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Burning persons - Ein Wunsch zu Beginn des akademischen Jahres
(Predigt zur Eröffnung des Studienjahres 2010/2011 am 4. Oktober 2010 zu Gal 6,14-18 (Fest des hl. Franz von Assisi) in der Jesuitenkirche um 11 Uhr )

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2010-10-06

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Es hat sich einmal Folgendes zugetragen: In einem großen Gefangenenlager gab es einen Gefangenen, der, obwohl zum Tode verurteilt, vollkommen furchtlos und innerlich frei war. Eines Tages sah man ihn im Hof des Lagers sitzen und Gitarre spielen. Eine große Schar von Mitgefangenen stand um ihn herum, und je länger sie seinem Spiel zuhörten, umso furchtloser und angstfreier wurden sie. Als die Behörden dies merkten, verboten sie das Spielen. Doch am nächsten Tag sah man den seltsamen Gefangenen wiederum. Er spielte auf seiner Gitarre und sang, und die Menschenmenge um ihn herum wuchs und wuchs. Da hackten die Behörden dem Gitarrenspieler die Finger ab. Am nächsten Tag war er wiederum da, singend und musizierend mit den blutigen Stümpfen dessen, was einmal Finger gewesen waren. Diesmal schaute die Menge dem Spieler mit Mitleid zu. Doch die Behörden griffen wiederum ein und zerstörten seine Gitarre. Den Tag darauf war er im Hof: singend aus ganzem Herzen - und der Gesang ging auch zu Herzen! Die Menge sang mit, und die Menschen bekamen Mut, sie wurden von der geistigen Kraft mitgerissen. Die Behörden konnten nicht zuschauen und dies dulden. So schnitten sie dem Sänger die Zunge ab. Trauer breitete sich über dem Lager aus - ein Hauch des Todes. Und man wird es kaum glauben können: Am Tag darauf war der stumme Sänger im Hof, tanzend zu einer Musik, die niemand hörte, weil kein Ton von seinen Lippen kam. Er tanzte, und die Menge tanzte mit. Man gab sich die Hände, umkreiste den verletzten und stummen Tänzer. Und die Behörden? Sie trauten ihren Augen nicht. Endlich hatten sie das Wunder begriffen ....

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Warum eine solche Geschichte am ersten Vorlesungstag? Weil sie den Grundnerv des Festes unseres Tagesheiligen trifft und auch etwas zu sagen hat über die gegenwärtige Situation: über den Ort, an dem sich die Christen in der kulturellen Gegenwart befinden, über ihr Selbstverständnis an diesem Ort, v.a. aber über die Bedeutung der begnadeten Existenzen, der burning persons, die ihre Umgebung zu entflammen wissen. Die Zeiten, in denen Franz von Assisi lebte, waren alles andere als einfach. Der Kulturumbruch im Kontext der Ausbildung dessen, was man Frühkapitalismus nennt, die damit verbundene Verarmung breiter Massen von Menschen, die Sackgasse der Kreuzzüge, der Strategie einer gewaltversessenen Begegnung mit dem Islam also, und eine auf sich selbst und ihre Privilegien fixierte, korrupte kirchliche Institution. Die Welt und die Umwelt unseres Tagesheiligen glichen einem überdimensionalen Gefangenenlager, einem Lager, in dem die Menschen ihre Existenz auf ihren Tod hin fristeten. Gerade dieser Welt lebte Franziskus die "neue Schöpfung" vor. Die Tageslesung paraphrasierend und vergegenwärtigend könnte man sagen: Ihm kommt es nicht zuerst darauf an, ob jemand Moslem oder Christ ist, ob er reich oder arm ist, ob er zur hierarchischen Struktur gehört oder nicht. Ihm kam es darauf an, ob dieser Mensch "neue Schöpfung" ist. "Neue Schöpfung" mitten in einer gewaltversessenen, in einer durch himmelschreiende Kontraste von Überfluss und Elend gezeichneten Welt! Franziskus lebte diese "neue Schöpfung" vor. Er lebte sie, indem er selber den Weg Christi, den Weg der freiwilligen Entäußerung konsequent ging: freiwillige Armut als Antwort auf die Kluft zwischen Reichen und unfreiwillig Verarmten, gewaltfreie Begegnung mit dem Sultan Melek el Kamel als Antwort auf die Kreuzzüge, die Basisbewegung des Bettelordens als Antwort auf die Impotenz der Institution Kirche. Er lebte die "neue Schöpfung", deswegen konnte er durch äußere Gewalttat, durch aufgezwungene Entbehrung nicht zerstört werden. Nicht zerstört in seiner überschäumenden Lebensfreude!

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Wie der Gitarrenspieler singt und tanzt er und lobt Gott. In seinem "Sonnengesang" lobt er ihn wegen der Schöpfung, er lobt ihn des Menschen wegen. Überraschenderweise nicht wegen der wirtschaftlichen Potenz der Frühkapitalisten, nicht wegen der strategischen Durchsetzungskraft der militärischer Führer. Nein! Er lobt Gott wegen der menschlichen Fähigkeit zur Vergebung und auch wegen der Fähigkeit, die Krankheiten zu ertragen. Schließlich lobt er Gott wegen der Schwester (so die wörtliche Übersetzung aus der Originalsprache), dem leiblichen Tod!

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Liebe Fakultätsangehörige, auch unsere Welt vermittelt oft den Eindruck eines überdimensionalen Gefangenenlagers. Ausgeliefert an die wirtschaftlichen Mechanismen, ausgeliefert an die Systemzwänge, der Ideologie des Naturalismus verfallen, fasziniert also von der Vision des gesteuerten Menschen, werden unsere Zeitgenossen immer wieder aufs Neue desillusioniert. In der Leere ihres Herzens liefern sie sich an die Konsummentalität aus, verfallen der Gewaltfaszination, bauen selber Gefängnismauern auf: Mauern zwischen Kulturen, Mauern zwischen Religionen. Diese unsere Welt braucht jene Gitarrenspieler, die unerschrocken ihre Mitmenschen entflammen können. Und auch die Kirche hat sie nötig. Vielleicht nötiger denn je! Beten wir um die Charismen, beten wir um die begnadeten Existenzen und auch um die Sensibilität für die Erkenntnis solcher Gaben. Möge unsere Theologie, unser alltäglicher Betrieb an der Fakultät der Förderung solcher begnadeter Existenzen, der Förderung solcher burning persons, der Förderung der Neuaufbrüche dienlich sein.

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