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Osterspuren im Gesicht der Mutter
(Eine unkonventionelle Predigt zum Muttertag)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Jesuitenkirche beim 11. Uhr Gottesdienst am Sonntag, 14. Mai 2006
Datum:2006-05-15

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die Meldungen des Tages und die Bilder sehen immer gleich aus. Zum Muttertag wird das “Mutterglück” auf die Titelseite gebracht. Die Mutter wie wir sie zu wünschen haben: verhältnismäßig jung, sehr oft blond, auf jeden Fall fit und sexy..., fast schon eine Cybermutter. Mit dem Kind auf dem Arm. Oder in der Wiese. Wallendes Haar.

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Nichts davon bei den letzten Bildern und Meldungen über seine Mutter. Da schweigen sich die Evangelien aus. Sie schweigen sich aus über die Totenstille am Karsamstag, über die vom Schmerz sprachlos gewordene, geradezu versteinerte Mutter. Gab es da etwas anderes als Trauer und Schmerz? Als die Sinnlosigkeit zerstörter Lebenshoffnungen? “Frau, siehe da ... Dein Sohn!” Das waren seine letzten Worte, die er an sie gerichtet hat. Am Tag seines Todes. Die Volksfrömmigkeit griff dankbar den Spruch des alten Simeon auf: “Dein Herz wird ein Schwert durchbohren!” Sie formte unzählige Figuren der Mutter, deren Brust durch Schwerter aufgeschlitzt bleibt. Gar durch sieben Schwerter. Diese weisen auf all die Verletzungen hin, die im Laufe ihres Lebens ihre Mutterschaft erleiden mußte, auf die Verlusterfahrungen, auf die Flucht und Asylsuche, auf das Außenseiterdasein der Mutter eines Spinners, eines Menschen der einen atemberaubenden Aufstieg erlebt hat und den atemraubenden Fall. Die Schwerter weisen auf die Worte hin, die den Steinen nicht ganz unähnlich, sie ins Herz trafen, ihr den Atem wegnahmen und die Augen mit Tränen füllten. “Meine Mutter? Wer ist meine Mutter? Alle, die mein Wort hören und es verstehen. Sie alle sind mir Schwester und Bruder und Mutter!” Das hat gesessen! Genauso, wie all die distanzieren Anreden: “Frau, was willst du denn? Frau, siehe da... dein Sohn!” Wie oft verschlug es ihr dabei die Sprache?

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Vielleicht deswegen legte die kirchliche Liturgie ihr die Worte der alttestamentlichen Klagelieder in den Mund: “Ihr alle, die ihr des Weges zieht. Schaut her, ob ein Schmerz ist, wie mein Schmerz, wie der Schmerz, den man mir angetan. Schaut doch her!” Die Kunst besang jene Mater dolorosa, die schmerzensreiche Mutter, die unter dem Kreuz stand: iuxta crucem, tränenerfüllt, die Seele mit dem Schwert durchbohrt. Millionen von Menschen - gerade Mütter - blickten und blicken auf jene Mutter, die den toten Sohn auf ihrem Schoß bettet. Millionen von Müttern, deren Mutterschaft sich nicht auf das Mutterglück des Muttertages reduziert, auf diese Momentaufnahme einer lächelnden Cybermutter. Gerade diese Mütter blicken auf dieses Bild. Gerade auf diese Momentaufnahme! Und sie lesen nur Eines ab: “Das ist nicht das Ende der Geschichte!” This is not the End of the Story. Das ist nicht das Ende der Geschichte von Mutter und Sohn, und dies nicht deswegen, weil die Mutter - solange sie noch leben wird - ihren toten Sohn beweinen wird, sein Grabe am Friedhof besuchen, Blumen pflanzen und gießen wird. Weil sie seine Bilder aus der Schatulle holen kann, sich die selbstgemachten Videos immer neu anschauen kann, seine Freunde und Freundinnen einladen kann und daran denken kann: er lebt doch! Er lebt in der Erinnerung. “Wir werden Dich nicht vergessen!” - steht es ja auf unseren Todesanzeigen, gerade dann, wenn junge Menschen: Töchter und Söhne aus ihrem Leben herausgerissen werden. Das Bild der Mutter mit dem toten Sohn auf ihrem Schoß: diese Momentaufnahme der “Pieta” sagt: “Das ist nicht das Ende der Geschichte!” - dies aber nicht deswegen, weil sie ihn nicht vergessen wird, solange sie lebt. Nein. Auch nicht deswegen, weil er in seinen Kindern und Enkeln leben wird. Nein! Er hatte ja keine! Warum dann?

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Warum wirkt diese Momentaufnahme so tröstlich? Warum vermag sie den Schmerz zu kanalisieren, Versteinerung zu erweichen, die Atemnot zu lindern, das Gefühl der Sinnlosigkeit zu bahnen? Warum? Weckt das Bild der “Pieta” etwa deswegen die Hoffnung, weil es die Osterspuren auf dem Gesicht der Mutter anzeigt? Das Bild wirkt ja nicht so, wie die sonstigen Momentaufnahmen, die schon im Moment, in dem sie gemacht werden, veraltet sind, weil sie bloß Vergangenheit zeigen. Dieses Bild verdichtet auch die Vergangenheit, zeigt aber ebenso auf die Zukunft hin. Diskret und indirekt. Durch Osterspuren auf dem Gesicht der Mutter.

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Die Evangelien schweigen sich ja über den Ostermorgen aus. Sie berichten zwar von Frauen, die zum Grab gingen. Sie zeigen Maria von Magdala wie sie am Grab kauert , weint und klagt..., und dies deswegen, weil sie den Leichnam nicht findet. Den Leichnam, den sie noch einmal berühren will, salben. Den Leichnam, den sie für ihren Trauerprozess braucht, für die Loslösung vom Gestern . Vom Gang der Mutter zum Grab sagen die Evangelien nichts, genauso wie sie über eine Begegnung der Mutter mit dem Auferweckten nichts zu berichten wissen. Und dies aus einem guten Grund. Die Begegnung ist vermutlich nicht notwendig gewesen, weil der Mutter die österlichen Augen schon früher geschenkt wurden.“Das ist ein starker Tobak!” - würden Theologen einwenden.

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Nun lehrt die Kirche, dass Maria “vorauserlöst” wurde. Im Hinblick auf ihre Mutterschaft wurde sie von der Verstrickung in die Sünde gelöst. Gleichzeitig zeigt die Kirche die Mater dolorosa, die schmerzerfüllte Mutter und die socia Christi, die Gefährtin, die den Kreuzweg bis zum Ende geht und leidet, genauso wie er. Und sie leidet, wie all die Mütter, deren Kinder ausgeliefert, misshandelt, gequält und getötet werden. Doch ist sie keine tragische Mutter. Sie gleicht nicht den archaischen Gestalten, die nur vom unabwendbaren Schicksal gebeugt werden. Nein! Sie ist die erste Christin. Und das Urbild der Kirche. Sie leidet, wird sprachlos, aber sie vermag auch das Leid, die Sackgasse, den Tod mit den österlichen Augen zu sehen. Deswegen glaube ich, dass ihr diese Augen spätestens in jenem Augenblick zuteil wurden, als sie den toten Sohn auf ihrem Schoß bettete. Dass also ihr Umgang mit dem toten Sohn von der Auferweckungshoffnung geprägt war! Warum ist mir das wichtig?

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Die Kirche feiert im Kontext des Begräbnisses von Christen den Auferstehungsgottesdienst. Es ist dies die Eucharistie, wie sie tagtäglich gefeiert wird. Im Zusammenhang mit dem Begräbnis wird sie oft - gerade in den Todesanzeigen als Auferstehungsgottesdienst bezeichnet. Und viele Zeitgenossen missverstehen dies, wenn sie meinen, dass wir da die Auferstehung des Toten feiern. Die Leiche, oder die Asche direkt noch vor der Nase. So nach dem Motto: auch bei den Christen wird die Sache nicht so heiß gegessen, wie gekocht. Alles also nicht so wörtlich zu nehmen. Wir feiern aber die Auferstehung Christi. Und das ist wörtlich zu nehmen! Wir feiern jene Auferstehung, die uns gerade bei der Beerdigung die österlichen Augen schenken soll, auf dass wir fähig werden, den Tod und die Sackgassen des Lebens unserer Verstorbener - all die Verletzungen, die wir von ihnen erleiden mußten, all die Steine, die uns trafen, uns den Atem wegnahmen, all die Schwerter, die unsere Seele durchbohrten, weil der Tote wenn auch oft ohne Absicht uns weh tat - mit österlichen Augen sehen, im Licht der erhofften Auferweckung und deswegen auch zu jener Gelassenheit in Trauer finden, die der Mutter eigen war, als sie den toten Sohn auf ihrem Schoß bettete. Und der ganzen Welt die unmissverständliche Botschaft vermittelte: Diese trauernde Mutter stellt keine tragische Gestalt dar. Es ist eine Mutter mit Osterspuren im Gesicht, eine Mutter mit österlichen Augen. Sie schaut den toten Sohn an und bekennt: Das ist nicht das Ende der Geschichte von Mutter und Sohn. Es wird die Zeit kommen, da wird ER auferstehen; ja es kommt die Zeit, dass auch ich mit ihm auferweckt werde und ihr alle, die ihr des Weges geht und dieses Bild anschaut: Ihr werdet alle auferweckt werden.

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Als Katholiken haben wir uns gleichsam doppelt versichtert: Wir glauben, dass die Osterspuren im Gesicht der Mutter schon dem vollendeten Leib Platz gemacht haben. Mit Leib und Seele in Christus vollendet zeigt sie uns ja unsere eigene Vollendung an. Und das ist noch ein Grund mehr die Osterspuren in unseren eigenen Gesichtern herauszuputzen und unsere österliche Augen zu erneuern!

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