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Reiß doch den Himmel auf und steig in unsere Welt hinab!
(Predigt zum ersten Adventsonntag (Jes 63,16b-17.19b; 64,3-7) gehalten in der Jesuitenkirche in Innsbruck bei den Gottesdiensten um 11 und um 18 Uhr am 30. November 2008)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2008-12-01

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Nein! Diese Zeit war alles andere als gesegnet. Der Himmel war verschlossen. Das Schloss und der Riegel vor der Tür. Europa drehte durch. Mordend, sengend, hurend und plündernd zogen die Landsknechte landauf landab. Seit vier Jahren verwandelte auch der Krieg - der Dreißigjährige Krieg, wie man ihn später nannte - ganze Landstriche in Schlachtfelder. Und dann noch die Pest! Immer und immer wieder brach die Seuche aus und dezimierte Dörfer und Städte. Städte, die hin und wieder lichterloh erleuchtet wurden. Durch die Scheiterhaufen. Scheiterhaufen, auf denen unzählige Opfer starben, vor allem Frauen. Frauen, die durch den Flammentod aus diesem Jammertal erlöst werden sollten. Und warum? Im Bunde mit dem Teufel lebend hätten sie dafür gesorgt, dass der Himmel verschlossen bleibt und Gott sein Angesicht von dieser gottlosen Welt abwendet. Zahlreiche Exorzisten heizten den Glaubenseifer an. Katholisch, lutherisch, calvinisch: Der Wahn kannte keine Grenzen. Schon gar nicht die konfessionellen. Jede Frau konnte zur Hexe werden, jeder Würdenträger zum Hexerich. In wilder Hysterie gefangen, klagten sich ganze Nonnenkonvente der Buhlschaft mit  dem Teufel an, Universitätslehrer bekannten auf der Folterbank, sie hätten beim Hexensabbat getanzt und dem höllischen Ziegenbock den Arsch geküsst. Ja! Der Himmel blieb verschlossen. Gott selber hatte sein Antlitz vor den Menschen - jenen Menschen, die dem teuflischen Wahn der Lüge und der Gewalt verfallen waren - Gott selber hatte sein Antlitz vor diesen Menschen verborgen und die Menschen preisgegeben: in die Hand ihrer eigenen Schuld, ihrer Gewalt und ihrer Lüge. Und je düsterer der Himmel über Europa wurde, umso heller schien der Eifer derjeniger, die mit aller Gewalt das himmlische Schloss und den himmlischen Riegel lösen und Gott durch ihre Machenschaften festnageln wollten auf diesem gottlosen Fleck unserer Erde, der damals Europa hieß.

Liebe Schwestern und Brüder, verglichen mit damals scheint das heutige Europa der Inbegriff des Segens zu sein. Vor allem in der Punschzeit. In der Zeit, die Mitte November regelmäßig in unseren Breitengraden ausbricht. Fast schon wie eine Seuche. Wie die Landsknechte ziehen anonyme Massen von Touristen durch europäische Städte. Lichterloh brennend locken die Städte Tausende und Abertausende von Menschen. In Strömen werden diese gezogen und geschoben. Menschen, die sich animieren lassen und amüsieren wollen. Schließlich ist es die Zeit der Christkindlmärkte, die dann durch die Zeit der Sylvesterorgien und des Faschingstreibens abgelöst wird. Woche für Woche trumpfen unsere Medien mit Schlagzeilen auf: Der Handel verzeichnet wiederum Rekordeinkäufe. Welch eine Sensation! Der Rubel rollt. Nur der Himmel? Dieser bleibt hin und wieder verschlossen und verweigert uns den ersehnten Schnee. Aber der allmächtige Markt weiß auch hier Abhilfe zu schaffen. ... Dann gibt es natürlich noch den Rest der Welt und die Gewalt dort. Und auch unsere Angst, dass wir im gnadenlosen Konkurrenzkampf unterliegen werden. Entweder überrollt oder überholt werden. Doch was soll's? - denkt sich der Durchschnittskonsument. Wir werden es nicht mehr erleben! Lass uns also essen und trinken, denn morgen sind wir tot. Ja, wahrlich - wird man logischerweise schlussfolgern können: Verglichen mit dem Europa von damals stellt unsere Zeit den Inbegriff des Segens dar: Der Himmel regnet auf uns den Segen des Wohlstands und des Konsums in Fülle herab!

Liebe Schwestern und Brüder, bevor Sie sich ärgern, will ich schon festhalten, dass wir - wir, die wir uns hier zur besten Tageszeit zur Eucharistiefeier versammelt haben - nicht zu den Trendsettern dieser popular culture zählen (auch wenn wir uns aus ihr nicht ganz hinwegstehlen  können). Natürlich "wurmt" uns alle diese alltägliche Banalisierung der Adventszeit, die Entstellung der Botschaft vom verschlossenen Himmel und auch das Verdrängen der Bitte, dass sich der Himmel öffne und uns allen einen Blick gewähre auf den lebensspendenden Gott. Allen - nicht nur der trinkfidelen Punschgemeinde, allen - auch jenen, die ihre Arbeit verlieren und jeden Euro fünf Mal in der Hand umdrehen, bevor sie ihn ausgeben. Allen - auch jenen, deren Ehen und Familien zerbrochen sind und die mit dem kulturellen Dogma des fröhlichen Daseins der Unabhängigkeit eines Konsumwesens nichts anfangen können, weil sie Beziehungsmenschen sind. Allen - auch jenen, die unheilbar krank sind und in der Einsamkeit der Intensivstationen oder in der Abgeschiedenheit von Pflegezimmern dahindämmern,  ausgeliefert der Angst und der Depression. Allen - auch jenen, die gerade sterben!

Es "wurmt" uns die Trivialisierung und Banalisierung der Bitte, dass sich der Himmel öffne und allen einen Blick gewähre auf den lebensspendenden Gott. Diese Banalisierung "wurmt" uns und treibt auch viele zur Verzweiflung. Weil Gott zulässt, dass sein Name missbraucht und er selber zum Maskottchen der Konsumkultur degradiert wird. Deswegen verstehen wir den Propheten, der Gott in der heutigen Lesung zuruft und ihn geradezu auffordert: Reiß doch den Himmel auf und steig herab! Steig herab, so dass die Berge vor dir erbeben. Steig herab in unsere Welt und zwar so, dass es endlich kracht. Natürlich wollen wir keine Scheiterhaufen und schon gar nicht das Gewaltinferno, das die Islamisten der Konsumkultur und dem amerikanischen Imperialismus bereiten. Aber ein bisschen mehr "Action" seitens dieses Gottes würde der Welt nicht schaden, jener Welt, die sich vor ihm gar nicht fürchtet.

Liebe Brüder und Schwestern, kehren wir noch einmal zurück zu jener Zeit, in der der Himmel über Europa fest verschlossen zu sein schien. Vier Jahre nach dem Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges, in einem Land, das durch den Wahn der Hexenjagd zerrüttet und von der Pest heimgesucht wurde, mitten in dieser Hölle empfängt ein junger Mann die Priesterweihe. Er ist gerade 31 Jahre alt, hat sich dem Jesuitenorden angeschlossen, der ganz jungen, von Vitalität geradezu strotzenden Gemeinschaft. Sein Name ist Friedrich Spee. Er wird Priester und Ordensmann, weil sein Herz "von brennender Sehnsucht" nach Gott und seinem offenen Himmel erfüllt ist. Schon als Knabe träumte er davon, nach Japan zu gehen, dort gar das Martyrium für Christus zu erleiden, um auf diese Art und Weise der Vision des offenen Himmels teilhaftig zu werden. Denn über Europa im Allgemeinen und über Deutschland im Besonderen schien der Himmel verschlossen zu sein: mit Schloss und Riegel versperrt. Deswegen klagte der frisch geweihte Pater im Jahr seiner Priesterweihe zum Advent, dass wir alle in diesem Jammertal "die größte Not" leiden. Er fragte Gott, wo er denn bleibe. In seinem höchsten Saal? Wenn ja, dann bitte: Lieber Gott, lauf! Lauf! "O Heiland, reiß die Himmel auf, herab, herab vom Himmel lauf..." Komm, Du Trost der ganzen Welt, führ uns aus diesem tagtäglich erlebten Elend: dem Elend des Krieges, dem Elend der Gewalt, der Lüge, dem Elend der Seuchen und dem der Hexenjagd: bei der keiner mehr weiß, wo Gott und wo der Teufel am Werk ist. Führ uns doch von diesem Elend weg zu deinem Vaterhaus und unserem Vaterland. Die Zeit drängt, die Not steuert auf ihren Höhepunkt zu. Vom Wahn geblendet rennen wir alle - wie die Lemminge - dem ewigen Tod in die Arme.

Hat dieses innige, dieses herzzerreißende Gebet eines Friedrich Spee etwas bewirkt? Natürlich, werden die Kulturschaffenden antworten. Es ist zu einem der schönsten deutschsprachigen Lieder avanciert und  hat den Autor berühmt gemacht. Ja, ohne Zweifel. Doch trug das Gebet dazu bei, dass das himmlische Schloss und der himmlische Riegel sich lösten und sich den Menschen von damals das unverhüllte Angesicht Gottes zeigte? Trug das Gebet dazu bei, dass Wolken den Gerechten ausregneten, jenen Gerechten, der als Tröster in die größte menschliche Not kam?

Ja! Das Gebet bewirkte das, was es erbat. Der junge Priester wurde von seinem Ordensoberen nicht nach Japan geschickt. Er musste in Deutschland bleiben, um mitten im Krieg und von Pest umgeben, Trost zu spenden. Er selber durfte den Himmel offen halten und den Heiland, der gelaufen kam, diesen Heiland den Leidenden und Sterbenden vergegenwärtigen. Mittendrin im Inferno - ausgelöst durch die Abscheulichkeiten der Hexenjagd - durfte er gar den himmlischen Tau auf die brennenden Scheiterhaufen gießen. Als Beichtvater der zum Tod verurteilten Hexen begleitete Spee zahlreiche Frauen auf dem Weg zum Scheiterhaufen und war Ihnen ein treuer Zeuge des offenen Himmels. Freimütig sagte er einmal: "Bei keiner einzigen von all den Frauen habe ich etwas entdecken können, was mich überzeugen konnte, die Frau sei zu Recht verurteilt worden". Spee durfte die Gnadenerfahrung des aufgerissenen Himmels machen. Er durfte im offenen Himmel Gott in sein Angesicht schauen und dieses Angesicht dort wieder entdecken, wo es seit der Geburt Jesu zu finden ist: im Antlitz des anderen Menschen, v.a. des Geringsten und des Opfers. Deswegen hatte er - dieser begnadete Beter und Dichter - die Kraft, für die Wahrheit Zeugnis abzulegen. Er hatte die Kraft, auf jenen winzig kleinen Spalt in der geschlossenen Decke des Himmels von damals hinzuweisen. Den Spalt, der seit der Geburt des Gottessohnes sich niemals schließt, nicht einmal im Kontext des höllischen Infernos. Mitten in der Zeit teuflischer Verwirrung, in der Zeit, in der Gott sein Angesicht zu verhüllen schien und die Menschen  ihren eigenen Lügen und der Gewalt ausgeliefert blieben, schrieb Friedrich Spee sein "Himmel aufreißendes" Werk: "Cautio criminalis": eine strafrechtliche Warnschrift. Ein Buch, das den berüchtigten "Hexenhammer" der Täuschung und der Lüge überführt und so den entscheidenden Impuls zur Beendigung der Hexenverfolgung gibt.

Hat das Adventlied eines Friedrich Spee etwas bewirkt? - habe ich gefragt. Ja. Es trug zur Veränderung des Herzens (v.a. des Herzens des Autors) bei und zur Festigung des Glaubens an den wahren Gott. An jenen Gott, der stärker ist als alle Machenschaften: als kriminelles Treiben, oder aber die Bemühung, die vom besten Wissen und Gewissen motiviert, Gott festnageln möchte. Weil Friedrich Spee die Gnade des offenen Himmels mitten im Krieg, umgeben von Pest zuteil wurde, ist er nicht nur in seinen Dreißigern ergraut, weil ihn der Kontrast zwischen Gott und dem Wahn zerrieben hat. Er konnte den offenen Himmel den sterbenden Frauen zeigen und auch den pestkranken Soldaten, die er pflegte, bis er sich infizierte und im Alter von 44 Jahren starb. Da wurde er mit starker Hand von diesem Elend zum Vaterhaus geführt, dem ewigen Tod entrinnend.

Liebe Schwestern und Brüder, Gott stieg herab in die Welt. Gott steigt auch in unsere Welt hinab. Nicht so wie es der Tritojesaja - der Autor der heutigen Lesung - erwartete. Er stieg nicht so, dass es ordentlich krachte. ER nahm die Gestalt in Form eines Kindes an, eines Menschen, eines schwachen Menschen, in Form eines Sterbenden. Diese Gestaltwerdung Gottes wird weder Gewalt noch teuflische Verwirrung und schon gar nicht die kommerzielle Banalisierung rückgängig machen können. Solange es Menschen in dieser Welt gibt, ist dieser Gott mitten unter ihnen. Freilich vermögen wir geblendet durch den Glanz dieser Welt diesen Gott öfters nicht zu sehen. Deswegen feiern wir auch jedes Jahr neu: den Advent! Und rufen: Reiß doch den Himmel auf, jenen Himmel, der unsere Augen verblendet. Reiß ihn auf und verändere unsere Herzen, auf dass wir Dich erkennen und zu glaubwürdigen Zeugen des offenen Himmels werden: füreinander und für unsere Welt.

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