
Der Besitz ist – bildlich gesprochen
– der faktische Sockel des Sachenrechts; aber wie wir sehen werden,
nicht nur des Sachenrechts. Er ist – wo immer er auftritt – Schnittstelle
zwischen der Welt der Fakten und der Welt des Rechts. Auf dem „tatsächlichen”
Fundament (der äußeren Erscheinung), das der Besitz darstellt, bauen
vor allem die dinglichen Sachenrechteauf, um ihre gesellschaftlich
so wichtige Zuordnungsaufgabe erfüllen zu können, die in der rechtlichen
Sachgüter- (zB Eigentum) und Interessenzuordnung(zB
Pfandrecht) liegt. Und das Recht duldet es nicht, darf es nicht
dulden, dass auch nur an der tatsächlichen Sach(güter)zuordnung
– die iVm der für den Besitz charakteristischen äußeren Erscheinung
einen ersten Vertrauensschutz begründet –eigenmächtig „gerüttelt”
wird. Die funktionale Aufgabe des Besitzes für die staatliche Friedensordnung
erscheint als zu wichtig, als dass eigenmächtige Eingriffe, die
leicht zu Gewalt führen, in diese Sphäre geduldet werden können.
Sach(güter)zuordnung und Friedenssicherung sind daher als Grundwerte
der Besitzregeln zu betrachten. | Welt der Fakten –
Welt des Rechts |
Die Beziehung zu einer Sache kann
– wie zu einer Person – eine bloß tatsächliche /
faktische oder eine rechtliche sein. Diese schlichte
Feststellung ist für unsere Unterscheidung von Besitz und Eigentum
aber von Bedeutung. – Der Besitz ist auf der faktischen Ebene angesiedelt,
das Eigentum auf der rechtlichen. | |
Andere Rechtsinstitute und
-bereiche knüpfen daher nicht zufällig am Besitz (als faktischem Sockel
des Rechts) an, zumal er als rechtlich eingekleidetes Faktum die
Vermutung des Rechts an einer Sache enthält: – so die Ersitzung
( → KAPITEL 13: Die
Ersitzung) und die Publizianische Klage des § 372
ABGB ( → KAPITEL 8: Schutzinstrumente ) an den rechtmäßigen Besitz. – Der Besitz
spielt aber neben dem Sachenrecht auch im Schuldrecht (zB dem Bereicherungsrecht → KAPITEL 5: Ungerechtfertigte
Bereicherung)
oder im Erbrecht eine bedeutende Rolle; denn hier ist die „Gefahr”
groß, dass sich bspw nach dem Tode des Erblassers vermeintlich Erbberechtigte
eigenmächtig in den Besitz des Erblassers (= Nachlass) setzen wollen.
Die Einweisung ins Erbe soll daher gerichtlich, also staatlich geschehen,
um Eigenmacht zu vermeiden und Streit möglichst zu verhindern. Hier
zeigt sich das Recht erneut als Friedensordnung. Dieser Gedanke
stammt aus dem antiken griechischen Privatrecht. In das Abhandlungs-
oder Verlassenschaftsverfahren ( → KAPITEL 17: Einweisung
in die Erbschaft ¿ Das Verlassenschaftsverfahren )
werden all jene Sachen und Rechte etc einbezogen, die im Todeszeitpunkt
des Erblassers (= Erbfall; § 536 ABGB) von ihm (iSd § 309 ABGB)
besessen wurden, wobei Mitbesitz genügt; zB an einem Sparbuch oder
Safe. | Besitz: Anknüpfungspunkt
für Rechte |
Sachgüter-
und InteressenzuordnungEs wurde ausgeführt, dass der Besitz – neben
seiner friedenssichernden Funktion –die grundsätzliche Aufgabe erfüllt,
für die rechtliche Sachgüter- und Interessenzuordnung zu sorgen.
– Diese Sachgüterzuordnung kann kurz auch so umschrieben
werden: Der Besitz stellt – freilich nur in einer ersten, faktischen
Annäherung – klar, wem, was „gehört” oder doch wem ein – wenn auch
nur obligatorisches – Recht zum Besitz (an einer Sache) zusteht. (Auch
das nur faktische Naheverhältnis zu einer Sache, lässt das Bestehen
eines Rechts vermuten. Der Rechtsverkehr achtet auf diese auch nur
äußerliche Zuordnung einer Sache, zumal dadurch ein Schutz des Vertrauens
auf die äußere Erscheinung geschaffen wird.) – Mit rechtlicher Interessenzuordnung ist
folgende (Besitz)Funktion angesprochen: | Sachgüter- und
Interessenzuordnung |
Der Kanon dinglicher Rechte umfasst
unterschiedliche und in ihrer Qualität und Wirkkraft verschieden
starke Rechte; häufig steht das dingliche Vollrecht Eigentum ( → KAPITEL 8: Das
Eigentum als dingliches Vollrecht) anderen
beschränkten dinglichen Rechten (zB einem Pfandrecht oder einer
Servitut) gegenüber. So ist es eine häufige Erscheinung, dass der
Eigentümer seine bewegliche oder unbewegliche Sache verpfändet.
Dann treffen zwei unterschiedlich ausgestaltete dingliche Rechte
– zB Eigentum und Pfandrecht – aufeinander. Aufgabe des Besitzes
ist es hier, die unterschiedlichen Interessensphären zweier dinglich
Berechtigter (an derselben Sache!) – schon im Bereich des Tatsächlichen
/ durch eine erkennbare faktische Zuordnung – voneinander abzugrenzen;
dies etwa dadurch, dass ein gültiges Entstehen des Pfandrechts an
beweglichen Sachen deren Übergabe oder Kennzeichnung voraussetzt;
Faustpfandprinzip. Durch (Besitz)Übergabe oder Verbücherung wird
die partiell andere rechtliche Interessenzuordnung an bestimmten
Sachen auch nach außen hin erkennbar gemacht; Publizität. Der Besitz
dient in hohem Maße dieser vor allem im Sachenrecht so wichtigen
Rechtsfunktion der Erkennbarkeit eines Rechts (schon nach außen
hin). – Der Besitz grenzt aber nicht nur die Interessensphären verschiedener
dinglich Berechtigter voneinander ab, sondern auch die zwischen
dinglich Berechtigten (zB Eigentümern) und bloß (!) obligatorisch
/ schuldrechtlich Berechtigten (zB Mieter, Pächter, Entlehner),
da diese zB zugleich Rechtsbesitzer sind. Der – wenn auch nur obligatorisch
vermittelte – Rechtsbesitz wird auch gegenüber dem Eigentümer geschützt. | Publizität und
Faustpfandprinzip |
 | Abbildung 3.1: Besitzfunktionen |
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3. Abgrenzung:
Besitz – Eigentum | |
Vgl die Umschreibung des Unterschieds bei Gschnitzer → Zum
Besitzbegriff.
– Die terminologische Unterscheidung von Besitz und Eigentum hat
also Bedeutung, mag auch das ABGB selbst nicht immer konsequent
sein; vgl etwa die Formulierungen der §§ 473 ff oder 858, 1. HalbS
ABGB. | |
4. Besitz:
Tatsache oder Recht? | |
Über die Frage,
ob der Besitz bloßes Faktum / Tatsache oder doch ein Recht ist,
wurde viel gestritten. Festzuhalten ist, dass der Besitz, auch wenn
er heute als Faktum angesehen wird, rechtlich „eingekleidet” ist
und zudem umfassend rechtlich geschützt wird. Der Streit entpuppt
sich als einer um Worte. | |
Zur Zeit der Entstehung des ABGB wurde der Besitz
aber zweifellos als Recht angesehen; § 308 ABGB zählt ihn zu den
dinglichen Sachenrechten. | |
5. Wer
ist besitzfähig – Kinder? | |
Kinder können zwar
bestehenden, also bereits erworbenen (!) Besitz (er)halten und sogar
„verteidigen” – zB ihr Spielzeug, erwerben können sie dagegen Besitz
nicht allein, sondern nur durch ihren gesetzlichen Vertreter, also
idR Vater und/oder Mutter. Der Besitzerwerb für
Kinder erfolgt nach § 310 ABGB: „nur durch ihren gesetzlichen Vertreter” → KAPITEL 4: Kinder:
0-7.
– In diesem (eingeschränkten) Sinne gilt: „Wer rechtsfähig ist,
ist [auch] besitzfähig, daher auch Kinder (§ 310 ABGB) und juristische
Personen (§ 337 ABGB)”, selbst wenn sie Besitz noch nicht ohne die
„Hilfe” anderer erlangen können; Ehrenzweig, Sachenrecht 2 59.
– Mündige Minderjährige können bereits Besitz erwerben; EvBl 2002/178:
Prekarium eines beschränkt Geschäftsfähigen. | |
Die Verhaltenswissenschaft (Ethologie) lehrt
uns, dass auch Tiere und vielleicht auch Pflanzen fremden Besitz
– sei es der von Menschen oder zB von anderen Tieren – „achten”
und auf eigenem Besitz „bestehen”; so der Hund, der seinen Knochen
oder die Katze, die ihren Futternapf verteidigt. | |
6. Warum schützt
das Gesetz den Besitz? | |
Das Gesetz schützt
den Besitz (vgl §§ 339 ff ABGB), weil er – wie erwähnt – das Sachenrecht
bei seiner wichtigen Sach(güter)zuordnung unterstützt und darüber
hinaus der Rechtsordnung bei ihrer zentralen Aufgabe als Friedensordnung
zu wirken, schon in deren faktischem Vorfeld dient. Er stellt die
Verbindung zwischen der „Welt des Rechts” (Sollensbereich) und der
„Welt der Fakten” (Seinsbereich) dar. – Inwiefern? Der Besitz macht
idR nach außen hin, also tatsächlich, eine auch rechtlich bedeutsame
Sach(güter)zuordnung deutlich, indem er einen Schutz des Vertrauens
auf die äußere Erscheinung schafft, nämlich: „Wem, gehört vermutlich,
was”; oder doch wenigstens: Wem steht an einer Sache ein, wenn auch
nur ein obligatorisches, Recht zu: Rechtsbesitz. – Wer eine Sache
besitzt, hat nämlich idR dazu auch ein Recht; daher die Regelung
des § 323 ABGB: „Der Besitzer einer Sache hat die rechtliche Vermutung
eines gültigen Titels [zB eines Miet- oder Leihvertrags] für sich”. | |
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7. Missbilligung
von Selbsthilfe und Eigenmacht | |
Die Achtung der bestehenden – wenn auch bloß
faktischen – Sachgüterzuordnung erscheint dem Gesetz auch insofern
wichtig und daher schützenswert, weil dadurch eigenmächtiger Selbsthilfe entgegengetreten
wird; sog Selbsthilfeverbot: § 19 ABGB. Unordnung
und Unfrieden entstehen nämlich leicht schon dadurch, dass an der
faktischen Sach(güter)zuordnung gerüttelt wird. Die weitgehende
Unterbindung von Selbsthilfe / Eigenmacht liegt daher im Interesse
der Rechtsgemeinschaft! Das Gesetz schützt nämlich den Besitzer
nicht nur gegen (nicht berechtigte) dritte Personen, die ebenso
wenig wie er Eigentümer der Sache sind, sondern auch gegen den Eigentümer, wenn
dieser den Besitz (an „seiner” Sache) eigenmächtig stört; so kann
sich der Vermieter des Fahrrads dieses nicht einfach zurückholen,
wenn er es selber braucht. Das Gesetz zwingt auch den Eigentümer
dazu, wenn nötig den Rechtsweg zu beschreiten (Klage), obwohl ihm
an der Sache ein dingliches Recht, nämlich Eigentum zusteht; vgl
§ 324 ABGB: | |
„In solchen Fällen muss der behauptende
Gegner vor dem ordentlichen Richter klagen, und sein vermeintliches stärkeres
Recht dartun. Im Zweifel gebührt [aber] dem Besitzer der Vorzug.” | |
Der Grund des rechtlichen
Schutzes des Faktums Besitz liegt also auch in der Missbilligung
von Eigenmacht, im Zurückdrängen verbotener Selbsthilfe durch die
Rechtsordnung, die es nicht duldet, dass auch nur in die faktische
Sachgüter(zu)ordnung „selbstherrlich” (auch aus einem stärkeren
Recht heraus) eingegriffen wird; § 19 ABGB lesen! | Missbilligung
von
Eigenmacht |
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Selbsthilfe
bedeutet hier: Notwehr(recht); vgl WGGB I 2 § 40: „ ... Selbsthilfe,
das ist die im Naturrecht gegründete Notwehre ...” Und ebendort
heißt es in § 36 anschaulich: „Eigenmächtige Gewalt verträgt sich
nicht mit der öffentlichen Sicherheit.” – Die §§ 36 und 40 (I 2)
WGGB waren die Vorläuferbestimmungen des § 19 ABGB. | |
Nach
dem frühen römischen Recht bestand noch ein erweitertes Recht zur
Selbsthilfe (Stein, Römisches Recht und Europa 17, 1996), was zeigt,
dass der Staat mit wachsender eigener Macht, die Selbsthilfe zurückdrängt. | |
Eine wichtige Frage der Rechtsentwicklung und Rechtsphilosophie
ist jene nach dem Verhältnis von Selbsthilfe, also individueller
Gewalt (anwendung) und ihrer rechtlichen
Begrenzung. Natürlich hat sich dieses Verhältnis im Laufe
der Jahrtausende gewandelt, aber seit es Recht gibt, war dieses
bestrebt, Gewalt und Selbsthilfe – zugunsten einer Klärung offener
Fragen durch rechtliche Verfahren der jeweiligen Gemeinschaft –
zurückzudrängen. Aus den vielen Bezügen dieser Thematik (man denke
nur an das Strafrecht und den Strafvollzug, das Exekutions- oder Vollstreckungsrecht
oder das Verhältnis von Frau und Mann, von Eltern und Kindern zueinander)
wollen wir jenem des Besitzschutzes, der Besitzstörung näher nachgehen,
weil hier frühe Lösungen, zumal des griechischen und idF des römischen
Rechts, noch heute erkennbar nachwirken. | |
In Rom verbot der Praetor
durch verschiedene Interdikte jedwede Gewaltanwendung: vim fieri
veto. Das älteste Interdikt ist das interdictum uti possidetis.
Der Praetor verbot darin, die bestehende Besitzlage gewaltsam, also eigenmächtig
(während eines Verfahrens) zu verändern. Dieses interdictum betraf
den ager publicus (öffentliches Land), der im Eigentum des römischen
Volkes (populus Romanus) stand. Das erleichterte den Einsatz magistrativen imperiums (Hoheitsgewalt)
seitens des Praetors. Durch dieses Gewaltverbot des Praetors wurde
die bestehende Besitzlage vorläufig stabilisiert und derjenige,
der meinte, einen Anspruch auf dieses Land zu haben, musste die Klärung
im Rechtsweg anstreben. Die Grundgedanken dieser Regelung stammen
aus dem alten Griechenland- – Die Rezeption des römischen Rechts
brachte diese Gedanken ins moderne Besitzstörungsverfahren und
im Verfahrensrecht entstand aus diesem Besitzprovisorium das Rechtsinstitut
der Einstweiligen Verfügung, das mit einer älteren Bezeichnung (noch
anschaulich) Provisorialverfahren genannt wurde,
weil seine Anordnungen nur vorläufigen Charakters sind. Ausschließliches
Ziel auch noch des geltenden gerichtlichen Besitzstörungsverfahrens
ist es, den letzten ruhigen Besitzstand zu stabilisieren und nicht
etwa rechtliche Klärungen vorzunehmen. Die faktische Natur des Besitzes
reicht demnach bis ins Verfahrensrecht. | |
Laien
erscheint die Konsequenz des folgenden Beispiels unverständlich
und sie stellt auch ein mitunter schon als problematisch anzusehendes
Zurückdrängen von Eigeninitiative und der Wahrnehmung berechtigter
Interessen dar. Allein dieses „Opfer” für Einzelne, dient dem Gemeinwohl. Das
Besitzkonzept (und sein mit ihm verknüpfter Gewaltverzicht) steht
demnach in innerer gedanklicher Verbindung mit dem „Gesellschaftsvertrag”
und dem frühen Verständnis der bürgerlichen Gesellschaft: Dem Gewaltverzicht
des Einzelnen im (bloß hypothetisch gedachten!) Gesellschaftsvertrag
und der grundsätzlichen Übertragung des (individuellen) Selbsthilferechts
des Einzelnen auf die bürgerliche Gesellschaft, steht – gleichsam
im Gegenzug – die Zusage der Gemeinschaft gegenüber dem Einzelnen
stets rechtlichen Schutz und Hilfe zu gewähren, wann immer er dies
benötigt; vgl dazu gleich anschließend Martinis Konzept der §§ 6,
7 und 19 ABGB. | Ein
einfaches, aber dennoch schwieriges Beispiel: Fahrraddiebstahl |
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Die §§ 6,
7 sowie § 19 ABGB gehen auf Karl Anton von Martinis rechtsphilosophisches
Konzept zurück. Danach besteht ein Zusammenhang zwischen dem in
§ 7 ABGB geregelten richterlichen Lückenfüllungskonzept (Analogie,
natürliche Rechtsgrundsätze → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung),
das den Richter zum Entscheiden befähigt, aber auch dazu verpflichtet,
weil er im Fall einer Rechtslücke sich (selbst) jene Rechtsgrundlage
schaffen kann, die er für seine Entscheidung benötigt; Rechtsverweigerungsverbot
(für den Rechtsanwender) und Rechtsgewähranspruch (für den Rechtssuchenden).
– Dem entspricht auf der anderen Seite das Selbsthilfeverbot des
§ 19 ABGB, das sich an den einzelnen Bürger richtet; denn „jedem,
der sich in seinem Rechte gekränkt zu sein erachtet, steht es frei,
seine Beschwerde vor der durch die Gesetze bestimmten Behörde anzubringen”. | Verknüpfung
von bürgerlichem Selbsthilfeverbot und staatlichem Rechtsverweigerungsverbot |
§ 19 und die §§ 6, 7 ABGB stehen daher in
einem inneren Funktionszusammenhang in unserer Rechtsordnung und beinhalten
eine frühe und geniale proto-rechtsstaatliche Lösung Martinis. | |
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8. Zum
Begriff erlaubter Selbsthilfe: § 19 ABGB | |
§ 19 enthält
zwar ein grundsätzliches Selbsthilfeverbot, will aber die Selbsthilfe
nicht völlig unterbinden. Daher gestattet § 19 ABGB die Notwehr
und erlaubt sogar, zusammen mit § 344 ABGB als Antworf auf Gewaltanwendung,
eine angemessene Selbsthilfe. Dazu gesellen sich, wie wir sehen
werden, im Bereich des Besitzschutzes, Besitzwehr und Besitzkehr. | |
Notwehr setzt einen gegenwärtigen (oder unmittelbar drohenden)
rechtswidrigen Angriff auf sich (selbst), andere Personen oder Sachen
voraus; nur dann ist es rechtlich gestattet, „Gewalt mit angemessener
Gewalt abzutreiben (§ 19)”, wie sich § 344 ABGB ausdrückt. – Der
im Zivilrecht geltende Grundsatz der Angemessenheit von
Selbsthilfemaßnahmen wird im öffentlichen Recht Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genannt;
er reicht über das Selbsthilferecht des § 19 ABGB hinaus und verlangt
insbesondere auch ein angemessenes Behördenverhalten – zB der Polizei. | |
Die §§ 229, 230 dtBGB umschreiben den erlaubten
Umfang und die Grenze der Selbsthilfe näher;
„ ... [wenn] obrigkeitliche Hilfe nicht rechtzeitig zu erlangen
ist und ohne sofortiges Eingreifen die Gefahr besteht, dass die Verwirklichung
des Anspruchs vereitelt oder wesentlich erschwert werde.” | |
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SZ 62/132 (1989): Tiere sind
als Vermögen von Menschen ein notwehrfähiges Gut.
– Keine Nothilfebehandlung von Tieren gegen den Willen des Eigentümers
? | |
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So heißt diejenige Verteidigung, welche erforderlich ist,
um eine gegenwärtige und drohende Gefahr durch eine Sache von
sich oder anderen abzuwenden. – Solches Handeln ist
(wie Notwehr) nicht rechtswidrig, wenn „die Beschädigung
oder die Zerstörung zur Abwendung der Gefahr erforderlich ist und
der Schaden nicht außer Verhältnis zu der Gefahr steht”; § 228 dtBGB. | |
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Auch
ein bestehender Notstand (§ 1306a ABGB → KAPITEL 9: Rechtswidrigkeit)
rechtfertigt den Eingriff in fremde Rechtssphäre ( und die damit
allenfalls verbundene Verursachung eines Schadens), wenn dadurch
eine „unmittelbar drohende Gefahr von sich oder anderen” abgewendet
werden soll. – Der zweite Teil des § 1306a ABGB regelt auf der einen
Seite erneut den Grundsatz der Angemessenheit / Verhältnismäßigkeit
und statuiert auf der andern Seite – nach dem Vorbild des § 1310 ABGB
– den Gedanken sozialer Schadenstragung; Billigkeitsschaden, Vermögensvergleich. | |
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Ein Vergleich der Notstandsnormen von §
1306a ABGB und § 228 dtBGB zeigt uns die differenziertere soziale Orientierung
unseres Gesetzbuchs. Während der Schädiger nach dtBGB den Schaden
nur zu ersetzen hat, wenn er „die Gefahr verschuldet” hat, räumt
das ABGB dem Richter die Möglichkeit zu einer die konkrete Situation angemessen
zu berücksichtigenden Ermessungsentscheidung nach den vom Gesetz
angeführten Kriterien ein. | |
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Auch
die Begriffe Besitzwehr und Besitzkehr regeln den Rahmen erlaubter
Selbsthilfe → Was
umfasst der Besitzschutz heute? § 344 ABGB ist der Regelungsort. Vor diese
Bestimmung setzt das ABGB die Marginalrubrik: „Rechtsmittel zur
Erhaltung des Besitzstandes: a) bey dringender Gefahr”. – Satz 1
leg cit lautet: | Besitzwehr und Besitzkehr |
„Zu den Rechten des Besitzes gehört auch
das Recht, sich in seinem Besitze zu schützen, und in dem Falle,
daß die richterliche Hülfe zu spät kommen würde, Gewalt mit angemessener
Gewalt abzutreiben. (§ 19).” | |
Das Strafrecht regelt
die Notwehr in § 3 StGB: | |
Abs 1: „Nicht rechtswidrig handelt, wer
sich nur der Verteidigung bedient, die notwendig ist, um einen gegenwärtigen
oder unmittelbar drohenden rechtswidrigen Angriff auf Leben, Gesundheit,
körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder Vermögen von sich oder
einem anderen abzuwehren. Die Handlung ist jedoch nicht gerechtfertigt, wenn
es offensichtlich ist, daß dem Angegriffenen bloß ein geringer Nachteil
droht und die Verteidigung, insbesondere wegen der Schwere der zur
Abwehr nötigen Beeinträchtigung des Angreifers, unangemessen ist.” | |
Abs 2: „Wer das gerechtfertigte Maß der Verteidigung überschreitet
oder sich einer offensichtlich unangemessenen Verteidigung (Abs.
1) bedient, ist, wenn dies lediglich aus Bestürzung, Furcht oder
Schrecken geschieht, nur strafbar, wenn die Überschreitung auf Fahrlässigkeit
beruht und die fahrlässige Handlung mit Strafe bedroht ist.” | |
9. Die
Besitzprivilegien – beatus possidens | |
Wie die
Sachenrechtsprinzipien eine Konsequenz der allgemeinen Zuordnungsaufgabe
des Sachenrechts sind ( → KAPITEL 8: Recht
der Sachgüterzuordnung),
die Pfandrechtsprinzipien sich aus der Funktion des Pfandrechts
erklären ( → KAPITEL 15: Prinzipien
des Pfandrechts), so sind die Besitzprivilegien Folge
der Funktion, die das Privatrecht dem Besitz zuweist. Da – wie erwähnt
– die „Tatsache” des Besitzes einer Sache häufig mit dem „Recht”
sie zu besitzen einhergeht, gewährt das Gesetz schon dem Besitzer,
durchaus funktionsgerecht, gewisse rechtliche Begünstigungen, eben
die sog Besitzprivilegien. – Es sind dies: | |
Nach
§ 323 ABGB hat der „Besitzer einer Sache die rechtliche Vermutung
eines gültigen Titels für sich”; kurz: Er hat die Vermutung eines
erworbenen Rechts (an der Sache) für sich; sog Rechtsscheinwirkung des
Besitzes. Zu beachten ist insbesondere auch § 372 ABGB: actio publiciana
/ Eigentumsklage aus dem rechtlich vermuteten Eigentume des Klägers → KAPITEL 8: Schutzinstrumente . Wer
das Gegenteil behauptet, muss dies im Prozess beweisen. | |
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§ 328 Satz 2 ABGB
enthält die weitere Rechtsvermutung, dass der Besitzer einer Sache
redlich ist (dazu → Redlicher
Besitz): „Im Zweifel ist die Vermutung für die
Redlichkeit des Besitzes”; Redlichkeitsvermutung. | |
Dazu
kommt eine weitere Begünstigung des Besitzes, nämlich die, dass
der (redliche) Besitzer – Dritten gegenüber – zu Verfügungen über
die Sache legitimiert, also insbesondere zur Rechtsübertragung berechtigt
(§§ 329 ff ABGB) erscheint; sog Legitimationswirkung des
Besitzes → Redlicher
Besitz – So beim gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten
nach § 367 ABGB, insbesondere dessen 3. Fall → KAPITEL 8: Gesetzliche
Voraussetzungen: | |
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Nach § 324
ABGB steht dem Besitzer – als Folge von § 323 ABGB –im Prozess die
günstigere beweisfreie Beklagtenrollezu; Beweiserleichterung.
Auch gegen den Eigentümer! | Beweisfreie
Beklagtenrolle |
Das
römische Recht hat die insgesamt bessere Rechtsstellung des Besitzers
im Prozess (= günstigere Beklagtenrolle) und den Umstand, dass dem
Besitzer bei gleichem (dh gleich starkem) Titel die Sache zuzusprechen
war – in pari causa melior est possidentis, rechtssprichwörtlich
mit beatus possidens umschrieben. | |
 | Abbildung 3.2: Die Besitzprivilegien |
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10. Besitzerwerb
an beweglichen und unbeweglichen Sachen | |
Wir wissen bereits: Was
der Besitz(erwerb) für den Erwerb dinglicher Rechte an beweglichen Sachen
darstellt, erfüllt (funktional) bei unbeweglichen Sachen
das Grundbuch (Buchbesitz!); vgl §§ 321, 322 Satz
2 ABGB. – Allerdings kann an Liegenschaften auch außerbücherlicher
Besitz erworben werden. So, wenn ein Haus oder eine Eigentumswohnung
verkauft und real, also wirklich – zB durch Schlüsselübergabe –
übergeben wird, aber dieser Rechtserwerb, aus welchen Gründen auch
immer, (noch) nicht ins Grundbuch eingetragen wurde. Besitz(erlangung)
und Gefahr(übergang) an Liegenschaften werden in der Praxis häufig
schon in Verträgen durch Erklärung (in analoger Anwendung des §
428 ABGB) übertragen. Vgl das Formulierungsbeispiel in einem Liegenschaftskaufvertrag
(Pkt III) → KAPITEL 2: Vertragsbeispiele: „Mit Unterfertigung dieses Vertrages gehen
Gefahr, Nutzungen und Lasten auf die Käuferin über.” | |
Die von der Rspr lange (aus Praktikabilitätsgründen)
anerkannte Rechtsfigur des außerbücherlichen Liegenschaftseigentums wird
heute abgelehnt; vgl aber noch § 23 Abs 1 WEG 1975. | |
 | Abbildung 3.3: Eigentum – Besitz – Innehabung |
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II. Was ist Gegenstand
des Besitzes? – Sachbesitz und Rechtsbesitz | |
1. Gegenstand des
Besitzes | |
Besitzen kann man nach § 311 ABGB nicht nur
körperliche Sachen – zB ein Buch oder ein Haus, sondern auch unkörperliche,
insbesondere Rechte → KAPITEL 8: Körperliche
und unkörperliche Sachen;
zB eine Grunddienstbarkeit, ein Miet- oder Pachtrecht oder das Recht
des (Eigentums)Vorbehaltskäufers, den Kaufgegenstand (als dinglicher
Anwartschaftsberechtigter noch vor dem Eigentumserwerb → KAPITEL 8: Rechtsstellung
des Vorbehaltskäufers)
zu benützen. – Das ABGB unterscheidet daher wie das ALR – dem römisch-gemeinen
Recht folgend – zwischen Sach- und Rechtsbesitz. | |
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Sachbesitzer ist nach §
309 ABGB: | |
•
„Wer eine Sache in seiner Macht oder Gewahrsame hat”,
also ihr Inhaber ist; römisches Recht: corpus. | corpus und animus |
•
...
und darüber hinaus „den Willen hat, sie
als die seinige zu behalten”; römisches Recht: animus rem
sibi habendi. | |
Der Begriff der Gewahrsame oder Innehabung spielt
auch im Strafrecht eine wichtige Rolle; vgl § 127
StGB (Diebstahl): „Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen
... wegnimmt, ... .” Diebstahl setzt Gewahrsamsbruch voraus und
ist vollendet, wenn der Täter Alleingewahrsam erlangt hat, also
den Besitz (vollständig) entzogen hat. | „Gewahrsame“
im Strafrecht |
Das ABGB verlangt für den Erwerb von Sachbesitz – dem römischen
Rechte folgend – corpus und (!) animus. Anders
das dtBGB (gleich unten), das sich auf das corpus-Element beschränkt. | |
Die
§§ 349 und 352 Satz 1 ABGB umschreiben den sog Mentalbesitz,
den ein rüder Pauker einmal mit: „Blöder Hund hofft immer (noch)”
umschrieben haben soll. – Sie haben, und wissen das auch, bei einem
Spaziergang auf einer Bank ein Buch vergessen. – Worin liegt das
besondere des Mentalbesitzes? Vgl § 352 Satz 1 ABGB. Welches (Sach)Besitzkriterium
ist hier noch real vorhanden, welches nur noch mental? – Das römische
Recht sprach hier von Besitz solo animo; D. 41, 2, 25 pr. (Pomponius):
Wenn wir das, was wir besitzen, so verloren haben, dass wir nicht wissen,
wo es sich befindet, hören wir auf zu besitzen. – Auch das dtBGB
(§ 856) kann hier seine römischrechtlichen Wurzeln nicht leugnen. | Mentalbesitz |
Der Besitzbegriff des dtBGB unterscheidet
sich von dem des ABGB und damit auch vom römischen Recht. § 854 Abs
1 dtBGB formuliert: „Der Besitz einer Sache wird durch die Erlangung
der tatsächlichen Gewalt über die Sache erworben.” – Das dtBGB verlangt
demnach für den Erwerb des (Sach)Besitzes kein animus-Element. Auch
den Rechtsbesitz kennt das dtBGB im Gegensatz zu ALR und ABGB nicht.
Das hängt damit zusammen, dass das dtBGB nur körperliche, nicht
aber unkörperliche Sachen kennt → KAPITEL 8: Körperliche
und unkörperliche Sachen. | dtBGB |
An den abweichenden Besitzbegriff
des dtBGB erinnert Art 5 EVHGB: „Für den Besitz
[iSd HGB] ist es nicht erforderlich, dass der Inhaber den Willen
hat, die Sache als die seinige zu behalten.” – Der Besitzbegriff
des öHGB ist demnach ein anderer als der des ABGB. Das hängt damit
zusammen, dass das HGB ein deutsches Gesetz ist, das in Österreich
1938 eingeführt wurde. (Früher galt das AHGB.) Aufgabe der EVHGB
war es, das dtHGB an das österreichische Zivilrecht (insbesondere
das ABGB) anzupassen. | EVHGB |
Das Schweizer ZGB folgt
auch im Besitzrecht der Linie des dtBGB; vgl Art 919: „Wer die tatsächliche
Gewalt über eine Sache hat, ist ihr Besitzer.” | SchwZGB |
Auch der frCC (Art
2228: De la possession) kennt ein corpus- und ein animus-Element.
Allein die Unterscheidung des Besitzes zum Eigentum bleibt unscharf
und der Besitz und die Stellung des Besitzers insgesamt werden nicht systematisch
geregelt. – Die legistische Qualität kann sich nicht annähernd mit
dem ABGB messen. | frCC |
Der Besitzbegriff des itCC (Art
1140 ff: Del possesso) kennt explizit nur ein corpus-Element. Art
1140: „Besitz ist die Gewalt über eine Sache, die sich in einer
der Ausübung des Eigentumsrechts oder eines anderen dinglichen [!] Rechts
entsprechenden Betätigung äußert.” (Im Ausübungswillen kann demnach
ein Besitzwille erblickt werden!) | itCC |
Dieser kleine Ausblick auf die Besitzregelungen anderer
Länder vermittelt einen ersten Eindruck von der hohen Qualität der
österreichischen Besitzregelung. Sie ist Martins Werk (Entwurf Martini
II 2 § 1 und WGGB II 2 § 30) und übertrifft an Prägnanz und Eleganz
auch das ALR (I 7 §§ 1 ff). | |
•
§ 855 dtBGB: Besitzdiener (=
Detentor des ABGB) – „Übt jemand die tatsächliche Gewalt über eine
Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft
oder in einem ähnlichen Verhältnis aus, vermöge dessen er den sich
auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten
hat, so ist nur der andere Besitzer.” | deutsche
Terminologie |
• § 865 dtBGB: Teilbesitzer ist
– wer „nur einen Teil einer Sache, insbesondere abgesonderte Wohnräume
oder andere Räume, besitzt.” | |
• § 866 dtBGB: Mitbesitz – „Besitzen
mehrere eine Sache gemeinschaftlich, so findet in ihrem Verhältnisse
zueinander ein Besitzschutz insoweit nicht statt, als es sich um
die Grenzen des den einzelnen zustehenden Gebrauchs handelt.” | |
• § 868 dtBGB: Mittelbarer Besitz –
„Besitzt jemand eine Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter,
Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnisse, vermöge
dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitze berechtigt
oder verpflichtet ist, so ist auch der andere Besitzer (mittelbaren
Besitz).” – Der mittelbare Besitz des dtBGB entspricht in etwa (!)
dem Rechtsbesitz des ABGB; der Verwahrer ist nach ABGB aber nicht
Rechtsbesitzer, weil ihm kein Gebrauchsrecht zusteht! | |
• § 872 dtBGB: „Wer eine Sache als ihm gehörend
besitzt, ist Eigenbesitzer.” Davon unterschieden
wird der Fremd besitz. | |
 | Abbildung 3.4: Sach- und Rechtsbesitz(1) |
|
 | Abbildung 3.5: Sach- und Rechtsbesitz(2) |
|
| |
Vgl § 312 Satz 2 und
§ 313 ABGB : Wie erwähnt versteht das ABGB unter Sachen nicht nur
körperliche, sondern auch unkörperliche (= Rechte); § 285 iVm §§
292, 311 ABGB. Gegenstand des Besitzes nach dem ABGB sind daher
insbesondere Rechte und Forderungen; Wurzel des Rechtsbesitzes.
Der weite naturrechtliche Sachbegriff (§ 285 ABGB), ist demnach
Voraussetzung dafür, dass ABGB und ALR den Rechtsbesitz anerkennen. | |
Vgl dazu gleich unten: Zur historischen
Entstehung und Verbreitung des Rechtsbesitzes. | |
Um ein Recht besitzen zu können, muss es: | Voraussetzungen
des Besitzerwerbs |
• „dauernder
Ausübung” zugänglich sein (Ehrenzweig);
so zB ein Leih-, Miet-, Pacht- oder ein sonstiges Gebrauchsrecht.
„Dauernd” wird iSv zeitlich „längerer”, und zeitlich nicht ganz
unbedeutender Rechtsausübung verstanden; „dauernd” iSv immerwährend
wäre aber zu viel verlangt. | |
Besitzer ist und Besitzschutz genießt daher
auch der Mieter eines Fahrrads für einen halben
Tag; vgl auch Hoyer, Bezugsverträge und Besitzstörung, WBl 1997,
147. | |
• Zudem wird für die
Annahme von Rechtsbesitz gefordert, dass das eingeräumte Recht ein Gebrauchsrecht gewährt;
deshalb sind Entlehner, Mieter, Pächter und Vorbehaltskäufer Rechtsbesitzer,
nicht dagegen der Verwahrer, dem kein Gebrauchsrecht an der Sache
zusteht und der daher nur ihr Sachinhaber ist. (Wird ihm aber der
Gebrauch gestattet, ändert sich dadurch auch seine rechtliche Stellung!) | |
 | |
Rechtsbesitz
erwirbt man nach § 312 ABGB dadurch, dass man ein Recht
im eigenen Namen gebraucht oder – wie Gschnitzer formuliert
– es „nach der äußeren Erscheinung ... als das seine ausübt”. –
Das trifft auf das geliehene Fahrrad ebenso zu, wie auf die gemietete
Wohnung, mag auch nur das Recht zum Besitz (Leih- oder Mietrecht)
besessen werden und nicht die Sache (!) selbst. Eine feine Unterscheidung,
die Laien nicht geläufig ist. (Der Sachbesitz an der vermieteten Sache
steht nach wie vor dem Eigentümer zu!) Dem redlichen Besitzer fehlt
der Wille, „die Sache” selbst künftig als die seinige anzusehen.
Ein (redlicher) Besitzer will nur das vertraglich eingeräumte Recht
als das seine ausüben, also zB das Leih- oder Mietrecht, aber nicht
mehr. | § 312 ABGB:
Erwerb
von Rechtsbesitz |
Auch der Rechtsbesitzer genießt Besitzschutz → Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr:
Rechtsprechungsbeispiele. – Im Erstrecken des ursprünglich nur auf Sachen,
dann – schon im römischen Recht (dazu gleich unten) – auch auf dingliche
Rechte und schließlich – vom Naturrecht – auch auf obligatorische
Rechtspositionen erstreckten Besitzschutzes, liegt der
tiefere Sinn des Rechtsinstituts „Rechtsbesitz”! | Rechtsbesitzer geniessen
Besitzschutz |
 | |
Das römische Recht
kennt schon in klassischer Zeit die quasi possessio,
eine Vorstufe unseres Rechtsbesitzes (wie dieser sich dann im ALR
– vgl insbesondere I 7 §§ 5, 46 und 77 ff ALR – und später in den
§§ 311 ff ABGB findet). Der Begriff leitet seine Berechtigung daraus
ab, dass (echte) possessio zunächst nur an res corporales, also
körperlichen Sachen möglich war, nicht aber an Rechten, res incorporales.
Servituten und usus fructus vermittelten aber als dingliche Rechte Rechtspositionen,
die mit keinem – oder doch fast keinem – Sachbesitz im herkömmlichen
Sinne mehr verbunden waren. Dennoch entstand das Bedürfnis, diese
Rechtspositionen besitzrechtlich zu schützen. So kam es zum Einbeziehen
dieser dinglichen Rechtspositionen in den Besitzschutz des römischen
Rechts; daher der Begriff quasi possessio. | Zur historischen
Entstehung des Rechtsbesitzes |
Sie setzen den weiteren Entwicklungsschritt
vom Besitzschutz dinglicher zu dem obligatorischer Rechte.
– Aber auch Rechtsbesitz iSv Besitz an obligatorischen Rechten ist
wesentlich älter als das ABGB und das ALR; der Entwurf Martini II
2 §§ 3-6 (= WGGB II 2 §§ 32-35) kennt ihn ebenso wie der Entwurf
Horten (II 21 § 6) und insbesondere auch der Codex Theresianus,
der sogar eine detailliertere Regelung als der Entwurf Horten enthält;
II 24 Num 14 und 30, aber auch 18, 19, 39, 43 etc. Das beweist den
gemeinrechtlichen Ursprung des modernen Rechtsbesitzes. | ALR
und ABGB |
CodTher II
24 Num 14 enthält die schöne Formulierung: „Nur körperliche Dinge,
die leiblich berührt und gegriffen werden können, sind des wahren
Besitzes fähig; unkörperliche Dinge hingegen, als Rechten, Gerechtigkeiten
und Dienstbarkeiten werden bloß gleichnißweise besessen, also dass,
wiewohlen deren Ausübung sich durch leibliche und sichtbare Thaten
äußeret, nichtsdestoweniger der Besitz des Rechts selbst nur in
dem rechtlichen Verstand besteht.” | |
ALR
und ABGB vermitteln idF den – wenngleich modifizierten – Rechtsbesitz
an das dtBGB und schweizerische ZGB weiter; vgl Kaser, Römisches
Privatrecht § 19 V und § 28 III 97 (198313).
– Dabei erscheint der Ausdehnungsschritt des römischen Rechts von
den körperlichen Sachen (res corporales) zu den dinglichen Rechten
(res incorporales) entwicklungsgeschichtlich bedeutsamer und für
die Zukunft bestimmender, als jener der Naturrechtskodifikationen
(ALR und ABGB) zu den obligatorischen Rechten. | |
Der
Rechtsbesitz moderner Prägung ist demnach weder eine „Erfindung”
des ABGB, noch eine Neuschöpfung des Naturrechts; vielmehr eine
gelungene und äußerst funktionale Weiterbildung des klassischen
Besitzschutzes des römischen Rechts durch das Naturrecht, das dadurch
auch obligatorische Rechte in den Besitzschutz einzubeziehen vermag.
– Wir können daraus lernen, dass es seine Berechtigung hat, wenn
das römische Recht seitens des Naturrechts – immer wieder – als ratio
scripta angesehen wird, mag auch die römisch-rechtliche
Lösung nur durch Vorarbeit der Griechen möglich gewesen sein. Das
römische Recht enthält noch aus heutiger Sicht, großartige (Weiter)Entwicklungen,
entstanden aus praktischem Bedürfnis, möglich geworden durch schöpferische
Juristen. | Rechtsbesitz moderner Prägung |
| |
Sach- und Rechtsbesitz
können auch mehreren Personen gleichzeitig an ein und derselben
Sache nebeneinander zustehen; man spricht dann – in Anlehnung
an deutsche Terminologie (§ 871 dtBGB) – von gestuftem oder mehrstufigem
Besitz. Diese Besitzform ist ein Sonderfall des Mitbesitzes → Mitbesitz
und Teilbesitz
| |
 | |
5. Mitbesitz
und Teilbesitz | |
Mitbesitz haben mehrere
Personen an derselben Sache. Mitbesitz – und zwar sowohl von Sach-
wie Rechtsbesitz – ist möglich; zB FreundInnen kaufen gemeinsam
ein Auto oder mieten eine Wohnung. | |
Vom Mitbesitz zu
unterscheiden ist der Teilbesitz; er bezieht sich
bloß auf einen Sachteil und nicht die ganze Sache. So steht bspw
einem Wohnungseigentümer an seiner Wohnung, die rechtlich gesehen
ein unselbständiger Teil des Hauses und der Liegenschaft bleibt,
Teilbesitz zu (, über den er aber kraft ausdrücklicher gesetzlicher
Anordnung sogar allein verfügungsberechtigt ist). An den für das
Rechtsinstitut Wohnungseigentum wichtigen allgemeinen Teilen des
Hauses ( → KAPITEL 8: Nutzung
von WE-Objekten und allgemeiner Teile der Liegenschaft) dagegen besteht Mitbesitz aller Wohnungseigentümer. | |
6. Innehabung /
Detention | |
Inhaber (Detentor)
ist, wer eine Sache zwar in seiner (tatsächlichen) Macht oder Gewahrsame
hat, aber nicht den Willen hat, diese als die seine zu betrachten
und zu behalten. | |
Die Innehabung beschränkt sich auf das erste Element des
Sachbesitzes, das corpus-Element des römischen
Rechts. Das zweite Element des Sachbesitzes (animus) fehlt hier.
Einem Inhaber ermangelt also der Wille, die Sache als die seinige
behalten zu wollen. | |
Weil der Inhaber den Besitz zwar für einen
anderen (er)halten kann, nicht aber selbst Besitzer ist, wird er
mit einem Synonym (nach deutschem Vorbild) auch Besitzdiener genannt. | |
Der
Inhaber hat die Sache nicht in seinem eigenen, „sondern im Namen
eines andern inne ...”; § 318 ABGB. Der bloße Inhaber, der nicht
zugleich Rechtsbesitzer ist, genießt daher nach ABGB keinen
Besitzschutz, hat aber ein Notwehr- und Selbsthilferecht
gegen Dritte; nicht aber gegen den, der ihm die Sache überlassen
hat, also den Sach- oder Rechtsbesitzer. – Im fehlenden Besitzschutz
liegt ein Unterschied zum Besitz. | Inhaber hat
Sache
„im Namen eines
andern inne” |
 | |
Für die Grenzziehung zwischen Besitz
und bloßer Detentionund insbesondere den Umfang
der Detention ist auch die Verkehrsauffassung heranzuziehen: | Grenzziehung zwischen Besitz und
bloßer Detention |
 | |
 | Abbildung 3.6: Sachenrechtliche Begriffe |
|
III. Arten
des Besitzes: Rechtmäßig, redlich, echt | |
Neben der Unterscheidung in Sach- und Rechtsbesitz,
Allein-, Mit- und Teilbesitz trifft das Gesetz weitere Differenzierungen
und knüpft daran wichtige Rechtsfolgen. – Ist der Besitz rechtmäßig, redlich
und echt, spricht man von qualifiziertem Besitz,
der zB Voraussetzung der Ersitzung ist → KAPITEL 13: Qualifizierter
Besitz. | Qualifizierter
Besitz |
 | Abbildung 3.7: Arten des Besitzes |
|
| |
§ 316 ABGB: „Der Besitz
einer Sache heißt rechtmäßig, wenn er auf einem gültigen
Titel, das ist, auf einem zur Erwerbung tauglichen Rechtsgrunde
beruht. Im entgegengesetzten Falle heißt er unrechtmäßig.” | |
 | |
| |
§ 326 ABGB: „Wer aus
wahrscheinlichen Gründen die Sache, die er besitzt, für
die seinige hält, ist ein redlicher Besitzer. Ein unredlicher
Besitzer ist derjenige, welcher weiß oder aus den Umständen vermuten
muss, dass die in seinem Besitze befindliche Sache einem anderen
zugehöre ....” | |
§
328 ABGB enthält die Rechtsvermutung der Redlichkeit zugunsten
des Besitzers; dh Redlichkeit / Gutgläubigkeit des Besitzers wird
von Gesetzes wegen angenommen / vermutet. Wer das Gegenteil behauptet,
muss dies im Prozess (gegen den Besitzer) beweisen! → Die
Besitzprivilegien – beatus possidens:
Besitzprivilegien. | Redlichkeitsvermutung |
Rechtsvermutung ist
die gesetzliche Annahme, dass bei Vorliegen einer (bestimmten) Tatsache,
ein Rechtsverhältnis besteht oder nicht besteht. – Rechtsvermutungen
sind entweder (durch jedes Beweismittel) widerlegbar (praesumptio
iuris) – zB §§ 23, 138, 155, 163 und nunmehr § 38 ABGB – oder unwiderlegbar (praesumptio
iuris ac de iure); zB § 1152 ABGB oder bei der Schenkung ( → Redlicher
Besitz:
donatio non praesumitur) sowie §§ 1426 ff ABGB (Quittung: begründet
Rechtsvermutung über die Zahlung einer Schuld). – Zur Fiktion
→ KAPITEL 13: Erfüllungsfiktion. | Rechtsvermutung |
Zur Rechtsstellung
des redlichen Besitzers, insbesondere der Legitimationswirkung des
Besitzes vgl die §§ 329 ff ABGB. Kurz: Der redliche Besitzer kann
über die Sache (wie ein Eigentümer) verfügen. | Legitimationswirkung |
Die
Frage der Redlichkeit oder Gutgläubigkeit des Besitzes ist zB eine
wichtige Tatbestandsvoraussetzung des § 367 ABGB → KAPITEL 8: Gutgläubiger
Eigentumserwerb.
Guter Glaube setzt nach der Rspr – zB EvBl 1971/261 oder MietSlg
2172 – die positive Überzeugung von der „Rechtmäßigkeit” oder wenigstens
einen entschuldbaren Irrtum voraus. Zweifel oder nur leichte Fahrlässigkeit
schließen Gutgläubigkeit bereits aus. | |
|
EvBl 1978/76: Versteigerung
eines Traktors samt Frontlader und Schaufel.§
367 ABGB schützt auch bei der gerichtlichen Versteigerung nur den
redlichenErwerber, also denjenigen, der iSd § 368
ABGB den Verpflichteten „aus wahrscheinlichen Gründen für den Eigentümer
halten konnte”; dabei schadet schon leichte Fahrlässigkeit. | |
|
|
JBl 1980, 589: Versteigerung
eines Bürocomputers – Wenn der Verpflichtete in der Versteigerung behauptet,
dass die Sache nicht ihm gehört, so schließt schon diese Behauptung
den guten Glauben des Bieters aus. Es ist nicht erforderlich, dass
der Verpflichtete das Fremdeigentum belegen kann. | |
|
|
MietSlg 4328 (1955): Der gute Glaube juristischer
Personen bestimmt sich nach dem guten Glauben ihrer (für
sie handelnden) Organe. Zur juristischen Person → KAPITEL 4: Die
juristische Person . | |
|
| |
§
345 ABGB: „Wenn sich jemand in den Besitz eindringt, oder durch List oder Bitte
heimlich einschleicht, und das, was man ihm aus Gefälligkeit,
ohne sich einer fortdauernden Verbindlichkeit zu unterziehen gestattet,
in ein fortwährendens Recht zu verwandeln sucht; so wird der an
sich unrechtmäßige und unredliche Besitz noch überdies unecht; in
entgegengesetzten Fällen wird der Besitz für echt angesehen.” –
Das römische Recht spricht kurz und bündig von: nec vi, nec
clam, nec precario. | |
 | |
Die im Gesetz angesprochene
Bittleihe vermittelt nicht die Besitzprivilegien, insbesondere nicht die
günstigere Beklagtenrolle im Prozess. – Die Einrede der Unechtheit
des Besitzes ist aber – ausnahmsweise – auch im Besitzstörungsverfahren
zulässig! → Klagebegehren,
Beweislast, Zuständigkeit
| |
IV. Besitzschutz
– Allgemein | |
1. Warum
wird der Besitz geschützt? | |
Fassen wir zusammen: Obwohl der Besitz – aus
rechtlicher Optik betrachtet – nur eine tatsächliche Beziehung
zu einer Sache darstellt, wird er rechtlich geschützt. Die Rechtsordnung
als Friedensordnung verfolgt das Ziel, Gewalt und Eigenmacht möglichst
auszuschalten, weil daraus leicht Un-Frieden entsteht und schützt
daher – als Vorstufe des Rechtsschutzes – schon den bestehenden faktischen
Ist-Zustand (= Besitz) und verbietet es, ihn eigenmächtig,
dh ohne geordnetes Verfahren, abzuändern; sog Eigenmacht- oder Selbsthilfeverbot. | |
2. Was
umfasst der Besitzschutz heute? | |
Wie
erwähnt will das grundsätzliche Selbsthilfeverbot des § 19 ABGB
nicht jede Selbsthilfe ausschalten. Das wäre weltfremd. Daher belässt
auch die moderne Rechtsordnung einen letzten Rest davon bei den
unmittelbar von Besitzstörungen Betroffenen und gestattet, wenn
auch in eingeschränktem Maße, autonome Selbsthilfemaßnahmen. | |
Wir unterscheiden insgesamt: | Autonom-individueller und
gerichtlicher
Besitzschutz |
•
Einerseits außergerichtliche autonom-individuelle
Besitzschutzmöglichkeiten des / der Gestörten: | |
•
Und andrerseits den gerichtlichen Besitzschutz,
das Besitzstörungsverfahren
→ Warum
wird der Besitz geschützt?
| |
Anders
als dem Besitzer kommt dem Inhaber (Detentor),
aber auch dem Prekaristen kein Besitzschutz zu.
Häufig ist der Sachinhaber (zB Mieter) aber gleichzeitig
auch Rechtsbesitzer, sodass er Besitzschutz genießt.
Der Rechtsbesitz erweitert also den Besitzschutz auch auf schuldrechtliche
(Rechts)Beziehungen, sofern diese mit Sachinhabung und
einem Gebrauchsrecht verbunden sind, wie dies bei Bestandverträgen,
der Leihe oder dem Vorbehaltskäufer der Fall ist. | |
Der Rechtsbesitzer (zB Mieter) erlangt dadurch Schutz gegen
Dritte (Drittschutz) – und nicht nur gegen seinen Vertragspartner,
wenn diese in seine Rechtsposition eingreifen; etwa: | |
•
Rechtsbesitzer können
sich also auch unmittelbar – dh ohne Vermittlung durch den Eigentümer
– gegen eine Besitzstörung zur Wehr setzen; vgl § 454 Abs 1 Satz
1 ZPO: „ ... Störung des Besitzstandes bei Sachen und bei Rechten,
...”. | |
•
Nach
§ 364 Abs 2 ABGB genießen sie auch Immissionsschutz
→ KAPITEL 8: Die
Immissionen ¿ Überblick; | |
• und bei Schadenszufügung durch Dritte stehen ihnen eigene Schadenersatzansprüche zu → KAPITEL 9: Die
Schadenersatzvoraussetzungen. | |
3. Was setzt Besitzschutz
(allgemein) voraus? | |
Zunächst
eine Besitzverletzung: | |
Das heisst:
Der tatsächliche Besitz muss gestört worden
sein, was auch beim Rechtsbesitz möglich ist. Etwa wenn der Rechtsbesitz
des Mieters durch nachbarlichen Lärm oder ein anderes störendes
Verhalten des Vermieters oder Dritter beeinträchtigt wird. | |
Zudem muss
die Verletzung „eigenmächtig” erfolgt sein. Das
heisst, die (Besitz)Verletzung muss ohne Eingriffsrecht, also unbefugt,
zugefügt worden sein. – Besteht ein Recht zum Eingriff, liegt keine
Eigenmacht vor! | |
 | |
 | |
 | Abbildung 3.8: Besitzschutz durch Selbsthilfe oder Gericht |
|
 | Abbildung 3.9: Beispiele erlaubter Selbsthilfe |
|
4. Tiefere Gründe
des Besitzschutzes: Friedenssicherung | |
Das ABGB ging einen Mittelweg: Einerseits
sollte verbotene Eigenmacht und Selbsthilfe untersagt sowie ein
Gewaltverbot statuiert werden; andrerseits wollte der Gesetzgeber erlaubte
Selbsthilfe (§§ 19, 344 ABGB; § 3 StGB: Notwehr) nicht
völlig unterbinden. Denn es ist ein sehr alter, sogar naturrechtlich
fundierter Grundsatz, der es erlaubt, auf Gewalt mit angemessener
Gewalt zu antworten – vim vi repellere licet. | vim vi
repellere licet |
Das Gesetz verbietet grundsätzlich
Eigenmacht und untersagt Selbsthilfe, weil das Gewaltmonopol in
modernen Staaten allein dem Staate zusteht, der es durch seine Behörden
handhabt, allenfalls auch an Private delegiert. Deshalb enthält
§ 19 ABGB eine Rechtsschutzgarantie: Fühlt sich jemand rechtlich
beschwert, kann er sich – so § 19 – mit seiner Beschwerde an die
Gerichte / Behörden wenden. Richter haben (!) auf der anderen Seite
über (zivil)rechtliche Beschwerden zu entscheiden und dürfen sich
dieser Entscheidung nicht entziehen (Rechtsverweigerungsverbot), zumal
sie das Lückenfüllungskonzept des § 7 ABGB ( → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung)
in die Lage versetzt selbst dann zu entscheiden, wenn das Gesetz
keine Regelung enthält, also lückenhaft ist. Zwischen den §§ 7 und
19 ABGB besteht demnach – wie erwähnt – ein innerer funktionaler Zusammenhang:
Einerseits der Rechtsgewähranspruch des Staates samt richterlichem
Non-liquet- oder Rechtsverweigerungsverbot, andrerseits das Selbsthilfe-
und Gewaltverbot für rechtssuchende Bürger. Diese geniale rechtsfunktionale
Verschränkung Martinis – die weder das ALR, noch der frCC kannten
– besitzt bereits protorechtsstaatliche Züge. | Gewaltmonopol
moderner Staaten |
Wir wissen bereits: Das Gesetz schützt
Besitzer auch gegen stärker Berechtigte (zB den Eigentümer), weil
es Selbsthilfe und Eigenmacht – die immer eine Gefahr für den (Rechts)Frieden
darstellen – auch durch den Rechts-”Inhaber” ausschließen will.
Dadurch erweist sich der Besitz als wichtiges gesellschaftliches
Instrument der Friedenssicherung; Aufrechterhaltung von Ruhe und
Ordnung. – Das Verbot von Eigenmacht will aber nicht jeden Selbstschutz (des
Besitzers) verhindern. § 344 ABGB stellt deshalb klar und gewährt
dem Besitzer „in dem Falle, dass die richterliche Hilfe
zu spät kommen würde [ausdrücklich das Recht], Gewalt mit
angemessener Gewalt abzutreiben”; sog Besitzwehr / Notwehr (§§
19, 344 ABGB; § 3 StGB: Notwehr). Und in Erweiterung dieses Selbstschutzrechts
gestattet man dem Besitzer sogar schon (fast) entzogenen Besitz
sogleich / in continenti wieder zurückzugewinnen; sog Besitzkehr.
– Es ist also stets zu prüfen, ob das Kriterium des § 344 ABGB für
erlaubte Selbsthilfe, dass nämlich „richterliche Hilfe zu spät kommen
würde”, erfüllt ist. | Wenn „richterliche Hilfe zu spät
kommen würde” |
 | |
|
JBl 1953, 267: Erlaubte bäuerliche
Selbsthilfe gegen (auf seinem Grund) wildernde
Hunde. Bei berechtigter Selbsthilfe (die Hunde wurden erschossen)
ist kein Schadenersatz zu leisten. – OGH bejaht analoge Anwendung
des JagdG! | |
|
|
EvBl 1967/355: Erneutes Überkleben
bereits überklebter Wahlplakate als erlaubte Selbsthilfemaßnahme. | |
|
 | |
 | Abbildung 3.10: Besitzstörung: Beispiele aus der Rspr |
|
V. Gerichtlicher
Besitzschutz | |
1. Worum geht es
im Besitzstörungsverfahren? | |
Wir haben gehört, dass
darüber gestritten wurde, ob der Besitz bloße Tatsache oder (auch)
ein Recht sei und wissen, dass dieser Streit – wie viele Verabsolutierungen
– wenig bringt, weil der Besitz jedenfalls eine Tatsache mit wichtigen
rechtlichen Konsequenzen / Rechtswirkungen ist. Eine dieser Konsequenzen
zeigt sich im Besitzstörungsprozess, der in der Folge kurz erörtert
wird. | |
Der Besitzstörungsprozess, das sog Possessorium,
dreht sich nämlich nicht – und das ist wichtig zu verstehen (!)
– um das Recht zum Besitz oder damit zusammenhängende Rechtsfragen
(das sog Petitorium; zB Schadenersatz), sondern bloß um die Tatsache
des Besitzes; genauer: um die Tatsache des letzten ruhigen Besitz(stand)es
und der (erfolgten) Störung des bisher unbeeinträchtigten Besitzes.
Dazu gleich mehr. | Possessorium
und Petitorium |
2. Tatbestandsvoraussetzungen
der Besitzstörung | |
§ 339 ABGBbestimmt:
„Der Besitz mag von was immer für einer Beschaffenheit sein, so
ist niemand befugt, denselben eigenmächtig zu stören.
Der Gestörte hat das Recht, die Untersagung des Eingriffes ... gerichtlich
zu fordern.” | |
Geschützt wird danach Sach-,
wie Rechtsbesitz, aber – und das überrascht immer
wieder – auch der unrechtmäßige und unredliche, nicht dagegen der
unechte Besitz; vgl dazu das Beispiel oben → Missbilligung
von Selbsthilfe und Eigenmacht:
Fahrraddiebstahl. – Damit nennt das ABGB die zwei Tatbestandsmerkmale
der Besitzstörung: Das Vorliegen einer Besitzverletzung / -störung
und von verbotener Eigenmacht. | |
Beim Beurteilen
„verbotener
Eigenmacht” spielen wiederum rechtliche Fragen eine Rolle.
Verbotene Eigenmacht ist nämlich immer dann anzunehmen, wenn kein
Recht bestand, den auch bloß faktischen Besitzstand zu ändern oder auch
nur Besitzhandlungen zu setzen. | |
 | |
 | Abbildung 3.11: Besitzstörung – Gerichtlicher Besitzschutz |
|
 | Abbildung 3.12: Possessorium und Petitorium |
|
3. Rechtsquellen
und Ziele des gerichtlichen Besitzschutzes | |
Sie finden sich heute nicht nur im ABGB (§§ 339 ff ABGB).,
Hauptregelungsort ist vielmehr die ZPO: §§ 454 ff ZPO. | |
Angepasst
an die rechtlich-gesellschaftliche Funktion des Besitzes, dem äußeren
Frieden zu dienen, ist es verfahrensrechtliches Ziel des Besitzstörungsverfahrens,
die Störung der (tatsächlichen) äußeren Ordnung wiedermöglichst
rasch zu beseitigen; vgl auch § 454 ZPO. | Ziel des Besitzstörungsverfahrens |
Das Besitzstörungsverfahren ist eine vereinfachte, abgekürzte
besondere Verfahrensart vor den Bezirksgerichten, deren Procedere
im Vergleich zum ordentlichen streitigen Verfahren erheblich vereinfacht
ist; zB kein absoluter Anwaltszwang, mündliches Vorbringen zu Protokoll
statt Schriftsätze etc. | Vereinfachtes
bezirksgerichtliches Verfahren |
Zielsetzungen dieses Verfahrens:
| |
•
nach
§ 459 ZPO „ ... sich darauf zu beschränken, eine einstweilige
Norm für den tatsächlichen Besitzstand aufzustellen ...” | Verfahrensziele |
•
nach § 457 ZPO ist „die Verhandlung ... auf die
Erörterung und den Beweis der Tatsache des letzten Besitzstandes
und der erfolgten Störung zu beschränken, und es sind alle
Erörterungen über das Recht zum Besitze, über Titel, Redlichkeit
und Unredlichkeit des Besitzes* oder über etwaige Entschädigungsansprüche
[dh Schadenersatzansprüche!] auszuschließen.” | |
* Nicht angeführt wird hier die „Echtheit”
des Besitzes, weshalb diese Einrede auch im Besitzstörungsverfahren erhoben
werden kann → Echter
Besitz
| |
•
Und § 454 ZPO bestimmt:
„ ... in welchen das Klagebegehren nur auf den Schutz und
die Wiederherstellung des letzten Besitzstandes [§
49 Z 4 JN spricht vom „letzten tatsächlichen Besitzstand”] gerichtet
ist ...” | |
Alle diese Fragen konzentrieren sich darauf, möglichst rasch
die gestörte faktisch-äußere Ordnung wiederherzustellen, was verlangt,
im Besitzstörungsverfahren auf die Klärung von uU langwierigen und
schwierigen Rechtsfragen zu verzichten. Daher werden
diese erst gar nicht zugelassen. | |
Um die gestörte äußere Ordnung möglichst rasch
wiederherzustellen, verlangt das Gesetz (§ 454 I Satz 1 ZPO) auch,
dass Besitzstörungsklagen „innerhalb 30 Tagen anhängig
zu machen sind, nachdem der Kläger von der Störung Kenntnis erlangte”. | 30
Tage |
| |
Das Besitzstörungsverfahren
wird auch als Possessorium bezeichnet, zum Unterschied
vom Petitorium oder petitorischen Verfahren, womit
das normale streitige Verfahren – der Zivilprozess – gemeint ist,
bei dem es primär um Rechtsfragen geht. – Der im „Possessorium”
Unterlegene kann aber nachträglich (selbstverständlich) immer noch
sein Recht zum Besitz in einem petitorischen Verfahren abklären.
Dasselbe gilt für allfällige Schadenersatzansprüche. | Possessorium
und
Petitorium |
 | |
Nicht ausgeschlossen
wird durch § 457 ZPO (der es untersagt, den in § 339 Satz 2 ABGB erwähnten
Schadenersatz geltend zu machen), dass Naturalrestitution,
also Wiederherstellung des vorigen Besitzstandes /
Zustandes gefordert werden kann; Fasching, Zivilprozeßrecht2 Rz 1647.
Darin steckt aber das Anerkennen von Schadenersatz iSd § 1323 ABGB,
der primär auf Naturalersatz geht. – Insoferne entpuppt sich die
Antinomie nur als eine teilweise. | Wiederherstellung
des vorigen Besitzstandes |
|
GlU 9694 (1883): Störung
im Besitze des Viehtriebs (1): Unzulässigkeit der Einwendung,
dass der Viehtrieb nur gegen Entgelt gestattet wurde (2). – Dieses
Urteil stellt ein schönes Beispiel für die Grenze zwischen Possesorium
und Petitorium dar. Zu (1): Gestört wurde durch den Beklagten Gutspächter
der Rechtsbesitz der Gemeinde A auf Viehtrieb, weil er das Grundstück,
über das das Vieh von „Gemeindeinsassen” getrieben wurde, „eingeackert
und bebaut und den Viehtrieb untersagt hat”. Das Recht des Viehtriebs
ist eine ländliche Grunddienstbarkeit an der Rechtsbesitz bestehen
kann. – Zu (2): Die Einwendung des Beklagten, „dass er den Viehtrieb
nur gegen eine Vergütung von 4 fl [= Gulden] gestattet habe”, musste vor
Gericht gar nicht mehr auf seine Berechtigung geprüft werden, weil
es sich dabei um eine ins Petitorium gehörige Rechtsfrage handelte!
In 2. Instanz hatte das OLG Lemberg entschieden. | |
|
4. Klagebegehren,
Beweislast, Zuständigkeit | |
Das
Klagebegehren (vgl § 226 ZPO) der Besitzstörungsklage geht (so SpR
224) auf: | |
•
Wiederherstellung und Schutz des
widerrechtlich veränderten (tatsächlichen) Zustands und zusätzlich
auf | |
•
Unterlassung weiterer, also
künftiger Störungen. | |
Der Kläger hat im Possessorium seinen
letzten ruhigen Besitz und die (Tatsache!) der erfolgten Besitzstörung
durch den Beklagten zu beweisen. Den Kläger trifft bezüglich dieser
klagsbegründenden Voraussetzungen die Beweislast. | Beweislast |
Sachlich
zuständig für die Einbringung von Besitzstörungsklagen
sind die Bezirksgerichte. – Es besteht kein (absoluter)
Anwaltszwang; dh man braucht weder für die Klagseinbringung, noch
für die Verhandlung einen Rechtsanwalt. | Sachliche Zuständigkeit |
 | |
5. Gefährdung
durch Bauführung oder Einsturz: §§ 340-343 ABGB | |
Auch in diesen Fällen handelt es sich um Besitzstörungen. | |
Klagsberechtigt
nach § 340 ABGB ist „der Besitzer einer unbeweglichen Sache oder
eines dinglichen Rechtes”. Daher auch obligatorisch Berechtigte,
also etwa Mieter oder Pächter, die Rechtsbesitzer sind. – Die Klagsführung
setzt ferner voraus, dass der Besitzer (zB eines Gebäudes oder andern
Werks) „in seinen Rechten gefährdet” wird. Wir haben es hier mit
einer vorbeugenden Besitzstörungsklage zu tun,
die auch während einer Bauführung zulässig ist. Anzuwenden sind diese
Regeln nach § 342 ABGB ebenso auf eine neue Bauführung, wie die
„Niederreißung eines alten Gebäudes, oder andern Werkes”. | Klagslegitimation |
§
343 ABGB dehnt diese Regeln – nach römischrechtlichem Vorbild: cautio
damni infecti – auf den Fall aus, dass dem Besitzer
eines dinglichen Rechts durch einen bereits vorhandenen fremden
Bau oder eine andere fremde Sache ein offenbarer Schaden durch den
Einsturz der Sache droht und gibt ihm das Recht auf Sicherstellung
(nicht auf Beseitigung des gefährlichen Zustands) zu dringen; sog Kautionsklage /
Verfahren wegen Sicherstellung. | |
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JBl 1999, 655: Die Kläger brachten
vor, sechs Bäume der Nachbarliegenschaft seien
faul und stellten eine latente Gefahr für das Haus der Kläger dar.
Die Kläger begehrten daher die Bestellung eines Sicherungspfandrechts
im Höchstbetrag von 450.000 S. – Vgl dazu das um Analogie erweiterte
Verständnis des § 1319 ABGB → KAPITEL 10: Haftung
für Bauwerke: § 1319 ABGB:
EvBl 1987/192. | |
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Zur analogen Anwendung des § 1319 ABGB auf Bäume → KAPITEL 11: Rspr-Beispiele
für
Gesetzesanalogie.
Auf Grund dieser Judikatur des OGH sollte es keine Probleme geben,
§ 343 ABGB ebenfalls analog auf gefährliche Bäume anzuwenden und Sicherstellung
zu gewähren. Der Beseitigungsanspruch kann iVm § 1319 ABGB gewährt
werden. | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Darlehen
und Kredit |
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