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Gottes Zorn und menschliche Barmherzigkeit – oder umgekehrt?
(Gedanken zum 24. Sonntag im Jahreskreis (LJ C))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2007-09-19

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Ex 32,7-11.13-14 (1 Tim 1,12-17) Lk 15,1-3.11-32

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Liebe Gläubige,

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die Geschichte vom metallenen oder goldenen Kalb ist eine Geschichte aus grauer Vorzeit – der Vorzeit des Volkes Israel, als das Volk auf seiner Wanderung durch die Wüste war und noch kein eigenes Land hatte; aber auch der Vorzeit der menschlichen Religion überhaupt. Es ist ein frühes Stadium der Religion, einen Kunstgegenstand aus wertvollem Material zu machen, und diesen als Gott zu verehren. Israel war mit seinem Glauben an einen nicht physisch greifbaren Gott, der es aus der Sklaverei befreit hatte, schon längst darüber hinaus gewachsen. Aber jetzt griff Verzweiflung um sich wegen des sich ewig hinziehenden Wegs durch die Wüste. Hunger und Durst plagten das Volk. Das Wissen um andere Völker, die solche materiellen berührbaren Gottheiten haben, lockte und der eigene politische und religiöse Führer, Moses, war weit weg, auf dem Berg – angeblich bei diesem Gott. Da kann Israel der Versuchung nicht widerstehen, sich seinen Gott handgreiflich zu machen; handgreiflich, und handhabbar. Ein Rückschritt sondergleichen. – Und die Reaktion folgt auf dem Fuß.

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Gottes Zorn entbrennt, er will sie vernichten und seine Verheißungen nur auf Mose, den treuen Knecht beschränken. Aber dieser Mose überrascht: er sonnt sich nicht im Glanz seiner Gerechtigkeit, sondern ist solidarisch mit seinem Volk; er tritt ein für es vor Gott, erinnert diesen an seine Versprechen gegenüber den Urvätern und schafft es so tatsächlich, dass Gott Reue empfindet über seinen Zorn und keine Rache nimmt.

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Das ist eine schöne, eine Mut machende Geschichte. Tanzen doch auch wir oft ums goldene Kalb – nein, kein Kalb aus Edelmetall, aber vielleicht ein neues Auto, ganz aus Blech; einen tollen Job, ganz aus Stress oder einen super Fernsehauftritt, ganz aus Tratsch. Die „Materialien“, aus denen unsere Götzen sind, sind andere und sie ändern sich je nach der Mode; und wir tanzen auch nicht in einer rituellen Liturgie um sie; aber immer dann, wenn Dinge dieser Welt – seien sie materiell oder geistig – uns gefangen nehmen, so dass sie das Zentrum unseres Denkens und Fühlens werden, dann verfallen auch wir Götzen. Und auch wir opfern diesen Götzen so einiges. Nach der Logik des Buches Exodus entbrennt dann auch der Zorn Gottes über uns. Man könnte dann sagen: Zum Glück hat Jesus, der barmherzige Sohn, den Zorn des Vaters am Kreuz besänftigt. Ihm sei Dank, haben wir doch durch ihn Heilige, Sakramente, Priester, Bischöfe und sogar einen Papst, um den Zorn Gottes zu besänftigen – so wie einst Mose. Der Gedanke würde nahe liegen. Wir könnten dann immer noch beruhigt sein: es gibt sie ja, die Besänftiger des Zornes Gottes.

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Liebe Gläubige,

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wir hätten dann aber ein großes Problem: Welches Bild von Gott haben denn seine Gläubigen – die Israeliten der Wüstenzeit oder wir –, wenn sie annehmen, dass es immer Menschen braucht, um Gottes Zorn zu besänftigen, weil er andernfalls sein Volk vernichten würde? Welches Bild von Gott hätten wir denn, wenn wir Jesu Leben und Kreuzestod so verstünden? Eigentlich doch ein Angst und Schrecken verbreitendes. Wir könnten uns des Heiles, das uns Jesus gewirkt hat, wohl freuen, aber hinter dieser oberflächlichen Freude wäre das furchterregende Bild eines beleidigten und zornigen Gottes verborgen. Und immer, wenn wir in Situationen der Wüste wären, würde es hervorbrechen: Angst vor Gott und Skrupel wegen unserer Sünden wären die Folge.

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Ich spreche im Irrealis, aber ich möchte behaupten, dass das tief in jedem und jeder von uns steckt – teils, weil wir so erzogen wurden, teils aber auch, weil wir es irgendwie Gott einfach nicht zutrauen, ganz gütig zu sein. Es gibt da ein Misstrauen gegen Gott in uns, das wir irgendwie nie ganz loswerden; es hat wohl mit dem zu tun, das die Theologie „Erbsünde“ nennt.

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Jesus hat alles daran gesetzt, uns von diesem Misstrauen zu befreien. Und eines der zentralen Gleichnisse dafür haben wir auch gerade gehört: das vom barmherzigen Vater. Er ist ja die Hauptperson des Gleichnisses, um sein Verhalten geht es, und dieser Vater steht für Gott, den himmlischen Vater Jesu. Der verlorene Sohn ist auch einem Götzen erlegen: sein Götze war die vermeintliche Freiheit in der großen weiten Welt und ein Leben in Saus und Braus. Egal, was es kostet, egal auch, dass er seinen Vater schon vorzeitig für tot erklären muss, damit er erben kann – er muss hinaus! Und als er merkt, dass das eine Chimäre ohne Heil war, rechnet auch er mit einem zornigen Vater, dessen Zorn sich aber vielleicht beruhigen lässt – jedenfalls soweit, dass er ihn als Knecht wieder in den Stall lässt.

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Und wie anders verhält sich dieser Vater! Er läuft ihm entgegen, fällt ihm um den Hals, lässt ihn seine vorbereitete Besänftigungsrede gar nicht beenden, sondern nimmt ihn gleich mit um ein Fest zu feiern. Seine Rückkehr allein beweist ja schon, dass er seinen Fehler eingesehen hat. So – sagt Jesus – sollen wir uns den himmlischen Vater vorstellen. Und der treue, der daheimgebliebene Bruder, was tut er? – Er ist zornig! Er beklagt sich beim Vater über dessen Barmherzigkeit. Er fühlt sich zurückgesetzt. Vielleicht ist er auch neidisch auf den anderen, der vermeintlich so viele tolle Dinge erlebt hat und nun auch noch so herzlich aufgenommen wird. Können Sie den älteren Bruder verstehen? Ich schon, mir ginge es wohl ähnlich.

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Es zeigt sich also: Jesus kehrt in diesem Gleichnis die Rolle von Gott und Diener Gottes um und ist darin realistischer, soweit es uns Menschen angeht. Sollte er nicht auch realistischer sein, was das Verhalten Gottes betrifft? War im Exodus Gott der Zornige und sein treuer Diener der Barmherzige, ist es im Gleichnis vom barmherzigen Vater gerade umgekehrt: der Vater ist all-barmherzig und er muss den Zorn seines vermeintlich treuen Sohnes besänftigen, damit auch dieser vergeben kann. Es zeigt sich, dass dieser Sohn noch nicht zur Barmherzigkeit seines Vaters vorgedrungen ist. Mit Jesus können wir ihn daher nicht identifizieren, aber mit Priestern, Bischöfen und Päpsten oft schon – vor allem aber mit uns selbst, wenn es um die Dummheiten unserer nächsten Umgebung geht. Der barmherzige Sohn, Jesus, geht nicht ans Kreuz, um den Zorn Gottes zu besänftigen, sonst hätte er sich in seinem Gleichnis gründlich geirrt. Er geht ans Kreuz, weil er den Zorn derer erleiden muss, die einen barmherzigen Gott nicht wahrhaben wollen. Zu denen gehören auch wir – mal mehr, mal weniger.

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In einem der witzigen alten Filme von Don Camillo und Peppone 1 gibt es eine Geschichte, die das auf ihre humorvoll-menschliche Weise auch zum Ausdruck bringt: Beim Begräbnis eines Kommunisten, der bei Straßenschlachten mit der Polizei zu Tode kam, soll Don Camillo die Totenglocke läuten. Er weigert sich aber mit der Begründung: „Wenn ihr die Toten ohne Priester begrabt, beleidigt ihr Gott.“ Doch als der Trauerzug über den Dorfplatz zieht, reut es Don Camillo. Er steigt auf seinen Kirchturm, läutet die Totenglocke und meint, sich bei Jesus dafür entschuldigen zu müssen. Doch dessen Stimme antwortet nur: „Lass dich nicht ablenken, Don Camillo, sonst kommst du aus dem Takt“ – will sagen: „Bei mir brauchst du dich nicht zu entschuldigen; ich habe dem armen Tropf schon vergeben.“ Die Barmherzigkeit Gottes war schon längst da, wenn unsere Barmherzigkeit erst langsam unter unserem Zorn hervorkommt. Weder die Diener der Kirche noch gar Jesus selbst müssen Gott besänftigen, sondern der in Jesus handgreiflich berührbar gewordene Gott geht bis zum Äußersten, um unseren Zorn zu besänftigen und uns zu überzeugen, dass er ein all-barmherziger Gott ist, den seine Barmherzigkeit bestimmt nicht reut.

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Anmerkungen:

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1 Hochwürden Don Camillo. Frankreich / Italien 1961.

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