Kapitel 10 | |
| |
| |
|
Aus dem „Besonderen Teil”
des Schadenersatzrechts werden in der Folge wichtige gesetzliche Haftungstatbestände
herausgegriffen und lose, dem Gesetz folgend, dargestellt. – Da
die Rechtstatsachenforschung ( → KAPITEL 18: Rechtswissenschaft
als Sozialwissenschaft?)
in Österreich darniederliegt, fehlen leider auch Zahlen zum praktisch
so wichtigen Schadenersatzrecht. Es soll daher daran erinnert werden,
dass es dringlich wäre – am besten innerhalb des BMfJ – eine Abteilung
für Rechtstatsachenforschung (ein Eugen Ehrlich-Institut) zu errichten,
die sich unter anderem generell um zivilrechtliche Daten zu kümmern
hätte. Das deutsche Vorbild sollte anregend wirken. – Im Vergleich
zur Vorauflage wurden einige Umstellungen vorgenommen: Pkt B. behandelt
nunmehr in erweiterter Form Fragen des Behandlungsvertrags und der
Medizinhaftung und bildet den Kernbereich eines künftigen Medizinrechtskapitels. | Überblick |
A. Schadenersatz
– Besonderer Teil |
 | Abbildung 10.1: Schadenersatz – BesT: Überblick |
|
| |
Im Rechts- und Wirtschaftsleben
handeln Personen, insbesondere Unternehmer vielfach nicht selber,
sondern bedienen sich ihrer Gehilfen; zB Angestellte, Arbeiter,
aber auch anderer Unternehmer. Unternehmen ab einer gewissen Größe
können gar nicht mehr vom Unternehmer allein betrieben werden. Sie
stellen daher Personen ein, die für sie handeln. – Der Gehilfenhaftung
als Haftung des Geschäftsherrn / Unternehmers für fremdes Verschulden
kommt große praktische Bedeutung zu. Sie ist wichtig für das Verständnis
bürgerlichrechtlicher Zusammenhänge, zumal dadurch der Grundsatz
durchbrochen wir, dass nur für eigenes, nicht aber für fremdes Verschulden gehaftet
wird; § 1313 ABGB. | |
Vereinzelt gilt aber für Berufe eine persönliche
Ausübungspflicht; vgl § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998. Das läuft
darauf hinaus, dass für bestimmte Tätigkeiten keine Erfüllungsgehilfen
bestellt werden können. – Zur Substitution beim Auftrag → KAPITEL 12: Pflichten
des Beauftragten: § 1009 ABGB. | |
Wir wenden uns in der Folge den beiden – gesetzlich unterschiedlich
ausgestalteten – Gruppen dieser Haftung für fremdes Verschulden
zu: | |
•
der (vertraglichen) Erfüllungsgehilfenhaftung des
§ 1313a und der | |
• deliktischen Besorgungsgehilfenhaftung des
§ 1315 ABGB. | |
| |
1. §
1313a ABGB: Erfüllungsgehilfenhaftung | |
Sie spielt
insbesondere – wenn auch nicht ausschliesslich – bei vertraglicher
und vertragsähnlicher (zB cic!) Beziehung zwischen Geschäftsherrn
/ Unternehmer und Geschädigtem (im folgenden Beispiel: dem Käufer
eines Fernsehapparats), eine Rolle. | |
Gesetzestext
des § 1313a ABGB: „Wer einem andern [insbesondere vertraglich] zu
einer Leistung verpflichtet ist, haftet ihm für das Verschulden
... der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, wie für sein
eigenes.” – Die entsprechende Bestimmung des dtBGB ist § 278: „Der
Schuldner hat ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und
der Personen, deren er sich zur Erfüllung bedient, in gleichem Umfange
zu vertreten wie eigenes Verschulden. …“ | |
Der Grundgedankedieser gesetzlichen Regelung
ist folgender: Ein Vertragspartner soll nicht dadurch haftungsmäßig
schlechter gestellt werden, wenn der andere Vertragsteil sich zum
eigenen Vorteil eines Gehilfen bedient. Der Geschäftsherr zieht
für sich Nutzen aus dem Gehilfenverhalten, daher soll er auch allfällige
Nachteile, die aus fehlerhaftem Gehilfenverhalten entstehen, tragen; vgl
das Rechtssprichwort: Guter Tropfen, böser Tropfen. – Anders gewendet:
Nach dem Normzweck des § 1313a ABGB soll der, der den Vorteil der
„Arbeitsteilung” genießt, auch das Risiko dafür tragen, dass statt
ihm sein Gehilfe schuldhaft geschützte Interessen anderer – insbesondere des
Vertragspartners / des Gläubigers – verletzt; SZ 67/101 (1994). | |
|
SZ 63/50 (1990): Mitwirkung eines
Gehilfen (hier eines Immobilienmaklers) bei einem Umgehungsgeschäft
nach dem MRG. | |
|
|
Vgl auch die idF
wiedergegebene E des OGH: ZVR 1998/25:
Nur händisches Anziehen der Radschraubenmuttern eines
Kfz. | |
|
Es kommt dabei nach der Rspr darauf an, ob der Gehilfe die Schädigung
im Rahmen der Interessenverfolgung des Unternehmers zugefügt
hat. Der zur Erfüllung verpflichtete Schuldner haftet nämlich nicht
für den von seinen Gehilfen nur gelegentlich der Erfüllung verschuldeten Schaden;
vgl SZ 9/168 (1927): Transport eines Wanderzirkus oder SZ 48/107
(1975): Entfernung eines fremden Kfz. – Das gilt insbesondere auch
für Delikte, die ein Erfüllungsgehilfe begeht, zumal
ein Geschäftsherr nicht für alle Delikte seines Gehilfen zur Verantwortung
gezogen werden kann. | Schädigung im
Rahmen der Interessenverfolgung des Unternehmers |
|
ZVR 1988/71: Delikt eines Erfüllungsgehilfen
– Angestellter stiehlt Wertgegenstände, die von
seinem Arbeitgeber in Verwahrung genommen waren. Hier war die Haftung
des Arbeitgebers zu bejahen. | |
|
|
OGH 30. 1. 2001, 1 Ob 64/00v, EvBl 2001/118:
Eine Bankangestellte klärt eine Kundin
über die Entwicklung ihres Wertpapierdepots bewusst
falsch auf (in Wirklichkeit großer Wertverlust) und setzt
diese Tätigkeit nach Wechsel zu einer anderen Bank unter „Mitnahme”
der Kundin (die immer noch nichts wusste) fort. – OGH rechnet das
Wissen der Angestellten (Vertreterin) der Bank nicht zu, lehnt aber
den Verjährungseinwand der Bank uH auf § 1489 ABGB ab. (Der Leitsatz
ist katastrophal, § 1313a ABGB wird neben anderen Fragen garnicht
angesprochen!?) | |
|
Allgemein lässt sich sagen, dass ein Geschäftsherr dann
für ein Delikt seines Erfüllungsgehilfen haftet,
wenn dieses innerhalb des vom Geschäftsherrn vertraglich übernommenen
Pflichtenkreises übernommen wird. Das zeigt der folgende Fall. | |
|
SZ 57/196 (1985): Alkoholschmuggel
eines LKW-Lenkers in ein isalmisches Land. Der Verstoß
gegen die ausdrückliche Weisung des Geschäfttsherrn schließt die
Haftung desselben nicht aus. | |
|
• Nach der Rspr gilt
§ 1313a ABGB nicht für die Erfüllung gesetzlicher Leistungs-
oder Sorgfaltspflichten, die nur der Allgemeinheit
gegenüber bestehen und nicht gegenüber bestimmten Personen; vgl
EvBl 1974/109: Herabfallende Deckenleuchte in Geschäftslokal. | |
• Die Erfüllungsgehilfenhaftung gelangt danach
aber auch auf schon entstandene gesetzliche (zB schadenersatzrechtliche)
Beziehungen zwischen Schädiger und Geschädigtem zur Anwendung. – Anzuwenden
ist unsere Bestimmung also auf jede Form einer konkreten
rechtlichen Leistungspflicht, auch eine (nur) gesetzliche
wie im Falle einer deliktischen (Schadenersatz)Beziehung; arg: „Wer
einem andern zu einer Leistung verpflichtet ist, ...”; § 1313a ABGB. | |
• Der Geschäftsherr/Schuldner haftet auch für
das Verschulden des mit seinem Einverständnis von seinem Erfüllungsgehilfen
verwendeten weiteren Erfüllungsgehilfen; SZ 28/61
(1955): Erfüllungsgehilfe des Erfüllungsgehilfen oder SZ 50/100
(1977): Fotomodell wird bei Werbeaufnahmen schwer verletzt. | |
•
§ 1313a ABGB ist nach der Rspr aber nicht nur
dann anzuwenden, wenn ein Erfüllungsgehilfe zur Erfüllung einer Hauptleistungspflicht herangezogen
wurde, sondern auch wenn es um die Erfüllung von Nebenleistungspflichten geht. | |
|
MietSlg 39.184 (1997),
SZ 63/50 (1991) oder ZVR 1998/25:
In dieser letzten E klärte der Mitarbeiter einer Tankstelle einen
Kunden nicht darüber auf, dass bei einem bloß händischen Anziehen
der Radschraubenmuttern eines Kfz nur eine vorläufige Sicherheit
herzustellen ist und daher nach kurzer Fahrstrecke eine Überprüfung
der Befestigungsstärke vorzunehmen ist. Der OGH erblickte darin
die Verletzung einer nebenvertraglichen Verpflichtung und ließ den
Tankstellenbetreiber für den Schaden haften, der aus dem sich durch
das Lösen der Räder ergebenden Verkehrsunfall ergeben hatte. Jedoch
Mitverschulden des Lenkers (§ 1304 ABGB). | |
|
•
Schutz- und
Sorgfaltspflichten nach § 1313a ABGB bestehen nach der
Rspr nicht nur zwischen den unmittelbaren Vertragspartnern, sondern
auch gegenüber bestimmten dritten Personen, die zwar
aus dem Vertrag nicht unmittelbar berechtigt sind, aber der vertraglichen
Leistung nahe stehen. Diesem Personenkreis wird die Geltendmachung
eines eigenen Schadenersatzanspruchs aus fremdem Vertrag zugebilligt;
sog Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte → KAPITEL 9: Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. | |
|
SZ 43/236 (1970): Zur Frage der
Haftung eines Wirtschaftstreuhänders gegenüber
einem Dritten (zB Bank) für die Richtigkeit einer von ihm erstellten
vorläufigen Bilanz, aufgrund derer der Dritte dem Besteller der
Bilanz Kredit gewährte. | |
|
|
EvBl
1993/97: Auch den Subunternehmer treffen
gegenüber dem Besteller Schutz- und Sorgfaltspflichten und nicht
nur den Hauptunternehmer. | |
|
|
SZ 59/189 (1986): Mieter schließt
mit Professionisten einen Vertrag über Installationsarbeiten,
durch den auch die übrigen Mieter des Hauses gegen Wasserschaden
geschützt werden. | |
|
|
EvBl 1985/63: Gastaufnahmevertrag –
Gast erleidet im Zimmer eines andern Gastes Schaden. | |
|
•
Der Erfüllungsgehilfe
selbst haftet (im Rahmen seiner Tätigkeit als Erfüllungsgehilfe
nach
§ 1313a ABGB) dem Geschädigten gegenüber nur deliktisch,
wobei der Geschädigte nach § 1296 ABGB das (Gehilfen)Verschulden
zu beweisen hat. | |
Diese Konstellation spielt bspw im Rahmen
von Behandlungsverträgen mit Krankenanstalten eine praktisch bedeutsame
Rolle; die Krankenanstalt bedient sich ihres Personals als Erfüllungsgehilfen → §
1313a ABGB: Erfüllungsgehilfenhaftung
| |
•
Lieferanten / Zulieferer / Erzeuger (als
Dritte der vertraglichen Beziehung) gelten nach hA nicht als Erfüllungsgehilfen
des Verkäufers / Händlers in dessen (Vertrags)Verhältnis zB zum Käufer;
SZ 54/116 (1981): Lkw-Kauf mit Anhängerkupplung. Der OGH lehnt in
diesem Urteil (S. 567) ausdrücklich Reischauers (Der Entlastungsbeweis
des Schuldners 249) gegenteilige Meinung ab. Hierin liegt eine klare
Weichenstellung zugunsten der deliktisch konzipierten Produkthaftung → KAPITEL 7: Produkthaftung
¿ PHG 1988.
– Rspr und Schrifttum lassen aber immer wieder eine überzeugende
§ 1313a-Linie vermissen; zB in der folgenden E JBl 1996, 183 mwH. | |
|
JBl 1996, 183: Schädlingsbekämpfung
in Kükenbrüterei: Hier besteht zwischen Kükenlieferant
(Verkäufer) und Drittem eine werkvertragliche Beziehung (und kein
Kauf), was keinen Unterschied machen sollte. Der Werkvertrag des
Kükenlieferanten mit einem Drittunternehmer beinhaltet die Sterilisierung
der Bebrütungsanlage, die von Schaben befallen war. Die Behandlung
dieses Drittunternehmers als Erfüllungsgehilfe (durch den OGH) erscheint
zu weit hergeholt und macht den Anwendungsbereich des
§ 1313a ABGB unklar und unsicher. Inhaltlich besteht nämlich in
einer solchen Konstellation kein beachtlicher Unterschied zu einem
anderen Lieferanten; ja ein Lieferant steht der Leistungserbringung
idR näher, als der hier auftretende Werkunternehmer, dessen Aufgabe
nur darin bestand, die Betriebsanlage des Kükenverkäufers in Stand
zu setzen, damit dieser seine „Produkte” mangelfrei herstellen konnte.
– Durch ein solches Verständnis franst der Anwendungsbereich des
§ 1313a ABGB zu sehr aus und verliert immer mehr eine klare Kontur.
Für die Lösung derartiger Fälle käme allenfalls ein Vertrag mit
Schutzwirkung für Dritte in Betracht; vgl SZ 53/168 (Flughafen Graz-Thalerhof)
und JBl 1982, 95 (Inanspruchnahme eines Pannenhilfsdienstes) → KAPITEL 9: Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
– Vorzuziehen wäre hier die Anwendung der Werkvertragsregeln (verfehlter
Erfolg!) gewesen. | |
|
•
§ 1313a ABGB
lässt den Geschäftsherrn auch für seinen „gesetzlichen Vertreter”
einstehen. Der gesetzliche Vertreter wird also einem Erfüllungsgehilfen
gleichgestellt. Gesetzlicher Vertreter ist sowohl der unmittelbar
gesetzlich bestellte Vertreter (zB Eltern), wie der mittelbar durch
den Richter aufgrund des Gesetzes bestellte Vertreter; zB Sachwalter,
Kurator, Vormund, Masseverwalter im Konkurs. | |
Das bedeutet, dass zB ein Kind für seine
Eltern / einen Elternteil haftet, wenn diese/r im Rahmen eines Schuldverhältnisses
für das Kind Erfüllungshandlungen setzt/en. Ebenso haftet ein Mündel
für seinen Vormund oder eine unter Sachwalterschaft stehende Person
für ihren Sachwalter. In diesen Fällen muss der Gedanke der Interessensverfolgung
aber besonders streng geprüft werden. – Eine deliktische Haftung
des Vertretenen (Geschäftsherrn) ist hier aber sinnvollerweise auszuschließen,
weil dem Vertretenen kein Auswahlverschulden zur Last gelegt werden
kann und das Deliktsrecht keine Stellvertretung kennt. | |
Der Geschäftsherr
haftet für das Gehilfenverschulden ”wie für sein
eigenes”. – Eine weitere Konsequenz der Anwendung des § 1313a ABGB
liegt darin, dass die Anwendung dieser Norm idR die Umkehr
der Beweislast (§ 1298 ABGB) nach sich zieht. | |
 | |
|
EvBl
1986/156: Beschädigt der Monteur
eines Kücheneinrichtungsunternehmens beim Kunden durch das
Abstellen seiner Arbeitstasche eine Wasserleitung, so haftet der
Geschäftsherr (des Gehilfen) für den dem Werkbesteller daraus entstehenden
Schaden gemäß § 1313a ABGB. Weitere Beispiele → Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
„Fälle” – Reitunfall (JBl 1983, 255) und – Delikt eines Erfüllungsgehilfen:
SZ 32/153 (1959). | |
|
 | |
 | Abbildung 10.2: Vertrags- und Deliktshaftung für Gehilfen |
|
2. §
1315 ABGB: Besorgungsgehilfenhaftung | |
Es handelt
sich hier stets um eine Deliktshaftung, also eineHaftung
ohne vertragliche oder vertragsähnliche Beziehung / Leistungsverpflichtung
zwischen dem Geschäftsherrn des Gehilfen und dem Geschädigtem. Dies
ist der Grund, warum der Geschäftsherr hier nicht im gleichen Ausmaß
zur Haftung herangezogen wird, wie nach § 1313a ABGB. Vielmehr ist
hier der Besorgungsgehilfe selbst primärer Haftungsadressat, denn
er hat allgemeine deliktische Schutz- und Sorgfaltspflichten vernachlässigt;
zB die StVO oder das StGB. | |
Die Haftung des Geschäftsherrn greift hier nur subsidiär
in den vom Gesetz genannten Fällen, nämlich bei: | Geschäftsherrnhaftung „subsidiär“ |
•
Untüchtigkeit oder | |
•
wissentlicher Gefährlichkeit des
Gehilfen. | |
|
§ 1315 ABGB | |
„Überhaupt haftet derjenige, welcher sich einer untüchtigen oder wissentlich
einer gefährlichen Person zur Besorgung seiner Angelegenheiten
bedient, für den Schaden, den sie in dieser Eigenschaft [also zB nicht
als Privatperson!] einem Dritten zufügt.” | |
|
Die
Untüchtigkeit oder Gefährlichkeit eines Besorgungsgehilfen hat der
Geschädigte nach § 1296 ABGB zu beweisen, zumal es sich um eine
deliktische Beziehung handelt, bei der die Beweislastumkehr des
§ 1298 nicht greift; EvBl 1965/256 oder SZ 48/110 (1975). | |
| |
Der Geschäftsherr haftet für
seinen Besorgungsgehilfen grundsätzlich nicht, sondern – stark eingeschränkt
im Vergleich zu § 1313a ABGB – deliktisch nur dann für einen durch
diesen verschuldeten Schaden, wenn der Gehilfe „untüchtig”
oder „wissentlich gefährlich” ist. In dieser eingeschränkteren
(Delikts)Haftung des Geschäftsherrn steckt der Vorwurf eines Auswahlverschuldens;
culpa in eligendo. | |
 | |
|
SZ 23/273 (1950): Einmalige
Unachtsamkeit ist noch keine Untüchtigkeit. Eine Person,
die zur gehörigen Besorgung der ihr übertragenen Angelegenheit nur
unter Leitung und Überwachung fähig ist, ist ohne diese Überwachung
als untüchtig anzusehen. – Am 1. Februar 1947 beauftragte die Hausverwaltung des
Hauses Wien, XIX, D-Straße 61, den Beklagten, den Wassermesser,
bzw die zu diesem führenden Wasserzuleitungsrohre, in welchen das
Wasser eingefroren war, aufzutauen. Der Beklagte beauftragte mit der
Durchführung dieser Arbeit den Lehrling Josef W. Die Klägerin, die
im genannten Hause Geschäftslokalitäten gemietet hat, behauptet,
dass Josef W. mit der Lötlampe so unvorsichtig
verfahren sei, dass dadurch im Lokal der Klägerin entlang der Wand
aufgestellte Bücher in Brand gesetzt wurden. Sie behauptet, dadurch
einen Schaden in der Höhe von 14.265 S erlitten zu haben, den sie
im Klagewege begehrt. – OGH bejahte die Haftung des Beklagten wegen
dessen Versäumnis, seinen Lehrling entsprechend anzuleiten und zu
überwachen. | |
|
|
SZ 41/47 (1968): Habituelle
Untüchtigkeit eines Sprengmeisters. Kläger = Sozialversicherungsträger; Erstbeklagter =
Ludwig L./ Angestellter des Zweitbeklagten; Zweitbeklagter=
Sprengunternehmen. Am 21. August 1962 kam es auf dem H. Berg bei
I. in T. zu einem Unfall, bei dem der Bäckermeister Josef E getötet
und mehrere Personen verletzt wurden. E fuhr mit seinem Pkw auf
den H. Berg, auf dem durch die zweitbeklagte Partei Sprengungen
vorgenommen wurden. Zu diesen Sprengungen war der Erstbeklagte Ludwig
L von der zweitbeklagten Partei angestellt worden, um den von ihr
sonst beschäftigten Sprengmeister zu vertreten, der wegen Krankheit
ausgefallen war. Bei der Sprengung wurde ein 6 ½ kg schwerer Stein
auf die von E befahrene Straße geschleudert. Er durchschlug das
Dach des Pkw. Dadurch wurde E getötet und der Kraftwagen stürzte
30 m tief ab. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.
Mit der vorliegenden Klage begehrte der Sozialversicherungsträger
den Ersatz seiner Leistungen an die Hinterbliebenen des Josef E
im bisherigen Umfang von 19.570 S und die Feststellung, dass die
beiden Beklagten auch zum Ersatz seiner zukünftigen Leistungen verpflichtet
seien. Die klagende Partei behauptete, dass der Erstbeklagte den
Unfall grob fahrlässig verschuldet habe, weil er den Streubereich
nicht ausreichend festgestellt und sich vor der Sprengung nicht
überzeugt habe, dass dieser Bereich frei sei. Er habe auch dem Feuerposten
keine genauen Anweisungen gegeben, wo er sich aufzustellen habe,
und er habe schließlich auch die Sprenggrube nicht vorschriftsmäßig
abgedeckt. Infolge seines Alters und seiner Gebrechlichkeit sei
er für diese Tätigkeit überhaupt nicht geeignet gewesen und hätte diese
ablehnen müssen. Beim Betrieb der zweitbeklagten Partei handle es
sich im Zusammenhang mit den Sprengungen um einen gefährlichen Betrieb.
Der Erstbeklagte sei als eine untüchtige Person anzusehen, für die
die zweitbeklagte Partei hafte. Sie hätte den Erstbeklagten wegen
seiner Gebrechen überhaupt nicht anstellen dürfen, da nach § 2 (1)
Sprengarbeiten V, BGBl Nr 77/1955, für Sprengarbeiten nur hiezu geeignete
Personen herangezogen werden dürfen. Der Erstbeklagte habe keinen
Sprengschein besessen und sei der Behörde auch nicht gemeldet worden.
...” | |
|
|
| |
|
 | Abbildung 10.3: Gehilfenhaftung (1) |
|
 | Abbildung 10.4: Gehilfenhaftung (2) |
|
 | Abbildung 10.5: Erfüllungsgehilfenhaftung |
|
 | Abbildung 10.6: Besorgungsgehilfenhaftung |
|
3. Gesetzlich geregelte
„Gehilfenhaftungen” | |
| |
II. Die
Sachverständigenhaftung | |
 | |
1. Wer
ist Sachverständiger? | |
Für wen gilt diese Haftung?
– Die Sachverständigenhaftung des § 1299 ABGB gilt zB für: Ärzte, Krankenschwestern,
Rechtsanwälte, Notare, Kreditinstitute (zB Anlageberaterhaftung),
Steuerberater, Kaufleute, Gewerbetreibende, Baumeister, aber auch
Tischler, überhaupt Handwerker, Spediteure, Masseure, Bergführer
und WissenschaftlerInnen; kurz – nach dem Wortlaut des Gesetzes –
für alle Personen, die „sich zu einem Amte, zu einer Kunst, zu einem
Gewerbe oder Handwerke öffentlich” bekennen und deren „Ausführung
eigene Kunstkenntnisse oder einen nicht gewöhnlichen Fleiß” erfordern. | |
Von der zivilrechtlichen ist
eine allenfalls dazu tretende strafrechtliche Haftung zu
unterscheiden; vgl etwa: Widmaier, Haftung von Bankorganen. Die
strafrechtliche Verantwortlichkeit der im Bankbereich tätigen Organe (2001).
– Zur grundsätzlichen Trennung von Zivil- und Strafrecht → KAPITEL 9: Abgrenzung
vom Strafrecht. | |
§
1299 ABGB setzt grundsätzlich Entgeltlichkeit oder
doch Eigennützigkeit der Sachverständigentätigkeit
voraus, obwohl der Gesetzestext keine Bezugnahme auf eine Belohnung
oder Entgeltlichkeit enthält. Diesen Mangel holt § 1300 Satz 1 ABGB
nach – arg: „gegen Belohnung”, mag auch dessen Formulierung nicht
optimal sein; arg: „ist auch dann [?] verantwortlich, wenn er ...”. –
Die Gegenüberstellung in § 1300 Satz 1 und Satz 2 ABGB („Außer diesem
Falle ...”) macht jedoch deutlich, was gemeint ist. In diesem Sinne
ist die Abgrenzung zwischen § 1299 ABGB (grundsätzliche Entgeltlichkeit)
und § 1300 Satz 2 ABGB (Unentgeltlichkeit oder iSd OGH „Selbstlosigkeit”)
zu treffen. | |
| |
|
SZ 15/121 (1933): Haftung eines
Rechtsanwaltes für aussichtslose Prozessführung nach
§ 1299 ABGB – Einlieferung der Klägerin durch ihre Verwandten in
die Heilanstalt Steinhof. | |
|
|
SZ 50/98 (1977): Ein gerichtlich
bestellter Sachverständiger, der in einem Zivilprozess
schuldhaft ein unrichtiges Gutachten abgibt, haftet den Prozessparteien
für die Folgen dieses Versehens nach § 1299 ABGB. | |
|
|
JBl 1985, 677: Ein Notar,
der auftragswidrig die hypothekarische Belastung der Kaufliegenschaft unrichtig
feststellt, hat keinen Honoraranspruch und haftet überdies für den
dem Käufer daraus entstandenen Schaden nach § 1299 ABGB. | |
|
|
JBl 1986, 313: Den Betreiber
eines Campingplatzes trifft auch bei Erfüllung vertraglicher
Nebenpflichten, wie seiner Schutz- und Sorgfaltspflichten gegenüber
den Campingplatzmietern, die erhöhte Diligenzpflicht nach § 1299
ABGB. – Sachverhalt: Die beklagte Gemeinde betreibt in P, den in
ihrem Eigentum stehenden Campingplatz. Auf dem Areal des Campingplatzes
befinden sich Pappeln. Der Kläger hat auf diesem Campingplatz auf
Grund einer Vereinbarung mit der Beklagten als Dauermieter seinen
Wohnwagen abgestellt. Am 4.7.1982 wurden der Wohnwagen und das Vorzelt
des Klägers durch einen im Verlauf eines Regensturms von einem Pappelbaum
herabstürzenden Ast beschädigt. Der Kläger begehrt Schadenersatz.
Er brachte im wesentlichen vor, es sei für die Beklagte vorhersehbar
gewesen, dass der Baum, von dem später die Äste abgebrochen seien,
einem starken Wind bzw Sturm, wie er am N.-See öfter vorkomme, nicht
standhalten werde. Die Beklagte habe es insbesondere unterlassen,
spätestens nach einem zwei Jahre zurückliegenden Vorfall, bei dem
gleichfalls durch herabstürzende Äste Schäden verursacht worden
seien, einen Fachmann mit der Durchforstung der Pappeln zu beauftragen.
– Dem Klagebegehren wurde stattgegeben. | |
|
|
WBl
1989, 280: Haftung des Wirtschaftstreuhänders
für falsche gesellschaftsrechtliche Beratung. § 1299 ABGB; §§ 39,
50 GmbHG: Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder sind
Sachverständige iSd § 1299 ABGB. Nach dieser Bestimmung gilt für
die von einem Sachverständigen geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse
ein objektiver Maßstab. Einem Sachverständigen ist daher auch dann
ein Schuldvorwurf zu machen, wenn es ihm an den erforderlichen Fähigkeiten
und Kenntnissen mangelte. | |
|
|
Vgl auch den unter → Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
„Fälle” abgedruckten „ Tierarztfall” sowie JBl 1982,
95: Vertrag mit Schutzwirkungen zugunsten Dritter – Automobilklub
→ KAPITEL 9: Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. | |
|
|
SZ 69/ II 189 (1996): Von einem
Fachgeschäft falsch eingestellte Schibindung; | |
|
 | |
|
SZ 51/55 (1978): Ein Bewirtungsvertrag endet
nicht schon mit der Konsumation und Bezahlung des Gastes, sondern
erst mit der Beendigung des Naheverhältnisses. Gastwirte werden
von der Rspr auch als Sachverständige zur Behandlung von Betrunkenen
betrachtet (§ 1299 ABGB) und haften dabei auch für ihr Personal
nach § 1313a ABGB. | |
|
|
OGH 28. 3. 2002, 8 Ob 246/01m, JBl 2002, 583: Bank gewährt
einer GmbH einen Kredit. Die Sicherungsübereignung eines
Firmen-Lkw kommt mangels wirklicher Übergabe (lediglich
die Kfz-Papiere wurden bei der Bank deponiert) nicht gültig zustande.
Über die GmbH wird idF der Konkurs eröffnet. Eine GmbH&Co KG
will den Lkw kaufen und wendet sich an die Bank als vermeintliche
Eigentümerin. Diese bestätigt die Sicherungsübereignung und erklärt
sich mit dem Verkauf einverstanden – Gegen Bezahlung von 100.000
DM werden dem Geschäftsführer die Fahrzeugpapiere und der Lkw ausgehändigt.
Der Masseverwalter wusste von all dem nichts und klagt idF die GmbH
& Co KG auf Herausgabe des Fahrzeugs. Diese verliert den Prozess
und klagt die Bank auf Schadenersatz. – OGH: Eine Rat oder Auskunft
nicht selbstlos erteilende Bank haftet (§§ 1299, 1300 ABGB) auch
bei Fahrlässigkeit. Bei dieser Haftung ist es gerade nicht Voraussetzung,
dass eine Vertragsbeziehung besteht; unabhängig davon wird auch
für reine Vermögensschäden gehaftet. | |
|
|
OGH 11. 2. 2002, 7 Ob 316/01y, JBl 2002, 585:
Ein Nachbar wird wegen eines Wasserschadens auf Schadenersatz geklagt;
sein Rechtsanwalt nimmt auf das Mitverschulden
zweier weiterer Personen nicht Bezug. – OGH: Ein Rechtsanwalt, der
seinen auf Schadenersatz in Anspruch genommenen Klienten nicht darüber
belehrt, dass ein Mitverschuldenseinwand ratsam und zweckmäßig sei,
wird schadenersatzpflichtig; § 1299 ABGB. Die vertraglichen Schutz-
und Sorgfaltspflichten des Anwalts gegenüber seinem Mandanten erstrecken
sich auch auf dessen Haftpflichtversicherer. Die Einbeziehung des
Versicherers in den vertraglichen Schutzbereich folgt auch aus der
Schadensminderungspflicht nach § 62 Abs 1 VersVG. | |
|
|
OGH 19. 12. 2001, 3 Ob 211/01b, JBl 2002, 378:
Der Verkäufer einer Liegenschaft behält sich eine Dienstbarkeit
vor. Der Rechtsanwalt des Käufers unterlässt
als Vertragsverfasser die unverzügliche Eintragung
einer Servitut im ersten Rang. Der Käufer nimmt idF einen
Kredit auf und diese Belastung wird im ersten Rang eingetragen.
– OGH: Ein Notar oder Rechtsanwalt, der bei der Errichtung und Abwicklung eines
Kaufvertrags für beide Vertragspartner tätig war, hat die Interessen
beider Teile wahrzunehmen, selbst wenn er nur der Bevollmächtigte
eines Teils ist. (Manches bleibt hier offen:, Vertrag mit Schutzwirkung
zugunsten Dritter etc.) | |
|
|
OGH 13. 5. 2000, 1 Ob 79/00z, SZ 73/96:
Der Kläger (Rechtsanwalt) erwirbt in einem Zwangsversteigerungsverfahren
eine Eigentumswohnung. Der Beklagte hatte im Exekutionsverfahren
als gerichtlich bestellter Sachverständiger die
Bewertung des Objekts zu erstatten. Er besichtigte die Wohnung nur ungenügend
und übersah eine Änderungsparifizierung, sodass er seinem Gutachten
eine Wohnfläche von 100 m2 statt 70
m2 zugrunde legte. – OGH: Der gerichtlich
bestellte Sachverständige haftet dem Ersteher in der Liegenschaftszwangsversteigerung
für die unrichtige Bewertung des Exekutionsobjekts nach
§ 1299 ABGB. Ablehnung der früheren Rspr (zuletzt SZ 60/2), nach
der solche Fälle über das AHG gelöst wurden. Allerdings nimmt der
OGH auf Grund des erhöhten Sorgfaltsmaßstabs eines Rechtsanwalts
Mitverschulden an; § 1304 ABGB. | |
|
§ 1299 ABGB
statuiert eine Verschuldenshaftung, aber eine besonderer
Art. Das Gesetz verlangt von Sachverständigen nämlich „einen nicht
gewöhnlichen Fleiß” und „die erforderlichen, nicht gewöhnlichen,
Kenntnisse”. Angelegt wird dabei ein objektiver Maßstab;
dh als normative Messlatte dienen Wissen, Fertigkeiten, Kenntnisse
oder Sorgfalt, die ein Sachverständiger, sei er Tischler, Rechtsanwalt,
Arzt, Steuerberater, Rauchfangkehrer oder Schilehrer zu haben hat!
– Es geht hier um objektives Verschulden iSv Sorgfalts-
und Wissensstandards. Die Haftung des
§ 1299 ABGB als objektivierte Verschuldenshaftung „greift” aber
ebenso bereits ab leichter Fahrlässigkeit; sog omnis culpa-Haftung.
Ein Arzt oder Rechtsanwalt können sich nicht dadurch entschuldigen
/ exkulpieren, dass ihnen gewisse Kenntnisse ohne persönliches Verschulden
gefehlt haben. Sie haben zu vertreten, was „ein” Arzt (iSv „jeder”
Arzt) oder Rechtsanwalt zu wissen haben. | |
|
OGH 10. 7. 2001, 4 Ob 56/01s, EvBl 2002/4:
Hausbesitzer lässt im März Kaminkehrung durchführen. Als es 2 Wochen
später zu einem Kaminbrand wegen Verpechung kommt,
weist der Kaminkehrer jede Schuld von sich. – OGH: Für Kaminbrände
infolge einer Verpechung hat der Rauchfangkehrer, der beauftragt
ist, regelmäßig den Rauchfang zu kehren und zu überwachen, grundsätzlich
zu haften. (Hiermit wird ein Standard gesetzt!) Nur ganz außergewöhnliche
Umstände könnten ausnahmsweise die Schuldlosigkeit des Rauchfangkehrers
(oder seines Erfüllungsgehilfen) iSd § 1298 ABGB begründen. – Außer
Acht bleibt in der E der Lösungsansatz über den zugrunde liegenden
Werkvertrag, bei dem ein „Erfolg” zu erbringen war. | |
|
Fehlt es an „diesen” – dh den nötigen – Kenntnissen etc
„muss daher [der Sachverständige] den Mangel
derselben vertreten”; mit anderen Worten: der Sachverständige
haftet für den eingetretenen Schaden. | |
§ 1299 ABGB letzter Satz statuiert einen Fall
von Mitverschulden des Geschädigten; vgl Zeillers
Kommentierung: Motto vor diesem Kapitel. | |
Obwohl
zwischen dem Sachverständigen und dem Geschädigten idR eine vertragliche
Beziehung besteht, und daher die Beweislastregel des § 1298 ABGB
anzuwenden wäre, verlangt die hRspr in manchen Fällen vom Geschädigten,
dass er die Verletzung der jeweiligen lex artis – also des jeweiligen
Wissens- oder Sorgfaltsstandards – zu beweisen habe. Das bedeutet,
dass trotzt bestehender vertraglicher Beziehung § 1296 ABGB zur
Anwendung gelangt; Beispiel einer interpretatio contra legem → KAPITEL 11: §
6 ABGB: Instrumente der Gesetzesauslegung.
Die dafür eingebrachten Argumente überzeugen aber nicht, weshalb
diese Rspr-Position (, die von einem Teil des Schrifttums – etwa
Reischauer – gutgeheißen wird) abzulehnen ist. Diese Rspr-Position
spielt in der Praxis im Bereich der Medizinhaftung eine wichtige,
wenngleich unerfreuliche Rolle → Medizinhaftung
– Beweislast
| |
 | |
| |
|
Eine typische Formulierung
des zur Zeit vom OGH für § 1299 ABGB favorisierten Beweislastverständnisses
contra legem findet sich in JBl 1996, 181
(182), wo es heißt: „Den Beweis des Vorliegens
eines Behandlungsfehlers und seiner Kausalität in bezug auf den
eingetretenen Schaden hat im Sinne der allgemeinen Schadenersatzregeln
[?] grundsätzlich der Patient zu führen (Reischauer in Rummel, ABGB 2 Rz 26
zu § 1298)”. Der OGH hält allerdings zur Erbringung des Kausalitätsbeweises
bei Behandlungsfehlern, wegen der Schwierigkeit der Erbringung exakter
Beweise, den Anscheins- oder Prima-facie-Beweis ( → KAPITEL 9: Der
Anscheins- oder Prima Facie-Beweis:)
für ausreichend, was eine gewisse Abhilfe schafft; vgl SZ 63/90
(1990): Schwere Diagnose-, Operations- und Nachbehandlungsfehler an
einem 5jährigen Buben sowie JBl 1993, 316 mwH; JBl 1994, 540 und
JBl 1996, 181 und JBl 1999, 246: Nierenversagen. | |
Anders
dagegen: OGH 9. 4. 2002, EvBl 2002/144:
Patient erleidet Hirnstamminfarkt und behauptet, dieser
sei durch eine chiropraktische Behandlung des
Arztes an seiner Halswirbelsäule (im Zuge der Untersuchung von Rückenschmerzen
nach einem Schiunfall) entstanden. Im Schadenersatzprozess leugnet
der Arzt, eine solche Behandlung überhaupt vorgenommen zu haben,
worauf der Kläger seinem Anwalt die Weisung erteilt, vom Arzt die
Vorlage der Behandlungsdokumente zu verlangen, was der Anwalt aber
nicht tut. – OGH: Rechtsanwalt hat keinen Honoraranspurch, wenn
dessen Mandant beweist, dass und aus welchen Gründen die Leistung
wertlos ist. Dies gilt auch für den Fall, dass der Anwalt eine für
den Prozessausgang wesentliche Weisung nicht befolgt hat, sofern
der Rechtsanwalt nicht beweisen kann, dass sein weisungswidriges
Handeln für den Prozesserfolg unschädlich war; Beweislastumkehr
(§ 1298 ABGB). – Weitere angesprochene Problembereiche: Inhalt der
Auftragsbeziehung nach § 1009 ABGB („emsig und redlich”), Sachverständigenhaftung
des Rechtsanwalts (§ 1299 ABGB) | |
|
Auch auf Alpinunfälle, denen eine vertragliche
und entgeltliche Beziehung zugrunde liegt, wie sie zwischen Berg-
und Schiführern oder Schilehrern und ihren Vertragspartnern besteht,
ist § 1299 ABGB voll anzuwenden. – Die Personen haften danach aus
Vertrag für omnis culpa, also ab leichter Fahrlässigkeit für die
Verletzung von Sorgfalts- und Wissensstandards sowie von Schutzpflichten
ihrer Berufsgruppe. | |
Eine Freizeichnung ( → KAPITEL 9: Verschulden
(culpa))
wird angesichts des bestehenden Vertrauensverhältnisses und der übernommenen
Verantwortung nur in seltenen Fällen zulässig sein. | |
Der OGH hat jedoch
im Piz Buin-Urteil
(30.10.1998, 1 Ob 293/98i – JBl 2000, 305) § 1299 ABGB auch auf
den Tourenführer aus Gefälligkeit und den sog faktischen
Führer angewandt, mögen diese auch unentgeltlich tätig
geworden sein. | Piz Buin-Urteil |
Die Frage einer rechtsgeschäftlichen Beziehung
wurde vom OGH offen gelassen, von Stabentheiner dagegen bejaht, was
abzulehnen ist. | |
Die Meinung des OGH beruht mE auf einer noch unausgereiften
und in concreto nicht erkannten – aber nötigen – Abgrenzung zwischen
der Sachverständigenhaftung des § 1299 ABGB und der bislang zivilrechtlich
völlig unentwickelten Haftung aus einer Garantenstellung → Zur
Haftung aus einer Garantenstellung
| |
Leitsatz zu JBl 2000, 305: Zur Haftung des alpinistisch
Überlegenen für einen Bergunfall seines Berggefährten auf Grund
einer Führerrolle (§§ 1295, 1299, 1311 ABGB): An den Tourenführer
aus Gefälligkeit und an den faktischen Führer darf zwar nicht der
gleiche Sorgfaltsmaßstab wie an einen professionellen erwerbsmäßig
tätigen Bergführer angelegt werden; doch muss von ihm jene Sorgfalt
verlangt werden, wie sie einem ihm vergleichbaren Alpinisten bei
der Führung und Begleitung von Tourengruppen objektiv zuzumuten
ist. | |
 | |
2. §
1300 ABGB: Unentgeltliche Raterteilung | |
Oben wurde
bereits auf die legistisch nicht voll gelungene Abgrenzung der §§
1299 und 1300 ABGB eingegangen. Die folgenden Ausführungen beschränken
sich auf § 1300 ABGB. | |
Er stellt
in Bezug auf § 1299 ABGB noch einmal klar, dass Sachverständige
für nachteiligen Rat bei jedem Verschulden, also ab leichter Fahrlässigkeit
haften, wenn sie „gegen Belohnung in Angelegenheiten
[ihrer] Kunst oder Wissenschaft” tätig werden. | |
§ 1300 ABGB formuliert einen eigenen – von Satz 1 unabhängigen – Haftungstatbestand: | |
„Außer diesem Fall [gemeint ist eine entgeltliche
Tätigkeit nach § 1299 ABGB] haftet ein Ratgeber nur für den Schaden,
welchen er wissentlich durch Erteilung des Rates
dem andern gegeben hat.” | |
Es kommt also
nach Satz 2 zu einer gravierenden Haftungsminderung,
wenn Rat oder Auskunft: | Haftungsreduktion |
•
außerhalb der
beruflichen Tätigkeit und | |
•
unentgeltlich erteilt werden. | |
Eine professionelle Beratung oder Schiedstätigkeit löst
demnach eine Haftung nach § 1299 ABGB auch dann aus, wenn nur eine
mittelbare Entgeltsbeziehung besteht, wie dies bei der Mitgliedschaft
in Autofahrerclubs, Vereinen zur Rechtsberatung oder den Schiedsstellen
der Ärztekammer der Fall ist. Der OGH wendet § 1299 ABGB nur bei
„selbstloser” Raterteilung oder Auskunft nicht an (JBl 1995, 588;
gleich unten), womit im wesentlichen Unentgeltlichkeit gemeint ist.
Die Abgrenzungsfragen scheinen noch nicht völlig ausgereift. – Rechtsberatung
ist eine wichtige Aufgabe der Zukunft, die bislang eher unterschätzt
wird. Sie verdiente es judikativ unterstützt und nicht haftungsmäßig
unterlaufen zu werden! | Beratung oder
Schiedstätigkeit |
 | |
|
Einen
interessanten Sachverhalt zur Abgrenzung der §§ 1299 und 1300 ABGB
beinhaltet JBl 1995, 588: Eine Schiedsstelle der Ärztekammer,
an die sich eine Patientin wegen eines Behandlungsfehlers wandte, unterließ
es, die Patientin auf die drohende Verjährung aufmerksam
zu machen. – Leitsatz: Schiedsstelle der Ärztekammer – Haftung für
unterlassene Belehrung: §§ 1299 und 1300 ABGB; § 1 AHG: Die Schiedsstellen
der Ärztekammern sind nicht in einem Tätigkeitsbereich aktiv, der
mit Befehls- und Zwangsgewalt ausgestattet ist, und sind auch nicht
gesetzlich ermächtigt, aus öffentlichem Interesse ein bestimmtes
Verhalten ihrer Mitglieder oder der betroffenen Patienten im Rahmen
des Schiedsverfahrens erzwingen zu können. Aus dem Handeln oder
Unterlassen der Schiedsstellen sind daher keine Ansprüche iSd §
1 AHG abzuleiten. (Zum AHG → KAPITEL 12: Die
Amtshaftung ¿ AHG 1948.)
– Nur wer „selbstlos” einen Rat oder eine Auskunft erteilt, kann
nach § 1300 Satz 2 ABGB von der Haftung befreit sein. Das trifft
auf die Schiedsstellen der Ärztekammern nicht zu. Die Schiedsstelle
hat daher einen Patienten, der sich wegen eines Behandlungsfehlers
an sie wendet, auf die drohende Verjährung seiner Ansprüche hinzuweisen. | |
|
3. Zur
Haftung aus einer Garantenstellung | |
| |
Rechtsnormen
sind entweder Verbots- oder Gebotsnormen.
Verstöße gegen Verbotsnormen erfolgen dadurch, dass getan wird,
was zu tun untersagt war. Bei Gebotsnormen liegt der Normverstoß
im Unterlassen gebotenen Tuns. – Das spielt eine wichtige Rolle
bei den Unterlassungsdelikten, insbesondere denen des Strafrechts,
die voraussetzen, dass gegen eine Gebotsnorm verstoßen wird. | Unterlassungsdelikte |
Vgl § 2 StGB
(Begehung durch Unterlassung): „Bedroht das Gesetz die Herbeiführung
eines Erfolges mit Strafe, so ist auch strafbar, wer es unterlässt,
ihn abzuwenden, obwohl er zufolge einer ihn im besonderen treffenden Verpflichtung
durch die Rechtsordnung dazu verhalten ist und die Unterlassung
der Erfolgsabwendung einer Verwirklichung des gesetzlichen Tatbildes
durch ein Tun gleichzuhalten ist.” | § 2 StGB |
Die
Rechtsfigur der Haftung aus einer Garantenstellung für das Unterlassen
gebotener Sorgfaltspflichten iwS wurde im Strafrecht entwickelt.
– Sorgfalts- und Wissensstandards spielen aber auch in zivilrechtlichen
Tatbeständen insbesondere auch im Rahmen der §§ 1299, 1300 ABGB
eine wichtige Rolle. Aber es bestehen auch Unterschiede zum Strafrecht. | Sorgfalts- und Wissensstandards |
Zur
Strafbarkeit nach § 2 StGB ist es erforderlich, dass eine bestehende
Pflicht zur Erfolgsabwendung – die sog Garantenpflicht –
verletzt wurde. Rechtswidrig nach dieser Gesetzesstelle handelt
aber nur der, den eine von der Rechtsordnung statuierte besondere
Pflicht trifft und diese unterlassen wird. Eine solche Erfolgsabwendungspflicht
oder Garantenstellung kann aus Vertrag, Gesetz oder Ingerenz (iSv
vorangegangenem eigenem Verhalten, das idF zum Handeln verpflichtet → KAPITEL 6: Das
Ingerenzprinzip)
abgeleitet werden. | Strafrecht und
Garantenstellung |
Mehr zu den strafrechtlichen Unterlassungsdelikten
sowie zur Garantenstellung und Garantenpflicht bei H. Fuchs, Österreichisches
Strafrecht. AllgT I 57, 314 ff (20004). | |
Auch das Zivilrecht kennt derartige aus Vertrag, Gesetz
oder Ingerenz abgeleitete Erfolgsabwendungs- oder Garantenpflichten,
ohne meist terminologisch von einer Garantenstellung zu sprechen;
vgl nur die teils schon alten Erfolgsabwendungspflichten im Kleid
von Obsorge- und Sicherungspflichten udgl der §§ 866, 1309, 1318,
1319, 1319a, 1320 ABGB. Vgl insbesondere auch das gesetzliche Schuldverhältniss
cic, für das es charakteristisch ist, dass sich der – auch nur mögliche
– Vertrags- oder Verhandlungspartner ( → KAPITEL 6: Cic
als gesetzliches Schuldverhältnis)
in einer Lage besonderer Schutz- und Vertrauensbedürftigkeit befindet.
Die cic umfasst – mittlerweile – auch den Bereich der Verkehrssicherungspflichten
im Vorfeld möglicher rechtsgeschäftlicher Beziehungen. Verkehrssicherungspflichten
können auch als Erfolgsabwendungs- oder Garantenpflichten verstanden
werden. – § 1299 ABGB geht aber im Vergleich dazu über eine bloße
Erfolgsabwendungs- oder Garantenstellung hinaus und umfasst – primär
– vertragliche Sorgfaltspflichten in einem – wenn auch da und dort
gelockerten – entgeltlichen Kontext. | |
Besondere
gesetzliche oder vertragliche Erfolgsabwendungs- iSv Obhuts-, Obsorge-
oder Sicherungspflichten, die im Zivil- wie im Strafrecht zu einer
Garantenstellung führen, sind typischerweise anzunehmen bei besonderen Gefahrengemeinschaften,
wie bei Berg- oder Schitouren, aber auch zwischen Eltern und Kindern
(und vice versa), Ehegatten oder sonstigen Betreuungsverhältnissen.
– Im Zivilrecht sind diese Bereiche vornehmlich gesetzlich geregelt,
weshalb hier das dogmatische Bedürfnis, die „Garantenstellung” zu
bemühen, geringer war und auch naheliegende Fragen bisher nur unzureichend
reflektiert wurden. – Die Berg- und Alpinunfälle lehren uns jedoch, dass
wir es dabei nicht bewenden lassen können. | Gefahrengemeinschaften + Betreuungsverhältnissen |
Das eben erwähnte Piz Buin-Urteil und seine in der Begründung
zu Tage tretende unbefriedigende und unvollständige dogmatische
Bearbeitung durch den OGH und Stabentheiner, hat aber deutlich gemacht,
dass eine unreflektierte, undifferenzierte und/oder nicht als solche
kenntlich gemachte Übernahme vornehmlich strafrechtlicher Rechtsfiguren
– eben der Garantenstellung – ins Zivilrecht, Probleme schafft. | |
Das führt bei Stabentheiner ua dazu, dass
er zwar das hier völlig unergiebige und vom OGH gar nicht angesprochene bewegliche
System Wilburgs beschwört, eine gründliche Auseinandersetzung mit
den einschlägigen Zivilrechtsnormen und –fragen aber ebenso unterbleibt,
wie die Reflexion ihrer Herkunft aus dem Strafrecht. Die konkret nötige
Abgrenzung der §§ 1299 und 1300 ABGB bleibt ebenfalls unerwähnt.
Dazu kommt, dass die uneingeschränkte Subsumtion der Haftung aus
einer Garantenstellung unter die Sachverständigenhaftung des § 1299
ABGB problematisch ist, zumal diese zivilrechtliche Haftungsnorm
durch ihren objektivierten / standardisierten Verschuldensmaßstab
Besonderheiten aufweist, die dem Strafrecht fremd sind und auch
auf Fälle wie den vorliegenden nicht so recht passen. – Vor einer
„schlampigen” Herübernahme (Analogie?) der Haftung aus Garantenstellung
vom Strafrecht ins Zivilrecht muss daher gewarnt werden. | |
Gegenüber den Ausführungen des OGH und Stabentheiners zum
Piz Buin-Fall muss daher betont werden, dass es sich bei der Haftung
aus einer Garantenstellung – dieser Begriff sollte künftig auch im
Zivilrecht verwendet werden (!), um eine Verschuldenshaftung handelt,
wobei festzuhalten ist: | |
• Die Situation, aus
der (heraus) eine Garantenstellung entsteht, kann vom Garanten selbst verschuldet oder unverschuldet eingetreten
oder durch Ingerenz herbeigeführt worden sein; | |
• und das zurechenbare Verschulden, das eine
Haftung auslöst, rührt daher, dass der Garant in einer von ihm –
wie auch immer – (mit)geschaffenen und ihm daher (bis zu einem gewissen
Grad) zurechenbaren Situation seinen
Erfolgsabwendungspflichten (iSv
Schutz-, Sorgfalts-, Aufklärungs- oder Aufsichtspflichten) nicht
nachgekommen ist, wofür grundsätzlich leichte Fahrlässigkeit genügt. | |
Hier
wurden Klarstellungen versäumt; wozu kommt, dass
Garantenstellung (samt daraus folgender Haftung) und gesetzliche
Sachverständigenhaftung nicht völlig identifiziert werden sollten,
weil sie aus unterschiedlichen Zurechnungsquellen stammen. Hier
erscheint die Herkunft dieser Lehre für das Verständnis hilfreich;
beinhalten doch Garantenpflichten typische Sorgfaltspflichten, auf
die der Anwendungsbereich des § 1299 ABGB aber nicht reduziert werden
kann, mag auch er sie kennen. Das wurde nicht klar genug gesehen.
Trennt man diese Haftungsbereiche (nämlich Sachverständigen- und
Garantenhaftung), bedarf es für die Garantenhaftung auch nicht der Abgrenzung
der §§ 1299 und 1300 ABGB voneinander. – Ein anderer Unterschied
der Haftung nach § 1299 ABGB und einer (strafrechtlichen wie zivilrechtlichen)
Haftung aus einer Garantenstellung ist – wie erwähnt – der nicht idente
Verschuldensmaßstab. Denn für die zivilrechtliche Garantenhaftung
ist – wie im Strafrecht – nicht unbedingt ein objektivierter Verschuldensmaßstab,
sondern nur ein subjektives Verschulden des Schädigers anzunehmen.
(Das schließt mE nicht generell aus, dennoch gewisse Gemeinsamkeiten
anzunehmen, zumal Überschneidungen zwischen Sachverständigen- und
Garantenhaftung zumindestens bestehen können.) – Eine sinnvolle
Differenzierung kann dies herausarbeiten. | Klarstellungen nötig |
Zu überlegen wäre ferner, wie weit
die Parallelität der Haftung aus Garantenstellung mit der Haftung
aus cic gehen sollte: Haftung wie bei der cic schon ab leichter
Fahrlässigkeit? Und Haftung bloß für den Vertrauensschaden? Annahme
eines gesetzlichen Schuldverhältnisses? Usw. – Angesichts des Piz-Buin-Falls,
der uns zeigt, dass wir es hier weder mit einer rechtsgeschäftlichen,
noch künftige Rechtsgeschäfte vorbereitenden und grundsätzlich auch keiner
entgeltlichen Situation zu tun haben, plädiere ich dafür bei einer
künftigen Entwicklung dieser neuen Rechtsfigur, keine vollständige
Parallelität zur cic-Haftung anzustreben, sondern – dem Entlastungsgedanken
der ersten Unklarheitenregel des § 915 ABGB folgend – „eher die
geringere als die schwerere Last” aufzuerlegen. Das würde die dogmatische
Behandlung solcher Fälle auch besser in Einklang mit dem Rechtsgefühl
des Volkes bringen, was mit dem Piz Buin-Urteil nicht gelungen ist.
Überzogene Haftungen wirken auch nicht präventiv. | Parallelität mit der
Haftung aus cic? |
Zu denken wäre daher an eine Haftungsreduktion –
normmäßig angesiedelt in der „Mitte” zwischen § 1299 und
§ 1300 ABGB – auf grobe Fahrlässigkeit, zumal dies Konstellationen
wie dem Piz-Buin-Fall, gerechter wird. (ME wäre im Piz-Buin-Fall
grobe Fahrlässigkeit des faktischen Tourenführers und daher ein
Haftung anzunehmen gewesen.) | |
Der
Lösungsweg könnte daher über eine die Besonderheiten solcher Fälle
angemessen berücksichtigende Rechtsanalogie führen,
in welche wertungsmäßig neben den §§ 1299, 1300 ABGB auch die allgemeinen
Grundsätze der Verschuldenshaftung (§§ 1295, 1306 ABGB) und teilweise
auch jene Normen einzubringen wären, die das Konzept der cic tragen → KAPITEL 6: Cic:
Geschöpf der Rechtsanalogie.
– Ob bei einer Haftung aus einer Garantenstellung nur für den Vertrauensschaden
oder ganz allgemein für Schadenersatz einzustehen ist, sollte noch
geprüft werden. Angemessener erschiene mir eine Annäherung an die
cic. Als eine der Deliktshaftung nahe stehende Haftung wäre die
Haftung aus einer Garantenstellung auch beweislastmäßig behutsam
und nicht überzogen auszugestalten und auch hier keine Gleichstellung
mit der cic anzustreben; daher sollte eher § 1296 als § 1298 ABGB
zur Anwendung kommen. Inwieweit wegen des Bestehens allgemeiner
oder spezifischer gesetzlicher (Unterlassungs)Pflichten § 1313a
ABGB zur Anwendung zu gelangen hätte, wäre im Einzelfall zu prüfen.
Eine generelle Anwendung erschiene mir ebenfalls als zu weit gehend. | Rechtsanalogie |
Insgesamt lässt sich sagen,
dass die Rechtsfigur einer zivilrechtlichen Haftung aus einer Garantenstellung,
eigene Konturen gewinnen könnte und wohl auch sollte. Ein wertungsmäßiges
Heranrücken an die wichtigen Vorarbeiten des Strafrechts erscheint
dabei, wo immer möglich, sinnvoll. Der Gedanke der Einheit der Rechtsordnung
sollte nicht nur in juristischen Lehrbüchern eine Rolle spielen.
– Darüber hinaus gilt es zu bedenken, dass die neu zu gestaltende
Rechtsfigur auch dem Rechtsempfinden der Menschen ebenso gerecht
werden sollte, wie den Aufgaben des zivilen Haftungsrechts. Das
spricht für eine moderate(re) Haftung, was bislang nicht hinreichend
bedacht wurde. | Resümee |
III. Aufsichtspflichtverletzung | |
Zum besseren Verständnis des § 1309 ABGB sollte
sein Umfeld, die §§ 1307–1310 ABGB, in einem Zug gelesen werden,
zumal die §§ 1309 und 1310 ABGB auf den Vorbestimmungen aufbauen. | |
| |
„Außer diesem Falle [sc des § 1308 ABGB] gebührt
ihm [sc dem Geschädigten] der Ersatz von denjenigen Personen, denen
der Schade wegen Vernachlässigung der ihnen über solche Personen
anvertrauten Obsorge beigemessen werden kann.” (§ 1309 ABGB) | |
Praktische
Fälle betreffen das schuldhafte Verletzen der Aufsichtspflicht über
(Klein)Kinder, Schüler oder andere (anvertraute) insbesondere minderjährige
Personen; zB in Kindergärten, Horten, Ferienlagern, Schulen. – Das
Gesetz spricht von „Vernachlässigung der ihnen
über solche Personen anvertrauten Obsorge”, knüpft
die Haftungsfolgen also an das Unterlassen einer bestehenden Pflicht. | |
Zur Verwendung des Obsorge-Begriffs beim Verwahrungsvertrag
(§ 957 ABGB) → KAPITEL 3: Verwahrerpflichten. Das dtBGB enthält in § 832 eine „analoge”
Bestimmung. Das ALR (I 14 § 9) kennt den Begriff der Obsorge noch
nicht, sondern spricht aber ähnlich von „aufbehalten” und „Aufbewahrung”. | |
|
JBl 1999, 325: Entweichenlassen
eines gefährlichen Geisteskranken aus einem psychiatrischen
Krankenhaus. | |
|
Der Gesetzestext umfasst sowohl kraft Gesetzes bestehende
Aufsichts- oder Obsorgepflichten – wie solche der Eltern oder der
Schule, als auch vertraglich übernommene, wie in
Kindergärten, Privatschulen oder Internaten. | Obsorgepflichten
aus Vertrag und kraft Gesetzes |
|
EvBl 1968/379: Die „Aufsichtspflicht
kann auf einem Rechtsgeschäft beruhen, sie kann sich aber auch unmittelbar
aus dem Gesetz ergeben” → Fälle
aus dem Alltag und Rspr-Beispiele
| |
|
Eltern, überhaupt Aufsichtspflichtige, haften danach prinzipiell
nicht, sondern nur dann für das schadensstiftende Handeln ihrer
Kinder, wenn sie | |
•
schuldhaft
| |
• ihre Aufsichtspflicht vernachlässigt haben. | |
Es kommt auf diese Akzentsetzung an! Der gesetzliche Grundsatz
wird nämlich immer wieder missverstanden und falsch dargestellt.
– Die Rspr handhabt diese Norm lebensnah und lehnt überspitzte Haftungen
ab. Eine praktische Rolle spielt in diesem Zusammenhang immer wieder gefährliches
Spielzeug! | |
Nicht
überall ist die Rechtslage wie bei uns: | Rechtsvergleich |
In Italien bspw statuiert Art 2048 Codice
Civile: „Vater und Mutter oder
der Vormund haften für den Schaden, der durch eine
unerlaubte Handlung des Minderjährigen, nicht aus der elterlichen
Gewalt entlassenen Kindes oder der unter Vormundschaft stehenden
Personen entstanden ist, sofern diese bei ihnen wohnen. Die gleiche Bestimmung
gilt für Pflegeeltern. | |
Die Erzieher und diejenigen, die zu einem
Gewerbe oder Handwerk ausbilden, haften für den Schaden, der durch eine
unerlaubte Handlung ihrer Zöglinge und Lehrlinge in
der Zeit entstanden ist, in der sie unter ihrer Aufsicht standen. | |
Die in den vorhergehenden Absätzen bezeichneten Personen
sind von der Haftung nur dann befreit, wenn sie nachweisen, dass
sie die Handlung nicht verhindern konnten.“ | |
Noch weiter geht das us-amerikanische (Privat)Recht einzelner
Bundesstaaten: Dort wird nicht nur eine zivilrechtliche Haftung
der Eltern für Schäden durch ihre Kinder statuiert. Die einzelnen
Bundesstaaten haben aber unterschiedliche Gesetze erlassen, durch
die Eltern uU auch strafrechtlich für Vergehen ihrer Kinder verfolgt
werden können. Die Strafen für die Eltern liegen dabei zwischen
Geldstrafen bis zu 25.000 $ und Gefängnis – auch schon für häufiges
Nichterscheinen der Kinder in der Schule. In manchen Bundesstaaten
müssen Eltern auch die Gerichtskosten sowie die Kosten für einen
Gefängnisaufenthalt ihrer Kinder bezahlen. | |
2. Fälle
aus dem Alltag und Rspr-Beispiele | |
 | |
|
EvBl 1968/379: § 1309 ABGB – Schuldhafte
Verletzung der Aufsichtspflicht durch Überlassen von gefährlichem
Spielzeug (mit einer Schleuder zu betätigendes
pfeilförmiges Plastikspielzeug) an ein 4-jähriges Kind. – OGH: „Nach
§ 1309 ABGB gebührt demjenigen, der durch einen Unmündigen geschädigt worden
ist, Ersatz von jenen Personen, denen der Schaden wegen Vernachlässigung
der ihnen obliegenden Aufsichtspflicht beigemessen werden kann.
Diese Aufsichtspflicht kann auf einem Rechtsgeschäft beruhen,
sie kann sich aber auch unmittelbar aus dem Gesetz ergeben.”
– Und: „Die Gefährlichkeit eines Spielzeugs ist nicht nur nach seiner
objektiven Beschaffenheit zu beurteilen, sondern hängt auch von der
körperlichen und geistigen Entwicklung des Kindes ab, dem das Spielzeug
zum Gebrauch überlassen wird.” | |
|
| |
|
Aufsichtspflicht
nach § 1309: Rspr-Beispiele | |
Die Aufsichtspflicht verletzt: Wer einen
11-Jährigen unbeaufsichtigt mit einem Luftdruckgewehr spielen läßt
(SZ 20/241)
Wer einem
noch nicht 12-jährigen Kind (entgegen § 65 StVO) erlaubt, alleine
radzufahren ( ZVR 1989/153)
Wer ein Kind mit einer Armbrust spielen läßt, deren Pfeile Nägel
als Spitze haben (EFSlg 20.228;
OLG Wien) Wer einer gehbehinderten Großmutter ein 3 jähriges Kind
außerhalb der Wohnung anvertraut (EFSlg 4695)
Wer einen 4 ½ Jährigen einen pfeilförmigen Kaugummiflieger anschaffen
und unbeaufsichtigt benützen läßt (EvBl 1968/379
= EFSlg
10.142). | |
|
|
Die Aufsichtspflicht
wird nicht verletzt: Wenn ein Lehrer 7- oder 8-jährige
Schulkinder in der Schulgarderobe nicht ständig beaufsichtigt; EFSlg 31.513 Unbeaufsichtigtes
4 ½-jähriges Kind auf Spielplatz in der Nähe einer wenig befahrenen
Straße; ZVR 1984/116 Fast
5 jähriger folgsamer Bub verletzt auf Gehsteig mit Tretroller einen
Gehbehinderten, während Aufsichtspflichtiger sich kurz seiner Kundschaft
widmet; SZ 34/137 Schneeballspielen
von 8- und 10 Jährigen ohne Überwachung; EFSlg
27.185 Wenn eine Mutter 5- und 8 jährige
Buben 150 m von der Alm entfernt, auf der sie als Kellnerin arbeitet,
in einer Hütte spielen läßt, wo sie unvorhersehbar Zündhölzer finden; EvBl 1978/52. | |
|
 | Abbildung 10.7: Aufsichtspflicht (1) – Beispiele |
|
 | Abbildung 10.8: Aufsichtspflicht (2) – Beispiele |
|
IV. Der
sogenannte Billigkeitsersatz des § 1310 ABGB | |
Kann ein Geschädigter
nach den §§ 1307-1309 ABGB keinen Ersatz erlangen, „so soll der
Richter” nach § 1310 ABGB erwägen – sog Billigkeitsschaden, soziale
Schadenstragung, die dem Schadenersatzrecht sonst fremd ist, ob
nicht der schädigende Minderjährige selbst (unter den Voraussetzungen
des § 1310 ABGB) zur Haftung heranzuziehen ist. – Der Gesetzgeber
wollte mit dieser Bestimmung eine Nichtverschuldenshaftung statuieren,
was von der Rspr nicht immer zutreffend gesehen wird. | |
Für
K. A. v. Martini, auf den unsere Bestimmung zurückgeht, lag nämlich
der tiefere Grund der Verpflichtung des Schädigers zum
Ersatz nicht – wie später bei Ihering – in seinem Verschulden, sondern
im (naturrechtlich fundierten) „Vertheidigungsrecht”
des Geschädigten. | Martinis Überlegungen |
 | |
Mit dem Rspr-Satz, das der Deliktsunfähige
nur haftet, wenn ein Volldeliktsfähiger im gleichen Fall haften
würde, wird dem Zweck des § 1310 ABGB Rechnung zu tragen versucht.
Dieser Ansatz ist aber aus dem oben genannten Grund problematisch.
– Die Norm will nämlich primär Härten für den Geschädigten (!) mildern,
die sich daraus ergeben, dass das Verschuldenssystem eine Risikozuweisung
bei Kindern, Jugendlichen unter 14 Jahren (Deliktsfähigkeitsgrenze)
und Geisteskranken im Allgemeinen nicht erlaubt. | §
1310 ABGB |
§ 1310 soll nach hA die normale (?) Haftung nicht erweitern,
sondern sie zugunsten nicht voll Zurechnungsfähiger einschränken;
so JBl 1999, 604: Hackstockfall → Rechtsfolge Das
trifft aber nicht zu, denn § 1310 ABGB statuiert – abweichend vom
„Normalfall” des ABGB – grundsätzlich (auch) eine Nichtverschuldenshaftung,
wenngleich unsere Bestimmung insbesondere im 1. Fall Anklänge an
ein Verschulden enthält. | |
Das ist ein lebensnaher Rechtsanwendungshinweis des Gesetzgebers,
der sich an den Rechtsanwender richtet. | |
Es
wäre aber ein Missverständnis, § 1310 ABGB – er stammt aus Martinis
Entwurf – als übermäßige Härte gegen Unmündige (miss)zuverstehen.
Die Norm will vielmehr – aus den erwähnten Gründen – allgemein klarstellen,
dass das Schadensrecht vornehmlich aus der Optik des/r Geschädigten
zu verstehen ist. – Unsere Norm gestattet heute eine moderne Anwendung
der Schadenszurechnung unterhalb der zivilrechtlichen Deliktsfähigkeitsgrenze.
Das ist in einer Zeit, in der noch nicht Vierzehnjährige zahlreiche
und nicht nur geringfügige Delikte begehen, als ein wertvolles normatives
Instrument zu betrachten. In diesem Kontext ist an den bedauerlicher
Weise aufgehobenen
§ 866 ABGB zu erinnern. Anders als das Strafrecht, das – aus berechtigten
Gründen – ein Unterschreiten der Deliktsfähigkeitsgrenze nicht gestattet,
wird dies durch unsere Norm ermöglicht. | Härte gegen Unmündige? |
Diskussionswürdig
erschiene es, die zivilrechtliche Deliktsfähigkeitsgrenze für Minderjährige
nach deutschem Vorbild – wenn auch vielleicht nicht im selben Ausmass
– zu senken. § 828 dtBGB bestimmt: | Beispiel: § 828 dtBGB |
„(1) Wer nicht das siebente Lebensjahr vollendet hat, ist
für einen Schaden, den er einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.“ | |
Ein neu durch die Schuldrechtsreform eingefügter Abs 2 dieser
deutschen Bestimmung schliesst nunmehr die Haftung von 7 bis 10-Jährigen
bei Unfällen mit einem Kfz, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn,
Vorsatz ausgenommen, aus. | |
1. Tatbestandsvoraussetzungen | |
§ 1310 ABGB unterscheidet drei Anwendungsfälle.
Wir sprechen vom 1., 2., oder 3. Fall dieser Norm. In allen drei
Fällen steckt der Billigkeitsgedanke, im 2. und
3. Fall aber noch stärker als im ersten. | 3
Fälle |
Zu überlegen hat der Rechtsanwender nach § 1310 ABGB dabei: | |
• „ ... ob dem Beschädiger,
ungeachtet er gewöhnlich seines Verstandes nicht mächtig ist, in
dem bestimmten Falle nicht dennoch ein Verschulden zur Last
liege...” (1. Fall); | |
• „oder, ob der Beschädigte aus Schonung
des Beschädigers die Verteidigung unterlassen habe...”
(2. Fall); | |
• „oder [er soll] endlich, mit Rücksicht
auf das Vermögen des Beschädigers und des Beschädigten...”
(3. Fall: sog Tragfähigkeit des Schadens) entscheiden. | |
| |
Der Richter „soll” in diesen Fällen entweder: | |
• „auf den ganzen
Ersatz
| |
• oder doch einen billigen Teil desselben erkennen.” | |
Praktisch
bedeutsam sind der erste und dritte Fall des § 1310 ABGB. Es kann
auch zu einer Kumulierung mehrerer Fälle des §
1310 ABGB kommen; also zB von erstem und drittem Fall: So bei von
Minderjährigen verschuldeten Verkehrsunfällen; zB wenn ein 10-jähriger
Bub ohne nach links und rechts zu schauen die Straße überquert und
ein Autofahrer ihn nur deshalb nicht zusammenfährt, weil er sein
Fahrzeug verreißt, das dabei beschädigt wird. | |
|
Zum „3.
Fall” des § 1310 ABGB: | |
|
|
EvBl 1974/234: 10-jähriges Mädchen
„verfolgt” Buben und stellt ihm von hinten das Bein, sodass
dieser stürzt und sich Zähne ausschlägt. Es besteht eine Haushaltsversicherung!
OGH berücksichtigt die Versicherungssumme als Vermögen der Minderjährigen!
Ebenso die folgende E. | |
|
|
RZ
1977/87: § 1310 ABGB – Der minderjährige
Beklagte hatte der 11-jährigen Klägerin durch einen Messerwurf eine
schwere Augenverletzung zugefügt. „Der Vater und gesetzliche Vertreter
des minderjährigen Beklagten hatte einen sog Bündelversicherungsvertrag
abgeschlossen, in welchem auch eine Versicherung für Haftpflichtschadensverursachung
durch den Versicherungsnehmer und die mitversicherten Angehörigen,
zu welchen auch der haushaltszugehörige minderjährige Beklagte gehört,
enthalten ist ....” | |
|
|
SZ 69/156 (1996): Augenverletzung
durch Kunststoffpfeil – Deckt die (private) Unfallversicherung
des Geschädigten Nachteile ab, die mit den Ersatzansprüchen gegen
den Schädiger nichts zu tun haben, wäre es nach Ansicht des OGH
unbillig, den Ersatzanspruch des Geschädigten nach § 1310 Fall 3
ABGB deswegen zu kürzen, weil er mit der Versicherungsleistung über
ein „Vermögen” iS dieser Gesetzesstelle verfüge. | |
|
|
JBl 1999, 604 (= EvBl 1999/155): Hackstockfall –
Achteinhalbjähriger schlägt seinem vierjährigen Vettern ungewollt
einen Finger ab. | |
|
Eben wurde festgestellt,
dass dem Schadenersatzrecht soziale Überlegungen (nahezu) fremd sind.
– Um keinen falschen Eindruck zu erzeugen sei erwähnt, dass das
Privatrecht aber auch in anderen Bereichen soziale Überlegungen
anstellt; etwa im starken und effektiven rechtsgeschäftlichen Schutz
junger Menschen vor Erreichung der Volljährigkeitsgrenze (§ 21 ABGB:
„… stehen unter dem besonderen Schutz der Gesetze”), aber auch im
Schutz nicht geschäftsfähiger Erwachsener. In beiden Fällen sind
die abgeschlossenen Rechtsgeschäfte ungültig: dazu kommen Sachwalterschaft
und UbG. Vgl auch → KAPITEL 4: Die
Handlungsfähigkeit :
Beispiel einer manisch-depressiven Frau, die teure Kaufverträge
abschließt ohne unter Sachwalterschaft zu stehen. Hinzuweisen ist
hier auch auf die sozialen Überlegungen in § 2 D(N)HG ( → KAPITEL 12: Die
Dienstnehmerhaftung),
die auch in anderen Haftpflichtgesetzen Bedeutung erlangt haben;
etwa AHG, OrgHG, ASVG. | |
 | Abbildung 10.9: Soziale Schadenstragung: § 1310 ABGB |
|
 | Abbildung 10.10: Ersatz nach „Billigkeit” |
|
 | Abbildung 10.11: Haftungssysteme |
|
V. Haftung
des Wohnungsinhabers: § 1318 ABGB | |
1. Herabfallen,
Herauswerfen oder Herausgießen | |
Wohnungsinhaber haften nach § 1318 ABGB für
Personen- oder Sachschäden, die „jemand durch das Herabfallen einer
gefährlich aufgehängten oder gestellten Sache; oder, durch Herauswerfen oder
Herausgießen aus einer Wohnung” erleidet. – Dies ist die alte actio
de dejectis et effusis + actio de posito vel suspenso des
römischen Rechts. | |
Rspr
und Lehre haben den alten Grundgedanken ausgedehnt und halten bspw
auch die gefährliche Aufbewahrung von Wasser oder Öl in einer Wohnung
der gefährlich aufgestellten Sache gleich; vgl SZ 39/170 (Waschmaschine),
JBl 1987, 40 oder SZ 60/38 (Öltank). – Nach § 1318 ABGB haftet ein
Wohnungsinhaber nur dann nicht für den durch die aus seiner Wohnung
austretende Flüssigkeit verursachten Schaden, wenn er beweist (Beweislastumkehr),
dass er alle objektiv gebotenen Vorkehrungen getroffen hat, um die
nach allgemeiner Lebenserfahrung bestehenden Risiken in zumutbarer
Weise auszuschalten oder doch auf ein unvermeidbares Maß zu verringern;
SZ 49/47 (1976). | Ausdehnung alter Grundgedanken |
Der
Wohnungsinhaber haftet aber auch dann, wenn er die erforderlichen
Maßnahmen schuldlos (!) unterlassen hat. Damit wird eine verschuldensunabhängige
Haftung statuiert. | Verschuldensunabhängige Haftung |
Die von der Rspr geschaffene Beweislastumkehr
orientiert sich an den Nachbarbestimmungen der §§ 1319 und 1320 ABGB,
besitzt aber keine gesetzliche Grundlage. § 1318 ABGB statuiert
vielmehr eine (verschuldensunabhängige) Erfolgshaftung. – Erfolgshaftung
+ Beweislastumkehr erscheint als des Guten zuviel. Sinnvoll ist
eine Beweislastumkehr vor allem bei einer Verschuldenshaftung. Zu
unterscheiden ist: | |
•
(Schlichte)
Verschuldenshaftung mit einer Beweislast nach § 1296 oder § 1298
ABGB; | |
• Verschuldenshaftung mit Beweislastumkehr wie
in den §§ 1319 und 1320 ABGB; | |
• Und schließlich Erfolgshaftung, wobei sich
im Normalfall die Beweislast wiederum nach den §§ 1296 und 1298 ABGB
bestimmt. | |
Wohnungsinhaber haften nach
dieser Bestimmung, wie das einer Erfolgshaftung entspricht, auch für fremdes
Verschulden – zB wenn betrunkene Gäste Flaschen aus dem
Fenster oder vom Balkon werfen; SZ 51/116 (1978), nicht aber für
höhere Gewalt; zB Erdbeben lässt Blumentröge vom Balkon stürzen.
– Zufall ist in dieser Haftung aber eingeschlossen! | Haftung
für fremdes Verschulden |
 | |
|
OGH 25. 7. 2000, 1 Ob 306/99b („Schwarzpulver-Fall”), SZ 73/118 = JBl 2000, 790: Die
Haftung aus § 1318 ABGB betrifft nur Schäden, die dadurch entstehen,
dass etwas aus einer Wohnung/einem Geschäftslokal herabfällt; ein
in der Wohnung selbst zugefügter Schaden ist nicht erfasst. – OGH
verneint – didaktisch interessant – einige denkbare weitere Anspruchsgrundlagen
wie Analogie/Analogiepraxis zu gefährlichen Betrieben, Verletzung
der Fürsorgepflicht etc. | |
|
2. Analoge Ausdehnung
des § 1318 ABGB | |
Die
Grundsätze des § 1318 ABGB werden von der Rspr (analog) auch auf
folgende Fälle angewendet: | |
|
Geschäfts-
oder Amtsräume (nicht dagegen auf Hotels und Gasthäuser
udgl) und | |
|
|
das Überlaufen
von Badewannen: SZ 20/203
(1938), | |
|
|
das Ausfließen
von Wasser aus einer Geschirrspül- oder Waschmaschine: SZ 37/140 (1964), SZ 39/170 (1966), | |
|
|
einem Boiler: EvBl 1966/159, | |
|
|
einer Kaffeemaschine (Wasserrohrbruch
in einer Kantine); JBl 1989, 40 oder | |
|
|
das Ausfließen
von Öl aus einer Haushaltsöltankanlage;
SZ 60/38 (1987). | |
|
Das Wort „Wohnung”
im Gesetzestext verlangt nach der Rspr ein gewisses Element der
„Dauer”, das nach der Rspr zwar auf Geschäfts-
und Amtsräume, nicht aber zB auf normale (!) Hotelzimmer und Hotelgäste
zutrifft. | „Wohnung“? |
 | Abbildung 10.12: Haftung des Wohnungsinhabers (1) |
|
 | Abbildung 10.13: Haftung des Wohnungsinhabers (2) |
|
VI. Haftung
für Bauwerke: § 1319 ABGB | |
1. Weite Auslegung
der Begriffe: „Bauwerk” und „aufgeführtes Werk” | |
§
1319 ABGB lässt für den Zustand eines Bauwerks unter den dort genannten
Voraussetzungen haften: | |
„Wird
durch Einsturz oder Ablösung von Teilen eines Gebäudes oder
eines anderen auf einem Grundstück aufgeführten Werkes jemand
verletzt oder sonst ein Schaden verursacht ...” | |
Der Tatbestand unserer Bestimmung umfasst sowohl den „Einsturz“
sowie „Ablösungen“ von Teilen eines Gebäudes, und zwar im
Inneren wie nach außen hin. Das zeigt
das folgende Beispiel. | |
|
OGH 15. 2. 2000, 5 Ob 29/00a, JBl 2000, 592:
Haftung des Hauseigentümers für einen Deckeneinsturz. | |
|
Nach
der Judikatur gelten als „Bauwerke” und „aufgeführte
Werke” auch: (Bau)Gerüste, Baugruben, (Zuschauer)Tribünen,
Landungsstege, Brücken, Trampoline, Grabsteine, aber etwa auch eine
in die Strasse eingelassene Brückenwaage oder Gartentore etc. | „Bauwerke” und „aufgeführte Werke” |
|
SZ 61/132 (1988): Der Eigentümer
einer Liegenschaft und derjenige, der über ihren Gebrauch verfügen kann,
haftet nach § 1319 ABGB für die Unterlassung der Absicherung
eines offenen Schachtes im Hof, wenn er deren Fehlen nach
dem Abschluss von Bauarbeiten hätte feststellen können. | |
|
|
Vgl auch den Brückenwaagefall: OGH 29. 11. 2001, 2 Ob 281/01i, JBl 2002/463:
Radfahrer stürzt aufgrund eines Spalts im Asphalt bei einer Brückenwaage
und klagt die Gemeinde als Betreiberin auf Schadenersatz. – OGH:
Eine Brückenwaage im Verlauf einer Straße ist ein Werk iSd § 1319
ABGB. Ein technisch bedingter Spalt an deren Rand (5 cm) begründet
für Radfahrer eine erhebliche Gefahr, welche die von § 1319 ABGB
angeordnete Verschärfung der Haftung rechtfertigt. – Fehlt es bezüglich
einer im Zuge eines Weges bestehenden Anlage an der von § 1319a
ABGB vorausgesetzten Interessenneutralität des Halters, was hier
angenommen wird, so ist neben § 1319a auch § 1319 ABGB für die Haftung
des Halters heranzuziehen.. | |
|
|
OGH 22. 12. 1999, 3 Ob 190/99h, JBl 2000, 588:
6 ½-jähriges Kind klettert auf Grabstein, während
Mutter mit Grabpflege beschäftigt ist. Dieser fällt um und verletzt
Kind schwer. – OGH: Auch von Grabdenkmälern muss verlangt werden,
dass sie so konstruiert werden, dass sie auch mehrere Jahrzehnte
lang standfest sind. | |
|
Die Rspr wendet
§ 1319 ABGB analog (§ 7 ABGB) auf Schäden durch umstürzende
Bäume oder abbrechende Äste an; die gedankliche
Vorarbeit dazu leistete Franz Gschnitzer. | Analoge
Anwendung auf umstürzende Bäume etc |
„§ 1319 ABGB ist auf einen Schaden, der
durch das Umstürzen eines Baums verursacht wurde, analog anzuwenden. –
Im Zweifel soll der Besitzer des Werks dessen Gefahren tragen. –
Das Maß der Zumutbarkeit geeigneter Vorkehrungen gegen den Schadenseintritt
wird nach den Umständen des konkreten Einzelfalles bestimmt. – Einer
Stadtgemeinde wird gegenüber der Allgemeinheit eine besondere Verantwortung
aufgebürdet”: EvBl 1987/192. – Zur Analogie → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung. | |
2. Verschuldenshaftung
mit Beweislastumkehr | |
§ 1319 ABGB statuiert
– anders als § 1318 ABGB – noch klar eine Verschuldenshaftung; aber
die Beweislast wird umgedreht; Beweislastumkehr. | |
Das
Besondere dieser Beweislastumkehr liegt darin, dass sie für den
Bereich deliktischer Haftung gilt. § 1298 ABGB kommt also hier nicht
zur Anwendung, zumal dort eine konkrete vertragliche oder doch gesetzliche
Beziehung im Schädigungszeitpunkt Voraussetzung ist. – Kehrt der
Gesetzgeber die normale Beweislastregel des § 1296 ABGB um, bedeutet
das nach Gschnitzer einen legistischen Schritt in Richtung Nichtverschuldenshaftung!
Dies bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung der Verschuldenshaftung.
Vgl auch § 1320 ABGB. | Beweislastumkehr |
Danach können unterschieden werden: – (Einfache) Verschuldenshaftung;
– durch Beweislastumkehr verschärfte Verschuldenshaftung
und Nichtverschuldenshaftung; dazu | |
 | Abbildung 10.14: Beweislastumkehr: § 1319 + § 1320 ABGB (in: Tierhalterhaftung) |
|
3. Dachlawinen
und Eiszapfen | |
Schäden durch Dachlawinen,
Schnee oder Eiszapfen werden von der Judikatur dann unter § 1319 ABGB
subsumiert, wenn mit der Dachlawine zB auch Dachziegel oder eine
Dachrinne – also Gebäudeteile – mitgerissen werden. Ist das nicht
der Fall, bleibt es bei der schlichten (Delikts)Haftung nach § 93
StVO. Worin liegt der Unterschied? – Die StVO kennt keine Beweislastumkehr! | |
Diese Abgrenzung ist nach der
Rspr nicht immer einfach! – Sich ablösende Gesimsteile oder Verputz,
Dachziegel und Schnee fallen jedenfalls unter § 1319 ABGB; § 1318
ABGB dagegen wird angewandt, wenn zB ein Fensterflügel oder ein
Geschäftsschild gefährlich aufgehängt oder aufgestellt war und dadurch
Schaden entsteht; zB weil ein Föhnsturm ein Gasthausschild herunterreißt. | Abgrenzung
des
§ 1319 von § 1318 ABGB |
Dieser Bestimmung der
StVO kommt hier der Charakter eines Schutzgesetzes
iSd § 1311 ABGB zu. Schutzgesetze sind Normen, deren Zweck darin
liegt, Beschädigungen verschiedenster Art zu verhindern, indem von
ihnen ein bestimmtes Verhalten – Handeln oder Unterlassen – gefordert wird.
Sie dienen der allgemeinen Sicherheit. Die Haftung ist eine deliktische. | § 93 StVO als
Schutzgesetz |
 | |
| Beweislast bei
Schutzgesetzverletzung |
§ 1298 ABGB (genau lesen): „Wer vorgibt, dass
er an der Erfüllung seiner … gesetzlichen Verbindlichkeit ohne sein
Verschulden verhindert worden sei, …” | |
|
§ 93 StVO | |
(1) Die Eigentümer von Liegenschaften in Ortsgebieten,
ausgenommen die Eigentümer von unverbauten land- und forstwirtschaftlichen
Liegenschaften, haben dafür zu sorgen, dass die entlang der Liegenschaft in
einer Entfernung von nicht mehr als 3 m vorhandenen, dem öffentlichen
Verkehr dienenden Gehsteige und Gehwege einschließlich der in ihrem
Zuge befindlichen Stiegenanlagen entlang der ganzen Liegenschaft
in der Zeit von 6 bis 22 Uhr von Schnee und Verunreinigungen sowie
bei Schnee und Glatteis bestreut sind.
Ist ein Gehsteig (Gehweg) nicht vorhanden, so ist der Straßenrand
in der Breite von 1 m zu säubern und zu bestreuen .... (2) Die in
Abs 1 genannten Personen haben ferner dafür zu sorgen, dass Schneewächten oder Eisbildungen von
den Dächern ihrer an der Straße gelegenen Gebäude bzw Verkaufshütten
entfernt werden. (3) Durch die in den Abs 1 und 2 genannten Verrichtungen
dürfen Straßenbenützer nicht gefährdet oder behindert werden; wenn
nötig, sind die gefährdeten Straßenstellen abzuschranken oder
sonst in geeigneter Weise zu kennzeichnen ....” | |
|
| Verkehrssicherungs- und Ingerenzpflichten |
 | Abbildung 10.15: Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (1) |
|
 | Abbildung 10.16: Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (2) |
|
 | Abbildung 10.17: Haftung für (Bau)Werke: § 1319 ABGB (3) |
|
VII. Die
Wegehalterhaftung des § 1319a ABGB | |
| |
Die Haftung für den Zustand eines Weges ist erst spät, nämlich
1975 (mit BGBl 416) ins ABGB aufgenommen worden; dazu → Hintergründe
der neuen Haftungsbestimmung.
Es handelt sich um einen Sonderfall der Verletzung allgemeiner Verkehrssicherungspflichten. | |
Wege iSd Gesetzesbestimmung
sind zB: Autobahnen, Bundesstraßen, Rad- oder Gehwege, Rodelbahnen,
Schipisten, Langlaufloipen ( → KAPITEL 11: Der
¿erste¿ Fall:
Langlaufunfall), Klettersteige (SZ 60/189 [1987]: Alpine Vereine
haften für den mangelhaften Zustand von Seilsicherungen), Wanderwege
etc.
| Wege
iSd
Gesetzesbestimmung |
§
1319a Abs 2 ABGB bringt eine bewusst weite Legaldefinition des „Weges
im Sinne des Abs 1”. | Legaldefinition |
Der Begriff des Wegehalters stimmt inhaltlich
mit dem des Tier- (§ 1320 → Die
Tierhalterhaftung)
und Kfz-Halters (§ 5 EKHG → KAPITEL 9: Das
EKHG als Beispiel)
überein. Halter eines Weges ist danach, wer die Kosten für seine
Errichtung und Erhaltung trägt sowie die tatsächliche Verfügungsmacht
besitzt, solche Maßnahmen zu setzen, wobei Errichtung und Erhaltung
genügen. Auch hier kommt dem Eigentum am Weg keine ausschließliche
und selbständige Bedeutung zu. | |
Unsere
Gesetzesstelle statuiert eine Deliktshaftung und gilt daher nicht
für vertraglich übernommene Wegehalterpflichten;
vgl SZ 59/112 (1986) oder SZ 67/40 (1994). Für vertragliche Wegehalterpflichten
gilt daher nicht die Haftungsbeschränkung des § 1319a Abs 1 ABGB
auf grobe Fahrlässigkeit. Hier wird vielmehr schon ab leichter Fahrlässigkeit
gehaftet. Das gilt bspw für Mautstraßen (SZ 62/145 [1989]), bestimmte
Schiabfahrten oder Rodelbahnen iVm einem sog Lift- oder Schipass
/ Liftbeförderungsvertrag (ZVR 1998/88) und seit der Vignettenregelung
auf Autobahnen für diese; in diesen Fällen gilt auch die
Beweislastumkehr des § 1298 ABGB: OGH 22. 2. 2001, 2 Ob 33/01v,
JBl 2001, 453 = EvBl 2001/124. | |
Auch die cic-Haftung für vorvertragliche Schutzpflichten
greift ab leichter Fahrlässigkeit (omnis culpa-Haftung) → KAPITEL 6: Cic
ist eine Verschuldenshaftung:
Vgl SZ 52/135 (1979). Das gilt etwa für Gasthäuser, Tankstellen,
Lifte, ganz allgemein Unternehmen ohne Rücksicht auf das Zustandekommen
eines Vertrags; SZ 52/135 (1979). Die Verkehrssicherungspflichten
(nach cic) überlagern demnach die Wegehalterhaftung des § 1319a
ABGB; vgl im Anschluss die Rspr-Beispiele: SZ 53/169 (1980) – Flughafen
Graz-Thalerhof. | |
Nach 1319a ABGB gilt die Beweislastregel
des § 1296 und nicht die des § 1298 ABGB. Es besteht demnach
ein Unterschied zu § 1319 ABGB mit seiner gesetzlichen Beweislastumkehr! | Beweislastregel des
§ 1296 ABGB |
Schon der Codex Theresianus kannte
eine Wegehalterhaftung. Sie gelangte vielleicht von dort ins ALR
(?): vgl II 15 §§ 11 und 12 ALR. | |
Abs 3 unserer Bestimmung
stellt klar, dass das in Abs 1 angeordnete Herabsetzen der Verschuldensvoraussetzungen
auf wenigstens grobe Fahrlässigkeit auch für Gehilfen
– die ”Leute des Haftpflichtigen” – gilt. | Haftung ab grober
Fahrlässigkeit |
Diese
sog Leutehaftung beinhaltet eine eigene – deutlich
über § 1315 ABGB hinausgehende – deliktische Haftung für fremdes
Verschulden. – Der „Leutebegriff” reicht nach der Rspr auch über Dienstnehmer
hinaus. Gefordert wird jedoch ein gewisses Naheverhältnis, das es
ermöglicht, nötige Anordnungen durchzusetzen. – Nicht erfasst vom
„Leutebegriff” sind aber selbständige Unternehmer (mit eigenem Organisations-
und Verantwortungsbereich); EvBl 1981/231. Werden die Aufgaben des
Wegehalters durch einen selbständigen Unternehmer besorgt, haftet
der Wegehalter nur bei Vorliegen eigenen Verschuldens; so bei unsorgfältiger
Auswahl des Unternehmers (culpa in eligendo) oder Verletzung einer
besonderen Überwachungspflicht; ZVR 1988/128. | Leutehaftung |
Die Tatbestandsvoraussetzungen werden in Abs 1 wie folgt
umschrieben – Tatbestand: | Tatbestandsvoraussetzungen
und Rechtsfolge |
• Durch den „mangelhaften
Zustand eines Weges”, | |
• wird „ein Mensch getötet,
an seinem Körper oder an seiner Gesundheit
verletzt
| |
• oder eine Sache beschädigt”
(Tatbestand). | |
Rechtsfolge:
Unter solchen Voraussetzungen | |
• ”haftet derjenige
für den Ersatz des Schadens, der für den ordnungsgemäßen
Zustand des Weges
als Halter verantwortlich ist“. | |
• Dies allerdings unter der Einschränkung, dass
„er oder einer seiner Leute den Mangel vorsätzlich oder grobfahrlässig verschuldet
hat.” | |
Bei unerlaubter,
insbesondere widmungswidriger
Benutzung des
Weges (zB Abschrankung, Fahrverbotszeichen) besteht keine Haftung;
§ 1319 Abs 1 Satz 2 ABGB. | Unerlaubte,
insbesondere widmungswidrige Benutzung |
|
SZ 62/145 (1989): Die Brenner
Autobahn AG haftet gleich einem damit beauftragten selbständigen Unternehmen
für die nicht ausreichende Bestreuung der Fahrbahn dieser Autobahn
bei Glatteis. | |
|
|
SZ 63/58 (1990):
Der Pistenhalter ist nicht verpflichtet, Sicherungsmaßnahmen
gegen jene besonderen Gefahren zu ergreifen, die aus dem Einfahren
vom freien Gelände in eine Schipiste entstehen.
(? Zu allgemein!) | |
|
|
EvBl 1992/124 (Zusammenstoß eines
Pkw mit einem die Inntalautobahn querenden Hirsch):
Die Haftung für den Zustand des Weges iSd § 1319a ABGB ist als Haftung
für die Verkehrssicherheit im weitesten Sinn zu verstehen. Dazu
gehören auch die zur Vermeidung von Wildunfällen erforderlichen
Maßnahmen. – Es sind (im Rahmen des Zumutbaren) zB Wildzäune udgl
zu errichten; allenfalls Beschilderung. | |
|
|
Abgelehnt wird
vom OGH eine Haftung nach § 1319a ABGB in SZ
53/169 (1980)
→ KAPITEL 9: Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.
– Fluggast stürzt am Flughafen Graz–Thalerhof auf
dem Weg zum Flugzeug wegen Eisglätte (?). – Lernen lässt sich aus
dieser E, dass ein „Weg” iSd § 1319a ABGB auch eine (Weg)Fläche sein
kann. Die E zeigt uns, dass vertragliche Verkehrssicherungspflichten
§ 1319a ABGB überlagern können. Die cic-Haftung greift aber schon
ab leichter Fahrlässigkeit. | |
|
|
ZVR 1998/24: Analoge Anwendung
des § 1319a ABGB auf einen Baumeister für den ordnungsgemäßen Zustand
einer Baustelle. | |
|
|
OGH 3. 4. 2001, 4 Ob 72/01v, EvBl 2001/183:
Zwölfjähriger Bub stolpert auf einem 1,5 bis 2
m breiten asphaltierten Weg über eine Erhöhung
von 10 cm, die durch eine in den Weg hineingewachsene Wurzel bedingt
war und verletzt sich schwer; Augenverletzung. – OGH: Da dieser
gefährliche Zustand schon lange bestand, nimmt der OGH grobe Fahrlässigkeit
an und bejaht die Haftung des Wegehalters iSd § 1319a ABGB. | |
|
Wie
würden Sie folgenden Sachverhalt lösen? – Kind durch Felssturz auf
Auto getötet. Ein Felssturz auf die Bundesstraße
311 bei Bischofshofen forderte Freitag Vormittag ein Todesopfer
und drei Schwerverletzte. Auf der Umfahrungsstraße wurde der Wagen
einer deutschen Urlauberfamilie von plötzlich herabstürzenden Gesteinsmassen
völlig zerstört. Ein 12-jähriges Mädchen wurde im Fahrzeug getötet,
Vater, Mutter und Bruder des Todesopfers wurden schwer verletzt.
Der mächtige Gesteinsbrocken demolierte noch ein zweites Auto, dessen
Insassen blieben jedoch unverletzt. Zu dem Felssturz dürfte es durch
Forstarbeiten und Gewitterregen oberhalb der Unglücksstelle gekommen
sein. (Der Standard, 13./14./15.8.1994) – Vgl etwa EvBl 1979/6 und
ZVR 1996/12. | |
 | |
2. Hintergründe
der neuen Haftungsbestimmung | |
§ 1319a ABGB wurde erst 1975 (BGBl 416) geschaffen.
Er enthält eine Ausnahme vom allgemeinen Schadenersatzrecht, weil
er das Verschulden „höher” ansetzt und Wegehalter erst ab grober
Fahrlässigkeit haften lässt. – Das erwies sich als rechtspolitisch
notwendig, weil viele Wegehalter die Haftung ab leichter Fahrlässigkeit
als zu hart empfanden und deshalb drohten, ihre Güter-, Forst- und
Bringungswege für die allgemeine Benützung zu sperren. Das konnte
sich aber ein Fremdenverkehrsland wie Österreich nicht leisten.
– Das ausnahmsweise Abgehen vom allgemeinen Haftungsmaßstab des
leichten Verschuldens dient demnach als Anreiz für Wegehalter, ihre
Wege auch dann offen zu halten, wenn ihre Instandhaltung schwierig
ist. Das ist in einem Wald- und Gebirgsland wie Österreich häufig
der Fall. Hier wurde ein sinnvoller rechtspolitischer Kompromiss
erzielt. | |
VIII. Die
Tierhalterhaftung | |
Die
Haftung für Tiere beschäftigte seit alters her die Gesetzgeber.
Die Gesetzgebung Solons kannte ebenso schon eine Regelung wie das
römische XII-Tafelgesetz. – § 1320 ABGB regelt das Maß der erforderlichen
Aufsicht und Verwahrung von Tieren. Dabei ist immer von den Umständen
des Einzelfalls auszugehen; EvBl 1982/43: Gefährlichkeit des Tieres,
spezifisches Tierverhalten, Abwägung der Interessen. – Nach dem
Gesetz haftet der Halter des Tieres → Wer
ist Tierhalter?
| |
| |
Zeitungsmeldungen wie die folgende lesen
wir immer wieder: „Rottweiler fiel Kleinkind an. Hund war nicht angeleint,
das Kind schwebt in Lebensgefahr. Ein eineinhalbjähriger Bub aus
Oberwaltersdorf (Bezirk Baden) wurde am Mittwoch Abend vor seinem
Elternhaus von einem Rottweiler beinahe zu Tode gebissen. Der Besitzer
des Hundes, …, war mit dem Rottweiler und einer Tiroler Bracke in
der Nähe des Oberwaltersdorfer Schlosses spazieren gegangen. Seine
beiden Tiere hatte er nicht an der Leine. – Der kleine Dominic K.
lief zu den Tieren hin, stolperte dabei aber und fing zu weinen
an. Daraufhin stürzte sich der Hund auf das Kind und verbiss sich
vor den Augen des Vaters von Dominic in dessen Hinterkopf. Dabei
brach die Schädeldecke des Buben, außerdem wurde sein Kleinhirn verletzt.
Mit dem Notarzthubschrauber wurde das Kind in das Wiener AKH geflogen
und sofort operiert. Trotzdem schwebt Dominic nach Auskunft der
Ärzte noch immer in Lebensgefahr. – Der tragische Fall ist nach
Ansicht des Österreichischen Rottweiler Klub (ÖRK) alleine auf die
Schuld des Halters zurückzuführen. ‘An sich haben Rottweiler eine
hohe Reizschwelle. Ich glaube, dass der Hund das Kind nur beschützen
wollte, und es deshalb zu dem Unfall kam’, so Gabriele W. vom ÖRK.
‘Bissunfälle können nur verhindert werden, wenn die Tiere ordnungsgemäß
angeleint sind.’ …” Aus: Der Standard, 26.7.1996, S. 6. | Rottweiler fiel
Kleinkind an… |
Weitere gravierende Fälle in und außerhalb Österreichs haben
zu einer Novellierung des StGB geführt: Mit BGBl I Nr 130/2001 wurde
dem § 81 Abs 1 eine neue Z 3 angefügt: | |
„Wer fahrlässig den Tod eines Menschen herbeiführt,
dadurch, dass er, wenn auch nur fahrlässig, ein gefährliches Tier
entgegen einer Rechtsvorschrift oder einem behördlichen Auftrag
[Bescheid der BH, wenn schon ein Vorfall, Beschilderung der Gemeinde
– Hunde an die Leine] hält, verwahrt oder führt, ist mit Freiheitsstrafe
bis 3 Jahren zu bestrafen.” | |
Überlege:
– Enthält auch § 1320 ABGB – wie § 1319 ABGB – eine Umkehr der Beweislast?
Statuiert dieser Paragraph eine Verschuldens- oder eine Nichtverschuldenshaftung? | |
| |
Tierhalter ist: Wer die tatsächliche Herrschaft über
das Verhalten des Tieres ausübt und im eigenen Namen darüber entscheidet,
wie ein Tier zu verwahren und zu beaufsichtigen ist; ZVR 1964/201
oder SZ 26/121 (1953). Es kommt dabei nicht auf die rechtliche Beziehung
zum Tier an: | |
• die Eigentumsverhältnisse (allein)
sind daher nicht entscheidend; EvBl 1986/111. | |
• Mehrere Miteigentümer einer Liegenschaft sind
zB Mithalter eines Hundes zur Bewachung der Liegenschaft;
SZ 55/62 (1982). | |
• Auch der Entlehner
eines
Reitpferds wird
Halter und haftet nach § 1320; ZVR 1973/157. | |
Als
Auslegungsmaxime hat – wie von der Rspr zu Recht auch bei § 1309
ABGB herausgestellt – zu gelten: Die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht
des Tierhalters muss zwar ernst genommen, darf aber nicht überspannt
werden; vgl SZ 65/106 (1992) und SZ 69/264 (1996). | |
|
EvBl 1982/43: 4-jähriger Bub wird
im Gastgarten eines Berggasthauses vom Hund des beklagten Gastwirts,
einer deutsche Dogge, ins Gesicht gebissen → Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10:
„Fälle”. | |
|
|
ZVR 1977/80 [1976]: Kühe
weiden neben der Straße. – Die Verwahrung eines Tieres
in unmittelbarer Nähe einer stark frequentierten Straße muss besonders
sorgfältig erfolgen. Ein selbst nach altem Herkommen üblicher unbeaufsichtigter
Weidegang von Tieren auf einer uneingefriedeten Fläche, an die eine dem
öffentlichen Verkehr dienende Straße unmittelbar angrenzt, muss
als Verstoß gegen die Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht angesehen
werden. Die Aufstellung eines Gefahrenzeichens „Achtung Tiere“
reicht nicht aus, um eine geeignete Aufsicht des Weideviehs auf
nicht abgezäunten Grundstücken zu ersetzen. (Ein solches Gefahrenzeichen
kann aber zur Annahme von Mitverschulden führen.) | |
|
|
ZVR
1977/59: Warntafel „Bissiger Hund”
allein genügt nicht. Das Übersehen eines solchen Hinweises stellt
aber ein Mitverschulden dar. | |
|
|
SZ
69/264 (1996): Wird eine Rassehündin von
einem (Mischlings)Rüden ohne Wissen und Willen
der Halter gedeckt, liegt in der dadurch bewirkten Einschränkung
der Nutzbarkeit der Hündin zu Zuchtzwecken eine nach § 1320 ABGB
zu beurteilende Sachbeschädigung vor, welche auch für Folgeschäden, wie
entgangenen Gewinn und Tierarztkosten haftbar macht. )Jedoch Mitverschulden:
§ 1304 ABGB!) | |
|
|
EvBl 1987/106: Hat ein scharfer Hund
die Neigung, Radfahrern nachzulaufen, verletzt sein Halter
die Verwahrungspflicht, wenn er das Tier in Fahrbahnrichtung einen
Ball apportieren lässt. | |
|
|
EvBl 1967/451: Für nicht bösartige
Tiere besteht in Haus und Hof grundsätzlich volle
Bewegungsfreiheit. | |
|
|
SZ
41/161 (1968): Liegt ein Haus nahe an einer
vielbefahrenen Straße, ist der Hühnerhalter verpflichtet, die
Hühner von der Straße fernzuhalten. | |
|
|
EvBl 1982/43: Ein Tierhalter
haftet auch für seine Gehilfen nach §
1313a ABGB; Analogie zu § 19 Abs 2 EKHG. Er haftet dann nicht nur
nach § 1315 ABGB. | |
|
|
ZVR
1986, 115: Der Betreiber eines
Wildparks haftet aber nicht nach § 1320 ABGB, wenn ein
Damhirsch nur deshalb aus der sicheren Umzäunung ausbrechen kann
und in der Folge auf der nahen Bundesstraße mit einem Pkw zusammenstößt,
weil ein Unbekannter das Gehege mit einer Drahtschere aufgeschnitten
hat. | |
|
3. Welche Haftung
statuiert § 1320 ABGB? | |
Die Meinungen zur
Haftung des § 1320 ABGB gehen weit auseinander. OGH (vgl etwa EvBl
1982/43 → Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10 oder SZ 69/162 [1996]) und Schrifttum liegen
überwiegend falsch. Es handelt sich nämlich nachweislich seit 1812
um eine Verschuldenshaftung. Die III. TN, die nur
geringfügige Änderungen brachte, änderte daran nichts. – Am besten
ist es, eine objektivierte Verschuldenshaftung (iSd § 1299 ABGB)
mit statuierter Beweislastumkehr anzunehmen. | |
 | |
Die ABGB-Textierung bedeutet
wiederum gegenüber den Vorstufen der Kodifikationsgeschichte keinen
legistischen Gewinn: § 1320 ABGB ~ Martinis Entwurf III 13 § 47
= (W)GGB III 13 § 457. Zeiller übernimmt fast wörtlich den Text
des (W)GGB. Martinis Entwurf und der (W)GGB-Text sind aber noch
klarer hinsichtlich anderer Schäden als jener, die von (Körper)Verletzungen
durch Tiere herrühren, zumal der Passus „ ... oder Schaden zugefügt” gestrichen
wurde; vgl Kasten. –
Vgl auch schon Hortens Entwurf III 23 §§ 12 ff, 30, der bereits
die Grundgedanken der späteren Regelung enthält. – Die österreichischen
Vorentwürfe, einschließlich (W)GGB, kennen aber den Begriff des
Tierhalters noch nicht; vgl damit aber ALR I 6
§ 72, wo von dem gesprochen wird, der „Thiere hält”. Das ALR statuiert
übrigens für bestimmte Tiere eine Erfolgs- oder Verursachungshaftung;
vgl I 6 § 70 oder § 72. Generell hatte nur Art 1385 Code Civil diesen
Weg eingeschlagen. | Vorstufen des ABGB, ABGB-Textierung
und Rechtsvergleich |
Textvarianten des späteren § 1320 ABGB III 13 Entwurf Martini | III 13 WGGB | ABGB von 1811 | ABGB III TN |
§ 47
„Wird Jemanden durch
ein Thier Verletzung oder Schaden zugefügt, so ist Derjenige, der
es dazu angetrieben, gereizt, gehetzt oder zu verwahren vernachlässiget
hat, dafür verantwortlich; kann Niemand eines Verschuldens überwiesen werden,
so ist die Verletzung oder Beschädigung für einen blosen Zufall anzusehen.”
| § 457 „Wird Jemand durch ein Thier verletzt,
oder beschädigt; so ist derjenige dafür verantwortlich, der es dazu
angetrieben, gereitzt, oder zu verwahren vernachläßigt hat. Kann Niemand
eines Verschuldens dieser Art überwiesen werden; so wird die Verletzung
oder Beschädigung für einen Zufall gehalten.”
|
§ 1320
„Wird jemand durch
ein Thier beschädiget; so ist derjenige dafür verantwortlich, der
es dazu angetrieben, gereitzt, oder zu verwahren vernachlässiget hat.
Kann Niemand eines Verschuldens dieser Art überwiesen werden; so wird
die Beschädigung für einen Zufall gehalten.”
|
§1320
„Wird jemand durch
eine Tier beschädigt, so ist derjenige dafür verantwortlich, der
es dazu angetrieben, gereizt oder zu verwahren vernachlässigt hat.
Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht
beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung oder Beaufsichtigung
gesorgt hatte.”
|
| |
Dieser Begriff wurde ins ABGB erst – über
den Umweg von § 833 dtBGB – durch die III. Teilnovelle
eingeführt, obwohl der CodTher III 22 Num 31 bereits anschaulich
vom „Herr[n] des Viehs” spricht. | |
Die Situierung unserer Bestimmung schon in Martinis Entwurf
im Schadenersatzrecht des 13. Hauptstücks macht deutlich, daß an
eine Verschuldenshaftung gedacht war. Alles andere
ist unhistorisch und auch rechtspolitisch nicht sinnvoll. Aber wir
haben schon bei den §§ 1318, 1319 ABGB aF gehört, wie gefahrbehaftet
bestimmte – wenngleich anerkannte – Auslegungsmethoden sind; hier
vornehmlich die systematische und historische Methode. Martinis
Entwurf (III 13 § 47) konzipiert noch klar beide Sätze unserer Bestimmung
– und nicht etwa nur den ersten – als Verschuldenshaftung. Ebenso
das WGGB und das ABGB in seiner Urfassung. Martinis Entwurf kennt allerdings
die Beweislastumkehr noch nicht; ebensowenig WGGB
und ABGB aF. Sie wurde erst durch die III. Teilnovelle in den Gesetzestext
des ABGB aufgenommen. | |
Die historische Genesis dieser Bestimmung und ihre Situierung
sprechen demnach klar für eine ausschließliche Verschuldenshaftung,
wenngleich eine solche mit – im Vergleich zum Normalfall – umgekehrter
Beweislast. Nichts anderes wollte auch die III. TN (S. 396): | |
„Vielmehr geht der Antrag dahin, die Haftung
für Beschädigung durch ein Tier überall (wie bisher § 1320 a.b.G.B.) nur
auf Verschulden zu basieren, ...” | |
Nicht sinnvoll ist es daher, von einer in die Form der Beweislastumkehr
gekleideten Gefährdungshaftung zu sprechen; so aber Gschnitzer (SchRBesT1 181)
und ihm folgend Reischauer (in: Rummel2 §
1320 Rz 21), die zusätzlich aus der „Idee der Gefährdehaftung der
Materialien der III. TN (S. 396), eine Gefährdungshaftung
machen, was nicht dasselbe ist. (Die Formulierung Gschnitzers beruht
uU auf einem Schreibfehler und sollte wohl richtig heißen: Verschuldenshaftung
mit umgekehrter Beweislast; vgl nur die Erklärung Gschnitzers, aaO
146.) | |
 | Abbildung 10.18: Beweislastumkehr: § 1319 + § 1320 ABGB |
|
4. Weiterentwicklung
des Halterbegriffs | |
Ausgehend von der Tierhalterhaftung
des § 1320 ABGB wurde der heute so wichtige „Halter”-Begriff auf
die Eisenbahn-, Kraftfahrzeug- und Luftfahrzeughaftpflicht etc und
in der Folge auf Wegehalter (§ 1319a ABGB) übertragen; vgl aber
auch schon § 1318 ABGB: „Wohnungsinhaber” und § 1319 ABGB: „Besitzer
des Gebäudes oder Werkes”. | |
Der Halterbegriff
spielt heute vor allem in der Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung
(EKHG) eine bedeutende Rolle: Der rechtliche Kfz-Halterbegriff stellt
– wie der des § 1320 ABGB – nicht etwa darauf ab, wem ein Kraftfahrzeug
gehört (iSv Eigentum); vielmehr wird – ähnlich wie beim Besitz (was
schon die Tierhalterhaftung tut) – auf eine bestimmte tatsächliche
Beziehung (zum Kraftfahrzeug) abgestellt. | Halterbegriff
und
Kfz-Haftpflicht |
Halter ist nach der Rspr, wer zB ein Kraftfahrzeug: | |
•
wirtschaftlich auf eigene
Rechnung gebraucht und | |
• darüber tatsächlich verfügen und | |
• über Aufsicht und Verwahrung (im
eigenen Namen) bestimmen kann. | |
Näheres zum weiterentwickelten Halterbegriff in den folgenden
Judikaturbeispielen. | |
|
JBl
1985, 551: Hat der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs,
der auch Zulassungsbesitzer und Haftpflichtversicherungsnehmer ist,
das Kraftfahrzeug einem anderen, der den Aufwand für Kraftstoffe
und Reparaturen trägt, überlassen und sich nur eine ganz ausnahmsweise
Benützung vorbehalten, so ist Halter nicht der Eigentümer, sondern
dieser andere .... Für die Beurteilung der Haltereigenschaft ist
nicht in erster Linie entscheidend, für wen das Fahrzeug
zugelassen wurde, wer Eigentümer des Fahrzeuges oder
wer Versicherungsnehmer der für das Fahrzeug abgeschlossenen Haftpflichtversicherung
war. Diese Umstände können als zusätzliche, die Bejahung der Haltereigenschaft
unterstützende Momente Bedeutung haben, wenn diese Frage im Einzelfall
zweifelhaft ist ( ...). Nach stRspr sind aber für die Beurteilung
der Haltereigenschaft die wirtschaftlichen und tatsächlichen,
nicht die rechtlichen Verhältnisse entscheidend. Danach
ist die Verfügungsgewalt über das Fahrzeug und
der Gebrauch des Fahrzeugs auf eigene Rechnung maßgebend.
Halter eines Fahrzeugs ist somit, wer darüber bestimmt, wann und
wo das Fahrzeug gefahren wird, wer die Kosten der Unterbringung,
Instandhaltung und Bedienung des Fahrzeugs sowie der Betriebsmittel
trägt. Auch mehrere Personen können gleichzeitig Halter sein, wenn
bei Würdigung der wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehung zum
Betrieb des Fahrzeugs die Merkmale, die für die Haltereigenschaft
wesentlich sind, bei mehreren Personen in so großer Zahl und so
sehr gegeben sind, dass die Belastung mit der Haftung für Betriebsunfälle
dem Wesen der gesetzlichen Haftung des Halters entspricht. Eine
Mehrheit von Haltern ist insbesondere dann anzunehmen, wenn sich
mehrere Personen die Verfügung über das Fahrzeug so teilen, dass
darin ein ständiger Wechsel gegeben ist. Es soll ein ‘geradezu schaukelhafter
Wechsel’ der Haltereigenschaft, der diesem Begriff widerspräche,
vermieden werden. – Beispiele: Lebensgefährten, Ehegatten, Freunde
/ Freundinnen. | |
|
|
ZVR
1990/88: Wer ständig die tatsächliche Verfügungsgewalt
über ein Kraftfahrzeug innehat und dieses im eigenen Interesse verwendet,
steht dazu in einem derartigen tatsächlichen und wirtschaftlichen
Naheverhältnis, dass er zumindest als Mithalter anzusehen
ist, mag auch das Kraftfahrzeug von der Ehegattin angeschafft und
erhalten worden sein und diese Zulassungsbesitzerin und Versicherungsnehmerin
sein. | |
|
|
SZ 39/99 (1966): Mithaltereigenschaft
der Ehefrau, die Miteigentümerin des Kraftfahrzeugs ist,
das auf ihren Namen polizeilich zugelassen und haftpflichtversichert
ist, obgleich ausschließlich der Mann fährt, der auch sämtliche
Kosten trägt. ( ...) Beim Zusammenstoß mit einem vom Zweitbeklagten
gelenkten Pkw, Marke Peugeot 404, wurde das Taxi der Erstklägerin
beschädigt. Unter Inanspruchnahme der Solidarhaftung der Erstbeklagten
wegen ihrer Haltereigenschaft und des Zweitbeklagten – des Ehegatten
des Erstbeklagten – als am Zusammenstoß schuldtragenden Lenkers
begehrte die Erstklägerin den Ersatz ihres Verdienstentganges (wegen
der durch die Reparatur bedingten Stehzeit), während der Zweitkläger
die ihm von der Erstklägerin zedierte Forderung auf Ersatz der Reparaturkosten
geltend macht .... Mit Lehre und Rspr ist von der bereits von den
Vorinstanzen vertretenen Ansicht auszugehen, dass Halter gemäß §
5 EKHG ist, wer das Fahrzeug zur Zeit des Schadensfalles für eigene
Rechnung in Gebrauch hat und diejenige Verfügungsgewalt darüber
besitzt, die ein solcher Gebrauch voraussetzt. Dass auch mehrere
Personen gleichzeitig nebeneinander Halter sein können, wenn auf
jeden von ihnen beide Voraussetzungen zutreffen, ist in Lehre und
Rspr unbestritten ( ...). Ein Miteigentümer kann die Verfügungsgewalt –
dieser Begriff wird in der Rspr weit ausgelegt ( ...) – über das
Fahrzeug auch dadurch ausüben, dass er den ihm auf Grund seines
Eigentumsrechts zustehenden Gebrauch einem anderen überlässt (RG
127, 176). Die Haltereigenschaft wird auch dadurch nicht ausgeschlossen,
dass ein anderer einen wesentlichen Teil der Betriebsausgaben bestreitet
( ...). Es entspricht einer lebensnahen Betrachtung, anzunehmen,
dass ein Gattenteil, für den ein in seinem Miteigentum stehendes
Kraftfahrzeug zugelassen ist und der – wie hier – als Vertragspartner
des Haftpflichtversicherers in Erscheinung tritt, dieses Fahrzeug,
und sei es auch nur etwa fallweise, zu Vergnügungs- oder Bequemlichkeitsfahrten
benützt. Sollte aber im speziellen Fall aus nicht festgestellten
Gründen die Erstbeklagte davon absehen, ihre Rechte an dem Fahrzeug
wirklich praktisch auszuüben, so ist sie gleichwohl als Mithalterin
anzusehen, weil auf Grund der vorliegenden Tatsachenfeststellungen
davon auszugehen ist, dass sie sowohl die (auf das Miteigentum gegründete)
rechtliche als auch die (durch die Überlassung an den Zweitbeklagten
ausgeübte) tatsächliche Verfügungsgewalt über das Fahrzeug hat (
...). | |
|
5. Die historische
Tierhalterhaftung als Entwicklungsmodell der modernen Gefährdungshaftung? | |
Das Verhalten von Tieren ist oft unberechenbar. Das weiß
man seit langem. Schon die Griechen und Römer regeln diese Fragen
rechtlich. – Nicht voll beherrschbare Techniken und Organisationsformen
am Beispiel des rechtlichen Einstehensmüssens (= Haftung) für Tiere
zu entwickeln, war daher durchaus konsequent aber – dennoch – originell
gedacht. Die Idee stammt aber nicht von Juristen, sondern aus der
Philosophie. – Wenn der Schein nicht trügt, war es G. W. F. Hegel,
der das gedanklich-konstruktive missing link vom einen zum anderen
Bereich lieferte. – Ich habe mich dazu vor gut 20 Jahren in meiner
Habilitationsschrift „Kausalität im Sozialrecht” (234 f, 1983) geäußert. | |
 | Abbildung .19: Entwicklung der Gefährdungshaftung (1) – (10) |
|
| |
„Von Bedeutung erscheint Hegel aber – auch
das interessiert hier – nicht nur für den Bereich des Kausalitätsdenkens [ieS].
In § 116 seiner Rechtsphilosophie entsteht so etwas wie das Ur-Konzept
einer juristischen Gefährdungshaftung; und zwar in seiner Formulierung
fast schon losgelöst von den auch noch auf Hegel einwirkenden gemein-
bzw römischrechtlichen Wurzeln; darauf weist auch Benöhr, FS Kaser
699 f, hin: | |
§ 116: „Meine eigene Tat ist es zwar nicht, wenn Dinge,
deren Eigentümer ich bin und die als äußerliche in mannigfaltigem
Zusammenhange stehen und wirken (wie es auch mit mir selbst als
mechanischem Körper oder als Lebendigem der Fall sein kann), andern
dadurch Schaden verursachen. Dieser fällt mir aber mehr oder weniger
zur Last, weil jene Dinge überhaupt die meinigen, jedoch auch nach
ihrer eigentümlichen Natur nur mehr oder weniger meiner Herrschaft,
Aufmerksamkeit usf. unterworfen sind.” | |
Diese
Gedanken auf eine Eisenbahnanlage oder ein Industrieunternehmen zu
beziehen, fällt nicht schwer. – In den Notizen verweist Hegel noch
auf Heineccius’ „Elementa Iuris Civilis”: §§ 1235, 1229: actio de
pauperie. Im Zusammenhang mit dem bei Hegel in noch recht allgemeiner
Form auftauchenden Gedanken (gefährdungs)haftungsrechtlicher Zurechnung
ist auch auf die seiner Lehre vom Unrecht (§§ 82 ff) zugrunde liegende Unterscheidung
von „unbefangenem” und „schuldhaftem” Unrecht hinzuweisen. [Es ist
wohl kein Zufall, wenn 1870 der Hegelianer Moriz Heyssler (Prof.
der Wiener Universität), ganz gegen die damals hL (Ihering, Merkel),
in seinem Werk: „Das Civilunrecht und seine Formen”, unter Hinweis
auf diese Unterscheidung Hegels (aaO 13) streng zwischen verschuldetem
und nicht verschuldetem „Civilunrecht” unterscheidet; zB aaO 15
und 16: „Nach der hier (in Uebereinstimmung mit der Vulgartheorie)
vertretenen Auffassung … gehört das Schuldmoment nicht zum Begriff
des Civilunrechts; es hat im Civilunrecht keine constitutive, sondern
nur eine qualificierende Bedeutung.” (Hinweis auf Heyssler bei Gerhard
Oberkofler, FS Hellbling 625). Civil- und Strafunrecht sondern sich
nur allmählich stärker voneinander ab. (Nichtjuristen ist der Unterschied
noch heute fremd!) Insofern überrascht es nicht, dass sich kausaltheoretisch
verhältnismäßig lange gemeinsame (Kausal)Zurechnungsüberlegungen
halten konnten.] 1821 erscheint Hegels Rechtsphilosophie. 1833 gibt
Gans Hegels Werk erneut heraus. 1838 findet der Gedanke der Gefährdungshaftung
erstmals im PreußEisbG – das unter Umständen sogar von Savigny (?)
überarbeitet wurde, somit in einem Zeitalter keimender Industrialisierung
höchst wichtigen Bereich, legistischen Niederschlag. Eine monokausale
Erklärung soll damit aber nicht gegeben werden; vgl die Ausführungen
zu § 1334 ABGB. [Ob ein Einfluss Hegels auf Savignys praktisches
Wirken vorlag oder nicht, muss hier dahingestellt bleiben. Diese Frage
bedarf – trotz scheinbar negativer Antworten durch Larenz und Wieacker
(PRG2 414 f; vgl jedoch die zahlreichen,
zumindest einen möglichen Einfluss Hegels nicht ausschließenden
Belege Wieackers 349 ff) – erneuter Behandlung. Diese ablehnenden
Ansichten scheinen mir zu sehr an der Hegelschen Begriffsbildung
orientiert, weniger am materiellen Substrat Hegelschen Denkens.
Wieacker weist aber bspw selbst darauf hin (PRG2 357
FN 38, S. 358), dass die älteste Fundstelle für Savignys wichtigen
Begriff des Volksgeistes, Hegels Schrift „Volksreligion und Christentum”
(1793) sei; vgl Nohl 21 und Landsberg 213 ff, FN 66 ff; anders Coing,
NJW 1979, 2021 bei FN 16.] | |
Neben römisch- und gemeinrechtlicher Doktrin trägt auch naturrechtliches
Denken zur Entwicklung der Grundlagen der Gefährdungshaftung
bei. Es war vor allem K. A. v. Martini, der das Recht Geschädigter
auf (Schaden)Ersatz primär nicht auf das Verschulden, sondern das
„Vertheidigungsrecht” des Geschädigten stützte. Dazu meine Ausführungen
in: Barta/Palme/ Ingenhaeff (Hg),
Naturrecht und Privatrechtskodifikation (1999) Vgl idF auch Zeiller,
Commentar III 729. | |
Die geistige Ahnenreihe des nunmehr im
öffentlichen Recht so starken Anklang findenden Kausalkonzepts der ArbeiterUV,
ja juristischen Kausalitätsdenkens überhaupt, erscheint lang. Genealogisch
verkürzende Zuweisungen an diesen oder jenen späteren Autor nehmen
sich vor diesem breiten historischen Hintergrund noch problematischer aus.
Dem arbeiter-uv-rechtlichen war das zivilrechtliche RHG-Konzept
vorgelagert, welches wiederum strafrechtliche Wurzeln besitzt. Das
Strafrecht offenbart in dieser Frühzeit juristischen Kausalitätsdenkens
große innovatorische Kraft. Allein auch das Strafrecht saugt nicht
nur aus eigenen Wurzeln, zehrt vielmehr in bisher noch zu wenig beachtetem
und untersuchtem Maße aus dem Mutterboden damaligen Denkens: der
Philosophie. Die Verbindung von Strafrecht und Philosophie erscheint
ja noch heute enger, als jene von Zivilrecht und Philosophie. Zivilisten waren
und sind idR keine Philosophen. Ihr Denken bewegt sich – meist ohne
sachlichen Zwang – in enger Bahn. Es erstaunt allerdings wie wenig
Juristen bereit sind, diese, ihre genetische Linie aufzudecken. | |
Erste Ansätze eines Loslösens der Haftung vom Verschulden
eines Schädigers finden sich aber schon bei Aristoteles,
Nikomachische Ethik V 10, 1135a. | |
6. Tatbestandsvoraussetzungen
des § 1320 ABGB | |
Wird jemand durch ein Tier verletzt, was auch bedeuten kann,
dass fremdes Vermögen beschädigt wird, so ist primär derjenige dafür
verantwortlich, | |
• „der es dazu
angetrieben” oder „gereizt” hat; | |
• und erst in zweiter Linie der, der das Tier
„zu verwahren vernachlässigt hat”. | |
Der zweite Satz unserer Bestimmung enthält die Umkehr der
Beweislast: | |
„Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich,
wenn er nicht beweist, dass er für die erforderliche Verwahrung
oder Beaufsichtigung gesorgt hatte.” | |
|
OGH 30. 4. 2002, 1 Ob 57/02t, EvBl 2002/175:
2 Hundebesitzerinnen lassen ihre Hunde (Riesenschnautzerhündin und Dobermannweibchen)
im Park einer Wohnhausanlage umhertollen und unterhalten sich miteinander.
Als die spielenden Hunde an das rechte Bein einer Hundehalterin
geraten, verletzen sie diese schwer am Knie. Die Verletzte klagt
idF die zweite Hundehalterin auf Schadenersatz wegen Vernachlässigung
der Aufsichtspflicht nach § 1320 ABGB. – OGH: Lassen Hundehalter
ihre an sich gutmütigen Hunde im gegenseitigen Einverständnis frei
laufen, um ihnen einerseits den Auslauf und andrerseits das Umhertollen
miteinander zu ermöglichen, kann dem einen Halter keine schuldhafte
Vernachlässigung seiner Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht
vorgeworfen werden, wenn der andere bei einem Zusammenstoß mit den
spielenden Hunden verletzt wird. | |
|
 | Abbildung .20: Tierhalterhaftung: § 1320 ABGB (1) + (2) |
|
 | Abbildung 10.21: Begriff des Tierhalters (1) |
|
 | Abbildung 10.22: Begriff des Tierhalters (2) |
|
IX. Zivilrechtlicher
Schutz der Ehre und des wirtschaftlichen Rufes:
§ 1330 ABGB | |
Oben wurde
auf den Schadensbegriff und die Schadensarten eingegangen ( → KAPITEL 9: Schadensbegriff,
Schadensarten, Schadensfeststellung)
und dabei die Verletzung der Ehre als Personen-, Nichtvermögens-
oder immaterieller Schaden bezeichnet. – § 1330 ABGB enthält in
seinem Abs 1 einen Tatbestand zum Schutz der persönlichen Ehre (Personenschaden);
Abs 2 dagegen kann nicht mehr ausschließlich als Personenschadensnorm
verstanden werden, vielmehr bestehen hier bereits Übergänge zum Vermögensschaden.
Die Einfügung durch die III. TN hat die klare Unterscheidung des
ABGB (das den Vermögensschaden im anschließenden § 1331 ABGB geregelt
hatte) verwischt, sodass heute zu sagen ist: Die Grenze zwischen
Personen- und Vermögensschaden verläuft mitten durch § 1330 ABGB
hindurch. | |
1. Die zivilrechtliche
Ehrenbeleidigung | |
Abs 1: „Wenn jemand
durch Ehrenbeleidigung ein wirklicher Schade oder Entgang des Gewinnes
verursacht worden ist, so ist er berechtigt, den Ersatz zu fordern.” | |
Auch für das Zivilrecht
ist die Ehre ein schützenswertes Rechtsgut, mag auch der strafrechtliche Schutz
bekannter und mitunter effizienter sein; vgl §§ 111 ff StGB: | §§ 111 ff StGB |
(1) Wer einen anderen in einer für einen
Dritten wahrnehmbaren Weise einer verächtlichen Eigenschaft oder Gesinnung
zeiht oder eines unehrenhaften Verhaltens oder eines gegen die guten
Sitten verstoßenden Verhaltens beschuldigt, das geeignet ist, ihn
in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen oder herabzusetzen,
ist mit Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder mit Geldstrafe
bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. | |
(2) Wer die Tat in einem Druckwerk, im Rundfunk oder sonst
auf eine Weise begeht, wodurch die üble Nachrede einer breiten Öffentlichkeit
zugänglich wird, ist mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder
mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. | |
(3) Der Täter ist nicht zu bestrafen, wenn die Behauptung
als wahr erwiesen wird. Im Fall des Abs. 1 ist der Täter auch dann
nicht zu bestrafen, wenn Umstände erwiesen werden, aus denen sich
für den Täter hinreichende Gründe ergeben haben, die Behauptung
für wahr zu halten. | |
Die Verletzung des absolut geschützten
Rechtsgutes „ Ehre” stellt für sich genommen einen Schaden
iSd Gesetzes dar; es handelt sich um eine Persönlichkeits(rechts)verletzung;
§ 16 ABGB → KAPITEL 4: Die
Persönlichkeitsrechte. Es braucht daher nicht auch noch (zusätzlich)
ein Vermögensschaden eingetreten sein, um sich auf diese Bestimmung
stützen zu können. | „Ehre”:
Schaden iSd Gesetzes |
|
| |
|
|
JBl
2000, 179: Kein Unterlassungsanspruch nach
§ 1330 Abs 2 ABGB gegen eine staatlich (fragwürdige) Sektenwarnung (?),
zumal diese eine hoheitliche Verwaltungstätigkeit darstellt und
dem AHG unterliegt, das aber einen derartigen Anspruch nicht kennt;
Sri Chinmoy-Bewegung (Anm Kalb). Vgl auch → KAPITEL 11: §
7 ABGB: Die Lückenschließung. | |
|
 | |
2. § 1330 Abs 2
ABGB: Wirtschaftlicher Ruf – Kreditwürdigkeit – Kreditschädigung | |
 | |
Praktisch für Wirtschaft
und Wettbewerb ist Abs 2 unserer Bestimmung, der – von der III.
TN eingefügt – die Beeinträchtigung des wirtschaftlichen Rufs (Kredit,
Erwerb, Fortkommen) schützt. – Auch der Ruf juristischer Personen
(inklusive von OHG, KG und Erwerbsgesellschaften/GesbR) wird geschützt! | |
|
EvBl 1986/150: Kreditschädigende
Äußerungen gegen eine Kapitalgesellschaft in einem Leserbrief
→ Weitere
Beispiele
| |
|
|
OGH 15. 3. 2001, 6 Ob 14/01d, EvBl 2001/163:
In einem Wochenmagazin wird im Zuge der Berichterstattung über einen Pyramidenspiel- Skandal der
Kläger als „größenwahnsinniger Brutalo-Faschist” bezeichnet. Nach
dem Strafverfahren (§ 115 StGB) das über ein Jahr dauerte, bringt
der Kläger auch noch eine Zivilklage nach § 1330 ABGB ein. – OGH
verweist darauf, dass das Geltendmachen zivilrechtlicher Ansprüche
auch im Strafverfahren möglich gewesen wäre (Adhäsionsverfahren)
und daher die Erhebung einer Privatanklage nach § 115 StGB allein
noch keine Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche darstellt, also
die Verjährung nicht unterbricht. | |
|
Ähnlich wie §
1330 Abs 2 ABGB ist § 7 UWG konzipiert. Er sanktioniert die Herabsetzung
eines Unternehmens. Die Sanktions- und Anspruchsgestaltung ist bereits
moderner; Schadenersatz, Widerruf samt Veröffentlichung und Begehren
auf Unterlassung der Behauptung oder Verbreitung der Tatsachen. | |
|
§ 7 UWG | |
„(1) Wer zu Zwecken des Wettbewerbes über das
Unternehmen eines anderen, über die Person des Inhabers oder Leiters
des Unternehmens, über die Waren oder Leistungen eines anderen Tatsachen behauptet
oder verbreitet, die geeignet sind, den Betrieb des Unternehmens
oder den Kredit des Inhabers zu schädigen, ist, sofern die Tatsachen
nicht erweislich wahr sind, dem Verletzten zum Schadenersatz verpflichtet.
Der Verletzte kann auch den Anspruch geltend machen, daß die Behauptung
oder Verbreitung der Tatsachen unterbleibe. Er kann ferner
den Widerruf und dessen Veröffentlichung verlangen. | |
(2) Handelt es sich um vertrauliche Mitteilungen
und hat der Mitteilende oder der Empfänger der Mitteilung an ihr
ein berechtigtes Interesse, so ist der Anspruch auf Unterlassung
nur zulässig, wenn die Tatsachen der Wahrheit zuwider behauptet
oder verbreitet sind. Der Anspruch auf Schadenersatz kann nur geltend
gemacht werden, wenn der Mitteilende die Unrichtigkeit der Tatsachen
kannte oder kennen musste.” | |
|
|
Vgl auch § 152 StGB: Kreditschädigung: | |
„(1) Wer unrichtige Tatsachen behauptet und dadurch
den Kredit, den Erwerb oder das berufliche Fortkommen eines anderen
schädigt oder gefährdet, ist mit Freiheitsstrafe bis zu 6 Monaten
oder mit Geldstrafe bis zu 360 Tagessätzen zu bestrafen. Die Freiheits-
und die Geldstrafe können auch nebeneinander verhängt werden. | |
(2) Der Täter ist nur auf Verlangen des Verletzten
zu verfolgen.” – Sog Privatanklagedelikt. | |
|
| „Verbreitung“ |
Für den Beweis der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung und
des dem Werturteil zugrundegelegten Sachverhalts genügt der Nachweis
der Richtigkeit des Tatsachenkerns. Eine Äußerung
ist grundsätzlich als noch richtig anzusehen, wenn sie nur in unwesentlichen
Details nicht der Wahrheit entspricht; SZ 71/96 → Weitere
Beispiele
| |
| |
|
EvBl 1986/150: Die Aufzählung von
Schutzobjekten in § 1330 Abs 2 ABGB ist nicht erschöpfend. Sie erfasst
auch den ‘wirtschaftlichen Ruf ’ einer
juristischen Person. | |
|
|
SZ 63/1 (1990): Das Verbreiten
unwahrer Tatsachenbehauptungen über eine Person, die Geschäftsführer einer
juristischen Person ist oder doch maßgebenden Einfluss
auf eine solche hat, kann auch die juristische Person zur Klage
nach § 1330 Abs 2 ABGB berechtigen. | |
|
|
”Der Standard”
klagt „TV-Media”: Das Fernsehmagazin TV-Media behauptet
in seiner jüngsten Ausgabe, „Der Standard” brauche neuerlich einen
50-Mio-Kredit. Diese jeder Grundlage entbehrende Behauptung stellt
eine schwere Image-Schädigung dar. Durch massive rechtliche Schritte
sollen daher solche Praktiken unterbunden werden. Der Standard,
1.2.1996, S. 1. – Worin könnten diese Schritte bestehen? | |
|
|
| |
|
|
OGH 22.2.2001, 6 Ob 307/00s: Kreditschädigung
durch ein Interview, das in eine Homepage mit weiterführenden
Links aufgenommen wird – Vorwurf von Behandlungsfehlern gegen einen
stellvertretenden Klinikvorstand in Innsbruck. – Leitsätze des OGH:
Wer im Rahmen eines von ihm einem Journalisten gewährten Interview unwahre,
kreditschädigende Tatsachenbehauptungen über einen Dritten aufstellt,
hat diese auch in Ansehung der Veröffentlichung des Interviews in
der Zeitschrift iSd § 1330 Abs 2 ABGB „verbreitet”, liegt doch in
der Veröffentlichung des Interviews in aller Regel gerade ihr Zweck;
der Mitteilende ist daher in Ansehung der Verbreitung in der Zeitschrift
zumindest Mittäter. – Wer einem Dritten zu Zwecken der Verbreitung
„in jeder möglichen Form und in jedem möglichen Medium” Informationen zur
Verfügung stellt, die von dem Dritten in der Folge in eine Homepage
beziehungsweise in deren Unterverzeichnisse aufgenommen werden,
hat an deren Verbreitung im Internet mitgewirkt und muss diese gegen
sich gelten lassen, ohne dass es darauf ankäme, ob er auf die inhaltliche
Gestaltung der Homepage und deren Unterverzeichnisse Einfluss nehmen
konnte. – Die Aufnahme von Tatsachen in eine Homepage oder deren
Unterverzeichnisse, die von dieser aus abgefragt werden können,
erfüllt den Tatbestand der Verbreitung iSd § 1330
Abs 2 ABGB. – Ansprüche aus § 1330 ABGBrichten sich nicht nur gegen
den unmittelbaren Täter – also gegen jene Person, von der die Beeinträchtigung
ausgeht –, sondern auch gegen den Mittäter, den Anstifter und
den Gehilfen des eigentlichen Störers, welche den
Täter bewusst fördern. | |
|
|
SZ 71/96 (1998): Bei einer ehrverletzenden,
im Tatsachenkern aber richtigen Äußerung – hier: Vorwurf der Tierquälerei
gegen das Stift K. in Bezug auf eine Massenhaltung von Hühnern
in Legebatterien – kann die Gewichtigkeit des Themas für
die Allgemeinheit im Rahmen der gebotenen Interessensabwägung den
Ausschlag für die Bejahung eines Rechtfertigungsgrundes geben. –
Eingegangen wird auch auf das verfassungsrechtlich gewährleistete
Grundrecht auf freie Meinungsäußerung (Art 10 EMRG und Art 13 StGG)
und den dort statuierten Gesetzesvorbehalt, den konkret § 1330 ABGB
ausführt. | |
|
|
OGH 14. 3. 2000, 4 Ob 55/00t, JBl 2000, 664:
Der Vorwurf eines Rechtsanwalts gegenüber einem Kollegen, er begehe
durch ein überhöhtes Kostenverzeichnis ein „Standesvergehen des höchsten
Ranges”, ist ein Werturteil, keine Tatsachenbehauptung.
Dennoch wird kein Wertungsexzess angenommen und damit die Schadenersatzpflicht
nach § 1330 Abs 2 ABGB verneint. | |
|
|
OGH 13. 7. 2000, 6 Ob 114/00h („Omofuma-Fall
I”), SZ 73/117:
Im Rahmen einer Pressekonferenz zum Tod des Schubhäftlings Marcus
Omofuma bezeichnet der Anwalt der Verwandten die betroffenen Beamten
als „Verbrecherpolizisten”. Diese klagen auf Unterlassung
und Widerruf nach § 1330 ABGB. – OGH: Die Bezeichnung von Polizeibeamten
als „Verbrecherpolizisten” ist eine überprüfbare Tatsachenbehauptung.
Wenn sie von einem Rechtsanwalt außerhalb eines Prozesses in einer
Pressekonferenz aufgestellt wird und die Richtigkeit des Sachverhalts
nicht feststeht, kann die ehrverletzende Äußerung nicht mit dem Rechtfertigungsgrund
des Interesses an einer unbehinderten Prozessführung iSd § 9 RAO
gerechtfertigt werden. (Didaktisch vorbildlicher Entscheidungsaufbau.) | |
|
B. Behandlungsvertrag
– Medizinhaftung |
Mitbearbeitet von Gertrud Kalchschmid | |
 | |
Der
folgende „Exkurs” behandelt einen Sonderfall des § 1299 ABGB und
geht auf den Behandlungsvertrag und damit verwandte Fragen ein.
– Der Behandlungsvertrag bildet die rechtliche Grundlage der Beziehung
zwischen Krankenanstalt/Arzt und Patient/in. Eine bestimmte Form
für den Abschluß eines Behandlungsvertrags ist nicht vorgeschrieben,
sodaß er mündlich, schriftlich oder konkludent geschlossen werden
kann. IdR wird er bloß mündlich und häufig konkludent abgeschlossen.
Aus dem Behandlungsvertrag heraus entsteht – bei längerer Dauer
– das Behandlungsverhältnis ( → Rechte
und Pflichten aus dem Behandlungsvertrag),
das auf jeder Seite unterschiedliche und uU vielfältige und sich wiederholende
Rechte und Pflichten entstehen lässt. | |
 | Abbildung 10.23: Recht und Medizin |
|
 | Abbildung .24: Medizinrecht (Vorlesungsfolien) |
|
I. Arten
des Behandlungsvertrags | |
Der Behandlungsvertrag tritt in der Rechtspraxis in unterschiedlichen
Ausformungen in Erscheinung, die klar auseinandergehalten werden
müssen. Diesem Ziel dient die folgende Unterscheidung, die auch
der Rechtssicherheit dient. | |
1. Der
einfache Behandlungsvertrag | |
Die
einfachste Form eines Behandlungsvertrags ist der Vertragsschluss
zwischen Patient und frei praktizierendem Arzt / Allgemeinmediziner
oder Facharzt. Dabei trifft den Arzt grundsätzlich eine unmittelbare
und persönliche Behandlungspflicht; § 49 Abs 2 ÄrzteG 1998. Der
Patient hat – als korrespondierende vertragliche Hauptpflicht –
das vereinbarte Behandlungsentgelt zu leisten. | |
Überweist ein Arzt den Patienten, mit
dem er den Behandlungsvertrag geschlossen hat, an einen anderen
Arzt, kommt es idR zu einer neuen vertraglichen Beziehung. Übernimmt
der Arzt, an den der Patient überwiesen wurde, die selbständige
Behandlung oder Teilbehandlung des Patienten, so kommt ein eigener
Behandlungsvertrag zustande. Der überweisende Arzt haftet in einem
solchen Fall allenfalls für culpa in eligendo, also für Verschulden,
das ihn bei der Auswahl des anderen Arztes trifft. Er haftet aber
keinesfalls für ein (fachliches) Verschulden des anderen Arztes.
– Zieht dagegen ein Arzt einen anderen Arzt konsiliariter zu Rate
und/oder überläßt ihm Behandlungsunterlagen/ Material zur Durchführung
von Spezialuntersuchungen, entsteht zwischen dem Patienten und dem
Konsiliararzt keine (eigene)Rechtsbeziehung. Vielmehr bleibt der
erste Arzt ausschliesslicher Vertragspartner des Patienten. Zwischen
den Ärzten bestehen dann gesonderte rechtliche Beziehungen; insbesondere
ist das Vorliegen einer § 1313a ABGB-Beziehung (Erfüllungsgehilfe) –
zB mit einem medizinisch-technischen Labor – oder eine werkvertragliche
Beziehung zu prüfen. Schutzwirkungen aus dem Vertrag zwischen den
beiden Ärzten erstrecken sich aber idR auf den Patienten, sodass
diesem sofern er aus einem schuldhaften Fehlverhalten des „zweiten”
Arztes einen Schaden erleidet, auch gegen diesen vertragliche Ersatzansprüche
erheben kann; Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ( → KAPITEL 9: Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter):
RdM 2002, 20 ff – Abklärung eines Mammakarzinoms. | Überweisung
zur Behandlung |
Daneben entstehen – wie erwähnt – auf jeder
Seite Nebenpflichten → Nebenpflichten
aus dem Behandlungsvertrag:
So trifft Patienten/innen eine Mitwirkungspflicht an der Behandlung,
Arzt und Ärztin ua eine Verschwiegenheitspflicht. Dazu gleich mehr. | |
2. Der einfache
Krankenhausaufnahmevertrag | |
Wird
ein/e Patient/in in einer Krankenanstalt behandelt, wird der Behandlungsvertrag
zwischen ihm/r und der Krankenanstalt geschlossen. Das kann wiederum
mündlich oder schriftlich, ausdrücklich oder konkludent geschehen. | |
Eine gemeinnützige
Krankenanstalt hat jede anstaltsbedürftige Person nach
Maßgabe der Anstaltseinrichtungen aufzunehmen ( Kontrahierungszwang!
→ KAPITEL 5: Abschlussfreiheit
<-> Kontrahierungszwang)
und die Patienten/innen so lange in der Krankenanstalt unterzubringen,
ärztlich zu behandeln, zu pflegen und zu verköstigen, als es ihr
Gesundheitszustand erfordert. – Für die ärztliche Behandlung und
Pflege ist ausschließlich der Gesundheitszustand des Patienten maßgebend;
§§ 23, 24 Tir-KAG. Das gilt für alle Arten der Behandlung und insbesondere
auch für Operationen. – Unabweisbare Personen müssen
in Anstaltspflege genommen werden; § 33 Abs 2 Tir-KAG. Als unabweisbar
iSd Abs 2 gelten Personen, deren geistiger oder körperlicher Zustand
wegen Lebensgefahr oder wegen Gefahr einer sonst nicht vermeidbaren
schweren Gesundheitsschädigung eine sofortige Anstaltsbehandlung
erfordert, sowie Frauen, deren Entbindung unmittelbar bevorsteht.
Als unabweisbar gelten auch Personen, die aufgrund besonderer Vorschriften
behördlich eingewiesen werden. Die unbedingt notwendige ärztliche
Hilfe darf in öffentlichen Krankenanstalten niemanden verweigert
werden. – In Krankenanstalten hat die ärztliche Betreuung grundsätzlich auf fachärztlichem
Niveau zu erfolgen; § 11 Abs 2 Tir-KAG. – Der ärztliche
Dienst muß so eingerichtet sein, daß ärztliche Hilfe in
der Anstalt jederzeit und sofort erreichbar ist; § 12 Abs 1 Tir-KAG.
Patienten dürfen nur nach den Grundsätzen und anerkannten
Methoden der medizinischen Wissenschaft ärztlich behandelt
werden; § 12 Abs 3 Tir-KAG. Zudem besteht die Verpflichtung der
Krankenanstalt, eine dauernde qualifizierte Pflege für stationär aufgenommene
Patienten sicherzustellen; § 9a Z 12 Tir-KAG. – Krankenanstalten
sind ferner zur Durchführung von Maßnahmen der (medizinischen) Qualitätssicherung
verpflichtet (§ 9 b Tir-KAG), was immer das bedeuten mag. | Kontrahierungszwang etc |
Im
Krankenhausaufnahmevertrag verspricht die Krankenanstalt eine sachgemäße
Behandlung durch ihr ärztliches und nichtärztliches Personal. Zwischen
Personal – ärztlichem wie Pflege- oder sonstigem Personal – und
Patient/in besteht keine Vertragsbeziehung. Das gesamte Personal
der Krankenanstalt haftet aber (allenfalls neben dem Träger) Patienten/innen deliktisch
→ KAPITEL 9: Vertrags-
und Deliktshaftung.
Krankenanstaltsträger schulden ihren Patienten aus dem Krankenhausaufnahmevertrag
als Gesamtleistung eine sachgemäße Heilbehandlung, Unterkunft und
volle Anstaltspflege. Die einzelnen behandelnden Krankenhausärzte
und Krankenschwestern treten in keine (persönliche) vertragliche
Beziehung zum Patienten. Sie werden vielmehr als Erfüllungsgehilfen
des Anstaltsträgers tätig; § 1313a ABGB. Nur der Anstaltsträger
haftet seinen Patienten/innen gegenüber vertraglich für Schäden,
die vom ärztlichen und nichtärztlichen Krankenhauspersonal verursacht
werden. | |
|
SZ 41/87 (1968): Krankenanstalt
haftet für Krankenschwester, welche der Hebamme bei der Geburt hilft; zu
heiße Wärmflasche verbrennt Säugling. | |
|
|
OGH 11. 7. 2001, 7 Ob 156/01v, RdM 2002/8: Schutz-
und Verkehrssicherungspflichten von Krankenhäusern –
Der Vertrag eines Patienten mit einer Krankenanstalt auf stationäre
Behandlung ist regelmäßig in erster Linie auf die ärztliche (Heil)Behandlung
gerichtet. Er umfasst aber auch die Pflege des Patienten, seine
Beherbergung und die Wahrung seiner körperlichen Sicherheit. Der
Rechtsträger einer Krankenanstalt ist verpflichtet, die notwendigen
Vorkehrungen zu treffen, damit der Patient durch andere Patienten, durch
Besucher, durch die technischen Einrichtungen zur Heilbehandlung
und Pflege und durch sonstige betriebliche Anlagen in seiner körperlichen
Unversehrtheit nicht zu Schaden kommt. – Das gilt auch für Krankenzimmer:
Hier Verletzung einer teilweise gelähmten Patientin durch eine umfallende
Stehlampe. | |
|
|
Zur unbefriedigenden
Rspr bezüglich der Haftung von Krankenanstalten bei deren Verletzung
von Verkehrssicherungspflichten gegenüber Besuchern → KAPITEL 9: Verträge
mit Schutzwirkung zugunsten Dritter:
sog Krankenhausbesuchs-
fälle. | |
|
Die Krankenanstalt muss auch für eine entsprechende Weiterbildung
ihres Arzt- und Pflegepersonals sorgen, was durch den raschen medizintechnischen
Fortschritt besonders wichtig ist. – Man denke an Endoskopie oder
laparaskopische Methoden. | |
|
SZ 62/125 (1989): Der Patient hat
Anspruch auf die nach dem Stand der Wissenschaft/state of
the art sichersten Maßnahmen zur Abwendung bekannter Operationsgefahren.
Vgl auch SZ 62/53. | |
|
|
SZ 62/53 (1989): Der Artz handelt
nicht fahrlässig, wenn er eine Behandlungsmethode wählt,
die von einer anerkannten Schule medizinischer Wissenschaft vertreten
und noch nicht von einem gewichtigen Teil der medizinischen Wissenschaft
und Praxis für bedenklich gehalten wird, selbst wenn andere kompetente
Mediziner eine andere Methode bevorzugt hätten. Vgl auch SZ 62/125. | |
|
Behandlungsverträge werden gleichermassen
von Kassen- wie Privatpatienten geschlossen
und kommen wie jeder andere Vertrag zustande, wobei den Beteiligten
klar sein muss, dass durch ihr Verhalten Rechte und Pflichten erworben
und übernommen werden sollen. – Behandlungsverträge werden nach
§ 863 ABGB ( → KAPITEL 5: Arten
von Willenserklärungen: § 863 ABGB) entweder ausdrücklich (mündlich oder schriftlich)
oder schlüssig sowie allenfalls auch stillschweigend geschlossen. | Kassen-
und
Privatpatienten |
| |
3. Mischformen
des Behandlungsvertrags | |
Neben den
beiden genannten Grundformen des Behandlungsvertrags existieren
in der Praxis Mischformen, insbesondere: | Mischformen der Praxis |
•
Bei
Aufnahme in die Sonderklasse einer Krankenanstalt wird
ebenso ein modifizierter Behandlungsvertrag geschlossen wie bei
der | |
•
Behandlung in einem (Privat)Sanatorium durch
einen Belegarzt. | |
Dazu gleich mehr. | |
Die
Sonderklasse erfüllt von ihrem Anspruch her hinsichtlich Verpflegung
und Unterbringung höhere Ansprüche; insbesondere
durch eine niedrigere Bettenanzahl in den Krankenzimmern (Tendenz
zum Einbettzimmer) sowie eine bessere Ausstattung und Lage der Krankenzimmer.
Der Standard muss höher sein, als in der allgemeinen Gebührenklasse
der jeweiligen Krankenanstalt (!). Die Realität hält hier nicht
überall mit dem Anspruch Schritt. – In die Sonderklasse dürfen Patienten
nur auf eigenes Verlangen aufgenommen werden; vgl § 30 TirKAG. Patienten/innen
haben sich bei ihrer Aufnahme in die Sonderklasse durch eine schriftliche
Erklärung zu verpflichten, den allgemeinen Kostenbeitrag
und die zusätzlich anfallenden Sondergebühren zu tragen. Zuvor sind
Patienten/innen über die voraussichtliche Höhe dieser Gebühren sowie
über die Honorarberechtigung der Ärzte zu informieren, was oft unterbleibt. | |
Sonderklassepatienten/innen schließen zusätzlich zum Krankenhausaufnahmevertrag
einen Behandlungszusatzvertrag mit einem idR leitenden
Spitalsarzt ab, der darin die persönliche medizinische Betreuung,
worin immer sie bestehen mag, zusagt. Nicht immer wird diese Zusage eingelöst,
denn es kommt immer wieder vor, dass der medizinische Vertragspartner
nicht selber behandelt oder operiert, sondern andere für ihn. –
Die anfallenden zusätzlichen Behandlungskosten übernimmt idR eine
private (Kranken)Zusatzversicherung. Zu zahlen ist natürlich nur
einmal: Zusatzversicherung oder selbstzahlende/r Patient/in. Doppelverrechnungen
sind aber vorgekommen und wurden sogar als standesgemäß betrachtet. | |
Krankenhausträger und leitender
Spitalsarzt haften aus einer solchen Vertragsbeziehung gemeinsam
– dh solidarisch – für die medizinische Behandlung von Patienten/innen.
Das stellt ein Privileg dieser Ärztegruppe dar, das längst (im Innenverhältnis)
hinterfragt gehörte. Für den Bereich öffentlicher Krankenanstalten
hat ein sorgfältiger Träger hier Klarstellungen zu treffen, wofür
mehrere Möglichkeiten offen stehen: Abschluss von spezifischen Haftpflichtversicherungen in
angemessener Höhe, Erfüllungsübernahmen udglm. Auch hinsichtlich
der allgemeinen Verpflegung wäre ein Ausgleich anzustreben. Erstaunlicherweise
ist die „Geduld” der Privatversicherer, die das alles bezahlen müssen,
hier sehr groß. Über die Gründe darf nachgedacht werden. – Vgl auch → Der
Sonderklassepatient:
Der Sonderklassepatient. | Haftung |
Belegärzte haften – mangels gegenteiliger
Vereinbarung – auch für das ihnen vom Rechtsträger des Spitals zur
Verfügung gestellte Personal. Das Personal des Belegspitals wird
idR als Erfüllungsgehilfe des Belegarztes tätig. | |
|
OGH 27. 10. 1999, 1 Ob 267/99t („Blutleermanschette- Fall”), SZ 72/164 = JBl 2001, 56 = EvBl 2000/67:
Die im „Belegarztvertrag” erkennbare Aufgabenteilung führt gegenüber
dem Patienten zu einer entsprechenden Aufspaltung der Leistungspflichten
des Belegarztes einerseits und des Belegspitals andrerseits. Der
Belegarzt haftet für „Assistenz seiner Wahl” im Rahmen einer Operation
nach § 1313a ABGB. Dies gilt auch für Verletzungen der Sorgfaltspflichten
bei der Operationsvorbereitung (hier: Anlegen einer Blutleermanschette),
weil diese untrennbar mit dem Operationsvorgang selbst verbunden
ist. | |
|
|
OGH 23. 11. 1999, 1 Ob 269/99m („Die
brutale Anästhesistin”), JBl 2001,
58 = RdM 2000, 90: Wirtschaftlich selbständige
Anästhesistin hilft befreundetem Belegarzt „aus Gefälligkeit” bei
Knieoperation. Als der erste Intubationsversuch fehlschlug, benützte
sie „mehr Kraft”, wodurch sie die Zähne der Patientin im Oberkiefer
samt deren Wurzeln lockerte und ein Stück des Kieferknochens abbrach.
– OGH: Die Vertragspflicht des Belegarztes, eine bestimmte Operation
am Patienten durchzuführen, schließt auch eine fachgerechte Operationsvorbereitung
ein. Der Belegarzt haftet auch für das Verhalten aller wirtschaftlich selbständigen
(Fach)Ärzte, die ärztliche Leistungen unter seiner medizinischen
Oberleitung erbringen. (Eine fachliche Weisungsbefugnis des Belegarztes
ist somit keine notwendige Voraussetzung für seine Haftung für Erfüllungsgehilfen.)
Personen, denen sich ein Belegarzt zur Erfüllung seiner Pflichten
aus dem Behandlungsvertrag bedient, sind auch dann Erfüllungsgehilfen,
wenn ein solcher Vertrag im Einzelfall als freier Dienstvertrag
einzuordnen wäre. | |
|
In der Praxis schließen Patienten aber nicht nur mit dem
Belegarzt einen (Behandlungs)Vertrag, sondern für Verpflegung und
Unterbringung auch einen Aufnahmevertrag mit dem Belegspital, zB
einem Sanatorium. Die Grenzziehung ist in der Praxis aber oft unsicher
– weil in Verfolgung einer beruflichen Vogelstraußpolitik häufig
keine schriftlichen Verträge zwischen Belegspital und Belegarzt
geschlossen werden. Dies sollte im Interesse aller Beteiligten durch
klare schriftliche Verträge verbessert werden; vgl den Mustervertrag
bei Hilber / Barta 61 (1999). | |
 | |
 | Abbildung 10.25: Belegarztvertrag: Doppelvertragsvariante |
|
 | Abbildung 10.26: BelegarztV: Erfüllungsgehilfenvariante |
|
 | Abbildung 10.27: BelegarztV: NL-Zentralhaftung |
|
II. Zur Rechtsnatur
des Behandlungsvertrags | |
1. Der
Behandlungsvertrag als freier Dienstvertrag | |
Der Patient ist Subjekt, nicht Objekt der Behandlung. Der
Gedanke der Privatautonomie fordert rechtliche Gleich-, nicht Unterordnung!
Die rechtliche Grundlage dafür legt die durch den Behandlungsvertrag
geschaffene vertragliche (Sonder)Beziehung zwischen Patient/in und
Arzt. | |
Der Behandlungsvertrag
– als grundsätzlich entgeltlicher Vertrag – wird heute überwiegend
als freier Dienstvertrag verstanden, der vom normalen
Arbeitsvertrag, wie vom Werkvertrag, aber auch dem Auftrag zu unterscheiden
ist; mehr dazu in Kapitel 12. Beim freien Dienstvertrag (einer nicht
unproblematischen und rechtlich schillernden Rechtsfigur) wird –
anders als beim Werkvertrag – kein Erfolg (hier iSv Heilung oder
Gesundung) geschuldet; vielmehr nur eine fachgerechte medizinische
Behandlung. Dies deshalb nicht, weil die komplexen Abläufe im menschlichen
Körper und deren Reaktionen auf medikamentöse oder operative Eingriffe
nicht immer völlig vorhersehbar und zur Gänze beherrschbar sind.
– Dieses Argument wird von medizinischer Seite aber gerne überdehnt
und zur eigenen Exkulpierung überbewertet! | Zum freien Dienstvertrag |
Aus diesem
Grund schulden Ärzte idR keinen vertraglichen Erfolg, sondern bloß
ein korrektes, fachliches Bemühen. Es ist darauf gerichtet, die
Gesundheit ihrer Patienten/innen möglichst wiederherzustellen oder
doch Linderung zu verschaffen. | Was wird geschuldet? |
Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass
Arzt, Pflegepersonal und Krankenanstalt privatrechtlich in Bezug auf
ihre medizinische Tätigkeit als Sachverständige iSd § 1299 ABGB
behandelt werden und ihre Tätigkeit daher an den jeweiligen Wissens-
und Könnens-”Standards” gemessen wird → Die
Sachverständigenhaftung
| |
2. Der Behandlungs-Werkvertrag | |
Ausnahmsweise schulden Ärzte
ihren Patienten/innen einen bestimmten Erfolg, was bedeutet, dass ein
(Behandlungs)Werkvertrag anzunehmen ist. Ein Behandlungs-Werkvertrag
wird bspw beim Anfertigen von individuell passendem Zahnersatz (etwa
einer Zahnbrücke), bei diversen Prothesen, dem Einsetzen von Implantaten,
dem Erheben eines EEG- oder EKG-Befundes, dem Durchführen von Labortests
oder dem Anlegen eines Gipsverbands angenommen. Indiz für das Vorliegen
eines (Behandlungs)Werkvertrags ist es, wenn technische und handwerkliche
Fähigkeiten des Arztes bei der Behandlung im Vordergrund stehen
und die beschriebenen Ungewissheiten zurücktreten. Das Arbeitsergebnis
hängt in diesem Fall überwiegend von der technisch-fachlichen Qualifikation
des Arztes und seiner Hilfspersonen und der richtigen Verwendung
von Materialien und Arbeitsbehelfen ab. – Die Abgrenzung ist aber
nicht immer einfach, rechtlich aber bedeutsam. | Hier
wird ein Erfolg geschuldet |
3. Der
Sonderklassepatient | |
Der
Sonderklassepatient schließt – wie wir gehört haben – zusätzlich
zum gewöhnlichen Krankenhausaufnahmevertrag (mit dem Anstaltsträger)
noch einen weiteren Behandlungszusatzvertrag (mit
einem idR leitenden Spitalsarzt) ab. Inhalt dieses Zusatzvertrags
ist zB das Versprechen durch Herrn Prof. X, den Patienten persönlich
zu betreuen. Die persönliche Betreuung wird durch ein Zusatzhonorar abgegolten.
Mit dem Abschluss eines solchen Zusatzvertrags will sich ein Patient die
Behandlung durch einen Spezialisten, etwa durch einen hervorragenden
Internisten oder Chirurgen, sichern. Beim einfachen Krankenhausaufnahmevertrag
hat der Patient nämlich keinen Anspruch auf Behandlung/Operation
durch einen bestimmten Arzt! – Manche Krankenanstalten gewähren
ihren Patienten aber im Rahmen des Möglichen ein Wahlrecht, obwohl
sie es nicht müssten. | Zusatzvertrag
und Zusatzhonorar |
Wurde ein Behandlungszusatzvertrag abgeschlossen,
haften – wie erwähnt – Krankenhausträger und leitender Spitalsarzt
als Vertragspartner gemeinsam für die medizinische Behandlung des
Patienten; Gesamt- oder Solidarhaftung: „Einer für alle und alle
für einen”. Der Anstaltsträger haftet also auch für Fehler des honorarberechtigten
Arztes (und umgekehrt), kann aber, falls er als Anstaltsträger zur
Haftung herangezogen wird, uU vom Behandler Ersatz verlangen; Rückgriff/Regress. | Solidarhaftung von
Träger und Arzt |
Für die (persönliche) Haftung des
Arztes/der Krankenanstalt gegenüber Patienten kommen demnach sowohl: | Die Arzthaftung als Vertrags-
oder Deliktshaftung |
• eine vertragliche Haftung,
wie eine | |
•
deliktische Haftung in Frage;
angestellter Krankenhausarzt haftet bspw Patienten nur deliktisch!
Auch hier gilt: Vertragshaftung ist günstiger! (§ 1313a + § 1298
ABGB) Als Haftungsmaßstab dient § 1299 ABGB (Sachverständigenhaftung),
der eine objektivierte Verschuldenshaftung enthält. | |
• Die Arzthaftung ist eine allgemeine Verschuldenshaftung und
greift daher ab leichter Fahrlässigkeit; derzeit bestehen
keine Sonderregeln. Auf Grund der besonderen Vertrauensbeziehung
und gesteigerter Sorgfaltspflichten (§ 1299 ABGB) zwischen Arzt
und Patient erscheint eine Freizeichnung (→ KAPITEL 9: Verschulden
(culpa))
von leichter Fahrlässigkeit unzulässig. Vgl aber meinen Vorschlag
einer neuen Medizinhaftung: http://www2.uibk.ac.at/zivilrecht/mitarbeiter/barta/index.html
| |
 | |
Eine ausreichende ärztliche Aufklärung ( → Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht)
ist Voraussetzung für eine wirksame Zustimmung / Einwilligung des
Patienten zur Heilbehandlung! Die Rechtmäßigkeit der konkreten (Heil)Behandlung
hängt von einer korrekten ärztlichen Aufklärung ab! Andernfalls
liegt eine (rechtswidrige) eigenmächtige Heilbehandlung iSd
§ 110 Abs 1 StGB vor. Die ärztliche Aufklärung dient als Rechtfertigungsgrund
für den ärztlichen Eingriff, der an und für sich nach hA immer noch
eine Körperverletzung darstellt! Hier tut ein Umdenken und ein neues
Verständnis im Zivilrecht not! Vgl dagegen § 90 StGB: einwilligung
des Verletzten – Abs 1: „Eine Körperverletzung oder Gefährdung der
körperlichen Sicherheit ist nicht rechtswidrig, wenn der Verletzte
oder Gefährdete in sie einwilligt und die Verletzung oder Gefährdung
als solche nicht gegen die guten Sitten verstößt.“ – Allein hier
verlangt der Grundsatz der „Einheit der Rechtsordnung“ eine Korrektur
zivilrechtlichen Denkens. Vgl auch → Respektierung
des Selbstbestimmungsrechts des Patienten
| |
III. Partner
des Behandlungsvertrags | |
Partner eines Behandlungsvertrags sind einerseits Arzt oder Krankenanstalt und
andrerseits der Patient, der voll geschäftsfähig
oder minderjährig sein kann oder – bei Vorliegen einer geistigen Krankheit
oder Behinderung – unter Sachwalterschaft stehen oder einen Patientenanwalt
nach dem UbG haben kann → KAPITEL 4: Das
Unterbringungsgesetz 1990 . | |
1. Der voll geschäftsfähige
Patient | |
Das sind Patienten/innen, die das 18. Lebensjahr vollendet
haben und im vollen Besitz ihrer geistigen Kräfte sind. Sie schließen
den Behandlungsvertrag persönlich ab. | |
Sie geben auch persönlich ihre Zustimmung zur
Behandlung aufgrund vorangegangener ärztlicher Aufklärung. | |
2. Der
minderjährige Patient | |
Diese Alters- und Patientengruppe kann, mangels voller Geschäftsfähigkeit,
selbständig noch keine Verpflichtungen eingehen und daher auch keinen
(sie verpflichtenden) entgeltlichen Behandlungsvertrag abschließen,
für den die Kosten oft sehr hoch sind. Das trifft auf Kinder, unmündige Minderjährige
und mündige Minderjährige zu. Bei diesen Personengruppen ist daher
für den Abschluss des Behandlungsvertrages die Zustimmung des gesetzlichen
Vertreters nötig. Der gesetzliche Vertreter – das sind im Normalfall
Mutter oder Vater oder der alleinerziehende Elternteil, allenfalls
ein Vormund oder Sachwalter – schließt in diesen Fällen den Behandlungsvertrag
für den minderjährigen Patienten ab oder stimmt dem vom Minderjährigen
bereits geschlossenen Vertrag nachträglich zu. Für geistig behinderte
Patienten schließt ein Sachwalter den Behandlungsvertrag, wobei
dafür uU eine zusätzlich Genehmigung des Pflegschafftsgerichts einzuholen
ist; §§ 273 ff ABGB → KAPITEL 4: Die
Sachwalterschaft. | |
| |
3. Die
„Einwilligung“ in die medizinische Behandlung | |
 | |
Von der
für den Abschluss entgeltlicher (Behandlungs)Verträge durch Minderjährige
nötigen Zustimmung des gesetzlichen Vertreters
(§§ 151 ff, 865 ABGB) zu unterscheiden ist die Einwilligung Minderjähriger
in die medizinische Behandlung / Operation, die grundsätzlich schon
von mündigen Minderjährigen, ja Kindern selbst – entsprechend ihrer
Einsicht – gegeben oder verweigert werden kann. Diese Zustimmung
hängt also nicht vom Erreichen der Volljährigkeit (18 Jahre) ab;
§ 146c ABGB hat diese Zustimmung Minderjähriger neu geregelt und
damit Judikaturrecht gesetzlich eingefangen. | Unterscheide |
| |
|
§ 146c ABGB (idFd KindRÄG 2001, BGBl
I 135) | |
„(1) Einwilligungen in medizinische Behandlungen kann
das einsichts- und urteilsfähige Kind nur selbst erteilen; im
Zweifel wird das Vorliegen dieser Einsichts- und Urteilfähigkeit
bei mündigen Minderjährigen vermutet. Mangelt es an der notwendigen
Einsichts- und Urteilsfähigkeit, so ist die Zustimmung der Person
erforderlich, die mit Pflege und Erziehung betraut ist. | |
(2) Willigt ein einsichts- und urteilsfähiges
minderjähriges Kind in eine Behandlung ein, die gewöhnlich mit einer schweren
oder nachhaltigen Beeinträchtigung der körperlichen Unversehrtheit
oder der Persönlichkeit verbunden ist, so darf die Behandlung
nur vorgenommen werden, wenn auch die Person zustimmt, die mit der
Pflege und Erziehung betraut ist. | |
(3) Die Einwilligung des einsichts- und urteilsfähigen
Kindes sowie die Zustimmung der Person, die mit Pflege und Erziehung
betraut ist, sind nicht erforderlich, wenn die Behandlung so dringend
notwendig ist, dass mit der Einholung der Einwilligung
oder der Zustimmung verbundene Aufschub das Leben des Kindes gefährden
würde oder mit der Gefahr einer schweren Schädigung der Gesundheit
verbunden wäre.” | |
§ 146d ABGB: „Weder ein minderjähriges Kind noch
die Eltern können in eine medizinische Maßnahme, die eine dauernde
Fortpflanzungsunfähigkeit des minderjährigen Kindes zum
Ziel hat, einwilligen.” (Hervorhebungen von mir) | |
|
Zu beachten
ist, dass die Zustimmung / Einwilligung des Patienten
in die konkrete Behandlung auch nur begrenzt / limitiert,
also eingeschränkt erteilt werden kann. Daran ist
der jeweilige Arzt vertraglich gebunden! – In der Praxis ergeben
sich aber immer wieder Probleme, weil bspw Operierende sich nicht
an die getroffene Vereinbarung halten. Vgl das folgende, nicht erfundene
Beispiel. | Limitierte Zustimmung |
 | |
 | |
 | Abbildung 10.28: Arzthaftung: Einwilligung |
|
IV. Rechte
und Pflichten aus dem Behandlungsvertrag | |
Aus
dem Behandlungsvertrag – und dem daraus entstehenden Behandlungsverhältnis
– erfließen eine Reihe von Haupt- und oft auch (wiederkehrende)
Nebenpflichten. | |
1. Ärztliche Hauptpflichten | |
Die Hauptpflichten
bestehen in der sachgemäßen medizinischen Behandlung (einschliesslich
die ärztliche Aufklärung → Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht)
auf der einen und der Entgeltzahlung auf der anderen Seite. Ärzte und
Krankenpflegepersonal schulden Patienten/innen eine sorgfältige
medizinische und pflegerische Behandlung im Einklang mit den beruflichen
Standards und allfälligen bestehenden Vorgaben. | Hauptpflichten |
Der
ärztliche (Haupt)Pflichtenkatalog beginnt bei praktischen
Ärzten mit der Pflicht zur persönlichen Leistungserbringung,
wozu die Verpflichtung gehört, eine Anamnese zu erheben, Patienten
fachkundig zu untersuchen und – wenn nötig – an einen Facharzt oder
in stationäre Behandlung zu überweisen. – Die Untersuchung umfasst
Diagnose- und Indikationsstellung, woran sich eine sachgemäße Therapie
anzuschließen hat. Die ärztlichen Informations-
und Beratungspflichten (gegenüber ihren Patienten),
wie das Mitteilen der Diagnose, des Behandlungsverlaufs und der
Behandlungsrisiken, zählen ebenfalls zu den Hauptpflichten des Arztes
aus dem Behandlungsvertrag. Patienten haben zudem Anspruch darauf,
nach dem letzten Stand der Wissenschaft und mit den sichersten Methoden
behandelt zu werden. | Was zählt zu den ärztlichen Hauptpflichten? |
2. Nebenpflichten
aus dem Behandlungsvertrag | |
Bedeutsame
Nebenpflichten des Behandlungsvertrags sind auf ärztlicher Seite
bspw das Erstellen einer Dokumentation des (gesamten) Behandlungsverlaufs,
Medikation eingeschlossen und ihren Patienten gegenüber
das Gewähren des Einsichtsrechts in ihre Krankenunterlagen /
sog Krankengeschichte, Ambulanzaufzeichnungen, Röntgen- und CT-Bilder
sowie die Pflegedokumentation; vgl dazu die Zusammenfassung im Anschluss.
Krankenanstalten sind nämlich verpflichtet Krankengeschichten anzulegen,
in denen die Vorgeschichte der Erkrankung ( Anamnese), der
Zustand des Patienten zur Zeit der Aufnahme ( status praesens),
der Krankheitsverlauf ( decursus morbi), die angeordneten
Maßnahmen sowie die erbrachten ärztlichen Leistungen einschließlich Medikation (insbesondere
hinsichtlich Name, Dosis und Darreichungsform), die Aufklärung des
Patienten ( → Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht), sonstige angeordnete sowie erbrachte
wesentliche Leistungen, insbesondere der pflegerischen, einer allfälligen
psychologischen oder psychotherapeutischen Betreuung sowie Leistungen
der medizinisch-technischen Dienste dargestellt werden. – Eine wichtige
ärztliche Nebenpflicht aus dem abgeschlossenen Behandlungsvertrag
heraus ist die Verschwiegenheitspflicht, die auch
für andere Berufsgruppen des Medizinsektors gilt; etwa Pflegeberufe,
medizinisch-technisches Personal oder (Psycho)Therapeuten; vgl aber
vor allem § 54 ÄrzteG 1998 oder § 15 PsychotherapieG. – Ärzte, Pflegepersonal
oder Psychotherapeuten können aber gerichtlich von ihrer Pflicht
zur Verschwiegenheit entbunden werden; vgl insbesondere § 321 ZPO. | |
Kassenpatienten
trifft die (Neben)Pflicht, einen Krankenschein (oder
die geplante Chipcard) zur Behandlung mitzubringen, um sich gegenüber
dem Vertragsarzt zu legitimieren und ihm die Abrechnung mit dem
Krankenversicherungsträger zu ermöglichen. Patienten sind auch verpflichtet,
notwendige ärztliche Maßnahmen zu unterstützen sowie ärztliche Hinweise
zu befolgen; sog Mitwirkungspflicht. Andernfalls
kann der Arzt/die Krankenanstalt den Behandlungsvertrag, der idR
ein Dauerschuldverhältnis ist, sogar lösen. § 50 ÄrzteG 1998 spricht
vom Rücktritt von einer Behandlung. | Patientennebenpflichten |
|
OGH 10. 9.2001, 15 R 135/01k, RdM 2002/9:
Wird ein Psychotherapeut gerichtlich gültig von
seiner Verschwiegenheitspflicht entbunden, ist
er verpflichtet, als Zeuge vor Gericht auszusagen. | |
|
Der Dokumentationsanspruch des
Patienten gegen den Arzt ist ein vertraglicher Nebenanspruch aus
dem Behandlungsvertrag. | Einsichtsrecht
und Herausgabe in/von Behandlungsunterlagen:
§ 51 ÄrzteG 1998 |
• Der
Dokumentationsanspruch hängt mit dem Recht auf umfassende und erschöpfende
Aufklärung zusammen; Selbstbestimmung des Patienten. – Was umfasst
er? | |
• Herausgabe der Unterlagen? – Ja! Untersuchungsergebnisse;
zB Röntgenbilder, EKGs, Befunde | |
• Bloße Mitteilung des Inhalts? – Nein! OGH:
Kopie ist anzufertigen! | |
•
Aufzeichnungen über objektive physische Befunde
und Berichte über Behandlungsmaßnahmen. Therapeutische Gründe können
dagegen sprechen; sog therapeutisches Privileg.
Eventuell gütliche Einigung auf neutralen Arzt. In Einzelfällen
hat der OGH (SZ 57/98, JBl 1985, 161) ein therapeutisches Privileg
befürwortet. Nur bei der Unterbringung in psychiatrischen Krankenanstalten
kann uU das Einsichtsrecht aus therapeutischen Gründen beschränkt werden;
§ 39 UbG. Aber auch hier ist grundsätzlich davon auszugehen, dass
Einsicht zu gewähren ist; jedenfalls dem Patientenanwalt. | |
 | |
Der wesentliche Zweck der ärztlichen Dokumentationspflicht
liegt in der Therapiesicherung, der Beweissicherung und
der Rechenschaftslegung. – Die Dokumentationspflicht
besteht für diagnostische wie therapeutische Leistungen. Bei medizinisch
erteiltem Rat ist auch die zugrunde liegende Diagnose zu dokumentieren. | Zur ärztlichen
Dokumentationspflicht – Zweck |
Vgl JBl
1985, 159 -
Die Pflicht des Arztes zur Führung einer „ärztlichen Dokumentation”
resultiert aus: | |
• Öffentlichrechtlicher
Verpflichtung: KAKuG oder § 5 GuKG (Pflegedokumentation) | |
•
Standesrechtlicher
Verpflichtung: § 51 Abs 1 ÄrzteG 1998 (früher § 22a ÄrzteG 1984) | |
• Vertraglicher Nebenpflicht des Behandlungsvertrags
zur Information und Aufklärung des Patienten; RdM 2002/4. | |
•
§ 16 ABGB: Persönlichkeitsschutz personenbezogener
Daten! | |
•
Ärztliche „Kunst” verlangt nach Gedächtnisstütze;
§ 1299 ABGB. Es handelt sich somit auch um eine Maßnahme ärztlicher
Sorgfalt. | |
Recht auf Einsicht in Dokumentationen
– Auskunftserteilung resultiert aus: | |
•
Rechtsgrundlage ist
der Behandlungsvertrag + § 10 KAKuG + Landes-KAG + ÄrzteG 1998 (§
51 Abs 1) + UbG | |
• Ist zu gewähren, wenn keine therapeutischen
Gründe entgegenstehen. | |
• Die Verletzung ärztlicher Dokumentationspflichten hat
im Prozess beweisrechtliche Konsequenzen, die dazu führen,
dass dem Patienten zum Ausgleich der durch die Verletzung der Dokumentationspflicht
eingetretenen größeren (Beweis)Schwierigkeiten, einen ärztlichen
Behandlungsfehler nachzuweisen, eine der Schwere der Dokumentationspflicht
entsprechende Beweiserleichterung zugute kommt. Sie begründet die
Vermutung, dass eine nicht dokumentierte Maßnahme vom Arzt auch
nicht getroffen wurde; OGH 1. 12. 1998, 7 Ob 337/98d, ebenso OGH 16.
8. 2001, 8 Ob 134/01s, RdM 2002/4: Zur Dokumentationspflicht bei Vorsorgeuntersuchungen. | |
|
RdM 2002/4: Arzt weist im Rahmen
einer Vorsorgeuntersuchung auf die Notwendigkeit
einer neuerlichen Untersuchung innerhalb eines Jahres hin, dokumentiert
aber nicht, worauf sich dieser Rat stützte. OGH: Ziel von Vorsorgeuntersuchungen
liegt insbesondere darin, bösartige Gefahren aufzudecken (hier: rechtes
Ovar), ein Nichtdokumentieren der diagnostischen Grundlage des erteilten
Rates stellt eine Verletzung der Dokumentationspflicht dar und macht
beweispflichtig dafür, warum die Nachfolgeuntersuchung nicht schon
früher (zB in einem halben Jahr) angeordnet wurde. | |
|
Auch Erben / Angehörige haben ein Recht
auf Einsicht und Abschrift der Krankengeschichte, wenn sie ein berechtigtes
Interesse nachweisen können; zB § 1327 ABGB: Unterhaltsanspruch
bei fraglichen Behandlungsfehler, Unklarheit der Todesursache).
– Der Persönlichkeitsschutz Verstorbener darf aber
nicht entgegenstehen; das fortwirkende Persönlichkeitsrecht von
Patienten/innen (zB § 16 ABGB, Art. 8 EMRK) ist zu beachten. Eine
allenfalls weiterbestehende Verschwiegenheitspflicht muss aber vom
Arzt begründet, und allenfalls durch Sachverständige beurteilt und
richterlich entschieden werden. | Recht
von Angehörigen
auf Einsicht |
Zeitliche Aufbewahrungspflichten: §
51 Abs 3 ÄrzteG 1998 bestimmt, dass Behandlungsaufzeichnungen sowie
sonstige der Dokumentation dienliche Unterlagen mindestens 10
Jahre aufzubewahren sind. Die bundesrechtliche Grundsatzbestimmung
des § 10 Abs 1 Z 3 KAKuG überbindet diese Pflichten an die Landesgesetzgeber.
Die Ausführungsgesetze der Länder kennen aber unterschiedliche Regelungen.
– Nach überwiegender Auffassung sind Krankengeschichten und Röntgenbilder 30
Jahre, Ambulanzaufzeichnungen mindestens 10 Jahre aufzubewahren. | Zeitliche
Aufbewahrungspflichten |
 | |
§
9 Abs 1 KAKuG statuiert für die in Kranken- und Kuranstalten tätigen
Personen sowie die Mitglieder der Ethikkommissionen (nach § 8c KAKuG)
eine Verschwiegenheitspflicht; Abs 2 nennt Ausnahmen.
– § 54 ÄrzteG 1998 normiert in den Abs 1-3 die ärztliche Verschwiegenheitspflicht samt
statuierten Ausnahmen. Bei Verdacht strafbarer Handlungen bestehen
Anzeige-
und Meldepflichten. Der Arzt und seine Hilfspersonen
sind grundsätzlich – von Ausnahmen abgesehen – zur Verschwiegenheit
über alle ihnen in Ausübung ihres Berufes anvertrauten oder bekannt
gewordenen Geheimnisse verpflichtet. Zahlreiche sanitätspolizeiliche
und sonstige gesundheitsrechtliche Vorschriften sehen aber Meldepflichten
vor, so etwa beim Auftreten ansteckender Krankheiten: zB § 1 ff
EpidemieG, BGBl 1950/186; §§ 1 ff AIDS-G, BGBl 1993/728. – Keine
Verschwiegenheitspflicht besteht dann, wenn ärztliche Mitteilungen
oder Befunde an Sozialversicherungsträger, Krankenfürsorgeanstalten
oder sonstige Kostenträger übermittelt werden oder der Patient den
Arzt von seiner Verschwiegenheitspflicht entbindet oder die Offenbarung
eines Geheimnisses zum Schutz höherwertiger Interessen der öffentlichen
Gesundheitspflege oder Rechtspflege unbedingt erforderlich ist oder
Unterlagen an „Dienstleistungsunternehmen” zur Honorar- oder Medikamentenabrechnung
überlassen werden müssen. – Im Zweifel geht aber das Patientenwohl
vor. | Verschwiegenheits-, Anzeige-
und
Meldepflichten |
Ergibt sich für den Arzt in Ausübung seines Berufes
der Verdacht, daß durch eine gerichtlich strafbare Handlung der
Tod oder die Körperverletzung eines Menschen herbeigeführt, oder
ein Minderjähriger oder sonst eine Person, die
ihre Interessen nicht selbst wahrzunehmen vermag, misshandelt, gequält,
vernachlässigt oder sexuell missbraucht worden ist, so ist er ermächtigt,
hierüber persönlich Betroffenen oder Behörden oder öffentlichen Dienststellen
Mitteilung zu machen, sofern das Interesse an dieser Mitteilung
das Geheimhaltungsinteresse überwiegt. Bei Verdacht, dass durch
eine gerichtlich strafbare Handlung – zB durch Misshandlung eines
Kindes – der Tod oder die schwere Körperverletzung (länger als 24
Tage dauernde Gesundheitsschädigung: § 84 StGB) eines Menschen herbeigeführt
wurde, hat ein Arzt der Sicherheitsbehörde unverzüglich und nachweislich
Anzeige zu erstatten; § 54 Abs 5 ÄrzteG 1998. Für nahe Angehörige
(§ 166 StGB) besteht eine Sonderregelung. | |
 | Abbildung 10.29: Behandlungsvertrag (1) |
|
 | Abbildung 10.30: Behandlungsvertrag (2) |
|
 | Abbildung 10.31: Arzthaftung: Vertrags- oder Deliktshaftung |
|
 | Abbildung 10.32: Ärztliche Dokumentationspflicht (1) |
|
 | Abbildung 10.33: Ärztliche Dokumentationspflicht (2) |
|
 | Abbildung 10.34: Recht auf Einsicht in die Krankengeschichte |
|
V. Behandlungsfehler
– Übersicht | |
Hinsichtlich der allgemeinen Schadenersatzvoraussetzungen,
die hier von grosser Bedeutung sind – nämlich insbesondere das Vorliegen
eines Schadens, von Verschulden und Kausalität – sowie der Bedeutung
der Beweislast oder der Möglichkeit Schmerzengeld verlangen zu können,
wird auf Kapitel 9 verwiesen. | |
Es empfiehlt sich Behandlungsfehler im engeren und im weiteren
Sinn zu unterscheiden. Der Behandlungsvertrag verpflichtet – wie
ausgeführt – den Arzt oder die Krankenanstalt zu fachgerechter Behandlung.
Es kommt aber immer wieder vor, dass trotz bester Absicht und Bemühens, mitunter
aber auch aus „Schlamperei” oder Unfähigkeit, Fehler unterlaufen.
Es hat sich eingebürgert, von „Behandlungsfehlern” zu sprechen.
Dabei wird unterschieden: | |
Der Begriff
„Behandlungsfehler ieS” umfasst ärztliches Verhalten
im Rahmen einer medizinischen Behandlung, das (ungewollt) zur Schädigung
der Gesundheit des Patienten führt; und zwar körperlich oder psychisch. | Behandlungsfehler ieS |
Zu
den „ Behandlungsfehlern iwS” zählen auch noch die
praktisch wichtigen (weil immer noch häufigen) Fehler bei der Aufklärung
von Patienten ( → Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht) sowie Konsultationsfehler und das Verletzen
von Organisationspflichten samt fehlerhafter Apparateüberwachung,
die vor allem für Krankenanstalten von Bedeutung sind. Dazu gleich
mehr. – Hierher gehören auch Pflegefehler und Lagerungsmängel, bspw
Decubitus. Dieser weit gefasste Begriff des Behandlungsfehlers ersetzt die
alten Termini „Kunstfehler” und „Verletzung der lex artis”. | Behandlungsfehler iwS |
Vorwürfe unterlaufener Behandlungsfehler dürfen aber nicht
leichtfertig erhoben werden, zumal dies verantwortlich machen kann,
was die folgenden Urteile deutlich machen. | |
Medizinsche Fallbeispiele | |
|
OGH 22. 2. 2001, 6 Ob 307/00s, RdM 2002/5:
Der (unberechtigter) Vorwurf eines Behandlungsfehlers im
Internet (Aufnahme in eine Homepage oder deren Unterverzeichnisse)
erfüllt den Tatbestand des
§ 1330 Abs 2 ABGB – „Ingrid R’s Homepage und Biographie”. | |
|
|
OGH 20. 12. 2001, 6 Ob 249/01p, RdM 2002/51: Vorwurf eines Behandlungsfehlers
im Fernsehen (Facelifting): Die Haftung des Medienunternehmers
für rufschädigende Äußerungen Dritter (Gäste) nach
§ 1330 Abs 2 ABGB setzt die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen
voraus. Der dem „Täter” obliegende Wahrheitsbeweis wird schon dann
als erbracht angesehen, wenn die Richtigkeit des Tasachenkerns nachgewiesen
ist. Die Bezeichnung eines Aufklärungsfehlers als Behandlungsfehler
schadet nicht → Rechte
und Pflichten aus dem Behandlungsvertrag sowie die hier getroffene Unterscheidung
zwischen Behandlungsfehlern ieS und iwS. Für Text- und Bildberichterstattung gelten
gleiche Grundsätze. Bildberichte über nachweislich wahre Sachverhalte
sind daher auch dann zulässig, wenn sie für davon Betroffene nachteilig,
bloßstellend oder herabsetzend wirken. | |
|
| |
Der hier verwendete Begriff des Behandlungsfehlers ieS umfasst
folgende Typen: Fehler bei der Anamnese, bei der Diagnoseerstellung,
der Prophylaxe, der Therapie und bei der Nachsorge. Dazu einige
Beispiele: | |
Irrtümer in der Diagnoseerstellung (iS einer objektiv unrichtigen
Diagnose) kommen in der Praxis nicht selten vor. Sie bedeuten nicht
automatisch eine Haftung des jeweiligen Arztes, zumal Krankheitssymptome
nicht immer eindeutig in Erscheinung treten. | |
Unter Diagnose wird begrifflich das Erkennen
einer Krankheit verstanden. Die Diagnose ist aber nicht gleichzusetzen
mit einer endgültigen Feststellung der Krankheit und ihrer Ursachen.
– Fehldiagnosen sind meistens dann Gegenstand einer Haftung, wenn
Krankheitserscheinungen in unvertretbarer, der (Schul)Medizin nicht
entsprechender Weise gedeutet, elementare Kontrollbefunde nicht
erhoben werden oder eine Überprüfung der ersten Diagnose im weiteren
Behandlungsverlauf unterbleibt. Standards der Diagnostik sind zu
erfüllen. Ärzte sind nach dem Behandlungsvertrag verpflichtet, im
Laufe der Behandlung auch eine ursprünglich gesicherte Diagnose
zu überprüfen und notfalls zu revidieren. | |
Zu beachten ist, dass ein Behandlungsfehler nicht immer
schon dann anzunehmen ist, wenn ein Arzt zu einer objektiv unrichtigen
Diagnose gelangt. Nur das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und
der für sie kennzeichnenden Symptome ist als Behandlungsfehler zu
bewerten; vgl E des dtBGH vom 8. 7. 2003, VI ZR 304/02: Nichterkennen
des Bruchs des achten Brustwirbelkörpers; fälschlich wurde eine
Prellung angenommen. | |
Ferndiagnosen sind danach unzulässig, wenngleich
insbesondere im Gutachtensbereich nicht selten. – Dies schliesst
aber nicht aus, dass Ärzte in Notfällen zu telefonischer
Information/Anordnung berechtigt sind, um bis zum Eintreffen ärztlicher
Hilfe einstweilige Maßnahmen zu ermöglichen. | |
 | |
|
OGH 1985, KRSlg 696: Um einen Diagnosefehler
handelt es sich, wenn ein Verrenkungsbruch der Halswirbelsäule als
Folge eines Bergunfalls nicht erkannt wird und in Folge zu einer
Querschnittslähmung führt. | |
|
|
OGH: JBl 1962, 91 = EvBl 1961, 39:
Diagnoseprobleme treten oft auf, wenn sich mehrdeutige Symptome überlagern
und die Krankheit dadurch nicht leicht festzustellen ist. Das ist
bspw bei der Feststellung einer Blinddarmentzündung/Appendizitis
der Fall. In einem konkreten Fall überlagerten sich Grippesymptome
mit den Symptomen einer Appendizitis, einer Nierenentzündung sowie
Darmverschluss und Magenkatarrh. Der behandelnde Arzt ließ den Patienten
trotz dieser Symptome über das Wochenende ohne ärztliche Betreuung
zu Hause und veranlasste erst am kommenden Montag die Einweisung
ins Krankenhaus, wo sogleich eine Blinddarmnotoperation durchgeführt
werden musste. Der Patient konnte aber dennoch nicht mehr gerettet
werden und verstarb an den Folgen eines Blinddarmdurchbruchs. –
Der OGH erblickte einen Behandlungsfehler darin, dass der behandelnde
Arzt trotz Vorliegens mehrdeutiger Symptome mit der Einweisung ins
Krankenhaus über das Wochenende gewartet hatte. – Ärzte sind daher
verpflichtet, Patienten/innen entsprechend den medizinischen Erfordernissen
rechtzeitig zu behandeln. | |
|
 | |
| |
 | |
Die Zusammenarbeit ausgebildeter Ärzte mit diplomiertem
Krankenpflegepersonal in der ärztlichen Einzel- und Gruppenpraxis
darf nach den einschlägigen Rechtsvorschriften (insbesondere dem
ÄrzteG) nur bei Wahrung der ärztlichen Eigenverantwortung erfolgen.
Ärzte sind grundsätzlich zur persönlichen Behandlung verpflichtet;
§ 49 Abs 2 ÄrzteG 1998. Ihnen steht – ohne Zustimmung des Patienten
– nicht das Recht zu, sich eines Vertreters/Substituten zu bedienen.
Patienten gegenüber haftet grundsätzlich nur der jeweils behandelnde
Arzt. Ein frei praktizierender Arzt haftet daher grundsätzlich nicht
für seinen Urlaubsvertreter. Zur Überweisung an einen Kollegen → Der
einfache Behandlungsvertrag
| Verletzung von
Organisations- und
Aufsichtspflichten |
Bedient sich der behandelnde
Arzt aber der Mithilfe anderer (als ärztlicher) Hilfspersonen (§
49 Abs 3 ÄrzteG), treffen ihn nach dem Gesetz Anleitungs-
und Überwachungspflichten. Weiters kann der Arzt
nach § 49 Abs 3 ÄrzteG 1998 im Einzelfall an Angehörige anderer
Gesundheitsberufe oder in Ausbildung zu einem Gesundheitsberuf stehende
Personen ärztliche Tätigkeiten übertragen, sofern diese vom Tätigkeitsbereich
des entsprechenden Gesundheitsberufs umfasst sind; zB nach dem GuKG,
MTD-G, HebG. Ärzte tragen aber die Verantwortung für ihre Anordnungen
an diese Personen und haften für das Verschulden dieser (Hilfs)Personen
im Rahmen des Behandlungsvertrags wie für ihr eigenes; § 1313a ABGB: Erfüllungsgehilfenhaftung.
Die ärztliche Aufsicht entfällt nur dann, wenn die Regelung der
entsprechenden Gesundheitsberufe (bei der Durchführung übertragener
ärztlicher Tätigkeiten) keine ärztliche Aufsicht vorsehen; § 49
Abs 3 ÄrzteG 1998. Dasselbe gilt für Krankenanstalten. | Anleitungs-
und Überwachungspflichten |
 | |
|
OGH 19. 12. 2001, 3 Ob 237/00z, RdM 2002/20:
Zieht der behandelnde Arzt im ausdrücklichen oder stillschweigenden
Einverständnis seines Patienten einen weiteren Arzt (Konsiliarius)
für die zu stellende Diagnose und/oder die beim Patienten einzuschlagende
Therapie hinzu (hier: Überweisung zur Kernspintomografie), kommt
auch zwischen Konsiliararzt und Patient ein eigenes vertragsverhältnis
zustande. Bei bloß interner Konsultation zwischen Arzt und Konsiliarius
entsteht zwischen diesem und dem Patienten keine eigene Vertragsbeziehung.
(Im Einzelfall ist das abzuklären.) | |
|
Diese Grundsätze bestehender
Organisations- und Aufsichtspflichten gelten auch für die Teamarbeit
in einer Krankenanstalt oder einer Gemeinschaftspraxis;
§ 52 ÄrzteG 1998. Auch die Berufsausübung angestellter Ärzte erfolgt
eigenverantwortlich. Allerdings haftet – wie ausgeführt – Patienten
gegenüber vertraglich nur die Krankenanstalt für Verschulden ihres
ärztlichen und nichtärztlichen Personals. Krankenhausärzte und Pflegepersonal
haften – wie erwähnt – Patienten/innen gegenüber nur deliktisch. | Teamarbeit
und Gemeinschaftspraxen |
Ein/e geschädigte/r Patient/innen kann aber
gleichzeitig die Krankenanstalt aus Vertrag und den behandelnden Krankenhausarzt
oder eine Krankenschwester zusätzlich deliktisch klagen: Der Schaden
ist aber nur einmal zu ersetzen, und Krankenanstalt und Krankenhausärzte/Schwestern
haften – bei Erfolg der Klage – gemeinsam/solidarisch. – Allfällige
Regressansprüche der Krankenanstalt gegen angestellte Ärzte und
Pflegepersonal regelt das D(N)HG → KAPITEL 12: Die
Dienstnehmerhaftung. | |
Auch Krankenschwestern und
-pfleger sind Sachverständige iSd § 1299 ABGB und
haften ab leichter Fahrlässigkeit. Eine Krankenschwester haftet
für Kenntnisse und Fähigkeiten im Rahmen ihres beruflichen Fachwissens.
Diese Berufe haben für das Wohl und die Gesundheit der Patienten, Klienten
und pflegebedürftigen Personen unter Einhaltung der hiefür geltenden
Vorschriften und nach Maßgabe fachlicher und wissenschaftlicher
Standards und Erfahrungen zu sorgen. Dabei ist jede eigenmächtige
Heilbehandlung zu unterlassen; § 4 GuKG. – Angehörige der Gesundheits-
und Krankenpflegeberufe haben sich über die neuesten Entwicklungen
und Erkenntnisse der Gesundheits- und Krankenpflege sowie der medizinischen
und anderer berufsrelevanter Wissenschaften regelmäßig fortzubilden;
§ 4 Abs 2 GuKG: Fortbildungspflicht. Der Anstaltsträger
hat dafür vorzusorgen. | |
 | |
Setzt ein Arzt ein Behandlungsgerät ein – und
das geschieht, wie wir wissen häufig –, hat er die Pflicht, sich
über dessen Funktionsweise zu informieren und allenfalls
einschulen zu lassen. Selbstverständlich müssen medizinische Geräte
auch entsprechend gewartet werden. In der Praxis werden
diesbezüglich immer wieder Fehler gemacht! Entsteht einem Patienten
durch eine derartige Nachlässigkeit ein Schaden, haben Krankenanstalt
oder praktischer Arzt (ab leichter Fahrlässigkeit) einen Behandlungsfehler
zu vertreten. Krankenanstalten trifft auch die Pflicht für eine angemessene
technische und organisatorische Schulung und Weiterbildung ihres
Personals vorzusorgen. Auch hier gelten die Standards der Sachverständigenhaftung. | Mängel bei der Bedienung
und Überwachung von Apparat(ur)en |
 | |
VI. Zur
ärztlichen Aufklärungspflicht | |
1. Respektierung
des Selbstbestimmungsrechts des Patienten | |
Von besonderer Bedeutung in
der Praxis ist die ärztliche Aufklärungspflicht, gegen die immer wieder
– bewusst oder unbewusst – verstoßen wird. Sie soll eine optimale
Kooperation von Patienten/innen mit dem behandelnden Arzt sicherstellen
und den Patienten vor Übergriffen und möglichen schädlichen (Aus)Wirkungen
bewahren. Sichergestellt werden soll dadurch aber vornehmlich die
freie Entscheidung von Patienten/innen im Rahmen einer (Heil)Behandlung.
– Dies ist das unverzichtbare Selbstbestimmungsrecht des Patienten.
Dieses Selbstbestimmungsrecht wird grundsätzlich durch die Einwilligung Betroffener
in die ärztliche Behandlung ausgeübt. Diese Einwilligung in die
Behandlung ist streng vom Abschluß des Behandlungsvertrags zu unterscheiden.
Eine korrekte Einwilligung setzt aber eine (vorangehende) entsprechende
ärztliche Aufklärung voraus. | Selbstbestimmungsrecht des Patienten
als Persönlichkeitsrecht |
Eine Verletzung des Selbstbestimmungsrechts des
Patienten bedeutet stets einen Verstoß gegen das absolut wirkende
Persönlichkeitsrecht des Patienten, das von § 16 ABGB iVm
dem Bundes-KAKuG und den Länder-KAGs gewährt wird. Dieser wichtige
Zusammenhang zwischen der ärztlichen Aufklärungspflicht und der
Respektierung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten als Persönlichkeitsrecht
wird von Medizinern immer wieder missverstanden. | |
| |
Ein Fehlen der ärztlichen
Aufklärung führt zivilrechtlich zur Rechtswidrigkeit des
gesamten medizinischen Eingriffs, weil ein Patient ohne
entsprechende ärztliche Aufklärung über die geplante Behandlung
und die damit verbundenen Risiken keine gültige Einwilligung in
diese abgeben kann. Zu beachten ist dabei: Das Nichteinholen der
Zustimmung des Patienten macht den Arzt rechtlich immer verantwortlich;
und zwar selbst dann, wenn der ärztliche Eingriff erfolgreich war.
Neben der zivilrechtlich-schadenersatzrechtlichen, kommt hier auch
die strafrechtliche Verantwortung nach § 110 StGB (eigenmächtige
Heilbehandlung) zum Tragen. | Fehler
bei der Aufklärung und Einwilligung |
Zivilrechtlich bedeutet der ärztliche Eingriff nach überwiegender
Auffassung immer eine Körperverletzung. Die nach
korrekter ärztlicher Aufklärung erfolgte Einwilligung stellt aber
einen Rechtfertigungsgrund ( → KAPITEL 9: Rechtswidrigkeit)
dar; vgl damit § 90 StGB, der diese Frage bereits lebensnäher regelt → Der
Sonderklassepatient –
Dieses Verständnis sollte längst legistisch überdacht werden. | |
 | |
2. Wobei ist aufzuklären? | |
Heute wird zwischen Diagnose-, Verlaufs-, Therapie- und Risikoaufklärung unterschieden. Umfang
und Grenzen der ärztlichen Aufklärung richten sich grundsätzlich
danach, ob Patienten/innen die Bedeutung und Tragweite der ärztlichen
Behandlung im großen und ganzen überblicken können, die Vor- und
Nachteile des bevorstehenden Eingriffs abzuwägen vermögen und somit
über die notwendige Entscheidungsbasis verfügen, um eine Einwilligung
in den ärztlichen Eingriff zu erteilen. Die „gewissenhafte
ärztliche Übung und Erfahrung unter Bedachtnahme auf die Besonderheiten
des Krankheitsbildes” bildet den Maßstab, wie weit die Aufklärung
in concreto zu reichen hat; JBl 1991, 455 f. – Darüber hinaus sind
aber auch die seelische Verfassung, die Art des geplanten Eingriffs,
mögliche Risiken und Komplikationen sowie der Grad der Verständigkeit
des Patienten, mögliche alternative Behandlungsmethoden, die Dringlichkeit
des Eingriffs und die Indikation der medizinischen Behandlung zu
berücksichtigen. Es geht um die Wahrung des Selbstbestimmungsrechts
von Patienten/innen. | |
Aufklärungspflichten bestehen für alle Formen der medizinischen
Behandlung, invasiven (also in den Körper eindringenden) Eingriffen ebenso,
wie bei medikamentöser Behandlung. – Die Diagnoseaufklärung umfaßt
die Aufklärung von Patienten/innen über den vom Mediziner erhobenen Befund.
– Die Verlaufs- oder Therapieaufklärung dient
der Mitteilung über Art, Umfang, Durchführung, Schwere, Schmerzintensität,
Dringlichkeitsgrad und Erfolgsaussichten des geplanten Eingriffs
sowie über mögliche Behandlungsalternativen und Krankheitsverläufe
bis zur Ablehnung der medizinischen Maßnahme. Darüber hinaus ist
vom Arzt darauf hinzuweisen, ob der medizinische Eingriff vorbeugenden,
diagnostischen oder therapeutischen Zwecken dient. Besonders hohe Anforderungen
werden bei Eingriffen verlangt, die keinen therapeutischen Eigenwert
besitzen. – Der Umfang der Verlaufsaufklärung richtet sich grundsätzlich
nach den Gesamtumständen des jeweiligen Einzelfalls, wie Dringlichkeit
des Eingriffs, Aufklärungswunsch und persönliche Kriterien auf Seite
des/der Patienten/in. Die Verlaufsaufklärung soll Patienten/innen
das Wesen des Eingriffs und die damit verbundenen Belastungen verdeutlichen.
Sie schafft somit auch die Basis für die darauf folgende Risikoaufklärung.
Die Risikoaufklärung dient der Mitteilung möglicher Komplikationen
und Nebenfolgen eines ärztlichen Eingriffs, die auch bei einer Behandlung
lege artis und bei Anwendung der größten Sorgfalt nicht vermieden
werden können. | Umfang der
Aufklärungspflicht |
Bei klinischen
Prüfungen und der Anwendung neuer Behandlungsmethoden sind
Patienten/innen auch darüber aufzuklären, daß es sich um eine neue
oder erst im Versuchsstadium befindliche Methode mit noch nicht
abschätzbaren Risiken handelt; vgl dazu das folgende Beispiel. –
Ähnliches gilt für die Vertrautheit des/der Behandlers/erin mit
einer Methode. | Klinische Prüfungen – neue Behandlungsmethoden |
|
OGH 23. 11. 1999, 1 Ob 254/99f, SZ 72/183 = JBl 2000, 657:
Die Beweislast für die ordnungsgemäße ärztliche
Aufklärung trägt der Arzt oder das Krankenhaus. (Interessante Ausführungen
über die Gründe, die eine Beweislastumkehr rechtfertigen). | |
|
|
OGH 20. 1. 2000, 6 Ob 238/99i, SZ 73/13:
Unzulässige Patientenversuche an Salzburger Landesnervenklinik –
Patientenanwalt beantragt, nach Entlassung von Patienten aus der
Landesnervenklinik Salzburg die Zulässigkeit von an diesen durchgeführten
Heilbehandlungen in Form der Verabreichung von in klinischer Prüfung
befindlichen und damit nicht zugelassenen Medikamenten zu überprüfen.
– OGH: Die Rechtsschutzbestimmungen des UbG sind im Lichte der Bestimmungen
der Art 3 und 13 EMRK dahin auszulegen, dass derjenige, der behauptet,
in dem Recht auf Achtung der Menschenwürde verletzt zu sein, auch
noch nach Beendigung der gegen ihn gesetzten Maßnahmen ein rechtliches
Interesse an der Feststellung hat, ob die an ihm vorgenommene Behandlung
zu Recht erfolgte. Jedoch unterliegt die klinische Prüfung von Arzneimitteln
an Untergebrachten als Versuchspersonen der nachträglichen Zulässigkeitskontrolle
durch das Unterbringungsgericht nach Meinung des OGH nur dann, wenn
die klinische Prüfung im Zuge einer Heilbehandlung erfolgte. Aus
Gründen des Rechtsschutzdefizits ist eine Ausweitung der Entscheidungskompetenz
des Unterbringungsgerichtes nicht erforderlich, da die Betroffenen bei
einer Überschreitung der ärztlichen Befugnisse einen individuellen
Rechtsschutz in Form von Amtshaftungsansprüchen haben. (?) Die E
ist in sich widersprüchlich – Heilbehandlung! – und unbefriedigend. Zu
vieles bleibt offen. | |
|
|
RdM 2002/2: Nasenseptumoperation.
Ein bloß formularmäßiges Einholen der Zustimmung des
Patienten zu einer Operation oder die nur in einem Formular gegebene
Aufklärung ohne ärztliches Aufklärungsgespräch ist nicht ausreichend.
Informationsblätter etc können aber das Aufklärungsgespräch vorbereiten
und unterstützen. Die Risken des jeweiligen Eingriffs müssen jedoch
im unmittelbaren Gespräch zwischen (behandelndem oder operierenden)
Arzt und Patient/in erörtert werden. Der Arzt darf dem Patienten
gegenüber jedenfalls nicht den Eindruck vermitteln, dass aus der
Alltäglichkeit des Eingriffs auf seine völlige Ungefährlichkeit
geschlossen werden darf. | |
|
Der Begriff der Dringlichkeit besitzt sowohl
eine zeitliche Komponente, als auch eine sachliche Indikation.
Beide Komponenten können zusammenfallen, müssen das aber nicht.
Hat eine Behandlung zwar nicht binnen kürzester Frist zu erfolgen,
erscheint sie aber (insgesamt) medizinisch dringend geboten, hat
die Aufklärung hohen Anforderungen zu genügen. Hat demgegenüber
die Behandlung rasch bei einem nicht vital indizierten Eingriff
zu erfolgen, da sonst schwere gesundheitliche Nachteile zu befürchten
sind, genügt eine weniger umfassende Aufklärung. | Von der Rspr entwickelte „Allgemeine
Grundsätze” der ärztlichen Aufklärung |
•
Je weniger
dringlich der medizinische Eingriff, desto umfassender hat
die Aufklärung zu erfolgen. | |
•
Je dringlicher der medizinische
Eingriff, desto weniger ausführlich hat die Aufklärung
zu erfolgen. | |
Ärzte sind aber nicht verpflichtet, Patienten/innen über
alle nur erdenklichen nachteiligen Behandlungsfolgen aufzuklären.
Der behandelnde Arzt hat aber über jene Risiken aufzuklären, die
für eine eigenverantwortliche Behandlungseinwilligung des/der Patienten/in
ernsthaft ins Gewicht fallen. Über häufig eintretende und typische
Risiken eines Eingriffs ist aufzuklären. | Aufklärungspflicht
darf nicht überzogen werden |
Als typische Risiken werden
vom OGH bspw angesehen: Tetanie und Nebenschilddrüsenverletzungen
bei einer Schilddrüsenoperation, Strahlenschäden durch Röntgenbehandlung,
Erblindung nach einer Nasen- oder Septumoperation, Gesichtslähmungen
nach einer Tympanoplastik, Verschlußgelbsucht nach einer Cholezystektomie,
das Durchtrennen des Ductus choledochus bei einer Gallenblasenentfernung,
Peronaeusnervlähmung bei einer Varizenoperation oder Lähmungen bei
Bandscheibenoperationen. | |
|
Aufklärungspflicht
– Rspr-Beispiele
| |
Aufklärungspflicht wird von der Rspr etwa angenommen bei: | |
|
|
Kropf- oder Schilddrüsenoperationen: Stimmbandlähmung (SZ 55/114)
| |
|
|
Herzoperationen:
zB Hirnschädigung (SZ 57/207)
| |
|
|
Nierensteinentfernung
:
bezüglich anderer Behandlungsmethoden (KRSlg
685) | |
|
|
Ozonbehandlung:
wegen Embolie(gefahr) etc (SZ 62/18) | |
|
|
Lumbalpunktion
:
wegen möglicher Komplikationen (SSt 59/18) | |
|
|
Nasenseptumoperation –
schwere Nachblutungen bei 2,6 % der Fälle als typisches Risiko (OGH 28.2. 2001, 7 Ob 233/00s, RdM
2002/2) | |
|
|
(Weisheits)Zahnextraktion –
mögliche Schädigung des Nervus lingualis: OGH
8.3.2001, 8 Ob 33/01p, RdM 2002/3. | |
|
Besonders streng handhabt die Rspr die ärztliche
Aufklärungspflicht bei Schönheitsoperationen. Es besteht demnach
ein reziproker Zusammenhang zwischen medizinischer Indikation (der
Operation) und ärztlicher Aufklärungspflicht: Je geringer die Notwendigkeit
eines operativen Eingriffs, desto umfangreicher und sorgfältiger
die Aufklärungspflicht! | Aufklärungspflicht
bei Schönheitsoperationen |
• Arzt
muss bei Schönheitsoperationen hinweisen auf: | |
• das zu erwartende Ergebnis, einschließlich
etwaiger Misserfolge | |
• auf damit verbundene bloße Unannehmlichkeiten,
wie Schmerzen; | |
• die Tatsache, dass er einen bestimmten Erfolg
nicht garantieren kann etc; | |
• Schließlich darf Patienten/innen nicht unterstellt
werden (im Gegensatz zu medizinisch erforderlichen Operationen),
dass sie Risiken, die mit Operationen sonst verbunden sind, auch
hier bereit sind in Kauf zu nehmen. | |
|
SZ 63/152 (1990): „Ein Facharzt
der allgemeinen Chirurgie muss den Patienten nach dem jeweiligen Stand
der ärztlichen Wissenschaft über alternative Operationsmethoden der
plastischen Chirurgie informieren.” – Die Klägerin hatte als Kind
schwere Verbrühungen im Bereich des rechten Oberarms, der rechten
Schulter und im oberen Brust- und Halsbereich erlitten, woraus großflächige
Narben verblieben. – OGH-Merksatz: „Die Pflicht des Arztes zur Aufklärung
ist umso umfassender, je weniger der Eingriff dringlich erscheint.
Ist der Eingriff zwar medizinisch empfohlen, aber nicht eilig, so
ist grundsätzlich eine umfassende Aufklärung notwendig.” Vgl auch
SZ 55/114 (1982). | Rspr-Beispiele
zum Umfang der ärztlichen Aufklärungspflicht |
|
|
JBl 1999, 531: Die ärztliche Aufklärungspflicht
ist um so umfassender, je weniger vordringlich oder gar geboten
der Eingriff aus Sicht eines vernünftigen Patienten ist. In einem
solchen Fall ist Aufklärung über mögliche Risken selbst dann geboten,
wenn die nachteiligen Folgen wohl erheblich, jedoch wenig wahrscheinlich
sind. – Die Aufklärungspflicht ist bei Vorliegen typischer, mit
der Heilbehandlung verbundener Risken verschärft. Auf sie ist auch
bei Seltenheit ihres Eintritts hinzuweisen. – An der Rspr, wonach
den Arzt im Fall der Verletzung der Aufklärungspflicht die Beweislast dafür
treffe, dass der Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung
zum Eingriff erteilt hätte, wird festgehalten. | |
|
|
JBl 2000, 169:
Schadenersatzansprüche eines Blutspenders wegen
einer Hepatitis C-Infektion: Bei Fehlen eines ärztlichen
Aufklärungsgesprächs tritt eine umfassende Haftung für die negativen
Behandlungsfolgen ein, auch wenn im Tatsachenbereich Zweifel bestehen,
ob über das besonders seltene Risiko, das sich im konkreten Fall
verwirklicht hatte, überhaupt Aufklärung erforderlich gewesen wäre.
Bei Verletzung der Aufklärungspflicht trifft den
Arzt die Beweislast dafür, dass der Patient auch
bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zum Eingriff erteilt
hätte. | |
|
Ein Aufklärungsfehler liegt auch
vor, wenn einem Patienten die von ihm einzuhaltenden Verhaltensmaßregeln zum Schutze
seiner bestrahlten Haut nicht mitgeteilt wurden, weshalb er zu Schaden
kommt. – In einem anderen Fall wurde ein Patient unzureichend über
die richtige Dosierung einer arsenhaltigen Lösung
informiert, weshalb er einen Gesundheitsschaden erlitt. – Über Nebenwirkungen
von Medikamenten, etwa eine mit der Verabreichung verbundene
eingeschränkte Lenkfähigkeit von Kraftfahrzeugen, ist ebenfalls
aufzuklären; zB wenn bei Magen- oder Darmspiegelungen eine Beruhigungsspritze
verabreicht wird: 24 Stunden! | Weitere
Aufklärungspflichten |
3. Die therapeutische
Aufklärung | |
Dabei geht
es um die Sicherung des Heilerfolgs und eines therapiegerechten
Verhaltens von Patienten/innen. – Eine wichtige vertragliche Nebenpflicht
des Behandlungsvertrags stellt daher die Pflicht zur Ausstellung
eines Arztbriefs nach Abschluss der medizinischen Behandlung
oder Operation dar. Der Arztbrief hat alle für die weitere medizinische
Betreuung maßgebenden Angaben und Empfehlungen zu enthalten. Er
richtet sich an den/die Patient/in/en und den nachbetreuenden Arzt
und ist auf Wunsch Patienten/innen selbst auszuhändigen. – In der
Praxis werden Arztbriefe oft mit (großer) zeitlicher Verspätung
erstellt. Das stellt einen Sorgfaltsmangel dar und kann zu Behandlungsfehlern
und idF zu Haftungen führen, wenn dadurch eine sachgemäße (Nach)Behandlung unterbleibt
oder erst verspätet einsetzen kann. – Die gesetzliche Anordnung
– zB § 35 Abs 6 Tir-KAG, dass der Arztbrief unverzüglich auszustellen
sei, bedeutet: ohne schuldhaftes Zögern ! Die Beweislast für
das korrekte Erfüllen dieser gesetzlichen Pflicht trägt die Krankenanstalt
oder der behandelnde Arzt nach § 1298 ABGB iVm § 1311 ABGB; sog Schutzgesetzverletzung → KAPITEL 9: §
1311 Satz 2 ABGB: Schutzgesetzverletzung. | |
|
Der Patient ist
im Rahmen der therapeutischen Aufklärung auch auf
allfällige nachteilige Folgen einer Nichtbefolgung therapeutischer
Anweisungen sowie darauf hinzuweisen, dass er bei atypischen Veränderungen
unverzüglich ärztlichen Rat einholen müsse; OGH
23.3.2000, 10 Ob 24/00b, RdM 2001, 18:
Hinweis auf die Möglichkeit des Auftretens einer Sudeck´schen
Dystrophie (Muskelschwäche) bei unterlassener Bewegungstherapie. | |
|
Wünscht ein/e Patient/in vorzeitig entlassen zu werden,
ist darüber eine Niederschrift (Revers) aufzunehmen,
die vom Patienten zu unterfertigen ist und in der er auf mögliche
nachteilige Folgen aufmerksam zu machen ist. – Eine solche Entlassung
auf Wunsch von Patienten kann sinnvoll sein, wenn sich bspw zeigt,
dass der behandelnde Arzt nicht in der Lage ist eine plausible Diagnose
zu stellen und den Patienten als Simulanten abtut. Durch das Unterfertigen
eines Reverses wird aber nicht auf allfällige Ansprüche verzichtet
oder ein Eigenverschulden einbekannt. | |
 | Abbildung 10.35: Aufklärungspflicht (1) |
|
 | Abbildung 10.36: Aufklärungspflicht (2) |
|
 | Abbildung 10.37: Aufklärungspflicht (3) |
|
 | Abbildung 10.38: Aufklärungspflicht (4) |
|
 | Abbildung 10.39: Aufklärungspflicht (5) |
|
 | Abbildung 10.40: Aufklärungspflicht (6) |
|
VII. Medizinhaftung
– Beweislast | |
Die Arzt- oder besser
Medizinhaftung ist derzeit in Österreich gesetzlich nicht besonders
geregelt. Es gelten die allgemeinen Bestimmungen des ABGB; insbesondere
§ 1299 ABGB: sog Sachverständigenhaftung. Ärzte, Krankenanstalten,
aber auch Pflegepersonal oder Therapeuten unterliegen ihr. Sie greift
ab leichter Fahrlässigkeit. Eine Besonderheit des § 1299 ABGB liegt
darin, dass sein Tatbestand eine objektivierte Verschuldenshaftung enthält,
was meint, dass für Wissens-, Könnens- und Sorgfaltsstandards einzustehen
ist → Die
Sachverständigenhaftung
| |
| |
| |
Vertrakt und für Patienten/innen
ungünstig wird die Frage der Beweislast von der Rspr und einem Teil
des Schrifttums (vgl Reischauer in Rummel2,
§ 1298 ABGB Rz 26) gehandhabt: Obwohl zwischen Krankenanstalt /
Arzt und Patient/in eine vertragliche Beziehung – der Behandlungsvertrag –
besteht, wird die Beweislastumkehr des § 1298 ABGB auf diese Beziehung
zum Teil nicht angewandt; anders behandelt wird aber die Frage der
Erfüllung der ärztlichen Aufklärungspflicht für deren Durchführung
der behandelnde Arzt beweispflichtig ist. Für den Fall der Verletzung
der Aufklärungspflicht trifft den Arzt oder den für das Fehlverhalten
seiner Ärzte haftenden Krankenanstaltsträger die Beweislast dafür,
dass der Patient auch bei ausreichenderAufklärung die Zustimmung
zur Behandlung gegeben hätte. | Ein
umstrittenes Problem |
| |
Probleme
bereitet vor allem der Verschuldensbeweis, bei
dem ein beträchtlicher Teil von Schrifttum und Rspr einen „arztfreundlichen
Standpunkt” – so treffend Karl Kohlegger – einnimmt. Es wird nämlich
die Meinung vertreten, dass es Sache des schadenersatzfordernden
Patienten sei, den Beweis eines Behandlungsfehlers des Arztes iS
einer Sorgfalts- oder Wissensverletzung nach § 1299 ABGB zu erbringen.
Erst aus diesem objektiven Beweis eines unterlaufenen Behandlungsfehlers
sei sodann in subjektiver Hinsicht, bis zum Beweis des Gegenteils,
auch auf eine Sorgfaltsverletzung des Arztes zu schließen. | Verschuldensbeweis |
 | |
Wie zur Beweislast dargelegt, ist zwischen Schadens-, Kausalitäts-
und Verschuldensbeweis zu unterscheiden. Ein Rspr-Beispiel
für die Anforderungen an den Kausalitätsbeweis findet sich im Franz
Gschnitzer Lesebuch 735 (JBl 1953, 18 mit Anm von F. Gschnitzer):
Zur Begründung des Schadenersatzanspruchs genügt danach der Nachweis schlichter
(!) Wahrscheinlichkeit eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen
dem Schaden und dem schädigenden Ereignis, insbesondere wenn es
in Unterlassungen bestehen soll. | |
Zur Wahrscheinlichkeitsproblematik im Rahmen der
Kausalzurechnung
→ KAPITEL 9: Kausalität
/ Verursachung.
und dort insbesondere → KAPITEL 9: Kausalitätsspektrum.: Kausalitätsspektrum. Die Rspr verlangt
aber seit geraumer Zeit, schlecht beraten vom Schrifttum, entgegen
früherer anderer eigener Position, hohe und höchste Wahrscheinlichkeitsgrade,
was abzulehnen ist. Klar und strikt zu trennen wären die Bereiche
„Möglichkeit” und „Wahrscheinlichkeit” innerhalb des Kausalitätsspektrums.
Schlichte/einfache Wahrscheinlichkeit sollte jedoch ausreichend
sein, um rechtlich einen Kausalzusammenhang annehmen zu können. | |
2. Welche Konsequenzen
hat das? | |
Wenn
Sie bspw operiert und dafür narkotisiert werden, also bei der Operation
gar nicht bei Bewusstsein waren, müssen Sie dennoch den oben geschilderten
objektiven Verschuldensbeweis eines Behandlungsfehlers erbringen.
Sie können sich vorstellen, wie hoch Ihre Chancen insbesondere in
schwierigen Fällen sind. – Ein beachtlicher Teil des Schrifttums
zeigt sich auch von solch’ unleugbaren Fakten unberührt und huldigt
einer weltfernen Dogmatik: Man kann dazu nicht einmal sagen – Fiat
iustitia pereat mundus, denn das Gesetz, konkret § 1298 ABGB, sähe
es ja anders vor. | |
 | |
| |
| |
4. §
27 a KAKuG: Patientenentschädigungsfonds | |
 | |
Nunmehr
besteht eine weitere Möglichkeit der Entschädigung nach Schäden,
die durch die Behandlung von Patienten in Fonds-Krankenanstalten
entstehen. Nach § 27a KAG (BGBl I 5/2000) sind die Träger von Fonds-Krankenanstalten
verpflichtet, einen Betrag in der Höhe von 0,7267 ı (10 öS) pro
Verpflegstag von Patienten einzuheben. | |
Diese
Beträge werden zur Entschädigung nach Schäden zur Verfügung gestellt: | Gesetzliche Tatbestandsvoraussetzungen |
• die durch
die Behandlung entstanden sind und | |
• bei denen eine Haftung des Rechtsträgers
nicht eindeutig gegeben ist. | |
Auf dieser fragwürdigen bundesgesetzlichen Grundlage sind
in den einzelnen Bundesländern Ausführungsgesetze erlassen worden
oder noch zu erlassen. | |
Wie
es aber bei einer derart anspruchslosen bundesgesetzlichen Grundlage
zu einer einheitlichen Landesausführungsgesetzgebung kommen soll,
bleibt abzuwarten, wobei schon jetzt aufgrund vorliegender Ausführungsgesetze
in einzelnen Bundesländern (Niederösterreich, Salzburg, Tirol, Wien)
gesagt werden kann, dass die Lösung einer verschuldensunabhängigen
Haftung verfehlt wurde und die Praxis alles andere als
Gutes verheißt. – Das Schweigen der Lehre/Theorie zu dieser niveaulosen
Gesetzgebung und Praxis ist beschämend. | Anspruchslose bundesgesetzliche Grundlage |
Die Formulierung des § 27a KAKuG „…Haftung
nicht eindeutig gegeben” lässt bei allen bestehenden Zweifeln eines
erkennen, dass nämlich grundsätzlich von einer „Haftung” auszugehen
ist, mag diese auch nicht eindeutig – das heißt insbesondere beweismäßig
– durchsetzbar erscheinen. | Formulierung des
§ 27a KAKuG |
Es
wurden eigene Patientenentschädigungsfonds geschaffen.
Eine Entschädigungskommission hat sodann die Aufgabe,
zu entscheiden, ob die Voraussetzungen zur Erlangung einer Entschädigung
erfüllt sind. Geprüft werden muss, ob der eingetretene Schaden mit
einer Behandlung in einer Fonds-Krankenanstalt im zeitlichen, örtlichen
und ursächlichen Zusammenhang steht; rechtliche Schadenszurechnung.
Es ist also der Zusammenhang des konkreten Schadenfalls mit dem Risikobereich
der behandelnden Fonds-Krankenanstalt und der Zusammenhang des eingetretenen Schadens
mit der jeweiligen Behandlung zu prüfen. | Patientenentschädigungsfonds |
VIII. Zur Verjährung
von Ansprüchen aus Behandlungsfehlern | |
| |
| |
§ 1489 ABGB unterscheidet zwischen kurzer
Verjährungszeit (drei Jahre) und allgemeiner oder langer Verjährungszeit
(30 Jahre). Die dreijährige Frist des § 1489 Satz 1 ABGB beginnt
zu laufen, wenn dem Geschädigten der Schade und
die Person des Beschädigers bekannt geworden sind.
– Lehre und Rspr legen diese Bestimmung dahin aus, dass die Verjährung
beginnt, wenn der Sachverhalt dem Geschädigten so weit bekannt ist,
dass er mit Aussicht auf Erfolg klagen kann. Das bedingt die Kenntnis
des Kausalzusammenhangs und auch die Kenntnis der Umstände, die
das Verschulden behandelnder Personen begründen. Ist aber der Geschädigte
Laie und setzt die Kenntnis dieser Umstände Fachwissen voraus, so
beginnt die Verjährungsfrist regelmäßig erst zu laufen, wenn der
Geschädigte bspw durch ein medizinisches Sachverständigengutachten
Einblick in die bestehenden Zusammenhänge erlangt hat; vgl RdM 2001,
21. – Werden Schädiger und Schaden (insbesondere der Kausalzusammenhang)
zunächst nicht bekannt, verjährt der Anspruch (absolut) in 30 Jahren.
Bestehende Pläne, diese Frist auf 10 Jahre zu kürzen, dienen nicht
dem Interesse der Patienten/innen. | Voraussetzungen
der Verjährung |
Ist ein sog Erst-
oder Primärschaden entstanden und sind künftige
Schäden vorhersehbar, muss innerhalb der kurzen Verjährungsfrist
eine Feststellungsklage eingebracht werden, um
Verjährungsfolgen auszuschließen. Kommen nicht vorhersehbare Folgen/Wirkungen
eines Schadensfalles hervor oder tritt ein nicht vorhersehbarer
Schaden als Folge des ursprünglichen Schadensfalles ein, so beginnt
eine neue Verjährungsfrist zu laufen; OGH 27. 1. 1998, 1 Ob 155/97v,
JBl 1998, 454 = ZVR 1998/94. | Feststellungsklage |
|
OGH 6 Ob 273/98k: Kommt demnach
jemand durch einen ärztlichen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler
zu Schaden, beginnt die Verjährungsfrist nicht, solange die Unkenntnis,
dass es sich um einen Behandlungs- oder Aufklärungsfehler handelt,
andauert, mögen auch der Schade und die Person des (möglichen) Schädigers
an sich bekannt sein. | |
|
|
OGH 23.5.2000 4 Ob 131/00v, RdM 2001, 21:
Über ein derart umfassendes Wissen wird ein Patient aber regelmäßig
nicht verfügen, denn Klarheit wird erst ein Sachverständigengutachten schaffen.
– Es besteht aber keine Verpflichtung der geschädigten Partei zur
Einholung eines Gutachtens! | |
|
| |
Der
Verlauf der Verjährungsfrist wird aber nunmehr
gemäß § 58a ÄrzteG 1998 gehemmt, dh, die bereits
laufende Verjährungsfrist wird vorübergehend angehalten, wenn zB
zwischen dem geschädigten Patienten und der Haftpflichtversicherung
des Schädigers Schadenersatzverhandlungen (iSv Vergleichsverhandlungen
→ KAPITEL 7: Der
Vergleich: §§ 1380-1390 ABGB)
geführt werden. Um solche Verhandlungen nicht zeitlich „unter Druck”
zu setzen, beginnt die Verjährungsfrist erst nach deren Beendigung
– also etwa dem Scheitern – dieser Verhandlungen zu laufen. | Hemmung der Verjährung |
Diese Rspr des OGH hatte einen „realen”
Anlaß: Eine Versicherungsgesellschaft hatte lang und hinhaltend verhandelt,
um nach Ablauf von drei Jahren festzustellen, daß der Anspruch nun
verjährt sei. Dieser unseriösen Vorgangsweise trat der OGH entgegen. | |
Bei Wegfall des Hemmungsgrundes läuft
die Verjährungsfrist – unter Einrechnung der bereits abgelaufenen
Zeit – weiter. Hat ein Patient, der behauptet, durch Verschulden
eines Arztes bei dessen Beratung, Untersuchung oder Behandlung geschädigt
worden zu sein, schriftlich eine Schadenersatzforderung erhoben,
so ist der Lauf der Verjährungsfrist von dem Tag an gehemmt, an welchem
der bezeichnete Schädiger (sein bevollmächtigter Vertreter oder
sein Haftpflichtversicherer oder der Rechtsträger jener Krankenanstalt,
in welcher der genannte Arzt tätig war) schriftlich erklärt hat,
zur Verhandlung über eine außergerichtliche Regelung der Angelegenheit bereit
zu sein. Diese Hemmung tritt auch ein, wenn ein Patientenanwalt oder
eine ärztliche Schlichtungsstelle vom angeblich
Geschädigten oder vom angeblichen Schädiger oder von einem ihrer
bevollmächtigten Vertreter schriftlich um Vermittlung ersucht wird,
in welchem Falle die Hemmung an jenem Tag beginnt, an welchem dieses
Ersuchen beim Patientenanwalt oder bei der ärztlichen Schlichtungsstelle
einlangt. Die Hemmung des Laufes der Verjährungsfrist endet mit dem
Tag, an welchem entweder der angeblich Geschädigte oder der bezeichnete
Schädiger oder einer ihrer bevollmächtigten Vertreter schriftlich
erklärt hat, dass er die Vergleichsverhandlungen als
gescheitert ansieht oder durch den angerufenen Patientenanwalt oder
die befasste ärztliche Schlichtungsstelle eine gleiche Erklärung
schriftlich abgegeben wird, spätestens aber 18 Monate nach Beginn
des Laufes dieser Hemmungsfrist. So nunmehr die neu eingeführte
Bestimmung des § 58a ÄrzteG 1998, idF BGBl I 110/2001. | Wegfall des
Hemmungsgrundes |
C. Entscheidungsbeispiele
zu den Kapiteln 9 und 10 |
Die
folgenden „Fälle” zu den Kapiteln 9 und 10 dienen dazu, das Gelernte
zu vertiefen und in die Praxis der Fallbehandlung einzuführen. Das
Lesen höchstrichterlicher En schärft die eigene Argumentation und
fördert schon im Studium die Verständnis- und Kritikfähigkeit. Es
handelt sich also nicht um Prüfungsstoff, sondern um „Lektüre” für
Interessierte. Die idR gekürzt abgedruckten En sollen dazu anregen,
den Volltext dieser und anderer En nachzulesen. | |
Fälle in zeitlichem
Abstand zum vermittelten Stoff zu lesen, vermittelt zudem einen
Wiederholungseffekt. | |
| |
| |
| |
| |
| |
| |
| |
| |
I. Eine missglückte Sterilisation | |
|
Urteil des
LG Ried i.I. (1993) – gekürzt. Klägerin = Anneliese
St, Mutter eines trotz Sterilisation gezeugten Kindes. Beklagte =
Betreiberin des Krankenhauses B. Das LG Ried im Innkreis erkennt
in der Rechtssache der klagenden Partei Anneliese St gegen die beklagte
Partei [Krankenhaus B.] wegen Feststellung (Streitwert: 300.000
S) nach öffentlicher mündlicher Streitverhandlung zu Recht: (1)
Es wird der beklagten Partei gegenüber festgestellt, dass diese
der klagenden Partei für sämtliche Schäden aus der am 22.7.1989
im Krankenhaus B. durchgeführten Sterilisationsoperation haftet.
(2) Die beklagte Partei ist schuldig, der Klägerin die Kosten dieses
Rechtsstreites in der Höhe von 64.878,80 S zu ersetzen. Aus den E-Gründen:
Die klagende Partei begründete ihr Feststellungsbegehren mit den
nachstehenden Behauptungen: Sie ... habe am 21.7.1989 ihr viertes
Kind geboren. Im Hinblick auf ihren Gesundheitszustand habe sie
sich damals auch zu einer Sterilisation entschlossen, die am 22.7.1989
... durchgeführt worden sei. Diese Sterilisation sei in Form einer
Tubenligatur durchgeführt worden .... Eine Aufklärung, welche Sterilisationsmethoden
angewendet werden können und welchen Sicherheitsgrad die jeweilige
Methode aufweise.., sei nicht erfolgt, ebenso wenig ein Hinweis,
dass ein derartiger Eingriff unmittelbar nach der Entbindung äußerst
ungelegen sei .... Abgesehen davon, habe der behandelnde Arzt den
Eingriff nicht „lege artis” vorgenommen. Dies habe letztendlich
dazu geführt, dass sie wieder schwanger geworden sei und am 13.9.1991
ihr fünftes Kind zur Welt gebracht habe .... Die beklagte Partei
hafte iSd § 1313a ABGB für den behandelnden Arzt. Aufgrund des fehlerhaften
Eingriffs sowie der mangelnden Aufklärung stünden ihr Schadenersatzforderungen
zu, und zwar in Form eines Schmerzengeldes, der Entlohnung von Betreuungspersonen
für die Kinder im Zusammenhang mit ihren gesundheitlichen Problemen
während der Schwangerschaft und in Form einer Unterhaltsleistung
der beklagten Partei für das fünfte Kind. | |
|
Sterilisation: §
90 Abs 2 StGB | |
§ 90 Abs 1 StGB behandelt allgemein die „Einwilligung des
Verletzten” (volenti non fit iniuria) als Rechtfertigungsgrund,
schränkt aber insoferne ein, als die Körperverletzung oder Gefährdung
der körperlichen Sicherheit nicht gegen die guten Sitten verstoßen
darf. – Da die Erlaubtheit / Sittenwidrigkeit einer Sterilisation,
die nicht zu Heilzwecken erfolgte lange umstritten war, bestimmt nunmehr
Abs 2: | |
„Die von einem Arzt an einer Person mit
deren Einwilligung vorgenommene Sterilisation ist nicht rechtswidrig, wenn
entweder die Person bereits das fünfundzwanzigste Lebensjahr vollendet
hat oder der Eingriff aus anderen Gründen nicht gegen die guten
Sitten verstößt.” | |
In Deutschland hat die Frage um die Begründung des Schadenersatzes
für ein ungewolltes Kind (Sterilisationsfälle; sog planwidrige Geburt)
zum Streit zweier Senate des Bundesverfassungsgerichtes geführt,
obwohl die zivilrechtliche Entschädigung des dadurch bewirkten Unterhaltsschadens
außer Streit steht. | |
 | |
II. Aufklärung über Erfolgsaussicht bei Sterilisationen | |
|
Vgl damit OGH, 26.1.1995, 6 Ob 502/95, RdM 1995, 69 (Anm
Bernat): – § 1293 ff, 1325 ABGB. Aus der Mitteilung des Arztes,
dass eine geplante Sterilisation durch operative Eileiterunterbindung„zu
den sichersten” gehöre, ist für die Patientin hinreichend erkennbar,
dass mit einem Erfolg nicht zu 100% gerechnet werden kann. Eine
derartige Erklärung stellt daher eine ausreichende Aufklärung über
die Erfolgsaussicht des Eingriffs im Hinblick auf die beabsichtigte
Verhinderung künftiger Empfängnisse dar. – Vgl dazu die Vor-E (LG
Ried i.I.): vgl E 1. | |
|
III. Geburt eines behinderten Kindes als
Schaden der Eltern | |
|
JBl
1999, 593: Arzthaftung – §§ 1295 ff ABGB,
§ 97 Abs 1 Z 2 StGB: Der Senat teilt die Bedenken gegen die Annahme,
die Geburt eines gesunden, jedoch unerwünschten Kindes sei ein Schaden.
– Der Fall der Geburt eines überaus schwer behinderten Kindes, der
den Eltern eine besonders schwere, ihr Leben einschneidend verändernde
Belastung aufbürdet, ist jedoch mit dem Problemkreis der bloß fehlgeschlagenen Familienplanung
nicht vergleichbar. In einem solchen Fall kann es nicht ohne weiteres
als ausgeschlossen angesehen werden, aus der unterlassenen Abtreibung
Schadenersatzansprüche abzuleiten. – Der weitaus überwiegenden Auffassung
folgend vertritt der Senat die Ansicht, dass eine von der schwangeren
gewünschte Abtreibung nicht rechtswidrig ist, wenn
die Voraussetzungen des § 97 Abs 1 Z 2 zweiter Fall StGB vorliegen.
– Der Arzt, der die mögliche Aufklärung über eine schwere Behinderung
des werdenden Kindes unterlässt, verstößt gegen seine Vertragspflicht,
die auch den Schutz der Eltern vor Vermögensnachteilen in Folge
der unerwünschten, bei ordnungsgemäßer Aufklärung unterbliebenen
Geburt eines schwerst behinderten Kindes umfasst. Ein Schadenersatzanspruch
des Kindes gegen den Arzt für die unerwünschte eigene Existenz („wrongful
life”) wird in Übereinstimmung mit dem dtBGH abgelehnt.
Für die Ersatzpflicht des verantwortlichen Arztes kann es keine
Rolle spielen, wie sich die Belastung im Einzelfall zwischen den
Eheleuten verteilt. | |
|
 | |
IV. Was darf ein Arzt in Facharztausbildung? | |
|
JBl
1987, 104: §§ 1295, 1299, 1298 und 1313a
ABGB; § 1a ÄrzteG: Ein in Facharztausbildung befindlicher
Arzt darf nicht selbständig ohne Anleitung und
Aufsicht eine Narkose verabreichen. Tut er das dennoch
und fügt er dabei durch Unterlassung ... dem Patienten einen Körperschaden
zu, so wird er schadenersatzpflichtig, wenn er nicht beweist, dass
auch ein erfahrener Arzt in gleicher Lage die indizierte Maßnahme
unterlassen hätte. Wäre die Maßnahme von einem Fachmann vorgenommen
worden, hat der Täter deren Unterlassung nach § 1299 ABGB zu vertreten.
... Neben dem Täter haftet nach § 1313a ABGB auch der Träger der
Krankenanstalt. | |
|
 | Abbildung 10.41: Skizze zu JBl 1987, 104 |
|
V. Fehlverhalten eines Spitalsarztes – Verletzung der ärztlichen
Aufklärungspflicht | |
|
OGH 31.1.1995, 4 Ob 509/95, ÖJZ-LSK 1995/194:
§ 1299 ABGB(§§ 1298, 1313a ABGB): Ein dem Spitalsarzt
anzulastendes Fehlverhalten für welches der Krankenhausträger
dem Patienten als Partner des abgeschlossenen Behandlungsvertrages
zu haften hat, liegt dann vor, wenn der Arzt nicht nach Maßgabe der
ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung vorgegangen ist oder die übliche
Sorgfaltspflicht eines ordentlichen pflichtgetreuen Durchschnittsarztes
in der konkreten Situation vernachlässigt hat. Der Behandlungsvertrag
umfasst auch die Pflicht, den Patienten über Art und Schwere sowie
über die möglichen Gefahren und schädlichen Folgen der Behandlung
oder ihrer Unterlassung zu unterrichten. – Jede ärztliche Heilbehandlung,
die mit einer Verletzung der körperlichen Integrität verbunden ist,
ist also Körperverletzung und damit als Verletzung eines absolut
geschützten Rechtsgutes zu werten und somit rechtswidrig; erst die
Zustimmung des Patienten kann den rechtswidrigen Eingriff rechtfertigen.
– Auf typische Risiken einer Operation ist ganz unabhängig von der
prozentmäßigen statistischen Wahrscheinlichkeit, also auch bei einer
allfälligen Seltenheit ihres Eintrittes, hinzuweisen. Für den Fall
einer Verletzung der Aufklärungspflicht trifft
den Arzt bzw den Krankenhausträger die Beweislast dafür, dass der
Patient auch bei ausreichender Aufklärung die Zustimmung zur Operation
erteilt hätte. | |
|
VI. Alternative Kausalität und Arzthaftung | |
|
JBl 1996, 181: Alternative
Kausalität zwischen Behandlungsfehler und „Zufall” bei
Arzthaftung: Zum Problemkreis der alternativen Kausalität bei ärztlichen
Behandlungsfehlern, insbesondere zur Konkurrenz zwischen einem Haftungsgrund
aus einem Behandlungsfehler und einem dem Geschädigten zuzurechnenden
Zufall liegt nur eine scheinbar einheitliche Rspr des OGH vor; in
Wahrheit fehlt eine solche. – Nur eine Schadensteilung gewährleistet
in solchen Fällen eine dem Gerechtigkeitsgebot entsprechende Problemlösung.
Kläger = mit schweren Schädigungen geborenes Kind. Beklagter = Land
Tirol als Krankenhausträger. | |
|
VII. Weitere E-Beispiele zum allgemeinen Schadenersatzrecht | |
|
EvBl 1969/217: Anspruch
der Witwe nach § 1327 ABGB, die wegen des Todes ihres Gatten
dessen Dienstwohnung räumen muss, auf Ersatz des dadurch verursachten
Aufwandes zur Beschaffung einer neuen Wohnung. | |
|
|
EvBl 1988/80: § 1327 ABGB: Mit
der Wiederverheiratung einer Witwe erlischt ihr
Schadenersatzanspruch gegen den Schädiger wegen entgangener Unterhaltsleistung
durch ihren verstorbenen Ehegatten. | |
|
|
SZ 44/8 (1971): Zu § 1309 ABGB:
Die Erziehungspflicht der Eltern besteht unabhängig vom Alter der Kinder
so lange, als die Kinder einer entsprechenden Aufsicht bedürfen.
Der Besitz und die Aufbewahrung einer Pistole samt Munition in
einer Privatwohnung bedeutet an sich das Schaffen einer Gefahrenquelle,
die Vorkehrungen zur Abwehr von Schädigungen notwendig macht. Die
Art der jeweils erforderlichen Vorkehrungen wird durch den Einzelfall
bestimmt. | |
|
|
SZ 4/91 (1922): Diebstahl
eines Gummimantels – Zur Anwendung der §§ 970 und 1323
ABGB(Naturalersatz! Beachten Sie die Zeit, aus
der die E stammt – nach dem 1. Weltkrieg) – Ersatz für ein gestohlenes Kleidungsstück
durch Übergabe eines anderen gleicher Art und gleichen Wertes. Der
Kläger, der in seinem im Gasthof des Beklagten aufgenommenen Zimmer
von einem unbekannten Täter bestohlen worden war, verlangte als
Ersatz Übergabe eines „Gummimantels der Firma P, Marke K oder eines
diesem gleichwertigen Mantels”. Der Beklagte bestritt die rechtliche
Begründung dieses Begehrens insbesondere auch deshalb, weil er schon
vergeblich versucht habe, einen entsprechenden Mantel bei jenem
Händler zu bekommen, bei dem der Kläger den seinen gekauft hatte,
weil also die begehrte Ersatzleistung nicht „tunlich” sei (§ 1323
ABGB). Das Prozessgericht erkannt iSd Klagebegehrens mit der Begründung,
es handle sich um eine vertretbare, nach der Aussage eines Zeugen
leicht beschaffbare Sache und es stehe außer Frage, dass der Kläger
berechtigt sei, zum Ersatz einen gleichwertigen Mantel zu verlangen.
Das Berufungsgericht wies die Klage ab. – Vgl auch SZ 4/95 (1922):
Diebstahl von 4000 Stück Sensen – Naturalersatz! | |
|
|
EvBl
1976/233: § 1 AHG (§§ 1311, 1325, 1326
ABGB): Verletzung eines zu einer Waffenübung einberufenen
Soldaten beim Werfen von Handgranaten, weil sich
der Ausbildner nicht an die Ausbildungsvorschriften hält; militärische
Ausbildungsvorschrift, hier: Blg 4 zur „Allg Schießausbildung (ASA)”,
als Schutznorm für den Auszubildenden. – Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung
bei gänzlicher Erblindung eines Auges. Zur Amtshaftung → KAPITEL 12: Die
Amtshaftung ¿ AHG 1948. | |
|
|
SZ 52/136 (1979): § 1325 ABGB –
Der Schaden aus einer Körperverletzung ist auch
dann zu ersetzen, wenn ein ungeborenes Kind durch
ein schädigendes Ereignis, das nach der
Zeugung (also während der Schwangerschaft) gesetzt wird,
beeinträchtigt und dadurch mit Missbildungen etc geboren wird. Zur Begründung
eines derartigen Ersatzanspruches genügt der Nachweis der Wahrscheinlichkeit
eines Ursachenzusammenhanges; die Frage, ob ein solcher Wahrscheinlichkeitsgrad
erreicht ist, gehört dem Gebiet der Beweiswürdigung an; vgl dazu
auch → KAPITEL 11: Freie
richterliche Beweiswürdigung. | |
|
|
EvBl 1982/43: § 1320 ABGB (§§ 1297,
1299 ABGB): § 1320 ABGB normiert eine verschuldensunabhängige [?] Haftung des
Tierhalters. Ob der Tierhalter für die „erforderliche Verwahrung
und Beaufsichtigung” des Tieres gesorgt hat, ist regelmäßig nach
der von ihm durchschnittlich aufzuwendenden Sorgfalt (§ 1297 ABGB)
zu beurteilen; erscheinen im Einzelfall besondere Sachkenntnisse
notwendig (§ 1299 ABGB), dann kann auch ein strengerer Maßstab angelegt
werden. – Das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung ist
in elastischer, den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender
Weise zu bestimmen; dabei spielen vor allem die Gefährlichkeit des
Tieres – je nach dessen Art und Individualität, die Möglichkeit
einer Schädigung durch das spezifische Tierverhalten sowie eine
Abwägung der beiderseitigen Interessen eine Rolle. | |
|
|
Zur unrichtigen
Meinung, § 1320 ABGB statuiere eine verschuldensunabhängige Haftung → Die
Tierhalterhaftung
| |
|
|
EvBl 1995/57: § 1320 ABGB: Pflicht
zur Beaufsichtigung auch gutmütiger Hunde.
Die gänzlich unterlassene Verwahrung oder Beaufsichtigung eines
großen Hundes kann nicht durch dessen erwiesene Gutmütigkeit allein
gerechtfertigt werden. Der Tierhalter ist in diesem Fall nicht von
jeder Verwahrungs- und Beaufsichtigungspflicht befreit. Kläger =
bei Abwehrhandlungen zum Schutz des eigenen Hundes von Bernhardiner
gebissen. Beklagter = Halter des Bernhardiners. | |
|
|
JBl 1983, 255: §§ 1294, 1295, 1297,
1313a, 1320, 879 und 914 ABGB – Reitunfall einer 15jährigen: Überlässt
der Tierhalter (Reitstall) das Tier einer geeigneten, zureichend
informierten und angeleiteten Person zur Verwahrung, so ist er von
der Halterhaftung frei. – Wer Reitpferde vermietet und einen Vorreiter
beistellt, bedient sich seiner als Gehilfen bei Erfüllung der vertraglichen
Schutz- und Sorgfaltspflichten (§ 1313a ABGB). – Begründet das Vorbeireiten
mit einem Hengst an Stuten in knappem Abstand, wie dem Vorreiter
bekannt ist und im Reitunterricht hervorgehoben wird, immer eine
gewisse Gefahr, so verschuldet er eine Bissverletzung der geschädigten
Reiterin (durch den Hengst), wenn er diese Gefahr durch Wenden seines
Hengstes und knappes Vorbeireiten aktualisiert. – Vertragliche Freizeichnung von
der Schadenersatzpflicht ist für den Fall leichter Fahrlässigkeit
nicht sittenwidrig, jedoch nach redlicher Verkehrsübung nur auf
Schäden zu beziehen, die voraussehbaren und kalkulierbaren Risken entsprechen.
Zur Freizeichnung → KAPITEL 9: Verschulden
(culpa). | |
|
|
JBl
1984, 207 (= SZ 55/167) – §§ 1325 und 91
ABGB: Auch der Ehemann, der den Haushalt führt, hat einen Anspruch
auf Verdienstentgang wegen Minderung der Erwerbstätigkeit
an der Haushaltsführung, wenn er infolge Körperverletzung daran
gehindert ist. Entscheidend ist, dass der haushaltsführende Gatte (Hausmann)
seine Arbeitskraft nicht wie gewohnt als Beitrag iSd § 91 ABGB zur
Verfügung stellen kann; dass Aufwendungen für eine Ersatzkraft getätigt
wurden, ist nicht erforderlich. Kläger = „Hausmann”, Lenker eines
Mopeds Erstbeklagter = Halter des Pkw Zweitbeklagter = Lenkerin
des Pkws Drittbeklagter = Haftpflichtversicherung des Pkw. | |
|
|
SZ 32/153 (1959): § 1313a ABGB –
Bei einem Delikt des Erfüllungsgehilfen innerhalb
des vom Geschäftsherrn vertraglich übernommenen Pflichtenkreises
haftet der Geschäftsherr nach § 1313a ABGB für den durch den Erfüllungsgehilfen
verschuldeten Schaden. – Hier hatte der Angestellte des Beklagten verschiedene
Wertgegenstände gestohlen, während diese beim Beklagten in Verwahrung
waren. | |
|
|
JBl 1987, 524: §§ 1330 und 1315
ABGB: Wird ein entscheidungsbefugtes Gemeindeorgan von einem Journalisten
mit der Mitteilung konfrontiert, dass bei der Vergabe öffentliche
Bauaufträge durch die Gemeinde einer der Bieter von Gemeindebeamten
über die Angebote der Konkurrenzunternehmen informiert wurde und
er darüber einen Artikel veröffentlichen wolle, so ist eine in der
Folge von diesem Organ verhängte Bausperre über
das beschuldigte Unternehmen als durch das Verhalten des Journalisten
kausal und adäquat herbeigeführt zu betrachten. Behauptet jemand
vorsätzlich oder fahrlässig unrichtige Tatsachen und führt dies
zu einer Schädigung von Kredit, Erwerb oder Fortkommen eines anderen,
so handelt er auch diesem gegenüber rechtswidrig, selbst wenn der
Schaden direkt erst durch eigenen Entschluss eines Dritten bewirkt
wird. [Zur Zurechnungsfigur der Unterbrechung des Kausalzusammenhangs → KAPITEL 9: Sonderformen der Kausalität.]
– Ein Redakteur ist bei der Verfolgung einer Geschichte als Besorgungsgehilfe der
Zeitung anzusehen, auch wenn er nicht ausdrücklich damit betraut
ist. – Die Untüchtigkeit eines Redakteurs ist anzunehmen,
wenn er ohne ausreichende Recherche und unter Verwendung frei erfundener
Hinweise Berichte über Schmiergeldzahlungen verbreitet. – Während
der Bausperre durchgeführte andere Projekte sind nicht als schadensmindernde
adäquate Ersatzaufträge anzusehen, wenn die ausgefallenen Bauaufträge
der öffentlichen Hand zur selben Zeit ohne merkliche Ausweitung
der betrieblichen Leistungskapazität hätten durchgeführt werden
können. | |
|
|
EvBl
1987/6: § 16 ABGB(§§ 879,
1295, 1330 Abs 2 ABGB) – „Lokalverbot„ eines NÖ-Multifunktionärs:
Eine diskriminierende, den Betroffenen gegenüber anderen Personen
zurücksetzende Abweisung oder Ausweisung durch den Inhaber einer
öffentlichen Gaststätte ist jedenfalls dann sittenwidrig, wenn dem
Lokalinhaber eine monopolartige Stellung zukommt und er deshalb
einem Abschlusszwang unterliegt; das fällt insbesondere solchen
Personen gegenüber ins Gewicht, die als Funktionäre oder Mitglieder bestimmter
Vereine oder Organisationen oder überhaupt aus wirtschaftlichen
Gründen auf den Zutritt zu dieser Gaststätte geradezu angewiesen
sind. – Das Lokalverbot betraf einen NÖ-Multifunktionär eines Weilers,
der auf das einzige Gasthaus angewiesen war. – Die klagsmäßig erzwungene
Aufhebung des Lokalverbots stützte sich geschickt auf mehrere Anspruchsgrundlagen
(ua § 1330 ABGB) und führte so leichter zum Erfolg. | |
|
|
Ein Schadenersatzfall
aus der Alltagspraxis: § 1299 ABGB – Kunstfehler kostet Tierarzt rund
eine halbe Million. Zu lange mit Kaiserschnitt gewartet – Hündin
verendete: 500.000 S für tote Hündin. Vöcklabruck: Tierarzt musste
wegen Kunstfehlers vor Gericht. Aus: Oberösterreichische Nachrichten,
2.11.1991, S. 1 und 23. – Piroschka war eine Klassehündin.
Weil ein Tierarzt aus dem Bezirk Vöcklabruck so lange mit einem
Kaiserschnitt wartete, bis die trächtige deutsche Dogge nicht mehr
zu retten war, ging Piroschkas Herrl vor Gericht. Dieses bürdete
dem Tiermediziner gut 266.000,– S Schadenersatz und die Prozesskosten
auf, zusammen rund eine halbe Million. – Dass ein Tierarzt für einen
Hund so tief in die Taschen greifen muss, dürfte in Österreich einzigartig
sein. Aber Piroschka war eben etwas Besonderes. – Die Hundedame
aus dem Bezirk Vöcklabruck hatte eine einwandfreie Ahnentafel und
war im österreichischen Hundezuchtbuch eingetragen. Viele internationale
Auszeichnungen waren ihr sicher. 100.000 bis 150.000 S ist eine
solche Hündin wert, wie der Sachverständige, der Wiener Univ-Prof
Harro K, feststellte. Da der Markt wegen der geringen Lebenserwartung
der deutschen Dogge und der geringen Fruchtbarkeit sehr eingeschränkt
ist, wurde Piroschka auf stolze 200.000 S geschätzt. Die Welpen,
die sie noch hätte bekommen können, dazugerechnet und einiges andere
abgerechnet, ergaben die Summe von exakt 266.666 S, die Piroschkas
Herrl, vertreten durch den Linzer Rechtsanwalt Dr. Franz B, vom
Welser Kreisgericht zugesprochen bekam. Der Tierarzt legte gegen
das Urteil Berufung ein. Das Linzer OLG „gab dieser nicht Folge”,
wie es im Juristendeutsch so schön heißt. – Piroschka warf vor ihrem
Tod drei Welpen. Piroschkas Herrchen züchtet schon seit vielen Jahren
deutsche Doggen. Er hat schon viele Würfe miterlebt, holt aber immer
einen Tierarzt, wenn es soweit ist. Der Mediziner, den er vor den
Kadi brachte, behandelte zwar die trächtige Piroschka, verordnete
ihr Wehenmittel, auch starken Kaffee mit viel Zucker. Zwei Welpen
kamen lebend zur Welt, einer tot. Die Hündin verendete. Eines ihrer
„Kinder” überlebte. – Hätte der Tierarzt den Kaiserschnitt zeitgerecht
gemacht, hätten, so Köhler, „aller Voraussicht nach das Muttertier
und zumindest drei Welpen lebend durchgebracht werden können”. Die
verspätete Einleitung des Kaiserschnittes, obwohl die Wehenschwäche
der Hündin erkennbar war, sei eine „auffallend grobe Abweichung
von den anerkannten Regeln tierärztlicher Kunst”. – Der Tierarzt
hatte zwar die Möglichkeit eines solchen Eingriffes mehrmals erwähnt,
sich aber zu spät zur Operation entschlossen. Noch bevor der Veterinärmediziner
den Bauch der Hündin aufschneiden konnte, verendete die Hündin Piroschka
an Kreislaufversagen. – Eines ihrer beiden lebend geborenen Welpen
starb wenige Tage danach. | |
|
|
EvBl 1982/43:
Deutsche
Dogge verletzt Kind – Zur Tierhalterhaftung: § 1320 ABGB
(§§ 1297, 1299 ABGB) normiert (nach Meinung des OGH) eine verschuldensunabhängige
[?] Haftung des Tierhalters (OGH 20.10.1981, 5 Ob 510/81: LG Salzburg
32 R 346/80; BezG Zell am See C 698/78). Dazu ablehnend → Wer
ist Tierhalter?
| |
|
|
SZ
40/2 (1967): Wirklicher Schaden
oder entgangener Gewinn? – Beschädigung eines Fernmeldekabels
der Post. (Gekürzt). Kläger = Post- und Telegraphenverwaltung Beklagter
= Beschädiger eines Fernmeldekabels bei Bauarbeiten. Der Ausfall
an Gebühren, den die Post- und Telegraphenverwaltung durch die infolge
Beschädigung eines Fernmeldekabels eingetretene Unbenutzbarkeit
desselben erleidet, ist wirklicher Schaden, nicht entgangener Gewinn.
(E vom 12. Jänner 1967, 2 Ob 355/66. I. Instanz: LG Ibk; II. Instanz:
OLG Ibk). Wie unbestritten feststeht, wurde am 27. November 1964
im Zuge von Bauarbeiten, die von Arbeitern der erstbeklagten Partei
unter der Aufsicht des Zweitbeklagten auf einer Bezirksstraße durchgeführt
wurden, ein im Bereich der Baustelle verlaufendes Fernmeldekabel
der klagenden Partei beschädigt. Der Schaden wurde weder aus böser
Absicht noch aus einer auffallenden Sorglosigkeit verursacht. Die
beklagten Parteien haben die Kosten der Wiederherstellung des Kabels
ersetzt, verweigern jedoch den mit der vorliegenden Klage geltend
gemachten Ersatz des infolge Ausfalles des Kabels eingetretenen
Gebührenentgangs in der Höhe der Klagssumme mit der Begründung,
dass es sich diesfalls nicht um positiven Schaden, sondern um entgangenen
Gewinn handle. Aus den E-Gründen: Zunächst ist festzuhalten, dass
iS stRspr entgangener Verdienst grundsätzlich positiver Schaden
ist. Der Entgang einer bestimmten Gewinnmöglichkeit gilt dann nicht
als Entgang von Gewinn iSd § 1323 ABGB, wenn das Bestehen der Gewinnmöglichkeit
im Verkehr als selbständiger Vermögenswert angesehen wird; in einem solchen
Fall liegt positiver Schaden vor. Auch der Entgang eines Nutzens,
den ein Geschäftsmann aus seinem Geschäftsbetrieb zieht, ist wirklicher
Schaden. Die Post- und Telegraphenverwaltung ist in dieser Hinsicht
nicht anders zu beurteilen als ein beliebiger Unternehmer. Die Unmöglichkeit
der Verwertung des Kabels stellt für die klagende Partei einen Schaden
dar, den ihr die beklagten Parteien zu ersetzen haben. | |
|
 | |
|
SZ 46/36 (1973 – gekürzt): Feuerwerk
als „gefährlicher Betrieb„. Zur sog Analogiepraxis des
OGH im Bereich der Gefährdungshaftung; → KAPITEL 9: Entscheidungsbeispiele
zur Analogiepraxis).
Der Inhaber eines Unternehmens, dessen Betriebsgegenstand das Abbrennen
von Feuerwerken ist, haftet für die mit diesem „gefährlichen Betrieb” notwendig
verbundene spezifische Betriebsgefahr ohne Rücksicht darauf, ob
ihm selbst oder seinen Leuten im konkreten Fall der Vorwurf schuldhaften
Handelns gemacht werden kann. Diese Haftung muss freilich dort ihre
Grenze finden, wo der Schaden auf einem Selbstverschulden des Geschädigten,
einem vom Unternehmer nicht zu vertretenden Verschulden Dritter
oder auf höherer Gewalt beruht; die Beweislast für das Vorliegen
solcher Umstände trifft den beklagten Unternehmer. Kläger = Unternehmen zur
Errichtung und Vermietung von Zelten Beklagter = Pyrotechniker-Team,
Ausrichtung von Feuerwerken. | |
|
|
JBl
1985, 556 (gekürzt): Gefährlicher Betrieb?;
§ 7 ABGB: Ein „Sturmboot„ im Wiener Prater–
eine große, zum Vergnügen des Publikums bestimmte Schaukel – ist
kein „gefährlicher Betrieb”, für den in Analogie zu den Gefährdungshaftpflichtnormen
zu haften wäre (OGH 10.7.1984, 4 Ob 506/84). | |
|
|
JBl 1988, 117: § 333 Abs 4 ASVG:
Der Dienstnehmer, der auf Weisung seines Dienstgebers Arbeitskollegen
mit seinem Pkw zum Arbeitsplatz befördert, ist „ Aufseher
im Betrieb” iSd § 333 Abs 4 ASVG und kommt in den Genuss
des dort normierten Haftungsprivilegs. – Zu den §§ 332 ff ASVG → KAPITEL 12: Schadenersatz
und Sozialversicherung: Der Arbeitsunfall: | |
|
|
OGH 14. 3. 2002, 6 Ob 155/01i, EvBl 2002/145:
Ein Kleingartenbesitzer will unter einer Eisenbahnoberleitung ein
unterkellertes Gartenhaus errichten und erkundigt sich bei einem
befreundeten ÖBB-Bediensteten über etwaige Voraussetzungen. Weder
dieser noch die Baubehörde weisen ihn auf die Genehmigungspflicht
nach dem EisbG hin. Trotz mehrfacher Warnungen des Häuslbauers kommt
der Betonlieferwagen mit der 110-kV-Übertragungsleitung in Kontakt
und der Lkw-Fahrer stirbt durch den Stromschlag. Lkw-Versicherung
regressiert bei der ÖBB (nach RH[Pfl]G) und diese beim Häuslbauer.
– OGH: § 9 b RHPflG ist eine Ausgleichsvorschrift zwischen mehreren
gesamtschuldnerisch Haftenden für den Fall, dass mindestens einer
nach § 1 a RHflG haftet – es kommt dabei auf die überwiegende Verursachung
der mehreren Ersatzpflichtigen an. Im konkreten Fall führte das
weitaus überwiegende Verschulden des Lkw-Fahrers zur gänzlichen
Ablehnung des Regressanspruchs gegen den Häuslbauer (bei dem der OGH
kein oder doch nur ein zu vernachlässigendes Verschulden feststellte).
– Damit im Zusammenhang nimmt der OGH auch zur Zumutbarkeit der
Kenntnis von Rechtsnormen (§ 2 ABGB) Stellung. | |
|
 | Abbildung .42: Vorlesungsfolien Medizinrecht |
|
| |