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Zur Ausstellung in_serie von Gitti Schneider
(Kunst im Gang 29/04/05)

Autor:Braun Bernhard
Veröffentlichung:
Kategoriefak
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2005-04-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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„So bringt jede Kulturepoche eine eigene Kunst zustande, die nicht mehr wiederholt werden kann. Eine Bestrebung, vergangene Kunstprinzipien zu beleben, kann höchstens Kunstwerke zur Folge haben, die einem totgeborenen Kind gleichen."

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Mit diesen drastischen Worte drückt Wassily Kandinsky am Beginn seines Werkes Über das Geistige in der Kunst eine immer wieder so ähnlich formulierte Überzeugung der gegenstandslosen Malerei aus. Dass nämlich einmal vergangene Stile und Prinzipien nicht glaubwürdig wiederholt werden können.

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Besonders treffend muss eine solche Aussage für eine promovierte Kunsthistorikern wie Gitti Schneider sein, die ihr Studium 1984 mit der schon erwähnten Arbeit über die Jesuitenkirche abgeschlossen hat.

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Seit 1998 arbeitet sie als freischaffende Künstlerin und es scheint, dass sie darin ein Refugium gefunden hat, die Last der Bedeutungen und des Figuralen, die seit Jahrhunderten an Gewicht zugenommen hat, abzuwerfen und zu etwas vorzudringen, wo Malerei gleichsam sich selbst genügt und zum absoluten Ausdruck geworden ist. Wo autonome Malerei nicht mehr im Dienst einer mimetischen Funktion steht. Es ist eine Kunst, um die genaugenommen nicht viele Worte gemacht werden sollten, weil sie radikal für sich selbst spricht. Das aufmerksame Hinhören auf die Gesetzmässigkeiten der Proportion und den Klang der Farben erfordert viel Disziplin und die Umsetzung eröffnet ein Feld synästhetischer Erfahrung.

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„Reine Spannung. O Musik der Kräfte" – sagt uns Rainer Maria Rilke in einem seiner Sonetten an Orpheus, dem mutmasslichen Musiker der kosmischen Harmonie.

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Man sieht bei Gitti Schneider nicht nur, man hört die Töne ihrer Pinselstriche, man schmeckt und riecht die Intensität der Farben, darunter immer wieder die vitale Kraft des Rot, man fühlt das Haptische des – zumeist japanischen und chinesischen – Papiers, das sich wölbt, faltet, rollt und nur widerwillig in die Zwangsjacke eines Rahmens gepresst wird.

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Gitti Schneider hat sichtbar Lust am Umgehen mit diesem zarten und verletzlichen Papier, das sie beim Grundieren streichend auslotet und dann Schritt für Schritt erobert. Die Dynamik und Bewegung hat in vielen Blättern einen Niederschlag gefunden: als Gewoge kräftiger verdichteter Farben oder als ein auf dem Weiß des Papiers asketisch und beinahe kalligrafisch anmutender Tanz des Tuschepinsels. Gitti Schneider hat sichtbar Lust, wenn sie in die Farbklänge hineintaucht, die häufig – als Schichtungen übereinandergelegt – abgründige Tiefe erhalten, wenn sie in einer kleinen intimen Arbeit einen einsamen Akkord entwirft oder in langen Farbvorhängen einen ganzen Klangteppich komponiert.

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Dass die Künstlerin den Rahmen nicht besonders schätzt, der die Tradition des Tafelbildes und der Illusionsmalerei evoziert, wird nicht überraschen, viel lieber versammelt sie einzelne Blätter zu Gruppen und Serien, in_serie eben, wie die Ausstellung sinnenfällig betitelt wurde. Es ist wie das Arrangieren von Motiven, ein kreativer Akt, wo sie Pausen und Synkopen setzt, Spannungen aufbaut und in einem Akkord wieder auflöst. Sie selbst sagt dazu: „Wenn das einzelne Bild in sich kompakt und fertig ist, reizt mich das Zusammensetzen der Bilder in grosse Blöcke – neue verstärkte Klänge ergeben sich, Verdichtung entsteht und gleichzeitig Öffnung."

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Was hier in der Malerei vor uns liegt, begleitet und kommentiert Brigitte Haaß – wegen der interessanteren Akustik ein wenig abseits – mit der Violine. Ausführlicher noch wird dieser Dialog am 20. Mai um 18.00 in einem Ausklang zu dieser Ausstellung passieren.

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Wenn die Künstlerin allen Vorbehalten zum Trotz dennoch manche Arbeiten in einen Rahmen setzt, tut sie dies vor allem als Zugeständnis an eine klassische Präsentation. Dieser Rahmen ist dann häufig aus Eisen, so als ob die Last der Tradition damit reflektiert werden sollte. Das Blatt schwebt ohne Passepartout im Raum und probt den Widerstand gegen die graue Kälte dieser eisernen Grenze.

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Der Rahmen ist freilich nicht nur Versatzstück menschlicher Guckkastenwelt, er schneidet nicht nur einen eigenen Bereich aus dem Alltag aus, sondern er gibt einer Malerei auch einen Halt. Schneiders Flanieren in den Farbklängen verlangt nach einem solchen strukturierenden Halt. Dazu legt die Künstlerin häufig mit Tusche schwarze Linien auf die Melodie der Farbe, um ihr einen Rhythmus zu unterlegen. Der Rhythmus war vor der Erfindung des Reims, zu einer Zeit, wo Poesie, Musik und Tanz noch zusammengehörten, die Stütze der Poesie. Die kleinste Einheit des Rhythmus damals war der pons, der Schritt, das Heben und Aufsetzen des Fußes. Als Versfuß hat er Eingang in die Poetik gefunden.

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Es mag Zufall sein, eben etwas, das mir als dem Redner zufällt, dass Gitti Schneider sich in ihren photographischen Arbeiten seit einiger Zeit dem Motiv der Füsse, vornehmlich ihrer eigenen, widmet. In diesem klassischen Medium mimetischen Abbildens verfremdet sie diese seltenen und überraschenden Blicke auf die Füsse, die für Bodenhaftung und Erdverbundenheit stehen, durch eine zeichnerisch-malerische Kommentierung. So löst sie diese alten Assoziationen auf und lässt scheinbar Alltägliches reflektierend neu erfahren und wahrnehmen. Zum Unterschied von den auf das Unvorhersehbare und Überraschende ausgerichteten Bildräumen, wird die Reflexionsarbeit an der Photographie, die durch das Übereinanderlegen transparenter Blätter eine Schichtung erhält, durch einen intellektuell und streng anmutenden weißen Rahmen eingefasst.

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Die Freiheit der Künstlerin ist auch die Freiheit der Rezipienten und es bleibt dem Betrachter überlassen, aus seinem Erinnerungsschatz Bedeutungen zu assoziieren. Sei es Florales und Vitales, sei es Geometrisches mit dem gesamten Archetypenschatz, der diesem in der Geschichte zugewachsen ist, sei es das rein Dynamische oder seien es Gefühlswelten, die in uns neue Erfahrungen auslösen, zu neuen Wahrnehmungen anleiten – oder, wie die Künstlerin meint: einem „neue Räume eröffnen", und damit unser Leben bereichern sollten.

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