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Von der lebenserweckenden Kraft religiöser Weisheit
(Predigt zur Eröffnung des Sommersemesters 2011)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-03-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Da gab es einmal einen Guru. Eine große Schar lernwilliger Schüler folgte ihm. Eines Tages begannen die Schüler - zuerst, weil sie sich einen Jux machen wollten - den Guru zu bedrängen, er möge ihnen das heilige Mantra anvertrauen, jenes Mantra, das die Toten zum Leben erwecken kann. "Was, zum Teufel, wollt ihr mit einem derart gefährlichen Geheimnis?", wehrte der Guru ab. "Gar nichts! Wir wollen nur unser Wissen vertiefen und unseren Glauben stärken." "Das Wissen, das man allzu früh erwirbt, kann zum Zustand einer gefährlichen Frühreife führen!" "Was ist das: Frühreife?" "Eben: ein Geisteszustand, der dem Menschen etwas von der Macht gibt, ohne dass dieser Mensch jene Weisheit hat, die für den Ausmaß seiner Macht notwendig wäre, damit er das Wissen auch richtig nützen kann: im Dienste der Förderung der Lebenskultur." Die Schüler gaben nicht auf; immer und immer wieder bedrängten sie ihren Meister, er möge ihnen das Mantra anvertrauen. Irgendwann gab der Mann nach und vertraute einem jeden von ihnen das wertvolle Mantra, ermahnte einen jeden, das Instrument nicht leichtfertig anzuwenden; wenn schon, dann in aller Demut, begleitet vom Gebet und im Bewusstsein in welch große Lebenszusammenhänge man da eingebunden bleibt. Eines Tages ging die Gruppe der Schüler in der Wüste wandern. Plötzlich sahen sie eine Menge ausgebleichter Knochen. "Mensch, wenn das nicht die Chance ist, das Wissen, das wir erworben haben, zu verifizieren... Wenn’s funktioniert, dann ist die Welt unser; wenn nicht, wissen wir, was man von dem ganzen Mantra-Geheimnis zu halten hat." Vom Geist der Frivolität beflügelt, rezitierten sie die geheimnisvollen Worte. Und siehe da: die Knochen bewegten sich, überzogen sich mit Sehnen und Fleisch und verwandelten sich in einen Rudel ausgehungerten tollwütigen Wölfe. Die Wölfe fielen über die Gruppe her und zerfleischten die übermütigen Schüler, die an Wissen zwar reich, an Weisheit aber arm waren.

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Liebe Studierende, liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unserer Fakultät! Die alte Geschichte legt präzise den Finger auf eine Wunde, auf die Wunde, die gleichermaßen sowohl von der modernen Forschungspolitik und der gegenwärtig praktizierten Studienkultur, als auch vom heutigen Umgang mit religiösen Traditionen im allgemeinen, mit kirchlicher Religiosität im besonderen aufgerissen wird. Die Wunde der frühreifen Menschen, die in Sachen Religion an Wissen zwar reich, an der Lebensweisheit aber arm sind. Die Produktion und der Konsum des theologischen, des religionswissenschaftlichen und religionsphilosophischen Wissens scheint heutzutage Hand in Hand zu gehen mit der Abnahmen der Lebensform: Religion. Einer Lebensform, die, wie die Weisheit in unserer Gurugeschichte, eben auch erworben, eingeübt und praktiziert, sprich: gelebt werden muss. Die medial-strukturierte Öffentlichkeit gleicht hin und wieder den gierigen Schülern, die mit Gewalt das letzte geheimnisvolle Mantra kennen lernen wollen, dieses auch problemlos manipulieren und instrumentalisieren, dadurch aber dieses Wissen auf eine Art und Weise nutzen, die nicht nur der Sache: Religion nicht dienlich ist, sondern sich gegen den Menschen wendet. Die religionskritischen Mantras auf der einen Seite und jene Rezepte, die die Religion und die Kirche "gesund beten" wollen auf der anderen Seite, erwecken meistens nur die oberflächlichen Wölfe.

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Nicht das Wissen ist an den Pranger zu stellen, wohl aber unsere Haltung, die das Wissen vergötzt , eine Haltung, die dem Wissen eine lebenserweckende Eigenschaft zuspricht. Auch dem theologischen und religionswissenschaftlichen Wissen. Nicht das Wissen ist an den Pranger zu stellen, sondern die Haltung, die die Lebensweisheit banalisiert und deren tieferen Sinn - im Taumel einer naiven Wissenschaftsgläubigkeit - nicht mehr erkennen vermag.

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Es mag seltsam anmuten, wenn der Dekan einer Fakultät an einer Universität zum Beginn des Semesters eine scheinbar wissenschaftskritische Predigt hält. Sie soll nicht zum wissenschaftsfeindlichen Obskurantismus in Sachen Religion führen. Was soll sie dann? Wir fangen das Sommersemester an. Und wir tun es an einem Tag, an dem die Gelassenheit des Rosenmontags Hand in Hand geht mit der liturgisch vergegenwärtigten gläubigen Gelassenheit der Märtyrerinnen Perpetua und Felizitas: Märtyrerinnen, die fast 2000 Jahre das gläubige Bewusstsein der Kirche prägten und dies weit mehr als alle Karnevale und alle möglichen Events aller Zeiten. Sie gingen gelassen in den Tod, nicht, weil sie etwas von Jesus wussten, sondern weil sie von Christus und seinem Lebensweg fasziniert waren. Weil sie sich mit Christus so in den Blick des Vater versenkt haben (wie dies der Prior des Trappistenklosters Notre Dame d’Atlas P. Christian de Chergé, der 1996 das Martyrium erlitten hat in seinem Testament im Hinblick auf sein Märtyrergeschick formuliert hat), dass sie selbst in ihren Verfolgern Kinder des einen Vaters erblicken konnten, schenkten sie uns jene Weisheit, die den Schülern des Guru eben abgegangen ist. Diese Versenkung allein ist nämlich stärker als der Tod. Der Guru aus unserer Geschichte hätte seinen Schülern die Kunst dieser Versenkung in den Blick Gottes - nicht aber bloß das mechanisch funktionierende oder eben nicht funktionierende Mantra - gerne gelehrt, wenn sie die notwendige Geduld aufgebracht hätten. Ich wünsche uns allen, dass auch wir durch unser Forschen und Lehren und auch durch unser Feiern es lernen, unsren Blick immer tiefer in den Blick des Vaters zu versenken.

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