Kapitel 11 | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Die
Rechtsanwendung |
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I. „Legitimation”
durch Verfahren | |
Wie andere
Wissenschaften, hat auch die Rechtswissenschaft „Methoden” entwickelt.
Sie stammen im Wesentlichen von den alten Griechen, deren Philosophie
die Grundlagen der modernen Wissenschaften und auch der Rechtswissenschaft
geschaffen hat. Methoden sollen die Schritte einer Disziplin leiten,
nachvollziehbar machen und zudem – im besten Fall – eine Art Korrektheits-
und Gerechtigkeitsgewähr dokumentieren. Dieses Bemühen beginnt im
griechischen und römischen Recht und wird inbesondere im 19. und
20. Jhd vertieft. – Die Luhmannsche Formel der „Legitimation durch
Verfahren” ist auch – neben dem Verfahren iSv Prozess – auf das
korrekte „Verfahren” des Rechtsanwenders bei seiner Entscheidungsfindung
(unter Einhaltung der anzuwendenden Methoden) zu beziehen. | |
Allein wir müssen uns
im Klaren sein: Es gibt keinen verbindlichen juristischen Methodenkanon, der
uns im Einzelfall lehrt, wann, welche Methode, wie anzuwenden ist.
Das Heranziehen bestimmter juristischer Methoden hat daher viel
mit fachlichem Geschick, ja Kunstfertigkeit zu tun. Denn: Überall
dort, wo interpretiert wird, gelangen wir an die Grenzen einer Wissenschaft
oder Überschreiten diese Grenzen in Richtung Kunst. – Es ist daher
kein Vergreifen im Ausdruck, wenn der Römer Ulpian (iSd griechischen
Tradition) Recht definiert als: ars aequi et boni, also die Kunst des
Gerechten und Guten. | Existiert
ein verbindlicher Methodenkanon? |
Und
darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass ein rein formales
Orientieren an rechtlichen Methoden noch nicht die Richtigkeit oder
gar die Gerechtigkeit einer Entscheidung verbürgt. Eine juristische
Entscheidung kann methodisch korrekt und dennoch falsch und ungerecht
sein. – Das Problem liegt darin, dass in rechtlichen Entscheidungen
(aller Art) immer wieder gesellschaftliche Werturteile zu
fällen sind – und zwar offen oder verdeckt – und diese Werturteile
unterschiedlich ausfallen können, je nach der sie handhabenden Persönlichkeit
und deren Sozialisation; zB: Ist eine bestimmte Darstellung persönlichkeits(rechts)widrig?
Oder ein Werbeplakat sittenwidrig? | Werturteile |
Es ist daher schon sehr viel, wenn wir uns
des Einflusses von Werten und Bewertungen im Rahmen der rechtlichen Entscheidungsfindung
bewusst werden. Das sollte zur Folge haben, bewusst getroffene Wertungen
offenzulegen, um sie nachvollziehbar zu machen. – Misstrauisch sollten
Sie immer dann werden, wenn jemand von sich behauptet, dass er (im
Gegensatz zu anderen) nicht werte! – All das dispensiert jedoch
nicht davon, sich um größtmögliche Objektivität zu bemühen! | |
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II. Methodenbewusstsein
und Rechtspraxis | |
In der Rechtspraxis spielt das Methodenbewusstsein
oft eine nachgeordnete Rolle. Franz Gschnitzer hat dies einmal so
umschrieben: Viele Rechtsanwender suchen zuerst ein vernünftiges Ergebnis
und kleiden dieses nachträglich in ein methodisches Gewand, um es
(wenigstens) nachträglich zu immunisieren. – Man könnte auch bildlich
sagen: Ein Rechtsanwender bäckt zuerst seinen Gugelhupf (= Ergebnis)
und übergießt ihn nach gelungener Arbeit mit einer Schokolade- oder
Zuckerglasur (= Methode). Ein solches Vorgehen stellt natürlich
nicht den Idealfall methodischen Vorgehens dar. Die Bedeutung theoretisch-methodischen
Denkens muss zwar ernst genommen, darf aber auch nicht zum Selbstzweck
werden. Das gilt in besonderer Weise für ein Rechtsgebiet wie das
bürgerliche Recht / Privatrecht mit seinen unmittelbaren Lebensbezügen; Geburt,
Tod, Erbschaft, Heirat, Kinder, Erziehung, Kauf und Arbeit. – Aber
es braucht Regeln, um eine geordnete Rechtsfindung zu ermöglichen.
Dabei gilt: Weniger, ist oft mehr! | Gugelhupf
mit Zuckerglasur? |
Die folgende „kleine Methodenlehre” enthält die wichtigsten
Schritte dieses Bereichs, sollte aber nicht dazu verleiten, das
Dargebotene für vollständig anzusehen. | |
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III. Methode
und Einheit der Rechtsordnung | |
Zu den Aufgaben juristischer Methode
gehört es auch, den Gedanken der Einheit der Rechtsordnung zu fördern.
Dies indem zB unterschiedliche Rechtsbereiche sinnvoll aufeinander
abgestimmt und auftretende Widersprüche in der Rechtsordnung – auch
interpretativ – möglichst vermieden werden. Gesetzestechnische Widersprüche
– zB eine uneinheitliche Terminologie – und Normwidersprüche (Antinomien)
sollen ebenso ausgeräumt werden wie Wertungs- und teleologische
Widersprüche, die sich in der Rechtsanwendung oft erst durch historisch-gesellschaftlichen Wandel
ergeben. | Widersprüche
in der Rechtsordnung |
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Daneben
ist es wichtige Gestaltungsaufgabe juristischer Methode, aus der
Vielzahl von Normen Rechtsgrundsätze und Rechtsprinzipien zu
entwickeln und diese immer wieder angemessen an den sozialen Wandel
anzupassen. – Auch ein guter Gesetzgeber schafft es nicht, normative
Disharmonien völlig zu vermeiden oder eine lückenlose Rechtsordnung
zu schaffen. | Rechtsgrundsätze und Rechtsprinzipien |
Das Bemühen
um Einheit und Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung bedient
sich bei der Lösung seiner Aufgaben juristischer Methoden
ieS ebenso wie der Derogationsregeln (lex
specialis etc) oder der authentischen Interpretation
→ KAPITEL 11: §
8 ABGB: Authentische Interpretation. | Einheit und
Widerspruchslosigkeit der Rechtsordnung |
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Während
das Privatrecht seit Alters her viel zur juristischen
Hermeneutik beigetragen hat, lässt sich das vom öffentlichen
Recht nicht in gleichem Maße behaupten. Das öffentliche
Recht erscheint unbewusster und zurückhaltender im offenen Umgang
mit Auslegungsmethoden; vgl aber Th. Öhlinger, Verfassungsrecht
29 ff (19973). – Aber auch das Verfahrensrecht
wendet, obgleich dem öffentlichen Rechte angehörend, privatrechtliche
Auslegungsfiguren an. | |
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EvBl 1999/89: Teleologische Reduktion
im Grundbuchsverfahren: § 95 Abs 1 GBG. | |
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Hans Kelsen führt zum Wesen der Interpretation
in seiner „Reinen Rechtslehre“ 346 (19602)
an: | Hans Kelsen zur
Interpretation |
„Wenn das Recht von einem Rechtsorgan anzuwenden
ist, muß dieses den Sinn der von ihm anzuwendenden Normen feststellen,
muß es diese Normen interpretieren. Interpretation ist somit ein
geistiges Verfahren, das den Prozeß der Rechtsanwendung in seinem
Fortgang von einer höheren zu einer niedrigeren Stufe begleitet.
[Zur Merkelschen Lehre vom Stufenbau der Rechtsordnung → KAPITEL 1: Stufenbau
der Rechtsordnung]
In dem Fall, an den zumeist gedacht wird, wenn von Interpretation
die Rede ist, im Falle der Gesetzesinterpretation,
soll die Frage beantwortet werden, welcher Inhalt der aus der generellen
Norm des Gesetzes in ihrer Anwendung auf einen konkreten Tatbestand
zu deduzierenden individuellen Norm eines richterlichen Urteils
oder eines Verwaltungsbescheides zu geben ist. Aber es gibt auch
eine Interpretation der Verfassung, sofern es eben
gilt, die Verfassung – im Gesetzgebungsverfahren, bei Erlassung
von Notverordnungen oder sonstigen verfassungsunmittelbaren Akten
– auf einer niederen Stufe anzuwenden; und eine Interpretation völkerrechtlicher
Verträge oder der Normen des allgemeinen Gewohnheitsvölkerrechts,
wenn diese oder jene in einem konkreten Fall von einer Regierung
oder einem internationalen oder nationalen Gericht oder Verwaltungsorgan
anzuwenden sind. Und es gibt ebenso eine Interpretation von
individuellen Normen, richterlichen Urteilen, Verwaltungsbefehlen, Rechtsgeschäften usw.,
kurz aller Rechtsnormen, sofern sie angewendet werden sollen. | |
Aber auch die Individuen, die das Recht
– nicht anzuwenden, sondern – zu befolgen haben, indem sie das die Sanktionen
vermeidende Verhalten an den Tag legen, müssen die von ihnen zu
befolgenden Rechtsnormen verstehen und daher ihren Sinn festhalten.
Und schließlich muß auch die Rechtswissenschaft,
wenn sie ein positives Recht beschreibt, dessen Normen interpretieren. | |
Damit sind zwei Arten von Interpretationen gegeben,
die voneinander deutlich unterschieden werden müssen: die Interpretation
des Rechts durch das rechtsanwendende Organ, und die Interpretation
des Rechts, die nicht durch ein Rechtsorgan, sondern durch eine
Privatperson und insbesondere durch die Rechtswissenschaft erfolgt.”
(Hervorhebungen von mir) | |
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