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SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 12
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H. Glücksverträge – Gewagte Geschäfte
Das ABGB fasst im 29. Hauptstück, das sind die §§ 1267-1292 die gewagten Geschäfte (§ 1065 ABGB) zur Gruppe der „Glücksverträge” zusammen. Der Begriff „gewagte Geschäfte” ist weiter, als der der Glücksverträge.
§ 1267 ABGB gibt eine Legaldefinition des Glücksvertrags:
Legaldefinition
„Ein Vertrag, wodurch die Haftung eines noch ungewissen Vorteiles versprochen und angenommen wird, ist ein Glücksvertrag”.
Satz 2 fügt hinzu, dass Glücksverträge entweder zu den entgeltlichen oder unentgeltlichen Geschäften zählen, „je nachdem etwas dagegen versprochen wird oder nicht”; vgl GlUNF 6287: Unentgeltliche Glücksverträge sind die unentgeltliche Ausspielung und die einseitige Wette.
§ 1268 ABGB schließt die Anwendung des Rechtsmittels der Verkürzung über die Hälfte (→ KAPITEL 7: Verkürzung über die Hälfte) für alle Glücksverträge aus; vgl Gschnitzers Kritik: SchRBesT 123 (1965). – Aber auch Glücksverträge können als wucherisch (→ KAPITEL 11: Die Beispiele des § 879 Abs 2 ABGB) oder sittenwidrig (→ KAPITEL 11: Gegen die guten Sitten) angefochten werden; SZ 24/306: Übergabs- und Leibrentenvertrag.
Keine Verkürzung über die Hälfte
Rechtssprechungsbeispiel
SZ 24/306 (1951): Leibrenten-, Ausgedings- und Unterhaltsverträge sind Glücksverträge. – Die Kläger hatten den Beklagten auf Lebensdauer ein Wohnungsrecht ( → KAPITEL 8: Wohnungsrecht / habitatio: § 521 ABGB ) eingeräumt und erhielt dafür vierteljährlich die Leistung von 300 kg Weizen und 300 kg Korn sowie jährlich 100 l Wein. In der Folge ging es wesentlich um die Frage, ob in dem als nichtig angefochtenen Vertrag eine Leibrente, ein Ausgedinge oder eine Unterhaltsleistung versprochen wurde. Da aber alle diese Verträge als Glücksverträge anzusehen seien, bei denen eine Anfechtung wegen Verkürzung über die Hälfte nicht stattfindet und weder Wucher, noch Sittenwidrigkeit anzunehmen war, wies der OGH die Klage ab.
Eine Modifikation dieser Rspr-Position findet sich in NZ 1994, 206 (1993): Darin wird zwar am Grundsatz der Nichtanfechtbarkeit von Glücksverträgen mittels laesio enormis festgehalten, zugleich aber eine Ausnahme statuiert: Steht schon bei Vertragsschluss fest, dass der Leibrentenbezieher zu jenem Zeitpunkt, der als mögliche Lebenserwartung der österreichischen Bevölkerung anzusehen ist, bei Berücksichtigung aller ihm in diesem Zeitraum zukommenden Leistungen weniger als die Hälfte des Werts seiner eigenen Leistung erhalten haben wird, dann kann, da das aleatorische – dh vom Zufall abhängige – Element in solchen Fällen gänzlich in den Hintergrund tritt, laesio enormis geltend gemacht werden. (Das ist typischerweise dann der Fall, wenn Leibrentenberechtigte bei Vertragsschluss schon sehr alt sind. – In SZ 67/99(1994) war die Klägerin etwa 88 Jahre alt.)
Diese Rspr-Linie ist zu befürworten; ablehnend aber Pfersmann, ÖJZ 1997, 57: ME greift das Argument, hier hätten nur die §§ 870, 871 ABGB oder § 879 ABGB zur Anwendung gelangen dürfen insoferne nicht, weil eben Glücksverträge ebenfalls nur unter bestimmten Voraussetzungen (→ Charakteristik – Glücksverträge ieS und iwS) angenommen werden dürfen, was hier wohl zu Recht verneint wurde.
Als aleatorische Verträge werden jene Verträge bezeichnet, deren Wirksamkeit oder Erfüllung typischerweise vom Zufall oder einem ungewissen Ereignis abhängen. Hierher gehören insbesondere Spiel oder Wette, aber auch der Leibrentenvertrag. – Im Zusammenhang mit Leibrentenverträgen wird auch von aleatorisch-synallagmatischen Verträgen gesprochen; vgl SZ 27/222 (1954).
I. Überblick
1. Arten der Glücksverträge
§ 1269 ABGB zählt die „Arten der Glücksverträge” (Überschrift) auf. Es sind dies:
Wette (§§ 1270, 1271),
Spiel (§ 1272) und Los (§§ 1273, 1274),
• „alle über gehoffte Rechte, oder über künftige noch unbestimmte Sachen errichtete Kauf- und andere Verträge” (§§ 1275-1283): Hier werden Hoffnungskauf (→ KAPITEL 2: Hoffnungskauf) und Erbschaftskauf (→ KAPITEL 17: Der Erbschaftskauf ) behandelt.
• die Leibrenten ( → KAPITEL 8: Das Ausgedinge. und → KAPITEL 2: Leibrentenvertrag);
• die gesellschaftlichen Versorgungsanstalten (§ 1287),
• schließlich die Versicherungsverträge (§§ 1288-1291) und die Bodmerei- und Seeassekuranzen (§ 1292).
Dabei fasst das ABGB unter dem Oberbegriff der Glücksverträge verschiedenartiges zusammen (Gschnitzer, SchRBesT 122): Nämlich solche, die das Risiko seiner erregenden Wirkung oder des leichten Gewinns wegen geradezu aufsuchen wie Wette und Spiel (= Glücksverträge ieS) und auf der andern Seite solche, die einem unvermeidlichen Risiko angemessen begegnen wollen, wie die Leibrente, die der Versorgung dient und die Versicherung, die durch Risikostreuung drohendes Unheil wirtschaftlich tragbar machen soll; Glücksverträge iwS.
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2. Charakteristik – Glücksverträge ieS und iwS
Gschnitzer (aaO 122) weist darauf hin, dass für die Zuordnung eines Vertrags als Glücksvertrag ausschlaggebend sei, dass die Übernahme des Risikos der Hauptzweck ist, denn ein gewisses Risiko sei mit den meisten Geschäften verbunden.
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II. Glücksverträge im engeren Sinn
1. Wette
Wette meint nach § 1270 ABGB, dass eine Leistung („ein bestimmter Preis”) für den Fall zugesagt wird, dass sich eine Behauptung „über ein beiden [Vertrags]Teilen noch unbekanntes Ereignis” als zutreffend erweist.
Das Gesetz verlangt, dass das Ereignis, auf das sich die Wette bezieht, ”beiden Teilen” unbekannt sein muss, was von Gschnitzer (SchRBesT 123 [1965]) zu Recht als zu eng abgelehnt wird; ebenso nunmehr Apathy / Riedler, Bürgerliches Recht III: SchRBesT 95. Es genüge vielmehr die Unkenntnis eines Teils, nur muss der, dem der Ausgang des Wettereignisses bekannt war, dies dem andern mitteilen. Ansonsten gilt, was § 1270 Satz 2 ABGB, ausführt: „ ... so macht er sich einer Arglist schuldig, und die Wette ist ungültig.” Satz 3 bezeichnet im umgekehrten Fall den Verlierer, „dem der Ausgang vorher bekannt war”, als einen „Geschenkgeber”.
Ereignis „beiden Teilen” unbekannt
Das Ereignis, auf das sich die Wettbehauptung bezieht, kann ein vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges sein; es kann sich um ein Naturereignis oder eine menschliche Tätigkeit („auch auf die einer Wettpartei selbst” – Gschnitzer) beziehen. – Unerlaubte Beeinflussung des Wettereignisses lässt nach Gschnitzer die für Bedingungen getroffene Regelung des § 162 dtBGB eintreten.
Ereignis: vergangenes, gegenwärtiges oder zukünftiges
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2. Spiel
Nach § 1272 ABGB ist „jedes Spiel ... eine Art von Wette”, weshalb „die für Wetten festgesetzten Rechte auch für Spiele” gelten. Gschnitzer (aaO 123) bezweifelt diese Aussage mit gutem Grund, stellt aber relativierend fest:
„Übrigens überhebt uns das Gesetz der nicht immer leichten Entscheidung dadurch, daß für Spiel und Wette dieselben Regeln gelten”; §§ 1272 Satz 2 ABGB.
Redliche und erlaubte Wetten und Spiele sind nach § 1271 ABGB „insoweit verbindlich, als der bedungene Preis nicht bloß versprochen; sondern wirklich entrichtet, oder hinterlegt worden ist. Gerichtlich kann der Preis nicht gefordert werden.” – Gemeint ist damit, dass ein bloß versprochener Spiel- oder Wetteinsatz nur eine Naturalobligation begründet → KAPITEL 7: Schuld und Haftung ¿ Naturalobligationen.
Gemeinsame Rechtsfolgen:
Sie sind aus einem Umkehrschluss aus § 1271 iVm § 879 ABGB heraus unverbindlich, also ungültig. § 1272 Satz 3 spricht von verbotenen Spielen. – Erweisen sich Wette oder Spiel als schlicht ungültig (ohne gesetzwidrig zu sein), kann der Wett- oder Spieleinsatz zurückgefordert werden; es sei denn, das Spiel war ein verbotenes oder der Wetteinsatz sollte einer unmöglichen oder unerlaubten Handlung dienen; § 1174 ABGB → KAPITEL 5: Ungerechtfertigte Bereicherung.
Unredliche und unerlaubte Spiele und Wetten
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III. Neuer Anwendungsbereich – Abgrenzungen
1. Neuer Anwendungsbereich
Über die in § 1269 ABGB aufgezählten Verträge hinaus, werden heute weitere Verträge zu den Glücksverträgen gezählt:
Unterhaltsverträge: Vgl SZ 24/306 (1951) oder EvBl 1961/20.
• Unredliche und unerlaubte Spiele und Wetten Partnervermittlungsverträge werden als glücksvertragsähnlich angesehen und grundsätzlich nicht als sittenwidrig (→ KAPITEL 11: Die Beispiele des § 879 Abs 2 ABGB) angesehen; EF 63.152 und 66.284 (LGZ Wien). Auch hier muss aber das zu NZ 1994, 206 Ausgeführte gelten ; am Beginn von Pkt H.
Devisentermin- oder Differenzgeschäfte: Vgl ÖBA 1992, 944 – Danach liegt in solchen Fällen nur für die Kundschaft, nicht für die Bank ein Spekulationsgeschäft vor. Ebenso SZ 69/261 (1996): Das Differenzgeschäft ist ein in Form eines Lieferungsvertrags über Waren oder Wertpapiere gekleidetes Geschäft, das aber nach der Absicht der Parteien nicht durch Lieferung und Bezahlung der Waren oder Wertpapiere erfüllt, sondern nur durch die Zahlung der Differenz zwischen dem Kaufpreis und dem Kurs am Erfüllungstag abgewickelt wird.
• Auch herkömmliche Verträge sind als Glücksverträge anzusehen, wenn das aleatorische Element den Ausschlag gibt; vgl MietSlg 17.235 (1965): Wohnungsmiete auf Lebenszeit gegen eine einmalige Geldleistung. Ebenso JBl 1973, 259.
Ausspielungen iSd §§ 6 ff GlücksspielG (BGBl 1989/690 idF BGBl I 1998/90) unterliegen als erlaubte Wetten dem ABGB; § 1271. Hierunter fallen Lotto, Toto, Klassenlotterie, Zahlenlotto udgl.
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2. Abgrenzung gegenüber Börsegeschäften
Börsengeschäfte unterliegen nicht den Glücksverträgen; vgl § 28 Abs 1 BörseG 1989, BGBl 555 idF BGBl I 1998/127:
„Bei der Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten aus Börsengeschäften ist der Einwand, dass dem Anspruch ein als Spiel oder Wette zu beurteilendes Differenzgeschäft zugrunde liegt, unstatthaft.”
Und § 28 Abs 2 BörseG 1989 bestimmt:
„Werden an einer anerkannten in- oder ausländischen Wertpapierbörse Optionen und Finanzterminkontrakte gehandelt und dafür Kurse veröffentlicht, so ist der Einwand von Spiel und Wette bei Rechtsstreitigkeiten aus diesen Geschäften von wem auch immer unzulässig.”
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