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Universale Kirche und neue Weltordnung
(Zehn Thesen zur politischen Kraft des Evangeliums angesichts der Globalisierung)

Autor:Guggenberger Wilhelm
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:Das Evangelium trägt einen universalistischen Impuls in sich, der es nicht erlaubt aus christlicher Perspektive Globalisierung rundweg abzulehnen. Es beinhaltet aber auch Korrektive für einen destruktiven Globalismus. Kirche hätte die Aufgabe als Zeugin einer solidarischen Globalität in der Welt zu stehen.
Publiziert in:Zeitschrift für Katholische Theologie 120/4 (1998) 420-423.
Datum:2001-10-30

Inhalt

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These 1)

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Das Schlagwort Globalisierung ist gegenwärtig in aller Munde. Als Phänomen meint Globalisierung die zunehmende wechselseitige Verflochtenheit von Individuen, Gruppen, Organisationen und Staaten in weltweitem Ausmaß, die maßgeblich vom Komplex der ineinander verzahnten Systeme Wissenschaft, Technik und Wirtschaft getragen wird. (2)

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Erstmals in der Geschichte der Menschheit gibt es tatsächlich eine Geschichte der Menschheit, die durch eine globale Schicksalsgemeinschaft geprägt ist. Globalisierung birgt Chancen und Risiken. (3) Die Chancen bestehen in der Möglichkeit planetarer Kommunikation und Zusammenarbeit, in einer universal gelebten Solidarität. Die Risiken liegen in globalen Zerstörungspotentialen ökologischer wie militärischer Natur und in einer sozialen Zersplitterung der Weltbevölkerung.

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These 2)

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Das Phänomen der Globalisierung ist ambivalent. Die Eigendynamik einer durch Konkurrenz und Machtbehauptung geprägten Sozialstruktur droht den Globalisierungsprozeß jedoch in eine negative Richtung zu drängen. Es besteht die Gefahr, daß ein zunehmender Teil der Weltbevölkerung - sowohl in der sog. dritten Welt als auch in den reichen Industriestaaten - von der rasanten Entwicklung in Technik und Wirtschaft abgekoppelt wird.(4) Das globale Dorf der hochtechnologisch vernetzten Informations- und Kommunikationsgesellschaft wird dann zur Illusion, hinter deren brüchiger Kulisse die Verelendeten stehen, die keinen Zugang zu den neuen Medien haben und so vollends ihre Stimme verlieren. Wie Studien über die aktiven Nutzer moderner Medien belegen, sind Frauen hier neuerlich in doppelter Weise benachteiligt.

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Wenn der Prozeß der Globalisierung wirtschaftlichen Mechanismen als Haupttriebkraft überlassen wird, steigt diese Gefahr, weil globale politische Steuerungsinstrumente fehlen. Ist quantitatives Wachstum das zentrale Leitbild, führt dies zwangsläufig zur Ausgrenzung zahlloser Menschen; denn dieses Wachstum ist aus Gründen des Ressourcenverbrauches und der ökologischen Folgeschäden nicht universalisierbar. Wird Wettbewerb zum Prinzip, ja Selbstzweck wirtschaftlichen Handelns erhoben (vgl. Pius XI., Quadragesimo anno 1931 [= QA] 88), werden die Schwachen und Leistungsunfähigen - in der Logik des Systems konsequent - auf diesem Altar geopfert werden.

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These 3)

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Der Geist des Evangeliums ist ein Geist der Universalisierung. Der Gedanke des Schöpfergottes, der nicht nur sein Volk ins Dasein ruft, sondern über Himmel und Erde steht (Jes 45,21f), wird von Jesus Christus Schritt für Schritt zur Botschaft des alle Menschen ansprechenden Erlösers geweitet (Mt 8,11; 15,24-28; 28,19f). Die Differenzen zwischen Juden, Griechen, Sklaven, Freien, Mann und Frau sind aufgehoben (Gal 3,28) und die Verheißung gilt der gesamten Schöpfung (Mk 16,15). Der Gedanke unteilbarer menschlicher Würde, die absieht von den Unterschieden der Ethnie, Religion, sozialen Stellung und des Geschlechts, wurzelt in der Liebe des guten Gottes zu all seinen Kindern.

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These 4)

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Die Kirche Jesu Christi - will sie den Raum für die Ankunft des Reiches Gottes öffnen - hat sich daher in den Dienst der Sammlung und Versöhnung der Völker zu stellen. In der Nachfolge des Friedenskönigs (Sach 9,9) vom Palmsonntag und getragen vom Geist des Pfingstfestes ist Universalisierung in Abhebung von Globalisierung im Sinne einer universalen Menschheit ohne Ausgrenzung und Opfer das eigentliche Ziel der Kirche. Dieses Zieles ist sich die Lehrverkündigung der katholischen Kirche auch bewußt, wenn das Vatikanum II. formuliert: "Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit. ... Die gegenwärtigen Zeitverhältnisse geben dieser Aufgabe der Kirche eine besondere Dringlichkeit, daß nämlich alle Menschen, die heute durch vielfältige soziale, technische und kulturelle Bande enger miteinander verbunden sind, auch die volle Einheit in Christus erlangen." (Lumen gentium 1)

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These 5)

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Diese Aufgabe verbietet es der Kirche, sich als Selbstzweck zu sehen, vielmehr hat sie in gemeinnütziger Gesinnung eine Dienstfunktion am Menschen (vgl. Paul VI., Octogesimo adveniens 1971 [= OA] 46) wahrzunehmen und ihrer Option für die Opfer nachzukommen. Die Erfüllung dieses Dienstes im Namen jenes Gottes, den die Schrift einen Freund des Lebens nennt (Weish 11,26), bedeutet die Mitarbeit an einer "Solidarität der gesamten Menschheitsfamilie" (Johannes XXIII., Pacem in terris [= PT] 132). Damit eine solche Solidarität im sozialen Leben wirksam werden kann, bedarf es des Aufbaus von Strukturen globaler Koordination und Zusammenarbeit. So forderte etwa Johannes XXIII. eine "universale Politische Gewalt" (PT 137; vgl. Gaudium et spes 84) als Garanten eines planetaren Gemeinwohls. (5)

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These 6)

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Ebensowenig wie aber im Staat alle Probleme durch die politische Gewalt lösbar sind - ja es wäre sogar gefährlich dies zu versuchen (vgl. OA 46) - kann eine globale politische Instanz ein menschenwürdiges Zusammenleben aller auf diesem Planeten sicherstellen. Dazu bedarf es vielfacher Anstrengungen auf unterschiedlichsten Ebenen. Gefordert ist das Gespräch und die Zusammenarbeit zwischen Persönlichkeiten, Gruppen und Organisationen aus dem Finanzsektor, aus dem politischen, wirtschaftlichen (sowohl Unternehmer, als auch Arbeitnehmer), ökologischen und sozialen Bereich. Ohne Grundkonsens der multizentrierten Weltgesellschaft und ihrer Akteure wird jede universale politische Instanz entweder ohne Einfluß bleiben oder sich diktatorischer Mittel bedienen müssen. (6)

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These 7)

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Die katholische Kirche als weltweite, multikulturell verwurzelte Organisation mit globaler Infrastruktur, die katholische Kirche mit dem Papst als Repräsentanten, der verbindlich in ihrem Namen zu sprechen vermag, und der gerade in sozialen Fragen über eine weithin anerkannte moralische Autorität verfügt, könnte bei der Zusammenführung der Gesprächspartner aus den unterschiedlichsten Bereiche eine entscheidende Rolle spielen. Der Aufbau eines Gesprächsforums, in dem alle auf eine neue Weltordnung, nachhaltige Entwicklung der gesamten Menschheit und ökosozialen Umbau ausgerichteten Kräfte sich finden können, um zivilgesellschaftlich richtungsweisend zu werden, wäre das Ziel. Nicht in der Formulierung konkreter Antworten liegt die Chance der Kirche, sondern in der Ermöglichung und Förderung des Gesprächs unter Nutzung ihrer eigenen, gut ausgebauten Strukturen (vgl. OA 4).

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These 8)

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Das Prinzip der Solidarität neigt zum Kollektivismus, der die Würde der Menschen verletzt, wird es nicht durch das Prinzip der Subsidiarität ergänzt (vgl. QA 79, Libertatis conscientia 1986, 73; Johannes Paul II., Centesimus annus 1991 [= CA] 15). Ein Gemeinwohl, das wirklich das Wohl jedes einzelnen Menschen meint, darf daher weder die Individuen noch die kleinen Gemeinschaften ihrer Handlungsfähigkeit als freie Subjekte berauben. Kontinentale oder gar globale Organisationen bieten den Menschen wenig emotionale Identifikationsmöglichkeiten und entarten daher leicht zu fremden und toten Apparaten. Um eine solche Entfremdung zu verhindern, muß die globale Ordnung von einer Vielzahl kleiner Gemeinwesen getragen werden, in denen die Menschen echte Heimat zu finden vermögen. Unsere Aufmerksamkeit hat also nicht nur dem Phänomen zu gelten, daß Nationalstaaten vielfach zu klein für die Lösung globaler Probleme sind, sondern auch dem Phänomen, daß sie vielfach zu groß für die Lösung der Probleme personalen Zusammenlebens und die Erfüllung menschlicher Gemeinschaftsbedürfnisse sind. (7) Dieses zweite Phänomen hat die Bewegung des Kommunitarismus in ihren vielfältigen Varianten richtig erkannt und versucht darauf zu reagieren.

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These 9)

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Die Kirche besitzt in ihren zahllosen lokalen Gemeinschaften auch in dieser Hinsicht einen großen Reichtum. Ortskirchen und christliche Gemeinden bieten die Möglichkeit, bergende Gemeinschaften zu bilden. In diesen Gemeinschaften ist es auch möglich, die Arbeit im Herzen der Menschen (CA 51) zu leisten. Ohne Änderung in Gesinnung und Bewußtsein enden alle Versuche zur Strukturveränderung als Totgeburten (vgl. QA 127, CA 13). Ortskirchen und Pfarrgemeinden sind der Ort, an dem solche Änderungen sich vollziehen können. Die kirchliche Struktur bietet von ihrer Anlage her die gewaltige Chance, in Menschen tief verwurzelte lokale Lebensgemeinschaften und eine grenzenlos universale Struktur, die beide von einem Geist getragen sind, miteinander verbinden zu können. In diesem Geist gewinnen Menschen Individualität und Würde ohne Ausgrenzung anderer.

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These 10)

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Diese Chance gälte es vermehrt zu nützen. Das große Potential der katholischen Kirche liegt in ihrer Vorbildfunktion als multidimensionale Einheit, die Lokalität und Globalität über nationale und kontinentale Instanzen zu vermitteln vermag. Dazu freilich müßte vieles, was die katholische Soziallehre in exzellenter Weise formuliert, auch innerkirchlich ernsthafter umgesetzt, müßte die Kirche selbst zum ersten und bereitwilligsten Adressaten dieser Lehre werden.



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Anmerkungen:  

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 1. Vom 29.9. bis zum 4.10. 1997 fand in Rom ein Symposion der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck zum Thema "sentire cum ecclesia" statt. Anläßlich dieser Veranstaltung wurde der vorliegende Text als Gesprächsgrundlage für eine Diskussion mit dem Sekretär des päpstlichen Rates für Gerechtigkeit und Friede Msgr. Diarmuid Martin erstellt. Die Grundkonzeption des Textes wurde gemeinsam mit A. Aczel, Mag. R. Brandl, Prof. Dr. H. Büchele und Dr. W. Palaver erarbeitet.

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2. Vgl. H. Büchele, Eine Welt oder keine. Sozialethische Grundfragen angesichts einer ausbleibenden Weltordnungspolitik. Innsbruck/Mainz 1996, bes. 18-20.

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3. Vgl. Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit. Wort der Evangelischen Kirchen in Deutschland und der Deutschen Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen und sozialen Lage in Deutschland (Gemeinsame Texte 9). Hg. Kirchenamt der Evangelischen Kirche in Deutschland / Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Hannover/Bonn 1997, 87.

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4. Vgl. die Analysen in: Die Gruppe von Lissabon, Grenzen des Wettbewerbs. Die Globalisierung der Wirtschaft und die Zukunft der Menschheit. München 1997; vgl. auch Z. Baumann, Glokalisierung oder was für die einen Globalisierung, ist für die anderen Lokalisierung. In: Das Argument 217 (1996) 653-664.

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5. Im Hinblick auf positive Stellungnahmen der Katholischen Kirche zu einer Weltäutorität seit Benedikt XV. siehe W. Palaver, Kollektive Sicherheit in Europa und österreichische Neutralität. Eine ethische Reflexion aus der Sicht der Katholischen Soziallehre (Beiträge zur Friedensethik 17). Barsbüttel 1993, 21-26.

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6. Vgl. Büchele (s. Anm. 1) 115f.

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7. Vgl. z.B. R. Dahrendorf, Die Zukunft des Nationalstaates. In: Merkur 48 (1994) 751-761,756.

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