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Dogmengeschichte der Christologie
(Vorlesungsmanuskript)

Autor:Schwager Raymund
Veröffentlichung:
Kategorielehrbehelf
Abstrakt:
Publiziert in:# Gekürztes Vorlesungsmanuskript (Innsbruck 1995)
Datum:2002-04-24

Inhaltsverzeichnis

 

Inhalt

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Das Ringen um ein richtiges Verständnis des biblischen Gottes und des Erlösers Jesu Christi war zugleich ein Ringen um das richtige Verständnis der neutestamentlichen Schriften.

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I. Fragen und erste Antworten

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A) Die Autorität des Neuen Testaments

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Die christlichen Gemeinden unterschieden sich von Anfang an von ihrer jüdischen Umgebung, weil sie Jesus Christus und den Hl. Geist in die Verehrung und Anbetung des himmlischen Vaters einbezogen (Taufe, Eucharistie). Zwar galten auch für sie zunächst nur die heiligen Bücher Israels als die Heilige Schrift. Aber diese Schriften wurden auf dem Hintergrund der mündlichen apostolischen Verkündigung neu verstanden. Bald wurden auch die Apostelbriefe und die Evangelien im christlichen Gottesdienst vorgelesen, wodurch diese als Worte der Apostel eine entscheidende Autorität gewannen.

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In den christlichen Gemeinden kam es aber auch schon früh zu größeren Spaltungen. Neben jenen Gemeinden, die vor allem über die Bischöfe als Nachfolger der Apostel an der gemeinsamen, öffentlichen, apostolischen Tradition festhielten, gab es juden- christliche und gnostische Gemeinden, die deutlich andere Wege gingen. Alle beriefen sich zwar in ihren Lehren auf die Apostel oder einzelne von ihnen. Da ihre Lehren aber von den bischöflich geleiteten Gemeinden abwichen, beanspruchten sie - vor allem die 'Gnostiker' - über geheime Traditionen von den Aposteln her zu verfügen. In diesen Kreisen entstanden ebenfalls religiöse Schriften (Evangelien, Apostelakten, Apostelbriefe), die in den gottesdienstlichen Feiern der entsprechenden Gemeinden vorgelesen wurden. So stellte sich bald die Frage, welche Schriften den wahren Glauben an Jesus Christus verkünden.

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Markion fixierte als erster einen Kanon des Neuen Testaments (bestehend nur aus den [gereinigten] Paulusbriefen und dem gereinigten Lukasevangelium), und er gründete nach seinem Ausschluß aus der römischen Gemeinde (144 n.Chr.) eine eigene Kirche. Im Gegenzug begann man auch in den von Bischöfen geleiteten Gemeinden die verbindlichen Schriften der Überlieferung Jesu Christi deutlicher von anderen religiösen Schriften zu unterscheiden und den Kanon festzulegen, wobei einige Schriften allerdings noch längere Zeit umstritten blieben.

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Kriterien für den Kanon: 1.) Schriften, die im Gottesdienst gelesen wurden; 2.) Überzeugung, daß diese Schriften von einem Apostel oder einem Apostelschüler stammten; 3.) Inhaltliche Übereinstimmung mit der mündlichen und öffentlichen Tradition in den von Aposteln gegründeten Kirchen (Rom, Ephesus, Antiochien etc).

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B) Grundfragen bei der Deutung des NT

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Sobald die Reflexion über die apostolische Verkündigung, wie sie sich in den neutestamentlichen Schriften niedergeschlagen hatte, begann, stellten sich zwei zentrale Fragen:

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--(1) Wie lassen sich die Aussagen über die Göttlichkeit Jesu Christi und des Hl.Geistes mit dem strengen Monotheismus des Alten Testaments ("Jahwe, unser Gott, ist einzig" [Dtn 6,4]) vereinbaren?

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--(2) Wie sind die Hoheits- und Niedrigkeitsaussagen über Christus näher zu verstehen?

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Selbstverständliche Voraussetzung bei diesen Fragen: Anerkennung des Kontradiktionsprinzips, wie es bei Plato und Aristoteles erarbeitet worden war, und damit Ablehnung einer in sich widersprüchlichen Rede von Gott.

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Die ersten Antworten auf beide Fragen blieben tastend, und sie bewegten sich auf bildhafter Ebene. Das Verhältnis Christi zum himmlischen Vater umschrieb man global mit Worten wie 'Sohn', 'Name', 'Gesandter', 'Bund', 'Gesetz', 'Weisheit'. Irenäus brauchte den Vergleich, Christus und der Hl. Geist seien die 'beiden Hände' Gottes.

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Bezüglich der Person Christi selber begnügte man sich anfänglich mit paradoxen Beschreibungen, (ohne ausdrücklich auf das Kontradiktionsprinzip zu achten). Zum Beispiel:

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"Einer ist Arzt

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aus Fleisch zugleich und aus Geist

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geworden und ungeworden

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im Fleisch erschienener Gott

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im Todewahrhaftiges Leben

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aus Maria sowohlwie aus Gott

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zuerst leidensfähigund dann leidensunfähig

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Jesus Christus, unser Herr."

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Ignatius v. Antiochien, Eph 7,2 (Märtyrer circa 114 n.Chr.)

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Oder:

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"Er wurde als Sohn geboren,

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als Schaf weggeführt,

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als Lamm geschlachtet,

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als Mensch beerdigt,

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als Gott (theos ohne Artikel) stand er von den Toten auf,

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da er wahrhaft (physei) Gott (ohne Artikel) und Mensch war."

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Melito von Sardes, Peri Pascha, 8 (gest. um 190)

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Solch paradoxe Forumlierungen wurden bald als ungenügend empfunden. Es gab auch rasch Richtungen, die die inhaltlichen Spannungen in der apostolischen Verkündigung und in den neuen Heiligen Schriften auf radikalere Weise zu lösen suchten.

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C) Adoptianismus

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Vor allem gewisse juden-christliche Gruppen (Ebioniten) sahen in Jesus Christus zunächst nur einen Menschen, der dann bei der Taufe von Gott zum Messias gesalbt und schließlich nach seinem Kreuzestod erhöht und zum Sohn Gottes eingesetzt (adoptiert) worden war.

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D) Gnostizismus

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Innerhalb dieser breiten (jüdischen, christlichen und außerchristlichen) philosophisch-religiösen Bewegung gab es unterschiedliche Tendenzen. Allen Gruppen waren aber kosmologische Spekulationen und das Anliegen der Erlösung gemeinsam. Die Gnostiker meinten, durch eine tiefe, geheimnisvolle Erkenntnis (gnosis) und (nicht durch den Glauben an das Kreuz Christi) das Heil erreichen zu können. Manche gnostischen Systeme stellten den Gott Jesu Christi (den höchsten und bisher unbekannten Gott) in einen Gegensatz zum jüdischen Jahwe (Schöpfergott, Demiurg) und lehnten damit den alttestamentlichen Monotheismus ab. Sie lehrten, in Jesus sei die Weisheit des höchsten Gottes in der Welt erschienen, um den verlorenen göttlichen Funken in den Seelen der Menschen vom Demiurgen (Schöpfer der Materie, niederer Gott) zu befreien / erlösen und zum geheimnisvollen Ursprung zurückzuführen. Da nach dieser Spekulation die materielle Welt nicht vom höchsten Gott stammt, konnte sie auch Jesus keinen echten materiellen Leib, sondern nur einen Scheinleib zuschreiben (Doketismus).

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E) Modalismus (Sabellianismus, Patripassianismus, radikaler Monarchianismus)

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Dieser Richtung ging es vor allem darum, die strenge Einheit Gottes (deshalb auch: Monarchianismus) gegen die gnostische und heidnische Tendenz, mehrere Götter anzunehmen, zu wahren und dem alttestamentlichen Monotheismus uneingeschränkt treu zu bleiben. Man lehrte, Vater, Sohn und Hl.Geist seien in Gott selber nicht unterschieden. Der eine Gott habe sich aber auf drei verschiedene Weisen (modi: deshalb Modalismus) oder durch drei verschiedene Gesichter (prosopa) in der Geschichte geoffenbart, nämlich zunächst als Vater, dann als Sohn und schließlich als Hl.Geist. Da nach dieser Lehre das Gottsein des Sohnes unter jeder Rücksicht mit dem des Vaters identisch ist, kann man auch sagen, der Vater habe am Kreuz gelitten (deshalb: Patripassianismus).

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Vertreter: Noët (aus Smyrna, gegen 200); Praxeas (aus Kleinasien, gegen 190 in Rom); Sabellius (aus Lybien, gegen 220 in Rom). Sabellius war der bekannteste Vertreter, deshalb heißt diese Richtung auch Sabellianismus.

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Ein diffuser Modalismus fiel in der Kirche zunächst nicht auf und war ziemlich verbreitet. Er wurde aber von den Vertretern der Logos-Christologie kritisiert (Origenes, Hippolyt von Rom, Tertullian). Hippolyt hat sogar zwei römischen Bischöfen (Zephyrinus, Calixtus) vorgeworfen, sie seinen Modalisten.(1) Dafür wurde er selber als Anhänger eines Zwei-Gott-Glaubens (Ditheist) angeklagt. Sobald sich die Frage des Modalismus der Kirche reflex gestellt hat, wurde er abgelehnt, weil er dem dialogischen Verhältnis zwischen Christus und dem Vater, wie es im Neuen Testament dargestellt wird, nicht gerecht wird (Jesu Sendung durch den Vater, Gebet und Hingabe Jesu an den Vater, Sendung des Hl.Geistes durch Vater und Sohn). Wegen des Verdachts, die Gegner des Modalismus könnten einem Zwei- oder Drei-Gott-Glauben verfallen, blieben in der Kirche aber noch längere Zeit Unsicherheiten und modalistische Tendenzen.

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F) Logos-Christologie

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Die erste systematische Antwort auf die zentrale Frage nach dem neuen Gottesbild, die in der Kirche eine vorläufige Anerkennung fand, wurde durch die Logos-Christologie gegeben: Justin der Philosoph (circa 165 enthauptet), Irenäus v.Lyon (gest. circa 202), Klemens von Alexandrien (gest. um 210), Tertullian von Karthago (gest. nach 220) und vor allem Origenes aus Alexandrien (gest. um 254). Diese Christologie konnte sich stark auf die Logos-Lehre stützen, wie sie im jüdisch-hellenistischen Raum entstanden war (vor allem bei Philo von Alexandrien).

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1) Philo von Alexandrien (circa 30 v.Chr.-50 n.Chr.)

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Philo war ein hellenisierter Jude und bediente sich der mittelplatonischen und stoischen Logoslehre, um die Schriften Israels allegorisch zu deuten und so Anstößiges (Zorn, Rache Gottes) wegzuinterpretieren. Für ihn war der griechische Gedanke der Unveränderlichkeit Gottes, der auch die späten Schriften des Alten Testaments beeinflußt hat, zentral. In der Vorstellung, Gott könnte sich ändern, etwas bereuen, in Zorn geraten und vom Zorn wieder ablassen, sah er, obwohl das AT ausdrücklich so spricht, eine Gotteslästerung. Die entsprechenden Aussagen müssen deshalb nach ihm ganz anders, nämlich als Anpassungen Gottes an unreife Menschen gedeutet werden.

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Gemäß Philo geschah bereits die Offenbarung in der Geschichte Israels ganz durch den Logos, den er auch den erstgebornen Sohn des ewigen Vaters nannte. Der Logos ist der Schöpfungsmittler, der alle Dinge gemäß den himmlischen Vorbildern schafft.

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"Als ältesten Sohn ließ der Vater des Alls diesen (den Logos) ins Dasein treten, den er anderswo den Erstgeborenen nennt, und der, soeben geboren, den Wegen des Vaters nachgehend, auf die Urbilder schaute und die Arten formte." (Philo, De confusione linguarum 63)

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Der Logos ist nach Philo göttlich und doch unter dem Vater. Er steht an der Grenzscheide zwischen Schöpfer und Geschöpf und vermittelt zwischen beiden.

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"Dem allerersten Logos gab der Vater, der das Weltall geschaffen hat, ein auserlesenes Geschenk, daß er, auf der Grenzscheide stehend, das Geschöpf von dem Schöpfer absondere. Er ist einerseits Fürsprecher des stets hilfsbedürftigen Sterblichen bei dem Unvergänglichen, andererseits der Abgesandte des Herrschers an den Untertan... Weder als ein Ungeschaffener wie Gott noch wie ihr (die Menschen) geschaffen, sondern in der Mitte zwischen den zwei Extremen, beiden als Unterpfand dienend, bei dem Schöpfer zur Bürgschaft, daß das Geschöpf niemals die Zügel vollends abstreifen und abtrünnig werden würde, und bei dem Geschöpf zur frohen Zuversicht, daß der gnädige Gott niemals sein eigenes Werk außer acht läßt." (Quis rerum divinarum heres 205f)

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Dieses Verständnis des Logos läßt sich nach Philo auch biblisch begründen:

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"Der wahrhafte Gott ist nur einer; die Götter aber, von denen man in uneigentlicher Redeweise spricht, sind mehrere. Deshalb hat auch die heilige Schrift an der vorliegenden Stelle (Gen 31,13) den in Wahrheit existierenden Gott mit dem Artikel bezeichnet und gesagt: 'Ich bin der Gott', den in uneigentlichem Sprachgebrauch aber ohne Artikel mit den Worten: 'der von dir gesehen wurde an dem Orte - nicht des Gottes, sondern nur Gottes'. Sie nennt aber Gott (ohne Artikel) hier seinen ältesten Logos." (De somniis I,229f)

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Die Logoslehre des Philo wurde von christlichen Theologen als sehr hilfreich empfunden. Sie schien besonders gut zum Anfang des Johannesevangeliums zu passen und wurde deshalb - mit einigen Veränderungen - übernommen.

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2) Klemens von Alexandrien

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Er versteht den Logos ähnlich wie Philo, unterscheidet aber drei Stadien in ihm: 1. Der Logos ist Gedanke Gottes; 2. Er wird eine eigene Hypostase am Anfang der Schöpfung (nämlich die Weltseele); 3. Er verbindet sich mit einem menschlichen Fleisch aus Maria. Im 3. Stadium zeigt sich das spezifisch christliche Verständnis des Logos (Inkarnation). (2)

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Im Unterschied zum Modalismus konnte Klemens mit seiner Logoslehre eine Unterscheidung in Gott selber und damit die Eigenständigkeit des Sohnes (eigene Hypostase) gegenüber dem Vater deutlich machen. Seine Lehre blieb aber insofern problematisch, als nach ihm der Logos dem Vater etwas untergeordnet erscheint und erst im Zusammenhang mit der Schöpfung zu einer eigenen Hypostase wird.

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3) Origenes von Alexandrien

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Auch er sieht den Logos ähnlich wie Philo, und er versucht diese Lehre vom Johannesevangelium her zu begründen:

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"Mit großer Umsicht - und nicht wie ein Ungebildeter, der die Genauigkeit der griechischen Sprache nicht kennt - gebraucht Johannes in gewissen Fällen den Artikel und in anderen übergeht er ihn: Vor den Ausdruck 'Wort' setzt er ihn, bei 'Gott' braucht er ihn bald, bald aber läßt er ihn aus. Er setzt den Artikel, wenn das Wort 'Gott' den Ungezeugten, die Ursache des Alls, bezeichnet. Er läßt ihn aus, wenn der Logos als Gott bezeichnet wird." (In Joh. II 13f: SCr 120,214)

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Mittels der Logos-Lehre wendet sich Origenes sowohl gegen den Modalismus als auch gegen den Adoptianismus:

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"Viele Leute, die fromm sein wollen, verfallen aus Angst, zwei Götter anzunehmen, irrigen und gottlosen Meinungen, sei es daß sie beim Bekenntnis der Gottheit des Sohnes sagen, seine Eigentümlichkeit sei von der des Vaters nicht verschieden (Modalismus), sei es, daß sie die Gottheit des Sohnes leugnen und von daher behaupten, seine Eigentümlichkeit und Substanz sei vom Vater verschieden (Adoptianismus). Ihnen, die diese Schwierigkeiten haben, muß man sagen: Der Gott ist 'Gott-aus-sich-selbst' (autotheos). Deshalb sagt auch der Erlöser in seinem Gebet: 'Daß sie dich erkennen, den allein wahren Gott'. Was neben diesem 'Gott-aus-sich- selbst' noch göttlich ist, ist es durch Teilhabe an seiner Gottheit. Es wäre deshalb besser, wenn man es nicht als der Gott, sondern (nur) als Gott bezeichnen würde." (In Joh. II 16f: SCr 120,214f)

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Obwohl Origenes die Göttlichkeit des Logos eindeutig annimmt, ordnet er ihn doch dem Vater unter:

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"Es gibt folglich den Gott (ho theos), einen Gott (theos) und dann zwei Arten von Göttern (oberste Engelchöre). Der Logos-Gott übertrifft die höchste Art dieser Götter (Engel); er selbst wird aber vom Gott des Universums übertroffen (In Joh II 32: SCr 120, 226).

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Der Logos steht nach Origenes innerhalb einer kosmisch-soteriologischen Weltschau, gemäß der alles vom höchsten, ungezeugten Gott stufenweise absteigt (Logos, höchste Engel, niedere Engel etc.). Der Logos und der Hl.Geist sind Hypostasen (Existenzweisen) Gottes, die aus dem Willen des Vaters hervorgehen, die niederen 'Götter' (Engel) aber sind geschaffen. Obwohl Origenes einen klaren Unterschied zwischen den drei göttlichen Hypostasen und allem Geschaffenen macht, sieht auch er die innergöttlichen Unterscheidungen ganz im Blick auf die Schöpfung und Erlösung und kommt deshalb zu einer gewissen absteigenden (subordinatianistischen) Vorstellung in Gott selber.(3)

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Bezüglich der menschlichen Seelen lehrte Origenes, daß sie vor ihrer Existenz in menschlichen Körpern 'logoi' waren und in Liebe den Logos betrachtet haben. Mit der Zeit seien sie dieser Schau aber überdrüssig geworden und hätten sich vom Logos abgewandt. Zur Strafe und Besserung wurden sie in Leiber verbannt. Nur die menschliche Seele Jesu Christi sei dem Logos treu geblieben und ganz mit ihm verbunden worden. Sie habe freiwillig einen Leib angenommen, um die anderen 'logoi' (Seelen) zu retten und zu befreien.

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Die Lehre von der Präexistenz der menschlichen Seelen wurde später von praktisch allen Theologen und vor allem auch von der Kirche abgelehnt. Origenes kommt aber das Verdienst zu, die menschliche Freiheit Christi klar gesehen und betont zu haben.

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4) Tertullian von Karthago (gest. nach 220)

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Er entwickelt ebenfalls eine Logos-Christologie. Der Logos und der Hl.Geist sind nach ihm von der gleichen Substanz (sehr feine göttliche Materie) wie der Vater, sie stehen aber dem Maß und der Abstufung nach unter ihm. Tertullian kann in einer Extremformulierung sogar sagen, daß es eine Zeit gab, da der Sohn nicht war. Der Vater, der die ganze göttliche Substanz besitzt, ist der Garant aller Einheit (wie ein König der Garant der Einheit seines Reiches ist [Monarchianismus]). Tertullian spricht von einer Substanz und drei Personen in Gott (una substantia et tres personae) und von einer Person und zwei Substanzen oder Naturen in Christus (una persona et duae substantiae). Obwohl die Unterordnung des Sohnes und des Hl.Geistes unter den Vater später abgelehnt wurde, setzte sich seine Sprechweise im lateinischen Westen ungebrochen durch. Dies war einer der Gründe, weshalb es hier viel geringere dogmatische Streitigkeiten bezüglich der Trinität und der Christologie gab als im Osten.

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Die Lehre von einer gewissen (kosmisch-heilsgeschichtlichen) Unterordnung des Logos und des Hl.Geistes unter den Vater (Subordinatianismus) wurde in der Kirche zunächst weitgehend angenommen. Patriarch Dionysius von Alexandrien (Mitte 3.Jahrh.) betonte diese Unterordnung - in Auseinandersetzung mit modalistischen Bischöfen - allerdings so stark ("Logos ist geschaffen"), daß er deshalb seinerseits des Tritheismus verdächtigt und vom Papst Dionysius in Rom und einer römischen Synode (259) kritisiert wurde. In der römischen Kritik am Patriarchen von Alexandrien wurde die Lehre vom Geschaffensein des Logos und von drei "getrennten Hypostasen" in Gott ausdrücklich abgelehnt, ohne allerdings eine eigene überzeugende Antwort zu liefern (Neuner-Roos [NR] 248f; Denzinger-Hünermann [=DH] 112-115). (4) Eine weitere Auseinandersetzung war deshalb unvermeidlich.

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II. Das wahre Gottsein des Sohnes und des Hl.Geistes

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A) Die arianische Krise und das Konzil von Nicäa (325)

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Unter dem Einfluß der christlichen Schöpfungslehre wurde das mittelplatonische Denkschema, wonach der Logos einerseits Gott und anderseits doch dem höchsten Gott etwas untergeordnet und der Schöpfung zugekehrt ist, mit der Zeit unhaltbar. Das hellenistische Denkschema hatte nämlich zur Folge, daß man entweder eine ewige Schöpfung annehmen (Origenes) oder zur Aussage tendieren mußte, es hätte eine Zeit gegeben, als der ewige Sohn noch nicht war (Tertullian). Angesichts dieser Unsicherheit tendierte die Lehre von der Schöpfung aus dem Nichts immer deutlicher zur Alternative: entweder ungeschaffen (und dann ganz Gott gleich) oder geschaffen (und dann ganz auf der Seite der Geschöpfe). Die Vorstellung von einer gewissen Mittelstellung des Logos wurde damit problematisch und unhaltbar.

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1) Arius (Priester von Alexandrien)

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Er lehrte (unter Verschärfung der Position des Patriarchen Dionysius von Alexandrien, auf den er sich berief), daß der Logos durch den freien Willen des Vaters als höchstes und vollkommenstes Geschöpf geschaffen wurde (biblisches Argument: Spr 8,22). Der ungeschaffene Vater sei allein (Monas), ganz transzendent und selbst dem Logos unerreichbar. Dieser sei am Anfang der Welt aus dem Nichts geschaffen worden und hätte später aus Maria einen menschlichen Leib angenommen.

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Gegen Arius wandte sich zunächst eine lokale kirchliche Synode, dann das vom Kaiser Konstantin einberufene Konzil von Nicäa. (Das Anliegen des Kaiers war es, durch die Einheit des Glaubens die Einheit des Reiches zu fördern.)

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2) Konzil von Nicäa (325)

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Es nahm gegen Arius Stellung und zwar dadurch, daß es vier kurze Zusätze (im Text fett und kursiv) ins überlieferte Credo einfügte:

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"Ich glaube an den einen Gott... Und an den einen Herrn Jesus Christus, den Sohn Gottes, als Einziggeborener (monogenes) gezeugt (gennethenta) vom Vater, das heißt aus der Wesenheit (ousia) des Vaters (1), Gott von Gott, Licht von Licht, wahrer Gott vom wahren Gott (2), gezeugt nicht geschaffen (3), wesenseins mit dem Vater (homoousios) (4), durch den alles geworden ist,...." (NR 155; DH 125).

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Erklärung:

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--"aus der Wesenheit" und nicht aus dem freien Willen, wie Arius meinte;

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-- "wahrer Gott vom wahren Gott" und nicht ein zweiter untergeordneter Gott (theos) neben dem wahren Gott (ho theos);

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--"gezeugt, nicht geschaffen": früher redete man oft ununterschieden von 'zeugen' und 'schaffen', jetzt wird aber subtil zwischen 'gennethos = gezeugt' und 'genethos = gemacht (oder poietheis = gemacht) unterschieden (als biblische Grundlage für das Wort 'zeugen' berief man sich auf Ps 2,7; Hebr 1,5; Joh 1,14.18);

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--"wesenseins mit dem Vater" und nicht untergeordnet; das Wort 'homousios' wird zu einem schicksalsschweren Wort werden.

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Dem Credo wurde noch ein verurteilender Kanon hinzugefügt:

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"Diejenigen aber, die da sagen, es habe eine Zeit gegeben, da der Sohn Gottes nicht war, und er sei nicht gewesen, bevor er gezeugt wurde, und er sei aus nichts geworden oder aus einer anderen Substanz (hypostasis) oder Wesenheit (ousia), oder der Sohn Gottes sei wandelbar oder veränderlich, diese schließt die apostolische und katholische Kirche aus" (NR 156; DH 126).

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Folgenschwer war vor allem, daß in diesem Kanon die Begriffe 'hypostasis' und 'ousia' unterschiedslos gebraucht wurden, denn so gab es kein eigenes Wort um den Unterschied in Gott auszudrücken.

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3) Der Kampf um das Konzil

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Obwohl die Entscheidung des Konzils fast von allen anwesenden Bischöfen angenommen und Arius exkommuniziert wurde, erhob sich rasch ein Widerstand, der bald die Oberhand über das Konzil gewann. Während etwa vier Jahrzehnten konnte sogar der Eindruck entstehen, fast die ganze östliche Christenheit sei 'arianisch' geworden.

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Die Gründe für den Widerstand gegen das Konzil waren vielfältiger Art:

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a) Die meisten Gegner von Nicäa waren keine eigentlichen Arianer, sondern nur Anhänger der traditionellen Lehre, wonach der Logos zwar göttlich, aber doch dem Vater etwas untergeordnet ist (Origenes).

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b) Man befürchtete, die Lehre des Konzils sei eine versteckte Form des häretischen Modalismus (Sabellianismus). Origenes hatte gelehrt, daß Vater, Sohn und Geist je eine eigene Hypostase (also drei Hypostasen) seien. Demgegenüber sprach das Konzil von "wesenseins", und es gebrauchte das Wort 'hypostasis' im gleichen Sinn, was die Lehre von einer Hypostase nahelegte. Der Verdacht gegen das Konzil wurde noch verstärkt, als die Synode von Sardika (heute Sofia) im Jahre 342 (oder 343), an der nach der Abreise der östlichen Bischöfe fast nur noch westliche Bischöfe und Athanasius von Alexandrien, der große Verteidiger des Konzils, teilnahmen, ausdrücklich eine Hypostase in Gott lehrte (vgl. J.N.D.Kelly, Altchristliche Glaubensbekenntnisse, 272-277).

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Auch Marcel v. Ancyra, ein Freund des Athanasius und ein Verteidiger des Konzils, gab zur Vermutung des Sabellianismus Anlaß. (5)

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c) Die Einführung eines philosophischen Wortes (ousia, homoousios) ins Credo wurde von vielen als ungeheuerliche Neuerung empfunden (vgl. HdDG II,1a,117).

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d) Politischer Faktor: Kaiser Konstantin stellte sich bald nach dem Konzil auf die Seite der Konzilsgegner, desgleichen seine Nachfolger Konstantius (337-361) und Valens (364-378). Die monarchische Auffassung der Trinität (Vater an höchster Stelle) paßte besser zur politischen Monarchie als die Lehre von Nicäa, die den Sohn dem Vater gleichstellte (vgl. E.Peterson, Der Monotheismus als politisches Problem; Grillmeier I, 388-403).

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4) Sieg des Konzils

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Hieronymus (gest. 420) schrieb - rückblickend - zur Lage um 359: "Der ganze Erdkreis seufzte, und mußte mit Erstaunen feststellen, daß er arianisch war." Auch wenn dieses Wort eine Übertreibung enthält, weil die meisten Bischöfe keine Arianer waren, macht es doch deutlich, wie mächtig die Opposition gegen das Konzil war.

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Der größte Verteidiger von Nicäa war Athanasius (328-373 Patriarch von Alexandrien). Während seiner langen Amtszeit wurde er wegen seines Eintretens für das Konzil fünfmal in die Verbannung geschickt. Theologisch argumentierte er vor allem mit dem Johannesprolog, der seiner Ansicht nach eindeutig lehrt, daß der Logos Gott ist. (Von der Schöpfungslehre her fiel für ihn die Unterscheidung zwischen 'ho theos' und 'theos' völlig weg und ausschlaggebend war nur noch die Unterscheidung zwischen geschaffen und ungeschaffen).

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Folgende Gründe waren für den Sieg des Konzils ausschlaggebend:

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a) Die Position des Anthanasius war theologisch überzeugender, denn der Mittelplatonismus war durch die christliche Schöpfungslehre überwunden worden. In diesem Kontext wurde der Johannesprolog eindeutig (keine Unterscheidung mehr zwischen ho theos und theos).

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b) Die 'arianische' Partei verlor sich in Spitzfindigkeiten (Homöer, Homöousianer).

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c) Im 'arianischen' Lager tauchten echte Arianer auf (Eunomius [360 Bischof]; Aëtios [362 Bischof]), die von der überwiegenden Mehrheit der gemäßigten Bischöfe abgelehnt wurden.

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d) Athanasius wurde durch Rom und durch einen großen Teil der Westkirche unterstützt.

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e) Entscheidend war aber schließlich, daß Athanasius auf einer Versöhnungssynode in Alexandrien (362) anerkannte, daß auch die Rede von drei Hypostasen rechtgläubig sein kann, was auf der Synode von Sardika noch abgelehnt wurde. Damit wurde der Verdacht, Nicäa sei der Häresie des Sabellianismus verfallen, endgültig ausgeräumt (Grillmeier I,472-477).

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B) Die Gottheit des Heiligen Geistes

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Jene, die die Gottheit des Logos ablehnten, waren selbstverständlich auch gegen die Gottheit des Hl.Geistes. Es gab aber auch eine Gruppe, die zwar der Lehre von Nicäa sich zuneigte, den Geist aber als ersten der Engel verstehen wollte (Pneumatomachen = Geistbekämpfer). Sie argumentierten, der Hl.Geist werde in der Schrift nicht Schöpfer genannt und er handle auch nicht selbständig, sondern Gott wirke "im Geist".

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Diese Lehre wurde durch das erste Konzil von Konstantinopel (381) verurteilt. Weil die Schwierigkeiten noch lebendig waren, die durch die Einfügung eines philosophischen Wortes ins Credo geweckt worden waren, wollte man diesmal das ausdrückliche Bekenntnis zur Gottheit des Hl.Geistes rein biblisch-liturgisch formulieren (anbeten, verherrlichen). Zur Beschreibung des Hervorgangs des Geistes aus dem Vater benützt man das Wort "ekporeuesthai" aus Joh 15,26:

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"... Ich glaube an den Heiligen Geist, den Herrn und Lebensspender, der vom Vater ausgeht (ekporeuomenon). Er wird mit dem Vater und dem Sohne zugleich angebetet und verherrlicht. Er hat gesprochen durch die Propheten." (NR 250; DS 150)

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Die Lehre, daß der Geist vom Vater und vom Sohn ausgeht, kam nur im Westen und viel später hinzu (Problematik des filioque).

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C) Der Schritt zur ausdrücklichen Trinitätslehre

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Eine ausdrückliche Trinitätslehre wurde im griechischen Raum von den drei großen Kappadokiern (Basilius dem Großen [gest. 379]; Gregor von Nazianz [gest. 390]; Gregor von Nyssa [Bruder des Basilius, gest. 394] entwickelt. Sie stammten aus einer Kirche, die zum gemäßigten arianischen Lager gehörte, aber seit 362 das Konzil von Nicäa annahm.

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Den drei Kappadokiern (Kappadokien im Inneren Kleinasiens) ging es darum, die Lehre von Nicäa (Wesensgleichheit / -einheit des Sohnes mit dem Vater) mit der älteren Lehre des Origenes von den drei Hypostasen (Vater, Sohn und Hl.Geist) zu verbinden. Das war nur dadurch möglich, daß man - im Unterschied zum Kanon von Nicäa - die Worte 'ousia' und 'hypostasis' nicht mehr im gleichen oder ähnlichen Sinn gebrauchte, sondern einander gegenüberstellte. Danach gibt es in Gott eine Substanz (ousia) und drei Personen (hypostasis), wobei die Worte Substanz und Person teilweise eine neue Bedeutung erhalten.

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Diese Veränderung im Verständnis der Worte 'ousia' und 'hypostasis' versuchten die Kappadokier von zwei Seiten her verständlich zu machen:

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a) Wie Petrus, Johannes und Andreas drei Personen (hypostasis) sind, und trotzdem nur eine Natur (ousia) haben, so sei es auch in Gott.

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Dieser Vergleich war gefährlich, denn er führte, wenn man ihn genau nahm, zur Lehre von drei göttlichen Individuen und damit zu einer Drei-Götter-Lehre. Deshalb wurde dieser Vergleich später fallgelassen.

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b) Der Vater bezieht sich auf den Sohn und den Hl.Geist. Die eine Substanz (ousia) Gottes ist in sich zu betrachten, die drei Hypostasen hingegen in ihren jeweiligen Beziehungen.

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Dieser Ansatz wurde später vor allem von der scholastischen Theologie systematisch entfaltet.

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Reflexion: Durch das Aufgreifen der mittelplatonischen Logos-Vorstellung geschah eine Inkulturation der christlichen Verkündigung in die hellenistische Welt. Diese Inkulturation war aber sehr zweideutig und führte zum Konflikt. Sie mußte deshalb schrittweise geklärt werden. Die erste Korrektur erfolgte durch das Konzil von Nicäa, das - im Gegensatz zum platonischen Modell der absteigenden Emanation -den Logos dem Vater gleichrangig zuordnete. Diese Kritik war aber ihrerseits zweideutig, weil sie mittels eines philosophischen Wortes geschah, das als solches für die christliche Verkündigung noch nicht voll geeignet war. Diezweite Korrektur erfolgte dadurch, daß das Wort 'hypostasis' dem Wort 'ousia' gegenübergestellt wurde, wodurch sich der Sinn beider Worte veränderte. Der neue Sinn wurde aber nur bruchstückhaft erarbeitet und deshalb waren weitere Konflikte praktisch unvermeidlich.

116
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III. Das wahre Menschsein Jesus Christi

117
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A) Doketismus

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Gnostische Gruppen hatten das wahre Menschsein Jesu geleugnet, indem sie lehrten, der Sohn habe nur einen Scheinleib angenommen. Gegen diese Tendenz richtete sich bereits das Johannesevangelium und vor allem der erste Johannesbrief (vgl. 1 Joh 4,2).

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B) Problematik der menschlichen Seele Christi

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Origenes hatte eindeutig eine menschliche Seele in Jesus Christus angenommen. Seine Lehre war aber durch die Annahme einer Präexistenz aller menschlichen Seelen vor ihrem Dasein im Leib belastet. Deshalb setzten sich viele in diesem Punkt von ihm ab, die bezüglich der Logos-Lehre ihm folgten.

121
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Eine weitere Problematik ergab sich aus der biblischen Sprache. Im Prolog des Johannesevangeliums heißt es: "Und das Wort ist Fleisch (sarx) geworden" (Joh 1,14). Im biblischen Zusammenhang ist mit 'Fleisch' (sarx) der ganze Mensch gemeint (und zwar insofern er der Schwäche und der Sünde unterworfen ist). Im rein hellenistischen Kontext bezeichnet 'sarx' aber den Leib im Unterschied zur Seele. Aus Joh 1,14 konnte man folglich in diesem Rahmen herauslesen, der Logos habe nur einen menschlichen Leib angenommen.

122
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Arius: Nach ihm hat sich der Logos, der als höchstes Geschöpf am Anfang der Welt geschaffen wurde, in Maria nur mit einem menschlichen Leib verbunden. Für eine menschliche Seele Christi blieb kein Platz in diesem Denken.

123
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Eusebius von Cäsarea (Bischof, Freund von Kaiser Konstantin und mächtige Stütze der arianischen Partei): Er teilt die Logos-Lehre des Origenes. Nach ihm hat der Logos aber nur einen menschlichen Leib (wie ein Kleid, ein Instrument oder eine Wohnung) angenommen und keine Seele.

124
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Athanasius: Obwohl er der große Gegner des Arius war, hat er diesen nie wegen seiner Seelenlehre kritisiert. Ob Athanasius selber eine menschliche Seele Christi annahm, ist in der Forschung umstritten. Auf alle Fälle spielte sie bei ihm keine theologische Rolle (vgl. Grillmeier, Jesus der Christus im Glauben der Kirche I, 463-477).

125
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Die Ablehnung der origenistischen Lehre von der Präexistenz der Seele führte folglich dazu, daß auch die Seele Christi verneint oder mindestens nicht positiv bedacht wurde.

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C. Apollinarismus und seine Verurteilung

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Apollinaris von Laodicea wurde zunächst als Verteidiger des Konzils von Nicäa und als Freud des Athanasius von der arianischen Partei exkommuniziert (342). Später wurde er selber Bischof (360). Er sah seine Lebensaufgabe darin, für die Lehre der wahren Einheit in Christus zu kämpfen.

128
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Er ging von einer dreigliedrigen Anthropologie aus, gemäß der der Mensch aus dem Leib (sarx, soma), der niederen Seele (psyche) und der höheren Seele (nous) besteht. Er lehrte, daß in Christus der göttliche Logos an die Stelle der höheren Seele getreten ist und daß der Logos zusammen mit der niederen Seele und dem Leib eine Natur (mía physis) und ein Handlungsprinzip bildet. Apollinaris gebrauchte sogar den Vergleich mit dem Maulesel (aus Pferd und Esel wird etwas Neues: ein Maulesel - Grillmeier I 485). Er wollte durch seine Lehre sicherstellen, daß alle Handlungen in Christus direkt vom Logos ausgehen. Er meinte nämlich, man würde einen Faktor der Unsicherheit in Christus einführen, wenn man ihm eine höhere Seele mit geistiger Eigentätigkeit zuschreiben würde. Eine solche Seele könnte sich ja auch von Gott abwenden.

129
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Die Lehre des Apollinaris führte nicht nur zur Leugnung des wahren Menschseins Jesu Christi. Indirekt wurde auch der Gottesbegriff in Mitleidenschaft gezogen. Wenn nämlich der göttliche Logos Teilprinzip der einen Natur Christi ist, dann ist er wesentlich auf die Ergänzung durch ein anderes Teilprinzip (niedere Seele, Leib) angewiesen, was die Absolutheit Gottes in Frage stellt. Obwohl Apollinaris die Gottheit des Logos entschieden verteidigen wollte, ist sie bei ihm ungewollt problematisch geworden.

130
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Kirchliche Reaktion: Im Osten reagierte man zurückhaltend, weil man keinen neuen Streit wollte. Die erste Reaktion kam aus Rom vom Papst Damasus. In einem Brief an die orientalischen Bischöfe verurteilte er Apollinaris (374). In diesem Schreiben findet sich der Sache nach das 'soteriologische' Argument, das bald berühmt und endlos wiederholt wurde: Was nicht angenommen ist, ist nicht geheilt (DS 146). Wenn der Logos keinen ganzen Menschen angenommen hat, dann ist auch nicht der ganze Mensch gerettet worden.

131
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Eine römische Synode (382) hat im Sinne von Papst Damasus den Apollinarismus verurteilt (NR 158.159; DS 159.166)

132
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Mit dieser Verurteilung, die auch im Osten problemlos angenommen wurde, war geklärt, daß Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch zu bekennen ist. Ein Rivalitätsdenken (vgl. Theorie Girards), das die wahre Gottheit Christi auf Kosten seiner Menschheit oder sein wahres Menschsein auf Kosten seiner Gottheit betont, wurde wenigstens grundsätzlich überwunden. Ungeklärt blieb aber das, was gerade das große Anliegen des Apollinaris war, wie nämlich Gott und Mensch in ihm eine wahre Einheit bilden können.

133
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IV. Der e i n e Christus als wahrer Gott und wahrer Mensch

134
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Bezüglich der Frage, wie die Einheit in Christus zu verstehen sei, sprach man im 4. Jahrhundert oft von einer Durchdringung und Durchmischung des Menschlichen und Göttlichen (Kappadokier). Diese Redeweise blieb aber sehr zweideutig.

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A) Der Nestorianismus und das Konzil von Ephesus (431)

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Der Konflikt um Nestorius und das Konzil von Ephesus gründet - neben persönlichen Faktoren - in zwei unterschiedlichen Theologien.

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1) Alexandrien und Antiochien

138
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Die alexandrinische Theologie betonte vor allem die Einheit in Christus, und sie wurde vom soteriologischen Anliegen der Vergöttlichung des Menschen bewegt. Da nur ein Gott das schwache und hinfällige Geschöpf wirklich erlösen könne, seien die Taten Christi für uns nur dann heilswirksam, wenn sie die Taten Gottes seien (nur ein Handlungsprinzip in Christus). Christus verstand sie deshalb ganz vom ewigen Logos her. Dieser habe sich in der Menschwerdung das beseelte Fleisch angeeignet, um uns dadurch Anteil an seiner Gottheit zu geben. - Die Schwäche dieser Theologie war es, daß sie der Seele Christi und seinem menschlichen Wirken keine echte Bedeutung geben konnte.

139
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Die antiochenische Theologie betonte hingegen den Unterschied zwischen Gottheit und Menschheit. Gegen Arius und Apollinaris hob sie die theologische Bedeutung der menschlichen Seele Christi hervor, und zwar aus einem doppelten Grund. Einerseits wollte sie verhindern, daß das menschliche Leiden Christi direkt dem ewigen Logos zugeschrieben und damit die Unveränderlichkeit Gottes in Frage gestellt wird. Anderseits sah sie im Menschen Jesu (und in seinem Gehorsam) den eigentlichen Mittler unseres Heiles (vgl. Röm 5, 18f; 1 Kor 15,21; 1 Tim 2,5). Bei der Betonung der Unterschiedenheit zwischen wahrer Gottheit und wahrer Menschheit (zwei Naturen [physis]) gelang es dieser Theologie aber nicht, die Einheit in Christus ebenso überzeugend zum Ausdruck zu bringen (eine konkrete Erscheinungsweise [prosopon]).

140
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Wegen der Lehre von zwei Naturen und wegen der antiochenischen Redeweise, der Logos habe einen Menschen angenommen, warf man den Antiochenern aus dem Gegenlager vor, sie würden in Christus zwei Söhne [den ewigen Logos und daneben den Menschen Jesus] lehren. Diese Lehre haben die Antiochener aber nie vertreten und den entsprechenden Vorwurf immer zurückgewiesen. Ihr Gebrauch des Begriffs 'hypostasis' blieb aber schwankend. Da Nestorius von 2 Naturen sprach, tendierte er auch zur Rede von 2 Hypostasen (vgl.Grillmeier I, 654); angesichts der Schwierigkeiten gegen ihn kam er aber später der Rede von einer Hypostase nahe (ebd. 715).

141
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2) Beginn des Konfliktes

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Als ein Mönch in Konstantinopel predigte, Maria sei Menschengebärerin (anthropotokos), weil sie nur den Menschen Jesus geboren habe, schritt Nestorius, der Patriarch der Hauptstadt, dagegen ein. Gestützt auf das Konzil von Nicäa vertrat er, man müsse Maria als Christusgebärerin verkünden (christotokos). Der Name Christus bezeichne die eine konkrete Erscheinungs- und Existenzweise, in der der ewige Logos und der angenommene Mensch miteinander verbunden seien.(6) Die Rede von Maria als Christusgebärerin erregte aber den Widerstand Cyrills von Alexandrien, der einen eigentlichen Proteststurm entfachte. Er war der herausragende Vertreter der alexandrinischen Theologie, die im ewigen Logos den direkten 'Träger' des angenommenen beseelten Fleisches sah. Gemäß dieser Sicht muß man deshalb sagen, Maria sei Gottesgebärerin, weil das 'beseelte Fleisch', das sie geboren hat, seine wahre Subsistenz in ewigen Logos hat (Idiomenkommunikation).

143
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Um die Einheit in Christus zu betonen, brauchte Cyrill alle im zur Verfügung stehenden Begriffe. Er sprach von einer Person (Einheit gemäß der Hypostase), aber ebenso von einer Natur (naturhafte Einigung). Er benützte auch eine christologische Formel, die später viel Staub aufgewirbelt hat: "die eine fleischgewordene Natur des göttlichen Logos" (mia physis tou theou logou sesarkomene).

144
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Cyrill meinte, diese Formel stamme vom großen und anerkannten Patriarchen Athanasius, und deshalb hielt er an ihr fest. Tatsächlich stammte sie aber von Apollinaris, und sie wurde von den Antiochenern schon damals als apollinaristisch verdächtigt.

145
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Auffallend ist, daß für die christologische Frage zunächst weder Cyrill noch die Antiochener die Unterscheidung zwischen physis (ousia) und hypostasis benützten, die auf der Ebene der Trinitätslehre bereits Jahrzehnte früher durch die Kappadokier erarbeitet worden war. Die christologische Sprache hinkte hinter der trinitarischen Sprache nach. Die Problematik war allerdings auch verschieden: in der Trinität ging es darum, eine ungewohnte Unterscheidung (drei im einen Gott) auszusagen, und in der Christologie mußte man mit einer ungewohnten Einheit (Göttliches und Menschliches) zurechtkommen.

146
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Beim Streit zwischen Cyrill und Nestorius spielte auch der Streit zwischen beiden Patriarchaten eine Rolle. Alexandrien verstand sich als geistiges Zentrum des Ostens; da aber Konstantinopel die Hauptstadt war, gewann der dortige Patriarch immer mehr an Bedeutung, was die Alexandriner zu verhindern suchten.

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3) Das Konzil: zwei feindliche Versammlungen (431)

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Cyrill kam mit zahlreichen ägyptischen Bischöfen an, und er veranstaltete (gegen den Protest des kaiserlichen Vertreters) gleich eine Versammlung, auf der Nestorius und die antiochenische Theologie verurteilt wurden. Als die Antiochener (unter Patriarch Johannes) vier Tage später ankamen, hielten sie eine Gegenversammlung, die den Cyrill absetzte. Der Kaiser ließ beide (Nestorius und Cyrill) in Haft nehmen. Cyrill kam aber - durch Bestechungsgelder am kaiserlichen Hof - bald wieder frei, und Rom war auf seiner Seite. Seine Position setzte sich so zunächst durch.

149
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Die Versammlung, die Cyrill leitete, hatte seinen zweiten Brief an Nestorius approbiert, in dem er die Einigung in Christus "gemäß der Hypostase" (eine Person) betonte. Er sprach zwar auch von der "Einigung der Naturen" (DH 250). Wie er diese aber verstand, zeigt sein 3. Anathematismus gegen Cyrill. Neben seinem Brief ließ er nämlich auch noch 12 Anathematismen gegen Nestorius von der Versammlung gutheißen. Unter diesen sind die drei ersten die wichtigsten.

150
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--1. Maria ist Gottesgebärerin (NR 160; DH 252).

151
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Sie hat selbstverständlich nicht die göttliche Natur geboren, sondern die menschliche. Da diese aber nach der Überzeugung der alexandrinischen Theologie nicht eigenständig ist, sondern vom göttlichen Logos getragen wird, und da Aussagen über ein Wesen immer auf den letzten Träger zielen, muß Maria Gottesgebärerin genannt werden (Idiomenkommunikation).

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--2. Der ewige Logos ist mit dem menschlichen Fleisch der Person nach (kata hypostasim) geeint (NR 161; vgl.163; DH 253; vgl. 255); es gibt folglich nur eine Person in Christus.

153
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-- 3. Das Göttliche und Menschliche sind in Christus nicht bloß der Würde oder der Macht nach, sondern durch eine 'naturhafte' Einigung (henosis physike) geeint.

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Vor allem dieser Anathematismus zeigt, daß die beiden Naturen, die Cyrill annimmt, bei ihm letztlich doch zu einer verschmelzen. Der Ausdruck 'henosis physike' wird deshalb von späteren Konzilien nicht aufgenommen. Da er in Ephesus aber angenommen wurde, wird er zu einem wichtigen Anlaß für den späteren Streit um den Monophysitismus. - NR übersetzt 'henosis physike' mit 'seineshafter' Einigung. Diese Übersetzung verschleiert das Problem. DH übersetzt mit 'natürlicher' Einigung, genauer wäre von 'naturhafter' Einigung zu sprechen.

155
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3) Die Versöhnung zwischen Cyrill und den Antiochenern (433)

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Beide Seiten empfanden den Bruch als unheilvoll, und auch der kämpferische Cyrill zeigte unter der Voraussetzung, daß man der Verurteilung von Nestorius zustimmte, Versöhnungsbereitschaft. Die Antiochener willigten ein, und sie waren bereit, den Titel Gottesgebärerin für Maria anzunehmenm. Dafür sprach Cyrill im Einigungsbrief nicht mehr von einer 'naturhaften' Einigung, er erwähnte auch nicht die Formel von der 'einen fleischgewordenen Natur des göttlichen Logos'. So ergab sich aus dem Einigungs- und Versöhnungsgeschehen folgende Sprache:

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158
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In Christus gibt es folglich - gemäß dieser Versöhnung - ein Prosopon (Person), eine Hypostase (Person) und zwei Naturen. Damit wurde auch für die Christologie die Unterscheidung zwischen physis/ousia und hypostasis erreicht, wie sie bereits früher für die Trinitätslehre erarbeitet worden war, allerdings mit umgekehrter Sinnspitze, hier: 1 Hypostase und 2 Naturen, dort: 3 Hypostasen und 1 Natur.

159
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Trotz dieser Einigung gebrauchte Cyrill im Kreis seiner Anhänger weiterhin später die Formel von der "einen fleischgewordenen Natur des göttlichen Logos" (vgl. Grillmeier I, 706), was später unabsehbare Verwirrungen und großes Unheil schuf.

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Reflexion: Die zentrale christologische Formel war nicht das Werk eines gescheiten Theologen, sondern die Folge einer kirchlichen Einigung und Versöhnung zwischen zwei verschiedenen und verfeindeten theologischen Richtungen, die je ihr berechtigtes Anliegen hatten. Ähnliches war bereits früher bei der Überwindung der arianischen Krise durch die Lehre von den drei Hypostasen in Gott geschehen.

161
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An diesen Fakten kann man gut den Unterschied zwischen der dogmatisch-kirchlichen Sprache und der theologischen Arbeit ablesen. Die christologische Formel ergab sich nicht aus der (individuellen) Reflexion, sondern aus der (kirchlichen) Einigung (vgl. das Thema 'neue Sammlung' im AT, NT und bei der Kanonbildung). Dadurch daß die Worte physis/ousia und hypostasis nicht mehr im gleichen Sinn gebraucht, sondern einander gegenübergestellt wurden, änderte sich ihre Bedeutung von selbst. Welches der neue Sinn war, blieb für die Beteiligten zunächst offen und unklar. Es brauchte später eine lange theologische Arbeit, um ihn einigermaßen zu erhellen und diese Arbeit ist bis heute nicht abgeschlossen. Dies zeigt, daß die dogmatische Formel nicht das theologische Arbeiten abschließt und ausschließt, sondern eher einen ganz neuen Bereich für das Forschen eröffnet.

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4) Folgen der Verurteilung des Nestorius

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Nestorius ist auf ungerechte Weise zum 'Erzketzer' gemacht worden. Er selber hat die Lehre von zwei Söhnen, die man ihm vorwarf, ausdrücklich abgelehnt. In seinem 'Liber Heraclidis' vertritt er eine Christologie, die dem Lehrschreiben Papst Leo's (siehe weiter unten) sehr nahe kommt, und er hat dieses Lehrschreiben vor seinem Tod in der Verbannung sogar selber freudig begrüßt (vgl. Grillmeier I, 707-726). Der 'Nestorianismus' ist tatsächlich eine Irrlehre; aber Nestorius war kein 'Nestorianer', und der Nestorianismus hat vor allem in den Köpfen der Gegner des Nestorius existiert. Die ungerechte Verurteilung des Nestorius ist kein Einzelfall; sie zeigt aber auf besonders deutliche Weise, daß kollektive Projektionen im Laufe der Dogmengeschichte eine große Rolle spielen konnten. Nestorius wurde zum Opfer einer Christenheit, die einen Sündenbock brauchte, um sich einigen zu können. Sachlich wurden die Projektionen zwar weitgehend korrigiert, aber das Unrecht, das dem Patriarchen von Konstantinopel angetan wurde, blieb.

164
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Die Kirche außerhalb des Reiches (Ostsyrien, Zweistromland, Persien) hat die Verurteilung des Nestorius nicht angenommen. So entstand die nestorianische Kirche. Diese hat sich zeitweise stark ausgebreitet (mit Diözesen im Zweistromland, in Südrußland, in der Mongolei und in China). Hätte diese Kirche die Unterstützung der Kirche des römischen Reiches gehabt, wären die Mongolen vielleicht Christen anstatt Muslime geworden, denn einige Mongolenfürsten hatten sich tatsächlich zum nestorianischen Christentum bekehrt. Die ganze kommende Weltgeschichte hätte anders verlaufen können.

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B) Das Konzil von Chalkedon (451)

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Das unklare Verhalten des Cyrill, der bei seinen Anhängern eine immense Autorität genoß, führte durch einen neuen Konflikt schon nach zwanzig Jahren zum nächsten Konzil.

167
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1) Vorgeschichte

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Die Aussöhnung zwischen Cyrill und den Antiochenern war zum Teil nur verbal. Manche Anhänger des Cyrill waren damit nicht zufrieden. Da dieser auch nach der Einigung in seiner Rede schwankend blieb und - je nach Situation - bald von zwei Naturen und bald weiterhin von "einer fleischgewordenen Natur des göttlichen Logos" sprach, sahen sich auch seine Anhänger berechtigt, von einer Natur (physis) in Christus zu reden.

169
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Euchtyches, ein extremer Parteigänger des Cyrill, meinte die Rede von zwei und einer Natur auf folgende Weise miteinander verbinden zu können:

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"Ich bekenne, daß der Herr 'aus zwei Naturen' vor der Einigung bestand, nach der Einigung bekenne ich nur 'eine Natur' (mía physis)".

171
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Diese Formel war nun völlig unsinnig, denn wörtlich genommen sagt sie, daß die menschliche Natur schon vor der Einigung existiert hat, was selbstverständlich alle am Konflikt beteiligten Parteien ablehnten. Trotzdem fand sie viel Echo. Eutyches wurde deshalb vom Patriarchen Flavian von Konstantinopel verurteilt (448). Dies löste aber nur den Gegenschlag der 'Cyrillianer' aus. Unter der Leitung des alexandrinischen Patriarchen Dioskur (Neffe des Cyrill) rehabilitierte eine Synode in Ephesus (449) - bei wildem Getümmel und unter Androhung von Gewalt ("Räubersynode") - den Eutyches, setzte den Patriarchen Flavian von Konstantinopel ab und verurteilte die bekanntesten antiochenischen Theologen (Ibas von Edessa, Theodoret von Cyrus und Domnus von Antiochien). Papst Leo, der zu Flavian stand und ihm einen Lehrbrief geschickt hatte, wurde nicht gehört.

172
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Im Lehrbrief Leos des Großen (tomus Leonis ad Flavianum) sind die wesentlichen Punkte der westlichen Theologie festgehalten: in Christus gibt es eine Person (persona), zwei Naturen (natura) und zwei Geburten (eine ewige aus dem Vater und eine zeitliche aus Maria). Die Eigentümlichkeiten der beiden Naturen werden durch die Einigung (eine Person) nicht beeinträchtigt, und jede Natur wirkt, was ihr eigen ist, in Gemeinschaft mit der andern. Die Niedrigkeits- und die Hoheitsaussagen sind in Christus zu unterscheiden, aber nicht zu trennen (NR 173-177; DH 290-295)

173
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2) Konzil von Chalkedon (451)

174
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450 starb Kaiser Theodosius, und die nachfolgende Kaiserin Pulcheria war eher auf römischer Linie. Sie berief sogleich ein neues Konzil in Chalkedon ein. Die "Räubersynode" von Ephesus (449) wurde verurteilt und Dioskur als Patriarch von Alexandrien abgesetzt; dafür wurde Flavian wieder in sein Amt eingesetzt, und die Antiochener wurden rehabilitiert. Die Lehre des Konzils schloß sich ganz der Einigung zwischen Cyrill und den Antiochenern und dem Lehrbrief Leos des Großen an. Der zentrale Text des Konzils lautet:

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"Der eine und selbe ist vollkommen der Gottheit und vollkommen der Menschheit nach, wahrer Gott und wahrer Mensch, bestehend aus einer vernünftigen Seele und dem Leibe. Der eine und selbe ist wesensgleich dem Vater der Gottheit nach und wesensgleich auch uns seiner Menschheit nach, 'er ist uns in allem ähnlich geworden, die Sünde ausgenommen' (Hebr 4,15). Vor aller Zeit wurde er aus dem Vater gezeugt seiner Gottheit nach, in den letzten Tagen aber wurde derselbe für uns und um unseres Heiles willen aus Maria, der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach geboren: Wir bekennen einen und denselben Christus, den Sohn, den Herrn, den Einziggeborenen, der in zwei Naturen (physis) unvermischt, unverwandelt, ungetrennt und ungesondert besteht. Niemals wird der Unterschied der Naturen wegen der Einigung aufgehoben, es wird vielmehr die Eigentümlichkeit einer jeden Natur bewahrt, indem beide in eine Person (prosopon) oder Hypostase zusammenkommen. Wir bekennen nicht einen in zwei Personen getrennt und zerrissen, sondern ein und denselben einziggeborenen Sohn, das göttliche Wort, den Herrn Jesus Christus..." (NR 178; DS 301-303).

176
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Erklärung: Dieser Konzilstext betont einerseits - gegen den Nestorianismus - die Einheit und die eine Person in Christus (fette Schrift). Anderseits hebt er - gegen Eutyches und den Monphysitismus (eine physis) - die beiden Natur hervor und damit das wahre Gott- und das wahre Menschsein Christi, seine ewige Geburt aus Gott und seine zeitliche Geburt aus Maria und die Bewahrung der Eigentümlichkeit der beiden Naturen in der Einigung (alle kursiven Texte). Mit vier berühmten Adjektiven (fett/kursive Schrift) wird ferner das Verhältnis der beiden Naturen zueinander näher umschrieben: 'unvermischt' und 'unverwandelt' gegen Eutyches, 'ungetrennt' und 'ungesondert' gegen den Nestorianismus. Schließlich wird die heilsgeschichtliche Perspektive mindestens kurz angesprochen: für uns und um unseres Heiles willen.

177
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Der Text sammelt die Ergebnisse der ganzen bisherigen kirchlichen Lehrgeschichte ein ('wahrer Gott' und 'wesensgleich' von Nicäa; 'wahrer Mensch bestehend aus einer vernüftigen Seele und dem Leibe' und 'wesensgleich uns seiner Menschheit nach' aus der Verurteilung des Apollinaris; 'Gottesgebärerin' und 'eine Hypostase' von Ephesus (und Leo); 'zwei Geburten' von Leo; 'zwei Naturen' von Leo und von der Einigung zwischen Antiochenern und Cyrill; 'Bewahrung der Eigentümlichkeiten der beiden Naturen' von Leo; 'unvermischt' von der Einigung zwischen Antiochenern und Cyrill). Da der Text von Chalkedon die ganze bisherige Lehrgeschichte und die zentralen Anliegen der unterschiedlichen Theologien einsammelte und damit Einigung und Versöhnung in der Kirche schaffte, konnte er - trotz großer kommender Schwierigkeiten - zum zentralen christologischen Dogma für die östliche und die westliche Kirche werden. Es zeigt sich ein weiteres mal, daß die Sprache des Dogmas in ihrem Ursprung eine Sprache der Einigung und Versöhnung ist.

178
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Aus dem Lehrbrief von Papst Leo hatte das Konzil nur einen wichtigen Punkt nicht aufgenommen, nämlich die Aussage: "es wirkt jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen, was ihr eigen ist" (NR 177; DH 294). Ungeklärt blieb im Konzilstext auch, von welcher Art die eine Hypostase ist: göttlich oder menschlich oder zusammengesetzt?.

179
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Mit dem "unvermischt" und "ungetrennt" von Chalkedon wurde das mythologische Denken grundsätzlich durchbrochen, dessen Eigenart es gerade ist, Göttliches und Menschliches, Gutes und Böses etc. zu vermischen (vgl. Girard). Das Konzil hat nicht nur eine Lehre vorgetragen, sondern zugleich die Grundlage für ein neues Denken gelegt:

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(1) Menschliches Denken tendiert danach, 'unterscheiden' und 'trennen' gleichzusetzen. 'Unterscheiden' bedeutet damit immer eine Minderung an Einheit. Chalkedon hält demgegenüber fest, daß 'unterscheiden' und 'trennen' zwei ganz verschiedene Operationen sind. Je mehr in etwas Unterschiedenheit vorhanden ist, um so größer kann auch die Einheit sein.

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(2) Mit Chalkedon wurde das kosmologische und naturhafte Denken der Griechen dem Prinzip nach aufgesprengt und ein personales Denken mindestens angezielt. Der Theologie der Väterzeit gelang es allerdings nie, dieses personale Denken auch reflex voll zu entfalten.

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(3) Die Konsequenzen, die sich aus Chalkedon für ein neues Denken ergaben, wurden in der Väterzeit nur anfangshaft gesehen. Die dogmatische Sprache, die aus der Einigung unterschiedlicher Theologien entsprungen war, war der theologischen Reflexion weit voraus. Desgleichen war die grundsätzliche Einigung - ausgedrückt in der Zustimmung zu den zentralen Punkten der unterschiedlichen Theologien von Rom, Antiochien und Alexandrien - der realen Einigung in der Kirche weit voraus, wie die Geschichte nach dem Konzil nur zu deutlich zeigt.

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3) Monophysitismus und der Kampf gegen Chalkedon

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Das Konzil wurde - trotz seines versöhnenden Charakters - nicht von allen angenommen. Vor allem die ägyptische Kirche, deren Patriarch Dioskur abgesetzt wurde, wandte sich fast geschlossen dagegen. Bald kam es überraschenderweise auch zu einem Umschlag in Antiochien, und auch dieses Patriarchat öffnete sich der Anziehungskraft des Monophysitismus (eine 'physis' in Christus). Im Unterschied zum Konzil von Nicäa und Ephesus gab es diesmal auch keine baldige nachträgliche Einigung. Der Streit dauerte mehr als zweihundert Jahre fort, und er wurde sehr erbittert geführt. Die Kaiser waren bald mehr auf der einen, bald mehr auf der anderen Seite. Oft versuchten sie es mit Kompromissen, oft setzten sie die staatliche Macht (gegen Monophysiten oder gegen Gegner von Kompromissen) ein. Aber alle Versuche scheiterten. Die Kirche und der Staat litten zutiefst unter dem dauernden Streit.

185
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Grund für den Widerstand gegen das Konzil: Die Monophysiten sahen in Chalkedon einen Sieg des Nestorianismus, dem ihrer Ansicht nach auch die Westkirche verfallen war (vor allem Papst Leo). Obwohl schon Cyrill, die unerschütterliche Autorität der Monophysiten, von zwei Naturen gesprochen hatte, störte sie an der Lehre von Chalkedon vor allem die Aussage, daß in der Einigung "die Eigentümlichkeit einer jeden Natur gewahrt" bleibt (NR 178). Darin sahen sie ein klares Bekenntnis zu zwei Wirkweisen in Christus, was sowohl Papst Leo (DH 293, 294), als auch Nestorius und die antiochenischen Theologen tatsächlich gelehrt hatten, aber nicht in den Text von Chalkedon aufgenommen wurde. Die Idee von zwei Wirkweisen war der eigentliche Stein des Anstoßes, denn aus der Sicht der Monophysiten wurde Christus damit in zwei Söhne geteilt. Unter ihnen war sogar die Vorstellung weit verbreitet, wegen der Einigung mit dem Logos sei die Menschheit Christi an sich leidensunfähig geworden und es hätte einer besonderen 'Erlaubnis' oder 'Genehmigung' des Logos bedurft, daß sie dennoch leiden konnte. Aus diesen Gründen hielten die Monophysiten unbeirrt an jenem Cyrill fest, der auch nach der Einigung mit den Antiochenern von "einer fleischgewordenen Natur des göttlichen Logos" sprach. In ihrem Denken dürfte schließlich auch ein starker Rest mythologischer Vorstellungen, die Extreme vermischen und nicht unterscheiden, nachgewirkt haben.

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C) Zweites Konzil von Konstantinopel (553)

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1) Vorgeschichte

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Die Vorgeschichte und das Konzil wurden ganz von Kaiser Justinian dominiert, der einmal mehr versuchte, den Streit zwischen Chalkedoniern und Monophysiten zu schlichten. Durch große militärische Erfolge fühlte er sich stark genug, endlich auch im Reich Einheit zu schaffen. Er sah sich selber als Herr der Kirche und als Theologe. Er wollte den Monophysiten so weit wie möglich entgegenkommen, um sie so für das Konzil von Chalkedon zu gewinnen. Dazu verurteilte er (543) zunächst erneut Bischöfe und Theologen der alten antiochenischen Schule (Theodor v. Mopsuestia; Theodoret von Cyrus und Ibas von Edessa). (7) Die beiden letzteren waren bereits durch die "Räubersynode" (449) verurteilt, durch Chalkedon (451) aber wieder rehabilitiert worden. Im Westen erhob sich deshalb gegen diese Verurteilung der alten antiochenischen Theologie ein starker Widerstand, weil man darin einen Angriff auf das Konzil sah. Der Kaiser übte aber massiven Druck aus, damit Rom seiner Religionspolitik zustimmte.

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Papst Vigilius wurde gewaltsam nach Konstantiopel verschleppt, und dort gab er -nach längerem Taktieren - dem Kaiser nach, und er stimmte der Verurteilung zu. Dagegen erhob sich im Westen ein Sturm der Entrüstung, worauf er seine Zustimmung wieder zurücknahm. - Das Konzil von 553 billigte aber die von Justinian ausgesprochene Verurteilung der drei antiochenischen Theologen ("Drei Kapitel") (NR 190-192; DH 434-437), und es exkommunizierte auf Drängen des Kaisers Papst Vigilius, weil er widerstand. Dieser gab schließlich nochmals nach, und stimmte nun auch dem Konzil zu.

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2) Christologische Lehre des Konzils (553)

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Bezüglich der Christologie formulierte das Konzil eine Lehre, die zwar im Wesentlichen der Linie von Chalkedon treu blieb, aber die Einheit in Christus noch mehr betonte. Es tat dies in sehr komplex formulierten Kanones, in denen sich die endlose Diskussion zwischen den Monophysiten und Chalkedoniern widerspiegelt (NR 181-188; DH 423-431). Zwei Punkte waren aber neu:

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--(1) Das Konzil ließ die Lehre von der einen Hypostase nicht - wie bisher - unbestimmt, sondern es lehrte eindeutig, die eine Hypostase / Person in Christus sei mit der zweiten Hypostase / Person in Gott identisch:

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"Die heilige Dreifaltigkeit hat nicht dadurch, daß einer aus der heiligen Dreifaltigkeit, nämlich das göttliche Wort, Mensch wurde, die Hinzufügung einer weiteren Person oder Hypostase erfahren" (NR 184; DH 425).

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Aus dieser Festlegung folgt eindeutig, daß die menschliche Natur in Christus keine eigene menschliche Hypostase hat. Deshalb spricht man seither von der "Anhypostasie" der menschlichen Natur (a= Verneinungspartikel im Griechischen).

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--(2) Das Konzil lehrte ferner, daß der Unterschied zwischen beiden Naturen in Christus nur theoretisch (en theoria) zu verstehen sei:

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"Wer den Ausdruck 'in zwei Naturen' nicht in dem Sinne gebraucht, daß er damit in Gottheit und Menschheit den einen Herrn Jesus Christus bekennt, ... wer vielmehr ... die Zweizahl der Naturen in dem einen Herrn Jesus Christus, dem fleischgewordenen göttlichen Wort wohl bekennt, den Unterschied der Naturen aber, aus denen er zusammengesetzt ist und welcher Unterschied durch die Einigung nicht aufgehoben ist ... nicht bloß theoretisch (en theoria) versteht, sondern der Zweizahl sich bedient, um die Naturen zu trennen und zu eigenen Hypostasen zu machen, der sei ausgeschlossen" (NR 186; DH 428).

197
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Wenn die Unterscheidung der beiden Naturen in Christus bloß theoretisch verstanden werden darf, dann ist auf der Ebene der Praxis die Annahme von zwei unterschiedenen Tätigkeiten in Christus, wie Papst Leo sie gelehrt hat, ausgeschlossen. Konstantinopel II hat folglich eine Deutung von Chalkedon im Sinne des Lehrbriefs von Leo ("tomus ad Flavianum") abgelehnt, denn gerade diese Deutung war für die Monophysiten immer der besondere Stein des Anstoßes gewesen (vgl. Grillmeier II/2, 145.172.175; zur Frage des menschlichen Wissens Christi, ebd. 379-402).

198
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Trotz dieses deutlichen Entgegenkommens hatte das Konzil keinen Erfolg. Die Monophysiten ließen sich nicht für Chalkedon gewinnen und verharrten hartnäckig in ihrer Ablehnung. In den folgenden hundert Jahren wurden sie bald ziemlich brutal verfolgt, bald ließ man sie eher gewähren.

199
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D) Drittes Konzil von Konstantinopel (680/81)

200
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Dieses Konzil hatte wieder eine dramatische Vorgeschichte.

201
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1) Einigungsversuch des Patriarchen Sergius

202
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Am Anfang des 7.Jahrhunderts bedrohten die Perser das oströmische Reich. 614 eroberten sie Jerusalem und entführten im Triumph das dort verehrte Kreuz Christi. 626 belagerten sie sogar Konstantinopel; 630 wurden sie in einer wichtigen Schlacht aber besiegt, und das geraubte Kreuz konnte nach Jerusalem zurückgeholt werden. - Im gleichen Jahr kehrte auch Mohammed von Medina nach Mekka zurück.

203
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In dieser bedrohlichen Zeit versuchte der Patriarch Sergius von Konstantinopel einmal mehr einen Frieden zwischen den Chalkedoniern und den Monophysiten zu erreichen. Bei einer Synode in Alexandrien (633) einigte man sich auf die Formel: In Christus gibt es eine gottmenschliche Energie/Wirkweise (mia energeia). Die Monophysiten waren damit sehr zufrieden, weil damit ihrem wichtigsten Anliegen recht gegeben wurde. Sie sagten: "Jetzt brauchen wir nicht mehr zum Chalcedonense zu kommen: es kommt zu uns." (Handburch der Krichengeschichte II/2, 39). Aber der Patriarch Sophronius von Jerusalem erkannte die Problematik und wehrte sich sofort dagegen. Sergius ließ deshalb diese Formel wieder fallen, und man vereinbarte, weder von einer noch von zwei Energien zu sprechen (vgl. Handbuch der Kirchengeschichte [Herder] II/2, 38f).

204
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Nach dem Scheitern seines ersten Versuchs unternahm Sergius bald einen zweiten Anlauf. In einem Schreiben begründete er zunächst, warum man weder von einer noch von zwei Energien (Wirkweisen) sprechen dürfe. In seiner Ablehnung der Rede von zwei Energien brachte er aber ein neues Argument, das zur Lehre von einem Willen führte:

205
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"Desgleichen erregt der Ausdruck 'zwei Energien' bei vielen Anstoß, weil er von keinem der heiligen und bewährten Prediger der Geheimnisse der Kirche je gebraucht wurde. Er hätte zudem zur Folge, daß man zwei Willen bekennen würde, die einander entgegenstehen, wie wenn einerseits das Wort Gottes das heilbringende Leiden hätte erfüllen wollen und anderseits die Menschheit in ihm diesem Wollen widerstanden hätte." (Sergius, Mansi XI, 533c-536A)

206
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Mit diesem Argument führte Sergius das Gebet Christi am Ölberg ("Aber nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen" [Mk 14,36]) in die christologische Diskussion ein, was sein großes Verdienst ist, wobei er allerdings - wohl unbewußt - mit einer Vermischung zwischen Willensobjekt und Willensakt spielte.

207
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Papst Honorius (625-638) war in seinem Denken der gleichen Vermischung verhaftet und stimmte in einem Schreiben an Sergius diesem ausdrücklich und in allem zu. Er ging sogar noch einen kleinen Schritt weiter, indem er nicht bloß die Vorstellung von zwei entgegengesetzten Willen zurückwies, sondern ausdrücklich von einem Willen sprach:

208
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"... Daher bekennen wir auch einen Willen (unam voluntatem) unseres Herrn Jesus, weil in der Tat unsere Natur, nicht (unsere) Schuld, von der Gottheit angenommen wurde, jene (Natur) nämlich, die vor dem Sündenfall erschaffen wurde, nicht die nach der Übertretung verdorbene... Denn es war in seinen Gliedern kein anderes Gesetz und auch kein Wille, der verschieden oder dem Erlöser entgegengesetzt war, da er frei vom Gesetz der menschlichen Daseinsbedingung geboren wurde." (DH 487).

209
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Diese Ausführung zeigt deutlich, daß Honorius einen sündhaften Widerspruch in Christus verneinen wollte, die Frage aber, ob zwei Willensakte dem gleichen Ziel zustimmen können, gar nicht gesehen hat.

210
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Sergius war mit der Lehre von Honorius vom einen Willen sehr zufrieden, und auch der berühmteste Theologe der damaligen Zeit, Maximus Confessor, stimmte zunächst zu. Desgleichen kam die neue Formel den Monophysiten wesentlich entgegen. So schien der unselige Streit endlich geschlichtet zu sein. Die Lehre vom einen Willen in Christus (Monotheletismus) wurde deshalb durch den Kaiser Heraklius 638 als offizielle Glaubensformel dekretiert.

211
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2) Maximus Confessor (580- 662) und die Lehre von den zwei Willen

212
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Maximus war mit seiner Zustimmung nicht lange glücklich. Bald durchschaute er die Vermischung zwischen Willensobjekt und Willensakt, und er erarbeitete die Lehre von zwei Willensakten, und zwar vor allem durch eine neue und präzisere Deutung des Ölberggebetes Christi. Vor ihm hatte man die Worte: "Nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen" auf folgende Weise gedeutet:

213
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"was ich will" = instinktives, vormoralisches Streben

214
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"was du willst" = göttlicher Wille

215
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Gemäß dieser Deutung gibt es in Christus nur ein wahres (freies, geistiges) Wollen und daneben eine instinktive Regung der menschlichen Natur gegen das Leiden, die der göttliche Wille einen Augenblick zuläßt, um zu zeigen, daß er eine echte menschliche Natur hat. Eine freie geistige Entscheidung gibt es aber nur eine, nämlich die des göttlichen Willens.

216
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Maximus hat die traditionelle Deutung der beiden Formulierungen ("was ich will", "was du willst") festgehalten, im Ölberggebet aber noch die Äußerung eines weiteren geistigen Willens entdeckt, nämlich jenes Willens der sagt: "nicht, (was ich will), sondern (was du willst)". In diesem "nicht... sondern" zeigt sich die geistige menschliche Wahl (geistiger menschlicher Willensakt) in Christus, durch den er den göttlichem Willen seinem eigenen instinktiven menschlichen Streben, dem Leiden zu entfliehen, vorzieht.

217
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"Nicht, was ich will, sondern was du willst, soll geschehen" (fett = geistiger menschlicher Wille; kursiv = vormoralisches, instinktives Streben; normal = göttlicher Wille).

218
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3) Die römische Synode von 649 und ihre Nachgeschichte

219
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Maximus Confessor war schon früher vor den Persern von Konstantinopel nach Karthago geflohen. Von dort aus konnte er leicht Kontakt mit Rom aufnehmen. Es fiel ihm leicht, Papst Martin I (649-653) zu überzeugen, daß seine Lehre ganz mit Papst Leo übereinstimmte, der schon in seinem Lehrbrief an Flavian davon gesprochen hatte, daß jede Natur wirke, was ihr eigen ist (NR 177; DH 294).

220
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Die Synode unter Papst Martin I (649) präzisierte das Konzil von Chalkedon ('unvermischt und ungetrennt') im Sinne von Papst Leo und von Maximus Confessor und lehrte, daß in Christus auch zwei Willen und zwei Tätigkeiten anzunehmen sind:

221
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"Wer nicht gemäß den heiligen Vätern im eigentlichen Sinne und der Wahrheit entsprechend zwei miteinander verbundene und geeinte Willen ein und desselben Christus, unseres Gottes, bekennt, einen göttlichen und einen menschlichen, deswegen, weil derselbe mit jeder seiner beiden Naturen naturgemäß unser Heil will, der sei verurteilt." (DH 510; vgl. DH 500.511. Die Übersetzung in NR 202 ist ungenau, weil im griechischen nichts von Freiheit steht).

222
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Da diese Lehre der Religionspolitik des Kaisers völlig zuwiderlief, ließ er den Papst nach Konstantinopel verschleppen (653), wo Martin I nach fünfjähriger Haft starb. Auch Maximus Confessor wurde von der kaiserlichen Polizei gefaßt. Während Jahren versuchte man ihn, bald durch Versprechen, bald durch Drohungen zum Nachgeben zu bewegen. Er widerstand während etwa zehn Jahren. Schließlich wurde ihm eine Hand abgehackt und die Zunge herausgerissen. Bald danach starb er im Alter von 82 Jahren, und auch der Kaiser wurde wenige Jahre später ermordet.

223
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Da die politische Situation sich inzwischen sehr verändert hatte, begannen die nachfolgenden Kaiser eine neue Religionspolitik. Die muslimischen Heere hatten nämlich von 633 an in rascher Folge Palästina, Syrien und Ägypten überrannt und damit die großen monophysitischen Gebiete aus dem Reichsverband herausgerissen. Die Kaiser mußten folglich in Zukunft auf sie keine Rücksicht mehr nehmen, und es wurde für sie zu einem vordringlichen Anliegen, gegen den neuen Feind einen Ausgleich mit Rom und dem Westen zu suchen.

224
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4) Das Konzil von 680/81

225
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a) Das Konzil legte die wahre Tradtion fest und nannte dabei:

226
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-- Papst Agatho (678-681) und Römische Synode von 649 (DH 553)

227
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--Papst Leo und Konzil von Chalkedon (DH 553)

228
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-- Cyrill v. Alexandrien (DH 554)

229
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--Fünf allgemeine Konzilen (Nicäa; Konstantinopel I; Ephesus; Chalkedon; Konstantinopel II) (DS 554).

230
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b) Das Konzil lehrte, daß es in Christus eine Person / Hypostase, aber zwei Tätigkeiten und zwei Willensakte, die ganz miteinander zusammenwirken, gibt.

231
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"Auch wir verkünden, daß gemäß der Lehre der heiligen Väter zwei natürliche Willen und zwei natürliche Wirkweisen ungetrennt, unverändert, ungeteilt und unvermischt in ihm [Christus] zusammenwirken" (NR 220; vgl. NR 221; DH 556/57).

232
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c) Das Konzil verurteilte Papst Honorius und den Patriarchen Sergius u.a. (DH 550-552).

233
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Honorius war der Sache nach sicher kein Häretiker (sowenig wie Sergius), obwohl er als solcher verurteilt wurde. Für ihn stand die Frage der zwei Willensakte gar nicht im Blickpunkt, sondern nur die Problematik, daß Christus als der sündenreine in sich nicht gespalten sein kann (ein Willensobjekt).

234
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d) Papst Leo II (682-683) hat das Konzil approbiert 682 und der Verurteilung des Honorius ausdrücklich zugestimmt (HS 563; vgl. desgleichen das Konzil Toledo XIV [DH 564]).

235
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Reflexion: Mit der Lehre von zwei Wirkweisen und zwei Willen in Christus griff das Konzil einerseits die römische Synode von 649 und Papst Agatho auf, aber ebenso jenen Punkt im Lehrschreiben von Papst Leo, den das Konzil von Chalkedon noch übergangen hatte ("Denn es wirkt jede der beiden Naturen in Gemeinschaft mit der anderen, was ihr eigen ist" [NR 177; DH 294]). Wie schon Chalkedon so sammelte auch Konstantinopel III die ganze Tradition ein. Auch hier zeigt sich wieder, daß die echte dogmatische Sprache eine ist, die aus einem Versöhnungsgeschehen entspringt. Über Chalkedon hinaus haben die letzten christologischen Konzilien endgültig festgehalten, daß die eine Hypostase / Person in Christus identisch ist mit der zweiten Hypostase in Gott (Konstantinopel II) und daß den beiden Naturen auch zwei Wirkweisen (für Papst Leo und gegen Konstantinopel II) und zwei Willen (römische Synode) entsprechen. (Die Lehre von Konstantinopel II, daß sich die Naturen nur "in theoria" unterscheiden, wurde so umgedeutet, daß sie die Lehre von zwei Willensakten zuließ.)

236
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V. Rückblick und Ausblick

237
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1) Einheit der Kirche (innerhalb des römischen Reiches)

238
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Im Lauf der Jahrhunderte wurden alle zentralen Anliegen der verschiedenen theologischen Richtungen ins christologische Dogma integriert. Deshalb konnte dieses zu einem fundamentalen Element der Einheit der Kirche werden (Einheit im Bekenntnis). Außerhalb dieser Einheit blieben nur die Kirchen, die auch außerhalb des Reiches waren (nestorianische Kirche; monophysitische Kirche in den muslimischen Gebieten und im abgelegenen Äthiopien). Sowohl das Erreichte wie das Nicht-Erreichte ist deshalb kurz zu werten.

239
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2) Rückbezug auf die Bibel

240
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Maximus Confessor hat seine Lehre von den zwei Willen in Christus, die von Konstantinopel III zum Dogma erhoben wurde, durch eine Analyse des Ölberggebets Christi im Lichte des Dogmas von Chalkedon erarbeitet. Dieses Faktum zeigt, wie der Prozeß des christologischen Dogmas gerade in seiner Endphase wieder sehr ausdrücklich zur Bibel zurückgekehrt ist und im Kreuzesgeschehen sowohl das göttliche wie menschliche Wollen deutlich herausgestellt hat. Aber auch früher ging der Blick auf das Neue Testament nie verloren, denn in allen Phasen des Ringens ging es darum, die Frage zu lösen, wie die Hoheits- und Niedrigkeitsaussagen von Christus einerseits zu unterscheiden und anderseits zusammenzusehen sind.

241
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Unbefriedigend blieb, daß das Dogma auch in seiner Endphase nur ganz allgemein vom göttlichen und menschlichen Wollen sprach. Es hat die Frage, wie Christus - angesichts der Feindschaft gegen seinen Heilswillen - das Heil dennoch realisiert hat, im einzelnen unerwähnt gelassen (Gewaltfreiheit). Auf dem Hintergrund der langen Geschichte des erbitterten und oft gewaltsamen Streites um das Dogma wäre gerade die Frage, wie ein Streit christlich durchzustehen ist, von höchster Bedeutung gewesen. Nur so hätte das Negative im Prozeß der Dogmatisierung nachträglich positiv aufgearbeitet werden können, - eine Aufgabe, die bis heute fehlt.

242
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3) Inkulturation

243
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Durch das Aufgreifen der mittelplatonischen Logos-Lehre (und der Begriffe 'hypostasis', 'ousia', 'physis') zur Lösung der Frage, wie der jüdische Monotheismus mit dem christlichen Bekenntnis zum Sohn und Hl.Geist zu vereinbaren ist und wie in Christus Hoheits- und Niedrigkeitsaussagen zusammenzusehen sind, hat sich die christliche Theologie ganz in die griechische Welt inkulturiert. Diese Inkulturation brachte zugleich viele Zweideutigkeiten mit sich. In den jahrhundertelangen Auseinandersetzungen mußten deshalb die griechischen Vorstellungen stark kritisiert und die Begriffe neu gedeutet werden, sodaß sie schließlich einen ganz neuen Sinn gewonnen haben.

244
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Dieser Vorgang der Inkulturation war ein einmaliges Geschehen, das mit heutigen Formen der Inkulturation nicht unmittelbar gleichgesetzt werden kann, und zwar aus folgenden Gründen:

245
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--(1) An der trinitarischen und christologischen Auseinandersetzung hat sich während Jahrhunderten eine ganze Kultur und ein großes Kaiserreich beteiligt. Ein ähnlicher Vorgang ist unter heutigen pluralistischen Bedingungen nicht mehr möglich.

246
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--(2) Das trinitarische und christologische Dogma hat sich auf die ganze kommende Christentums- und Kulturgeschichte ausgewirkt (z.B. Personbegriff) und indirekt einen beachtlichen Einfluß auf das Entstehen der heutigen Weltzivilisation gehabt. Alle heutigen Kulturen stehen deshalb bereits innerhalb der Wirkungsgeschichte der damaligen Auseinandersetzung.

247
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--(3) Mit dem "unvermischt und ungetrennt" wurde nicht nur eine bestimmte Lehre formuliert, sondern zugleich eine theologische Denkmethode erarbeitet, die - obwohl ursprünglich mit griechischen Worten ausgesagt - sachlich von der griechischen Begrifflichkeit unabhängig ist. Eine Preisgabe dieser Denkmethode wäre ein eindeutiger und großer Rückfall.

248
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Im christlichen römischen Reich ist folglich eine theologische Auseinandersetzung geschehen, die einmalig war und bleibt. Vor allem Ost-Rom hat stellvertretend für die ganze kommende Christenheit die oft schwere Auseinandersetzung durchgestanden.

249
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Das Ergebnis der trinitarischen und christologischen Auseinandersetzung muß selbstverständlich in die vielen Sprachen und Kulturen der Welt je neu übersetzt werden. Diese Übersetzungen setzen aber die Aneignung des Erreichten voraus.

250
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4) Dogma und Sünde

251
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In der langen Auseinandersetzung um das Dogma spielten viele Faktoren eine Rolle: eine sachlich schwierige Problematik, individuelle Leidenschaften, theologische Voreingenommenheiten, eine staatliche Politik mit Gewaltmaßnahmen. Echte Anliegen waren immer wieder mit sündhaftem Verhalten nahtlos gekoppelt. Aus diesem Grund wurden auch manche ungerecht verurteilt, und sie gelten bis heute als Ketzer (am deutlichsten bei Nestorius).

252
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Die konkrete Geschichte kann zwar nicht rückgängig gemacht werden, wohl aber haben wir in unserer heutigen Rezeption des Dogmas die bleibende Wahrheit deutlich von den damaligen Vorurteilen zu unterscheiden. Aus diesem Grund drängt sich auf, daß alle Verurteilungen mit konkreten Namen historisch neu überprüft werden. Halten sie einer historischen Kritik nicht stand, sollte die Kirche den Mut haben, solche Verurteilungen zurückzunehmen. Sie würde damit öffentlich bekennen, daß sie in ihrer eigenen Geschichte sehr wohl zwischen Wahrheit und Sünde zu unterscheiden weiß.

253
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Mit der kleinen monophysitischen syrisch-orthodoxen Kirche hat sich Rom geeinigt. Im Einigungstext wurden die umstrittenen Worte von Chalkedon (hpostasis, physis) ganz weggelassen, wohl aber die vier berühmten Adjektive benützt (Ganz Gott und ganz Mensch: Christologischer Dissens nach 1500 Jahren überwunden. Pastorale Vereinbarung zwischen Papst Johannes Paul II und dem syrisch-orthodoxen Patriarchen von Antiochien, Moran Mar Ignatius Zakka I. Iwas. In: Una sancta 39 [1984] 341-344). - Auch mit der monophysitischen koptischen Kirche in Ägypten kam es 1988 zu einer Einigung in der christologischen Frage, wobei man ebenfalls das Unvermischt und Ungetrennt betonte. Über die terminologischen Streitigkeiten hinaus sah man zwei Punkte als notwendig an für den wahren Glauben: Maria ist Gottesgebärerin und der ewige Logos hatte zwei Geburten (in der Ewigkeit aus dem himmlischen Vater, in der Zeit aus Maria) (Déclaration christologique commune de l'Eglise catholique et de l'Eglise copte (12 février 1988). In: Istina 35 [1990] 215-221).

254
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5. Christologisches Dogma und Islam

255
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Die muslimischen Heere haben die monophysitischen Gebiete dem oströmischen Reich entrissen und so Konstantinopel III möglich gemacht. Der Islam ist aber noch tiefer mit den christologischen Streitigkeiten verbunden.

256
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Es gibt eindeutige historische Zeugnisse, daß der unerbittliche Streit zwischen Chalkedoniern und Monophysiten der Mission im vormuslimischen Arabien fundamental geschadet hat. Im südlichen Arabien (Jemen) gab es zum Beispiel am Anfang des 6.Jahrhunderts unter dem Einfluß Äthiopiens, das monophysitisch war, für kurze Zeit ein christliches Königreich. Wegen des Streites zwischen Chalkedoniern und Monophysiten ist das Christentum dort aber wieder zerbrochen (vgl. G.Riße, "Gott ist Christus, der Sohn der Maria". Ein Studie zum Christusbild im Koran, 78f). Ähnliche Probleme lassen sich aus anderen Teilen Arabiens belegen, wobei auch der Streit zwischen der nestorianischen Kirche, die sehr missionarisch war, und den Monophysiten eine Rolle gespielt hat (vgl. Handbuch der Kirchengeschichte II/2, 48f.88-90). Wegen der christologischen Streitigkeiten dürfte folglich die Mission im arabischen Raum keinen echten Erfolg gehabt haben. Als bei den Germanen in der Begegnung mit der römisch-griechischen Welt ihr Polytheismus zerbrach, konnte das Christentum ziemlich leicht das entstehende Vakuum neu füllen. Anders war es in Arabien. Als dort der Polytheismus zerbrach, waren die Christen unfähig, die Stunde zu nützen, und es kam die Zeit für Mohammed.

257
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Im Koran spielt Jesus eine ziemlich große Rolle. Gegen zwei entscheidende Punkte der christlichen Lehre (Trinität, Erlösung am Kreuz) wendet sich Mohammed aber ausdrücklich. Dabei läßt sich zeigen, daß er mit einer extremen Form des Monophysitismus in Berührung gekommen war und diese abgelehnt hat: "Die Kritik Muhammads an den zentralen christlichen Lehren richtet sich gegen die monophysitische Christologie" (vgl. Riße, "Gott ist Christus, der Sohn der Maria", 216, vgl. 80.218).

258
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Auffallend ist ferner, wie leicht relativ kleine muslimische Heere große Teile des oströmischen Reiches überrennen konnten. Ein wichtiger, wenn nicht der entscheidende Grund für die Schwäche Ostroms waren die langen internen religiösen Streitigkeiten (vgl. Propyläen Weltgeschichte. Hg. G.Mann und A.Heuss, IV/1, 658; Pannenberg, Die Bestimmung des Menschen, 109). "Diese Streitigkeiten, die sich weit über ein Jahrhundert hinzogen, haben zur raschen Verbreitung des Islam im Vorderen Orient und in Nordafrika mitbeigetragen. Der Islam wurde nämlich nicht so sehr als Bedrohung des christlichen Glaubens gesehen, sondern eher als Befreiung vom Joch der dyophysitischen Byzantiner" (Riße, "Gott ist Christus, der Sohn der Maria", 9).

259
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Unter mehrfacher Rücksicht läßt sich folglich sagen: Der Islam war - geschichtlich gesehen - eine kontraproduktive Folge der christologischen Streitigkeiten ('wichtiges Element für eine theologische Kirchengeschichte und eine Geschichtstheologie').

260
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"Später wurde der Universalismus des byzantinischen Imperiums selber durch solche intolerante Ausschließlichkeit pervertiert, vor allem durch die kaiserliche Durchsetzung dogmatischer Uniformität. Das Gericht Gottes über diese Perversion der christlichen Sendung erschien historisch im Aufstieg des Islam." (Pannenberg, Die Bestimmung des Menschen, 109)

261
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Der Aufstieg des Islam ist als innerweltliches Gericht über eine sich endlos streitende Christenheit zu verstehen. Die Perversion der christlichen Sendung lag allerdings nicht nur bei den Kaisern, sondern noch mehr bei jenen Bischöfen, Mönchen und Laien, die fanatisch an ihren partikulären Theologien - im Gegensatz zur weit universaleren dogmatischen Sprache - festhielten.

262
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VI. Das menschliche Wissen Christi

263
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Das Dogma hat die Frage des Wissens in Christus nicht ausdrücklich behandelt. Da aber Konstantinopel III lehrt, daß es zwei Wirkweisen in ihm gibt, ist darin eingeschlossen, daß es in ihm auch zwei Erkenntnisweisen - eine menschliche und eine göttliche - gibt. Weil aber das Dogma auch sagt, daß die beiden Wirkweisen geeint sind, ergibt sich die schwierige Frage, wie in Christus sein göttliches Wissen auf das menschliche einwirkt.

264
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A) Tradionelle Lehre

265
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Die allermeisten Kirchenväter (außer einigen antiochenischen Theologen) und die ganze Scholastik lehrten eine sehr enge Durchdringung der göttlichen und der menschlichen Erkenntnisweise in Christus:

266
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"Augustinus, Maximus, Damascenus, Anselm, Hugo, Bernhard lehnen jede Form von Unwissenheit bei ihm (Christus) ab. Für den Lombarden [II d 13] weiß Jesus vom Mutterschoß an gleichviel wie Gott, auch wenn er nicht alles gleich klar erfaßt" (v. Balthasar, Theodramatik II/2, 176). vgl. Philipp Kaiser, Das Wissen Jesu Christi in der lateinischen Tradition, 1981.

267
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1) Thomas von Aquin

268
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Thomas ist etwas differenzierter, lehrt aber ähnlich und unterscheidet konkret vier Erkenntnisweisen in Christus

269
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--1) Göttliches Wissen des ewigen Logos: es bezieht sich auf alle realen und alle möglichen Gegenstände (göttliche Allwissenheit);

270
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--2) Scientia visionis: Während seines irdischen Lebens war Christus nicht ein 'Pilger' (Glaubender), sondern bereits ein 'Schauender' wie die Heiligen im Himmel. Er besaß deshalb schon jene unmittelbare Schau Gottes, die die Heiligen haben. Dank dieser Schau erkannte die menschliche Seele Christi im Logos alle Dinge der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, aber sie erkennt diese Dinge mit weniger Klarheit und die bloß möglichen Dinge bleiben der scientia visionis verborgen. In ihr sieht sie auch Gott nicht auf erschöpfende Weise (STh III 9,2; 10,1-4).

271
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--3) Scientia infusa (eingegossenes Wissen): Der Logos gießt sein Wissen in die menschliche Seele ein, weil diese das Instrument der Offenbarung ist, und er gießt ihr alles ein, was Gott einem Menschen offenbaren kann, nämlich alle Einzelheiten der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft, aber nicht das Wissen um das innerste Wesen Gottes (STh III 11,1).

272
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--4) Scientia acquisita vel experimentalis (Erfahrungswissen): Mit diesem Wissen erkannte die Seele Christi nicht alles, sondern nur jene Wirklichkeiten, die der Mensch grundsätzlich mit eigener Kraft erkennen kann. In diesem Wissen hat Jesus auch Fortschritte gemacht, obwohl er natürlich alles auf andere Weise schon wußte. Er hat auch nie von Menschen gelernt, weil diese täuschen können (STh III 12,1-4).

273
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2) Gründe für diese Lehre

274
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--Gegen die Gefahr des Nestorianismus haben die Theologen die Einheit in Christus sehr betont und wurden deshalb dazu geführt, eine große Durchdringung des menschlichen Wissens vom göttlichen her anzunehmen.

275
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--Auch das Johannesevangelium lehrte dies - ihrer Ansicht nach - eindeutig. In ihm sagt Jesus, daß er ganz mit dem Vater eins ist (Joh 10,30; 14,11; 17,21) und alles von ihm empfangen hat (Joh 3,35; 5,19f.; 10,29; 13,3; 16,15; 17,7.10). Die Jünger bekennen deshalb auch von ihm, daß er alles weiß (Joh 16,30).

276
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B) Kritik der Lehre von der menschlichen Allwissenheit Christi

277
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Gegen die Lehre von einer Art Allwissenheit der menschlichen Seele Christi gab es in der modernen Theologie starke Kritik, zunächst in der protestantischen und seit diesem Jahrhundert auch in der katholischen.

278
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1) Gründe für die Kritik

279
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--(a) Die Lehre von einer Art Allwissenheit steht gegen die Lehre vom wahren Menschsein Christi, denn zum Menschen gehört es, daß er begrenzt ist, suchen muß und die Zukunft für ihn dunkel ist. Die Lehre des Thomas, daß Jesus von anderen Menschen nicht gelernt hat, steht auch gegen die fundamentale menschliche Erfahrung, daß das Kind von andern lernt (vgl. Balthasar, Theodramatik II/2,160).

280
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--(b) Die traditionelle Lehre steht gegen das Zeugnis der Evangelien, die zeigen, wie Christus versucht wurde, gefragt hat, in Todesangst geriet und schließlich die Erfahrung der Gottverlassenheit durchmachen mußte. Alle diese Erfahrungen wären unmöglich gewesen, wenn Jesus auf Erden schon die 'scientia visionis' und die volle 'scientia infusa' besessen hätte. - Die traditionelle Exegese mußte deshalb auch alle diese Aussagen umdeuten, indem sie sagte, Christus habe diese Erfahrungen nicht selber gemacht, sondern die entsprechenden Worte nur - zu unserem Trost - in Namen der Glieder seines mystischen Leibes gesprochen. Diese Exegese richtet sich aber ganz gegen das, was die synoptischen Evangelien bei einer spontanen Lektüre nahelegen (vgl. auch: Mt 24,36).

281
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--Alle jene, die die Lehre von der Gottheit Jesu ablehnen, verwerfen selbstverständlich auch die Lehre von der Allwissenheit seiner menschlichen Seele.

282
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2) Entkräftigung der Argumentation mit dem Johannesevangelium

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In diesem Evangelium sagt Jesus ausdrücklich, daß er alles, was er vom Vater empfangen hat, seinen Jüngern mitteilt (Joh 15,15; 17,8.22f). Die Jünger haben aber sicher nicht eine Allwissenheit empfangen. Daraus ergibt sich, daß das Wort 'alles' nicht im metaphysischen, sondern im heilgeschichtlichen Sinn verstanden werden muß: Jesus hat alles vom Vater empfangen, was zu seiner Sendung gehört, und er hat alles dieses seinen Jüngern weitergegeben.

284
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C) Neuere katholische Lösungsvorschläge

285
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Diese Lösungsvorschläge gehen davon aus, daß Jesus in seinem irdischen Leben auch ein 'Glaubender' war, und daß das "Unvermischt und Ungetrennt" von göttlichem und menschlichem Wissen (gemäß Chalkedon) im Laufe des Lebens Jesu verschiedene Formen annehmen konnte (Kindheit, Verkündigung, Leiden, Verherrlichung):

286
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1) Karl Rahner

287
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Gemäß seiner transzendentalen Philosophie unterscheidet er zwischen thematischem (Einzelgegenstände) und unthematischem Bewußtsein (objektiv Horizont, subjektiv Grundbefindlichkeit):

288
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Im menschlichen Bewußtsein Jesu war das göttliche Wissen (als Wahrnehmung seines Personseins) auf unthematische Weise gegenwärtig. Aber diese hintergründige göttliche 'Durchlichtetheit' des menschlichen Bewußtseins Jesu führte nicht zu einem empirischen Einzelwissen, sondern ließ auf dieser Ebene ein Suchen, Fragen und Lernen offen (Schriften V, 222-245).

289
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Ähnlich: Schoonenberg, Schillebeeckx, Gutwenger, Haubst, Riedlinger [vgl Ph.Kaiser 190-238])

290
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2) Hans Urs v. Balthasar:

291
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--(1) Die traditionelle "Christologie macht den Fehler, den status exinationis und den status exaltationis in dieser Hinsicht (Wissen Jesu) nicht hinreichend zu unterscheiden" (Theodramatik II/2, 163).

292
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--(2) Jesus lebte total aus seiner Sendung heraus (vgl. Johannesevangelium). Sein Bewußtsein war ganz durch seine Sendung bestimmt (absolutes Sendungsbewußtsein) ("Meine Speise ist es, den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat" [Joh 4,34]). (Theodramatik II/2,151-167)

293
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--(3) Unterscheidung zwischen einer unthematischen Selbstwahrnehmung, ganz von Gott herzukommen ('Unvordenklichkeit des Gottesbewußtseins Jesu'), und der bewußten menschlichen Entfaltung des Sendungsbewußtseins (ebd. 159-167). In seiner allerletzten Selbstwahrnehmung war Jesus nicht von der Umwelt abhänig; diese Selbstwahrnehmung blieb aber ganz hintergründig (gefühlshaft); auf der Ebene der einzelnen bewußten Inhalte hatte Jesus -gemäß dem, was seine Sendung zuließ - von der Umwelt zu lernen (vgl. z.B. Rolle Mariens gegenüber dem kleinen Kind Jesu; Sündenfreiheit Mariens; Lernen aus dem AT).

294
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--(4) Die Sendung war das Maß des göttlichen Wissens Jesu (ebd. 175-185), und diese Sendung konnte sich schrittweise entfalten. So konnte die Sendung zum Sühnetod Jesus am Anfang seines öffentlichen Wirkens noch verborgen sein. Er lebte in der totalen Bereitschaft, alles zu tun, was sich ihm vom Vater her zeigte (ebd. 159-167).

295
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--(5) Hinterlegung des Jesus an sich 'gebührenden' und 'zugänglichen Wissens' beim Vater (ebd. 176): Die zweite göttliche Person ist Träger des menschlichen Wissens (wahrnehmbar am subjektiven Pol des menschlichen Bewußtseins) ("Ich und der Vater sind eins"). Sein menschliches Bewußtsein ist aber ganz auf den himmlischen Vater ("Abba") ausgerichtet (objektiver Pol). Die Hinterlegung bedeutet, daß trotz der Personeinheit in Jesus in ihm das menschliche Wissen vom göttlichen abgeschirmt ist. Was Jesus an einzelnem göttlichen Wissen zufließt, strömt ihm nicht von seinem Ich-Pol, sondern vom Vater her zu. Sein Bewußtsein, das ganz durch die Sendung bestimmt ist, ist identisch mit einem Bewußtsein, das ganz aus dem Glauben lebt.

296
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3) Zwei Formen des Bewußtseins in einer Person

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Wird durch die Annahme, daß es in Jesus zwei Formen des Bewußtseins gab, nicht eine Schizophrenie in seine Person hineingetragen? - Aber: alle Menschen haben bereits zwei Formen des Bewußtseins, nämlich das reflex Bewußtsein und das Unterbewußte. Das letztere dürfte auch weit umfassender sein, und es kann in Krisensituationen (z.B. naher Tod) auch plötzlich wider voll bewußt werden. Die Lehre von zwei Formen des Bewußtseins ist deshalb nicht gegen die menschliche Erfahrung gerichtet. Sie zeigt eher, wie abgründig wir Menschen letztlich sind.

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Anmerkungen:

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301
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 1. 1 Vgl.Hippolytus von Rom, Widerlegung aller Häresien, IX, 11.

302
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2. 2 Grillmeier, Jesus Christus im Glauben der Kirche, I, 260-266.

303
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3. 3 Grillmeier, I, 266- 271; ähnlich, aber mit einem kurzen Überblick über die abweichenden Deutungen des Origenes: Handbuch der Dogmengeschichte (Courth) (=HdDG) II 1a, 93-111.

304
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4. 4 Vgl. Grillmeier I, 283-288.

305
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5. 5 Vgl. Grillmeier I, 414-439.

306
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6. 6 Im Westen hatte der Mönch Leporius eine ähnliche Problematik wie Nestorius aufgeworfen. Die Frage wurde aber durch die Klugheit des Augustinus rasch gelöst (Grillmeier

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I,661-665).

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7. 7 Er machte von jedem der drei Theologen, die er verurteilte und verurteilen ließ, Auszüge (Kapitel). Deshalb heißt dieser Streit der "Drei-Kapitel-Streit".

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