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Der verlorene König
(Predigt zum Fest der „Drei Könige”, gehalten in der Jesuitenkirche am 6.01. 2014 um 11.00 und um 18.00 Uhr)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategoriepredigt
Abstrakt:
Publiziert in:
Datum:2014-01-22

Inhaltsverzeichnis

Inhalt

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Die Zeit ist fortgeschritten. Und auch der Stern längst verblasst. Der Stern, der seine Hoffnung immer neu hat aufleuchten lassen. Gerade dann aufleuchten, wenn er sich wieder einmal in eine Sackgasse hineinmanövrierte. Müde und traurig sitzt der Mann am Straßenrand. Der Inbegriff einer verlorenen Existenz. Ein Mensch, der nur noch eines zu wünschen scheint: in Ruhe sterben zu dürfen. Jahrzehntelang mühte er sich ab. Durchwanderte die halbe Welt und dies einzig und allein, weil er einmal Feuer gefangen hat. Deswegen wollte er dorthin, wo sich das Leben verdichtet. Wo Könige geboren werden und sich Geschichte dieser Welt entscheidet.

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Liebe Schwestern und Brüder! Im Grunde könnte dies die Geschichte eines jeden von uns sein. Diese Gestalt des am Straßenrand sitzenden älteren Mannes, eines Menschen, an dem das pralle Leben inzwischen bloß vorüberzuziehen scheint, könnte auch ich selber sein. Wenn ich mich als verloren empfinde, als einer, der sein Ziel doch verfehlt hat. Verfehlt, trotz all der atemberaubenden Begegnungen. Verfehlt, trotz der vielen Aufbrüche. Diese Geschichte des vierten Königs hat viel mit uns zu tun. Die Überlieferung will ja nämlich wissen, dass es neben den drei wohl bekannten Königen, den Magiern, oder den Weisen aus dem Morgenland - warum auch nicht den drei Sternsingern -, dass es da noch einen weiteren gegeben hat. Man gab ihm unterschiedliche Namen, erzählte seine Geschichte in unterschiedlichen Varianten. Nur ein paar Konstanten sorgen für die Wiedererkennung des verlorenen Königs. Konstanten, die auch oft unser aller Leben strukturieren. Lassen Sie mich deswegen diese bekannte Geschichte heute erzählen als eine Geschichte von dir und mir, als eine Geschichte von uns allen. Und was macht sie zu unserer Geschichte?

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Da ist zuerst die ursprüngliche Begeisterung angesichts des Sterns, der in seinem Leben aufging. Und auch die Bereitschaft ist da. Bereitschaft vieles, wenn gar nicht alles auf eine Karte zu setzen. Aufbrechen dorthin, wo die Sterne leuchten. Und da sind auch die Mitmenschen, die Peers - wie sie heutzutage im Neulatein heißen -, die Gleichwertigen, oder auch die Gleichgesinnten. Die Kumpels, die mit einem durch dick und dünn gehen wollen, um die Wüste zu durchqueren. Und auch die schmerzhafte Erfahrung ist da, dass die anderen drei ohne ihn weitergezogen sind. Dass die Gefährten ihn alleine sitzen ließen, bloß, weil er zu spät an Ort und Stelle war. Die Erfahrung, dass andere die Chance ihres Lebens nicht unbedingt aufs Spiel setzen wollen, wenn es um mich geht, dass sie oft nicht bereit sind, auf ihren Vorteil zu verzichten: auch diese Erfahrung ist da.

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Macht es da noch einen Unterscheid, warum er zu spät kam? Warum er den Trend verpasste? Nicht einmal in letzten Augenblick auf den Zug aufspringen konnte? Die Überlieferung kennt einen Grund. Unterwegs dorthin, wo es erst richtig los gehen sollte, stieß unser verlorene Mann auf einen kranken und verdurstenden Menschen, einen Unbekannten, der eigentlich schon im Sterben lag. „Was soll ich tun? Helfen oder weiterreiten? Die Zeit drängt! Lieber Gott, hilf die richtige Entscheidung zu treffen!” Er stieg vom Pferd, machte sich das menschliche Wrack, das da am Straßenrand lag, zum Nächsten. Und verpasste so den Aufbruch zum großen Start der atemberaubenden Weltkarriere eines Promis. War es der Wille Gottes, der ihn da leitete beim Abstieg vom Pferd, oder seine eigene Schwäche? Das mangelnde Karrierebewußstsein, der mangelnde Ehrgeiz, seine Naivität im Umgang mit der Zeit?

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Was sollte er nun tun? Allein! Im Angesicht der großen Wüste, die sich vor seinen Augen ausbreitete. So weit seine Phantasie reichte, schien ja seine Lebensperspektive einer Wüstenlandschaft zu gleichen. Einer riesigen Durststrecke! Umkehren? Den Stern vergessen? Sich einfach treiben lassen? Der legendäre König verkauft eines seiner kostbaren Geschenke. Den Saphir, den er dem Retter der Welt schenken wollte. Kauft die notwendige Ausrüstung, um allein der Wüste trotzen zu können, macht Kompromisse mit seinem Traum, arrangiert sich mit der Welt, so wie sie halt ist. Kann er doch die Wüste unmöglich abschaffen! Den Schatten der Erfolgreichen folgend und wieder den Schein des eigenen Sterns erblickend, kommt er dorthin, wo einmal der Himmel zu Gast gewesen sein mag.

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Ein beunruhigender Gedanke durchzuckt ihn: „Bethlehem hat schon bessere Zeiten erlebt!” Müde und schwach, halb erschöpft findet er einen Unterschlupf bei einer jungen Frau mit einem Kind. Ihre Augen leuchten als sie vom Glanz der vergangenen Tage erzählt. Von den fremden Besuchern, den drei Königen, die da mit ihren Hof zu Gast waren. Vom Event des Jahrhunderts, das sich ausgerechnet in Bethlehem abgespielt hat. Als sie alle im Scheinwerfelicht gestanden sind. Erleuchtet durch den Glanz hofften sie auf eine bessere Zukunft. Doch das Glück währte kurz, die Fremden verschwanden wieder, so plötzlich wie sie gekommen sind. Auch die Familie, bei der sie mit ihren Geschenken eingekehrt sind, ist weg. Geflohen. Nach Ägypten, sagt man. „Wieder zu spät gekommen! Wiederum Pech gehabt!” - denkt sich unser verlorene König, der die Chance wiederum verpasste. Lautes Schreien, Weinen und Klagen reißen ihn aus seiner halbdepressiven Stimmung. Eine Katastrophe ist in Anmarsch. Die Soldaten mit ihren blutigen Händen und Schwertern drängen in die Hütte, suchen nach Kleinkindern. Ohne einen Augenblick zu zögern zieht der vierte König sein zweites Geschenk an den Retter der Welt, einen purpurroten Rubin. Den steckt er dem Hauptmann in die Hand. „Hier! Hier ist kein Kind! Geht weiter!” Die tränengefüllten, dankbaren Augen seiner Gastgeberin hat er kaum wahrgenommen. Kaum die Worte des Dankes gehört. Weg war er. Wollte noch einmal aufbrechen, die neue Chance ergreifen. Und denkbar schnell nach Ägypten kommen.

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Die Irrfahrt dauerte Jahre. Die sprichwörtlichen drei und dreißig Jahre. Ganz gleich, wo er hinkam, er kam zu spät. Hin und wieder zwar noch rechtzeitig, um ein paar Abziehbilder zu sehen. Abziehbilder des Wunders, Abziehbilder der Sensation des Tages. Nie aber das Original. Immer waren es die Anderen, die den Schein des Göttlichen scheinbar direkt erblickten. Er selber musste sein Leben lang bloß den alltäglichen Durchschnitt betrachten, sich im banalen Alltag wühlen, sich mit Versagern abgeben, mit all jenen, an denen das Leben vorüberzog. Mit all den Spöttern und Zynikern, mit Gleichgültigen und Hoffnungslosen. Mit Armen, Kranken und Sterbenden. Nicht der Glanz des Lichtes, sondern die Dämmerung und Dunkelheit waren sein Eigen.

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Ausgelaugt und lebensmüde sitzt unser vierte König am Straßenrand in der großen Stadt Jerusalem. Die Stadt wimmelt nur so von Fremden. Ungeheuere Spannung liegt in der Luft. Der Hauch des Außergewöhnlichen streift auch den Loser. Sollte es die allerletzte Chance sein, doch noch vor die Augen der Welt zu treten? Dem Himmel nahe zu kommen? Der Stern, der längst verblasste Stern leuchtete auf! Von vorbeiziehenden Landsleuten erfährt er, dass draußen vor der Stadtmauer eine Kreuzigung stattfinden soll. Gewöhnliche Räuber, aber auch ein Mensch, der zum Rätsel für viele wurde. Und zur Offenbarung Gottes. Pilatus lässt ihn kreuzigen: als den König der Juden. „Kann es sein, dass dies der Mann sei, dem ich immer schon gefolgt bin?” „Die Wege Gottes sind seltsamer als die Gedanken der Menschen!” Er bricht auf, will der Menge folgen. Doch: Sein Wege wird durch einen Trupp von Polizisten versperrt. Sie schleppen eine junge Frau, deren Familie derart verschuldet ist, dass man sie als Sklavin verkauft hat. Ohne zu zögern greift der vierte König zum dritten und letzten Geschenk, das er dem Retter der Welt schenken wollte. Der kostbaren Perle. „Hier ... dein Lösegeld. Nimm und kaufe dich frei!”

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Plötzlich wurde es finster. Plötzlich bebte die Erde. Ein Ziegelstein löste sich von der Mauer und traf den alten Mann an der Schläfe. Die junge Frau beugte sich zum Schwerstverletzten und vernahm seine Worte. Es schien ihr, als ob der Mann mit irgend jemanden, den sie nicht sehen konnte, sprach. Sie vernahm die Worte des Verletzen, die sie zuerst nicht ganz verstand: „ Nein, nein..., mein Herr. Wann habe ich dich gesehen? Hungrig gesehen und habe dir zum Essen gegeben? Oder durstig gesehen und habe dich getränkt? Wann habe ich dich krank oder gefangen gesehen und bin zu dir gekommen? Drei und dreißig Jahre habe ich dich gesucht. Und bin immer zu spät gekommen. Immer Pech gehabt. Ein Loser bin ich. Nie habe ich DICH gesehen. Nie das Wunder erlebt!” Der Sterbende verstummte. Er schien nun jemandem zuzuhören. Und da hat auch die junge Frau die sanfte Stimme vernommen, eine Stimme, die an den Sterbenden gerichtet war: „Amen, ich sage dir. Was du für einen meiner geringsten Brüder und Schwestern getan hast, das hast du für mich getan. Du bist mir in ihnen begegnet! Tagtäglich.” Ein Lächeln erhellte das Gesicht des verlorenen Königs. Seine Reise war zu Ende. Seine Geschenke angenommen. Der verlorene König hat den König des Lebens gefunden. Und befunden, dass er schon immer in seiner unmittelbaren Nähe lebte. Mitten im Alltag. Sein Leben lang.

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Liebe Schwestern und Brüder! Ist das nicht die Geschichte eines jeden von uns?

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