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Wellenbrecher
(Ansprache des Dekans bei der Sponsions- und Promotionsfeier am 21. April 2007)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2007-05-07

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Cool sind sie schon, die Absolventinnen und Absolventen der Katholisch-Theologischen Fakultät Innsbruck. Durch Scheinwerferlicht ausgeleuchtet, auf dem Präsentierteller, das obligate Lächeln auf den Lippen, gleichen sie den Stars, den Celebrities. Kein Wunder, dass man einige von ihnen auf den Briefmarken der österreichischen Post bewundern kann... Da schlendert ein Theologenpaar auf dem langen Gang der Fakultät der lichten Zukunft entgegen.

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Liebe Frau Vizerektorin, liebe Kolleginnen und Kollegen aus unserer Fakultät und Sie, liebe Verwandte, Freunde, Bekannte unserer Kandidatinnen und Kandidaten - traditionell sollen auch die Feinde nicht unerwähnt bleiben - und auch nicht die Coolen, hier auf dem Podium. Der deutsche Starphilosoph Peter Sloterdijk entlockte mir ein bewunderndes Aha-Stöhnen mit seinem Vergleich aus dem Bereich der Reaktortechnologie. In einem Interview in der "Zeit" zum Thema "Wiederkehr der Religion" hat Sloterdijk das Wesen der Religion mit dem Glutkern des Atomreaktors verglichen. Je näher die Menschen an diesen Kern kommen, umso glühender können sie werden... und umso gefährlicher... für andere und auch für sie selber. Wildgewordene religiöse Phantasie ist destruktiv! Völlig überraschend bekennt der Zyniker Sloterdijk: "Das ist der Reiz einer sowohl ethisch wie dogmatisch sehr ausgereiften und tief durchdachten Institution", und er meint damit die Kirche, dass sie die durchbrennende Manie des Glutkerns "auf ein lebbares Format" zurückbringen kann. Mir verschlug es jedenfalls den Atem, als die Zeitredaktion diese seine Logik auf die Kurzformel brachte: "Vor 20 Jahren hätte man gesagt: das Christentum an sich ist gut, aber die Amtskirche verdirbt das Ganze. Jetzt dreht sich das eher um: Religion ist eine sehr bedenkliche Sache, aber gut, dass es so etwas wie Kirche gibt." Aus welchen Gründen singt der Starphilosoph ein Lob auf die organisierte Religiosität? "Der romantische Zeitgeist ist abgeflaut und während man früher pausenlos an Subversion dachte, ist man inzwischen dankbar für jedes Molekül stabiler Strukturen." Vor allem wenn man Kinder hat und man vom Kind her die Wirklichkeit neu durchdenkt. Da verlieren die Zauberfloskeln Flexibilität, Mobilität, Dauerreform, "révolution permanente" ihren Reiz. Man ist dankbar für jedes Molekül stabiler Strukturen.

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Dieses Interview kam mir in den Sinn - liebe Absolventinnen und Absolventen - als ich nach einem vinculum amoris, nach einem Band der Liebe suchte, das Sie alle, so unterschiedlich Sie auch sein mögen - auch mit den Themen Ihrer Arbeiten - zu einer Gemeinschaft vereint: der Gemeinschaft der Graduierten (bitte den Begriff nicht mit dem der Degradierten verwechseln).

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Dankbar für jedes Molekül an Stabilität! Das könnten gerade Sie sein! Denn: Vor 10 Jahren fing die Universität Innsbruck mit der Implementierung des UOG 93 an. Nicht einmal fertig implementiert, kam das UG 2002 - der Reformprozess ist bis heute nicht beendet -, universitas semper reformanda. Ihr Studium fiel in die Zeit des permanenten Umbaues und dies bekamen sie zu spüren, auf diese oder jene Art und Weise. Nicht nur beim Studium. Auch im Kontext politischer Umbrüche und kultureller Trends. Wissen Sie noch, welche Trends unsere Kultur prägten, als sie mit dem Studium begonnen haben? Wer war denn Lady Di? Die Trends, die Wellen, auf denen wir surfen, werden immer kürzer und schneller, die Kunst des Wellenreitens immer schwieriger! Und worauf will ich hinaus? Das Bedürfnis nach Molekülen der Stabilität nimmt zu und auch der Bedarf nach Wellenbrecher.

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Immer größer sind auch die Versuchungen, in der erfahrbaren Instabilität alles auf eine Karte zu setzen, nach einem Messias Ausschau zu halten, Rettergestalten zu suchen. Ideologische Verführung im Kontext chiliastischer Hoffnungen, Hoffnungen auf ein wie auch immer geartetes 100-jähriges Reich, ist nicht nur eine Möglichkeit von gestern.

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Nikolaus Janovsky beschäftigte sich in seiner Diplomarbeit in der Dogmatik (betreut von Józef Niewiadomski, die Namensähnlichkeit schließt die Familienverwandtschaft nicht ein) mit - man höre und staune - "Mein Kampf" von Adolf Hitler. Aus der Überzeugung heraus, wenn der Nationalsozialismus in seiner ideologisch weltanschaulichen Sicht so etwas wie ein Gift darstellt, dann ist eine gesunde Religiosität ein wirksames Gegengift, zeigt Janovsky auf, dass die Beseitigung des Übels nicht durch spektakuläre Wellenreiter gelingt, nicht durch Einzelpersonen und Einzeltaten, sondern durch tägliche Kleinarbeit. Ich füge hinzu: die tägliche Kleinarbeit, die von den Wellenbrechern geleistet wird. Für diese Kleinarbeit brauchen die Menschen einen Glaubensrahmen und Überzeugungen, die sie motivieren. Und einige Zapfsäulen, würde Frau Luitgard Stocker hinzufügen. Sie beschäftigte sich in der Diplomarbeit (betreut von den Kollegen Christoph Drexler/Matthias Scharer) mit dem Projekt Tankstelle (jetzt staunen Sie wieder). Seit 1998 werden die so genannten Zapfsäulen konzipiert (das sind thematisch orientierte Material- und Methodenpakete für den Einsatz in der Schule und der Jugendarbeit). Frau Stocker konzipiert eine Zapfsäule zum Thema Gebet und Gottesbeziehung, bewegt sich also direkt im Spannungsfeld Glutkern und das abgekühlte lebbare Format. Auch Frau Irmgard Untersulzner nagt an dieser Spannung, indem sie über "Mutter Kirche" reflektiert, und zwar in der Dogmatik, betreut von Roman Siebenrock. Sie thematisiert die Spannung zwischen den soziologischen und marianischen Konzepten der Ekklesiologie und verdeutlicht sie am Beispiel - da staunen Sie wieder - von Joseph Ratzinger und Hans Urs von Balthasar (so weit ich verstanden habe, wäre Ratzinger - der spätere Papst - für Frau Untersulzner ein zu cooler Dogmatiker, Balthasar hingegen ein von ihr geliebter, glühender Denker).

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Was beschäftigt unsere Öffentlichkeit im Kontext der aufgeworfenen Fragen am meisten? Die Frage des lebbaren Formats des Glaubens im juridischen und staatspolitischen Kontext. Der mehrfache Magister und seit heute auch mehrfache Doktor Burkhard Josef Berkmann geht in seiner konstruktiven und innovativen Dissertation (betreut von Wilhelm Rees, Zweitgutachten von Koll. Ludger Müller aus Wien) dem "Verhältnis Kirche - Europäische Union aus kanonistischer Sicht" nach. "Was kann die Kirche für ein künftiges Europa beitragen und was hat die Europäische Union der Kirche zu sagen, wie können beide zusammen wirken, dass letztlich dem Wohl des einzelnen Menschen gedient wird?" Und ich übersetze in meine Sprache: Welche Wellenbrecher könnte die Kirche mitliefern zur Gestaltung sintflutartiger Wellen der Veränderungsprozesse in unserem Alltag? Von der Idee der "Vereinigten Staaten von Europa" ist auch Pius Heinzmann begeistert und sucht in der Staatstheorie von Edith Stein (der Philosophin, der Konvertitin, Märtyrerin, der heiligen Patronin Europas) nach einer tragenden staatsphilosophischen Grundlage (seine Suche betreute Kollege Siegfried Battisti). An der Kultivierung philosophischer Wellenbrecher arbeiteten sich auch die übrigen Kandidaten zur Graduierung in der Christlichen Philosophie ab. Die Neurowissenschaften und auch das naturalistische Menschenbild locken heute unzählige wissenschaftliche Wellensurfer an. Die Faszination des Determinismus scheint ungebrochen zu sein. Der philosophische Forschungsschwerpunkt an unserer Fakultät stellt einen exzellenten Wellenbrecher dar: nicht frontal polemisch argumentierend, sondern subtil sich der Logik des Denkens fügend und doch kritisch hinterfragend, und dies im besten Sinn des Wortes. Markus Knitel setzt sich (betreut von Kollegen Josef Quitterer) auseinander mit der Frage der Möglichkeit und Unmöglichkeit von Willensfreiheit in einer neurobiologistisch determinierten Welt. Ist Willensfreiheit eine Illusion? Wenn ja, wie steht es mit unserer Verantwortung. Eva Maria Unterholzner-Schenk geht (betreut von Kollegen Quitterer) den moraltheologischen Implikationen der aktuellen Freiheitsdebatte nach. So paradox es klingen mag, haben beide Arbeiten etwas von der Logik des Wellenbrechers oder aber des Gegengifts, das der Verführung des süßen Gifts des Determinismus wie ein Pharmakon entgegenwirkt. Im Reigen der Kandidaten erscheint auch Stjepan Radic mit seiner Dissertation zur Aktualität und Erneuerung der Tugendethik (betreut von Kollegen Edmund Runggaldier, Zweitgutachten von Josef Quitterer). Das Bild der coolen, auf lebbares Format zurückgebrachten Religion, vor allem aber Ethik taucht da vor meinen Augen auf, wenn ich Folgendes lese: "Tugenden verhelfen die Emotionen so zu integrieren, dass wilde Triebe gezähmt und positive Gefühle gestützt werden. Weil Emotionen vorreflexiv sind, bedürfen sie einer Stabilisierung durch die Vernunft bzw. Tugend." Aber auch das Bild des Wellenbrechers kann helfen, diese Dissertation verständlich zu machen. Radic weist nach: Reine Tugendethik verfällt in Relativismus und Orientierungslosigkeit. Eine umfassende Ethik soll nicht nur das richtige Handeln reflektieren, sie muss auch die Frage der Vervollkommnung des Menschen stellen und damit auch die der Prinzipien.

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Das wissen am besten unsere Seniorstudierenden. Das Geschäft der Kultivierung der Tugend kennen sie ja aus dem beruflichen Alltag. Und das alleine genügt nicht. Am Rande sei erinnert, dass Tugend ursprünglich für kriegerische Tüchtigkeit, Trefflichkeit und Stärke steht. Auch für die Tüchtigkeit im Sport. Die Tüchtigkeit allein vermag aber nicht automatisch die Frage nach der Ethik und nach der Vollkommenheit des Menschen zu beantworten. So wenden sich der ehemalige Sportler - gar Rekordhalter -, der ehemalige Lehrer, die tüchtige Geschäftsfrau in der Pension dem Studium der Theologie bzw. der Philosophie zu. Diese drei Senioren, die heute ihr Bakkalaureatsstudium abschließen, stehen auch für das Programm der Fakultät da: das Molekül an kultureller, religiöser Stabilität zu sein, der Wellenbrecher in einer Welt, die des Surfens oft müde wird, sich v.a. aber beim Surfen kaum Gedanken macht über den Sinn des Ganzen. Das Ehepaar Margarete und Günter Pichler schlendert nicht nur auf der Briefmarke der österreichischen Post, Herr Paul Windischer erfüllt sich nicht nur einen Herzenswunsch, das irgendwann angedachte und begonnene Theologiestudium nun abzuschließen. Sie alle - genauso wie auch die übrigen Absolventen und Absolventinnen - tragen zur Humanisierung unserer Gegenwart bei, weil sie durch ihr Studium, aber auch durch das Lebenszeugnis den Reiz einer sowohl ethisch wie auch dogmatisch sehr ausgereiften und tief durchdachten Institution erhöhen, damit die kulturelle Rolle der Wellenbrecher übernehmen.

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In diesem Sinne, liebe Absolventen und Absolventinnen, bleiben Sie cool! Aber indem Sie so cool bleiben, werden Sie glühend im Dienste der Christlichen Philosophie und der Katholischen Theologie! Unsere Welt wird Ihnen dankbar sein für ihre Authentizität. Uns allen kann ich aber nur noch das Motto, das in einer Diplomarbeit steht, ans Herz legen: "Willst du den Geschmack einer Birne kennen lernen, musst du sie in deinem Mund zerkauen." (Mao Tse-tung) Willst du den Geschmack des Christentums kennen lernen, musst du dessen Glauben, dessen Philosophie, dessen Lebenseinstellung in deinem Mund zerkauen. Diesen Genuss wünsche ich uns allen. Und auch den Genuss eines festlichen Mittagessens!

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