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"Die offene Wunde" - Zum Geheimnis des Herzens Jesu
(Universitätspredigt in der Reihe "Herz-Jesu-Predigten")

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Bei der Eucharistiefeier um 11 Uhr am 29. Mai 2005 in der Jesuitenkirche
Datum:2005-06-02

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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“Aus seiner geöffneten Seite strömen Blut und Wasser. Aus seinem durchbohrten Herzen entspringen die Sakramente der Kirche” - auf diese Weise besingt der liturgische Hochgesang der Präfation das Geheimnis des Herzens Jesu. Die Liturgie legt also die These nahe, dass es sich bei diesem Geheimnis um den Übergang handelt, den Übergang vom Tod zum Leben, einen Übergang aber, der von Gewalt geprägt ist! Die Liturgie legt den Gedanken nahe, dass Milliarden von Menschen ihr Leben haben: Ja, dass ihnen das göttliche Leben zukommt, weil dieses Herz durchbohrt wurde. Die Klarheit des Bekenntnisses zu diesem: ”Dass es so ist”, diese Klarheit geht verloren, sie wird schwammig beim: Wie? Wie ist das denkbar? Wie ist das möglich?

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Ist das Geheimnis des Herzens Jesu analog denkbar zum Geheimnis der Selbstmordattentäter der Gegenwart? Damit ihre Landsleute und Glaubensgenossen leben können und eine Zukunft haben, töten sie. Sie metzeln ihre Feinde nieder und sie zerreißen ihre eigenen Leiber in Stücke, verwandeln ihren ganzen Körper in eine einzige offene Wunde. Der in Stücke zerrissene Leib: als Inbegriff der Anklage und des Hasses! Kann es noch ein stärkeres Symbol geben? Dem Feind wird dabei nicht nur ins Gesicht geschleudert: “Nichts ist mir zu teuer, wenn es darum geht euch zu besiegen - unser eigenes Leben schon gar nicht”. Diese Anklage wird dem Feind nicht nur ins Gesicht geschleudert, er wird mitten ins Herz getroffen, durch den grenzenlosen Hass des Gegners.

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Liebe Schwestern und Brüder! Im Geschick des Selbstmordattentäters verdichtet sich die archaische Logik der Menschheit, eine Logik, die man auf die Kurzformel bringen kann: Durch Gewalt zum Leben. Wir alle erstarren, wenn wir auf diese Selbstmordattentäter blicken. Wir erstarren vor dem Bild einer Selbstmordattentäterin, die sich mit Sprengstoff umgürtet, ihren Leib mit Gewalt schwanger werden lässt, um Menschen zu töten, gar Kinder in die Luft zu sprengen. Wir erstarren vor der Klarheit dieser Destruktivität, übersehen aber geflissentlich deren Spuren in unserem eigenen Alltag. Etwa dort, wo wir Firmen zerschlagen und Tausende von Mitarbeiter ihre Arbeit verlieren, damit andere größere Gewinne machen können und - so die trügerische Hoffnung - uns das Leben in Fülle zukommt. Wir übersehen die Spuren der Destruktivität - etwa dann -, wenn Beziehungen gewaltsam beendet werden, damit neue Beziehungen Fuß fassen können. Wenn also Opfer auf der Strecke bleiben: ihr Herz voll Enttäuschung und auch voll Hass. Wir erstarren, wenn Scheidungsväter ihre Kinder und sich selbst umbringen, weil sie mit dem Bruch nicht zu recht kommen und stufen das Verhalten ins Pathologische ein. Genauso wie wir die Selbstmordattentäter dem Pathologischen zuordnen und uns nur höchstens fragen, ob es noch ein stärkeres Symbol geben kann, als das Bild der mit Sprengstoff umgürteten Selbstmordattentäter? Wir erstarren, bemühen das Pathologische, weil wir im Grunde alle wissen, dass niemand von uns vor Verführung durch Gewalt und Hass gewappnet ist. Dass also niemand von uns von sich selbst sagen kann: “Mir wird das sicher nicht passieren, dass ich meinem Gegner mit dem Hintergrundsgedanken begegne: Nichts ist mir zu teuer, wenn es darum geht, dich zugrunde zu richten. Mein eigenes Leben schon gar nicht!” Weil niemand von uns vor dieser Verführung gewappnet ist, übersehen wir diese Logik bei anderen, pathologisieren diese, erschrecken vor der Aussagekraft des Symbols der in Stücke gerissenen Leiber. Unsere Medien können sich ja nicht sattsehen an diesen Bildern. Sie tun auch alles, um andere Symbole u banalisieren.

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Denn, so überraschend und für viele Zeitgenossen auch nichtssagend die These auch klingen mag: Das Symbol des Herzens Jesu ist stärker. Das Symbol der offenen Wunde an diesem einem ganz konkreten Leib ist das stärkste Symbol, das der Menschheit je zuteil wurde. Ich möchte diese These mit Hilfe eines Bildes verdeutlichen. Ich habe ein eigenartiges Bild des Herzens Jesu mitgebracht. Das Bild gehörte einem verstorbenen Freund von mir, dem Pfarrer Erwin Corazza. Es wurde in den 50-er Jahren des letzten Jahrhunderts von seinem Bruder, der auch Priester der Diözese Innsbruck war, gemalt. Dieses Bild inspirierte mich auch zu dieser Predigt.

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Das Bild ist ganz anders, als das vertraute Bild des Herzens Jesu. Der tote Sohn liegt auf dem Schoß seiner Mutter, seine Brust verletzt und offen. Natürlich ist unsere Aufmerksamkeit zuerst auf die Mutter gerichtet. Eine Mutter, die ganz anders ist, als die vielen Mütter der Selbstmordattentäterinnen. Im Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit schreien diese ihren Hass der medialen Welt ins Gesicht, werden politisch gebraucht und missbraucht: Auch sie bloß Rädchen in der Maschinerie des Hasses und der Kultur des Todes. Stumm schreit diese eine Mutter zu all den Betrachtern: “Ihr alle, die ihr des Weges zieht, schaut her, ob ein Schmerz ist wie mein Schmerz.” Dieser ihr Schmerz hat aber einen eindeutigen Fokus: Das ist die offene Wunde. Der Verweis auf diese Wunde hat aber nichts von einem Anklagegestus in sich. Das ist nicht der fleischgewordene Hass einer Frau, die deswegen schwanger wurde, mit Gewalt schwanger wird, um zu töten. Die leidende Mutter und der tote Sohn stellen hier auch im Scheitern den Inbegriff einer liebenden Beziehung dar. Das Bild sagt nur eines: Auch in diesem Bruch ist noch das Leben drin und das Geheimnis des Lebens.

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“Natürlich!” So werden die Zeitgenossen sagen. Natürlich ist in diesem Bruch das Leben drin, weil die Mutter die Beziehung aufrecht erhält. Wer von uns kennt das nicht? Am Tiefpunkt der Trauer und der Depression angelangt, in einem anderen, wenn auch schon toten Menschen vergraben, möchte der Mensch seine Umarmung nicht lösen, möchte in alle Ewigkeit so vereint bleiben. Auch hier haben wir erschütternde Zeugnisse von Menschen, die jahrelang an der Seite ihrer verstorbenen Ehepartner leben, weil sie sich weigern, den Tod zur Kenntnis zu nehmen und im Bruch des Sterbens selber das Leben aufrecht erhalten wollen. Nichts davon finden wir in unserem Bild.

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In unserem Bild ist zwar Trauer da, im Bild ist aber auch jenes Leben da, das nicht auf den Lebenswillen der Mutter reduziert werden kann. Der Zeigegestus ihrer Hand auf der Wunde, der ja kein Anklagegestus ist, scheint dies zu künden. Diese offene Wunde sagt etwas anderes aus, als die offenen Wunden des Hasses und der Destruktivität. Die offene Wunde weist auf das offene Geheimnis Christi hin. Er starb ja. Er starb den Gewalttod. Er starb sogar mit dem offenen Schrei nach Gott. Er starb und seine Brust wurde aufgeschlitzt, auf dass das letzte Geheimnis offen gelegt wird und dieses heißt: An diesem einen Menschen hat es nichts oder gar nichts gegeben, was nicht auf Beziehung, was nicht auf heilende Beziehung, was nicht auf das Leben ausgerichtet war und ist. Ihren toten Sohn auf ihrem Schoß bergend, legt die Mutter durch die stumme Geste ein Bekenntnis ab: “Auch meine Beziehung zu ihm wird von der Kraft seines Herzens getragen!” Die Kraft seines Herzens, die jetzt meine Beziehung zu ihm trägt, diese Kraft - das sagt die Mutter - das ist exakt das Gegenteil jenes Hasses, in dem sich Menschen trennen, wenn Opfer auf der Strecke bleiben. Es ist genau das Gegenteil jenes Wunsches nach Rache und Vergeltung, der die Sackgassen des Lebens provoziert. Die Kraft seines Herzens, das ist die Kraft zur liebenden Versöhnung durch alle Grenzen, alle Brüche, alle Sackgassen hindurch.

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Karl Rahner hat das Geheimnis der Kraft dieses einen Herzens, die Kraft der offenen Wunde auf eine kaum zu überbietende Formel gebracht: Sein Herz wurde deswegen offen gelegt, auf dass alle, die dieses Herz gläubig anschauen, wissen: Dieses Herz hat alle geliebt, ja es liebt alle, selbst diejenigen, die es ablehnen, sich lieben zu lassen. Deswegen auch sich in sich selber verkrümmen, zu verschlossenen Fäusten werden, die nicht mehr kommunizieren können, sondern nur schlagen.

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Die erste, die dies begriffen hat, ist die Mutter. Sie steht auf dem Bild stellvertretend für alle natürlichen Bindungen, familiäre Beziehungen, kulturelle Traditionen, auch politische und gesellschaftliche Bande. Sogar jene Bande, die gerade mit Gewalt errichtet werden. Mit ihrer Geste sagt sie: Die heilende Kraft dieses Herzens ist größer als aller menschliche Wille Beziehungen zu knüpfen, Beziehungen aufrecht zu erhalten, auch größer als alle Gewalt, die Bande unter Menschen errichtet, indem sie andere zerstört. Die heilende Kraft dieses Herzens kommt allem menschlichen Tun voran, weil diese Kraft von der göttlichen Liebe selbst getragen wird. Der Liebe des göttlichen Liebhabers des Lebens. Was soll das heißen?

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In alle Ewigkeit öffnen sich die göttlichen Personen aufeinander. Umarmung ist gerade deswegen eine zutiefst menschliche Geste, weil sie die Geste Gottes ist. Beziehung ist deswegen eine menschliche Angelegenheit, weil sie zuerst die Angelegenheit Gottes ist. Diese Kraft göttlicher Beziehung gewinnt Gestalt in diesem einen Menschen, Jesus von Nazareth. Gott selber steigt ja herab, öffnet sich auf alle in seiner Passion, gar auf alle die ihn ablehnen und töten. Auf alle, die es ablehnen, sich lieben zu lassen. Die offene Wunde zeigt an: Auch diese Menschen werden von ihm geliebt und getragen. Auch in ihren Brüchen kommt ihnen das Leben, das göttliche Leben zu. Nicht kraft ihrer Gewalt, sondern einzig und allein kraft der Zuwendung des göttlichen Lebensliebhabers. Deswegen gilt ja: Alle, die dieses Herz gläubig anschauen wissen, dieses Herz hat alle geliebt. Ja, es liebt alle, selbst diejenigen, die es ablehnen, sich lieben zu lassen. Das Herz Jesu-Symbol, diese offene Wunde, diese eine konkrete offene Wunde, ist deswegen auch das stärkste Symbol, das der Menschheit je widerfahren ist. Als Antwort durch die Sackgassen der Gewalt des Hasses und des Todes. Dieses Symbol wirkt. Es wirkt selbst dann, wenn wir es nicht wahrnehmen. Gott selber bürgt für die heilende Kraft dieser offenen Wunde.

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