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Erschrocken über die Folgen der Toleranz Gottes
(Eine Predigt nicht nur zum ersten Adventsonntag)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:Predigt in der Jesuitenkirche (am 1.Dezember 2002 um 18. Uhr)
Datum:2002-12-09

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Wenn es doch schon so weit wäre, wenn der Himmel doch endlich reagieren würde und der "Leisetreter", von dem man seit Generationen nichts mehr zu hören bekam - schließlich sind seit der Sintflut und dem Feuerregen über Sodom und Gomorra unzählige Jahre vergangen -, wenn die Schleusen des Himmels sich öffnen würden, und Er doch endlich herabkommen täte, sodass die Berge erzittern... (Jes 63,19) Und nicht nur die Berge. auch die Feinde: unsere Feinde! Jene, die uns Angst machen, weil sie auf das, was uns heilig ist, pfeifen und vor keiner Blasphemie zurückschrecken! Weil sie unsere Kultur unterwandern und längerfristig uns doch in die Ecke drängen werden! Wenn der himmlische "Leisetreter" doch endlich herabkommen würde... - voll Zorn... - und dieses unerhörte Ausmaß an Gottlosigkeit und himmelsschreiender Ungerechtigkeit: diesen Scherbenhaufen menschlicher Geschichte zerstampfen würde in seinem Grimm! Denn:

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Kann das der Wille Gottes sein, dass Millionen von Menschen sich nur noch in der Sprache des Terrors unterhalten? Kann das der Wille Gottes sein, dass Milliarden von Menschen in Armut leben, gar im Elend darben, während die anderen sich in Saus und Braus wälzen: Luxushotels und Spielcasinos bauend, aberwitzige Summen investieren in zeitvertreibende Events? Kann das der Wille Gottes sein, dass Pharmakonzerne Millionen von Aidskranken lebensrettende Medikamente vorenthalten, bloß um das Preisniveau halten zu können?

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Liebe Schwestern und Brüder! Die Liturgie des ersten Adventsonntags bildet einen markanten Kontrapunkt gegen die nicht mehr ganz "frischen" Christkindlmärkte. Die Liturgie des ersten Adventsonntags macht sich zum Anwalt jener Menschen, die über die folgende Toleranz Gottes erschrecken. Sie erschrecken über jenen Gott, der all das, was so passiert scheinbar laufen lässt: anscheinend nichts einzuwenden hat gegen Weihnachtslieder zu Allerheiligen und gegen die Terroranschläge hier und dort. Die Liturgie des ersten Adventsonntags lässt jene Frommen zu Wort kommen - bietet also auch eine Rolle einem jeden von uns an - die nachdenken über die Wege Gottes und das tun wollen, was recht ist ( Jes 64,4). Sie lässt uns zu Wort kommen, weil auch wir an den Folgen der Toleranz Gottes zu zerbrechen drohen und nicht begreifen können, dass auch wir seine Wege verlassen konnten. Wir können nicht begreifen, warum unser Herz hart geworden ist, vor allem aber das Herz unserer Kinder und unserer Freunde: Warum wir Gott nicht mehr fürchten! (Jes 63,17) Warum hat er bloß zugelassen, dass wir ihm - dem lebendigen Gott - im besten Fall nur noch einen Platz einräumen in unseren Supermärkten neben den Wellnessartikeln und Vitaminpräparaten? Warum hat er zugelassen, dass wir vom Zynismus sondergleichen getrieben, all das zu zerstören trachten, was unsere Großväter als ihr heiligstes Erbe angesehen haben? Die Liturgie des ersten Adventsonntags vergegenwärtigt die verzweifelten - jahrtausendealten Fragen und Bitten all jene Beterinnen und Beter, denen die göttliche Toleranz zum Problem wird: jene Toleranz, die die Sünde in eigenen Reihen duldet, jene Toleranz, die den Gläubigen der Gewalt der Sünde überlässt..., vor allem aber jene Toleranz, die der Ausbreitung einer himmelsschreienden Ungerechtigkeit scheinbar nichts entgegenzusetzen hat. die Liturgie des ersten Adventsonntags vergegenwärtigt auch die Angst vor uns allen, dass wir selber an den Folgen dieser göttlichen Toleranz kaputt gehen könnten, dass wir uns in den Sackgassen des Libertinismus, den Sackgassen der Disziplinlosigkeit verirren und uns so um unser Leben bringen könnten.

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Und sie vergegenwärtigt auch die Angst Jesu. Fasziniert von einem toleranten Gott, vom Gott der seine Sonne über Gute und Böse aufgehen lässt und seinen Regen regnen lässt über Gerechte und Ungerechte (Mt 5,45), fasziniert von einem Gott, der die 99 Schafe auf der Weide zurücklässt, bloß um das eine verlorene Schaf zu suchen, ( Lk 15,3-7) den verkommenen, den gestrandeten, an die Grenzen stoßenden Menschen, fasziniert vom Gott, der den Tod des Sünders nicht will und auch nicht die Strafe, wagt sich dieser Jesus in den Dschungel zwischenmenschlicher Beziehungen hinein, vermag vielleicht noch diese eine Steinigung zu verhindern (Joh 8,1-11), und den einen oder anderen Außenseiter zu integrieren (Lk 8,26-39), merkt aber, dass er scheitert, dass Güte und Zuwendung mit Schwäche verwechselt werden und Toleranz mit Desinteresse und Laissez-faire-Stil. So warnt auch er seine Jünger vor der Katastrophe und ruft zur Wachsamkeit (Mk 13,24-27). Er prophezeit geradezu die erhoffte Reaktion des Himmels, das sich Öffnen der Schleusen und die Heraufkunft jenes Gottes, vor dem nicht nur die Berge erzittern!

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Prophezeit er damit das Ende der Toleranz Gottes? Gibt er uns zu bedenken, dass die Langmut und Güte, weil so oft abgewiesen, sich dann zur gnadenlosen Abrechnung verwandeln werden: zum Zorn und Grimm der all das in Schutt und Asche legt, was göttliche Wege verlassen hat? Wird der göttliche "Liebhaber des Lebens" sich doch noch als göttlicher Terrorist entpuppen? Und als gnadenloser Richter, der mit anatomischer Klarheit die guten Schafe von den bösen Böcken trennt? (Mt 25,31-46) Wird aus dem göttlichen Liebhaber des Lebens endlich jener Gott werden, der sich nur noch um seine Auserwählten kümmert, ihnen doch endlich Gutes und nur Gutes tut? (Vgl. Jes 64,3) Schließlich hoffen sie auf ihn! Will uns Jesus mit seiner Ankündigung dieses sich öffnenden Himmels all das nahe legen?

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Oder betet Jesus um diese Reaktion des Himmels angesichts der sich nun anbahnenden Katastrophe, der Katastrophe seiner Auslieferung, seiner Passion und seines Todes? Vielleicht erschrickt Jesus selber vor der Toleranz dieses Gottes, von dem er sagt, dass nur der Vater die Stunde kennt! Vielleicht erschrickt er davor, dass selbst in seinem eigenen Tod keine anderen Maßstäbe gelten werden, dass selbst in diesem Sterben die scheinbare Gerechtigkeit den Sieg davon trägt und ganz offensichtlich die blasphemische Gottlosigkeit triumphiert, der Sterbende aber in die Bodenlosigkeit der Gottverlassenheit zu fallen droht.

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Vielleicht erschrickt er selber davor, weil er weiß, dass wir auf jeden Fall von diesem Sterben skandalisiert werden. Wir werden skandalisiert oder zumindestens ratlos, weil Gott ihn ganz offensichtlich der Gewalt der Sünde überlassen hat: Ihn, der wie kein anderer das getan hat, was Recht ist, ihn, der wie kein anderer nachgedacht hat über die Wege Gottes (vgl. Jes 64,4); wir sind skandalisiert oder zumindest ratlos vor Gott, der ihn nicht gerettet hat, den Himmel nicht geöffnet und den Feuerregen nicht geschickt hat: dieser göttliche "Leisetreter".

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Liebe Schwestern und Brüder, die Liturgie des ersten Adventsonntags vergegenwärtigt die Angst von uns allen: die Angst vor den Folgen göttlicher Toleranz. Sie rückt Texte in den Vordergrund, die das Gericht verkünden: den offenen Himmel und die göttliche Abrechnung. Macht sich damit zum Sprachrohr unserer Hoffnungen. Sie bereitet aber auch die Bühne für das weihnachtliche Geschehen für jenes Wunder göttlicher Schwachheit, die schon immer und immer wieder eine Macht gezeigt hat, die stärker ist als frontale Gewalt: die entwaffnende Macht des ohnmächtigen Kindes. Doch damit nicht genug.

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Die kirchliche Liturgie verlässt nicht für einen einzigen Augenblick die Logik der Passion und der Auferweckung; selbst zu Weihnachten wird liturgisch die Sackgasse des Karfreitags, der verschlossene Himmel des Karsamstags und der geöffnete Himmel des Ostermorgens in der Eucharistiefeier vergegenwärtigt. Und warum dies? Nur in der Zuordnung all dieser Dimensionen: unsere Angst vor den Folgen göttlicher Toleranz, unsere Hoffnungen auf die gerechte, aber doch gewaltsame Reaktion des Himmels, und der Vielschichtigkeit des göttlichen Handelns wird das tiefe Geheimnis göttlicher Toleranz sichtbar. eine Toleranz, die die Welt und die Freiheit möglich macht, eine Toleranz, die ganz klar den Weg des Lebens anzeigt, sich aber über die Sackgassen der Freiheit nicht hinwegschwindelt, sondern sich selber in diese verwickeln lässt, eine Toleranz, die bis in den Abgrund des Todes den Menschen begleitet: um ihn durch die Sackgasse hindurch, durch das Leid und den Tod hindurch neu zu schaffen. Dadurch offenbart sich der "himmlische Leisetreter" neu: weder als göttlicher Terrorist noch als gnadenloser Richter, sondern: er offenbart sich als göttlicher Töpfer (vgl. Jes 64,7), der dem Scherbenhaufen zwischenmenschlicher Beziehungen doch nicht ohnmächtig gegenübersteht.. Nein, er schafft uns neu. Er schafft uns neu durch jeden kleinen Tod hindurch, und er wird uns neu schaffen durch unseren ganz großen Tod hindurch. Den Tod , der noch einem jeden von uns bevorsteht. Er lässt ihn zwar zu, aber er schafft uns auch neu. So wie er Jesu neu geschaffen hat.

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