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Auferstanden ... im Leib
(Predigt am Weißen Sonntag 2012 in der Jesuitenkirche um 11.00 Uhr und um 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2012-04-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Fast wie an einem Wahlsonntag (Anm. des Autors: am Sonntag, 15. April 2012, gab es in Innsbruck Kommunal- und Bürgermeisterwahlen) präsentiert sich im heutigen Evangelium (Joh 20,19-31) der auferweckte Jesus. Der Fokus der Betrachtung ist eindeutig und klar. Wie auf dem Wahlplakat, das uns zuerst das „Evangelium carnis“, die Frohbotschaft des Fleisches, die Frohbotschaft des Vertrauen erweckenden Leibes verkündet: „Komm, schau mich an! Watch my body. Schaue meinen Leib an, schau mir in die Augen. Schenke mir Dein Vertrauen! Ich werde es nicht missbrauchen. Überzeuge Dich, dass dieses Dich anlachende Gesicht wirklich ein Mensch ist, ein Mensch mit Handschlagqualität, ein Mensch, der gerade angesichts unsicherer Zukunft Kontinuität und Sicherheit vermitteln kann.“ Das auf dem Plakat dich anlachende Fleisch, der Leib des Politikers/der Politikerin steht doch tagelang da als Zeichen dieses Gefühls, dass mit ihm die Zukunft geritzt sei. Was da die Wahlstrategen unbarmherzig ausschlachten, ist das tiefe Bedürfnis des Menschen, sich solch einer bergenden Sicherheit zu vergewissern durch einen Blick auf das vertraute Gesicht. Wie viele Menschen tragen Bilder ihrer Lebenspartner, ihrer Ehefrauen, ihrer Ehemänner, ihrer Kinder in ihren Geldtaschen, so als ob sie sich beim Zücken des Geldbeutels, bei jeder Ausgabe vergewissern wollten: Auch wenn ich kein Geld mehr haben sollte, auch dann werde ich noch getragen. Wie viele stellen solche Bilder auf den Schreibtisch in ihrem Büro oder kleben sie in den Spind ihrer Garderobe? Damit sie immer wieder die Botschaft hören: „Watch my body and be happy! Schaue meinen Leib an und sei glücklich und behütet!”

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Das Bild vermittelt das Gefühl der Anwesenheit unserer Lieben. Es ist also ein Ort der Erfahrung der Gemeinschaft mit denen, die zu meinem Lebenshorizont gehören. Es vermittelt aber auch das schmerzhafte Gefühl der Abwesenheit: der Abwesenheit unserer Toten. „Du fehlst mir so! Deine Hände, die mich berührt haben, fehlen mir. Der Tod war doch stärker als die Erfahrung unserer Liebe. Und gerade die Erinnerung an die Qualität deines Leibes, sie verblasst. Ich weiß nicht mehr, wie sich Deine Hand angefühlt hat. Umso deutlicher weiß ich aber, was ich hätte Dir gegenüber noch alles tun können, was ich leider unterlassen habe. Hätte ich Dir doch damals gesagt...“

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Liebe Schwestern und Brüder! Die Überraschung von Ostern knüpft an die normalsten menschlichen Bedürfnisse an, sie knüpft an unsere Alltagserfahrung, bestätigt diese, transformiert sie aber auch gleichzeitig. Und dies deswegen, weil sie die Brüche nicht nur schmerzhaft bewusst macht, sondern diese auch zu heilen vermag. Und warum dies? Mitten in der verängstigten Gruppe seiner Haberer, jener, die in der Krise so kläglich versagt haben, jener, die sein Vertrauen missbraucht haben, sodass sie am liebsten sein Bild aus ihrem Gedächtnis auslöschen würden, erscheint das Gespenst..., das Gespenst der Erinnerung an das Versagen, das Gespenst, das bloß die tiefe Zerrissenheit ihrer Seele verdichtet. „Um Gottes willen. Nein!“ Es ist aber kein Gespenst. Die Erscheinung verstärkt ja die Zerrissenheit nicht, sie stiftet Frieden. Mehr noch: Derjenige, der sich als Jesus zu erkennen gibt, fokussiert ihre Aufmerksamkeit auf seine Leiblichkeit. „Watch my body!“ Mehr noch: Er isst und trinkt mit ihnen. So wie früher, als er gerade durch seine Leiblichkeit die Lebensfreude und die Liebenswürdigkeit seines Gottes demonstrierte. Und als ob dies noch nicht genug wäre, fokussiert er die Aufmerksamkeit des Zweiflers, jenes Menschen - der wie du und ich noch unentschieden ist -, was er von dem ganzen Schlamassel, von Versprechungen und enttäuschten Hoffnungen halten soll, von Zusicherungen, es gäbe mit ihm eine sichere Zukunft trotz..., oder gerade..., obwohl.... . Der Auferweckte fokussiert die Aufmerksamkeit des Zweiflers nur noch auf seinen Leib. Nicht auf die Zeiten überdauernde Lehre, nicht auf sein Programm. Vielmehr macht er zuerst das, was die Politiker am Wahlsonntag zu machen scheinen, wenn sie unsere Aufmerksamkeit gerade auf den letzten Metern vor dem Wahllokal nur noch auf ihr Gesicht lenken, auf das „Evangelium carnis“, auf die Frohbotschaft ihres Leibes.

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Der Auferweckte blickt den zweifelnden und unentschiedenen Thomas an und sagt: „Watch my body! Schau mich an, komm, überzeuge Dich, dass ich das bin, dass ich so bin, wie Du mich gekannt und liebgewonnen hast. Ein Mensch mit Handschlagqualität. Einer Qualität allerdings, die nicht nach der Wahl endet, wie dies sehr oft in der Politik der Fall ist, einer Qualität, die gar die Grenze des Todes überlebt. Und dies, obwohl mein Vertrauen missbraucht wurde. Überzeuge Dich, dass ich das bin, der Mensch mit dieser einmaligen Handschlagqualität. Auch der Qualität göttlichen Ursprungs, die deswegen nicht nur fortan in deiner Erinnerung leben und mit der Zeit auch verblassen wird, zur vagen Imagination verkommt. Schau mich an und überzeuge Dich, dass das, was vor dem Tod wirklich war, auch heute noch wirklich ist. Deswegen: Stecke deine Finger in die Wunden der Nägel. Berühre die Hände, jene Hände, die selber berührt haben, Hände, die Tränen getrocknet haben, Hände, die das Leid linderten, die Güter ausgeteilt haben aus Solidarität, Hände, die liebkosen konnten. Ergreife aber auch die Hände, die gefesselt wurden, und dies, obwohl sie die Fesseln anderer lösten. Nimm mich bei der Hand, jener Hand, die angenagelt wurde und trotzdem nicht erstarrte im Gestus der Anklage, jener Hand, die deswegen auch der Verwesung, damit auch dem Verdrängen und Vergessen nicht preisgegeben wurde. Stecke deine Hand in die Seitenwunde meines Leibes, des Leibes, der gar noch nach meinem Tod durchbohrt, damit auch missbraucht wurde, deswegen auch zum Inbegriff des Aufschreis des Entsetzens werden könnte, es aber nicht wurde, weil er sein Leben lang ein Symbol, ja das Realsymbol dessen war, worauf jeder Leib eigentlich hinzielt: ein Realsymbol der Hingabe, einer Hingabe, die zur Totalhingabe werden kann, wenn etwa einer für den anderen so einsteht, dass er gar sein Leben verliert. Stecke Deine Hand in die Seitenwunde meines Leibes und überzeuge Dich: Ich bin kein Gespenst, nicht das Produkt der Imagination, deiner Erinnerung, auch nicht das Produkt deines kranken Hirns. Du bist ja nicht krank, nicht schizophren. Ich lebe ja, nicht nur als Dein Gegenüber, ich lebe in meiner Leiblichkeit. Lebe aus der Kraft des lebenserschaffenden Gottes, eines Gottes, der gerade, weil er den Leib schuf, diesen Leib zu einem privilegierten Ort seiner Erfahrung machte!“

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Und warum dies? Weil gerade der menschliche Leib der Ort ist, an dem die Liebe buchstäblich mit Händen greifbar wird, und dies nicht nur dann, wenn Liebende sich umarmen und ineinander verschmelzen, wenn neues Leben entsteht und wächst, wenn Kinder bei der Hand genommen werden oder auch ältere Menschen. Der Leib wird zum privilegierten Ort der Gotteserfahrung, wenn Gegner sich die Hände reichen, wenn Flüchtlinge aufgenommen werden, wenn Kranke gepflegt und Sterbende im Arm gehalten werden, wenn der Leichnam pietätvoll bestattet wird. Liebe Schwestern und Brüder, weil der Leib der privilegierte Ort der Gotteserfahrung ist, ist die Auferstehung leiblich, oder sie ist gar nicht! Deswegen! So paradox es für unsere Welt auch klingen mag, eine Welt, die im Christentum oft nur noch den Inbegriff der Lebensverneinung und Leibfeindlichkeit zu sehen gewillt ist: Das Christentum ist und bleibt auch die leibfreundlichste Religion.

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„Na ja, ... glaube es, wer will!“, wird der verunsicherte Katholik der Gegenwart sagen. Und das bin ich und das bist auch du: wir, die wir alle zuerst in die Rolle des zweifelnden Thomas geschlüpft sind. Uns allen, mir und Dir ruft deswegen der auferweckte Jesus zu: „Watch my body and be happy! Entdecke die Osterspuren an meinem Leib und erfahre das, was diese Zeit zu wenig erfährt: Der Leib ist nicht nur Objekt der Behandlung und Misshandlung. Der Leib ist nicht nur der privilegierte Ort der Werbung, und dies nicht nur in der Zeit der Wahlen. Der Leib ist nicht nur Opfer der Alterungsprozesse und Opfer des Absterbens. Der Leib ist das, was er nach dem Willen des Schöpfers immer schon war: das Realsymbol der Person. Und die Auferweckung Jesu zeigt uns deutlich: Selbst im Abgrund der Schändung bleibt der Leib die konkrete Form gelebter Hingabe. Liebe und Leib: Wann ließen die im Lieben je sich scheiden? Deswegen sagt der Auferweckte zu uns, die wir heute da sitzen und leiblich auch frieren, er sagt nicht nur: „Watch my body!“, sondern auch: „Nehmt und esst, das ist mein Leib! Nehmt und trinkt! Verinnerlicht meine Hingabe, verdaut meinen Leib und erfährt: Der Leib stellt nicht nur die Formel für den Stoffwechsel dar. Der Leib ist nicht nur ein Gehäuse für den Geist. Er stellt nicht nur den gottgewollten Weg zum Himmel dar, sondern ist schon jetzt der Ort, an dem der Himmel erfahren wird, ja, er ist der Ort, an dem Gott selber erlebt wird.“ Das sagt uns der Auferweckte. Und seine Rede hat Handschlagqualität.

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