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Würde des Lebens bis zu seinen letzten Tagen
(Zur Situation von Menschen in Tiroler Alten- und Pflegeheimen)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategoriekommentar
Abstrakt:
Publiziert in:# Originalbeitrag für den Leseraum
Datum:2003-08-29

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Vor Kurzem wurde in den Tiroler Medien viel über Interviews berichtet, die im Rahmen eines Seminars über Altenrecht am Innsbrucker Institut für Zivilrecht (Prof. Heinz Barta und Dr. Michael Ganner) publiziert wurden.(1) In diesen Interviews kommen BewohnerInnen von Alters bzw. Pflegeheimen, Angehörige dieser Menschen und in der Pflege Tätige zu Wort. Natürlich können die gesammelten Aussagen und Gespräche nur Schlaglichter auf die Realität werfen, dennoch ist ihr Inhalt ein erschütterndes Zeugnis dafür, dass es in unserer Gesellschaft absolut kein Honiglecken ist, alt, hilflos und pflegebedürftig zu werden. Allen Hochglanzprospektverniedlichungen des Alters als fröhlicher Seniorenzeit, aller Darstellung von Heimen als Viersternhotels zum Trotz, scheinen hochbetagte und pflegebedürftige Menschen nicht nur in Einzelfällen, sondern durchaus systematisch auf einem Abstellgleis zu landen, auf dem die Frage im Vordergrund steht: Können wir uns dich überhaupt noch leisten? Lohnt sich das noch dir viel Aufmerksamkeit zukommen zu lassen? Ist Lebensqualität für dich nicht ein unbezahlbarer Luxus?

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Ich selbst hatte in den vergangenen Monaten im Rahmen des gesellschaftspolitischen Arbeitskreises der KA Tirol die "Gelegenheit" mich mit der Thematik der Tiroler Heime zu beschäftigen. Fern davon, ein Experte für diese Fragen zu sein, habe ich doch den Eindruck gewonnen, dass die diskutierten Interviews, auf die unsere Landespolitiker vielfach sehr gereizt reagierten, durchaus nicht nur extreme Sonderfälle darstellen, sondern etwas von den alltäglichen Strukturen und Sachzwängen in der Altenpflege wiedergeben.

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Es ist ein Faktum, dass die demographische Entwicklung mehr und mehr Betreuung hochbetagter und chronisch Kranker Menschen außerhalb der Familie erforderlich macht. Es ist ein Faktum, dass die Lebenserwartung steigt, damit aber nicht zugleich auch Gesundheit und Agilität bis zum letzten Tag garantiert sind. Unsere Medizin der Spitzenqualität vermag Menschen lange am Leben zu erhalten. Damit ist aber noch wenig über die Qualität der solcherart gewonnenen oder geschenkten Tage gesagt. Es ist ein Faktum, dass immer ältere Menschen in die Heime kommen und daher der Anteil der Pflege- und Vollpflegefällen, sowie der Prozentsatz dementer, geistig verwirrter Personen in den Heimen ständig steigt. Es ist auch ein Faktum, dass es sehr schwer ist, qualifiziertes Pflegepersonal für Heime zu gewinnen und es dort zu halten, weil das Image der Altenpflege nicht gerade hoch ist, ebenso wie die bezahlten Gehälter.

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All diese Fakten stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen, angesichts derer niemand behaupten sollte, er habe einfache und schnelle Lösungen als Patentrezept zur Hand. Sich einfach auf die Position zurückzuziehen, vor Jahren erstellte Plansolls seinen ohnedies erfüllt oder sogar geringfügig überschritten, einfach darauf zu verweisen, dass in bauliche Maßnahmen investiert und Betten geschaffen wurden (immer noch sind es zu wenige), kann aber wohl auch keine angemessene Reaktion darstellen. Im Zentrum des Bemühens aller von dieser Frage Betroffenen - und sind wir das letztlich nicht alle? - müsste doch eigentlich die Frage stehen: Wie leben Menschen in den Heimen? Wie verbringen sie dort ihren Lebensabend? Wie sterben sie dort? Und unter welchen Bedingungen Arbeiten Menschen in Heimen? Aus der Beantwortung solcher Fragen wäre dann der Bedarf an Räumlichkeiten, finanziellen Mitteln, Personal, Aktivitäten, medizinischer Versorgung, seelsorglicher Betreuung etc., der tatsächlich notwendig ist, zu erheben. (Wenn LH van Staa dem vorgelegten Material nicht traut und den Istzustand von Fachleuten erhoben wissen will, so ist das durchaus zu begrüßen. Denn es gibt erstaunlich wenig Faktenmaterial über die Heimsituation in Tirol und Österreich.) Vom Menschen her wäre also zu denken, nicht primär vom Budget her. Natürlich ist zu fragen: Wie kann bessere Versorgung, Betreuung, ein mehr an Therapie und psychosozialer Begleitung, wie können kleinere, familiärere Heimstrukturen, wie kann eine professionelle Ehrenamtlichenbetreuung finanziert werden? Aber kann es in einer Reichen Gesellschaft eine Frage der Kosten sein, ob Menschen die halbe Nacht in ihrem Kot liegen müssen, ob sie über eine Sonde künstliche ernährt werden, weil es zu lange dauert sie zu füttern, ob sie einige Male im Jahr ins Freie kommen, an Luft und Sonne, ob sie mutterseelenallein in einer Abstellkammer sterben müssen? Angesichts einer Option für die Schwächsten in der Gesellschaft, zu denen auf jeden Fall die zählen, die voll und ganz auf andere angewiesen sind, kann eine christliche Ethik diese Frage nur mit einem klaren Nein beantworten. Und sollte es tatsächlich so sein, dass wir uns dieses Nein und die daraus resultierenden Konsequenzen nicht leisten können, dann ist als nächstes zu fragen, ob wir beim Geldausgeben nicht andere Prioritäten setzen müssen. Einfach ins Blaue geschossen: Ist eine zusätzliche Autobahnabfahrt aber vielleicht auch eine neue Kirche wichtiger als Palliativmedizin und Sterbebegleitung, die hunderten unserer Mitmenschen pro Jahr einen würdigen Weg aus diesem Leben ermöglichen? Ist eine neue Stätte für den Spitzensport wichtiger als Physiotherapie für Menschen, die ihre letzten Jahre in Bett oder Rollstuhl verbringen? Mag sein, das sind naive Fragen, aber es sind Fragen nach der humanan Qualität unserer Gesellschaft.

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Aber vielleicht sind die zusätzlich notwendigen Geldmittel ja gar nicht so gewaltig hoch. Um diese Frage zu klären wäre zunächst einmal auf wirkliche Kostenwahrheit zu achten. So kann etwa durchaus bezweifelt werden, dass es volkswirtschaftlich teurer ist, alten Menschen mehr Möglichkeit zu angemessener Aktivität zu geben und durch flexiblere Strukturen ihren Tagesablauf bedürfnisgerechter zu gestalten etc. (das bedeutet auch mehr Zuwendungszeit Pro HeimbewohnerIn und damit mehr Personal) als etwa ihre Unruhe und Schlaflosigkeit mit dem Einsatz von Psychopharmaka zu bekämpfen. Es kann auch durchaus bezweifelt werden, ob es wirklich mehr kostet die körperliche und geistige Gesundheit durch unterschiedlichste therapeutische Betreuung möglichst lange zu erhalten, als Menschen in immer höhere Pflegestufen abgleiten zu lassen, bis sie letztlich als Vollpflegefall dahindämmern. Auch Ehrenamtlichenarbeit wird in Hinkunft sicherlich eine immer unverzichtbarere Rolle im außerfamiliären Pflegebereich spielen. Das ist auch gut so, wenn sie nicht zur Ausrede der öffentlichen Hand wird, sich nicht stärker engagieren zu müssen. Damit der Einsatz von Freiwilligen einen Beitrag zur Qualitätsverbesserung des Heimes beitragen kann, wie positive Beispiele eindrucksvoll belegen, ist es aber notwendig, dass die Rekrutierung und Betreuung von Ehrenamtlichen MitarbeiterInnen professionell gemacht wird und die Heimstrukturen überschaubar und "familiär" gestaltet sind. So wäre sicherlich manches möglich, manches, das über das hinaus geht, was bereits getan wurde, auch von Seiten der Gemeinden und des Landes.

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Was aber auf keinen Fall hilfreich ist, sind Kompetenzstreitigkeiten und Schwarzpeterspiele zwischen unterschiedlichen Heimträgern, zwischen politischen Parteien, zwischen Ressorts, zwischen Kirche und Politik; denn es geht um die Würde von Menschen, die am Ende ihres Lebens die tragend Hand der anderen brauchen.

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Anmerkungen:  

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 1. http://www2.uibk.ac.at/fakultaeten/c3/c305/mitarbeiter/ganner/altenrecht.html

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