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Wie wird kirchliche Bildung marktgerecht oder: Welche Bildung macht den Mark gerecht?
(Communiotheologische Überlegungen zum kirchlichen Bildungsgeschehens)

Autor:Scharer Matthias
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Im Rahmen des Forschungsprogrammes zur Communio Theologie, das der Dogmatiker Bernd Jochen Hilberath an der Katholisch Theologischen Fakultt Tbingen initiiert hatte, arbeiteten TheologInnen mit Sozial- und WirtschaftswissenschaftlerInnen eng zusammen. Als ein Ergebnis der Forschungskooperation erschien die Quaestio disputatae 176 zur Frage des Communioverstndnisses als "Ideal oder Zerrbild von Kommunikation". Der Beitrag aus diesem Buch versucht die Marktlogik mit der Bildungslogik auf dem Hintergrund eines von der Themenzentrierten Interaktion nach R. C. Cohn inspirierten Kommunikationsverstndnisses kritisch zu verbinden.
Publiziert in:In: Hilberath, Bernd Jochen (Hg.), Communio - Ideal oder Zerrbild von Kommunikation? (= Qaestiones Disputatae 176) Freiburg 1999, 235 - 242.
Datum:2004-07-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Vorbemerkung zum Titel (1)

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 Moderne Verlockungen

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Für die Ohren von Verantwortlichen in der kirchlichen Erwachsenenbildung mag es auf den ersten Blick verlockend klingen wenn durch neue Trends in der Wirtschaft wie sie Prof. Dr. F.X. Bea beim Symposion „Kommunikation - Kompetenz - Kooperation“ offengelegt hat, dem Abbau von Hierarchien und der Kommunikationsförderung in der Wirtschaft zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Eine neue Menschlichkeit scheint in die Betriebe einzuziehen, deren Realisierung kirchlichen Bildungsangeboten einen neuen Markt verspricht. Vielleicht gewinnen damit in der Gesellschaft jene neuen „Tugenden“ an Boden, welchen auch kirchlicherseits nach einer anthropologisch gewendeten Theologie und speziell aus der Perspektive einer Communiotheologie das Interesse gilt: Zwischenmenschliche Kommunikation, Kooperation auf den verschiedensten Ebenen, Organisationsentwicklung, Kollegialität, Geschwisterlichkeit und eine „verträgliche“ Demokratisierung der Entscheidungen?

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Ähnlich chancenreich wie das neue Profil innerbetrieblicher Kommunikation scheint der Einsatz moderner Kommunikationstechnologien in der Form neuer Medien zu sein; garantiert er doch erstmals eine weltweite Vernetzung der Menschen, einen schier unbegrenzten Informationsaustausch und grenzenlose Kommunikationsmöglichkeiten. Brechen damit nicht jene Kommunikationsschranken zusammen, welche unterschiedliche Nationalitäten, Kulturen und Religionen getrennt und Interkulturalität und Interreligiosität behindert haben? Einer solchen Logik könnten sich kirchliche Bildungseinrichtungen als „Non - profit Unternehmen“ verschreiben, denen es nicht in erster Linie um die „hard facts“ wie Gewinnmaximierung u.ä. geht, sondern die es mit den „soft facts“ menschlicher Kommunikation im umfassenden Sinn zu tun haben. Kirchliche Bildung wird dem modernen Kommunikationsmarkt gerecht. Ist eine solche Bildungslogik kirchlichem Handeln angemessen? Wie kann sie überprüft und kritisch verändert werden?

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Hält man sich die Kriterien des modernen, neoliberalen Bildungsmarktes vor Augen, der auf Zielorientierung, Effektivitätssteigerung, Evaluierbarkeit u.ä. ausgerichtet ist, dann ist das System in sich stimmig: Einerseits kann die Kirche über ihre Bildungsangebote in wichtige gesellschaftliche Bereiche wie die Wirtschaft hineinwirken und durch ihr „Kow-how“, das auf die Wahrnehmung „leiser“ gesellschaftlicher Signale und „sanfter“ Kommunikation spezialisiert ist zur Humanisierung beitragen; anderseits kann die Übernahme moderner medialer Kommunikationstechnologien zu einer effektiven, grenzenlosen Verbreitung christlich-kirchlicher Glaubensinhalte führen. So wäscht eine Hand die andere.

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 Ein wunderbarer Tausch?

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Wie entkommt man einer solch plausiblen Logik kirchlichen Bildungsgeschehens oder soll man ihr überhaupt entkommen? Maßgebliche kirchliche Kreise scheinen diesen „wunderbaren Tausch“ zwischen Kirche und Welt zu begrüßen. So ist es aus theologischer Perspektive erstaunlich mit welcher Gutgläubigkeit nicht zuletzt traditionalistisch orientierte Kirchenkreise auf den „Daten-Highway“ aufzuspringen versuchen, um dort Glaubensinformationen unterzubringen und weltweit zu verbreiten. Es scheint die Zeit gekommen, in der die „hard facts“ der Mission und Volkskirche den Erfolg nicht mehr garantieren. Sollten in der Glaubensvermittlung nicht alle „soft facts“ der Kommunikationstechniken eingesetzt werden? Hätten nicht gerade sie den Vorteil, im Hinblick auf das Christentum stimmiger zu sein, als die alten Missionierungsmethoden und volkskirchlichen Praktiken der Glaubensweitergabe?

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Das traditionelle kirchliche Bewußtsein dafür, dass nicht jeder Glaubensinhalt, zu jeder Zeit, von jedem Menschen abrufbar sein kann, sondern des Intimraumes menschlicher Begegnung in definierbaren Beziehungen von Familie, Gruppe oder Gemeinde bedarf, jenes Bewußtsein, das vor allem am Anfang die kirchliche Glaubenserschließung geleitet hat (2) , scheint immer mehr zu schwinden; ja man kann fragen ob nicht die Kirchen durch ihre Massenkommunikation schon heute einer postmodernen beliebigen Glaubensrezeption Vorschub leisten. Aber kann sich die medial möglichst perfekte Glaubensvermittlung und Glaubensverbreitung nicht tatsächlich auf eine lange kirchliche Tradition berufen, welche zumindest von der reformatorischen und gegenreformatorischen Katechismusbewegung bis zu jenen KirchenvertreterInnen und TheologInnen reicht, welche die authentische Glaubenserschließung ausschließlich den dogmatisch richtig formulierten Glaubensinhalten zutrauen und daher deren unbegrenzte Verbreitung mit welchen Mitteln und in welchen Formen auch immer begrüßen? (3)

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Auch die „weiche“, kommunikative und kooperative Welle in der Wirtschaft ist theologisch verführerisch: Eröffnet sie nicht sogar neue Berufschancen für TheologInnen, die diesen Trend für sich nutzbar machen und humanisierend in gesellschaftliche Bereiche hineinwirken könnten, die der Kirche und Theologie in der Regel unzugänglich bleiben? Und könnte nicht auch das Bildungsmanagement in den Kirchen von solchen Entwicklungen profitieren?

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 Communiotheologie als kritische Hermeneutik des Kommunikationsgeschehens

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Die anstehenden Fragen können mit der herkömmlichen Konzentration der Theologie auf die begriffliche Wahrheit des Glaubens nicht gelöst werden. Es bedarf einer kritischen anthropologisch-theologischen Hermeneutik des Kommunikationsgeschehens unter inhaltlichen und formalen Aspekten, die nicht voneinander zu trennen sind. In einer offenen Gesellschaft können sich TheologInnen nicht in ihre Studierstube zurückziehen und allein der inhaltlichen Reflexion des Glaubens widmen. Ihr Auftrag ist es, das in kritischer Korrelation jüdisch- christlicher und kirchlicher Tradition mit den heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen gewonnene Denk- und Handlungspotential u.a. als Entscheidungshilfe in konkreten Bildungsfragen allen Menschen zur Verfügung zu stellen. Etwas vereinfacht gesagt geht es im Verhältnis von Theologie bzw. Kirche und Gesellschaft um den Unterschied zwischen einem Wirtschaftsunternehmen, dem in seinem Management hochqualifiziertes Personal für strategische Planungen und Entscheidungen zur Verfügung steht und einer Kirche, die durch ihre auf die jüdisch-christlichen Urkunden und die kirchliche Tradition verwiesene Theologie die Logik strategischer Plausibilitäten zu durchbrechen und damit einer traditionsvergessenen Gesellschaft heilend-befreiende Impulse für alle Menschen, nicht nur für die ChristInnen, anzubieten vermag. Das bedeutet auf unser Problem bezogen:

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- Bedenken die TheologInnen und kirchlichen BildungsexpertInnen die Auswirkungen der neuen technologischen Kommunikationsmittel auf die Beziehungsqualität christlicher Botschaft und stellen sie die Beliebigkeit des Zugriffs genügend in Rechnung?

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- Ist christlicher Glaube in einem Kommunikationssystem kommunizierbar, das scheinbar keine Grenzen kennt, in das zu jeder Zeit jede Information eingespeist werden kann, zu dem jede/r zugelassen ist, das aber letztlich unverbindlich bleibt und aus dem sich jede/r ohne Folgen zurückziehen kann?; einer Kommunikation, welche trotz der Fülle transportierbarer Informationen letztlich begegnungsleer bleibt.

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- Lassen sich Kirchen durch den scheinbar „guten“ Zweck der Glaubensverbreitung zu einer unkritischen Wahl der Kommunikationsmittel verführen?

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- Übersehen TheologInnen möglicherweise die tatsächlichen wirtschaftlich- und gesellschaftlich geltenden „Weltanschauungen“, wenn sie sich mit ihrer Sensibilität in gesellschaftlichen Fragen dem kommerziellen Kommunikationsmarkt anbieten und auf Humanisierung innerhalb eines auf Effektivität, Gewinnmaximierung, Wachstumssteigerung u.ä. ausgerichteten Marktes hoffen?

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Auf diesem Hintergrund ist nach den „impliziten Theologien“ (4) zu fragen, welche die jeweilige kirchliche Bildungslogik bestimmen.

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Kommunizieren ChristInnen anders? Communiopraxis - eine Gottesanalogie? (5)

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„Wie immer man es auch versuchen mag,“ der Mensch kann „nicht nicht kommunizieren“ (6) ,

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behauptet bekanntlich der Sozialpsychologe P. Watzlawick in seinem ersten Axiom zur menschlichen Kommunikation; dies entspricht auch unserer alltäglichen Erfahrung. Tatsächlich ist jeder Mensch ein vom Beginn des Lebens an auf Kommunikation hin angelegtes und von gelingender „face to face“ Kommunikation zutiefst abhängiges Wesen; dies auch dann noch, wenn sie/er in der Abgeschiedenheit eines kontemplativen Ordens leben und die verbale Kommunikation mit Menschen auf ein Minimum einschränken würde. Gerade ein solch religiöser Kontext erweitert den Kommunikationsbegriff; denn die nonverbale Kommunikation untereinander und die Kommunikation im und mit dem geheimnisvoll verborgenen und dem Menschen dennoch unendlich nahen Du, die wir Beten nennen, wird vermutlich auch das Personsein dieses Menschen bestimmen. Menschliche Kommunikation ist für uns so entscheidend, dass frühe Kommunikationsstörungen oder -verweigerungen zu schweren seelischen und körperlichen Schädigungen, ja zum Tod von Menschen führen können. (7)

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Theologisch gesprochen ist Kommunikation elementarer Ausdruck menschlicher Geschöpflichkeit und als solche grundsätzlich gegeben und nicht gemacht. Sie ist Gabe Gottes, des tiefsten Geheimnisses der Liebe und des Lebens; Gabe des einen Gottes, den ChristInnen als den dreieinen, beziehungsreichen Gott bekennen, den Vater, den Sohn und den Hl. Geist. Kirche ist, so sehr ihr Wesen auch verstellt sein mag, weil sie nicht nur heilige sondern auch sündige Kirche ist, als koinonia/communio, Ikone des trinitarischen Gottes? (8) Die Frage an die „impliziten Logiken“ kirchlichen Bildungshandelns ist also wie und woran man in der modernen Kommunikation erkennen kann, ob das beziehungsreiche „Wir Gottes“ im Spiel ist? Theologisch ist noch genauer zu klären, welches „Wir“ gemeint ist, wenn wir marktgerechte Bildung von Communio-orientierter Bildung unterscheiden wollen; von letzterer nehmen wir an, daß nicht die „Marktgerechtheit“, sondern die liebende „Gerechtigkeit“ des Evangeliums im Mittelpunkt steht:

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- Ist es das auf Effizienz ausgerichtete Wir einer kooperativ geführten Managergruppe in der Wirtschaft oder im Bildungsbereich, die möglichst produktiv arbeitet?

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- Ist es das in schier unendlicher Wahlmöglichkeit sich ständig neu konstituierende und wieder verändernde Wir einer Internetkonferenz?

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 - Ist es das Wir einer interaktionslos vor sich hin singenden und -betenden Eucharistiegemeinde?

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- Ist es das verbindliche Wir einer Solidaritätsgruppe, die sich den Einsatz für Fremde zum Ziel gesetzt hat?

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 - Ist es das Wir einer Jugendgruppe, die gerade ein Umweltprojekt plant?

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 - Ist es das Wir .....?

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 Im (kritischen) Wechselspiel von Communiotheologie und - Praxis: dem „Wir“ aufhelfen

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Besinnen wir uns auf die Frage, von woher und warum ChristInnen von der Communio - dem Sakrament des „Wir Gottes in der Welt“ sprechen. Nicht weil sie es herstellen, machen, produzieren, managen müssen, sondern weil es ihnen im einen und dreieinigen Gott geschenkt ist. Die ganze Kirche, nicht das Amt oder das Pastoralmanagement für sich, ist Sakrament des allen Menschen geschenkten Wir Gottes. Was heißt das für die Kommunikation im kirchlichen Bildungsbereich?

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Das Vertrauen auf das geschenkte Wir befreit zunächst vom Druck, es durch effizienten methodisch-didaktischen Einsatz herstellen zu müssen, unter dem viele Bildungsinitiativen leiden. Wenn der Erfolgsdruck geringer ist, wird mehr Aufmerksamkeit frei für das, was zunächst ohne besondere Absicht alltäglich geschieht.

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 Das integrierende Wir

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Im Schicksal Jesu, der ganz und gar aus dem über alle Zeiten hinweg Kommunikation stiftenden Geist lebend, letztendlich isoliert, zum Sündenbock für alles und alle - auch für uns weltweit vernetzte, scheinbar zu grenzenloser Kommunikation fähigen Menschen - geworden, wird Gottes grenzenlose Liebe zum Leben jedes Ausgegrenzten, noch durch den Tod hindurch offenbar. Sie zeigt sich darin, dass der geheimnisvoll verborgene Gott den nach menschlichem Ermessen von ihm Geschlagenen (vgl. Jes 53,4b) rettet, ja zum Retter für die Vielen macht. Der sein Leben lang in einer Weise Menschen begegnet ist, daß er das geknickte Rohr nicht zerbrochen und den glimmenden Docht nicht ausgelöscht hat (vgl. Jes 42,3), wird nicht nur zum Leitbild christlicher Kommunikation, er ist deren elementarster Inhalt; er, der die Marginalisierten in die Tischgemeinschaft hereingeholt hat und sie bis heute hereinholt, so kirchliche Ausgrenzungen das nicht verhindern. Wenn Menschen, ohne auszugrenzen, miteinander kommunizieren geht es auch dann schon um den Glauben, wenn Glaubensinhalte nicht ausdrücklich angesprochen werden, sondern die Wir Dimension Gottes als Liebe, Solidarität und Gerechtigkeit ins Spiel kommt.

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 Leiten und Kommunizieren angesichts der Opfer

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Wenn eine, in der kommunikativen Geschöpflichkeit und Gottebenbildlichkeit begründete, jesuanisch inspirierte, Geistbewegte Communiopraxis heutige Kommunikationsprozesse beseelen soll, dann ist die Aufmerksamkeit im modernen „Markt“ zunächst nicht auf den schnellen Erfolg und die willkommenen AdressatInnen, sondern auf die Opfer zu richten. Ich zeige es an denen, denen man die Marginalisierung am wenigsten zuschreiben würde, den Erwachsenen.

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Die Not der Erwachsenen im Bildungsbereich zeigt sich zunächst in den Lernverweigerungen. Was hindert Erwachsene am Lernen? Mit dieser Frage richtet sich das Bildungsinteresse nicht mehr primär an die wenigen kirchlich Engagierten, die aus Interesse oder Pflichtbewußtsein die Statistiken kirchlicher Erwachsenenbildungseinrichtungen auffüllen, sondern an jene, deren Lernfähigkeit und Lernwilligkeit grundsätzlich beschnitten wurde. Kirchliche Bildung hat nach den biografischen und systemischen Ursachen zu fragen, die Menschen mundtot und scheinbar bildungsunfähig machen. Nach E. Lange seien für das Stagnieren der Lernfähigkeit Erwachsener nicht nur konstitutionelle und entwicklungspsychologische Gründe maßgebend. Zu den Ursachen gehört "... der unbewältigte oder verschleierte, der in einem seelischen oder gesellschaftlichen Gewaltverhältnis unterdrückte Konflikt. ... Wo Menschen im Konflikt lernunfähig geworden sind, gelingt die Wiederherstellung ihrer intellektuellen, affektiven und sozialen Kräfte, ihrer Chance menschlichen Wachstums nur so, dass der unterdrückte Konflikt und seine Folgen thematisiert und zum eigentlichen Lernfeld gemacht werden. Eingeschüchterte Menschen lernen nur im Konflikt und am Konflikt. Das gilt vor allem für die, die scheinbar 'ausgelernt' haben: die Erwachsenen." (9) Speziell im Hinblick auf die oben genannten Entwicklungen in der Wirtschaft und die neuen Kommunikationsmedien ist zu fragen, ob die Kirchen neue Trends, vor allem die Ausweitung der Bildungsklassengesellschaft verfestigen, indem sie die Privilegien der Lernfähigen und Lernwilligen vermehren, oder bemüht sind, dem Vorgang der Entmächtigung durch eine Bildung, die bestimmte Menschen von vorneherein ausschließt, entgegenzusteuern.

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E. Lange meint, dass sich speziell in den Kirchen Heranwachsende in der Identitätskrise, alte Menschen, solche, deren Kontakt- oder Berufsfähigkeit beschädigt ist, finden; unter ihnen sind die Frauen nochmals in der Überzahl. Auch sogenannte Asoziale, Vorbestrafte und sexuell Abnorme könnten in den Kirchen beheimatet werden. E. Lange nennt auch die vielen Kleinbürger, die ihren Ängsten mit religiöser Legitimation Herr zu werden suchten. Die Religion selber sei ein Konfliktfeld, in dem Einschüchterung und Angst, Übermacht und Unterwerfung im Spiel seien und lernunfähig machten.

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 Dem konflikthaften „Wir“ eine Chance geben

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Die religionspädagogische Herausforderung an ein Communio Projekt betrifft die Theorie und Praxis kommunikativen Handelns in den unterschiedlichen Bildungsbereichen. Wie können die Handelnden dem konflikthaften Wir eine Chance geben und so leiten und kommunizieren, dass niemand ausgegrenzt, Intersubjektivität im Sinne von symbolischen Interaktionen zwischen den Generationen, ja zwischen Kulturen möglich wird und die TeilnehmerInnen erahnen können, dass dies alles nicht zu managen ist. Wo und wie üben sie sich in einem communiopraktischen Handeln, das Rivalitäten, Konflikte und Störungen nicht tabuisiert und Bildungsvorgänge nicht isoliert vom kirchlichen und gesellschaftlichen Kontext ablaufen lässt?

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Je marktgerechter das Wirtschafts- und Bildungsgeschehen läuft, umso dringlicher werden die Fragen nach der Gerechtigkeit für alle. Gegenwärtig steht auch im kirchlichen Bildungsbereich zur Debatte, inwiefern und inwieweit die marktwirtschaftlich orientierte Logik des Managements, die eine effektive, an den Bedürfnissen bzw. an den (produzierten?) Nachfragen orientierte kirchliche Bildungsarbeit verspricht, communiotheologisch einzuholen, zu kritisieren oder zu stimulieren ist. Auch die Beschleunigungsprozesse in Richtung einer effektiveren Kommunikation (neue Kommunikations“techniken“, virtuelle Kommunikationsmittel) fordern die kirchliche Bildungsarbeit heraus.

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Anmerkungen:  

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 1. Mit einem Wortspiel überraschte die Begründerin der Themenzentrierten Interaktion (TZI) die TeilnehmerInnen am internationalen Graduiertentreffen an dem darüber diskutiert werden sollte, ob dieser kommunikative Ansatz „marktgerecht“ sei. „Meine Frage“ - sagte R. Cohn - „ist nicht, ob TZI marktgerecht ist, ich frage mich: Wie wird der Markt gerecht“. Ich fuhr mit dem Eindruck dieser Begegnung vom Graduiertentreffen zur Tagung über die Communio-Ekklesiologie.

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2. Vgl. Paul, Eugen, Geschichte der christlichen Erziehung. Band 1: Antike und Mittelalter, Freiburg u.a.O. 1993.

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3. Vgl. u.a. Ratzinger, Joseph Kardinal, Die Krise der Katechese und ihre Überwindung. Rede in Frankreich, Einsiedeln 1983.

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4. Vgl. die Ausführungen zur „implizite Theologie“ in: Hilberath, Bernd Jochen/Scharer, Matthias, Firmung – wider den feierlichen Kirchenaustritt. Theologisch-praktische Orientierungshilfen, Mainz 1998, 86-131.

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5. Vgl. Scharer, Matthias, Kommunikation managen – Communio praktizieren. Leiten und Kommunizieren in Schule und Gemeinde als theologische Herausforderung, in: RPB 39 (1997), 43-64.

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6. Watzlawick, P., Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen, Paradoxien, Bern (1969) 81990, 51.

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7. Vgl. u.a. Spitz, Rene A., Vom Säugling zum Kleinkind. Naturgeschichte der Mutter- Kind- beziehung im ersten Lebensjahr, deutsch: Stuttgart 91989. Erikson, Erik H., Kindheit und Gesellschaft, deutsch: Stuttgart 1987.

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8. „So wie in der Trinität die Dreiheit der Person die Einheit der Natur weder aufhebt noch erst hervorbringt, sondern vielmehr deren konkrete Daseinsweise ist, so daß die eine göttliche Natur nur in Relation zwischen Vater, Sohn und Geist existiert, so gilt analog von der Kirche, daß sie nur in und aus den Ortskirchen existiert. (...) Die Kirche ist gerade als communio Ikone der Trinität.“ (Außerordentliche Römische Bischofssynode 1985)

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9. Lange, Ernst, Sprachschule für die Freiheit. Bildung als Problem und Funktion der Kirche, München 1980, 123.

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