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Ein Evangelium des Umsturzes?
(Gedanken zum 4. Sonntag im Jahreskreis (LJ A))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2011-01-31

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: (Zef 2,3; 3,12-13); 1 Kor 1,26-31; Mt 5,1-12a

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Liebe Gläubige,

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wir haben gerade den Anfang der Bergpredigt Jesu, die berühmten Seligprei­sungen, gehört. Sie gehören sicher zu den schönsten Texten des NT, aber wohl auch zu den unverständlichsten. Kann Jesus das wirklich ernst meinen, dass all diese Menschen – die Armen, die Trauernden, die Gewaltfreien, die nach Gerechtigkeit Dürstenden usw. – dass alle diese selig sind? Unsere Lebens- und Welterfahrung sagt doch ganz etwas anderes. Sie sind doch die Loser, die unter die Räder kommen, und darum tun wir doch alles gesetzlich Erlaubte, um nicht arm, traurig, ungerecht behandelt und verfolgt zu sein.

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Und ist es nicht so, dass hier eine ganz unselige Tradition ihren Anfang nimmt, nämlich die, die Menschen auf später zu vertrösten und sie für die Gegenwart ruhig zu stellen? Alle Verheißungen sind doch erst für die Zukunft, das Leid und die Schwachheit aber für jetzt. Ist es nicht fast schon zynisch, die Menschen mit Blick auf die weit ausstehende Zukunft jetzt schon selig zu preisen? Ungerechte Systeme und Unterdrückungen werden so doch nur stabilisiert, weil die Menschen, anstatt sich aufzulehnen, still erdulden in der Hoffnung auf das künftige Glück im Himmel – so die Kritik eines Karl Marx. Und in der Tat: Dieses Evangelium scheint alles andere als ein Evangelium des Umsturzes zu sein, eher ein Evangelium der Stabilisierung ungerechter Verhältnisse, das jeden Umsturz verhindert.

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Die große Frage ist, ob Jesus es so gemeint hat. Oder ob es ihm nicht zunächst um einen ganz anderen Umsturz ging – nicht um einen Umsturz der Verhältnisse, sondern um einen Umsturz in unseren Herzen.

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Selig, die arm sind vor Gott – oder die dem Geist arm sind. Selig sind Menschen, die wissen, dass sie sich ganz Gott verdanken, und die das auch leben; die wissen, dass sie vor Gott immer bedürftig dastehen, nie stolz auf ihre Verdienste verweisen können, sondern wissen, dass alles Gute in ihnen von Gott ist, und die kindlich weiteres Gute von Gott erwarten; Menschen, die kein geistliches Bankkonto führen, auf das sie ihre frommen Leistungen einzahlen; sondern die sich gern und mit Freuden von Gott beschenken lassen. Ihnen gehört das Himmelreich, denn es ist das Geschenk Gottes, von dem alle anderen Geschenke nur Abglanz und Vorgeschmack sind.

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Und warum sind die selig, die trauern? Vielleicht, weil sie ihr Leid zulassen können und es nicht mit oberflächlichen Ablenkungen, Alkohol oder Drogen zuschütten müssen. Vielleicht, weil sie dem Zwang zum ständigen Gut-drauf-Sein nicht erliegen; weil sie sich nicht vor ihrer Trauer durch einen Panzer schützen, der nicht nur die Trauer, sondern auch jedes andere tiefere Gefühl und jede feinere Regung der Seele einbetonieren und sie selbst verschütten würde. Jesus garantiert: sie werden getröstet werden.

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Getröstet – oder doch nur vertröstet? Die keine Gewalt anwenden, werden das Land erben? Das widerspricht doch nun jeder Erfahrung. Kommen nicht immer die Gewalttäter davon? Wer sich zuerst etwas erobert und hinterher genügend lamentiert, wie viele Unschuldige darunter leiden müssten, wenn man es wieder wegnähme, der kommt doch damit durch. Ja, zunächst. Und dann kommt irgendwann doch der nächste Eroberer und nimmt es wieder weg. Und dem nimmt es wieder jemand weg. Und irgendwann haben sich all die Gewaltanwender gegenseitig ausgelöscht und übrig bleiben, die keine Gewalt anwenden. Das ist sicher kein Rezept für die kurzfristige Lebensgestaltung. Kurzfristig scheint immer die Gewalt zu gewinnen; aber langfristig führt sie sich selbst ad absurdum. Das zu erkennen, ist zunächst der Umsturz, den Jesus anregt; ein Umsturz in den Menschen, der sie dazu bringen soll, die kurzfristige Gewalttaktik durch eine langfristige Strategie, die ohne Gewalt auskommt, zu ersetzen.

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Dass dies keine weltfremde Vertröstung ist, wird gegen Ende der Seligpreisungen deutlich, wo von der Verfolgung um der Gerechtigkeit und um Jesu willen die Rede ist. Jesus rechnet damit, dass die Menschen, die seine Strategie anwenden, verfolgt werden. Daran ist zunächst ersichtlich, dass es sich keineswegs um angepasste Duckmäuser handelt, die jedes Unrecht stillschweigend erdulden und sich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten lassen; wären sie so, dann würden sie nicht verfolgt. Sie werden verfolgt, weil sie sind wie Jesus, der konsequent für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit eintrat; so konsequent, dass man ihn anklagte und schließlich zu Tode brachte. Er trat aber nicht nur konsequent für Gerechtigkeit und Barmherzigkeit ein – er tat dies auch konsequent gewaltfrei.

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Ebenso will er bei denen, die ihm nachfolgen, zuerst den Umsturz in ihren eigenen Herzen hervorrufen; dann können sie auf einen Umsturz der Verhältnisse hinarbeiten, aber einen der unblutig von statten geht, an dessen Wegrand nicht wieder Hunderte oder gar Tausende Toter liegen. Jesu Strategie ist nicht die Vertröstung, die zum Nichtstun verführt, sondern die Tröstung, die zum mutigen Handeln mit der Macht und der Ohnmacht des Wortes befähigt.

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Und so könnte man sagen, stehen zwei Seligpreisungen im Zentrum. Um sie herum gruppieren sich alle anderen: „8 Selig, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott schauen.“ Und: „9 Selig, die Frieden stiften; denn sie werden Söhne [und Töchter] Gottes genannt werden.“ Der tiefere Grund, der Jesus selbst und jene, die in seiner Nachfolge stehen, zu diesem Mut und dieser Macht befähigt, ist die enge und innige Beziehung zu Gott; ihr entspricht die Reinheit des eigenen Herzens. Es ist nicht eigene Kraft und Leistung; nicht eigene moralische Vollkommenheit oder Heldenmut. Es ist das Ergriffensein von Gottes väterlicher Liebe, die einen Menschen zum Sohn/zur Tochter Gottes macht. Das nimmt die Angst nicht weg (man denke nur an Jesus am Ölberg), hat also mit Heldentum wenig zu tun; das macht nicht perfekt und sündenlos, wie uns Paulus gerade auch in der heutigen Lesung gesagt hat; es nimmt auch die Trauer über erlittenes Leid nicht weg; aber es schenkt die Kraft zu einer Liebe, die so groß ist, dass sie menschliches Maß übersteigt und zu schier Übermenschlichem befähigt.

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Und dennoch ein letztes Mal die Frage: Bleibt da nicht eine Vertröstung? Jesus hat doch die Welt nicht verändert; er ist vielmehr am Kreuz gestorben. Ist er nicht gescheitert?

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Blickt man nur auf seinen Tod, das Ende seiner Bemühungen am Karfreitag, dann müsste man das wohl so sagen. Wir sind aber hier, weil wir Sonntag feiern, d. h. weil wir an die Auferstehung glauben. Weil wir glauben, dass Gott das, was trotz unserer Bemühungen nicht gelingt, was trotz gelebter Friedfertigkeit in Gewalt untergeht, immer noch einmal erlösen kann. Gerade das könnte uns zur Friedfertigkeit befähigen. Es stimmt schon: Das Christentum kommt ohne Hoffnung auf einen göttlichen Neuanfang nach dem Tod nicht aus; es erwartet sich nicht das Paradies auf Erden, schon gar nicht das von Menschen produzierte Paradies; es erhofft das von Gott geschenkte Reich am Ende der Zeiten. Aber diese Hoffnung ist deshalb keine billige Vertröstung, weil sie uns hier und heute zu einem anderen Empfinden und als Konsequenz daraus zu einem anderen Handeln befähigen kann – auch noch einmal in dem Wissen, dass wir darin oft versagen und zurückfallen in die alten Muster der kurzfristigen Gewalttaktik, des Egoismus und der Lieblosigkeit. Auch das ist noch einmal aufgehoben in der Hoffnung auf Gottes Umsturz, der aus dem Schwachen und Törichten in der Welt unsere Erlösung wirkt. Paulus sagt es etwas später ganz drastisch: „14 Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer und euer Glaube sinnlos.“ Man könnte es auch umkehren: Da aber Christus auferweckt worden ist, ist seine Verkündigung des Wort des Lebens und der Glaube an ihn eine Macht des gewaltfreien Umsturzes, der zur Fülle des Lebens führt.

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Selig sind wir, weil wir diesen Erlöser haben.

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