Kapitel 11 | |
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A. Kleine Methodenlehre |
C. Auslegung von
Gesetzen und Rechtsgeschäften |
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1. Rechtsanwendung:
Herzstück der Jurisprudenz | |
Die Frage, die wir idF klären
wollen, ist die, wie in der Rechtspraxis eine verbindliche Entscheidung
– zB ein Urteil – zustande kommt, welche Schritte dazu notwendig
und wie diese Schritte beschaffen sind. – Wir beginnen mit einem
praktischen Fall und gewinnen dabei einen ersten Eindruck (I), um
schließlich das, was in dieser Entscheidung gemacht wurde, zu reflektieren. | |
Die Rechtsanwendung ist das Herzstück
der Jurisprudenz, ihr Verständnis daher von größter Bedeutung.
Im Rahmen der Rechtsanwendung ist es oft nötig, Gesetze oder Verträge
/ Rechtsgeschäfte auszulegen. Darin liegt eine wichtige juristische
Aufgabe. | |
Für Lehrende und Lernende ist zu bedenken,
dass die Rechtsanwendung keine einfache Sache ist und neben Wissen auch
Übung und Erfahrung benötigt. Die folgenden Ausführungen sollen
dabei eine erste Hilfestellung sein. | |
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Die
folgenden Ausführungen bieten Gelegenheit, kurz auf die Frage von
„Sein” und „Sollen” einzugehen, zwei Bereiche der menschlichen Erfahrungswelt,
die sich in der Rechtsanwendung berühren, aber zu unterscheiden
sind. Der (österreichische) Rechtspositivismus hat in dieser Frage wichtige
Klärungen getroffen. | |
Wir
begegnen idF (Lehre vom
Rechtssatz und Rechtsanwendung und Subsumtion) Begriffen – nämlich
Tatbestand, Rechtsfolge und Sachverhalt –, die rechtslogisch verschiedenen
kategorialen Ebenen angehören, was deutlich gemacht werden soll:
Sein(s-) und Sollen(sbereich) sind zwar auseinanderzuhalten, wenngleich
aus methodischem Purismusstreben nicht übersehen werden soll, daß
Übergänge bestehen. – Der Sachverhalt entstammt dem Seinsbereich,
soll aber idF rechtlich beurteilt werden; Tatbestand und Rechtsfolge
dagegen gehören dem Sollensbereich an, sind aber (im Rahmen der
konkreten Rechtsanwendung) wiederum darauf gerichtet, (erneut) einen bestimmten
Seinszustand – und zwar idR einen anderen als den vor dem Verfahren!
– (wieder)herzustellen. Nötigenfalls durch staatlichen Zwang → KAPITEL 1: Frieden
und Ordnung als Rechtsfunktionen. | Zusammenwirken von Seins- und Sollensbereich |
Es stellt eine Schwäche der „Reinen Rechtslehre” dar, nicht
gesehen zu haben, dass es im Rechtsdenken zwischen dem Seins-
und Sollens-Bereich zahlreiche
Übergänge und Wechselbeziehungen gibt, geben muss. Das beginnt bei
Kelsens Grundnorm und reicht bis zum hier erwähnten Umschlagen der
Sollens- in die Seins-Ordnung (als Ziel rechtlicher Verfahren). | |
Zur
Unterscheidung von Seins- und Sollensbereich ein illustratives Beispiel
Robert Walters: Sie stehen als Fußgänger/in vor einer Kreuzung,
deren Ampel rot anzeigt (Sollensbereich = Verbot). Ihr/e Kollege/in
sagt: „Wollen wir nicht hinübergehen, es kommt ja kein einziges
Fahrzeug!” (= Seinsaussage) – Ein allfälliger „positiver Entschluss”,
die Kreuzung bei Rot zu überqueren, vermengt Sein und Sollen, schließt
rechtlich vom einen, auf den andern Bereich, was rechtlich (von
der „Reinen Rechtslehre” Hans Kelsens) verpönt wird. | Beispiel von R. Walter |
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Die Unterscheidung
zwischen Sein und Sollen ist keine reine Juristenerfindung; vielmehr
hat sie das Rechtsdenken von der Religion übernommen, was mittlerweile
schon fast vergessen ist. Die biblische Schöpfungsgeschichte kennt
– wie andere religiöse Texte – mit der Geschichte vom Sündenfall
nicht nur die Unterscheidung von Gut und Böse, sondern auch den
ontologischen Unterschied zwischen Sein und Sollen. – Die dem Menschen
(auch ohne religiösen Bezug) abgeforderte Entscheidung zwischen
Gut und Böse, Sein und Sollen, eröffnet aber auch den (rechtlich
bedeutsamen) Raum für die menschliche Freiheit, die sich so oder
so – also grundsätzlich für beide – entscheiden kann. Die nur scheinbar
rein juristische Unterscheidung zwischen Sein und Sollen erweist sich
demnach – eine Schichte tiefer – als Voraussetzung menschlich-gesellschaftlicher
Entscheidungsfreiheit. | Vorbild Bibel? |
Allein dieser kleine Rekurs zeigt uns, dass
die von der Reinen Rechtslehre eingeforderte strikte Trennung dieser beiden
Bereiche weder rechtlich durchzuhalten, noch menschlich sinnvoll
ist. Das wird noch dadurch unterstrichen, dass die Freiheit der
Entscheidung keine Beliebigkeit eröffnet, sondern mit Verantwortung
getroffen werden soll und muss und die Kategorie der Verantwortung
sowohl eine Seins-, als auch eine Sollensdimension aufweist. Dazu kommt,
dass das Sollen typisch darauf abzielt, einen unerwünschten Seinsbereich
in einen erwünschten überzuführen oder einen bestehenden Seinsbereich
zu erhalten. | |
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 | Abbildung 11.1: Sein und Sollen (1) |
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 | Abbildung 11.2: Sein und Sollen (2) |
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 | Abbildung 11.3: Sein und Sollen (3) |
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3. EvBl 1983/90:
Ein Langlaufunfall | |
Klägerin = verletzte Schilangläuferin, Beklagter =
Fremdenverkehrsverein als Loipenbetreiber / -halter. | |
(Lebens)Sachverhalt:
Der Fremdenverkehrsverein R. (= Beklagter) betreibt im Gemeindegebiet eine
Langlaufloipe. Im Bereich der Kreuzung dieser Loipe mit einem Gemeindeweg
kam am 20.1.1981 eine Schilangläuferin (= Klägerin) zu Sturz und
verletzte sich dabei schwer. | Sachverhalt |
Der beklagte Fremdenverkehrsverein lässt
die Loipe täglich mittels eines Spurgeräts präparieren. Die Unfallstelle wird
dabei gegen 9 und 10 Uhr durchfahren. Außerdem geben dem Beklagten
die dort tätigen Langlauflehrer Hinweise auf eventuelle Hindernisse.
Einen eigenen Auftrag dazu erteilte ihnen der Beklagte jed Vorbild
Bibel? och nicht. | |
Im Zuge von Schneefräsearbeiten der Gemeinde
kam es bei der Kreuzung der Loipe mit einem Gemeindeweg zu einer
80 cm tiefen Stufe in der abfallenden Loipe. Auf das Gefälle wurde
150 m vor der Stelle durch eine Tafel hingewiesen; „Achtung fallendes
Gelände”! Die Klägerin – eine etwa 70 Jahre alte Dame – wollte die
Kreuzung in Schussfahrt passieren. Ein vor ihr dort gestürzter Langläufer
versuchte sie durch Winken vor der Gefahrenstelle zu warnen, worauf
sie nur rief, man solle die Bahn freigeben. Erst aus einer Entfernung
von etwa 1 1/2 m erkannte die Klägerin die Gefahr der Stufe, konnte
aber nicht mehr anhalten und kam zu Sturz. | |
| Tatbestand |
„Wird
durch den mangelhaften Zustand eines Weges ein Mensch getötet, an
seinem Körper oder an seiner Gesundheit verletzt oder eine Sache
beschädigt, so haftet derjenige für den Ersatz des Schadens, der
für den ordnungsgemäßen Zustand des Weges als Halter verantwortlich
ist, sofern er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder
grob fahrlässig verschuldet hat ....” | |
Wir haben nunmehr die
beiden (Eck)Pfeiler der Rechtsanwendung kennengelernt: (Lebens)Sachverhalt
und gesetzlicher Tatbestand. Die konkrete Rechtsanwendung /
-findung erfordert nun ein ständiges Hin- und Herwandern des „Blicks”
von der einen zur andern Seite (vom Seins- zum Sollensbereich!),
zumal der (konkrete) Sachverhalt mit dem (abstrakten) Tatbestand
auf Übereinstimmung geprüft werden muss. Denn nur dann kann der
jeweilige Tatbestand auf einen Sachverhalt angewendet werden. –
Gefahren und Fehlermöglichkeiten tun sich im Rahmen der Rechtsanwendung
sowohl auf der Tatbestands-, wie der Sachverhaltsseite auf: Man
presst zB in den Sachverhalt etwas hinein, was der Wirklichkeit
nicht entspricht (oder vergisst etwas wesentliches) oder legt einen
Tatbestand zu weit oder zu eng aus oder stützt sich gar auf den
falschen. Grund dafür kann eigenes Interesse, also Voreingenommenheit
sein, aber auch ein Irrtum. Aufgabe der Rspr ist es, „Toleranzbreiten”
der Interpretation von Normen festzulegen, die nicht über- und unterschritten
werden dürfen. | |
Sehen wir uns in der Folge also an, wie der OGH an diesen
Fall herangeht, welche Fragen er (näher) untersucht und wie er schließlich
entscheidet. Mehr zur Vorgangsweise dann unter: Subsumtion. | |
Aus dem Urteil des OGH: Als Weg iSd
§
1319a ABGB sind anerkanntermaßen auch alpine Skipisten
anzusehen. Um so mehr sind dieser Bestimmung auch Langlaufloipen
zu unterstellen, die einem Weg im üblichen Sinn noch viel ähnlicher
sind. – [Die richterliche / juristische Auslegungsarbeit besteht
hier also darin, den Gesetzesterminus des § 1319a ABGB, wo von „Weg”
gesprochen wird, im konkreten Fall auf Skipisten – und hier auf
eine Langlaufloipe – anzuwenden.] | |
Unter grober Fahrlässigkeit iSd § 1319a
ABGB ist eine auffallende Sorglosigkeit zu verstehen, bei der die
gebotene Sorgfalt nach den Umständen des Falles in ungewöhnlicher
Weise verletzt wird und der Eintritt des Schadens nicht nur als
möglich, sondern geradezu als wahrscheinlich vorauszusehen ist.
[Zu den Verschuldensgraden und ihrer Bedeutung → KAPITEL 9: Abgestufte
Verschuldenshaftung.] | |
Überlege: Warum geht der OGH hier so zielstrebig auf grobe
Fahrlässigkeit los? § 1319a Abs 1, Satz 1 Ende ABGB enthält
die Lösung: „ ... vorsätzlich oder grob fahrlässig verschuldet hat
....” – Ein Schadenersatzanspruch nach dieser Gesetzesstelle setzt
nämlich – anders als im Normalfall (!), wo schon für leichte Fahrlässigkeit
einzustehen ist – grobe Fahrlässigkeit voraus. | |
Das Vorhandensein einer 80 cm hohen Stufe in einer Langlaufloipe
schafft eine ungewöhnliche gefährliche Situation. Zwar muss ein
Langläufer die für diese Sportart typischen Risiken eingehen, doch
braucht er nicht mit solchen ungewöhnlichen Gefahrenquellen zu rechnen.
Vor derartigen atypischen gefährlichen Hindernissen muss vielmehr
der Loipenhalter die Langläufer schützen. | |
Bei größerem Schneefall muss mit einer Schneeräumung durch
die Gemeinde immer gerechnet werden und ebenso mit durch Schneefräsen
entstehenden Stufen in der Loipe. Der Beklagte hätte zum einen seinen
Loipendienst mit der Schneeräumung der Gemeinde koordinieren müssen,
um allfällig auftretende Hindernisse sofort beseitigen zu können.
Zum anderen hätte er für den Fall kurzfristiger Überschneidungen
mit einer Warntafel auf die Wegkreuzung hinweisen müssen. [Noch
besser wäre eine kurzfristige Sperre der Loipe gewesen.] | |
Dieses doppelte Versäumnis ist dem Beklagten als grobe Fahrlässigkeit
anzulasten. Jedoch wäre auch die Klägerin verpflichtet gewesen,
auf den Zustand der Loipe Bedacht zu nehmen und sich in ihrer Laufweise
den Gegebenheiten anzupassen. Sie hat jedoch die Wegkreuzung im
Bereich eines für Langläufer immer gefährlichen Gefälles erst zu spät
bemerkt. [?] Darüber hinaus reagierte sie nicht auf die Tatsache,
dass ein anderer Skifahrer angehalten hatte und ihr mit den Skiern
Warnzeichen gab. Sie handelte damit sehr unvorsichtig, sodass die
Annahme gleichteiligen Verschuldens gerechtfertigt ist. [Welche
Rechtsfigur wendet hier der OGH auf die Langläuferin an? → Rechtsanwendung
und Subsumtion]
Die Annahme eines 50%igen Mitverschuldens der Klägerin erscheint
sehr hart! | |
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II. Die Lehre vom
Rechtssatz | |
Paragraphen
/ Rechtsnormen / Rechtsvorschriften – diese Begriffe sind Synonyma
– stellen rechtstechnisch sog Rechtssätze dar; daher Lehre vom Rechtssatz.
Rechtssätze sind Sollenssätze und besitzen idealtypisch folgenden
(inneren) Aufbau: | |
Wenn A ist (=
Tatbestand), soll (= Rechtsfolgeanordnung) B sein (=
Rechtsfolge). – Man kann daher vereinfachend sagen: Paragraphen
bestehen aus Tatbestand und Rechtsfolge. | |
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 | Abbildung 11.4: Was ist Tatbestands-, was Rechtsfolgeelement? |
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III. Rechtsanwendung
und Subsumtion | |
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Um einen „Fall” rechtlich
entscheiden zu können, bedarf es weiterer begrifflicher Unterscheidung. Ein
dritter Begriff, der Sachverhalt, tritt neben Tatbestand und Rechtsfolge.
– Sachverhalt ist das, was sich tatsächlich in
der Außenwelt(= Seinsbereich) zugetragen hat; zB
ein Verkehrsunfall oder – wie in unserem Beispiel – ein Unfall beim
Langlaufen. Dieser konkrete ( Lebens)Sachverhalt muss
in der Folge gerichtlich erhoben (dh in allen wichtigen Details
verbindlich festgestellt) und schließlich rechtlich beurteilt werden. | |
2. Sachverhaltsfeststellung
als rechtliche Aufgabe | |
Ein
Sachverhalt besteht meist aus mehreren / vielen Tatsachen / Fakten;
rechtlich bedeutsamen und weniger bedeutsamen. Es ist eine wichtige
rechtliche Aufgabe, alle rechtlich bedeutsamen, relevanten Tatsachen
/ Sachverhaltselemente zu sammeln und daraus „den” konkreten, rechtlich
relevanten, dem Urteil zugrundezulegendenSachverhaltzusammenzustellen. | |
Dazu
reicht häufig juristischer Sachverstand nicht aus. Sachverständige
aus allen Lebensbereichen werden zur Klärung der Faktenlage herangezogen;
Buch- oder Verkehrssachverständige, Mediziner, Psychologen, Baumeister,
Architekten oder Techniker usw. | Klärung der Faktenlage auch durch Sachverständige |
Im Zivilprozess bereitet es in der 1. Instanz
oft die größten Schwierigkeiten, den richtigen Sachverhalt festzustellen. Das
bringt eine alte – freilich bewusst überspitzt formulierte – Justizregel
zum Ausdruck: Dass der Erstinstanzrichter auch (rechtlich) richtig
entscheidet, ist nicht so wichtig; wichtig dagegen erscheint, dass
er den Sachverhalt korrekt erhebt. | |
3. Freie
richterliche Beweiswürdigung | |
Im (Zivil)Prozess müssen relevante / erhebliche
Tatsachen bewiesen werden (zur Beweislast → KAPITEL 9: Beweislast
und Anspruchsdurchsetzung),
was auf verschiedene Weise möglich ist. Tatsachen können bspw durch
Urkunden- oder Zeugenbeweis erhärtet oder entkräftet werden; zu
den Beweismitteln → KAPITEL 19: Das
Verfahren erster Instanz.
– Vorsicht ist hier allerdings geboten, zumal sich – wie aus Untersuchungen
bekannt – Zeugen/innen auch irren können und nicht immer die Wahrheit
sagen; Zeugenabsprachen, oft minutiös (von Rechtsanwälten) vorbereitet,
kommen immer wieder vor. Alle Beweise – auch der Zeugenbeweis –
unterliegen daher der freien richterlichen Beweiswürdigung; § 272
Abs 1 ZPO. | |
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 | Abbildung 11.5: Zum Langlaufloipenfall: EvBl 1983/90 |
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4. Der Subsumtionsvorgang | |
Rechtliches
(Be)Urteilen, richterliches Entscheiden geht folgenden (logischen)
Weg; sog Subsumtion = Unterstellen eines konkreten
Sachverhalts unter einen (passenden) abstrakten, gesetzlichen Tatbestand: | |
Der
konkrete Sachverhalt wird einem geeigneten (abstrakt
im Gesetz formulierten) Rechtssatz, genauer dessen
Tatbestand, unterstellt. – Das erfordert Rechtskenntnis.
Man muss wissen, wo sich ein geeigneter Tatbestand im Gesetz findet.
– In einem zweiten Schritt wird die in diesem Rechtssatz (abstrakt
formulierte) Rechtsfolge auf den „konkreten Fall” (= Sachverhalt)
übertragen. – In unserem Beispiel wird der erhobene Sachverhalt
des Langlaufunfalls dem abstrakten Rechtssatz / Tatbestand des §
1319a ABGB (Wegehalterhaftung) unterstellt, weil dieser auf unseren
Sachverhalt passt. Die in § 1319a ABGB (abstrakt) angeordnete Rechtsfolge
(„ ... haftet derjenige für den Ersatz des Schadens ...”) wird auf
den (konkreten) Fall angewandt. (Dies ist deshalb möglich, weil
– wie wir schon gehört haben – der Begriff „Weg”, als Tatbestandselement des
§ 1319a ABGB, in dieser Gesetzesstelle so verstanden / ausgelegt
wird, dass darunter auch eine Langlaufloipe oder Schipiste zu verstehen
ist.) – Das heißt: Der beklagte Fremdenverkehrsverein muss der Langläuferin
Schadenersatz leisten. Wie viel, muss im Prozess geklärt werden. | Sachverhalt
wird Rechtssatz unterstellt |
Für
jene, die es schon am Beginn des Studiums genauer wissen wollen:
Eigentlich wird der Sachverhalt „Langlaufunfall” nicht nur dem Tatbestand
des § 1319a ABGB unterstellt / subsumiert, sondern auch dem des
§ 1325 ABGB und – darüber hinaus – auch noch den §§ 1293–1295 ABGB. Und
die Rechtsfolgeanordnungen der §§ 1319a und 1325 ABGB werden durch
§ 1304 ABGB, der das Mitverschulden „des Beschädigten” regelt, zusätzlich
ergänzt. Weil die Langläuferin den Unfall mit-verschuldet hat, erhält
sie vom OGH nicht vollen (Schaden)Ersatz, sondern bloß die Hälfte
zugesprochen. – Daraus ist zu ersehen, dass Tatbestände nicht nur
aus einem (einzigen) Paragraphen bestehen können, sondern auch aus
mehreren Normen. | Ein
„Tatbestand“ kann auch aus mehreren Paragraphen bestehen |
Die Zurechnung von Mitverschulden erfolgt
in der Praxis grobschlächtig; nämlich zur Hälfte, einem Drittel
oder einem Viertel, selten feiner. – Und darüber, ob ich „dem/r
Beschädigten” die Hälfte, ein Drittel oder bloß ein Viertel Mitverschulden
zurechne, lässt sich wacker streiten. – Das gilt gerade auch für
unseren Fall, in dem der OGH ein sehr problematisches Hälfte(mit)verschulden
der Klägerin annimmt. – Dazu kam es auch deshalb, weil der Sachverhalt
schlampig erhoben und daher keinesfalls in allen Punkten zutreffend
subsumiert wurde. Sowohl dem Anwalt der Klägerin, als auch dem Gericht
sind hier Nachlässigkeiten anzukreiden! Versuchen Sie die Schwächen der
Sachverhaltsfeststellung und -beurteilung herauszufinden. | |
 | Abbildung 11.6: Der juristische Syllogismus |
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IV. Rechtsanwendung
und Fallösung | |
1. Law in the books
and law in action | |
Das Gesetz gibt uns
nicht auf alle Fragen eine Antwort. So werden Sie zB vergeblich
eine Antwort darauf suchen, was der sog Eigentumsvorbehalt ist → KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt
als Warensicherungsmittel.
Er ist im Gesetz nicht geregelt. Dies, obwohl er von größter praktischer
Bedeutung ist. Er wird auf § 1063 ABGB gestützt, der aber nur den
Kreditkauf / Kauf auf Borg regelt → KAPITEL 2: Kreditkauf. | |
iSv Eugen EhrlichAus dem Gesetz lässt sich also
nicht immer alles und vor allem nicht immer das wirklich angewandte
(das lebende Recht iS Eugen Ehrlichs) Recht entnehmen.
Mitunter unterscheidet sich das tatsächlich gelebte Recht ( law
in action) von der gesetzlichen Regelung ( law in
the books) erheblich. Erwähnt sei in diesem Zusammenhang
neben dem Eigentumsvorbehalt auch § 1062 ABGB in Bezug auf die sog
Abnahmepflicht von Käufern, die das Gesetz zwar (in der genannten Bestimmung)
festlegt, die aber von der Praxis / Rspr – entgegen dem Gesetzeswortlaut
– nicht vertreten wird → KAPITEL 7: Keine
rechtlich durchsetzbare Abnahmepflicht. | „Lebendes
Recht” |
Lernen können Sie daraus folgendes:
Das Gesetz( buch) ist wichtiges
Handwerkszeug des/der JuristenIn. Aber das Gesetzbuch regelt längst nicht
alle Rechtsfragen, lässt vielmehr manche Lücke offen, die
von den Gerichten (der Rspr / Judikatur) unter Mithilfe des Schrifttums
geschlossen wird; und manche Frage, die das Gesetz zwar regelt,
wird dennoch von der Rechtspraxis anders gehandhabt; vgl etwa die
hPr zu § 429 ABGB (Versendungskauf) → KAPITEL 2: Versendungskauf. | Gesetz(buch)
regelt nicht alles |
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Das Recht lebt in seinen Fällen, nicht in den Gesetzbüchern.
Interessant wird ein Befassen mit Recht dann, wenn jemand in der
Lage ist, Fälle / Probleme rechtlich zu erörtern und schließlich
zu lösen. Lehr- und Gesetzbücher benötigen wir, um Fälle und Probleme
zu lösen und jenes Wissen zu erwerben, das uns hilft, Recht sachgerecht
anzuwenden. | |
Wir alle haben
in der Kindheit gerne Geschichten gehört. Das rechtswissenschaftliche
Studium bietet die Möglichkeit „Geschichten” in abgewandelter Form
zu erzählen / zu hören oder doch zu lesen. Die „Geschichten der
Rechtswissenschaft” sind ihre „Fälle”, die gerichtlichen Entscheidungen,
die zu lesen immer wieder lehrreich ist, mag man mitunter auch anderer
Meinung sein als das entscheidende Gericht. Man kann von Fall-Geschichten sprechen. | Fall-Geschichten |
Auf die große Bedeutung gerichtlicher Entscheidungen für
die juristische (Aus)Bildung soll daher aufmerksam gemacht werden.
„Geschichten” helfen uns, sich das Erzählte leichter zu merken.
Und gute „Geschichten” verdichten ihr Thema auf das Wesentliche
und vermitteln Einsichten in schwierige Fragen auf verständliche
Weise. – Kurz: Gute „Geschichten” geben wichtige Einblicke, helfen
dabei sich den Stoff leichter zu merken und regen zu eigenem Denken
an. | |
Das Lösen von Fällen ist
eine wichtige juristische Aufgabe, die am Beginn des Studiums eine
Herausforderung darstellt und daher Unterstützung benötigt. – Sie
werden es erleben, dass es zweierlei ist, Recht zu lernen und
es zu verstehen, und es in der Folge – anhand zu lösender Sachverhalte
– anzuwenden, also selbst Fälle zu lösen. Das erfordert
Geduld und Übung. Das Lehrbuch will dabei Hilfe leisten, ohne zu
verkennen, dass diese Form der juristischen Tätigkeit nicht die
einzige juristische Aufgabe künftiger Tätigkeit darstellt. Hinzuweisen
ist daher schon hier, dass die juristische Problemlösung durchaus
vielgestaltig auftritt: Neben der üblichen Falllösung bei Gericht,
Rechtsanwalt, Notar oder in der Verwaltung gehören hierher auch
andere Varianten juristischer Tätigkeit; etwa das rechtsberatende
Gespräch, das idR psychologisches Einfühlungsvermögen und Taktgefühl
erfordert oder die streitschlichtende juristische Tätigkeit (Mediation),
für die ähnliches gilt. (Außergerichtliche) Streitschlichtung ist
eine alte juristische Fertigkeit, die nur vorübergehend in Vergessenheit
geraten ist und erst jetzt wieder eine Rolle zu spielen beginnt;
vgl aber schon die Rolle des „Mittlers” in Goethes „Wahlverwandtschaften”
oder das Verständnis von Platon oder Aristoteles vom Recht und der
richterlichen Aufgabe als Mitte oder Mittlertätigkeit zwischen den divergierenden
(Partei)Interessen. – Auch das Recherchieren von Sachverhalten,
eine eminent juristische Tätigkeit, will gelernt sein, wird aber
in der Ausbildung meist kommentarlos übergangen. Ähnliches gilt
von der Fertigkeit, (gute!) Verträge, Testamente oder andere rechtlich
relevante Erklärungen zu entwerfen; sog Kautelarjurisprudenz. –
All diese Fertigkeiten benötigen Erfahrung, Zeit und Geduld, um
wachsen zu können. | Lösen
von Fällen |
(Übungs)Fälle / Sachverhalte
sollten daher zunächst, um didaktisch hilfreich zu sein, nicht zu schwierig
sein. Hier versagen viele Falllösungsbücher. Es ist am Anfang schon
schwer genug, einen rechtlichen Sachverhalt ohne „Mascherl” beurteilen
zu müssen. | (Übungs)Fälle |
3. Hinweise
für das Bearbeiten von (Rechts)Fällen | |
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Zum Fall / Sachverhalt: Grundvoraussetzung jeder Falllösung
ist es, den Sachverhalt und die damit verbundene juristische Fragestellung
richtig zu erfassen. Fehler, die dabei gemacht werden, verfälschen
das Resultat und machen es leicht wertlos. – Tips für die Sachverhaltsaufnahme
und –darstellung bei Klausuren und Prüfungen: | |
Der
Sachverhalt ist daher aufmerksam – wenn möglich zweimal – durchzulesen
und auch in seinen Details ernst zu nehmen; nichts darf hinzugefügt,
nichts unterstellt, aber auch nichts weggelassen werden. Wurde nichts
anderes ausgeführt, ist von normalen Umständen auszugehen. Manche
Fallbearbeitungen gehen fehl, weil wichtige Details übersehen oder
neue hinzugedichtet werden. | Sachverhalt aufmerksam durchlesen |
Wichtiges im
Text sollte – wenngleich sparsam – unterstrichen werden, zB mit
Leuchtstift. Aber nicht alles unterstreichen, und besser nicht ganze
Sätze, sondern nur Stichwörter. – Wenn möglich sollte eine graphische
Skizze angefertigt werden: Das erhöht den Überblick. Die Parteien
/ Personen des Falls (Erst- / Zweitkläger, Beklagte, dritte Personen
von Bedeutung etc) in die Skizze einsetzen. Rechtlich relevante
Vorgänge, (Zeit)Abläufe, inbesondere behauptete oder mögliche Ansprüche
graphisch darstellen. | Leuchtstift-Skizze |
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Der Sachverhalt ist nicht moralisch zu bewerten („Besonders
verwerflich ist natürlich die Tatsache …”), sondern einer rechtlichen
Lösung zuzuführen. | |
Beim
Lösen von Klausurfällen liegen die Dinge einfacher als in der Wirklichkeit.
– Der Sachverhalt muss nicht erst aus widerstreitenden (Parteien)Behauptungen
und Darstellungen von Sachverständigen, Zeugen oder Urkunden herausdestilliert
werden, er ist vielmehr vorgegeben. Strittige Punkte sind meist
als solche gekennzeichnet. Der Sachverhalt muss aber insgesamt ernst genommen
werden. – Nicht auszuschließen ist, dass die Sachverhaltsdarstellung
auch überflüssige, für die Fallbehandlung irrelevante Teile enthält.
Sie sind zu übergehen, allenfalls für „unbeachtlich” zu erklären. | Sachverhalt ist ernst zu nehmen |
Häufige Fehler im Rahmen der Falllösung: | |
• Mitunter
wird zu rasch mit der Fallbearbeitung begonnen: – eingehendes Textstudium
+ Anfertigen einer Skizze sind aber ratsam, weil sie bereits ein
Überprüfen erster Assoziationen verlangen. | |
• Der Sachverhalt wird eigenmächtig
– ob bewusst oder unbewusst sei dahingestellt – abgeändert,
um sich in Stoffbereichen zu bewegen, die man beherrscht. Hier wird
der ’Wunsch’ zum Vater des Gedankens. – Das führt direkt in die
Themenverfehlung und stellt keine Falllösung dar. | |
• Immer wieder kommt es auch zu einem Abgleiten
in andere Probleme, die der Sachverhalt gar nicht stellt, wodurch
zumindestens wertvolle Zeit zur Bearbeitung der gestellten Aufgabe
verlorengeht. Sollten Sie über genug Zeit verfügen, steht es ihnen
immer noch frei, allfällige Randfragen oder Alternativprobleme zu
erörtern. Das birgt aber auch Gefahren! Dazu kommt: Eine zielstrebige,
klare und nicht ausufernde (Fall)Lösung hat viel für sich und macht
einen guten Eindruck. | |
• Willkürliche Unterstellungen vereinfachen
den Fall entweder unerlaubterweise oder erschweren ihn unnötigerweise. | |
•
Rechtsansichten der Streitteile,
die der Sachverhalt vielleicht wiedergibt, werden in ihrer Bedeutung
oft überschätzt. | |
• Zu argumentieren ist (möglichst
genau) an Hand des Gesetzes (wortlauts), nicht
aufgrund eigener (oft nur vager) Erinnerung. | |
•
Trennen Sie die gestellten
Fragen klar auch in Ihrer Antwort. Das erhöht auch
ihre juristische Übersicht. | |
• Gedanklich sollte sich alles klar aneinander
reihen. Gedankensprünge sind zu vermeiden! – Kurze,
durchdachte Antworten sind vagen Erörterungen vorzuziehen. | |
• Begründen Sie ihr Vorgehen (Methode), wie ihre
Lösung sorgfältig; die Entscheidungsbegründung ist ein hoher juristischer
Wert, denn die Jurisprudenz ist eine Argumentationskunst. | |
Es ist nicht nur eine Frage der Zweckmäßigkeit, beim Erarbeiten
rechtlicher Fragen schematisch vorzugehen. Ein solches Vorgehen
erhöht insbesondere auch die Sicherheit in der unangenehmen Prüfungssituation,
in der mit Nervosität gerechnet werden muss. Ein solches Arbeitsprogramm hilft
geordnet argumentieren, vermeidet Wesentliches zu vergessen oder
– besonders häufig – Überflüssiges zu erörtern. Ein (Fall)Schema
muss aber nicht (immer) starr eingehalten werden. Eine gewisse logische
Reihenfolge ist aber auch arbeitsökonomisch: | Methodisches
Vorgehen bei der Fallbearbeitung: |
Bei
einem Fall mit Auslandsberührung (§ 1 IPRG; Art 1 EVÜ): Vor der
Prüfung zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen ist die Frage zu beantworten:
Welche Rechtsordnung gelangt zur Anwendung? | Auslandsberührung |
Anspruchsgrundlagen
sind jene Rechtsnormen, die geeignet sind, das konkrete Begehren
einer Partei oder der Parteien – zB auf Schadenersatz oder Leistung
einer Sache, rechtlich zu stützen. – Dabei ist ein einfaches Frageschema
nützlich, wie: Wer (= Kläger) kann von wem (=
Beklagter), was (= Klagebegehren), woraus (=
gesetzliche Anspruchsgrundlage) fordern? | Anspruchsgrundlagen |
Welche gesetzlichen Normen kommen (überhaupt)
für die Anwendung in Frage? Allenfalls: Bestehen zwischen Gesetz
und Praxis, Judikatur und Schrifttum Divergenzen? – Etwa beim Verständnis
des § 1298 ABGB oder des § 1320 ABGB. – Eine Falllösung im Rahmen
einer (schriftlichen) Prüfung, muss sich nicht nur an der Praxis
orientieren. | Anwendbare
Normen |
Vgl dazu gleich unten das „Grobschema für
das Suchen und Behandeln von Anspruchsgrundlagen”. – Zur Topik gleich
mehr. | |
Für
Klausuren und Diplomprüfungsfälle ist es am besten, von der allgemeinen
Fragestellung am Ende der Fallerzählung auszugehen. – Aber Vorsicht:
Nicht vorschnell ausschließlich eine Spur verfolgen, sondern immer topisch auch
andere Möglichkeiten in Betracht ziehen und sich dann, gewissermaßen
im K.O.-System, für eine – die „beste” – Lösung entscheiden. Diese
„Wahl” muss solide begründet werden. | Fragestellung am Ende der Fallerzählung |
Zur Topik:
F. Horak, Rationes decidendi. Entscheidungsbegründungen bei den
älteren römischen Juristen bis Labeo 45-64 (1969); zu Begründungen
in der Wissenschaft: derselbe, aaO 9-44. – Die Topik geht auf Aristoteles
zurück und meint: das Ver-Orten des Problems und seiner Lösung.
Das setzt voraus, andere mögliche (Lösungs)Orte zuvor auszuscheiden,
was mit Argumenten zu belegen, also zu begründen ist. ZB: Von den
(Lösungs)Möglichkeiten 1, 2 und 3 wird 2 gewählt, weil …! | Topik |
Hier ist stets zu prüfen:
Ist der begehrte oder in Aussicht genommene Anspruch korrekt, also
fehlerfrei entstanden? – Oder bestehen Einwendungsmöglichkeiten?
Etwa: Gesetz- oder Sittenwidrigkeit nach § 879 ABGB oder das Vorliegen
eines Formmangels oder die Möglichkeit der Irrtumsanfechtung. –
Und in der Folge ist zu fragen: Besteht der Anspruch noch, selbst
wenn er ordnungsgemäß entstanden ist? Oder ist er bereits erloschen?
Oder bestehen doch Einredemöglichkeiten (= Geltendmachung eines
Gegenrechts); etwa Verjährung, Verzicht, Aufrechnung, Gewährleistung,
bereits erfolgte Zahlung oder ist etwa der Anspruch noch gar nicht
fällig? | Ist
der Anspruch korrekt entstanden? |
Wurde
ein konkreter (Gesetzes)Tatbestand gefunden (oder mittels der Analogieformen
des § 7 ABGB gebildet), sind die dort geforderten Tatbestandselemente
aufzulisten und auf Übereinstimmung mit dem konkreten Sachverhalt
zu überprüfen. Die Reihenfolge richtet sich nach logischen Konsequenzen
und Zweckmäßigkeit. – Hier ist es von Bedeutung, gut zu argumentieren
und das jeweilige Teilergebnis angemessen zu begründen. | Tatbestandselemente auflisten |
Ist ein Amtshaftungsanspruch zu
beurteilen, sind primär die Tatsbestandselemente des § 1 AHG zu
prüfen: – Hat das Organ eines dort genannten Rechtsträgers den
Schaden zugefügt?; handelte das Organ „in Vollziehung der Gesetze”?;
– war das Organverhalten „rechtswidrig” und „schuldhaft”?;
– und schließlich: Welchen „Schaden” hat der Kläger
erlitten? Darüber hinaus ist auf weitere Besonderheiten nach dem
AHG zu achten; etwa: Zuständigkeit, Aufforderungsverfahren, Verurteilung
in Geld. | |
Klärung der Klagslegitimation/en,
also von Aktiv- und Passivlegitimation/en. Grundkenntnisse des Verfahrensrechts
(ZGV) sind daher auch für alle materiellrechtlichen Prüfungen ratsam → KAPITEL 19: Das
Verfahren erster Instanz. | Klagslegitimation |
Versuch einer Subsumtion des
konkreten Sachverhalts unter den ausgewählten (gesetzlichen) Tatbestand.
Die Tatbestandselemente des Gesetzes bieten ein (mehr oder weniger)
klares Prüfungsprogramm und helfen Irrwege zu vermeiden. Hier ist
aber bereits zu argumentieren und zu begründen, wobei auf eine klare
und einfache Gedankenführung zu achten ist. | Subsumtion |
Fragen der Beweislast sind
stets sorgfältig zu prüfen! Sie sind idR verfahrensentscheidend!
– Auch in der Praxis muss sich der Richter klar werden, wen, wofür
die Beweislast trifft. Erst dann kann er das Beweisverfahren korrekt
durchführen. | Beweislast |
Dabei ist neben der Grundregel, dass jede Partei
die für sich günstigeren Umstände zu beweisen hat, darauf zu achten,
ob § 1296 oder § 1298 ABGB oder eine gesetzliche oder von der Rspr
entwickelte Sonderregel zur Anwendung gelangt; etwa die in den §§
1319 und 1320 ABGB statuierte gesetzliche oder die von der Rspr
entwikkelte Beweislastumkehr bei Schutzgesetzverletzung zum Tragen
kommt. | |
Bei Ansprüchen
mehrerer Personen gegeneinander ist zu fragen: Hängen die
Ansprüche voneinander ab? Wie ist die rechtliche Beziehung zueinander?
Dann sollten diese Ansprüche in logischer Reihenfolge geprüft werden. | Ansprüche mehrerer Personen |
Nützlich ist es, sich wiederholt während der Fallbearbeitung
– gleichsam probehalber – zu fragen, weshalb eine bestimmte
Frage untersucht wird und welche Konsequenzen eine
Antwort in der einen oder anderen Richtung hätte. | |
Im Rahmen der Fallbearbeitung
sind alle Anspruchsgrundlagen zu prüfen, die ernsthaft in Betracht
kommen, aber nur diese; Topik. Dabei sollte eine gewisse Reihenfolge
unter Berücksichtigung folgender Grundsätze eingehalten werden: | Grobschema beim Suchen und Behandeln
von Anspruchsgrundlagen |
• Allfällige Vorfragen sind
zuerst zu erörtern; | |
•
Ansprüche aus Vertrag (zB Kauf-
oder Behandlungsvertrag) und aus vertragsähnlichen Beziehungen
(zB cic) sind vor allfälligen deliktischen Ansprüchen
zu behandeln; | |
•
sachenrechtliche Fragestellungen
und Ansprüche sollten vor schuldrechtlichen geklärt
werden; | |
• ein Heranziehen subsidiärer Auffangtatbestände (etwa:
Ansprüche aus ungerechtfertigter Bereicherung / Kondiktionen, GoA
oder W/StdGG) – kann nur das Ergebnis sorgfältiger vorangegangener
Recherche sein, die zum Ergebnis geführt hat, dass keine primäre
Anspruchsgrundlage (bspw Gewährleistung, Irrtum oder Schadenersatz) zur
Lösung heranzuziehen ist; vgl die Ausführungen in → KAPITEL 5: Auffangtatbestände. | |
• Allfällige Anspruchsgrundlagen aus
Spezialgesetzen (leges speciales), die weitere Untersuchungen
erübrigen können, sind zuerst zu prüfen; zB WEG, BTVG oder EKHG,
AHG, ASVG. | |
• Es empfiehlt sich, einen Fall, der zB durch
das Personenrecht, Sachenrecht und das Schuldrecht führt, entsprechend dem
systematischen Aufbau des Gesetzes zu analysieren; dh zuerst Fragen
des Personen- oder Familienrechts, dann des Sachenrechts und zuletzt
jene des Schuldrechts zu prüfen. – Natürlich ist idF darauf zu achten,
dass die einzelnen Ergebnisse nicht unvermittelt nebeneinander stehen
bleiben; sie sind – wenn erforderlich – aufeinander zu beziehen. | |
•
Im übrigen sollte möglichst jene Anspruchsgrundlage
zuerst geprüft werden, die die größte ”Durchschlagskraft” besitzt
und die geringsten Anforderungen an die Behauptungs- und Beweislast
stellt; zB Irrtum (§ 871 ABGB) vor Drohung / Täuschung (§ 870 ABGB)
oder W/StdGG | |
• Zu beachten bleibt, dass Anspruchskonkurrenz und Anspruchskumulierung möglich
sind. | |
•
Kann ein Anspruch nicht unmittelbar auf das Gesetz
gestützt werden (weil zB eine planwidrige Gesetzeslücke vorliegt),
ist die Anspruchsgrundlage – unter Berücksichtigung der Interessenlage
– auf die Lückenschließungsregeln des § 7 ABGB (Gesetzes- und Rechtsanalogie,
natürliche Rechtsgrundsätze) zu stützen. | |
• Abschließend ist zu prüfen, ob die gestellten Fragen
beantwortet wurden. Zudem ist das Ergebnis kurz
und klar zusammenzufassen und zwar in der Reihenfolge
der Fragestellung. – Das gewonnene Ergebnis sollte auch im Hinblick
auf seine Schlüssigkeit und Plausibilität nochmals überdacht werden. | |
• Zu beachten bleibt, dass die Falllösung ein interpretativer
Gesamtakt ist, dessen Teilschritte stimmig sein müssen.
– Dabei können die §§ 6 und 7 sowie 914 und 915 ABGB hilfreich sein. | |
 | Abbildung 11.7: Rechtsanwendung |
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A. Kleine Methodenlehre |
C. Auslegung von
Gesetzen und Rechtsgeschäften |
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