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Vom Seitenblick nach Kafarnaum bis zur Klippe am Abgrund in Nazareth
(Von der Macht des Skandals und der Kraft der Berufung. Predigt vom 3. Februar 2013 in der Jesuitenkirche )

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2013-02-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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(zu Lk 4,16-30 und Jer 1,4-5;17-19)

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“Gut gemacht, Junge! Endlich kommt auch etwas Positives aus dem kleinen Kaff.” - “was kann aus Nazareth schon Gutes kommen?”- steht es immer und immer wieder in den Gazetten des Landes zu lesen. Längst abgestürzt: die kleine Stadt, überholt durch andere Metropolen, wie Kafarnaum. Das kleine Kuhdorf am Ende der Welt, abseits der Handelsmetropolen, das Land, das die Trends verpasst hat und sich nun in der Bedeutungslosigkeit von der Dynamik der Zeit und des Dynamik des Lebens erholt. Langeweile und Erfolglosigkeit: heißt nun die Devise. Kein Wunder, dass die Jungen wegziehen: “No Future for Inhabitants of Nazaret!” Doch siehe da... Einer kehrt zurück. Nach Lehrjahren in der Fremde. “Berühmt ist er geworden. In der Nachbarsmetropole Kafarnaum für das Event aller Zeiten gesorgt. Wer hätte das gedacht? Zimmermanns Sohn ein Medienstar? Das Arme-Leute-Kind, das kleine ‘Scheißele”   das noch  gestern mit den Schmuddelkindern gespielt hat, tritt nun als großer Prophet auf. Mal sehen, was er uns zu bieten hat.” Diese normal doch lahm und lustlos hockende Gemeinde der Gottesdienstbesucher hat an der Predigt ihres Landsmanns Blut geleckt, will nun auch Anteil haben am Wunder der Zeit. Möchte eine Synagoge im Trend sein, ist deswegen auch willig sich in die Dynamik des Seitenblicks zu stürzen. Der Katalog der Wünsche ist schnell zusammengezimmert. Zumindest im Kopf. Ein Seitenblick nach Kafarnaum genügt. “Er soll.., der Prophet soll..!” Ja, was soll er eigentlich? “Er soll dasselbe tun, was er in Kafarnaum getan hat, soll sich auch unsere Ängste und Hoffnungen zu eigen machen, sich als Sohn seiner Heimat beweisen. Zeigen, dass er einer von uns ist: ein Volksprophet sozusagen. Einer, wie er im Bilderbuch steht, oder in den Gazetten des Landes beschworen und gelobt wird, vom Fernsehen schon ganz zu schweigen.”

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Doch, was geschieht jetzt? Unmerklich kippt die Stimmung um. Und keiner weiß eigentlich warum! Ein Skandal bannt sich seinen Weg. Die anfängliche Begeisterung über den Volkspropheten macht der Enttäuschung Platz. Mordsstimmung verwandelt sich zur Mordswut. Der Volksprophet ist auf dem besten Wege zum Volksopfer zu werden. “Was plappert er da? Von der Witwe in Sarepta und dem Syrer, der geheilt wurde? Mußte doch wissen, dass wir in Nazareth genug Witwen haben, genug Kranke, genug Probleme. Also eine Menge von Ängsten und Hoffnungen. Was geht uns der aussätzige Syrer an?” Die fromm gesittete Gruppe von Gottesdienstbesuchern, jene, die sich kurzerhand durch den begeisternden Prediger aus der Konsumlethargie des Alltags herausreißen ließen, diese Gruppe verwandelt sich im Nu zum rasenden Pöbel, Zur brandgefährlichen Meute. Aggressionen kommen zum Vorschein. Menschen springen von ihren Plätzen auf, gehen - so könnte man es auch ausdrücken - über Tische, Stühle und Bänke, schäumen regelrecht vor Enttäuschung, heizen sich gegenseitig auf.  Jesus flüchtet! Schreiend und schimpfend laufen sie hinter ihm her. Bis auf die Klippe! Bis auf die Klippe, von der schon etliche gestürzt sind: In den Tod! Den physischen, oder aber in den sozialen Tod. Wenn sie rausgeworfen, mit tiefer Kränkung und einer Wunder in der Seele liegen geblieben sind: am Rande der Gesellschaft. Verletzt! Sich in ihrer Würde verletzt fühlend, von den Mitbürgern weggejagt, abgelehnt, heimatlos geblieben sind. Oft ihr Leben lang. Heimatlos in der Kirche. Heimatlos in der Gesellschaft.

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Liebe Schwestern und Brüder, Nazareth, das kleine Kuhdorf am Ende der Welt, ist überall. Kann gar zum Inbegriff des global village werden: des großen Weltdorfes. Überall dort, wo fascinosum im Nu zum tremendum umschlägt. Wo Begeisterung in frontale Ablehnung kippt.  Überall dort, wo Skandal die Regie zu führen scheint, überall dort landet die Meute an der Klippe, am Abhang des Berges, von dem sie - und dies ohne mit einem Finger zu rühren - von dem sie ihre Opfer in den Abgrund stürzt. Ja, dieses Nazareth ist überall. Nicht überall findet aber die Fortsetzung unserer dramatischen Geschichte aus dem Evangelium statt! Am Abhang des Berges angelangt, kippt die Dynamik wiederum um. Anstatt in den Tod zu springen, anstatt die offenbar gewordene Ausweglosigkeit durch eine Verzweiflungstat zu sprengen, anstatt sich selber der Dynamik der von Wut blind gewordenen Meute zu bedienen und so zum Opfer des von Leidenschaften geblendeten, rasenden Pöbels zu werden, bleibt Jesus stehen. Seelenruhig stehen! Seelenruhig schaut er sie an, begegnet ihre blind gewordenen Augen mit seinem Blick. Einem Blick aber, der keine Kränkung offenbart. Auch nicht von einer tiefen Wunde in der Seele spricht. Und auch nicht jene Angst des Opfers zeigt, die immer schon eine schweigende Komplizin des verfolgenden Pöbels ist. Er begegnet den vom Skandal manipulierten Menschen, begegnet jener Meute, die schon Blut geleckt hat, deswegen auch ihren Ängsten und Hoffnungen einen klaren und eindeutigen Rahmen verpasst hat, er begegnet ihr mit Autorität! Aber nicht mit der Autorität eines Volkspropheten und auch nicht der Autorität eines Volksopfers. Nein. Er ist nicht ein Teil der Menge. Weder in der Ausgabe einer faszinierten Gruppe, noch in der Ausgabe einer schreckensverbreitenden Meute. Er lebt nicht aus der Kraft des - so gearteten - mysterium tremendum et fascinosum!

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In seinem eigenen Blick, in seiner Haltung mußte etwas von jenem Programm Wirklichkeit geworden sein, von dem die Schriftlesung aus der Rolle des Propheten Jesaja sprach, jener Rolle, die er gerade diesen Menschen in der Synagoge vorgelesen und ausgelegt hat. “Der Geist Gottes ruht auf mir, denn der Herr hat mich gesalbt.” (Vgl. Jes 61,f) Der Herr hat mich gesalbt, damit ich den Blinden das Augenlicht gebe (vgl. Jes 29,18). Damit ich also jenen, die mit Blindheit geschlagen sind, einen klaren Blick zurück schenken kann. Damit sie wieder durchblicken und die Macht des Skandals, durch das sie manipuliert werden, durchschauen können. Am Abhang des Berges, an jener Klippe, an der alles kippen konnte in Richtung: Leben  oder Tod, ringen zwei Autoritäten miteinander. Zuerst die Autorität, mit der sich die Menschen ihre Helden, ihre Volkspropheten, ihre Idole erschaffen. Mit derselben Logik erschaffen, mit der sie dann diese Idole stürzen, den scheinbar allmächtigen Medien der Gegenwart nicht ganz unähnlich, die sich an der Logik vom Aufstieg und Fall satt essen. Am Abhang des Berges ringt diese Autorität mit jener Autorität, mit der der allmächtige Gott Menschen auswählt, sie begnadet und führt. Vox populi ist ja nicht identisch mit der vox DEI. In jesuanischer Haltung ist etwas von der Kraft des erwählenden Gottes spürbar geworden. “Ich habe dich ausersehen, noch ehe ich dich im Mutterleib formte!”, schon da bin ich Dir zum Vater geworden, sagte Gott zu Jeremia, zu unzähligen Propheten, zu Jesus und Tausenden und Abertausenden von Frauen und Männern, die er in Christus erwählt. Ich habe dich ausersehen, dich erwählt und im Mutterleib geformt. Bin dir zum väterlichen Freund geworden. Zu jener Schulter, an die du dich anlehnen kannst. Zum Freund, bei dem du dich aussprechen kannst. Zur Frau, die dich versteht. Gar zum Kind, an dem du deine Freude hast. Im Grunde kannst du mich in jedem Kind, gar in deinem Kind, in jeder Frau, gar in deiner Frau, in jedem Mann, gar in deinem Mann, in jedem Freund und Feind, gar in deinem Feind finden. Du kannst mich finden, wenn du sie mit jenem Blick anschaust, den ich Dir schenke. Du wirst mich in ihnen finden, wenn du dich nicht von jenem Blick verführen lässt, den dir die Macht des Skandals anbietet. Die Macht des sich aufschaukelnden Begehrens. Wenn du dich nicht durch den scheinbar allmächtigen “Seitenblick von Nazareth nach Kafarnaum” , “vom kleinen Kaff in die Metropole” narren lässt. Von mit erwählt, von mir begnadet, kannst Du ja unmöglich zu wenig Erfolg haben und Dich zu tief unten in der gesellschaftlichen Hierarchie fühlen. Von mit erwählt, kannst du unmöglich ein Leben haben, in dem Langeweile das Sagen hat. Ich habe dich ins Leben nicht “nach dem Prinzip der Bewährung” entlassen. Traue der Kraft meiner Liebe, der Kraft meiner Freundschaft. Und entdecke immer wieder neu deinen guten, göttlichen Kern: Deine Würde. Dann wirst du stückweise immun werden gegen die Dynamik, die immer wieder am Abhang des Berges endet. Weil sie dich in den Tod stürzt, den sozialen, aber auch den physischen. Traue meiner Kraft, der Kraft dessen, der dich erwählt, nicht so erwählt, wie die Trends der Öffentlichkeit erwählen! Traue meiner Liebe, dann wirst du gerettet. Selbst dann, wenn du dich an der Klippe wiederfinden solltest.

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