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Auferstehung - ein Gerücht?
(Gedanken zum 2. Sonntag der Osterzeit (Lesejahr B))

Autor:Wandinger Nikolaus
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:War Thomas ungläubig oder sind wir leichtgläubig? Was unterscheidet die Auferstehungsbotschaft von einem Gerücht?
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2006-07-21

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Lesungen: Apg 4,32-35; (1 Joh 5,1-6); Joh 20,19-31

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 Liebe Gläubige,

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ich gebe es gerne zu, dass mir der Apostel Thomas besonders sympathisch ist, gerade weil er so zurückhaltend mit seiner Glaubenszustimmung ist. Die Tradition nennt ihn gerne „ungläubig“, aber wir könnten doch den Spieß einmal umdrehen und sagen: er war einfach nicht leichtgläubig. Wenn doch mehr Menschen so wären wie dieser Thomas, dann würden viel weniger Leute gefährlichen Gerüchten aufsitzen. Wenn alle nur das glauben würden, was sie mit eigenen Augen gesehen und mit eigenen Händen berührt hätten, dann wäre die Welt um viele Irrtümer ärmer—und vor allem auch um viele Verleumdungen und Rufmorde, ja vielleicht sogar um etliche physische Morde.

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Aber halt: Preist Jesus nicht gerade die selig, die glauben, obwohl sie nicht sehen, die nicht so kritisch und zurückhaltend sind wie Thomas? Wo hört also die Leichtgläubigkeit auf und wo beginnt die Ungläubikeit? Das ist eine schwierige Frage. Vielleicht hilft es uns zu ihrer Lösung, einmal zu bedenken, was denn der Unterschied ist zwischen einem Gerücht und dem Bericht der Jünger, dem Thomas zunächst nicht vertraut hat.

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Ein Gerücht bemüht bestimmte Formulierungen wie: „Weißt du schon, dass…?“ oder „Ich habe gehört, so und so …“ oder „Der Nachbar soll ja das und das getan haben“ oder gar „Mein Bruder kennt einen, der hat eine Bekannte und die hat gesagt, dass …“ Diese Formulierungen haben alle eines gemeinsam: die Quelle der vermeintlichen Information wird nicht angegeben, sondern verschwiegen oder gar verschleiert. Gerüchte leben davon, dass ihr Ursprung im Nichts verschwindet, sie sind daher unwiderleglich. Wem sollte man denn das Gegenteil nachweisen, wenn man niemanden findet, der für die Falschmeldung gerade steht? Wer ein Gerücht verbreitet, tut alles, um es möglichst unüberprüfbar zu machen, und dazu gehört: keine Quellenangabe!

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Wer ein Gerücht verbreitet, tut daran auch gut, denn Gerüchte haben noch eine Eigenart: Sie verbreiten immer etwas Negatives über jemanden, und sollte es nicht stimmen, müsste man heute mit einer Klage wegen Verleumdung rechnen. Aber wenn es keinen Urheber gibt, kann man auch niemanden verklagen. Selbst wenn sich Gerüchte scheinbar positiv anhören, sind sie doch in Wahrheit negativ: „Der Herr X, der soll ja im Lotto eine Million gewonnen haben.“ Da schwingt nicht Freude für den glücklichen Gewinner mit, sondern Neid auf den Neureichen und moralische Anklage, warum er denn seinen Reichtum verheimlicht anstatt herumzugehen und sein Geld zu verteilen. Ein positives „Gerücht“ ist kein Gerücht. Das liegt wohl an unserer Sensationslüsternheit, die etwas Negatives braucht, um sich aufzugeilen. Mit Sätzen wie: „Ich habe gehört, dass der Pater Repschinski ein ganz netter Mensch sein soll“, lässt sich das nicht machen. Sie eignen sich nicht dazu, im Verschwörungston durch die Kirchenbänke oder die Straßen Innsbrucks getuschelt zu werden, weil sie etwas Positives sagen.

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Ein Gerücht zeichnet sich also dadurch aus, dass keine Quelle benannt wird und dass es letztlich dem Opfer des Gerüchts immer etwas Negatives nachsagt, wenn auch manchmal in positiver Verkleidung. Wie aber sieht es mit der Erzählung aus, die die anderen Apostel dem Thomas bieten? Da heißt es: „Wir haben den Herrn gesehen.“ (Joh 20,25) Diese schlichte Aussage ist durch zwei Elemente gekennzeichnet: Durch eine klare Quellenangabe: Wir haben es gesehen; wir stehen gerade mit unseren fünf Sinnen und unserem Verstand: so war es und nicht anders. Und: durch eine fast sachliche Nüchternheit, die weit weg ist von jeder Sensationslust: den Herrn haben wir gesehen. Hinter dieser Nüchternheit versteckt sich aber Großes und Großartiges: da wird mitgesagt, dass der, der tot war und im Grab lag, lebt. Sie haben keinen Leichnam und keinen Geist gesehen, sondern den Herrn—Jesus—selber. Und in diesem einfachen Wort „Herr“ verbirgt sich auch schon die Einheit Jesu mit Gott. So, wie man zu Gott, einfach nur „Herr“ sagt, so nimmt dieses Wort auch bei Jesus eine tiefere Bedeutung an, als man auf den ersten Blick erkennt. „Er lebt und er ist DER Herr, und wir haben ihn selbst gesehen“, das sagen die Jünger dem Thomas. Es handelt sich hier um kein Gerücht, es handelt sich um eine Freudenbotschaft, wie sie positiver und sensationeller nicht sein kann—und doch kommt sie ganz ohne Sensationston daher; und die Boten stehen ganz hinter dieser Botschaft und lassen nichts im Unklaren über ihre Herkunft.

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Deshalb sind auch wir nicht leichtgläubig, wenn wir dem Wort des Evangelisten vertrauen ohne Jesus so gesehen zu haben wie die Apostel und schließlich auch Thomas. Trotzdem ist mir dieser Thomas immer noch sympathisch und ich bin ihm sehr dankbar, denn er hat eine Sehnsucht geäußert, die auch ich und viele heutige Gläubige haben: die Sehnsucht, nicht nur auf das verlässliche Wort der Apostel und der apostolischen Kirche hin zu glauben, sondern auch selbst den Auferstandenen zu erfahren. Dem Apostel Thomas wurde diese Sehnsucht erfüllt. Die großen Heiligen und MystikerInnen der Kirche zeigen uns, dass dies auch für später Geborene noch möglich ist. Die Erfahrung des Auferstandenen ist für die ersten JüngerInnen von besonderer Art, aber sie ist nicht auf sie beschränkt. Der auferstandene Jesus will auch uns selbst begegnen, damit auch wir nicht nuraufgrund des Wortes glauben, sondern auch aufgrund einer Begegnung mit ihm. Einer Begegnung, allerdings, die nur erfahrbar und verständlich wird auf dem Fundament des Wortes der Apostel, das alles andere als ein Gerücht ist.

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Seien wir wachsam für solche Begegnungen; für Situationen, in denen wir unerwartet aus Sackgassen befreit werden, in die wir geraten sind und die uns alles aussichtslos erscheinen ließen. Und plötzlich tut sich ein neuer Weg auf, als wäre ein großer Stein vom Grab weggerollt, und wir können mit Frieden beschenkt einen neuen Weg gehen. Vielleicht erkennen dann auch wir darin das Wirken Jesu, so dass wir nur staunend „Mein Herr und mein Gott“ (Joh 20,28) stammeln können. Seien wir wachsam für solche Begegnungen in der Tiefendimension unseres Alltags, in unserem Gebetsleben und jetzt am Tisch des Herrn, an dem er uns leibhaftig gegenübertritt und sich uns ganz schenkt, um uns immer mehr zu einer Gemeinschaft der Glaubenden zu machen, die „ein Herz und eine Seele“ (Apg 4,32) sind und das Leben gemeinsam meistern.

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