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"Deinen Tod verkünden wir!" Gerade im Zeitalter der Todesverdrängung
(Predigt auf dem Hintergrund von Ez 37, 12 b-14und Joh 11,1-45)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Universitätspredigt bei der Eucharistiefeier am 13. März um 11 Uhr in der Jesuitenkirche
Datum:2005-03-16

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Unsere Zeit bringt den Tod, und dies tagtäglich. Sie bringt den Tod den Millionen von Menschen, die an Hunger und Durst sterben. Sie bringt millionenfachen Tod den Kindern, die den Mutterschoß verlassend schon um ihren letzten Atemzug ringen, den Kindern, die mit aufgeblähten Bäuchen sich lethargisch dem unabänderlichen Geschehen fügen

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Unsere Zeit bringt den brudermörderischen Tod, weil Völker einander verfolgen und ganzen Landstrichen das Blutbadszenario aufzwingen. Unsere Zeit bringt den Tod, weil Tausende, Abertausende von Menschen in Stücke zerrissen werden, sich selbst in die Luft sprengen und andere in die Luft jagen.

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Sie bringt den Tod, weil sie Menschen voneinander isoliert, sie gegeneinander aufhetzt, zur mörderischen Konkurrenz verführt, den Workaholickerstress zur Norm erklärt und Menschen solange rotieren lässt, bis ihnen das Herze bricht.

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Unsere Zeit bringt den Tod, weil sie Stück für Stück - langsam, unauffällig, aber nachhaltig - die gängige kulturelle Mentalität in Richtung "Du sollst sterben" verwandelt. "Du sollst sterben": wenn deine Lebensqualität dermaßen abgenommen hat, dass ein Weiterleben dir und den Deinigen - wenn es noch solche gibt - derartige Belastungen aufbürdet, dass schon die einfache Milchmädchenrechnung keinen anderen Schluss mehr zulässt als: "Dann lieber schon sterben!" Tagtäglich, auf vielfältige Art und Weise, fallen wir dieser todbringenden Zeit zum Opfer. Warum verzweifeln wir denn nicht?

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Diese todbringende Zeit beseitigt auch den Tod, sie macht ihn sichtbar, schafft ihn weg aus unserem Lebens- und Erfahrungsraum. Tagtäglich füttert sie uns mit Nachrichten und Bildern; sie füttert uns dermaßen, dass der Tod in der Masse verschwindet, zum Normalfall wird. Wir sehen und sehen doch nicht, wir schauen zu und schauen doch weg. Der sichtbare Tod wird unsichtbar, die sichtbaren Opfer durch andere Opfer zugedeckt.

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Unsere Zeit beseitigt aber auch den Tod, weil sie uns mit Erwartungen konfrontiert, dass wir das Sterben selber in den Griff bekommen. Aberwitzige Summen werden investiert in Forschungen, die vom Wahn der Unsterblichkeit motiviert werden. Wir beseitigen die Krankheiten, stoppen das Altern, verlängern unsere Leben ins Unendliche, ja, wir werden in der Lage sein, Sicherheitskopien unsere Identität herzustellen., auf dass man in alle Ewigkeit nicht sieht, dass wir doch gestorben sind.

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Unsere Zeit beseitigt den Tod, weil sie den ganz konkreten Tod, den Tod von Menschen, die uns lieben, den Tod in unserer unmittelbaren Nähe, den Tod, der uns die Kehle zuschnürt, weil sie diesen Tod banalisiert, ihn genauso zum Teil der Statistik macht, ihn genauso in der Masse versteckt und ästhetisch verschleiert wie alle anderen. Unsere Zeit ist eine Meisterin in der Spurenbeseitigung.

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Und noch eines tut diese unsere Zeit - sie ärgert sich über die christliche Todesverkündigung. "Deinen Tod verkünden wir" - werden wir alle gleich beten. Ausgerechnet die Zeit, die den Tod tagtäglich bringt, möchte nicht daran erinnert werden, dass Christus starb. Und viele Christen auch nicht! Etliche Priester, Seelsorgerinnen und spirituelle Gurus werden nicht müde zu betonen, wir sollen doch nur die Hoffnung zur Sprache bringen, wage davon reden, dass Gott die Gräber öffnet, dass Christus die Auferstehung und das Leben ist, dass er Licht in unser Leben bringt, aber doch nur so wie die Sonne und Hoffnung wie der Regenbogen, so wie die Plüschtiere, die man so gerne den kranken Kindern bringt und auch an Kindergräbern liegen lässt. Die Plüschtiere und nicht das Kreuz! Selbst bei der Begräbniskultur wird der Tod Christ zurückgedrängt zugunsten von heilenden Erinnerungen an die schönen Stunden mit Verstorbenen, zugunsten der Würdigung der Leistungen der Lebenden und Toten. Erinnerungen und Leistungen decken den Tod in unserem unmittelbaren Lebensraum zu, treten auch an die Stelle der Verkündigung, dass Christus starb.

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Auch Christen ertragen den Anblick seiner geschlossenen Augen am Kreuz nicht! Der Tod Christi wird zurückgedrängt, wiel er ein Störfaktor ist im Geschäft der kulturellen Verdrängung des Todes, ein Geschäft, an dem sich auch Christen beteiligen. Schließlich sind wir alle ja auch Zeitgenossen.

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Unsere Zeit ist aber keineswegs so originell wie wir es gerne hätten. Tagtäglich machen wir nichts anderes, als Menschen aller Kulturen schon gemacht haben. Sie produzierten den Tod, fielen selber den todbringenden Maschenschaften zum Opfer und sie trösteten sich darüber hinweg, indem sie den Tod unsichtbar machten und ihn auch auf diese Art und Weise beseitigten und tabuisierten. Pyramiden - eine kulturelle Glanzleistung in der Verbergungstechnik.

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Die Jüngerinnen und Jünger, die sich auf Jesus eingelassen haben, die Menschen, die ihm zugehört haben, erwarteten sich nichts anderes als das, was wir uns alle erwarten: den frommen Pyramidenbau. Dass er uns hilft bei unseren Bemühungen, den Tod unsichtbar zu machen , den Tod aus dem unmittelbaren Erfahrungsraum ein bisschen hinauszuschieben. Den Kranken also noch ein paar Tage schenken, dem allzu früh verstorbenen Lazarus für ein paar Jahre ins Leben holen. Sie erwarten sich lebensverlängernde Maßnahmen zu einem humanen Preis in einer humanen Umgebung. Angesichts unserer hochtechnisierten Medizin - war das allerdings schon genug an Wunder. Mehr erwarteten sich die Jüngerinnen und Jünger nicht. Mehr erwarten sich auch die Zeitgenossen nicht, und auch die gängige Seelsorge. Wir alle möchten den Tod bloß aus unserem unmittelbaren Erfahrungsraum hinausbringen. Den Tod grundsätzlich zu überwinden? Liebe Schwestern und Brüder, das übersteigt unser aller Vorstellungsvermögen. Das ist zu viel des Guten für unsere todbringende Zeit.

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Ob Jesus selbst sich das vorstellen konnte, was es bedeutet, den Tod zu überwinden, als er mit Leichtigkeit sondergleichen sagte: Lazarus, komm heraus, für ein paar Jahre. Das wissen wir nicht. Was wir aber wissen ist die Tatsache, dass Jesus selbst ein paar Tage später am Kreuz nur noch schreien konnte: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen. Was wir wissen ist, dass er in die Bodenlosigkeit zu fallen schien. Von allen verspottet und verlassen, von den Jüngern verraten, machte er die Erfahrung des absoluten Todes: des Todes ohne Wiederkehr.

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Ja, wenn dies der Fall sein sollte, was müssten dann die Jüngerinnen und Jünger am ersten Tag der Woche, an Ostern, für eine Erfahrung gemacht haben, dass sie fähig waren zum Bekenntnis: Dieser Mensch lebt. Er ist auferstanden. Und logischerweise: Er hat den Tod grundsätzlich überwunden für dich und mich, für alle, selbst für jene, die lieber tot sein wollen.

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Was müssten sie für einen Erfahrung gemacht haben, dass sie sich an dieses sein Sterben, sein scheinbar gottverlassenes Sterben nun in dankbarer Erinnerung geradezu geheftet haben: an das Sterben, von dem sie weggerannt sind und nun in der Perspektive der österlichen Augen ihr eigenes Leben unter die Perspektive dieses Sterbens gestellt haben. Alles konnten sich die jungen Christinnen und Christen vorstellen, selbst das schlimmste Martyrium, nur eines nicht, den Verzicht auf den Gekreuzigten und das Kreuz. Durch die Taufe wollten sie mitsterben und mitbegraben werden mit Christuns, damit sie auch mit Christus auferstehen.

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Liebe Schwestern und Brüder, "Den Tod Christi verkünden", diesen Tod sichtbar werden lassen, das Kreuz als Zeichen der Hoffnung anschauen, als ein Zeichen, das durch nichts ersetzt werden kann, all das hat etwas mit der tiefen Erfahrung zu tun, dass es in diesem Leben mehr gibt als bloße lebensverlängernde Maßnahmen, mehr als todverschleiernde Strategien, als kulturelle Beseitigungen, mehr als Tröstungen aller Art. "Den Tod Christi verkünden" ist etwas Einmaliges im Universum der Religionen, etwas, das nicht vergleichbar ist mit anderen Hoffnungen. Das hat mit dem Glauben zu, dass in Jesus Christus Gott selber in die scheinbare Sinnlosigkeit der todbringenden Zeit abgestiegen ist, dass er im Sterben dieses Jesus tiefer gefallen sit als ein Mensch je zu fallen vermag, tiefer als alle Opfer aller todbringenden Kulturen, auf dass die verhungernden Kinder und die in der Luft Zerrissenen, die an den Schläuchen der Intensivstationen Hängenden, dass sie ihn ihrem eigenen Sterben von göttlicher Liebe umfangen bleiben.

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Vor den Augen der Welt sterben sie einen sinnlosen Tod. Deswegen wird die Welt bei aller Empörung dieses Sterben unter den Statistiken verdecken und damit auch beseitigen. Die Sterbenden selbst werden aber in ihrem Tod vom Gekreuzigten aufgefangen und als Sterbende in göttlicher Liebe integriert. Das ist die Wahrheit, von der wir Zeugnis geben, indem wir das Kreuz, und nicht den Regenbogen, die Sonne, die Plüschtiere als Zeichen der Hoffnung angesichts des Sterbens anschauen. Das ist keine billige Vertröstung, es ist eine tiefe Glaubenseinsicht, die dem Christen erst erlaubt, auch dem Tod selbst in die Augen zu schauen, und gerade deshalb die schreckliche Realität des Todes wahrnehmen: das absolute Nichts! Wir brauchen den Tod kulturell nicht zu beseitigen. Wir brauchen seine Spuren nicht zu verwischen. Wir können ihm in die Augen schauen, wenn wir und weil wir auf die geschlossenen Augen des Gekreuzigten blicken und in diesen verschlossenen Augen nicht nur das Nichts, sondern den Inbegriff des Lebens wahrnehmen. Und das ist das göttliche Leben, das stärker ist als aller Tod.

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