Kapitel 11 | |
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D. Rechtsquellen
des Privatrechts |
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E. Gesetz-
und Sittenwidrigkeit |
I. Der „Geist”
der Rechtsordnung | |
Der Gesetzgeber stellt
in § 879 Abs 1 ABGB zweierlei klar: | |
•
Zunächst, dass
Verträge, die gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen,
nichtig sind; und | |
•
zweitens,
dass darüber hinaus auch Verträge, die gegen die guten Sitten verstoßen,
nichtig sind. | |
Diesen Fragen wird in der Folge nachgegangen. | |
1. Verstöße gegen
den „Geist” der Rechtsordnung | |
Gesetze
sind einzuhalten. Ja sie sollten geachtet werden! Ist das Gesetz
doch der normativ geronnene demokratische Wille des Volkes, der
zum Ausdruck gelangt. – Jeder, der Recht und Gesetz bricht, sollte
sich des Zusammenhangs bewusst sein, dass er dadurch eigentlich
sich selbst schädigt. – Jeder Gesetzgeber steht daher vor der Frage,
wie er seine Anordnungen befolgt wissen will. Worin sollen die Konsequenzen
(Rechtsfolgen) bestehen, wenn jemand Gesetze nicht achtet oder sonst
gravierend gegen grundlegende allgemeine rechtliche Wertvorstellungen
(die guten Sitten) – kurz: gegen den „Geist” der Rechtsordnung –
verstößt? Der Rückgriff auf die guten Sitten ist nötig, weil kein
Gesetzgeber alles regeln kann und dies wohl auch nicht will. | |
Hier
zu erwähnen ist auch die stets aktuelle Gesetzesumgehung
→ Die
(Gesetzes)Umgehung Das
römische Recht sprach von in fraudem legis agere, und verstand darunter
– griechisch inspiriert – zwar keinen Verstoß gegen den Wortlaut
– die „verba”, wohl aber gegen die „voluntas / sententia legis”,
also den Geist und wahren Sinn eines Gesetzes (ratio legis) oder überhaupt
des Rechts. | verba <-> voluntas |
2. Die Gute Sitten-Klausel | |
Der Gesetzgeber kann und will
nicht alles durch Gesetze regeln, ge- oder verbieten. Die Gute Sitten-Klausel
ist sein flexibles legistisches Instrument, das
er in die Hand des Richters legt. Sie stammt – wie vieles – aus
dem ALR (I 4 §§ 6 und 7 sowie I 16 §§ 205 f), das dafür allerdings
noch den Begriff der „Ehrbarkeit” verwendet. Den modernen Begriff
prägt dann der frCC: Art 6 und 1133. | Flexibles
legistisches Instrument |
Vgl auch schon § 26 Satz 4 ABGB
von 1811, wo – gemeinsam mit den §§ 878, 879 ABGB aF – das spätere Programm
des § 879 Abs 1 ABGB vorweggenommen wurde. Vgl in der Folge auch §
138 Abs 1 dtBGB: „Ein Rechtsgeschäft, das gegen die guten
Sitten verstößt, ist nichtig”; Abs 2 regelt den Wucher. – Die Schweiz kennt
die Sittenwidrigkeit in den Art 19 Abs 2, 20 Abs 1 und 41 Abs 2
OR. Das OR hat neben den Guten Sitten auch den Begriff der öffentlichen
Ordnung (ordre public) aufrecht erhalten (Art 19 Abs 2 OR); vgl
aber schon § 26 Satz 4 ABGB und idF § 1295 Abs 2 ABGB, § 27 Abs
1 Z 5 MRG, § 6 Abs 1 KSchG und nunmehr § 6 IPRG. | |
Der
Gesetzgeber bedient sich dieses Instruments, um Verstöße
gegen grundlegende rechtliche Wertvorstellungen, die aber
gesetzlich nicht explizit verboten sind, ahnden zu können. Der Richter
hat im Einzelfall zu entscheiden, ob etwas – zB ein bestimmtes Verhalten
oder Unterlassen oder eine Vertragsklausel – sittenwidrig und damit
nichtig ist oder nicht. | Verstöße gegen grundlegende rechtliche Wertvorstellungen |
Die als Generalklausel konzipierte
Gute-Sitten-Klausel (Näheres → Zur
Funktion von Generalklauseln und unbestimmten Gesetzesbegriffen)
hilft dem Rechtsanwender somit, den „Geist” des Gesetzes, ja der
Rechtsordnung auch zu wahren, wenn keine gesetzliche Anspruchsgrundlage
zur Verfügung steht. Sie gewährt demnach eine allgemeine gesetzliche –
nicht näher spezifizierte – Anspruchsgrundlage zur Verteidigung
der Grundwerte der (Privat)Rechtsordnung. – Der Richter
trägt dabei hohe Verantwortung. | Generalklausel |
Es war K. A. v. Martini, der
erstmals in der Neuzeit der Richterschaft jenes Vertrauen seitens
des Gesetzgebers im Rahmen der Rechtsanwendung entgegenbrachte,
das bis dorthin auch die Aufklärung des 18. Jhd nicht zustandegebracht
hatte. Es hat sich gelohnt, dass er die damit verbundenen Anfeindungen
ertragen und seine wohlüberlegten Vorschläge nicht zurückgenommen
hat. In der richterlichen Kompetenz der Lückenfüllung (im Einzelfall)
durch den späteren § 7 ABGB sowie Generalklauseln und unbestimmte
Rechtsbegriffe war eine Konkurrenz der alleinigen Gesetzgebungsbefugnis
des Landesfürsten erblickt worden. – Enttäuscht wurde dieses Vertrauen
des Gesetzgebers in die Richterschaft im Laufe der Geschichte nur
selten, gravierend aber in der Zeit des Nationalsozialismus. | |
3. Rechtsquelle
– „Gute Sitten” | |
Die
Hereinnahme des § 879 ABGB in dieses Kapitel erfolgte nicht zufällig:
Denn das Feststellen einer Gesetz- und erst recht das von Sittenwidrigkeit
verlangt interpretatives Geschick; darüber hinaus wird durch die
Bezugnahme unserer Bestimmung auf die Generalklausel der „Guten
Sitten” eine Rechts- und Beurteilungsquelle von beachtlicher gesellschaftlicher
Relevanz geschaffen, die das Privatrecht in die Lage versetzt, rasch
und flexibel auf gesellschaftliche Ereignisse und Änderungen – auch
ohne Hilfestellung durch den Gesetzgeber – zu reagieren und – wenigstens
– im Einzelfall eine vorläufige richterliche Entscheidung eines
gesetzlich nicht geregelten Sachverhalts vorzunehmen. Mit dieser
Bestimmung setzte der Gesetzgeber in die Richterschaft enormes Vertrauen,
das aber zum Wohle des Ganzen nötig erscheint. Manchmal würde man
sich mehr und ein rascheres Einfühlungsvermögen in den gesellschaftlichen
Wandel und die Beurteilung neuer Sachverhalte wünschen. So hat es
in Österreich – im Vergleich zu Deutschland – bspw sehr lange gedauert,
bis bestimmte Bürgschaftsübernahmen als sittenwidrig erkannt wurden → Weitere
Beispiele zur allgemeinen Sittenwidrigkeit Und manche
Entscheidung grenzt an die vom ABGB wie dem Code Civil zutiefst
abgelehnte Rechtsverweigerung; vgl die E des OGH (5.2.1996, 6 Ob
2325/96x, ÖWR 1998, E 19 = wobl 1997/39: Stabentheiner), mit der
er es ablehnte, das auch für Lebensgefährten/innen statuierte Eintrittsrecht (§
14 MRG → KAPITEL 6: Anwendungsbereich
des MRG) auf gleichgeschlechtliche Lebensgefährten/innen
zu erstrecken. Mut und gesamtgesellschaftliche Optik tut dem Richterstand
aber immer gut. – Zuletzt soll noch auf die innere Verwandtschaft
des § 879 mit § 7 ABGB hingewiesen werden, diese großartige Schöpfung
Martinis, deren Funktion § 879 ABGB fortsetzt. | Rechts-
und
Beurteilungsquelle von gesellschaftlicher Relevanz |
II. Unerlaubtheit
allgemein | |
1. „Nichtig”
iSd § 879 Abs 1 ABGB | |
§
879 ABGB regelt also zweierlei: | |
•
Verstöße gegen
ein (ausdrückliches) gesetzliches Verbot und | |
•
Verstöße
gegen die guten Sitten, die demnach – obwohl nicht
normiert – ebenfalls Teil der Rechtsordnung sind. Verstöße gegen
die guten Sitten sind daher rechtswidrig. – Freilich handelt es
sich dabei nicht um explizit ausformuliertes Recht; es muss vielmehr
erst durch den Richter – im Einzelfall – gewonnen und festgestellt,
also konkretisiert werden. | |
§ 879
Abs 1 ABGB enthält die wichtigste Generalklausel des österreichischen
Privatrechts. Die Abs 2 und 3 geben Beispiele dafür, was dem Gesetzgeber
in Abs 1 als gesetz- und sittenwidrig vorgeschwebt ist. Dadurch
wird die „abstrakt” gehaltene Generalklausel konkreter, anschaulicher, mithin
für den Rechtsanwender und Rechtsadressaten fasslicher. | Wichtigste
Generalklausel des österreichischen Privatrechts |
Es
war Martinis Verdienst, als erster die legistische Bedeutung einer
Abkehr von sog Kasuistik erkannt und an deren Stelle
bewusst (!) allgemeine und unbestimmte Rechtsbegriffe, Generalklauseln,
überhaupt Generalisierung sowie den Mut zur Lücke gesetzt zu haben.
– Dies in Abkehr vom preußischen Landrecht (ALR) und noch vor dem
frCC. Bedauerlicher Weise wurde diese großartige Leistung der abendländischen
Rechtsgeschichte der Neuzeit von der Rechtsgeschichte kaum zur Kenntnis
genommen. – Zu Martinis legistischen Maximen und seiner Konzeption
eines Volksgesetzbuchs: Barta,
in: Barta / Palme / Ingenhaeff (Hg),
Naturrecht und Privatrechtskodifikation 26 ff und 38 ff (1999) und
nunmehr auch in: Barta / Pallaver / Rossi / Zucchini (Hg),
Storia, Istitutioni e diritto in Carlo Antonio de Martini (1726-1800)
87 ff (2002). | Abkehr von sog Kasuistik |
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Wie ernst die Judikatur Verstöße gegen die guten
Sitten nimmt, zeigt die E des OGH, JBl 1987,
334. Danach braucht eine am Vertragsabschluss
selbst beteiligte Partei den Vertrag nicht zuzuhalten, wenn der Vertragsinhaltsittenwidrig war;
mag die Partei dies auch gewusst haben. – Im konkreten Fall ging
es darum, dass die Darstellerin eines Pornofilms nach
ihrer Eheschließung die Fertigstellung des Films (Nachdreharbeiten)
ablehnte, weil ihr Mann dies nicht wollte. – Aus der E-Begründung
des OGH: „Ein Arbeitsvertrag, in dem sich der Arbeitnehmer zur Darbietung
geschlechtlicher Betätigung in einem ,scharfen’ Sexfilm verpflichtet,
ist nichtig ... Auch ein Vertragspartner, der selbst gegen die guten
Sitten verstoßen hat, kann sich auf die Nichtigkeit des Vertrages
berufen. Der Einwand, er handle damit gegen Treu und Glauben, kommt
dagegen nicht in Betracht.” – Der OGH bewertet die Vertragstreue
in diesem Fall zu Recht geringer, als den Wunsch der Frau und ihres
Mannes aus diesem Vertrag auszusteigen. | |
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2. Die
Beispiele des § 879 Abs 2 ABGB | |
Der Gesetzgeber gibt in § 879 Abs 2 ABGBBeispiele dafür,
welche Verträge er – auf jeden Fall – als „nichtig”, dh als absolut
ungültig, ansieht. | |
Es sind dies: | |
•
EhevertragZ
1: „wenn etwas für die Unterhandlung eines Ehevertrages bedungen
wird”; | |
•
Z
1a: „wenn etwas für die Vermittlung einer medizinisch unterstützten
Fortpflanzung bedungen wird” (seit BGBl 1992/275: FMedG); | Fortpflanzungsmedizin |
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•
Z
2: „wenn ein Rechtsfreund eine ihm anvertraute Streitsache ganz
oder teilweise an sich löst oder sich einen bestimmten Teil des
Betrages versprechen lässt, der der Partei zuerkannt wird” (sog quota
litis); | quota litis |
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OGH 19. 9. 2000, 10 Ob 91/00f, SZ 73/144 = JBl 2001, 229
= EvBl 2001/27: Die Abtretung der
Honorarforderung eines Rechtsanwalts an einen anderen ist
zwar nicht vom Verbot des Ansichlösens der Streitsache (§ 879 Abs
2 Z 2 ABGB) erfasst; weil aber mit der Abtretung auch die Übergabe
der Unterlagen, welche die abgetretene Forderung begründen, verbunden
ist, liegt jedoch nach § 879 Abs 1 ABGB iVm § 9 Abs 2 RAO (Verschwiegenheitspflicht)
absolute Nichtigkeit vor. | |
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•
Z 3: „wenn eine Erbschaft oder
ein Vermächtnis, die man von einer dritten Person
erhofft, noch bei Lebzeiten derselben veräußert wird;” | Lebzeitige
Veräußerung einer Erbschaft |
•
Z
4: Wucher”wenn jemand den Leichtsinn, die Zwangslage,
Verstandesschwäche, Unerfahrenheit oder Gemütsaufregung eines anderen
dadurch ausbeutet, dass er sich oder einem Dritten für eine Leistung
eine Gegenleistung versprechen oder gewähren lässt, deren Vermögenswert
zu dem Werte der [eigenen] Leistung in auffallendem Missverhältnis
steht.” – Zu den Voraussetzungen des Wuchers vgl die folgenden Beispiele. | Wucher |
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SZ 24/306 (1951): Die Bestimmungen
über den Wucher gelten auch für Handelsgeschäfte, Gesellschafts-
und Glücksverträge. | |
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Wucher setzt
nach der Rspr SZ 27/19 (1954) voraus: | Kriterien des Wuchers |
a) ein auffallendes objektives Missverhältnis zwischen
Leistung und Gegenleistung zur Zeit des Vertragsschlusses; | |
b) bestimmte Eigenschaften
des Bewucherten, die die Wahrnehmung seiner Interessen
hindern (SZ 43/194 (1970): „Verstandesschwäche”
minderen Grades genügt; JBl 1931, 242: Wer sich auf „Gemütsaufregungen”
beruft, muss beweisen, dass diese dem Gegenteil wenigstens bekannt
sein musste); | |
c)
(subjektive) Eigenschaften des Wucherers, nämlich Ausbeutungsabsicht. | |
MietSlg 38.073 (1986)Wer den Tatbestand
des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB behauptet, hat konkret dazutun (Beweislast),
worin die einzelnen gesetzlichen Tatbestandmerkmale zu erblicken
sind und durch welche Beweismittel dies bewiesen werden kann. | |
III. „Gesetzliches
Verbot” | |
1. Zu weite Formulierung
des § 879 Abs 1 ABGB | |
•
Der Wortlaut des
§ 879 Abs 1 ABGB sanktioniert – in der Fassung der III. TN – scheinbar jedes Rechtsgeschäft,
das gegen ein „gesetzliches Verbot” verstößt, mit Nichtigkeit. Das
wäre aber zuviel des Guten. Die hM interpretiert (genauer: reduziert
teleologisch! → Die
teleologische Reduktion) daher die Generalklausel einschränkend
– in Anlehnung an § 134 dtBGB –und nimmt Nichtigkeit nur: | |
• bei ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung,
aber auch dann an, | |
• wenn der Gesetzeszweck (die
sog ratio legis) dies erfordert. | |
Nicht jeder Gesetzesverstoß führt demnach automatisch zur
Nichtigkeit eines Rechtsgeschäfts; daher zB keine Nichtigkeit eines
Kaufvertrags außerhalb der Ladenschlusszeit, aber Nichtigkeit eines
Umgehungsgeschäfts im Ausländergrundverkehr. | |
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2. Die Rechtsfolgen
unerlaubter Geschäfte | |
Die gesetzlichen Rechtsfolgen für unerlaubte Geschäfte sind
unterschiedlich festgesetzt, die Sanktionen variieren: | |
•
Nichtigkeit des
ganzen Geschäfts oder nur | |
•
Teilnichtigkeit (zB
einer Klausel); oder | |
•
Gültigkeit + Verwaltungsstrafe (zB
bei Missachtung der Errichtung eines Ratenbriefs → KAPITEL 2: Das Abzahlungsgeschäft)
nach § 24 Abs 3 iVm § 32 KSchG. | |
 | Abbildung 11.19: Verstoß gegen § 879 ABGB: Rechtsfolgen |
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IV. Die
(Gesetzes)Umgehung | |
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1. Was ist eine
Umgehung? | |
Die Umgehung,
das in fraudem legis agere des römischen Rechts, versucht ein rechtlich
unerlaubtes / unmögliches Ziel auf einem scheinbar gangbaren Weg
zu erreichen. Dabei wird der „Wortlaut” des Gesetzes zwar vielleicht
formal erfüllt, ohne aber seinem Sinn und Zweck gerecht zu werden.
Bei der Umgehung ist also nicht nur ein bestimmter Weg zum Ziel
(wie beim Umweggeschäft → KAPITEL 5: Umweggeschäfte),
sondern das Ziel selbst verboten / unerlaubt. | |
Beachte: Jede „Umgehung” ist nichtig! | |
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JBl 1989, 780: Wird beim Ankauf
einer Liegenschaft der Vertrag vom Käufer nur als Treuhänder abgeschlossen,
um die grundverkehrsbehördliche Genehmigung des
Eigentumserwerbs durch den Treugeber zu umgehen, so liegt ein [unerlaubtes]
Umgehungsgeschäft und kein bloßes Scheingeschäft iSd
§ 916 ABGB vor. | |
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NKZ 20.11.1993, S. 13: „Grundverkehrsgesetz
bewährt sich – 99 Jahre Miete war Wohnungserwerb! Mit
einem für 99 Jahre geltenden, unkündbaren Mietvertrag tarnte ein
Deutscher in Kitzbühel ein Umgehungsgeschäft. Das Land Tirol hatte
jedoch Feststellungsklage eingereicht. Erstmals entschied kürzlich das
Landesgericht Innsbruck, dass in so einem Fall kein Mietverhältnis
eingegangen, sondern Wohnungseigentum erworben wurde. Damit hat
das neue Tiroler Grundverkehrsgesetz seine Feuertaufe bestanden.” Eine
typische aus zahlreichen Umgehungsvarianten, um den Ausländergrundverkehr”auszuhebeln”
war – inländischer Treuhänder (zB eine „Wohnungseigentumsgesellschaft”als
Strohmann) wird / bleibt formeller Eigentümer, die materiellen Käufer
werden bloß Mieter, Pächter oder Kommanditisten der Wohnbaugesellschaft.
Tiroler Wohnbauvereinigungen schlossen bekanntermaßen, gebilligt
von „allerhöchster Politik” (TT) zur Umgehung des Tiroler Grundverkehrsgesetzes
tausende 100jährige Mietverträge ab. Tiroler Rechtsanwälte verhöhnen
die Rechtsordnung durch den Abschluss von (Umgehungs)Bestandverträgen
auf 500 (!) Jahre! | |
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”Mietzinsvorauszahlung
als verbotene Ablöse [§ 27 Abs 1 Z 1 MRG] .... Der Mieter
einer Wohnung in Wien hatte dem Vermieter beim Vertragsschluss eine
Mietzinsvorauszahlung von 25.800 S übergeben, was genau 6 Monatsmieten
zu 4.300 S entsprach. Tatsächlich sollte das Geld an die Stelle
von 6 monatlichen Zinszahlungen treten, aber nicht etwa zu Beginn
des unbefristeten Vertrages, sondern vor dessen Ende: Während der
vereinbarten 6-monatigen Kündigungsfrist würde der Mieter keinen
Zins mehr zahlen müssen, so die damalige Abmachung. Die ließ der
OGH jedoch nicht gelten. „Eine Einmalzahlung ist ... dann ausnahmsweise
keine verbotene Ablöse, wenn es sich um eine echte Mietzinsvorauszahlung
handelt„ .... Eine solche Vorauszahlung „muss von den Vertragsparteien
von vornherein bestimmten Zeiten zugeordnet werden .... Hiebei muss
der Zeitraum, für den die Mietzinsvorauszahlung geleistet wird,
von vornherein datumsmäßig bestimmt oder zumindest bestimmbar sein.”
Die Klausel, nach der die Vorauszahlung in den letzten 6 Monate
des Mietverhältnisses zu verrechnen sei, „würde es ermöglichen,
den Verrechungszeitraum uU in eine unabsehbare zeitliche Ferne zu
verlegen und solcherart das Ablöseverbot zu umgehen„ .... Der Mieter
darf nun seine Vorauszahlung zurückverlangen ....” (Die Presse,
17.6.1995, S. 26) | |
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Oder: Ketten(arbeits)verträge,
um Arbeitnehmer um ihre Rechte zu bringen: etwa Kündigungsfristen, Urlaub
oder Abfertigung. – Kettenverträge werden von der Rspr als Arbeitsverträge
auf unbestimmte Zeit behandelt, wenn nicht besondere wirtschaftliche
oder soziale Gründe den Abschluss wiederholter (meist zeitlich unmittelbar
hintereinander liegender), auf bestimmte Zeit abgeschlossener Verträge
als sozial gerechtfertigt erscheinen lassen; vgl zB SZ 26/233 = ArbSlg 5823 (1953) oder ArbSlg 10.149 (1982): Rechtfertigende
besondere Umstände sind in jedem Einzelfall zu prüfen. | |
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V. Gegen
die guten Sitten | |
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1. Sittenwidrigkeit:
Unterfall der Rechtswidrigkeit | |
Die Sittenwidrigkeit ist
ein „Unterfall” der Rechtswidrigkeit und dient der
Rechtsordnung als Korrektiv, wenn gegen ihre Grundsätze, ihren „Geist”
verstoßen wird. Die gute Sittenklausel des § 879 Abs 1 ABGB ist
ein Instrument gerade für jene Fälle, die gesetzlich nicht (ausdrücklich)
geregelt sind. Sie dient somit als (richterliches) Instrument der
Lückenschließung ( → §
7 ABGB: Die Lückenschließung) und gibt dem Richter die Möglichkeit,
im Einzelfall ein Verhalten oder Unterlassen als mit der Rechtsordnung unvereinbar
zu erklären, obwohl dieses Verhalten gesetzlich oder vertraglich
nicht ausdrücklich verboten ist. | |
Was
bedeutet der Begriff „Generalklausel”?
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Generalklausel ist eine Bezeichnung für
eine gesetzliche Formulierung, welche den Tatbestand / die Tatbestandsvoraussetzungen
einer Norm – verglichen mit andern, „normalen” Normen – bewusst
weiter und allgemeiner fasst, um eine möglichst effektive und flexible
Anwendung in der Rechtspraxis zu gewährleisten. Hier wird dies durch
die Formulierung erreicht: | |
„Ein Vertrag, der … gegen die guten Sitten
verstößt …”. | |
Der
Gesetzgeber will damit Rechtsanwender in die Lage versetzen, unerwünschte
rechtliche Ergebnisse / Entwicklungen schon im Einzelfall korrigieren
zu können, ohne selbst eingreifen zu müssen. Der Gesetzgeber delegiert
mit einer Generalklausel einen Teil seiner Rechtssetzungsmacht an
den Rechtsanwender, der im Einzelfall unter Zugrundelegung der in
der Generalklausel allgemein umschriebenen Wertungen festzustellen
hat, ob ein von einer Partei gewünschtes oder erzieltes rechtliches
Ergebnis, den von der Rechtsordnung statuierten Grundwertungen entspricht oder
nicht. Vgl auch → Zur
Funktion von Generalklauseln und unbestimmten Gesetzesbegriffen
| Korrektur unerwünschter Ergebnisse |
2. Andere berühmte
Generalklauseln | |
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•
§ 1 UWG | |
„Wer im geschäftlichen
Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs Handlungen vornimmt, die gegen
die guten Sitten verstoßen, kann auf Unterlassung
und Schadenersatz in Anspruch genommen werden.” | |
• § 30 Abs 1 MRG | |
„Der Vermieter kann nur aus wichtigen
Gründen den Mietvertrag kündigen.” | |
•
§ 16 ABGB: Generalklausel
für Persönlichkeitsrechte. | |
3. Weitere Rspr-Beispiele
zur Frage der Sittenwidrigkeit: | |
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EvBl 1976/9: Ein Arbeitnehmer beabsichtigte
seinen Arbeitsplatz zu wechseln, wurde aber durch Zusagen seines
Chefs (zB auf höheres Gehalt etc) zum Bleiben bewogen und sagte
dem „neuen Arbeitgeber” ab. In der Folge machte sein Arbeitgeber
die gemachten Zusagen davon abhängig, dass sein Arbeitnehmer eine Konkurrenzklausel (§
36 AngG) unterschreibt, über die ursprünglich nicht gesprochen worden
war. – OGH: Da sich die Sittenwidrigkeit eines Rechtsgeschäfts aber
nicht nur aus seinem Inhalt, sondern auch aus dem Gesamtcharakter
der Vereinbarung – iS einer zusammenfassenden Würdigung von Inhalt, Beweggrund
und Zweck – ergeben kann, kommt es bei der Beurteilung nach § 879
Abs 1 ABGB inbesondere auch auf alle jene Umstände an, unter denen
das Rechtsgeschäft abgeschlossen wurde. – Die (nachträglich geforderte)
Konkurrenzklausel wurde in concreto – weil sittenwidrig – als nichtig
angesehen. | |
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ÖBl
1988, 38: § 1 UWG wird angewandt, um das ” Schmieren” von
Reiseleitern und Busfahrern, damit sie die Gäste zu einem bestimmten
Restaurant bringen, als sittenwidrig und damit unerlaubt zu qualifizieren.
§ 1013 ABGB (Geschenkannahmeverbot) enthält ein Schmiergeldverbot. | |
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EvBl 1998/187: § 1 UWG – Zur Sittenwidrigkeit
gefühlsbetonter Werbung ( Opferlicht): Sittenwidrigkeit wurde
hier verneint; vgl auch → KAPITEL 4: Grundrechte
und Privatrecht. | |
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JBl
1987, 36 = SZ 59/130 – Lokalverbot eines
niederösterreichischen Multifunktionärs: Ein Lokalverbot ist sittenwidrig
und der Gastwirt daher zu Aufnahme und Bewirtung verpflichtet, wenn
der abgewiesene Gast aus beruflichen und gesellschaftlichen Gründen
(zB als Bauernbundfunktionär, Feuerwehrobmann, Pfarrkirchenratsmitglied
usw) zum Besuch dieses Gasthauses als dem praktisch einzigen der
näheren Umgebung ohne Ausweichmöglichkeit genötigt ist und die Zurückweisung
als soziale Diskriminierung empfunden wird. Eine persönliche Konfrontation
zwischen Wirt und Gast rechtfertigt die Zurückweisung nicht, wenn
der Gast sich dabei anständig benommen hat. – Zu beachten war hier
neben der Sittenwidrigkeit und § 16 ABGB (Persönlichkeitsrechtsverletzung)
auch der Missbrauch der wirtschaftlichen Monopolstellung; einziges
Gasthaus im Ort! | |
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SZ
69/176 (1996): Sponsorvertrag für
das Auftreten der drei Tenöre (Carreras, Domingo
und Pavarotti) im Wiener Praterstadion – Macht ein Zeitungsunternehmen
die Veröffentlichung eines Inserats für die von einem Konkurrenzunternehmen
gesponserte Veranstaltung davon abhängig, dass das Logo dieses Mitbewerbers
aus dem Inserat entfernt wird, so widerspricht diese Verhaltensweise
nicht den guten Sitten iSd
§ 1 UWG. Vgl auch → KAPITEL 5: Allgemeines
zur Vertragsfreiheit:
Vertragsfreiheit. | |
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OGH 24.2.1999, 9 Ob A 34/99m: Bestellung
eines gewerberechtlichen Scheingeschäftsführers ist
sittenwidrig (Konzessionsüberlassung); absolute Nichtigkeit. | |
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OGH 24. 11. 1999, 3 Ob 229/98t, JBl 2000, 513:
Der Unterhaltsanspruch zwischen geschiedenen Ehegatten ist
nicht zur Gänze Dispositivrecht; daher Sittenwidrigkeit des Beharrens
auf einem Unterhaltsverzicht auch für den Fall der Not, wenn bei
streitiger Scheidung ein Unterhaltsanspruch bestünde. | |
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OGH 13. 2. 2001, 4 Ob 324/00a, EvBl 2001/137:
Didaktisch interessante und übersichtlich gegliederte Ausführungen
zur Frage der Sittenwidrigkeit eines Bestandvertrags.
– OGH lehnt Sittenwidrigkeit wohl zurecht ab, mag der Vermieter
auch 40 Jahre Kündigungsverzicht, einen Verzicht auf Irrtumsanfechtung und
eine Ersatzpflicht für Zubauten ausverhandelt haben. | |
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Die guten Sitten sind nicht
mit der allgemeinen Moral gleichzusetzen. Die Moral besteht aus Zweckmäßigkeitsregeln
einer Gesellschaft, um ihren Bestand zu sichern. Die guten Sitten
als (gesetzliche) Vorschrift des geltenden (Privat)Rechts verlangen
grundsätzlich mehr und gehen über die Moral hinaus. Sie sanktionieren
Verstöße gegen wichtige (wenn auch nicht ausformulierte) Grundsätze
des Gesetzgebers. | |
Zutreffend erscheint
es, weder das Recht (samt seinen guten Sitten) mit der Moral gleichzusetzen, noch
die beiden Begriffe völlig zu trennen. Ein Recht ohne Moral erscheint
ebenso undenkbar, wie ein völliges Identifizieren von Moral
und Recht / guten Sitten. – Die Praxis des OGH scheint der
hier angebrachten Synthese nahe; EvBl 1980/117. | Recht ohne Moral? |
Das Recht ist also
nicht gleichzusetzen mit der (Gesellschafts)Moral, aber wesentliche
Teile des Rechts entsprechen der allgemeinen Moral einer Gesellschaft.
Und die Gesellschaftsmoral ist wiederum ein ganz wesentlicher Teil
jenes gesellschaftlichen Wertkonglomerats, aus dem die rechtlich so
bedeutsamen guten Sitten geschöpft werden, zumal diese gerade dort
rechtlich „greifen” sollen, wo der Gesetzgeber keine oder doch keine
ausdrückliche Anordnung getroffen hat. Das zeigt: Recht, gute
Sitten und (Gesellschafts) Moral stehen in Wechselwirkung,
ohne miteinander identisch zu sein. Es gibt zwischen ihnen Überschneidungs-,
aber auch Differenzbereiche. Das zeigt sich auch darin, dass Rechts-,
Sittenwidrigkeits- und Moralurteile häufig übereinstimmen. | Wechselwirkung |
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EvBl 1980/117 (Personalbereitstellungsunternehmen behält
sich Recht vor, einseitig das Arbeitsentgelt von Arbeitnehmern zu
bestimmen): „Ein Vertrag widerstreitet dann den guten Sitten iSd
§ 879 ABGB, wenn er dem Rechtsgefühl der Rechtsgemeinschaft –
das ist die Gemeinschaft aller billig und gerecht Denkenden –
widerspricht und somit grob rechtswidrig ist. Sittenwidrigkeit ist
inbesondere dann anzunehmen, wenn die vom Richter vorzunehmende
Interessenabwägung eine grobe Verletzung rechtlich geschützter Interessen
oder bei Interessenkollisionen ein grobes Missverhältnis zwischen
den durch die Handlung verletzten und den durch sie geförderten
Interessen ergibt .... Unter den guten Sitten ist der Inbegriff
jener Rechtsnormen zu verstehen, die im Gesetz nicht ausdrücklich
ausgesprochen sind, die sich aber aus der richtigen Betrachtung
der rechtlichen Interessen ergeben. Die guten Sitten werden mit
dem ungeschriebenen Recht gleichgesetzt, zu welchem neben den allgemeinen
Rechtsgrundsätzen auch die allgemein anerkannten Normen der Moral
gehören.” | |
Dieses billigenswerte
Verständnis der „guten Sitten” entspricht in etwa dem ungeschriebenen
Recht der griechischen Frühzeit, das ebenso aus verschiedenen Wertfacetten
der Gesellschaft / Polis bestand wie (Gewohnheits)Recht, Kultur,
Religion, Moral, Brauch, Sitte und altes Herkommen. Max Weber bezeichnete
diese normative gesellschaftliche Wertsynthese als nomologisches
Wissen. Im alten Griechenland spielte es bis zum letzten
Viertel des 7. Jhd v. C. eine dominierende Rolle und verlor auch
nach der drakontischen (624/3 v. C.) und solonischen Gesetzgebung
(594/3 v. C.) keineswegs seine Bedeutung. Noch im 5. Jhd. v. C.
wurde – ausgelöst von den Sophisten – um die Beziehung und Gestaltung
von Nomos und Physis gerungen. | Moral als Wertsynthese? |
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Ähnlich den guten
Sitten wirkt der – aus dem dtBGB stammende, von Gschnitzer als „Zwillingsschwester”
der „Gute Sitten-Klausel” bezeichnete – Rspr-Grundsatz von „Treu
und Glauben”. | |
Vgl § 242 dtBGB: „Der Schuldner ist verpflichtet,
die Leistung so zu bewirken, wie Treu und Glauben mit Rücksicht auf
die Verkehrssitte es erfordern”; Leistung nach Treu und Glauben.
– Oder § 157 dtBGB: „Verträge sind so auszulegen, wie Treu und Glauben
mit Rücksicht auf die Verkehrssitte es erfordern”; Auslegung von
Verträgen nach Treu und Glauben und nach der Verkehrssitte. | §
242 dtBGB |
Während das ABGB von 1811 keine Regelung
des Treu und Glauben-Grundsatzes kennt, war dies in den Vorstufen
unserer (Privatrechts)Kodifikation noch anders. Der Codex Theresianus
III 2 Num 171 etwa formulierte: | ABGB
von 1811 – CodTher |
„Bei allen Verträgen muss vornehmlich auf
Treu und guten Glauben gesehen, ... werden.” | |
Der Treu
und Glauben-Grundsatz gilt vor allem für das Schuldrecht und betrifft
Fragen der korrekten Erfüllung der geschuldeten Leistung, untersagt
aber über das Schuldrecht hinaus generell missbräuchliche Rechtsausübung → Rechtsmissbrauch
und Schikane Dieser
Grundsatz gilt in „konkreten Rechtsbeziehungen”; Gschnitzer, SchRAT 2 50. | Bedeutung im Schuldrecht |
Rechtshistorisch
ist er ein Nachfahre der römischrechtlichen exceptio doli (Einrede
der Arglist), die im modernen Recht nicht mehr einredeweise geltend
gemacht werden muss, sondern eine inhaltliche Anspruchsschranke
darstellt, die von Amts wegen wahrzunehmen ist. Die Römer haben
den Begriff von den Griechen übernommen, wo er
bspw in der „Nikomachischen Ethik“ des Aristoteles vorkommt. – Der
Grundsatz von Treu und Glauben reicht demnach über die Sittenwidrigkeit
und das Schikaneverbot ( → Rechtsmissbrauch
und Schikane)
hinaus, ergänzt aber diese Rechtsbehelfe. | |
Eine Umschreibung des Grundsatzes findet sich in SZ 51/103
(1978): | |
„Der rechtsgeschäftliche Verkehr darf nicht
dazu missbraucht werden, einen anderen hineinzulegen, sondern soll sich
ehrlich abspielen. Auch die Erfüllung von Verträgen [und nicht nur
ihr Abschluss!] hat nach den Grundsätzen von Treu und Glauben zu
geschehen. Der Zweck des Vertrages hat über seinen Wortlaut zu triumphieren.” | |
Unser Grundsatz schützt
beide Vertragsteile, also Schuldner und Gläubiger, statuiert aber
für beide Seiten unterschiedliche Pflichten; so führt unsere Regel,
die partiell auch gesetzlich gewisse inhaltliche Ausformungen erfahren
hat, bspw dazu, dass sich der Gläubiger nicht auf
eine „unerhebliche Minderung des Wertes” iSd § 932 Abs 2 ABGB (Gewährleistung)
oder offenkundige Mängel (§ 928 ABGB) berufen kann; für den Schuldner kann
sich aus ihrer Anwendung eine Einschränkung (zB Unzumutbarkeit oder
Unerschwinglichkeit der Leistung mit Übergängen zur Unmöglichkeit) oder
allenfalls auch eine Erweiterung seiner Leistungspflicht/en (selbständige
und unselbständige Nebenleistungspflichten wie Verwahrung, Unterlassung
oder Aufklärung) ergeben. | Grundsatz
schützt beide Vertragsteile |
Diese Einsichten stammen wiederum aus dem
alten Griechenland und wurden bereits von Demosthenes und Aristoteles
etc formuliert. | |
So trifft nach Treu
und Glauben den Händler gegenüber seinen Kunden die Pflicht zur
Kontrolle der gehandelten Ware und zur notwendigen Aufklärung nach
dem Sorgfaltsmaßstab des § 1299 ABGB; der Händler kann sich dabei
aber – nach der Rspr – idR auf die Richtigkeit und Vollständigkeit
der vom Produzenten gegebenen Hinweise und Gebrauchsanweisungen
verlassen; vgl SZ 54/116 (1981). | |
 | |
|
Ein wichtiger
Anwendungsbereich des Treu und Glaubens Grundsatzes liegt im Gesellschaftsrecht;
vgl etwa EvBl 1999/129:
§ 61 GmbHG – Zur Treuepflicht von GmbH-Gesellschaftern. | |
|
|
JBl 1999, 380: Der Versuch eines
Vertragspartners, von der mehrere Jahrzehnte geübten einvernehmlichen
Vertragshandhabung abzuweichen, kann gegen Treu und Glauben
verstoßen; Auslegung einer Reallast des Wasserbezugs. | |
|
| |
 | Abbildung 11.20: Rechtswidrigkeitszwiebel |
|
6. Rechtsmissbrauch
und Schikane | |
Eine andere Ergänzung
der Sittenwidrigkeit sind Rechtsmissbrauch (§ 1305 ABGB) und Schikane (§§
1295 Abs 2, 2. HalbS), die als Erscheinungsform des Rechtsmissbrauchs
angesehen wird. Beide Rechtsfiguren kommen in ganz verschiedenen
Bereichen der Rechtsordnung vor; etwa Missbrauch der Verjährungseinrede
(SZ 47/17), im Pflichtteilsrecht (JBl 1995, 584: Pflichtteilsverzicht),
Markenschutzrecht (RdW 1997, 456) oder bei einer Bankgarantie: SZ
66/140. | |
Rechtsmissbrauch und Schikane entstammen
genetisch-historisch, wie die Sittenwidrigkeit und der Treu und Glauben-Grundsatz
dem griechischen Billigkeitsdenken (Epieikeia),
das zur römischen aequitas und schließlich den
erwähnten modernen Facetten dieses Denkens wurde. | |
§ 1305 ABGB stellt klar, | §
1305 ABGB |
• dass derjenige, der
„von seinem Rechte innerhalb der rechtlichen Schranken (§ 1295 Abs
2 ABGB) Gebrauch macht, [für] den für einen anderen daraus entspringenden
Nachteil nicht” verantwortlich gemacht werden kann; | |
• denn wer sein Recht ausübt, handelt nicht rechtswidrig. | |
Wird dieses Maß überschritten, stehen den davon Betroffenen Unterlassungs- und
bei Verschulden Schadenersatzansprüche zu; vgl
RZ 1998/1: Rspr-Beispiele. | |
Der erst durch die III. TN eingefügte §
1295 Abs 2 ABGB, der besser in den Zusammenhang des § 1305
ABGB aufgenommen worden wäre, fordert für die Annahme von Rechtsmissbrauch
/ Schikane, dass | §
1295 Abs 2 ABGB |
• „die Ausübung des
Rechts offenbar den Zweck hatte, den anderen zu
schädigen”, also | |
• die Rechtsausübung
in
Schadenzufügungsabsicht erfolgte. | |
Die Rspr legte dann noch (zu lange) ein „Schäuferl” drauf
und verlangte, dass die Rechtsausübung offenbar „nur”
(!) eine bestimmte Schädigung beabsichtigte, wodurch die Norm ihren
„Biss” verlor. | |
Diese Position ist mittlerweile
überwunden; vgl nunmehr EvBl 1987/49, wonach der OGH – in Abkehr
von jahrelanger Rspr und in Anlehnung an eine Formulierung Gschnitzers
– Schikane nicht nur dann annimmt, wenn die Schädigungsabsicht den
einzigen Grund der Rechtsausübung bildet, sondern bereits dann,
wenn zwischen den Interessen des Handelnden und jenen des Beeinträchtigten
ein „(ganz) krasses Missverhältnis” besteht, also
der Schädigungszweck offenbar im Vordergrund steht und andere Ziele
der Rechtsausübung im Vergleich dazu völlig in den Hintergrund treten;
vgl aber wieder WBl 1994, 167: Rspr-Beispiele.
Vgl auch SZ 62/169 (1989)oder SZ 63/49 (1990). | Neue Rspr |
|
Unverständlich
erscheinen heute Rspr-Positionen wie die in SZ
24/278 (1951) oder MietSlg
16.023 (1964) vertretenen, wonach dem österreichischen
Recht ein allgemeines Schikaneverbot fremd sei.
– ABGB-konform war diese Ansicht nicht! | |
|
|
WBl 1994, 167 = ecolex 1994, 162:
Die Annahme sittenwidriger deliktischer Schädigung setzt eine vorsätzliche
Schädigungshandlung voraus, wobei bedingter Vorsatz hinreicht. | |
|
|
SZ 44/86 (1971): Beweispflichtig dafür,
dass der sein Recht Ausübende kein anderes Interesse hatte, als zu
schädigen, ist der die Schikane behauptende Kläger; dies ist nunmehr
iSv EvBl 1987/49 zu modifizieren. | |
|
|
JBl 1994, 191: Das Schikaneverbot
gilt auch im öffentlichen Recht. | |
|
|
RZ 1998/1 und 1 Ob 338/97 f vom 24.2.1998:
Darin setzt der OGH seine mit EvBl 1987/49 begonnene kritische Haltung
fort. – Zu beachten ist dabei, dass der durch Schikane Beeinträchtigte
nicht nur einen Unterlassungsanspruch besitzt,
sondern nach allgemeinen Voraussetzungen auch Schadenersatzansprüche erheben
kann; zB wenn ein Nachbar schikanös Einwendungen gegen ein Bauvorhaben
erhebt! | |
|
 | |
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Das Dringen auf
genaues Erfüllen eines gerichtlichen Vergleichs ( JBl 1961, 231); | Schikane wurde von der Rspr bspw in folgenden Fällen
abgelehnt: |
|
|
die Verfolgung von Rechten
aus einem Bestandvertrag (MietSlg 26.153); | |
|
|
der Abwehr
von Eingriffen in das Eigentumsrecht an Grund und
Boden, weil bei Gewährenlassen eine Dienstbarkeit ersessen werden
könnte (RZ 1993/72)
oder RdW 1994, 102: Eigentumsfreiheitsklage erfolgt nicht missbräuchlich,
selbst wenn eine Untersagung für den davon Betroffenen wirtschaftlich
existenzgefährdend ist; ambivalent JBl 1994,
471 (Ausbau von Hafenbauten am Bodensee
ohne Wissen einer Miteigentümerin); | |
|
|
Konkurseröffnungsantrag
bei nur teilweiser pfandrechtlicher Sicherstellung der Forderung
des Antragstellers. | |
|
|
Mikrophonfall: RdW 1995, 424 = wobl 1996, 144 (Anm
Mader) – Wohnungsmieter über einem Gastlokal mit Gastgarten hängte
ua aus seinen Fenstern Mikrophone, um Gästegespräche abzuhören und
diese dadurch zu vertreiben; | Rechtsmissbrauch wurde angenommen: |
|
|
Weigerung
einer Kreditkartengesellschaft dem Vertragsunternehmen
bei Störungen in der Abwicklung die Adresse des Kreditkarteninhabers
bekanntzugeben (SZ 61/55 [1988]):
Zur Kreditkarte → KAPITEL 15: Die
Kreditkarte; | |
|
|
wenn jemand Rückstellung dessen begehrt, was
er vertragsmäßig zu leisten verpflichtet ist (römisches Recht: dolo
petit / agit, qui petit quod redditurus est): SZ 9/283 (1927) oder HS 4279/39
(Herausgabeanspruch), JBl 1988, 649 (Verdienstentgang); | |
|
|
bei Klagsführung
zur Beseitigung eines ganz unwesentlichen Nachteils; MietSlg 26.153. De minimis
non curat praetor.
| |
|
|
OGH 27.11. 2002, 1 Ob 265/01d, EvBl 2002/72:
Grundstückseigentümer lässt an der Grundstücksgrenze mit Zustimmung
des Nachbarn eine Garage bauen. Diese ragt 9 cm über die Grenze,
was der betroffene Nachbar weiß. Erst nach Fertigstellung klagt
er auf Beseitigung. Der Bauführer wendet idF den Erwerb von Eigentum
an dem (Überbau)Teil des Nachbargrundstücks ein; § 418 letzter
Satz ABGB. – OGH verneint Eigentumserwerb wegen Unredlichkeit und
nimmt im Übrigen Rechtsmissbrauch nach § 1295 Abs 2
ABGB an. | |
|
7. Zur
Funktion von Generalklauseln und unbestimmten Gesetzesbegriffen | |
Die
Gefahr von (inhaltlich) kaum determinierten Rechtsbegriffen wie
den Guten Sitten oder dem Treu und Glauben-Grundsatz liegt in ihrem
Missbrauch durch Rechtsanwender. | Missbrauchsgefahr |
Der
Nationalsozialismus hat Generalklauseln dazu missbraucht, um seine
politischen Wertungen durchzusetzen und Juristen haben dabei mitgemacht;
bspw im Mietrecht (§ 19 MG; heute § 30 MRG), wo ein für die Kündigung
nötiger „wichtiger Grund” allein darin erblickt wurde, dass ein Mieter
Jude war. Allein in Wien wurden ab 1938 etwa 60.000 Mietwohnungen
auf diese Weise „arisiert”. Eine Entschädigung wurde mit dem Entschädigungsfondsgesetz
beschlossen; BGBl I 12/2001. – Hedemann hat die mit Generalklauseln
verbundenen Gefahren eindringlich in schwerer Zeit geschildert. | Nationalsozialismus |
| |
 | |
Trotz
dieser Gefahr kann der Gesetzgeber aber auf diese Instrumente nicht
verzichten, zumal auf der einen Seite keine Rechtsordnung alles
zu regeln vermag, und das auch gar nicht erstrebenswert ist, und
andrerseits Generalklauseln und unbestimmte Rechtsbegriffe ihrer
Funktion nach dazu in der Lage sind, eine Rechtsordnung an die Erfordernisse
der Zeit auch ohne Tätigwerden des Gesetzgebers anzupassen. | |
VI. Anwendung der
Gute Sitten-Klausel | |
1. Gute Sitten
und „Rechtsgefühl” | |
Die
Gute Sitten-Klausel ist in vielen Rechtsordnungen auch ein Instrument,
um dem Rechtsgefühl bei Verstößen gegen das allgemeine Rechtsempfinden
Achtung zu verschaffen. – Die guten Sitten finden daher sowohl im
Wirtschaftsleben Anwendung, wie im persönlichen / privaten Bereich.
Einseitige Ausnützung von Wirtschaftsmacht wird ebenso geahndet,
wie Verstöße gegen die zwischenmenschliche Moral. | |
Dass die „guten Sitten” national und international
ein dehnbarer Begriff sind, zeigt die Tatsache, dass zB Deutschland,
Belgien, Luxemburg und Griechenland lange die legale (!) steuerliche
Abschreibung von Bestechungsgeldern für ausländische Beamte kannten;
OECD-Erklärung 1997: Die Zeit Nr 23, 30.5.1997, S. 24. | |
Hier
zu nennen sind auch Geschäfte im Zusammenhang mit der Prostitution,
die von der Rspr früher generell als sittenwidrig angesehen wurden,
mag sich mittlerweile auch schon manches in Richtung Realismus geändert
haben. – Eine bürgerliche Scheinmoral bediente sich in Bereichen wie
diesem ihres Einflusses, um eigene Wertungen durchzusetzen. | Prostitution |
Rechtswissenschaft
hat mit Realitätsbewältigung zu tun und doch schleppen manche ihrer
Begriffe und Rechtsinstitute überholten Ballast mit sich. Und Probleme,
die das dogmatische Konzept stören, wurden von der Rechtswissenschaft
immer wieder ganz oder teilweise „verdrängt” oder „abgespalten”.
Hier angesiedelt ist auch das Problem der Prostitution (Körper,
Sexualität als Ware), die rechtlich zum Teil immer noch nach Christian
Morgensterns Palmström-Prinzip gelöst wird: Es kann nicht sein,
was nicht sein darf! Dennoch war die Rspr unseres OGH streckenweise
zu diesem Problemkreis realistischer als die des dtBGH. Aber auch
der OGH behandelte im Kielwasser des dtRG lange sowohl den Verkauf,
wie die Verpachtung und die Geschäftsführung auch
polizeilich geduldeter „Freudenhäuser” als sittenwidrig;
vgl GlUNF 4867 (1908) und JBl 1933, 210. Wahrlich ein Zeit- und
Sittenbild. Dazu kritisch schon Gschnitzer in Klang2 IV/1,
191 f mwH (1952). | |
|
SZ 54/70 (1981): Verdienstentgang
einer registrierten Prostituierten
→ KAPITEL 9: ¿Verdienstentgang¿.
Hier ging es um Schadenersatzansprüche nach einer Verletzung. Die
Zahlung des Prostituiertenentgelts ist jedoch nach der Rspr nach
wie vor unklagbar, weil sittenwidrig. Hier ist die Rspr immer noch
auf dem Stand des römischen Rechts: Quod meretrici datur. Man kann
da nur sagen: „Es erben sich Gesetz und Recht ….” | |
|
|
JBl 1989, 784: Verträge
mit Prostituierten sind nach der Rspr sittenwidrig, mag
auch ein geleistetes Entgelt nicht nach § 1174 Abs 1 ABGB zurückgefordert
werden können. | |
|
|
JBl
1933, 210: Erachtet noch den Bordellkauf und
die Bordellhypothek als ungültig, weil sittenwidrig. | |
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2. Weitere
Beispiele zur allgemeinen Sittenwidrigkeit | |
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SZ
26/52 (1953): Das Verlöbnis eines
Verheirateten ist sittenwidrig. | |
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Ebenso der (Voraus)Verzicht
eines Ehepartners auf künftige Scheidungsgründe; JBl 1962, 605. | |
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SZ 36/58 (1963): OGH reduzierte
eine zeitlich zu lange Konkurrenzklausel im Rahmen
eines Metzgereipachtvertrags samt Kundenstock. | |
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SZ 41/131 (1968): Gewerbebetrieb
wird von E-Werk nicht von Stromabschaltung verständigt. AGB des E-Werks
enthalten für solche Fälle einen Haftungsausschluss; sog Freizeichnungsklausel
→ KAPITEL 9: Verschulden
(culpa).
OGH betrachtet den Haftungsausschluss als sittenwidrig, argumentiert
aber vornehmlich mit § 914 ABGB (Verkehrssitte). | |
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|
EvBl
1995/27 und 28: Fax-Werbung.
Werbung mittels Telefax ist unzulässig. (Kläger=
Rechtsanwälte und Fax-Inhaber; Beklagter = schickte ungefragt Werbematerial
mittels Telefax). | |
|
|
EvBl
1995/27 (§ 1 UWG): Das Berufungsgericht
erblickt in der unerbetenen Telefaxwerbung eine
gegen die guten Sitten im Geschäftsverkehr verstoßende belästigende
Werbemaßnahme .... Das Telefaxgerät dient – wie das Telefon – dem
Geschäftsbetrieb. Die unerwünschte Inanspruchnahme des Telefaxgerätes durch
den Beklagten ist schon deswegen belästigend, weil die Telefaxsendung
angenommen werden muss, um festzustellen, ob sie für die Kläger
von Wichtigkeit ist oder nicht. Dadurch wird gerichtsbekanntermaßen
das Gerät der Kläger blockiert und die Arbeitskraft diverser bei
ihnen tätiger Angestellter und der Klägerin selbst unzulässig in
Anspruch genommen .... Für die Übersendung des vorliegenden Werbematerials
an die Kläger mittels Telefax bestand überhaupt keine Veranlassung.
Daran ändert auch der Umstand nichts, dass allenfalls zwischen den
Streitteilen eine Geschäftsbeziehung geringen Ausmaßes bestanden
hat bzw dass die Kläger in der Kundenkartei des Beklagten gespeichert
sind .... – Vgl auch EvBl 1995/28. – Dasselbe gilt für e-mail-Werbung. | |
|
|
SZ 73/47 = EvBl 2000/147: Postkartenwerbung –
Eine durch die Tarnung einer Werbesendung als Privatpost (Ansichtskarte
mit Urlaubsgruß) bewirkte Täuschung ist rechtswidrig und stellt
wegen der Notwendigkeit, die Werbung zumindest teilweise zur Kenntnis
zu nehmen, zu einem mit dem Schutz des Privatbereichs (§ 16 ABGB)
unvereinbaren Belästigung. (In der E fehlt ein Bezug auf § 879 ABGB,
er ist aber gleichsam mitzudenken. Die E zeigt, dass es in diesen
Werbefällen zu Übergängen zwischen § 879 und § 16 ABGB kommt. | |
|
|
EvBl
1999/186: Anruf zu Werbezwecken – Schon
das telefonische Einholen der Zustimmung zu einem späteren Werbetelefonat ist
ein Anruf zu Werbezwecken iSd § 101 TKG. | |
|
|
„Lösegeldforderungen”
für Internet-Adressen sind sittenwidrig: Domain-Grabbing,
also das Registrieren von Internet-Adressen bloß zum Zweck, um sie
anderen Benutzern später teuer zu verkaufen, ist sittenwidrig; vgl OGH 24.2.1998 – jusline I – Obl 1998, 241 und 27.4.1999
– jusline II – Öbl 1999, 225. Der OGH behandelt
Domain-Grabbing als selbständige, sittenwidrige Handlung iSd § 1
UWG. | |
|
|
SZ 68/64 (1995): Ist eine Garantie
des Sohnes für seine Mutter sittenwidrig? – Bürgschaft,
Schuldbeitritt und Garantie sind nicht schon sittenwidrig, weil
einer ungleich verhandlungsstärkeren Gläubigerbank ein gutstehender
Angehöriger gegenübersteht, dessen Verpflichtung seine Vermögensverhältnisse
weit übersteigt, sondern erst unter zusätzlich vorliegenden Umständen,
die seine Entscheidungsfreiheit beeinträchtigen und der Bank zuzurechnen
sind. Als solche kommen zB in Betracht: das Abdingen von Schutzvorschriften,
Fehlen einer Haftungsbegrenzung, Überschuldung des Hauptschuldners,
Verharmlosung des Risikos, Überrumpelung, Unerfahrenheit und mangelndes
Eigeninteresse des Angehörigen am Kreditvertrag. – Zur Frage unter
welchen Voraussetzungen sog Angehörigenbürgschaften und überhaupt
riskante Bürgschaften sittenwidrig sind → KAPITEL 15: Riskante
Bürgschaften ¿ Angehörigenbürgschaften. | |
|
|
EvBl 1999/2 (§
879 ABGB) = SZ 71/117 (1998):
Voraussetzungen der Sittenwidrigkeit einer Bürgschaftserklärung
zugunsten von Geschwistern. – Die Grundsätze der Prüfung
der Sittenwidrigkeit rechtsgeschäftlicher Haftungserklärungen, die
im Verhältnis zwischen Eltern und Kindern sowie im Verhältnis zwischen
Lebenspartnern (Ehegatten oder Lebensgefährten) gelten (SZ 68/64),
lassen sich nicht ohne weiteres auf die Beziehungen erwachsener
Geschwister übertragen. Zur Bürgschaft → KAPITEL 15: Die
Bürgschaft: §§ 1346 ff ABGB. | |
|
|
EvBl
1999/178: Sittenwidriges Handeln eines Internet-Providers im
geschäftlichen Verkehr. | |
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3. Langfristige
Lieferverträge – Bierbezugsverträge | |
 | |
Praktisch von Bedeutung
waren bisher sittenwidrige Vereinbarungen in Lieferverträgen , inbesondere Getränke-
und Bierbezugsverträgen: | |
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Die E des OGH EvBl 1983/12 wurde bei den Dauerschuldverhältnissen
erwähnt → KAPITEL 6: Rechtsprechungsbeispiele . | |
|
|
Vgl auch JBl 1992, 517: Bei der Beurteilung
der Sittenwidrigkeit wegen übermäßiger zeitlicher Bindung kommt
es auch auf andere Faktoren, als das bloße Zeitübermaß an; es ist
vielmehr im Einzelfall die sich aus dem gesamten Vertragsinhalt
ergebende Stellung und Rechtslage der Vertragspartner inbesondere
in Rücksicht auf die Beschränkung der wirtschaftlichen Bewegungsfreiheit
zu beurteilen und auch der etwaige Missbrauch der wirtschaftlichen
Verhandlungsübermacht eines Beteiligten zu berücksichtigen. | |
|
|
Eine
Besonderheit bei Bierlieferungs- – aber auch anderen
– Langzeitverträgen stellt die Verpflichtung des
Abnehmers (oder Mieters, Pächters, Wohnungseigentümers etc) dar,
übernommene vertragliche (Bezugs)Verpflichtungen auf allfällige
Rechts- oder Geschäftsnachfolger zu überbinden; sog Vertragsüberbindungspflichten:
Vgl JBl 1985, 742 oder
JBl 1988, 720. Auch hierbei dient § 879 ABGB als Korrektiv. | |
|
Vertriebsverträge
im EU-Binnenmarkt
| |
Im Zusammenhang mit Lieferverträgen, inbesondere Bierbezugsverträgen,
soll auf eine für Österreich beachtliche EU-Regelung hingewiesen
werden: | |
Art
85 EGV verbietet wettbewerbshindernde Vereinbarungen,
Beschlüsse und abgestimmte Verhaltensweisen; Art 86 EGV den Missbrauch
einer marktbeherrschenden Stellung. | |
Davon ausgenommen
sind inbesondere Einzel- und Gruppenfreistellungen: Die wichtigsten
Gruppenfreistellungen sind die (speziell für Bierbezugsverträge
erlassene Ausnahme der) Alleinvertriebs vereinbarungen,
wobei der Lieferant in einem Gebiet nur an einen Händler liefert
und die Alleinbezugs vereinbarung, wo der Händler
nur von einem Lieferanten bestimmte Waren bezieht. Alleinbezugsverpflichtungen
sind nach EG-Recht auf 5 Jahre beschränkt, wenn
eine Gaststätte Bier und andere Getränke bezieht; mit 10
Jahren dann, wenn nur bestimmte Biere abgenommen werden. | |
Die Beschränkungen der Art 85 und 86 EGV kommen aber nurzur
Geltung, wenn: | |
•
eine Wettbewerbsbeschränkung
bezweckt oder tatsächlich bewirkt wird; | |
• die Spürbarkeit der Wettbewerbsbeschränkung
(Anteil am geographischen relevanten Markt mehr als 5 % oder mehr
als ca 4 Milliarden Schilling Umsatz der beteiligten Unternehmen)
gegeben ist; | |
• sowie dann, wenn der Handel zwischen den Mitgliedsstaaten
beeinträchtigt wird. | |
 | |
VII. Verletzung
fremder Forderungsrechte | |
| |
Forderungsrechte werden als relative
Rechte von der Rechtsordnung nicht in gleichem Maße geschützt
wie dingliche und absolute Rechte. Es fehlt ihnen grundsätzlich
die Dritt- oder Außenwirkung. Dennoch wurde schon früh ihre – mitunter
erhöhte – Schutzwürdigkeit erkannt. Auch der Gesetzgeber des ABGB
hat bereits schwere Verstöße gegen Forderungsrechte sanktioniert. | Schutzwürdigkeit
relativer Rechte |
Der Schutz relativer,
also schuldrechtlicher Rechtspositionen wurde im 20. Jhd aber deutlich
ausgeweitet und verstärkt. Man denke nur an H. Klangs langen und
letztlich erfolgreichen Kampf zur Aufwertung der Rechtsstellung
des Mieters gegen störende oder schädigende Einflüsse Dritter, zB bei
Immissionen → KAPITEL 8: Die
Immissionen ¿ Überblick. Darüber hinaus wird heute eine schützende
„Drittwirkung” obligatorischer Rechte auch dann anerkannt, wenn
die Rechtszuständigkeit eines schuldrechtlich Berechtigten angezweifelt
oder negiert wird. | H. Klangs Kampf |
1. Der
Schutz von Forderungsrechten im ABGB und ihre Behandlung | |
§ 367 ABGB bestimmt in seinem letzten Satz, „dass
von den redlichen Besitzern das Eigentum erworben [wird], … dem
vorigen Eigentümer … [aber] gegen jene, die ihm dafür verantwortlich
sind, das Recht der Schadloshaltung zu[steht].” | |
Nach
den Doppelverkaufsbestimmungen der §§ 430, 440
ABGB erlangt der in seinem Forderungsrecht verletzte Erstkäufer
zwar nicht Eigentum, doch hat nach Anordnung des § 430 ABGB „der
[bisherige] Eigentümer [= der verletzende Vertragspartner!] dem
verletzten Teile zu haften” → KAPITEL 8: Der
sog Doppelverkauf. | |
Die
Weiterentwicklung eines qualifizierten Schutzes von Forderungsrechten
ging idF dahin, beim Doppelverkauf den Erstkäufer
nicht nur in Form von Ersatzansprüchen gegen seinen Vertragspartner
zu schützen, sondern auch durch eigene (Schutz)Ansprüche gegen den
das Forderungsrecht schädigenden Dritten. – Dafür wurde von der
Rspr zunächst aber eine arglistige Schädigung des Dritten verlangt;
SZ 16/66 (1934) – Realitätenvermittlung: | Arglistige Schädigung durch Dritte |
„Kann auch, falls ein Forderungsrecht von
einem Dritten beeinträchtigt wird, der Gläubiger grundsätzlich von diesem
keinen Ersatz verlangen, so gilt dies nicht, wenn den Dritten der
Vorwurf der arglistigen Schädigung trifft, der
gegenüber als gegen die guten Sitten [!] verstoßend
die Relativität des verletzten Rechtes nicht in Betracht kommt...” | |
Schon in
SZ 19/205 (1937) begnügt sich der OGH mit einer bloß wissentlichen
Beteiligung an einer Vertragsverletzung: §§ 1295, 1301
ABGB – (Gang)Klosettbenützung. | Wissentliche Beteiligung |
„Wissentliche Beteiligung an einer Vertragsverletzung
kann im Sinne des § 1301 ABGB einen Dritten schadenersatzpflichtig
machen, auch wenn keine Arglist erweislich ist.” – Der Kläger war
Geschäftsmieter im Haus der drei Erstbeklagten, womit eine Gangklosettbenützung
verbunden war. Im Rahmen von Umbauarbeiten wurde der Teil des Gangs,
in dem sich das Klosett befand, mit einer anderen Wohnung verbunden,
deren Mieterin dem Kläger idF die Mitbenützung des Klosetts ebenso
verweigerte wie ihr späterer Nachmieter. (Gegen seine Vermieter
war der Kläger bereits mit einer Besitzstörungsklage erfolgreich
gewesen.) Der Kläger klagte idF die drei Miteigentümer des Hauses
und den Mieter (als Viertbeklagten) auf Mitbenützung der Toilette
und der OGH gab der Klage statt und meinte: Denn „dadurch wird alles
„in den vorigen Stand zurückersetzt” [§ 1323 ABGB].” | |
In JBl 1961, 416 (Mehrfachverkauf einer
Liegenschaft) verlangt der OGH schließlich nur noch eine fahrlässige
Beeinträchtigung der Käuferrechte, wobei die Argumentation
– billigenswert – eher in Richtung grober Fahrlässigkeit tendiert,
zumal dadurch der Unterschied zwischen relativen und absoluten Rechten
nicht über Gebühr eingeebnet wird. | Fahrlässige
Beeinträchtigung |
| |
Neben
der gesetzlich sanktionierten Verletzung fremder
Forderungsrechte im Rahmen des gutgläubigen Erwerbs nach § 367 ABGB
oder durch die Doppelveräußerung beweglicher oder unbeweglicher
Sachen, werden heute Forderungsrechte auch in folgenden Fällen typischerweise
verletzt und daher von der Rspr – auch ohne ausdrückliche
gesetzliche Grundlage – geschützt: | |
|
Mehrfachvermietung von
Räumlichkeiten; SZ 19/205 (1937):
Klosettbenützung → Der
Schutz von Forderungsrechten im ABGB und ihre Behandlung
| |
|
|
Vertragswidriges
Nichtüberbürden eines nicht verbücherten Wohnrechts beim
(Weiter)Verkauf der Liegenschaft; SZ 7/301
(1925)
→ KAPITEL 8: Dingliche
Wirkung nur bei Verbücherung. | |
|
|
Verletzung nichtverbücherter Vorkaufsrechte; SZ 31/14 (1959): OGH begnügt sich,
Bettelheim und Ehrenzweig folgend, nicht mit einem bloßen Schadenersatzanspruch,
sondern gewährt einen Erfüllungsanspruch nach § 1323 ABGB (Naturalersatz).
Vgl aber nunmehr JBl 1995, 526: Beeinträchtigung eines nichtverbücherten
Vorkaufsrechts – Ausnutzen eines fremden Vertragsbruchs.
OGH betont, dass demjenigen, der sich lediglich auf sein nicht verbüchertes
Vorkaufsrecht berufen kann, nur unter der Voraussetzung der Beeinträchtigung
fremder Forderungsrechte ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadenersatzanspruch
gegen den Dritten zugebilligt wird. OGH lässt es aber offen „ob
und in welchem Umfang die bloße Kenntnis vom Vertragsbruch schadenersatzrechtliche
Folgen haben könnte”. | |
|
|
Verletzung der
(bloß schuldrechtlichen) Position des Beschenkten bei einer Schenkung
auf den Todesfall
→ KAPITEL 3: Schenkung
auf den Todesfall:
E des OGH 2.7.1984, NZ 1985, 69 = HS 14.742. | |
|
|
Hierher gehört
auch die Verletzung eines bestehenden Zessionsverbots,
das die hA mit absoluter Wirkung ausstattet → KAPITEL 14: Globalzession
und Abtretungsverbot.
– Vgl nunmehr auch SZ 73/132 (2000):
Zweimaliger Globalzessionsvertrag an verschiedene
Banken: „Wenn trotz des Fehlens eines ausreichenden Buchvermerks
ein zweiter Zessionar vom Globalzessionsvertrag des ersten Kenntnis
hat (hier Information durch den Zedenten), wird er wegen des Eingreifens
in fremde Forderungsrechte schadenersatzpflichtig.” (Sinnvoll erschiene
es bei Vereinbarung einer Globalzession stillschweigend oder konkludent
ein Abtretungsverbot anzunehmen.) | |
|
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OGH 26. 2. 2001, 3 Ob 70/00s, JBl 2001, 583:
Ehegatte gründet nach Scheidung GmbH, der im Wege der Zwangsversteigerung
die Liegenschaft auf der sich das Haus befand, in dem die ehemalige
Ehegattin wohnte (§ 97 ABGB), übertragen wird. – OGH: Die Rspr,
wonach ein Schadenersatzanspruch gegen einen Dritten schon bei fahrlässiger
Verletzung eines besitzverstärkten Forderungsrechts besteht, betrifft
nur den rechtsgeschäftlichen Erwerb. Bei Erwerb im Wege der Zwangsversteigerung
schadet die Kenntnis eines obligatorischen Rechts, das in den Versteigerungsbedingungen
nicht aufscheint aber nicht. Ein Schadenersatzanspruch gegen den
Ersteher kann aber bei arglistigem Zusammenwirken (Kollusion) mit
dem Schuldner geltend gemacht werden. (Die E ist insofern von Bedeutung,
als mit ihr der Schutz fremder Forderungsrechte über den
rechtsgeschäftlichen Bereich hinaus auch für die Zwangsversteigerung grundsätzlich
anerkannt wird.) | |
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OGH 30. 8. 2000, 6 Ob 174/00g, SZ 73/132:
Eine GmbH hat Kreditschulden von nahezu 5 Mio S bei der A-Bank.
Zur Besicherung wird eine Global- und Mantelzessionsvereinbarung geschlossen,
die jedoch aufgrund unzureichender Kenntlichmachung in der offenen
Postenliste (OP-Liste) der Kreditschuldnerin mangels Publizität
nicht zu einer Abtretung der Forderungen führt. Als die GmbH bei
der A-Bank keine weiteren Kredite mehr erhält, wendet sie sich an
die B-Bank, der sie die bereits erfolgte Globalzession zugunsten
der A-Bank mitteilen. Zur Besicherung des neuen Kredits wird auch
mit der B-Bank ein Global- und Mantelzessionsvertrag geschlossen
und im Laufe der Zeit werden ihr auch Forderungen im Wert von über
4 Mio S abgetreten. Nach dem Konkurs der GmbH klagt die A-Bank die
B-Bank auf Zahlung dieses Betrages. – OGH: Die Globalzession künftiger
Forderungen bedarf der Anbringung eines Generalvermerks in der offenen
Postenliste. Dieser muss den Zessionar und das Datum des Zessionsvertrags
anführen. Im konkreten Fall wurde nur der Buchstabe „Z” auf jede
Seite der OP-Liste gesetzt). Wenn trotz des Fehlens eines ausreichenden
Buchvermerks ein zweiter Zessionar vom Globalzessionsvertrag des
ersten Kenntnis hat (hier: Information durch den Zedenten selber),
wird er wegen des Eingreifens in fremde Forderungsrechte schadenersatzpflichtig.
– Überlege: Kann bei Vereinbarung einer Globalzession stillschweigend
ein Abtretungsverbot angenommen werden und wie könnte es begründet
werden? (§ 914 ABGB iVm mit ergänzender/hypothetischer Vertragsauslegung)
Didaktisch vorbildliche Gliederung der E. | |
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3. Zur Sittenwidrigkeit
der Verletzung fremder Forderungsrechte | |
Der über die §§ 367, 430 und 440 ABGB hinausreichende modernere
Schutz fremder Forderungsrechte geht von der Sittenwidrigkeit solcher
Schädigungen aus; vgl Gschnitzer, AllgT 717 ff (19922).
– Es dürfte nicht schwer fallen, auf Grund der bislang aufbereiteten
Schutzpositionen, weitere Fälle und Fallgruppen einzubeziehen. | |
Mit
diesem Ergebnis wird aber der ursprüngliche Weg, den inbesondere
die §§ 430 und 440 ABGB gewiesen haben, verlassen. – Über den Umweg
eines schadenersatzrechtlichen Naturalersatzanspruchs (§
1323 ABGB) wird ein Erfüllungsanspruch in Bezug
auf den verletzten Vertrag insbesondere dann gewährt, wenn der Verletzer
das verletzte Forderungsrecht aufgrund eines bereits eingeräumten
Besitzverhältnisses hätte kennen können. Daraus entwickelte sich
die heutige Rspr-Linie; vgl schließlich Schilcher / Holzer, JBl
1974, 445 und 512. | |
Überwiegend abgelehnt wird die Meinung Koziols,
der für eine weitgehende Angleichung des Rechtsschutzes absoluter
und relativer Rechtspositionen eingetreten war. Diese Meinung ist
auch noch nicht ausgereift und nicht frei von inneren Wertungswidersprüchen;
vgl nur Koziols und anderer Meinung zum Abtretungsverbot. | |
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 | Abbildung .21: Relative und absolute Rechte |
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D. Rechtsquellen
des Privatrechts |
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