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SCHNELL GENAU UMFASSEND
Kapitel 19
Die zivilgerichtliche Rechtsdurchsetzung - Der Wert des materiellen Zivilrechts hängt wesentlich davon ab, dass dieses auch durchgesetzt werden kann. Nachdem das ABGB (§ 19: Selbsthilfeverbot) die Durchsetzung in „Eigenregie” nicht gestattet, müssen den Rechtssuchenden vom Staat entsprechende Rechtsdurchsetzungsmechanismen zur Verfügung gestellt werden, dem sonst zahnlosen Zivilrecht sozusagen Zähne implantiert werden. Andererseits muss bei der Schaffung und bei der Anwendung zivilverfahrensrechtlicher Normen immer im Auge behalten werden, dass der Zweck, die Verwirklichung des materiellen Rechts ist, und dass es nicht eine Art Selbstverwirklichung des Verfahrensrecht kommen darf. Dieser enge Zusammenhang und die gegenseitigen Abhängigkeit zwischen materiellem Recht und Prozessrecht legt es – obwohl nicht üblich – nahe, im Rahmen eines Zivilrechtslehrbuchs auch einen Überblick über die Rechtsdurchsetzung aufzunehmen. Neben der raschen und effektiven Rechtsdurchsetzung für den Einzelnen liegt dem österreichischen Zivilverfahrensrecht auch der Gedanke zugrunde, im Interesse der Gesellschaft Rechtsfrieden herzustellen. Das System der Rechtsdurchsetzung sieht grundsätzlich zuerst ein Verfahren vor, in dem geprüft wird, ob die behaupteten zivilrechtlichen Ansprüche tatsächlich bestehen, das sogenannte Erkenntnisverfahren (→ Das streitige Verfahren (Zivilprozessrecht)), welches wiederum in das streitge und das außerstreitige Verfahren unterteilt ist, für die jeweils unterschiedliche Regeln gelten. Falls trotz eines Urteils in einem Erkenntnisverfahren ein Schuldner nicht bereit ist, die zugesprochene Leistung zu erbringen, stellt der Staat ein weiteres Verfahren zur Verfügung, mit dem ein Urteil zwangsweise durchgesetzt werden kann, das Exekutionsverfahren (= Zwangsvollstreckungsverfahren). Schließlich ist ein besonderes Verfahren, das Konkursverfahren (→ Der Konkurs), für jene Fälle vorgesehen, in welchen ein Schuldner zahlungsunfähig (allenfalls überschuldet) ist, welches darauf abzielt, in einem einzigen Verfahren das noch zur Verfügung stehende Vermögen des Schuldners zu verwerten und den Erlös an alle vorhandenen Gläubiger zu verteilen. In Anlehnung daran besteht weiters das Ausgleichsverfahren (→ Das Ausgleichsverfahren), welches die Sanierung eines insolventen Schuldners ermöglicht. Im Anschluss werden die Grundlagen dieser Verfahren, die zur Durchsetzung des materiellen Zivilrechts dienen, im Überblick dargestellt. Der Umfang beschränkt sich auf eine kurze Einführung, in das System und die zentralen Institute des Zivilverfahrensrechts, wobei viele Details ausgeklammert bleiben müssen. Die hier gebotene Darstellung soll einen ersten Einblick in das Zivilverfahrensrecht bieten und allenfalls im Rahmen einer Einführung in die Rechtswissenschaften ein taugliche Informationsquelle sein, keinesfalls ist sie aber für eine Vorbereitung zur einer Diplomprüfung aus Zivilverfahrensrecht gedacht oder ausreichend. Weitgehend ausgeklammert sind vorläufig die internationalen Aspekte (→ Rechtsdurchsetzung in Europa) der behandelten Verfahren, da diese für ein Grundverständnis nicht essenziell sind. Die ständig steigende Bedeutung von Verfahren mit Auslandsbezug insbesondere die jetzt bereits große praktische Bedeutung und die ansehnliche Zahl von EU-Rechtsvorschriften im Zivilverfahrensrecht werden in Zukunft aber wohl doch eine weitergehende Einbeziehung dieser Materien erfordern.
Überblick
A. Verfassungsrechtliche Grundlagen
Von Peter G. Mayr
Literaturquelle
Das österreichische Verfassungsrecht, dessen Hauptquelle das Bundes-Verfassungsgesetz von 1920 idF 1929 (B-VG, BGBl 1930/1) bildet, sieht eine Gewaltenteilung auf zwei Ebenen vor: Einerseits die Trennung der Gesetzgebung von der Gerichtsbarkeit und Verwaltung und andererseits die Trennung der Gerichtsbarkeit von der Verwaltung (Art 94 B-VG). Diese Trennung bedeutet, dass eine Behörde nicht gleichzeitig Verwaltungsbehörde und Gerichtsbehörde sein darf und dass ein wechselseitiger Instanzenzug zwischen diesen Behörden unzulässig ist.
Gewaltenteilung
Eine Ausnahme vom Prinzip der Trennung von Justiz und Verwaltung bildet die so genannte sukzessive Kompetenz (oder Zuständigkeit), wie zB im Leistungsrecht der Sozialversicherung; §§ 67 ff ASGG. Hier entscheidet über Leistungsansprüche zunächst ein Verwaltungsorgan, zB die TirGKK. Diese Entscheidung kann jedoch im Streitfall bei einem Gericht angefochten werden. Durch die Anrufung des Gerichts tritt die verwaltungsbehördliche Entscheidung außer Kraft und die Rechtssache ist vom Gericht neuerlich zu entscheiden. Ein anderer Anwendungsfall besteht in manchen Bereichen des Wohnrechts, in denen das ordentliche Gericht (im Außerstreitverfahren; → Das außerstreitige Verfahren) erst angerufen werden kann, wenn zuvor die (wohnrechtliche) Schlichtungsstelle der Gemeinde (= Verwaltungsbehörde) mit der Angelegenheit befasst worden ist oder diese Behörde säumig geworden ist; vgl §§ 39 f MRG.
Sukzessive Kompetenz
Hinsichtlich der Gerichtsbarkeit enthält das B-VG in den Art 82 ff weder erschöpfende noch besonders systematische Regelungen. Insbesondere ist nicht geregelt, welche Angelegenheiten überhaupt den Gerichten und welche den Verwaltungsbehörden zuzuweisen sind. Hier ist freilich darauf hinzuweisen, dass die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) in Österreich seit 1964 Verfassungsrang genießt (BGBl 1964/59) und sich aus deren Art 6 die Verpflichtung ergibt, die Entscheidung über „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen” einem „unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht” zu übertragen.
Art 6 EMRK
Geregelt ist im B-VG etwa, dass alle Gerichtsbarkeit vom Bund ausgeht (Art 82 Abs 1 B-VG), was bedeutet, dass die Bundesländer keine Gerichte einrichten dürfen und die Regelung von Gerichtsverfassung und Zuständigkeit der Gerichte durch Bundesgesetz zu erfolgen hat (Art 83 Abs 1 B-VG). Obwohl Art 91 Abs 1 B-VG bestimmt, dass „das Volk an der Rechtsprechung mitzuwirken hat”, spielt die Beteiligung von Laien im Zivilverfahren nur eine sehr untergeordnete Rolle → Personen der Rechtspflege Verfassungsmäßig gewährleistet ist das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art 83 Abs 2 B-VG) und das Prinzip der festen Geschäftsverteilung (Art 87 Abs 3 B-VG). Danach ist nach objektiven Kriterien im Vorhinein festzulegen, welcher Richter über welche Rechtssachen zu entscheiden hat. Als höchste Instanz in Zivilrechtssachen wird der Oberste Gerichtshof (OGH) bestimmt (Art 92 Abs 1 B-VG); Rechtsmittelbeschränkungen, die seine Anrufbarkeit im Einzelfall ausschließen, sind jedoch zulässig → Revision (§§ 502 bis 513 ZPO) Hinsichtlich der Richter ist im B-VG deren Unabhängigkeit sowie deren Unabsetzbarkeit und Unversetzbarkeit festgeschrieben (Art 87 ff B-VG).
Verfassungsbestimmungen
Eine Bindung der Richter an Präjudizien (frühere Entscheidungen gleicher Rechtsfragen durch andere Gerichte) besteht nicht, faktisch orientieren sich jedoch freilich insbesondere die Untergerichte an der Vorjudikatur, insbesondere der Rechtsmittelgerichte. – Gerichtsverhandlungen müssen öffentlich und mündlich sein, jedoch kann ein (einfaches) Gesetz davon Ausnahmen festlegen (Art 90 B-VG). Da – wie bereits erwähnt – der Europäischen Menschenrechtskonvention Verfassungsrang zukommt, genießen auch alle Verfahrensgarantien der EMRK, insbesondere jene des Art 6, verfassungsrechtlichen Schutz.
Präjudizien
Zu beachten ist auch die EU-Grundrechte-Charta (ABl 2000 C 364 S 1), insbesondere deren Kapitel VI über „Justizielle Rechte” (Art 47 ff).
Die Wahrung verfassungsrechtlich geschützter Rechte obliegt dem Verfassungsgerichtshof (VfGH). Parteien eines Zivilverfahrens können jedoch die Verletzung solcher Rechte durch Gerichte nur innerhalb des im jeweiligen Verfahren offenstehenden Instanzenzuges geltend machen; eine Anrufung des VfGH durch sie ist nicht möglich. Hegt jedoch der OGH oder ein Gericht zweiter Instanz gegen die Anwendung eines Gesetzes wegen einer möglichen Verfassungswidrigkeit Bedenken, so hat es einen diesbezüglichen Prüfungsantrag an den VfGH zu stellen (Art 89 Abs 2 B-VG). Bei Verletzung von Rechten, die durch die EMRK geschützt sind, können außerdem die entsprechenden Straßburger Organe (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) angerufen werden.
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B. Gerichtsorganisation und Besetzung
Von Peter G. Mayr
Literaturquelle
Obwohl der Instanzenzug (grundsätzlich) nur dreistufig ist, bestehen in der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit (grundsätzlich) vier verschiedene Gerichtstypen (vgl §§ 1 ff JN), nämlich:
Gerichtstypen
• die Bezirksgerichte (BG)
• die Landesgerichte (LG)
• die Oberlandesgerichte (OLG) und
• der Oberste Gerichtshof (OGH).
Der Rechtszug geht, wenn ein Bezirksgericht Eingangsgericht ist, über ein Landesgericht zum Obersten Gerichtshof und, wenn ein Landesgericht Eingangsgericht ist, über ein Oberlandesgericht zum Obersten Gerichtshof.
Instanzenzug


Instanzenzug und Gerichtsbesetzung
Abbildung 19.1:
Instanzenzug und Gerichtsbesetzung
Der (eine) Oberste Gerichtshof in Wien ist das oberste Organ der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Sein Aufgabenbereich und die innere Organisation wird durch ein eigenes Gesetz (BG über den Obersten Gerichtshof – OGHG, BGBl 1968/328) geregelt, während für die innere Einrichtung der anderen ordentlichen Gerichte das Gerichtsorganisationsgesetz (GOG, RGBl 1897/217) maßgeblich ist.
OGH
Unterhalb des Obersten Gerichtshofes bestehen in Österreich vier Oberlandesgerichte (in Wien, Graz, Linz und Innsbruck) und 18 Landesgerichte (davon in Wien und in Graz jeweils ein Landesgericht nur für Zivilsachen und ein Landesgericht nur für Strafsachen). Ein Landesgericht befindet sich in jeder Landeshauptstadt (Ausnahme Vorarlberg, wo das Landesgericht in Feldkirch eingerichtet ist) und darüber hinaus in Korneuburg, Krems an der Donau, Leoben, Ried im Innkreis, Steyr, Wels und Wiener Neustadt.
OLG und LG
Nach den jüngsten Zusammenlegungen von zahlreichen kleinen Bezirksgerichten gibt es derzeit (1.1.2005) im Bundesgebiet (noch) 150 Bezirksgerichte. Außerhalb von Wien (dort gilt das Bezirksgerichts-OrganisationsG für Wien, BGBl 1985/203) beruht die Bezirksgerichtsorganisation wegen einer verfassungsrechtlich normierten Ausnahme (§ 8 Abs 5 lit d ÜbergangsG 1920 idF BGBl 1925/368) auf Verordnungen der Bundesregierung mit Zustimmung der betreffenden Landesregierung.
BG
Vgl die aktuellen Bezirksgerichte-VO betreffend Niederösterreich (BGBl II 2002/81 idF BGBl II 2002/190), die Steiermark (BGBl II 2002/82 idF BGBl II 2002/190), Tirol (BGBl II 2002/240), Salzburg (BGBl II 2002/287) und Oberösterreich (BGBl II 2002/422).
Die genannten ordentlichen Gerichte erledigen auch Handelssachen sowie arbeits- und sozialrechtliche Streitigkeiten, nur in Wien sind dafür eigene Gerichte eingerichtet: Das Bezirksgericht in Handelssachen sowie (auf Gerichtshofebene) das Handelsgericht und das Arbeits- und Sozialgericht Wien.
In aller Regel wird heute im Zivilverfahren (im Gegensatz zur ursprünglichen Konzeption der Zivilprozessordnung) in erster Instanz ein Einzelrichter tätig; nur beim Landesgericht entscheidet bei einem Streitwert von über 50.000 Euro und einem entsprechenden Antrag einer Partei ein Senat von drei (Berufs-)Richtern (§ 7a JN; in der Praxis sehr selten). Im Rechtsmittelverfahren entscheiden sowohl beim Landesgericht als auch beim Oberlandesgericht durchwegs Senate von drei Richtern (§§ 7, 8 JN). Der Oberste Gerichtshof wird gewöhnlich in Senaten von fünf Richtern, ausnahmsweise in Dreiersenaten oder (bei Rechtsfragen von „grundsätzlicher Bedeutung”) in verstärkten Senaten (von elf Richtern) tätig; vgl §§ 5 ff OGHG.
Einzelrichter und Senate
In Arbeits- und Sozialrechtssachen sind zwar in allen Instanzen grundsätzlich Senate vorgesehen, denen neben Berufsrichtern auch Laienrichter angehören (§§ 10 f ASGG), jedoch ist diese Grundregel zwischenzeitlich durch Novellen stark zugunsten eines Einzel(berufs)richters und von Berufsrichtersenaten eingeschränkt worden (§ 11a ASGG). Auch in Handelssachen kommen – in der Praxis allerdings sehr selten – fachmännische Laienrichter („Kommerzialräte”) zum Einsatz; § 7 Abs 2, § 8 Abs 2 JN.
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C. Personen der Rechtspflege
Von Peter G. Mayr
Literaturquelle
Grundsätzlich gibt es in Österreich sowohl Berufs- als auch Laienrichter. Die Laiengerichtsbarkeit spielt jedoch im Zivilverfahren – wie erwähnt – nur eine sehr geringe Rolle. Sie ist lediglich in Arbeits- und Sozialrechtssachen → Arbeits- und sozialgerichtliches Verfahren und (in einem noch geringeren Ausmaß) in Handelssachen und in der Kartellgerichtsbarkeit (vgl § 89 KartG 1988) vorgesehen. Laienrichter werden nur gemeinsam mit Berufsrichtern in Senaten tätig; als Einzelrichter kommen ausschließlich Berufsrichter zum Einsatz. Diese werden aufgrund von Vorschlägen von Personalsenaten (Organe richterlicher Selbstverwaltung) auf Antrag der Bundesregierung vom Bundespräsidenten (bzw auf Grund seiner Ermächtigung vom Justizminister) aus den vorgeschlagenen Personen ausgewählt und ernannt. Ernennungsvoraussetzungen sind ua die österreichische Staatsbürgerschaft, der Abschluss des rechtswissenschaftlichen Diplomstudiums, die Absolvierung einer mindestens vierjährigen Rechtspraxis und die Ablegung der Richteramtsprüfung.
Berufs- und Laienrichter
Richterliche Aufgaben erfüllen auch die Rechtspfleger. Diese nichtrichterlichen Beamten (Art 87a B-VG) sind (nur) gegenüber dem Richter, dem sie zugeteilt sind, weisungsgebunden. Ihr Wirkungskreis wird in §§ 16 ff Rechtspflegergesetz (BGBl 1985/560) taxativ aufgezählt. Er umfasst eine Vielzahl von Angelegenheiten der Zivilgerichtsbarkeit in erster Instanz; insbesondere im Bereich des Außerstreitverfahrens (zB Verlassenschaftsverfahren, Pflegschaftsverfahren, Grundbuchs- und Firmenbuchverfahren) und bei der Zwangsvollstreckung spielen die Rechtspfleger eine wichtige Rolle.
Rechtspfleger
Notare entfalten im Verlassenschaftsverfahren eine Tätigkeit als sogenannte Gerichtskommissäre, in deren Rahmen sie einen Großteil der notwendigen Maßnahmen erledigen, Entscheidungen bleiben jedoch dem Gericht vorbehalten. Daneben ist eine der wichtigsten Aufgaben der Notare die Errichtung von öffentlichen Urkunden. Schließlich sind Notare auch als Rechtsberater, Verfasser von Privaturkunden und als Parteienvertreter in Verfahren ohne Anwaltspflicht tätig. Voraussetzungen für den Beruf des Notars ist ua der Abschluss des rechtswissenschaftlichen Diplomstudiums, die Absolvierung einer mindestens siebenjährigen Rechtspraxis, die Ablegung der Notariatsprüfung und die Verleihung einer Notarstelle durch den Justizminister, wobei die Anzahl der Notarstellen in Österreich begrenzt ist.
Notare
Rechtsanwälte werden in Österreich nicht als Organe der Rechtspflege angesehen. Sie üben einen sogenannten „freien Beruf” aus, in dessen Rahmen sie Klienten sowohl rechtlich beraten als auch vor Gerichten (und anderen Behörden) vertreten. Die Vertretungsbefugnis vor Behörden unterliegt weder einer territorialen Beschränkung noch einer Beschränkung nach Art der Behörde. In großen Bereichen des Zivilverfahrens müssen sich die Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen; „Anwaltspflicht” → KAPITEL 19: Postulationsfähigkeit. Voraussetzungen für den Beruf des Rechtsanwalts sind ua der Abschluss des rechtswissenschaftlichen Diplomstudiums, die Absolvierung einer mindestens fünfjährigen Rechtspraxis sowie die Ablegung der Rechtsanwaltsprüfung.
Rechtsanwälte
Die Ausübung des freien Dienstleistungsverkehrs und die Niederlassung von Rechtsanwälten aus den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und den anderen Vertragsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraums wird in einem eigenen Bundesgesetz geregelt; EuRAG, BGBl I 2000/27.
Die Entlohnung der Rechtsanwälte erfolgt grundsätzlich aufgrund freier Vereinbarung mit den Klienten. Dennoch besteht ein eigenes RechtsanwaltstarifG (RATG BGBl 1969/189), in dem Tarife für Rechtsanwaltsleistungen festgelegt sind. Nach diesen Tarifen bestimmt sich im zivilgerichtlichen Verfahren die Höhe des Kostenersatzanspruchs der obsiegenden Partei → Prozesskosten (§§ 41 bis 55 ZPO) die Tarife gelten mangels besonderer Vereinbarung auch dem eigenen Klienten gegenüber. Aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung ist in Österreich die Vereinbarung eines Erfolgshonorars in Form eines Anteils am erstrittenen Wert („quota litis”) verboten.
Entlohnung von Rechtsanwälten
Die Ergebnisse der praktischen Justizprüfungen (Rechtsanwalts-, Notariats- und Richteramtsprüfungen) werden regelmäßig auf der Homepage des Instituts für Zivilgerichtliches Verfahren der Universität Innsbruck veröffentlicht (http://www.uibk.ac.at/zivilverfahren)
Prüfungsergebnisse
Nähere Einzelheiten der Rechtsberufe: I. Richter, Staatsanwalt, Richteramtsanwärter, Rechtspraktikant, Rechtspfleger (R. J. Nimmervoll); II. Notar und Notariatskandidat (W. Priglinger); III. Rechtsanwalt und Rechtsanwaltskonzipient (I. Pumberger); IV. Wirtschaftstreuhänder und Berufsanwärter (B. Frei).
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D. Die zivilgerichtlichen Verfahrensarten
Von Peter G. Mayr
Das zivilgerichtliche Verfahrensrecht regelt das Verfahren vor den Gerichten zur Feststellung und Durchsetzung zivilrechtlicher (bürgerlichrechtlicher) Ansprüche. Es handelt sich also um formelles Recht, das zur Feststellung und Durchsetzung des materiellen (Privat)Rechts dient. Das (materielle) Privatrecht bliebe wirkungslos, könnten die Betroffenen ihre (subjektiven) Rechte nicht mit staatlicher Hilfe in einem rechtlich geordneten Verfahren durchsetzen. Effektiv wird das dem Einzelnen zustehende (materielle) Recht somit erst durch das Verfahrensrecht, in dem es eine notwendige und unverzichtbare Ergänzung findet.
Materielles und formelles Recht
Das Zivilverfahrensrecht gliedert sich in folgende Verfahrensarten, die nachfolgend im Überblick behandelt werden:
Verfahrensarten
• Zivilprozessrecht (ieS oder streitiges Erkenntnisverfahren) → Das streitige Verfahren (Zivilprozessrecht)
• Außerstreitverfahrensrecht → Das außerstreitige Verfahren
• Zwangsvollstreckungs- (bzw Exekutions-)recht → Exekutionsverfahren
• Insolvenzrecht → Insolvenzrecht
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E. Das streitige Verfahren (Zivilprozessrecht)
Von Peter G. Mayr
Literaturquelle
I. Allgemeines
1. Selbsthilfeverbot und Rechtspflegeanspruch
Will jemand seine privatrechtlichen Ansprüche durchsetzen, darf er dabei nicht eigenmächtig vorgehen. Vielmehr wird er auf den Beistand der Zivilgerichte verwiesen, denn die österreichische Rechtsordnung verbietet grundsätzlich die Selbsthilfe. Aufgrund dieses Selbsthilfeverbots ist der Einzelne auf den Schutz seiner Rechte durch den Staat angewiesen. Um die Gewährung von staatlichem Rechtsschutz abzusichern, gewährt die Rechtsordnung dem Rechtsunterworfenen einen Anspruch gegen den Staat auf Entscheidung seiner privatrechtlichen Streitigkeiten, den sogenannten „Justizgewährungs- oder Rechtspflegeanspruch”. Durch Art 6 EMRK wurde dieser, zuvor schon aus § 19 ABGB abgeleitete Anspruch zum Menschenrecht erklärt, das auch innerstaatlich verfassungsgesetzlich gewährleistet ist. Zur Verwirklichung dieses Anspruchs auch für finanziell schlechter gestellten Personen dient ua das Institut der Verfahrenshilfe → Verfahrenshilfe (§§ 63 bis 73 ZPO).
Justizgewährungsanspruch
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2. Aufgaben des Zivilprozesses
Wurde der Rechtsfriede gestört, muss er – notfalls mit Hilfe hoheitlicher Gewalt – wiederhergestellt werden. In der Wiederherstellung des Rechtsfriedens im Einzelfall liegt die Repressionsfunktion des Zivilprozesses: Wer den Rechtsfrieden stört, muss mit staatlichen Sanktionen rechnen. Andererseits dient das Prozessrecht dem Schutz der gesamten Rechtsordnung durch die Bewahrung des Rechtsfriedens: Kann man sich im Ernstfall auf staatliche Hilfe verlassen, braucht man sie oft gar nicht in Anspruch zu nehmen, denn auch der potentielle Gegner weiß um diesen effektiven Schutz. Darin liegt die wichtige Präventionsfunktion des Zivilprozesses.
Repressions- und Präventionsfunktion
Die Durchführung eines Zivilprozesses sollte in einem Rechtsstreit jedoch immer nur die ultima ratio darstellen. Im Regelfall sind die Beteiligten bestrebt, eine außergerichtliche Einigung (etwa in der Form eines materiellrechtlichen Vergleichsvertrages iSd §§ 1380 ff ABGB) zu erzielen, weil ein Zivilprozess Zeit, Kosten und Nerven in Anspruch nimmt, der Ausgang eines Gerichtsverfahrens letztlich nicht mit absoluter Sicherheit vorhergesagt werden kann und durch eine gerichtliche Auseinandersetzung die zwischenmenschlichen Beziehungen zwischen den Parteien sicherlich nicht verbessert werden. Es besteht daher nicht nur die Möglichkeit, einen bereits eingeleiteten Zivilprozess noch ohne (streitige) Gerichtsentscheidung (insbesondere durch einen Prozessvergleich; § 204 ZPO) zu beenden, sondern der Gesetzgeber fördert in letzter Zeit auch vermehrt Alternativen zum herkömmlichen gerichtlichen Verfahren. Dazu unten → Schiedsgerichtsbarkeit und andere Rechtsschutzalternativen
Prozess als ultima ratio
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3. Rechtsquellen
Literaturquelle
Der Kern der derzeit geltenden österreichischen Zivilverfahrensgesetze steht mittlerweile schon über 100 Jahre in Geltung:
Zivilverfahrensgesetze
• Die Jurisdiktionsnorm (JN, RGBl 1895/110),
• die Zivilprozessordnung (ZPO, RGBl 1895/113),
• die Exekutionsordnung (EO, RGBl 1896/79) und
• das Gerichtsorganisationsgesetz (GOG, RGBl 1896/217).
Diese Gesetze sind am 1. Jänner 1898 in Kraft getreten. Die Jurisdiktionsnorm enthält Bestimmungen über Organisation, Besetzung und Zuständigkeit der Zivilgerichte, die Zivilprozessordnung regelt das streitige Zivilverfahren, die Exekutionsordnung die Zwangsvollstreckung und den einstweiligen Rechtsschutz (dazu näher → Exekutionsverfahren) und das Gerichtsorganisationsgesetz enthält ergänzend zur Jurisdiktionsnorm und anderen Verfahrensgesetzen Vorschriften über Besetzung, innere Einrichtung und Geschäftsordnung der Gerichte. Verfahrensbesonderheiten gegenüber der ZPO in Arbeits- und Sozialrechtssachen sind im Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz von 1985 (ASGG, BGBl 1985/104) zusammengefasst (→ Arbeits- und sozialgerichtliches Verfahren). Besondere Verfahrensvorschriften für handelsrechtliche Streitigkeiten bestehen in Österreich nicht.
Die genannten Verfahrensgesetze sind selbstverständlich bereits vielfach novelliert und den geänderten Verhältnissen angepasst worden: In letzter Zeit haben insbesondere die Zivilverfahrens-Novelle 1983 und die „Erweiterte Wertgrenzen-Novelle” von 1989 und von 1997 umfangreiche Änderungen des österreichischen Zivilprozessrechts bewirkt. Eine weitere „Zivilverfahrens-Novelle 2002” ist am 1. Jänner 2003 in Kraft getreten (BGBl I 2002/78). Mit ihr soll nach den Absichten des Gesetzgebers eine (weitere) „Vereinfachung, Beschleunigung und Effizienzsteigerung des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens” erzielt werden, wobei allerdings vorweg betont werden muss, dass der österreichische Zivilprozess allgemein als ein sehr gut und effizient funktionierendes Verfahrensrecht betrachtet wird.
Entwicklung
Die Zivilprozessordnung von 1895, die – wie soeben erwähnt – nach wie vor die Hauptrechtsquelle für das streitige Verfahren bildet, hat nach zahlreichen vergeblichen Versuchen einer Gesamtreform des Zivilverfahrensrechts die betreffenden Bestimmungen der Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781 (AGO) ersetzt. Sie ist im Wesentlichen die persönliche Leistung einer Einzelperson, nämlich von Franz Klein. Er ging bei seiner Arbeit – im Gegensatz zu jener Auffassung, die der AGO und zahlreichen zeitgenössischen Zivilverfahrensgesetzen zugrunde lag – davon aus, dass der Zivilprozess als Institut des öffentlichen Rechts nicht allein privaten Parteiinteressen zu dienen habe, sondern dass er darüber hinaus auch im Dienste der Allgemeinheit Konfliktpotential, welches das gesellschaftliche Zusammenleben stört, und damit verbundene wirtschaftliche Hemmnisse aus der Welt zu schaffen habe. Ziel der Zivilprozessreform war es im Wesentlichen, ein rasches, einfaches und billiges Verfahren zu schaffen, für dessen Ablauf der Richter als „berufsmäßiger Repräsentant des Gemeininteresses” vornehmlich verantwortlich ist. Das unter dieser Prämisse geschaffene Gesetz wurde als „erstes Prozessmodell des sozialen Rechtsstaates” bezeichnet und allgemein als „großer Wurf” angesehen. Seine wesentlichen Grundlagen sind auch noch heute – trotz vielfacher Novellierungen – anerkannt und unbestritten.
Franz Klein und der soziale Zivilprozess
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II. Verfahrensgrundsätze
Das streitige Verfahren ist geprägt von den Grundsätzen der Mündlichkeit und der Öffentlichkeit sowie vom Grundsatz des beiderseitigen rechtlichen Gehörs. Über Einleitung und Gegenstand des Verfahrens bestimmen die Parteien (Dispositionsgrundsatz), die Organisation des Ablaufs des Verfahrens und die Veranlassung der Zustellungen obliegt ausschließlich dem Gericht (Grundsatz des Amtsbetriebs). Parteien und Gericht haben gemeinsam durch Tatsachenbehauptungen und Beweisvorbringen einerseits und durch Maßnahmen im Rahmen der prozessleitenden Befugnisse andererseits (→ Mündliche Streitverhandlung und richterliche Prozessleitung) zur Stoffsammlung beizutragen (Kooperationsgrundsatz). Die Entscheidung darf nur jener Richter fällen, vor dem der Rechtsstreit verhandelt worden ist; dieser Richter hat auch die Beweise aufzunehmen (Unmittelbarkeitsgrundsatz). Welche Tatsachen der Richter letztlich für erwiesen hält, obliegt seiner freien Überzeugung (Grundsatz der freien Beweiswürdigung).
Grundsätze des Verfahrens
Der Grundsatz der Prozessökonomie hat die Beschleunigung und Konzentration des Verfahrens im Auge: Den Parteien steht es zwar frei, bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen und neue Anträge zu stellen (Grundsatz der Freiheit des Vorbringens), doch besteht für sie eine allgemeine Prozessförderungspflicht (§ 178 Abs 2 ZPO) und sind dem Richter im Gesetz zahlreiche Möglichkeiten eingeräumt, Verfahrensverzögerungen zu vermeiden und damit Zeit und Kosten zu sparen. Außerdem bewirkt das Neuerungsverbot im Rechtsmittelverfahren (→ Neuerungsverbot) eine weitgehende Konzentration des Tatsachenvorbringens auf das erstinstanzliche Verfahren.
Prozessökonomie
Man kann also zusammenfassen, dass der österreichische Zivilprozess grundsätzlich ein mündliches, unmittelbares, öffentliches und konzentriertes Verfahren darstellt, in dem beiden Parteien rechtliches Gehör gewährt wird und das vom Dispositionsgrundsatz, Amtsbetrieb und Kooperationsgrundsatz sowie dem Grundsatz der freien Beweiswürdigung beherrscht wird.
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III. Prozessvoraussetzungen insbesondere Gerichtszuständigkeit
1. Allgemeines
Prozessvoraussetzungen (oder besser: Sachentscheidungsvoraussetzungen) sind jene formellen Erfordernisse, von deren Vorliegen Zulässigkeit und Gültigkeit des Verfahrens abhängig sind, und deren Fehlen zur Nichtigerklärung des Verfahrens, zur Aufhebung der allenfalls schon ergangenen Entscheidung und zur Zurückweisung der Klage führt. Besondere Bedeutung kommt den absoluten Prozessvoraussetzungen zu, weil deren Mangel einen Nichtigkeitsgrund darstellt, der (auch von Amts wegen) in jeder Lage und Instanz des Verfahrens bis zum Eintritt der Rechtskraft der das Verfahren beendenden Entscheidung aufgegriffen werden kann (und muss). Dazu zählen etwa das Vorliegen der „inländischen Gerichtsbarkeit”, dass also die Rechtssache nicht nach den Regeln über die völkerrechtlichen Immunitäten der Jurisdiktionsbefugnis der österreichischen Gerichte entzogen ist; ferner die Zulässigkeit des Rechtswegs, dass also die Sache, weil es sich um „zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen” im Sinn des Art 6 EMRK handelt, vor die ordentlichen Gerichte und nicht etwa vor Verwaltungsbehörden gehört, und die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs, was bedeutet, dass die Rechtssache im Rahmen eines (streitigen) Zivilprozesses und nicht in einem Verfahren außer Streitsachen zu behandeln ist → Abgrenzung zwischen streitigem und außerstreitigem Verfahren Zu erwähnen sind außerdem etwa die Partei- und Prozessfähigkeit, die Prozesslegitimation, das Unterbleiben der Mitwirkung eines ausgeschlossenen Richters sowie das Fehlen der Streitanhängigkeit und der Rechtskraft in derselben Rechtssache.
Sachentscheidungsvoraussetzungen
Das Fehlen einer relativen Prozessvoraussetzung – wie etwa der Zuständigkeit des angerufenen Gerichts, der korrekten Gerichtsbesetzung oder der Einhaltung der Geschäftsverteilung – muss bei sonstiger Heilung grundsätzlich vor Streiteinlassung durch den Beklagten geltend gemacht werden.
Im Folgenden wird nur die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts näher behandelt, da diese Prozessvoraussetzung in der Praxis die wichtigste Rolle spielt:
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2. Zuständigkeit
Zu beachten ist vorerst die internationale Zuständigkeit: Sofern nicht völkerrechtliche oder europarechtliche Rechtsquellen – wie insbesondere die neue Europäische Verordnung über die Gerichtszuständigkeit (EuGVVO als Nachfolgeregelung für das Brüsseler Übereinkommen) oder das Übereinkommen von Lugano (→ Rechtsdurchsetzung in Europa) – und auch keine speziellen nationalen Vorschriften (insbesondere im Bereich des Ehe- und Familienrechts, zB § 76 Abs 2, § 76b Abs 2, § 76c Abs 3 JN) eingreifen, sind die österreichischen Gerichte dann für einen Rechtsstreit international zuständig, wenn ein örtlich zuständiges Gericht in Österreich vorhanden ist. Findet also ein Kläger nach den Regeln über die örtliche Zuständigkeit (dazu unten) ein zuständiges Gericht in Österreich, so ist auch die internationale Zuständigkeit Österreichs gegeben (§ 27a JN). Wenn nicht, muss er im Ausland klagen. Eine Ausnahme normiert nur § 28 JN, nach dem der OGH ein österreichisches Gericht als zuständig bestimmen kann, wenn für einen österreichischen Kläger im Einzelfall die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Ausland nicht möglich oder unzumutbar ist.
Internationale Zuständigkeit
Die sachliche Zuständigkeit der österreichischen Gerichte hängt entweder vom Wert des Streitgegenstandes (Wertzuständigkeit) oder von der Art der Streitsache (Eigenzuständigkeit) ab. Die Bezirksgerichte sind sachlich zuständig für Rechtssachen, deren Streitwert 10.000 ı nicht übersteigt (§ 49 Abs 1 JN), und – unabhängig vom Streitwert – beispielsweise für alle familienrechtlichen Streitsachen oder für Bestandstreitigkeiten (§ 49 Abs 2 JN). Die anderen Streitsachen, welche jedoch nur rund 10% des Gerichtsanfalls ausmachen, fallen in die Zuständigkeit der Landesgerichte (§ 50 JN).
Sachliche Zuständigkeit
Die Zuständigkeit für Handelssachen regeln die §§ 51 f JN, jene in Arbeits- und Sozialrechtssachen die §§ 50 und 65 ASGG.
Die örtliche Zuständigkeit bestimmt sich prinzipiell nach dem Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt des Beklagten (allgemeiner Gerichtsstand gem §§ 65 ff JN). Zusätzlich zum allgemeinen Gerichtsstand bestehen noch eine Vielzahl von besonderen Gerichtsständen (§§ 76 ff JN), nämlich Wahlgerichtsstände, welche der Kläger an Stelle des allgemeinen Gerichtsstands in Anspruch nehmen darf (zB Gerichtsstand der Niederlassung [§ 87 JN], des Erfüllungsortes [§ 88 JN] oder der Schadenszufügung [§ 92a JN]), und ausschließliche Gerichtsstände, welche andere gesetzliche Gerichtsstände verdrängen; zB für Streitigkeiten aus dem Eheverhältnis (§ 76 JN) oder der Gerichtsstand der gelegenen Sache (§ 81 JN).
Örtliche Zuständigkeit
Die gesetzliche Zuständigkeitsordnung kann grundsätzlich auch durch eine Vereinbarung der Parteien (Gerichtsstandsvereinbarung oder Prorogation) abgeändert werden (§ 104 JN). Dies gilt vor allem für die örtliche Zuständigkeit, die mit Ausnahme der sog Zwangsgerichtsstände (insbesondere im Bereich des Schutzes von Konsumenten; § 14 KSchG) durchwegs durch (konkrete schriftliche) Parteienvereinbarung festgelegt werden kann. Die sachliche Zuständigkeit kann hingegen nur im Bereich der Wertzuständigkeit verändert werden, wobei die Zuständigkeit nur vom Landesgericht auf das Bezirksgericht (also von oben nach unten und nicht umgekehrt) verlagert werden kann.
Prorogation
Die Zivilprozessgesetze sind bestrebt, Zuständigkeitsfragen nach Möglichkeit vor Eintritt in die meritorische Behandlung der Streitsache in einem möglichst frühen Verfahrensstadium zu erledigen. Daher kann – vereinfacht gesagt – eine Unzuständigkeit vom angerufenen Gericht nur so lange von Amts wegen wahrgenommen werden, als es noch keine Verfügung über die Klage (zB Auftrag zur Klagebeantwortung, Erlassung eines Zahlungsbefehls oder eines Zahlungsauftrags) getroffen hat. Auch die beklagte Partei muss die Unzuständigkeit möglichst früh einwenden, also in der Klagebeantwortung, im Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl im Gerichtshofverfahren, in den Einwendungen gegen einen Zahlungsauftrag oder am Beginn der mündlichen Streitverhandlung im bezirksgerichtlichen Verfahren. Geschieht weder das eine noch das andere, so ist die Unzuständigkeit geheilt. Nur eine unprorogable Unzuständigkeit – also eine Unzuständigkeit, die durch eine Vereinbarung der Parteien nicht beseitigt werden könnte – heilt erst dann, wenn der nicht durch einen Rechtsanwalt (oder Notar) vertretene Beklagte trotz einer diesbezüglichen Belehrung des Richters schriftlich oder mündlich zur Sache vorbringt (§ 104 Abs 3 JN).
Wahrnehmung der Unzuständigkeit
Spricht ein Gericht seine Unzuständigkeit aus, so hat es – sofern der Kläger rechtzeitig einen diesbezüglichen Antrag gestellt hat – die Rechtssache an das von diesem genannte (zuständige) Gericht zu überweisen (§ 230a und § 261 Abs 6 ZPO). Bei einer solchen Überweisung bleibt die Gerichtsanhängigkeit bestehen, was insbesondere deshalb wichtig ist, weil nur so die verjährungsunterbrechende Wirkung der eingebrachten Klage aufrecht bleibt (§ 1497 ABGB).
Überweisung
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IV. Die Parteien und ihre Vertreter
1. Allgemeines
Die Zivilprozessordnung geht von einem Zweiparteiensystem, also vom Vorhandensein zweier, voneinander verschiedener Rechtssubjekte, die als Kläger und als Beklagter auftreten, aus. Da grundsätzlich niemand im eigenen Namen über ein fremdes Recht oder eine fremde Verpflichtung prozessieren kann, muss der Kläger behaupten, dass ihm der Anspruch zusteht. Beklagter ist derjenige, gegen den sich – nach den Behauptungen des Klägers – dieser Anspruch richtet.
Zweiparteiensystem
Prozessstandschaft, also die Befugnis zur Prozessführung, ohne gleichzeitig Träger des Anspruchs zu sein, ist in Österreich nur in den gesetzlich vorgesehenen Fällen möglich; zB bei der Veräußerung einer streitverfangenen Sache nach § 234 ZPO oder bei der Verbandsklage nach § 54 Abs 1 ASGG oder §§ 28 bis 30 KSchG.
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2. Partei- und Prozessfähigkeit
Natürliche Personen und juristische Personen sind ausnahmslos, bestimmte Personenvereinigungen und Vermögensmassen (Personenhandelsgesellschaften, Wohnungseigentümergemeinschaft, Konkursmasse, ruhender Nachlass) kraft besonderer gesetzlicher Bestimmung parteifähig. Natürliche volljährige Personen sind unbeschränkt, Minderjährige nur beschränkt prozessfähig (§§ 1 ff ZPO). Kinder unter sieben Jahren sowie juristische Personen sind nicht prozessfähig. Bei psychisch Kranken und geistig Behinderten hängt die Prozessfähigkeit vom Ausmaß der Beeinträchtigung ab. Prozessunfähige können nur durch ihre gesetzlichen Vertreter (Eltern, Sachwalter, Organe) wirksam Prozesshandlungen setzen. Die Prozessfähigkeit von Ausländern richtet sich stets nach dem Recht ihres Heimatstaates (§ 3 ZPO).
Partei- und Prozessfähigkeit
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3. Postulationsfähigkeit
In Rechtsstreitigkeiten vor den Bezirksgerichten, wenn der Streitwert 4.000 ı übersteigt (außer bei Eigenzuständigkeiten), im Gerichtshofverfahren und generell im Rechtsmittelverfahren müssen auch prozessfähige Parteien – um wirksam Prozesshandlungen vornehmen zu können – durch einen Rechtsanwalt vertreten sein (absolute Anwaltspflicht; § 27 ZPO). Sonst steht es prozessfähigen Parteien frei, selbst im Verfahren tätig zu werden oder sich vertreten zu lassen; diese Vertretung muss dann nur ausnahmsweise (in Ehesachen, bei Eigenzuständigkeiten des Bezirksgerichts, wenn der Streitwert 4.000 ı übersteigt) durch einen Rechtsanwalt erfolgen (relative Anwaltspflicht). In Ausnahmefällen kann die Vertretung auch durch einen Notar erfolgen (vgl § 5 NO).
Anwaltspflicht
Im arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren besteht in erster Instanz keine Anwaltspflicht (§ 39 Abs 3 ASGG). Die Parteien können sich überdies in erster und zweiter Instanz durch „qualifizierte Personen” iSd § 40 Abs 1 ASGG (neben Rechtsanwälten insbesondere Funktionäre und Arbeitnehmer gesetzlicher Interessenvertretungen ua) vertreten lassen.
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4. Streitgenossenschaft
Treten auf Kläger- oder Beklagtenseite mehrere Personen auf, liegt eine Streitgenossenschaft vor (§§ 11 bis 16 ZPO). Stehen diese Personen in einer Rechtsgemeinschaft (zB mehrere Miteigentümer einer Liegenschaft), sind sie aus demselben tatsächlichen Grund berechtigt oder verpflichtet (zB Lenker und Halter eines Fahrzeuges im Schadenersatzprozess) oder prozessieren sie über gleichartige Ansprüche oder Verpflichtungen (zB mehrere Dienstnehmer im Verfahren gegen den Dienstgeber), bilden sie eine einfache (materielle oder formelle) Streitgenossenschaft. Jeder dieser Streitgenossen bleibt im Verfahren völlig selbständig, kann für sich über den Streitgegenstand disponieren und somit für sich ein von den übrigen Streitgenossen verschiedenes Urteil erwirken.
einfache Streitgenossenschaft
Im Gegensatz dazu handelt es sich um eine einheitliche Streitpartei, wenn aufgrund der Beschaffenheit des Rechtsverhältnisses oder kraft gesetzlicher Bestimmung (zB § 112 KO: Entscheidung über die Richtigkeit bestrittener Forderungen im Konkurs wirkt gegenüber allen Konkursgläubigern) ein Urteil nur einheitlich für oder gegen alle Streitgenossen lauten kann. Ihre Mitglieder können nur gemeinsam über den Streitgegenstand verfügen und wirksame Prozesshandlungen setzen. Widersprechen sich einzelne Prozesshandlungen, gilt nach einer Ansicht die für die Streitpartei insgesamt günstigere Vorgangsweise (Günstigkeitsprinzip), nach anderer Ansicht sind solche Prozesshandlungen unwirksam. Die Untätigkeit oder Säumigkeit einzelner Mitglieder schadet nicht, wenn wenigstens eines von ihnen tätig geworden ist (Repräsentationsprinzip).
einheitliche Streitpartei
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5. Nebenintervention
Literaturquelle
Ist ein Verfahren bereits streitanhängig und hat eine Person ein rechtliches Interesse am Obsiegen einer der Streitparteien, kann sie als Nebenintervenient dem Verfahren auf Seiten dieser Streitpartei beitreten (§§ 17 bis 20 ZPO). Der einfache Nebenintervenient ist grundsätzlich nur „Streithelfer” und kann daher keine Verfügungen über den Streitgegenstand treffen. Erstrecken sich die Urteilswirkungen kraft ausdrücklicher gesetzlicher Bestimmung aber auch auf den Nebenintervenienten, stehen ihm Parteirechte zu (streitgenössischer Nebenintervenient).
Arten der Nebenintervention
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V. Das Verfahren erster Instanz
Vgl den Überblick über den Verfahrensablauf in erster Instanz am Ende dieses Punktes.
1. Verfahrenseinleitung
Dem Dispositionsgrundsatz entsprechend wird das streitige Verfahren nur auf Antrag einer Partei auf Gewährung von Rechtsschutz, also durch eine Klage, eingeleitet. Die Klage hat Gericht und Parteien genau zu bezeichnen; darüberhinaus müssen in der Klage der Wortlaut des begehrten Urteilsspruchs (Klagebegehren), das Vorbringen von Tatsachenbehauptungen und Beweisanträgen, aus denen das Klagebegehren abgeleitet wird (Klagebegründung) sowie Angaben zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts enthalten sein. Einer rechtlichen Qualifizierung des behaupteten Sachverhalts bedarf es nicht, das ist Sache des Gerichts. Es gilt der Grundsatz „iura novit curia”.
Einleitung durch Klage
Man unterscheidet folgende Klagsarten:
Klagsarten
a) Leistungsklagen iwS
Leistungsklagen
Diese Klagen zielen darauf ab, den Beklagten zu einem
• positiven Tun (Leistungsklage ieS) oder
• zur Unterlassung eines bestimmten Verhaltens ( Unterlassungsklage) – wobei zwischen vorbeugenden Unterlassungsklagen (bei einem erst drohenden Eingriff) und solchen nach einer erfolgten Rechtsverletzung unterschieden wird – oder
• zu einem Dulden bestimmter Maßnahmen oder Handlungen ( Duldungsklage) zu verurteilen.
Im Klagebegehren wird ein Leistungsbefehl formuliert („Der Beklagte ist schuldig, ...”), der in der Folge als Exekutionstitel dienen soll. Daneben enthält jede Leistungsklage implizit auch ein Feststellungsbegehren, und zwar dass dem Kläger gegenüber dem Beklagten der Leistungsanspruch zusteht.
b) Feststellungsklagen
Feststellungsklagen
Sie können (als positive oder negative Feststellungsklagen) gerichtet werden auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtes oder Rechtsverhältnisses oder auf die Echtheit oder Unechtheit einer Urkunde; § 228 ZPO.
Echtheit einer Urkunde bedeutet, dass sie tatsächlich vom Aussteller stammt, also nicht gefälscht ist.
Voraussetzung für eine Feststellungsklage ist das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung. Dieses notwendige Feststellungsinteresse fehlt jedenfalls dann, wenn bereits eine Leistungsklage möglich ist (Subsidiarität der Feststellungsklage). Stellt sich im Zuge eines Prozesses heraus, dass ein für die Entscheidung wesentliches Recht oder Rechtsverhältnis streitig ist (präjudizielle Vorfrage für das Urteil), kann jede Partei bis zum Schluss der Streitverhandlung den Antrag stellen, dass über das Bestehen dieses Rechts oder Rechtsverhältnisses mit Urteil entschieden wird: Zwischenantrag auf Feststellung gemäß §§ 236, 259 Abs 2 ZPO).
Subsidiarität der Feststellungsklagen
c) Rechtsgestaltungsklagen
Rechtsgestaltungsklagen
Sie sind gerichtet auf die Begründung, Änderung oder Auflösung von Rechtsverhältnissen. Da die Rechtsordnung die Gestaltung privater Rechtsverhältnisse nach dem Prinzip der Privatautonomie grundsätzlich den Betroffenen überlässt, bildet eine Rechtsgestaltung durch richterliche Entscheidung eine Ausnahme, die durch Gesetz vorgesehen sein muss. Ebenso wie die Leistungsklage enthält eine Rechtsgestaltungsklage (implizit) das Begehren auf Feststellung des dem Kläger gegen den Beklagten zustehenden Gestaltungsgrundes und das eigentliche Gestaltungsbegehren. Durch ein stattgebendes Gestaltungsurteil wird eine neue Rechtslage geschaffen (konstitutive Wirkung), durch ein stattgebendes Feststellungsurteil hingegen nur das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechts oder Rechtsverhältnisses festgestellt (deklarative Wirkung).
Beispiel
Beispiel
Mit der Einbringung der Klage bei Gericht (Einlangen in der Einlaufstelle) tritt die Gerichtshängigkeit der Streitsache ein, womit insbesondere der Lauf von Verjährungs- und Ersitzungsfristen unterbrochen wird, sofern der Kläger in der Folge den Prozess „gehörig fortsetzt” (§ 1497 ABGB). – Die weitere Durchführung des Verfahrens obliegt allerdings ohnehin grundsätzlich dem Gericht: Amtsbetrieb → Verfahrensgrundsätze
Gerichtshängigkeit
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2. Vorverfahren
Das Gericht hat die Klage nach deren Einlangen auf das Vorliegen der Sachentscheidungsvoraussetzungen zu prüfen (a-limine-Prüfung). Kann das Fehlen einer Prozessvoraussetzung (→ Prozessvoraussetzungen insbesondere Gerichtszuständigkeit) bereits zu diesem Zeitpunkt festgestellt werden und führt die Durchführung eines Verbesserungsverfahrens zu keinem Erfolg, so ist die Klage sofort ohne Verhandlung mit (anfechtbarem) Beschluss zurückzuweisen: a-limine-Zurückweisung. Andernfalls hat das angerufene Gericht dem Beklagten die Klage zu eigenen Handen zuzustellen – womit das Stadium der Streitanhängigkeit eintritt – und gleichzeitig dem Beklagten mit Beschluss zu beauftragen, binnen vier Wochen eine Klagebeantwortung einzubringen (§ 230 ZPO).
Prüfung der Klage
Die Klagebeantwortung ist das Gegenstück zur Klage. Sie hat ein bestimmtes Begehren (Antrag auf Abweisung bzw Zurückweisung der Klage) zu enthalten und die Tatsachen und Umstände, auf welche sich die Einwendungen, Anträge und Einreden der beklagten Partei gründen, im Einzelnen kurz und vollständig anzugeben sowie die Beweismittel, deren sich der Beklagte zum Nachweis seiner Behauptungen bei der Verhandlung zu bedienen beabsichtigt, genau zu bezeichnen (§ 239 ZPO). Sie dient ferner ua der Erhebung von Prozesseinreden (insbesondere der Unzuständigkeitseinrede) und der Stellung eines Antrags auf Sicherheitsleistung für Prozesskosten durch einen ausländischen Kläger → Prozesskosten (§§ 41 bis 55 ZPO)
Klagebeantwortung
Wird fristgerecht eine Klagebeantwortung eingebracht, hat das Gericht eine mündliche Streitverhandlung so anzuberaumen, dass den Parteien von der Zustellung der Ladung an mindestens eine Frist von drei Wochen zur Vorbereitung für die Streitverhandlung offen bleibt. Bis eine Woche vor dieser „vorbereitenden Tagsatzung” können die Parteien noch vorbereitende Schriftsätze mit neuem Vorbringen wechseln (§ 257 ZPO). – Wird hingegen keine (oder keine fristgerechte) Klagebeantwortung erstattet, so kann der Kläger die Fällung eines klagsstattgebenden Versäumungsurteils beantragen → Säumnisfolgen
weiterer Verfahrensablauf
Im bezirksgerichtlichen Verfahren ist keine Klagebeantwortung vorgesehen. Der Richter hat vielmehr (nach der Prüfung der Prozessvoraussetzungen) die Klage dem Beklagten zuzustellen und sogleich eine (vorbereitende) Tagsatzung zur inhaltlichen Verhandlung der Rechtssache anzuberaumen. Sind die Parteien durch Rechtsanwälte vertreten, so kann das Gericht ihnen aber auch den vorherigen Wechsel vorbereitender Schriftsätze auftragen (§ 440 ZPO).
bezirksgerichtliches Verfahren
Zu beachten ist allerdings, dass für alle Klagen gegen inländische Beklagte, die auf eine 30.000 Euro nicht übersteigende Geldleistung gerichtet sind, zwingend ein computerunterstützt durchgeführtes Mahnverfahren vorgeschrieben ist, das in der Praxis eine sehr große Bedeutung hat. Aufgrund der Mahnklage, die mittels eines amtlichen Formblattes oder auch elektronisch eingebracht wird, erlässt dann – sofern die Prozessvoraussetzungen gegeben sind – der Rechtspfleger (bzw der Richter) ohne Anhörung des Beklagten einen Zahlungsbefehl. Dieser enthält einerseits den Auftrag an den Beklagten, innerhalb von 14 Tagen bei sonstiger Exekution die eingeklagte Forderung sowie die Kosten des (Mahn-)Verfahrens zu bezahlen, und andererseits die Belehrung, dass gegen diesen Zahlungsbefehl innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des Zahlungsbefehls Einspruch erhoben werden kann. Der Einspruch des Beklagten bedarf im bezirksgerichtlichen Verfahren keiner Vertretung durch einen Rechtsanwalt und auch keiner Begründung; im Gerichtshofverfahren gilt hingegen Anwaltspflicht und der Einspruch hat den Inhalt einer Klagebeantwortung aufzuweisen. Ein rechtzeitiger Einspruch führt dazu, dass der Zahlungsbefehl außer Kraft gesetzt und das ordentliche Verfahren eingeleitet wird. Ein Zahlungsbefehl, gegen den nicht rechtzeitig Einspruch erhoben wurde, wird rechtskräftig und bildet einen Exekutionstitel (§§ 244 ff, 448 ZPO).
Mahnverfahren
Vgl dazu die ADV-Form Verordnung 2002 (AFV 2002, BGBl II 510) und die V über den Elektronischen Rechtsverkehr (ERV 1995, BGBl 559).
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3. Mündliche Streitverhandlung und richterliche Prozessleitung
Literaturquelle
Die mündliche Streitverhandlung (§§ 171 bis 225 ZPO), die regelmäßig aus mehreren Tagsatzungen (= Verhandlungsterminen) besteht, dient vornehmlich der Behandlung der Hauptsache. Sie gibt den Parteien Gelegenheit zur Darlegung ihres Standpunktes, einer allfälligen (mündlichen) Ergänzung ihres Vorbringens und umfasst die Beweisaufnahme und Erörterung der Beweisergebnisse.
mündliche Streitverhandlung
Der Richter eröffnet, leitet und schließt die mündliche Streitverhandlung (§§ 180 bis 192 ZPO). Im Rahmen der formellen Prozessleitungsbefugnis obliegt ihm ua die amtswegige Zustellung von Schriftsätzen und Ladungen, die Anberaumung und Vertagung von Verhandlungen, die Bestimmung verschiedener Fristen, Verbindung oder Trennung mehrerer Verfahren und die Unterbrechung des Verfahrens. Daneben ist der Richter verpflichtet, durch Befragung und Belehrung der Parteien, durch Verbesserungsaufträge, Aufträge zur Vorlage von Urkunden, amtswegige Beweisaufnahmen usw für die vollständige Beschaffung und Erörterung der Entscheidungsgrundlagen zu sorgen (materielle Prozessleitungsbefugnis). Im bezirksgerichtlichen Verfahren trifft den Richter eine über die materielle Prozessleitung hinausgehende Anleitungs- und Belehrungspflicht („Manuduktionspflicht”) gegenüber jenen Personen, die nicht durch einen Rechtsanwalt vertreten sind.
Manuduktionspflicht
Die mündliche Streitverhandlung wird regelmäßig mit einer sogenannten „vorbereitenden Tagsatzung” eingeleitet (§ 258 ZPO). Sie dient der Entscheidung über Prozesseinreden, dem Vortrag der Parteien, der Erörterung des Sach- und Rechtsvorbringens der Parteien, der Vornahme eines Vergleichsversuchs sowie – bei dessen Scheitern – der Erörterung des weiteren Fortganges des Prozesses und der Bekanntgabe des „Prozessprogramms” und schließlich – soweit zweckmäßig – auch der Einvernahme der Parteien und dem Beginn der Durchführung des Beweisverfahrens. Um die gewünschte umfassende Erörterung des Sachverhaltes und allfälliger Vergleichsmöglichkeiten sicherzustellen, sollen (nicht nur die Vertreter, sondern auch) die Parteien oder informierte Personen an der vorbereitenden Tagsatzung teilnehmen.
vorbereitende Tagsatzung
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4. Beweisverfahren (§§ 266 bis 383 ZPO)
Die Beweisaufnahme hat grundsätzlich immer durch das erkennende Gericht in der mündlichen Streitverhandlung zu erfolgen (Grundsatz der Unmittelbarkeit). Nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen (§§ 328, 368, 375 ZPO: wenn beispielsweise die Beweisaufnahme vor dem erkennenden Gericht mit unverhältnismäßig hohen Kosten oder erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre) dürfen Beweise von einem anderen Richter (das ist regelmäßig der im Rechtshilfeweg ersuchte Richter eines beweisnahen Bezirksgerichts; §§ 36 ff JN) aufgenommen werden. Außerdem können unter bestimmten Voraussetzungen Beweisaufnahmen aus anderen gerichtlichen Verfahren verwendet werden (§ 281a ZPO).
Unmittelbarkeitsgrundsatz
Das Gericht hat in dem bereits erwähnten „Prozessprogramm” (früher: Beweisbeschluss) darüber zu entscheiden, welche konkreten Beweismittel zu welchen konkreten Tatsachenbehauptungen aufgenommen werden. Diese Entscheidung kann jederzeit abgeändert oder ergänzt werden.
Prozessprogramm
Als Beweismittel nennt die Zivilprozessordnung (§§ 292 ff ZPO) ausdrücklich Urkunden, Zeugen, Sachverständige und den Augenschein; weiters können auch die Parteien zum Beweis streitiger Tatsachen vernommen werden. Anders als Zeugen können sie jedoch nicht (zum Erscheinen und) zur Aussage gezwungen werden; die Weigerung unterliegt aber der freien Würdigung des Gerichts (§ 381 ZPO). Außer diesen fünf klassischen Beweismitteln kommen als weitere Beweismittel noch alle Erkenntnisquellen in Frage, deren Verwertung nach den Regeln des gerichtlichen Beweisverfahrens (§§ 266 bis 291 ZPO) möglich ist. Nach der Durchführung der Beweisaufnahme sind deren Ergebnisse mit den Parteien mündlich zu erörtern (Beweiserörterung: § 278 Abs 2 ZPO).
Beweismittel
Bei der Beurteilung der Beweisergebnisse ist das Gericht nur hinsichtlich der Beweiskraft und Echtheit von öffentlichen Urkunden (und des gerichtlichen Verhandlungsprotokolls) an gesetzliche Beweisregeln gebunden, sonst kann es sich „unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse der gesamten Verhandlung und Beweisführung nach freier Überzeugung” ein Urteil darüber bilden, ob es vom Bestehen der zu beweisenden Tatsachen überzeugt werden konnte (Grundsatz der freien Beweiswürdigung: § 272 ZPO).
freie Beweiswürdigung
Steht eine Forderung dem Grunde nach fest, lässt sich deren Höhe aber nur mit unverhältnismäßigen Schwierigkeiten und Kosten beweisen, kann das Gericht ohne Durchführung eines Beweisverfahrens die Höhe nach freier Überzeugung festsetzen (§ 273 Abs 1 ZPO). Diese Beweiserleichterung wurde von der ZVN 2002 bei Ansprüchen, die 1.000 ı nicht übersteigen, auch auf den Bestand der Forderung ausgedehnt (§ 273 Abs 2 ZPO).
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5. Beweissicherung
Besteht die Gefahr, dass zum Zeitpunkt der Beweisaufnahme im Verfahren ein Beweismittel nicht mehr oder nur mehr unter erschwerten Bedingungen verfügbar ist, oder ist der gegenwärtige Zustand einer Sache festzustellen, hat die beweisführende Partei bereits vor Einleitung eines Verfahrens, aber auch noch während eines bereits laufenden Verfahrens, die Möglichkeit, einen Antrag auf Beweissicherung zu stellen (§§ 384 bis 389 ZPO).
Beweissicherung
Zuständig dafür ist das Prozessgericht; in dringenden Fällen oder wenn der Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, das Bezirksgericht, in dessen Sprengel sich das Beweisobjekt befindet. Nach Überprüfung der Zulässigkeit beraumt das Gericht eine Tagsatzung an, in der die Beweisaufnahme durchgeführt und ein Beweisprotokoll über die Ergebnisse der Beweisaufnahme angefertigt wird, das dann im Prozess verwertet werden kann. Die Kosten der Beweissicherung hat (vorerst) der Antragsteller zu tragen.
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6. Schluss der mündlichen Streitverhandlung
Hält das Gericht die Streitsache für vollständig erörtert und entscheidungsreif, verkündet es mit Beschluss den Schluss der mündlichen Streitverhandlung; § 193 ZPO. Das Urteil ergeht dann nach der Rechtslage und nach den Beweisergebnissen zu diesem Zeitpunkt; ab jetzt gilt das Neuerungsverbot → Neuerungsverbot
Verhandlungsschluss
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7. Urteil (§§ 390 bis 424 ZPO)
Das Urteil ist die durch das Gericht gefällte Sachentscheidung über einen von den Parteien gestellten Urteilsantrag (Klagebegehren, Aufrechnungseinwendung, Zwischenantrag auf Feststellung). Das Gericht hat das Urteil unmittelbar nach dem Schluss der Streitverhandlung mündlich zu verkünden und innerhalb von vier Wochen schriftlich auszufertigen. Die von der ZPO als Ausnahme vorgesehene Unterlassung der mündlichen Verkündung bildet in der Rechtspraxis allerdings den Regelfall: Zumeist wird das Urteil nicht sofort mündlich verkündet, sondern der schriftlichen Ausfertigung vorbehalten (§§ 414 ff ZPO).
Urteilsfällung
Erledigt das Urteil den Rechtsstreit in vollem Umfang, spricht man von einem Endurteil (§ 390 ZPO). Ist nur ein Teil des Rechtsstreits entscheidungsreif, kann das Gericht ein Teilurteil fällen (§§ 391 f ZPO). Hat eine der Parteien einen Zwischenantrag auf Feststellung gestellt oder ist neben der Höhe des Anspruchs auch der Anspruchsgrund streitig, kann das Gericht in einem Zwischenurteil über den Zwischenantrag entscheiden oder das Bestehen des Anspruchsgrundes feststellen (§ 393 ZPO). Bei Anerkenntnis des Beklagten oder Verzicht des Klägers ist auf Antrag der Gegenpartei ein Anerkenntnis- oder Verzichtsurteil (§§ 394 f ZPO), im Fall der Säumnis einer Partei auf Antrag der anwesenden Partei ein Versäumungsurteil (→ Säumnisfolgen) zu fällen.
Urteilsarten
Das Urteil hat neben den formellen Angaben über das Gericht, die Parteien und deren Vertreter insbesondere die Entscheidung über das Klagebegehren (Urteilsspruch) und die Entscheidungsgründe zu enthalten. Letztere müssen neben einer kurzen Darstellung des wesentlichen Parteivorbringens und der gestellten Anträge den festgestellten Sachverhalt, die Beweiswürdigung und die rechtliche Beurteilung umfassen. Die Entscheidung über die Prozesskosten ist – obwohl eigentlich ein Beschluss – in das Urteil aufzunehmen.
Urteilsinhalt
Wurde das Urteil in Gegenwart beider Parteien mündlich verkündet und hat keine der Parteien rechtzeitig eine Berufung angemeldet, kann eine gekürzte Urteilsausfertigung (Formalangaben, Urteilsspruch und Sachverhalt, soweit er zur Bestimmung der Rechtskraftgrenzen erforderlich ist) erfolgen (§ 417a ZPO). Bei Anerkenntnis- und Verzichtsurteilen, wenn sie in Gegenwart beider Parteien verkündet worden sind, und bei Versäumungsurteilen besteht die Möglichkeit einer vereinfachten Urteilsausfertigung (Formalangaben und Urteilsspruch).
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8. Beschluss (§§ 425 bis 430 ZPO)
Gerichtliche Entscheidungen, in denen nicht über die Sache selbst, sondern über prozessuale Fragen und über Kosten entschieden wird, werden als Beschlüsse bezeichnet. Sie dienen einerseits als prozessleitende Beschlüsse der zweckmäßigen und erfolgreichen Durchführung des Verfahrens (zB Ladungen, Prozessprogramm, Verbindung mehrerer Verfahren, Unterbrechung), entscheiden andererseits als Beschlüsse nicht prozessleitender Natur über sonstige verfahrensrechtliche Fragen (Prozessvoraussetzungen, Verfahrenshilfe, Prozesskosten). Fehlen etwa Prozessvoraussetzungen, so ist die Klage – wie bereits erwähnt – jederzeit (sofern keine Heilung eingetreten ist) mit (verfahrensbeendendem) Beschluss zurückzuweisen.
Beschlussarten
In der Verhandlung gefällte Beschlüsse müssen mündlich verkündet werden und bedürfen nur ausnahmsweise einer schriftlichen Ausfertigung (§ 426 ZPO). Außerhalb einer mündlichen Verhandlung gefasste Beschlüsse sind den Parteien schriftlich auszufertigen (§ 427 ZPO). – Eine Begründung brauchen Beschlüsse nur zu enthalten, wenn sie einen Antrag (ganz oder zum Teil) abweisen oder über widerstreitende Anträge ergehen (§ 428 ZPO).
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9. Säumnisfolgen
Versäumt eine Partei die Vornahme einer Prozesshandlung, indem sie diese nicht innerhalb der vorgesehenen Frist oder zum vorgeschriebenen Zeitpunkt vornimmt, ist sie grundsätzlich von einer späteren Vornahme der versäumten Handlung ausgeschlossen (§ 144 ZPO: Präklusion). – Ist eine befristete Prozesshandlung schriftlich vorzunehmen (etwa die Erhebung eines Rechtsmittels), ist die Frist gewahrt, wenn das Schriftstück (nachweislich) am letzten Tag der Frist zur Post gegeben wird; § 89 Abs 1 GOG → KAPITEL 13: Materielle und formelle Fristen.
Präklusion
Erstattet die beklagte Partei die Klagebeantwortung nicht rechtzeitig oder bleibt sie (im Gerichtshofverfahren) trotz Einbringung einer Klagebeantwortung, eines Einspruchs im Mahnverfahren oder von Einwendungen im Mandatsverfahren von der nachfolgenden „vorbereitenden Tagsatzung” aus, so hat das Gericht auf Antrag des (erschienenen) Klägers ein Versäumungsurteil zu fällen. Entscheidungsgrundlage dafür ist das von der nicht säumigen Partei erstattete Vorbringen, welches vom Gericht für wahr zu halten ist (§ 396 ZPO). Im bezirksgerichtlichen Verfahren wird auf Antrag ein Versäumungsurteil erlassen, wenn eine der Parteien von einer Tagsatzung ausbleibt, bevor sie sich durch mündliches Vorbringen zur Hauptsache in den Streit eingelassen hat (§ 442 Abs 1 ZPO).
Versäumungsurteil
Zur Abwendung von Säumnisfolgen (zB Versäumung prozessualer Fristen) kann die säumige Partei, wenn sie unverschuldet oder wenigstens nur leicht fahrlässig am rechtzeitigen Erscheinen vor Gericht oder an der rechtzeitigen Vornahme der Prozesshandlung gehindert worden ist, binnen 14 Tagen ab Wegfall des Hindernisses Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§§ 146 bis 154 ZPO) beantragen. Mit dem Antrag, in dem alle Rechtfertigungsgründe und Bescheinigungsmittel enthalten sein müssen, hat die Partei gleichzeitig die versäumte Prozesshandlung nachzuholen.
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
Gegen ein Versäumungsurteil (nur) wegen nicht rechtzeitig erstatteter Klagebeantwortung steht dem Säumigen neben der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand auch ein Widerspruch zu (§ 397a ZPO). – Im bezirksgerichtlichen Verfahren ist ein Widerspruch gegen ein gefälltes Versäumungsurteil ausgeschlossen, wenn die säumige Partei schon einmal einen Widerspruch eingebracht oder wenn sie bereits einen Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl oder Einwendungen im (Wechsel)Mandats- oder im Bestandverfahren erhoben hatte (§ 442a ZPO). Der Widerspruch ist binnen 14 Tagen ab Zustellung des Versäumungsurteils zu erheben und bedarf im Gegensatz zur Wiedereinsetzung keiner Rechtfertigung für die Säumnis, muss aber den Inhalt der (versäumten) Klagebeantwortung aufweisen und ermöglicht außerdem nicht (mangels einer „restitutio in integrum”) das Nachholen präkludierter Anträge (insbesondere der Einrede der Unzuständigkeit).
Widerspruch


Verfahrensablauf in erster Instanz
Abbildung .1:
Verfahrensablauf in erster Instanz
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VI. Das Rechtsmittelverfahren
1. Rechtsmittel
Die ZPO kennt folgende Rechtsmittel: Berufung, Revision und Rekurs bzw Revisionsrekurs. Mit der Berufung können nur Urteile des Erstgerichts, mit der (ordentlichen und außerordentlichen) Revision nur Urteile des Berufungsgerichts angefochten werden. Der Rekurs dient der Anfechtung von Beschlüssen des Erstgerichts, des Berufungsgerichts und – als (ordentlicher oder außerordentlicher) Revisionsrekurs – der Anfechtung von Beschlüssen des Rekursgerichts.
Arten der Rechtsmittel
Den Rechtsmitteln kommt grundsätzlich (den Eintritt der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit) aufschiebende und (in die nächsthöhere Instanz) aufsteigende Wirkung zu; Suspensiv- und Devolutiveffekt. Eine Ausnahme bilden die außerordentliche Revision, die nie (§ 505 Abs 3 ZPO), und der Rekurs, der nur in wenigen gesetzlich vorgesehenen Fällen die Vollstreckbarkeit der angefochtenen Entscheidung aufschiebt (§ 524 ZPO). Dem Gegner des Rechtsmittelwerbers ist rechtliches Gehör zu gewähren: Zweiseitigkeit der Rechtsmittel. Eine Ausnahme stellt wiederum das Rekursverfahren dar, das grundsätzlich als einseitiges Verfahren konzipiert ist; nur in Einzelfällen (§ 521a ZPO) ist auch das Rekursverfahren zweiseitig (zB das Verfahren gegen einen Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts oder wenn die Klage nach Eintritt der Streitanhängigkeit zurückgewiesen worden ist).
Wirkungen
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2. Zulässigkeitsvoraussetzungen
Ein Rechtsmittel ist nur dann zulässig und auf seine Begründetheit zu überprüfen, wenn es verschiedene Voraussetzungen erfüllt: Das Rechtsmittel muss rechtzeitig innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Rechtsmittelfrist beim Erstgericht eingebracht werden und den notwendigen Inhalt aufweisen. Dazu gehören neben der Bezeichnung des Gerichts, der Parteien und der angefochtenen Entscheidung die Erklärung, in welchem Umfang die Entscheidung angefochten wird (Rechtsmittelerklärung), die Anführung der Rechtsmittelgründe, auf die sich der Rechtsmittelwerber stützt, sowie der Antrag, das Urteil entweder aufzuheben oder auf eine vom Rechtsmittelwerber anzugebende Weise abzuändern (Rechtsmittelantrag). Zur Einbringung eines Rechtsmittels sind nur die Parteien des Verfahrens, streitgenössische Nebenintervenienten und einfache Nebenintervenienten (letztere allerdings nicht gegen den Willen der Partei) berechtigt. Das Rechtsmittel ist schließlich nur dann zulässig, wenn der Rechtsmittelwerber durch die angefochtene Entscheidung beschwert, das heißt in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
Voraussetzungen
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3. Neuerungsverbot
Literaturquelle
Das Neuerungsverbot bildet ein bestimmendes Merkmal des österreichischen Rechtsmittelverfahrens. Es umfasst zum einen das Verbot, neue Ansprüche und Einreden zu erheben, zum anderen das Verbot, neue Tatsachen und Beweismittel vorzubringen. Betroffen davon sind Klagsänderungen und neue Sacheinwendungen (zB Verjährung) sowie Tatsachen und Beweismittel, die in erster Instanz nicht vorgebracht worden sind. Hinzuweisen ist darauf, dass die Rechtsprechung das Neuerungsverbot strenger handhabt, als dies die gesetzliche Regelung des § 482 ZPO vom Wortlaut her gebieten würde. In einigen wenigen besonderen streitigen Verfahren gilt das Neuerungsverbot nicht (etwa im Abstammungsverfahren oder im Verfahren zur Nichtigerklärung oder Feststellung des [Nicht-]Bestehens einer Ehe).
Neuerungsverbot
In zeitlicher Hinsicht stellt das Neuerungsverbot auf den Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz ab → Schluss der mündlichen Streitverhandlung Die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung kann daher nur auf der Grundlage von zu diesem Zeitpunkt vorliegenden Sachanträgen und Tatsachenvorbringen erfolgen. Das führt letztlich dazu, dass dem Verfahren erster Instanz, speziell was den Sachverhalt betrifft, besondere Bedeutung zukommt.
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4. Berufung (§§ 461 bis 501 ZPO)
Literaturquelle
Die Berufung ist gegen alle Urteile erster Instanz zulässig und muss innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des Urteils erhoben werden. Wurde das Urteil in Anwesenheit beider Parteien mündlich verkündet, ist die Berufung nur dann zulässig, wenn sie zusätzlich sofort nach der Verkündung des Urteils oder binnen 14 Tagen ab der Zustellung der Protokollsabschrift über diese Verhandlung schriftlich angemeldet wird. Als Berufungsgründe gelten Nichtigkeit des Verfahrens (zB das Fehlen einer absoluten Prozessvoraussetzung, Verletzung des rechtlichen Gehörs; vgl § 477 ZPO), das Vorliegen von sonstigen Verstößen gegen Verfahrensnormen, die geeignet sind, die Richtigkeit der Entscheidung zu beeinträchtigen (zB unvollständige Sachverhaltsfeststellung), unrichtige Beweiswürdigung, Aktenwidrigkeiten und unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache. Übersteigt der Wert des Entscheidungsgegenstandes im erstinstanzlichen Urteil nicht 2.000 ı, kann Berufung nur wegen Nichtigkeit oder unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhoben werden (§ 501 ZPO). Eine (mündliche) Berufungsverhandlung ist nur auf Antrag einer Partei oder wenn es das Berufungsgericht für erforderlich hält (etwa bei Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts) durchzuführen.
Berufung
Je nach Sachlage entscheidet das Berufungsgericht mit Urteil (wenn es das Ersturteil bestätigt oder abändert) oder sonst mit Beschluss (wenn es etwa das angefochtene Urteil aufhebt und dem Erstgericht die Ergänzung des mangelhaft gebliebenen Verfahrens aufträgt oder die Klage infolge Fehlens einer absoluten Sachentscheidungsvoraussetzung zurückweist).
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5. Revision (§§ 502 bis 513 ZPO)
Literaturquelle
Die Revision ist das Rechtsmittel gegen Urteile des Berufungsgerichts an den OGH. Sie ist nur dann zulässig, wenn der Wert des Entscheidungsgegenstandes im Berufungsverfahren 4.000 ı übersteigt und die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung abhängt (ordentliche Revision). Die Zulässigkeitsgrenze von 4.000 ı gilt ausnahmsweise nicht in bestimmten familien- und bestandrechtlichen Streitigkeiten (§ 502 Abs 5 ZPO). Erhebliche Bedeutung hat eine Rechtsfrage dann, wenn ihre Lösung zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung notwendig ist, etwa weil die Rechtsprechung des OGH zu dieser Frage uneinheitlich ist oder überhaupt fehlt oder weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des OGH abweicht (§ 502 Abs 1 ZPO). An den Ausspruch des Berufungsgerichts ist der OGH aber nicht gebunden. Er kann also eine erhobene ordentliche Revision immer noch als unzulässig zurückweisen, weil er der Ansicht ist, dass eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung tatsächlich nicht vorliegt.
Zulässigkeit der Revision
Hat das Berufungsgericht bei einem Entscheidungsgegenstand zwischen 4.000 und 20.000 ı ausgesprochen, dass eine (ordentliche) Revision mangels erheblicher Rechtsfrage nicht zulässig ist, so kann die beschwerte Partei einen (mit einer ordentlichen Revision verbundenen) Antrag an das Berufungsgericht stellen, diesen Ausspruch abzuändern. Hält das Berufungsgericht diesen Antrag für nicht stichhältig, so weist es ihn samt der eingebrachten Revision (endgültig) als unzulässig zurück: Der Weg zum OGH bleibt verschlossen. Erachtet es ihn für berechtigt, hat es seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision mit Beschluss abzuändern und die eingebrachte Revision dem OGH vorzulegen (§ 508 ZPO). Bei einem Streitwert von über 20.000 ı kann trotz eines negativen Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts eine außerordentliche Revision erhoben werden, in welcher der Revisionswerber (auch) die Unrichtigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichts über die Unzulässigkeit der (ordentlichen) Revision dartun muss. In diesem Fall prüft der OGH vorerst, ob überhaupt eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegt – und damit die erhobene Revision zulässig ist – und bejahendenfalls dann die Berechtigung der (zulässigen) Revision.


Überblick über die Zulässigkeit der Revision (R)
Abbildung 19.2:
Überblick über die Zulässigkeit der Revision (R)
Die Revision kann aus folgenden Gründen erhoben werden: Wegen Nichtigkeit des erst- oder zweitinstanzlichen Verfahrens, wegen Vorliegens wesentlicher Verfahrensmängel des Berufungsverfahrens (wesentliche Verfahrensmängel im erstinstanzlichen Verfahren können dagegen nach der stRsp nicht mehr geltend gemacht werden), wegen Aktenwidrigkeit des Berufungsurteils und wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache. Einzubringen ist die Revision binnen einer Notfrist von vier Wochen beim Erstgericht.
Revisionsgründe
Der OGH entscheidet ohne mündliche Verhandlung mit Urteil, wenn er das Berufungsurteil bestätigt oder abändert, sonst mit Beschluss.
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6. Rekurs (§§ 514 bis 528a ZPO)
Beschlüsse der ersten Instanz sind grundsätzlich mit Rekurs anfechtbar. Liegt der Streitwert unter 2.000 Euro ist der Rekurs nur in bestimmten einzelnen Fällen zulässig; zB wenn die Einleitung oder Fortsetzung des gesetzmäßigen Verfahrens über die Klage verweigert wurde oder gegen die Prozesskostenentscheidung (§ 517 ZPO).
Rekurs
Gegen Beschlüsse des Berufungsgerichts ist der Rekurs an den OGH nur zulässig, wenn die Berufung oder die Klage wegen Unzulässigkeit zurückgewiesen oder das Berufungsgericht die Zurückverweisung der Rechtssache an die erste Instanz zur Verfahrensergänzung verfügt hat. Im letzten Fall ist der Rekurs an den OGH zudem nur dann zulässig, wenn das Berufungsgericht ausdrücklich die Zulässigkeit ausgesprochen hat, was nur bei einem Entscheidungsgegenstand von über 4.000 ı und Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zulässig ist (§ 519 ZPO).
Der Revisionsrekurs gegen Beschlüsse des Rekursgerichts an den OGH ist ua jedenfalls unzulässig gegen voll bestätigende Beschlüsse des Rekursgerichts, gegen Beschlüsse, deren Entscheidungsgegenstand 4.000 ı nicht übersteigt, und gegen Kostenentscheidungen. Außerhalb dieser Fälle ist die Zulässigkeit analog der Revisionszulässigkeit geregelt, es muss also eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegen (§ 528 ZPO).
Revisionsrekurs
Die Rekurs wird grundsätzlich durch die Überreichung einer Rekursschrift beim Erstgericht erhoben (§ 520 Abs 1 ZPO). Die Rekursfrist beträgt beim einseitigen Rekurs 14 Tage, beim zweiseitigen Rekurs – außer beim Kostenrekurs (hier ebenfalls nur 14 Tage) – vier Wochen (§ 521 ZPO). Rekursgründe sind in der ZPO zwar nicht ausdrücklich aufgezählt, von der hM werden jedoch Nichtigkeit, wesentliche Verfahrensfehler, Aktenwidrigkeit und unrichtige rechtliche Beurteilung (idR aber nicht eine unrichtige Tatsachenfeststellung) als taugliche Rekursgründe anerkannt. Über einen erhobenen Rekurs oder Revisionsrekurs entscheiden die Rechtsmittelgerichte ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
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VII. Rechtsmittelklagen
Die Zivilprozessordnung kennt zwei Rechtsmittelklagen, mit denen die Aufhebung einer die Sache erledigenden Entscheidung und (in der Regel) eine neue Verhandlung und Entscheidung begehrt werden: Zum einen die Nichtigkeitsklage (§ 529 ZPO), mit der besonders gravierende Verfahrensfehler (nämlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs und der Unparteilichkeit des Richters) auch nach Eintritt der Rechtskraft der angefochtenen Entscheidung geltendgemacht werden können, und zum anderen die Wiederaufnahmsklage (§§ 530, 531 ZPO), wenn sich die Entscheidungsgrundlage im Nachhinein als falsch oder unvollständig erweist, weil Umstände bekannt geworden sind, die geeignet gewesen wären, eine andere Entscheidung herbeizuführen. Besondere Bedeutung kommt der Wiederaufnahmsklage im Zusammenhang mit dem streng gehandhabten Neuerungsverbot (→ Neuerungsverbot) zu, weil sie die Möglichkeit bietet, die frühe Präklusion von Tatsachenvorbringen und Beweisanträgen (bei Schluss der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz) zu korrigieren, wenn der Partei kein Verschulden an der Unvollständigkeit anzulasten ist. Beide Rechtsmittelklagen kommen in der Praxis aber nur selten vor.
Nichtigkeits- und Wiederaufnahmsklage
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VIII. Besondere Verfahrensarten
1. Urkundenverfahren
Literaturquelle
Das Urkundenverfahren (§§ 548 bis 559 ZPO) gewährleistet die rasche Durchsetzung von Ansprüchen auf Geld oder vertretbare Sachen. Der Kläger hat bereits mit der Klage jene Urkunden (öffentliche oder beglaubigte private Urkunden) oder Wechsel- oder Scheckurkunden vorzulegen, die geeignet sind, die von ihm behaupteten rechtserzeugenden Tatsachen zu beweisen (mandatsfähige Urkunden). Nach Prüfung der Prozessvoraussetzungen erlässt das Gericht einen Zahlungsauftrag, der nur mit begründeten Einwendungen bekämpft werden kann. Die Einwendungen bewirken die Hemmung der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des Zahlungsauftrages und führen zur Anberaumung einer Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung (vorbereitende Tagsatzung). Das Gericht spricht schließlich nach der Durchführung der Verhandlung mit Urteil aus, ob der Zahlungsauftrag aufrechterhalten oder aufgehoben wird.
Mandats- und Wechselmandatsverfahren
Wegen der vergleichsweise geringen Bedeutung des Urkundenwesens und der großen Bedeutung des obligatorischen Mahnverfahrens (→ Vorverfahren) ist das Urkundenverfahren in Österreich nur zur Durchsetzung von Wechsel- und Scheckansprüchen gebräuchlich.
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2. Arbeits- und sozialgerichtliches Verfahren
Literaturquelle
Das Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz (ASGG) von 1985 enthält einerseits besondere Verfahrensbestimmungen, die generell anzuwenden sind (§§ 36 ff ASGG), andererseits Sonderbestimmungen nur für das Verfahren in Arbeitsrechtssachen (§§ 49 ff ASGG) sowie solche nur für Sozialrechtssachen (§§ 64 ff ASGG) und verweist schließlich subsidiär auf die für die Gerichtsbarkeit in bürgerlichen Rechtssachen anzuwendenden Vorschriften (§ 2 Abs 1 ASGG).
ASGG
Zu den allgemeinen Vorschriften zählen etwa die sehr eingeschränkte Zulässigkeit von Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen (§§ 9 ASGG), die Laienbeteiligung in Form von fachkundigen Laienrichtern (§§ 10 ff ASGG), eine beschleunigte Verfahrensdurchführung (§ 39 Abs 1 ASGG), die erweiterte Anleitungs- und Belehrungspflicht für das Gericht (§ 39 Abs 2 ASGG), Ausnahmen von der Anwaltspflicht (§ 40 ASGG) und erweiterte Rechtsmittelmöglichkeiten (§ 44 ASGG).
allgemeine Regelungen
Zu den Abweichungen, die nur in Arbeitsrechtssachen (ds vor allem Streitigkeiten zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern; vgl § 50 ASGG) gelten, zählen zB die Möglichkeit besonderer Feststellungsverfahren (§ 54 ASGG), der Entfall einer Klagebeantwortung (§ 59 ASGG), die Anwendbarkeit des bezirksgerichtlichen Mahnverfahrens (§ 56 ASGG), die vorläufige Wirksamkeit erstinstanzlicher Entscheidungen, gegen die Berufung eingelegt worden ist (§ 61 ASGG) und die Geltung einer Neuerungserlaubnis für die Berufung, wenn die Partei in der ersten Instanz nicht qualifiziert vertreten war (§ 63 ASGG).
besondere Regelungen
Für die Sozialrechtssachen (iSd § 65 ASGG) wird in § 67 ASGG die sukzessive Kompetenz für Leistungsansprüche angeordnet, auf welche die Sonderregeln über die Wirkungen einer Klage (§ 71 ASGG), die Klagszurücknahme (§ 72 ASGG) und die Beurteilung von Vorfragen (§ 74 ASGG) Bedacht nehmen. Darüber hinaus bestehen ua abweichende Vorschriften für die Rechtsnachfolge (§ 76 ASGG), den Klagsinhalt (§ 82 ASGG), die Klagsänderung (§ 86 ASGG), das Beweisverfahren (§ 87 ASGG), die vorläufige Leistungserbringung (§§ 89, 91 ASGG) und das Rechtsmittelverfahren (§ 90 ASGG).
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3. Bestandverfahren und Besitzstörungsverfahren
Literaturquelle
Das Bestandverfahren (§§ 560 bis 576 ZPO) betrifft insbesondere Streitigkeiten um die Beendigung von Miet- und Pachtverhältnissen an unbeweglichen Sachen und soll(te ursprünglich) der möglichst raschen Erlangung eines Exekutionstitels zur Räumung oder Übergabe eines Bestandobjektes dienen.
Bestandverfahren
Das Besitzstörungsverfahren (§§ 454 bis 459 ZPO) soll raschen Schutz des letzten ruhigen Besitzstandes gegen Störung und Entziehung des Besitzes gewährleisten. Die Besitzstörungsklage muss bei sonstiger Unzulässigkeit innerhalb von 30 Tagen ab Kenntnis der Störung (oder Entziehung) und der Person des Störers (Entziehers) eingebracht werden. Die Entscheidung erfolgt – obwohl es sich um eine Sachentscheidung handelt – in Form des „Endbeschlusses”, der mit (zweiseitigem) Rekurs (binnen vier Wochen) angefochten werden kann.
Besitzstörungsverfahren
Weitere besondere Verfahrensvorschriften bestehen etwa für Ehesachen (§§ 460 ZPO), für Abstammungsstreitigkeiten (Art V UeKindG) oder für Amtshaftungs- und in Organhaftpflichtverfahren (geregelt im AHG, BGBl 1949/20, und OrgHG, BGBl 1967/181) → KAPITEL 12: Die Amtshaftung ¿ AHG 1948.
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IX. Prozesskosten und Verfahrenshilfe
1. Prozesskosten (§§ 41 bis 55 ZPO)
Literaturquelle
Nach dem Prinzip der Erfolgshaftung hat die Partei, die im Verfahren gänzlich obsiegt, Anspruch auf Ersatz der gesamten Prozesskosten. Dazu gehören neben den Gerichtskosten (zB Gerichtsgebühren, Zeugengebühren) und den Vertretungskosten (zB Rechtsanwaltshonorar) auch vorprozessuale Kosten, die einer Partei schon vor Einleitung des Verfahrens erwachsen sind (zB Kosten der Beweissicherung). Bei teilweisem Obsiegen reduziert sich dieser Anspruch auf das Verhältnis des Obsiegens.
Prozesskosten
Durchbrochen wird das Erfolgshaftungsprinzip etwa dann (Kostenseparation), wenn durch schuldhaft verspätetes Sach- oder Beweisvorbringen Mehrkosten verursacht werden: Das Gericht kann unter diesen Voraussetzungen einer Partei ohne Rücksicht auf den Prozesserfolg den Ersatz dieser Kosten auftragen. Ähnliches gilt unabhängig vom Verschulden in bestimmten, im Gesetz vorgesehenen Fällen (zB bei der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, beim Widerspruch gegen ein Versäumnisurteil). Hat der Beklagte zur Klagserhebung nicht Anlass gegeben und erkennt er den klägerischen Anspruch bei erster Gelegenheit an, so treffen die Kosten den (obsiegenden) Kläger (§ 45 ZPO).
Diese Kostenersatzregelungen gelten auch im Rechtsmittelverfahren, wobei der Enderfolg über die Pflicht zur Tragung der Kosten sämtlicher Instanzen entscheidet.
Die Kostenentscheidung erfolgt mittels Beschluss und ist in die das Verfahren beendende Sachentscheidung aufzunehmen. Sie kann (für sich allein) mit einem zweiseitigen (Kosten)Rekurs angefochten werden.
Kostenentscheidung
Ist die Durchführung einer Beweisaufnahme mit erhöhten Kosten verbunden, kann das Gericht einer oder beiden Parteien einen Kostenvorschuss auferlegen, dessen Nichterlegung zur Folge hat, dass das Verfahren ohne den beantragten Beweis weitergeführt wird. Überhaupt kann einem ausländischen Kläger, der kein Vermögen im Inland besitzt, auf Antrag des Beklagten zur Sicherung der Kostenersatzpflicht eine Sicherheitsleistung auferlegt werden (§§ 56 ff ZPO). Leistet der Kläger die Sicherheit nicht, ist über Antrag des Beklagten die Klage für zurückgenommen zu erklären. Für Kläger aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder aus einem Vertragsstaat des Luganer Übereinkommens ist die Auferlegung einer solchen aktorischen Kaution freilich ausgeschlossen, weil durch diese Rechtsquellen sichergestellt ist, dass eine österreichische Entscheidung auch im Heimatstaat des Klägers vollstreckt werden kann.
Sicherheitsleistung
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2. Verfahrenshilfe (§§ 63 bis 73 ZPO)
Ist eine Partei nicht imstande, ohne Beeinträchtigung ihres notwendigen Unterhalts die Prozesskosten zu bestreiten, kann ihr auf Antrag und nach Vorlage eines Vermögensbekenntnisses Verfahrenshilfe gewährt werden. Dies gilt auch für juristische Personen und Vermögensmassen (zB Konkursmasse, Nachlass), wenn weder sie selbst noch die wirtschaftlich Beteiligten die Mittel zur Führung des Verfahrens aufbringen können. In jedem Fall darf freilich die Rechtsverfolgung (oder Rechtsverteidigung) nicht offenbar mutwillig oder aussichtslos sein.
Voraussetzungen
Die Verfahrenshilfe besteht in der vorläufigen Befreiung von bestimmten Verfahrenskosten, kann aber gegebenenfalls auch die unentgeltliche Beigabe eines Rechtsanwalts umfassen (§ 64 ZPO). Die Auswahl des Rechtsanwalts trifft (wegen der spezifischen Regelung der staatlichen Vergütung für Verfahrenshilfeleistungen) die örtliche Rechtsanwaltskammer. Es gilt hier also keine freie Anwaltswahl, jedoch ist den Wünschen der Partei nach Möglichkeit zu entsprechen (§ 67 ZPO).
Umfang
Die Verfahrenshilfe ist beim Prozessgericht erster Instanz (oder auch beim Bezirksgericht des Aufenthalts des Antragstellers) schriftlich oder mündlich zu Protokoll zu beantragen (§ 65 ZPO). Mit dem Antrag hat die Partei ein aktuelles Bekenntnis über ihre Vermögens-, Einkommens- und Familienverhältnisse (§ 66 ZPO). Für dieses Vermögensbekenntnis besteht ein amtliches Formblatt: ZPForm 1. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe, mit dem auch die Beigebung eines Rechtsanwalts begehrt wird, unterbricht einschlägige Fristen: zB die Klagebeantwortungsfrist oder die Einspruchsfrist gegen einen Zahlungsbefehl. Die Entscheidung des Erstgerichts kann von beiden Parteien angefochten werden, ein Revisionsrekurs ist jedoch jedenfalls unzulässig.
Verfahren
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X. Schiedsgerichtsbarkeit und andere Rechtsschutzalternativen
1. Das schiedsrichterliche Verfahren
Literaturquelle
Die Schiedsgerichtsbarkeit stellt eine klassische Alternative zum staatlichen Rechtsschutz dar. Bisweilen haben nämlich die Parteien ein Interesse daran, ihren (zivilrechtlichen) Rechtsstreit nicht vor den ordentlichen Gerichten nach den Regeln der staatlichen Prozessordnung sondern vor anderen Organen, die nicht in die staatliche Organisation eingebunden sind, auszutragen. Die Zivilprozessordnung respektiert diese Wünsche insoweit dadurch nicht schützenswerte Interessen der Parteien beeinträchtigt werden und gibt daher in einem eigenen Abschnitt (§§ 577 bis 599 ZPO) nur rechtliche Rahmenbedingungen für das schiedsrichterliche Verfahren vor.
Schiedsgerichtsbarkeit
Gründe für die Wahl der Schiedsgerichtsbarkeit sind insbesondere Geheimhaltungsinteressen der Parteien (der Öffentlichkeitsgrundsatz gilt dort nicht) sowie die Möglichkeit, besonders fachkundige und das Vertrauen der Parteien genießende Fachleute als Richter auswählen zu können. Schiedsrichterliche Verfahren dauern auch häufig weniger lang als staatliche Verfahren (mit ihrem aufwändigen Instanzenzug). Andererseits sind Schiedsverfahren idR nicht billiger als staatliche Verfahren und auch nur eingeschränkt überprüfbar. Ein großes Problem der Schiedsgerichtsbarkeit liegt ferner in der Sicherstellung der Objektivität der Schiedsrichter und in der Gefahr, dass der wirtschaftlich stärkere Vertragspartner dem schwächeren ein nachteiliges Schiedsgericht aufzwingt.
Gründe
Die Bedeutung der Schiedsgerichtsbarkeit liegt vor allem im internationalen Wirtschaftsverkehr, weil damit für die Parteien die Wahl neutraler Schiedsgerichtsorte mit flexiblen Schiedsgerichtsordnungen möglich ist und Schiedssprüche häufig einfacher in fremden Staaten zu vollstrecken sind als staatliche Urteile. Bezüglich der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche besteht nämlich ein UN-Übereinkommen vom 10. 6. 1958, das von über 120 Staaten (und auch von Österreich: BGBl 1961/200) ratifiziert worden ist, und das ausländische Schiedssprüche den inländischen grundsätzlich gleichstellt.
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit
Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Schiedsverfahrens ist ein Schiedsvertrag für einen bestimmten Rechtsstreit oder für Rechtsstreitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis (§ 577 ZPO). Dieser muss schriftlich abgeschlossen werden (oder in Telegrammen, Fernschreiben oder in elektronischen Erklärungen enthalten sein, die die Parteien gewechselt haben) und sich auf einen Gegenstand beziehen, über den die Parteien einen Vergleich abschließen können also schiedsfähig (= vergleichsfähig) sein. Ein gültiger Schiedsvertrag begründet die Entscheidungsbefugnis des Schiedsgerichts, bindet die Parteien sowie deren Rechtsnachfolger und gewährt, wenn der Anspruch dennoch bei Gericht eingeklagt wird, die Einrede der prorogablen Unzuständigkeit.
Voraussetzungen
Der Schiedsvertrag ist zu unterscheiden vom Schiedsgutachtervertrag, bei dem einem Dritten die Feststellung einer Tatsache überlassen wird (zB die Höhe eines Schadens), und vom Schiedsrichtervertrag, der mit den Schiedsrichtern über die Ausübung ihrer Tätigkeit (zB Honorarfrage) abgeschlossen wird.
Die Zivilprozessordnung enthält insbesondere dispositive Regeln über die Schiedsrichterbestellung und teils zwingende Bestimmungen über das einzuhaltende Verfahren. Kann der (oder können die) Schiedsrichter keine vergleichsweise Regelung erzielen (Schiedsvergleich), erfolgt die Entscheidung in der Form eines Schiedsspruchs, der, wenn im Schiedsvertrag kein Rechtsmittel an ein Oberschiedsgericht vorgesehen ist, die Wirkungen eines gerichtlichen Urteils hat (§ 594 ZPO). Er bildet – soweit er Leistungen zuspricht – nach Ablauf der Leistungsfrist einen Exekutionstitel, aufgrund dessen die gerichtliche Zwangsvollstreckung beantragt werden kann (§ 1 Z 16 EO).
Schiedsvergleich – Schiedsspruch
Nur aus ganz bestimmten, im Gesetz (§ 595 ZPO) taxativ aufgezählten Gründen (zB Verletzung des rechtlichen Gehörs, Vorliegen von Wiederaufnahmsgründen, Unwirksamkeit des Schiedsvertrags) kann der Schiedsspruch beim staatlichen Gericht mit einer Aufhebungsklage angefochten werden.
Anfechtung
Der österreichische Gesetzgeber fördert in letzter Zeit die Verlagerung von Rechtsstreitigkeiten zu Schiedsgerichten: Durch Beschlüsse der zuständigen Kammerorgane können bei den Rechtsanwaltskammern und den Notariatskammern (institutionelle) Schiedsgerichte (mit Unterwerfungszuständigkeit) für private Rechtsstreitigkeiten eingerichtet werden: § 59 RAO und § 188 NO jeweils idF ZVN 2002.
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2. Weitere Rechtsschutzalternativen
Literaturquelle
Die ZPO sieht vor, dass sowohl bereits vor der Einleitung eines gerichtlichen Rechtsstreites (durch die Klagseinbringung) ein Vergleichsversuch vor einem Bezirksgericht vorgenommen (sog prätorischer Vergleich nach § 433 ZPO) als auch, dass im Lauf eines gerichtlichen Verfahrens (insbesondere in der vorbereitenden Tagsatzung) auf Antrag oder von Amts wegen eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits versucht werden kann (§ 204 ZPO). Ein protokollierter gerichtlicher Vergleich bildet einen Exekutionstitel (§ 1 Z 5 EO).
gerichtlicher Vergleich
Die außergerichtliche Schlichtung von Streitigkeiten hat bisher in Österreich – nicht zuletzt wegen eines funktionierenden Zivilverfahrensrechts – keine große Rolle gespielt. Einem internationalen Trend folgend besinnt sich jedoch auch der österreichische Gesetzgeber in jüngster Zeit vermehrt auf die Möglichkeiten einer alternativen Streitbeilegung. Insbesondere haben in den letzten Jahren Mediationsverfahren erfolgreich Einzug in die österreichische Rechtspraxis und zum Teil auch in die Rechtsordnung gehalten; vgl § 99 EheG idF EheRÄG 1999 und Art XVI KindRÄG 2001 oder etwa die bekannte Mediation zum Flughafenausbau in Wien: http://www.viemediation.at/
Mediation
Als Gründe für die zunehmende Inanspruchnahme der Methoden der Mediation werden genannt: die oft negativen Erfahrungen mit den (weitgehend starren) staatlichen (Massen)Verfahren, der insbesondere in der Wirtschaft bestehende Zeitdruck („time is money”), Kostengründe – die Kosten eines Mediationsverfahrens sind relativ gut abschätzbar und häufig niederer als jene eines Gerichtsverfahren – sowie insbesondere der Wunsch der Parteien nach einer privatautonomen und selbständig erarbeiteten flexiblen Konfliktlösung, mit der bestehende (Vertrags)Beziehungen für die Zukunft erhalten oder wenigstens nicht vollständig zerstört werden.
Gründe
Der Gesetzgeber hat daher vor kurzem mit dem Zivilrechts-Mediations-Gesetz (BGBl I 2003/29) einen rechtlichen Rahmen für die Mediation in Zivilrechtssachen (also in Konflikten, für deren Entscheidung an sich die ordentlichen Gerichte zuständig sind) geschaffen, der stufenweise – zuletzt mit 1. 5. 2004 – in Kraft tritt. In § 1 ZivMediatG wird Mediation als „eine auf Freiwilligkeit der Parteien beruhende Tätigkeit” definiert, „bei der ein fachlich ausgebildeter, neutraler Vermittler (Mediator) mit anerkannten Methoden die Kommunikation zwischen den Parteien systematisch mit dem Ziel fördert, eine von den Parteien selbst verantwortete Lösung ihres Konfliktes zu ermöglichen.”
ZivMediatG
Regelungsgegenstand des neuen Gesetzes sind insbesondere die Voraussetzungen und das Verfahren für die Eintragung von Personen in die Liste der eingetragenen Mediatoren (§§ 8 ff; vgl auch die Zivilrechts-Mediations-Ausbildungsverordnung BGBl II 2004/47) sowie die Voraussetzungen und das Verfahren für die Eintragung von Ausbildungseinrichtungen und Lehrgängen für Mediation in Zivilrechtssachen (§§ 23 ff), ferner die Rechte und Pflichten der eingetragenen Mediatoren (§§ 15 ff) und etwa die Einrichtung eines Beirats für Mediation beim BMJ (§§ 4 ff).
Wer regelt das neue Gesetz?
Verfahrensrechtlich bedeutsam ist es, dass nach § 22 ZivMediatG der Beginn und die gehörige Fortsetzung einer Mediation durch einen eingetragenen Mediator Anfang und Fortlauf der Verjährung sowie sonstiger Fristen zur Geltendmachung der von der Mediation betroffenen Rechte und Pflichten hemmen.
Hemmung der Verjährung
Weiters sieht der (neu gefasste) § 320 Z 4 ZPO vor, dass eingetragene Mediatoren in Ansehung dessen, was ihnen im Rahmen der Mediation anvertraut oder sonst bekannt wurde, nicht als Zeugen vernommen werden dürfen. Es handelt sich also um ein von Amts wegen zu beachtendes Beweisaufnahmeverbot, das im Interesse der Förderung des Vertrauensverhältnisses zwischen Medianden und Mediator normiert worden ist. Eine Entbindung von dieser Verschwiegenheitspflicht (vgl § 18 ZivMediatG) durch die Parteien ist nicht möglich.
Beweisaufnahmeverbot
Schließlich wird das Gericht durch eine Ergänzung des § 204 ZPO (generell) angewiesen, im Zuge von gerichtlichen Vergleichsgesprächen auch auf (außergerichtliche) Einrichtungen hinzuweisen, die zur einvernehmlichen Lösung von Konflikten geeignet sind. Dadurch konnte die bisherige, speziell für Ehestreitigkeiten bestandene Reglung des § 460 Z 7a ZPO aufgehoben werden.
Anbindung an Zivilprozess
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass jetzt Art III Zivilrechts-Änderungsgesetz 2004 (BGBl I 2003/91) sogar einen zwingend vorgeschriebenen Versuch einer außergerichtlichen Streitbeilegung vorsieht: Vor der Einbringung einer Klage im Zusammenhang mit dem Entzug von Licht oder Luft durch fremde Bäume oder Pflanzen (§ 364 Abs 3 ABGB) hat ein Nachbar vorerst eine geeignete Schlichtungsstelle zur gütlichen Einigung zu befassen. Die Klage ist erst dann zulässig, wenn nicht längstens innerhalb von 3 Monaten ab Einleitung des Schlichtungverfahrens eine gütliche Einigung erzielt worden ist.
obligatorischer Schlichtungsversuch
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F. Das außerstreitige Verfahren
Von Peter G. Mayr
Literaturquelle
I. Allgemeines
Im Gegensatz zur Zivilprozessordnung wird das mit kaiserlichem Patent vom 9. 8. 1854 eingeführte Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG) allgemein als dringend einer umfassenden Reform bedürftig angesehen. Das AußStrG wurde ursprünglich vorwiegend als Rechtsfürsorgeverfahren für besonders schutzwürdige Personen geschaffen. Es bewirkte im Vergleich zu der damals parallel für das streitige Verfahren gültigen Allgemeinen Gerichtsordnung von 1781 ein moderneres, weniger formgebundenes und flexibleres Verfahren, das dem Richter mehr Möglichkeiten für eine aktive Verfahrensgestaltung einräumte; Vorteile, die inzwischen aber längst von der ZPO 1895 für das streitige Verfahren übernommen und ausgebaut worden sind.
Rechtslage
Schwachstellen des geltenden Außerstreitverfahrensrechts bilden aus heutiger Sicht etwa die nur sehr rudimentäre Regelungen des (auf alle „außerstreitigen” Verfahren anzuwendenden) Allgemeinen Teils (bloß 19 Paragraphe!), der modernen rechtsstaatlichen Ansprüchen häufig nur noch durch eine ergänzende (oder korrigierende) Auslegung der kargen Bestimmungen durch die Rechtsprechung genügen kann, weiters das Fehlen einer generellen Verweisung auf die ZPO zum Schließen der zahlreichen Regelungslücken, ferner die (oftmals nicht verständliche) Verweisung vieler Rechtssachen, die an sich streitiger Natur sind, in das Außerstreitverfahren sowie eine Fülle von besonderen, in verschiedenen Gesetzen festgelegten und von den allgemeinen Regeln des AußStrG abweichenden Verfahrensbestimmungen für zahlreiche Rechtsmaterien, wodurch ein einheitliches Verfahrenskonzept nur noch schwer erkennbar ist.
Die seit langer Zeit geplante Gesamtreform des Außerstreitverfahrensrechts konnte vor kurzem mit der Beschlussfassung eines neuen Außerstreitgesetzes, das am 1. Jänner 2005 in Kraft treten wird, abgeschlossen werden. In Punkt V wird ein erster Überglich über die wichtigsten Neuerungen dieser umfassenden Reform gegeben.
Reform
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II. Abgrenzung zwischen streitigem und außerstreitigem Verfahren
Wegen der – soeben erwähnten – (positivrechtlichen) Verweisung zahlreicher zivilrechtlicher Rechtssachen in das Außerstreitverfahren ist eine inhaltliche Unterscheidung zwischen Rechtsstreitigkeiten, die nach den Bestimmungen der ZPO zu behandeln sind, und Rechtssachen (bzw -angelegenheiten), über die von den Gerichten nach den Vorschriften des AußStrG (bzw von ergänzenden Spezialvorschriften) zu verfahren ist, nicht mehr möglich. Es muss daher eine formelle Abgrenzung genügen: Für die Grenzziehung zwischen Streit- und Außerstreitsachen ist gem § 1 AußStrG entscheidend, ob eine Rechtssache kraft gesetzlicher Anordnung ausdrücklich oder zumindest aufgrund ihrer Beschaffenheit unmissverständlich dem außerstreitigen Verfahren zuzuordnen ist oder nicht. Insbesondere jene Rechtssachen, die vom Rechtsfürsorgegedanken dominiert werden, gehören in das Außerstreitverfahren. Mangelt es an einer eindeutigen oder unmissverständlichen Zuordnung, ist die Rechtssache im streitigen Verfahren zu erledigen. Eine Disposition der Parteien über die Anwendung des streitigen oder des außerstreitigen Verfahrens ist nicht möglich.
Schwierige Abgrenzung
Zu den wichtigsten Anwendungsbereichen des Außerstreitverfahrens gehören etwa das Verlassenschaftsverfahren (§§ 20 ff AußStrG), das Verfahren in Vormundschafts- und Kuratelsangelegenheiten (§§ 181 ff AußStrG) sowie in Eheangelegenheiten (insbesondere die einvernehmliche Scheidung: §§ 220 ff AußStrG) und bei Adoptionen (§§ 257 ff AußStrG), ferner die Sachwalterbestellung für behinderte Personen (§§ 236 ff AußStrG) und die Unterbringung psychisch kranker Personen in Krankenanstalten (UnterbringungsG), weiters zahlreiche Angelegenheiten des Wohnrechts, das Grundbuchs- und das Firmenbuchverfahren usw.
Anwendungsbereich
Ob eine Rechtssache im streitigen oder außerstreitigen Verfahren zu behandeln ist, richtet sich nicht nach der Bezeichnung durch die Partei (Klage oder außerstreitiger Antrag) sondern nach dem Inhalt des gestellten Begehrens. Wenn (aufgrund einer Einrede der anderen Partei oder von amtswegigen Bedenken des Gerichts) zweifelhaft ist, welches Verfahren anzuwenden ist, hat das Gericht darüber (in jeder Lage des Verfahrens) mit (anfechtbarem) Beschluss zu entscheiden (§ 40a JN). Stellt sich nun heraus, dass das gestellte Rechtsschutzbegehren im falschen Verfahren behandelt worden ist, ist das durchgeführte Verfahren für nichtig zu erklären und das gestellte Rechtsschutzbegehren (ev nach Durchführung eines Verbesserungsverfahrens) im richtigen (streitigen oder außerstreitigen) Rechtsweg zu behandeln. Nach Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache kommt eine Beseitigung des Verfahrens, das im falschen (streitigen oder außerstreitigen) Rechtsweg durchgeführt worden ist, aber nicht mehr in Frage.
Inhalt des Begehrens entscheidet
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III. Zuständigkeit
Die Durchführung des Außerstreitverfahrens obliegt den ordentlichen Gerichten; es gibt keine eigenen „Außerstreitgerichte”. Sachlich zuständig sind im Regelfall die Bezirksgerichte (§ 104a JN), nur ausnahmsweise (zB für die Führung des Firmenbuchs oder für die Todeserklärung) die Landesgerichte (bzw das HG Wien); auch dort herrscht Einzelrichterbesetzung. Die örtliche Zuständigkeit wird in den §§ 105 ff JN sowie in diversen Sondergesetzen geregelt. Eine Veränderung der gesetzlichen Zuständigkeit durch Vereinbarung der Parteien ist grundsätzlich (ausgenommen für außerstreitige Eheangelegenheiten) unzulässig. Wird ein unzuständiges Gericht angerufen, hat dieses seine Unzuständigkeit jederzeit von Amts wegen wahrzunehmen und die Rechtssache an das zuständige Gericht zu überweisen (§ 44 JN).
Zuständigkeit
Die internationale Zuständigkeit Österreichs ergibt sich entweder aus Rechtsquellen der Europäischen Union (insbesondere EuGVVO und EuEheVO) bzw des Völkerrechts (etwa LGVÜ) oder aus innerstaatlichen Vorschriften (etwa §§ 110, 113b, 114a Abs 4 JN).
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IV. Verfahrensbesonderheiten
Durch die bestehenden zahlreichen Sonderbestimmungen ist das geltende Außerstreitverfahren äußerst inhomogen, insbesondere muss häufig zwischen sogenannten „außerstreitigen” und „streitigen” Außerstreitsachen unterschieden werden. Dennoch können einige signifikante Abweichungen zum streitigen Verfahren (nach den Bestimmungen der ZPO) hervorgehoben werden:
Besonderheiten
• So kann etwa in manchen Bereichen (insbesondere Verlassenschaftsverfahren) ein Außerstreitverfahren – im Gegensatz zum streitigen Verfahren – (nicht [nur] auf Antrag einer Partei, sondern [auch]) von Amts wegen eingeleitet werden ( Offizialgrundsatz).
• Alle Tatsachen, die für die Entscheidung erheblich sind, hat das Gericht von sich aus, ohne Rücksicht auf das Verhalten der Beteiligten, zu ermitteln, für die Stoffsammlung gilt also der Untersuchungsgrundsatz, woraus sich auch ergibt, dass es im Außerstreitverfahren keine Säumnisentscheidungen gibt.
• Das Prinzip der Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens sowie der Grundsatz der Unmittelbarkeit kommen im außerstreitigen Verfahren nur eingeschränkt zur Anwendung. Hingegen ist auch im Außerstreitverfahren der Grundsatz der Gewährung (allseitigen) rechtlichen Gehörs jedenfalls zu beachten.
• Anders als im streitigen Verfahren mit seinem (strengen) Zweiparteiensystem ist im Außerstreitverfahren auch ein mehrseitigen Verfahren mit mehreren Parteien möglich, da alle Personen als Beteiligte (bzw Parteien) gelten (und damit Teilnahmerechte haben), deren rechtlich geschützte Interessen durch das Verfahren oder die anschließende Entscheidung unmittelbar berührt werden.
• Die Parteien sind im Regelfall weder im erstinstanzlichen noch im Rechtsmittelverfahren verpflichtet, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen, es herrscht also (grundsätzlich) keine Anwaltspflicht. Die einschlägigen Vorschriften über die Verfahrenshilfe sind jedoch im Außerstreitverfahren sinngemäß anzuwenden.
• Ein Kostenersatz ist im Außerstreitverfahren nicht vorgesehen, sodass jede Partei ihre anfallenden Kosten grundsätzlich selbst zu tragen hat.
• Sowohl Sachentscheidungen als auch Entscheidungen über verfahrensrechtliche Fragen ergehen einheitlich in Form von Beschlüssen.
• An Rechtsmitteln sind im AußStrG (§§ 9 ff) der Rekurs und der Revisionsrekurs vorgesehen. Darüberhinaus können erstinstanzliche Entscheidungen mit einer Vorstellung bekämpft werden. Diesem Rechtsmittel fehlt die aufsteigende Wirkung (der Suspensiveffekt) und ihm kann nur dann stattgegeben werden, wenn andere Personen (Verfahrensgegner oder dritte Personen) durch die angefochtene Entscheidung noch keine Rechte erlangt haben. Sie hat daher nur eine geringe praktische Bedeutung. Der Rekurs gegen erstinstanzliche Entscheidungen ist unbeschränkt zulässig. Das Vorbringen von neuen Tatsachen und neuen Beweisanboten ist zwar ex lege zulässig, diese Neuerungserlaubnis wird von der Rechtsprechung aber sehr einschränkend gehandhabt. Gegen Beschlüsse der zweiten Instanz kann ein Revisionsrekurs an den OGH gerichtet werden (§§ 14 ff AußStrG). Dessen Zulässigkeit ist ähnlich wie im streitigen Verfahren die Zulässigkeit einer Revision geregelt → Revision (§§ 502 bis 513 ZPO): Abgesehen von Angelegenheiten, in denen ein Revisionsrekurs jedenfalls unzulässig ist (zB Kosten, Verfahrenshilfe), muss daher grundsätzlich eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung vorliegen, um den OGH anrufen zu können.
Rechtsmittel
• Die Zulässigkeit von Wiederaufnahms- oder Nichtigkeitsklagen im Außerstreitverfahren hat die ständige Rechtsprechung bis vor kurzem stets verneint.
• Außerstreitige (Leistungs)Entscheidungen bilden einen Exekutionstitel (§ 1 Z 6 EO) und können entweder mit den Mitteln der Exekutionsordnung oder durch „angemessene Zwangsmittel” vollstreckt werden (§ 19 AußStrG).
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V. Wesentliche Neuerungen im AußStrG 2003
Nach langjährigen Vorbereitungsarbeiten konnte zum Jahresende 2003 (endlich) ein neues Bundesgesetz über das gerichtliche Verfahren in Rechtsangelegenheiten außer Streitsachen (Außerstreitgesetz – AußStrG) beschlossen werden (BGBl I 2003/111), das am 1. 1. 2005 in Kraft treten wird. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen mit dieser Reform die bisherigen Regelungsdefizite beseitigt und eine moderne, den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit, aber auch dem besonders hilfeorientierten und friedensrichterlichen Charakter des Außerstreitverfahrens Rechnung tragende, eigenständige Verfahrensordnung geschaffen werden, die insb auch geeignet ist, die Lebensverhältnisse des Alltagslebens zukunftsorientiert zu regeln.
AußStrG neu
Im Allgemeinen Teil des neuen Außerstreitgesetzes sind folgende wesentliche Neuerungen hervorzuheben:
Allgemeiner Teil
• Umschreibung des Parteibegriffs mit materiellen Komponenten
• Erleichterungen hinsichtlich der Bestimmtheit des Antrags
• besondere richterliche Anleitungs- und Belehrungspflichten
• Sicherstellung des rechtlichen Gehörs zB durch Einführung einer generellen Zweiseitigkeit von Rechtsmitteln
• Neuregelung der Vertretungspflicht
• Regelung der Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Verhandlung
• Betonung des Grundsatzes der amtswegigen Sachverhaltsermittlung (Untersuchungsgrundsatz) mit Mitwirkungspflichten der Parteien
• (punktuelle) Verweise auf die Bestimmungen der ZPO über Protokolle, Akten, Sitzungspolizei, Verfahrenshilfe, Fristen und die Zustellung
• Möglichkeit einer Unterbrechung und eines Ruhens des Verfahrens
• Möglichkeit des Innehaltens des Verfahrens bis zu sechs Monaten
• Beseitigung des Rechtsmittels der Vorstellung und der Möglichkeit der Verweisung auf den Rechtsweg
• Regelung des Rechtsmittelverfahrens mit Einschränkung der Neuerungserlaubnis
• Regelung des Eintritts der Wirksamkeit bzw. der Vollstreckbarkeit von Entscheidungen
• Regelung der Kostenersatzpflicht
• Einführung eines Abänderungsverfahrens (entsprechend den Rechtsmittelklagen)
• Regelung über Zwangsmaßnahmen und die Vollstreckung außerstreitiger Entscheidungen
Im Besonderen Teil des neuen Außerstreitgesetzes finden sich – teilweise grundlegend neu gefasste – Bestimmungen über das Verfahren in Ehe-, Kindschafts- und Sachwalterschaftsangelegenheiten, über das Verlassenschaftsverfahren sowie über Beurkundungen und die freiwillige Feilbietung. Im Verlassenschaftsverfahren stellt ua die Integration der Entscheidung über das Erbrecht in das außerstreitige Verfahren eine wesentliche Neuerung dar: Eine Verteilung der Klägerrolle und eine darauffolgende Erbrechtsklage ist jetzt nicht mehr vorgesehen. Künftig wird das Verlassenschaftsgericht das Erbrecht des oder der Erben feststellen und die übrigen Erbantrittserklärungen, die nicht zur Grundlage der Einantwortung werden, abweisen.
Besonderer Teil
Mit einem umfangreichen Außerstreit-Begleitgesetz (BGBl I 2003/112) werden (ab 1. 1. 2005) zahlreiche auf verschiedene Rechtsquellen verstreute Vorschriften an die neue Rechtslage angepasst und teilweise auch inhaltlich novelliert, so zB das Notwegegesetz und das Eisenbahnenteignungsgesetz. Ein eigenes Wohnrechtliches Außerstreitbegleitgesetz (BGBl I 2003/113) nimmt schließlich eine Anpassung und Neuordnung der in vielen Bereichen des Wohnrechts geltenden besonderen (außerstreitigen) Verfahrensregeln vor und novelliert insofern insb das MRG und das WEG 2002.
Außerstreit-Begleitgesetze
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G. Exekutionsverfahren
Von Hans Broll
Literaturquelle
Das Exekutions- oder Zwangsvollstreckungsverfahren ist in einem eigenen Gesetz, der Exekutionsordnung (EO), geregelt, welches Teil jener „Zivilprozeßgesetze” ist, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Die Grundwertungen decken sich mit jenen der übrigen Zivilprozeßgesetze (ZPO, JN). Neu gegenüber der vorhergehenden Gesetzeslage war die soziale Komponente, welche zu einer stärkeren Berücksichtigung der Interessen des Schuldners und gleichzeitig zu größerer Wirtschaftlichkeit der Vollstreckungsmaßnahmen führte. Zur notwendigen Anpassung des betagten Gesetzes an die heutigen Erfordernisse wurden in jüngerer Zeit in Etappen größere Teile der EO reformiert, etwa in den Jahren 1991, 1995 und 2000, zuletzt wurden mit der EO-Novelle 2003 die Befugnisse der Gerichtsvollzieher neu geregelt.
Neben der „gewöhnlichen” Exekution (zur Befriedigung) ist in der EO auch eine Exekution zur Sicherstellung (§ 368 ff EO) vorgesehen.
I. Allgemeines
Inhalt des Verfahrens ist die Befriedigung eines Anspruchs, für den bereits ein Exekutionstitel vorliegt, der meist also bereits Gegenstand eines Verfahrens war.
Ein großer Teil der gerichtlichen Aufgaben im Exekutionsverfahren wird von Rechtspflegern erledigt. Dem Richter sind nur besonders wichtige Angelegenheiten vorbehalten; zB Vollstreckbarerklärung ausländischer Exekutionstitel, Verhängung von Haft usw. Bei der Durchführung der bewilligten Exekution, dem Vollzug, wird als Vollstreckungsorgan der Gerichtsvollzieher tätig, der in hohem Ausmaß selbständig (insbesondere bei der Fahrnisexekution), wenn auch unter gerichtlicher Kontrolle, die Vollzugsaufträge auszuführen hat.
Die Parteien, die sich im Exekutionsverfahren gegenüberstehen, werden als betreibender Gläubiger und Verpflichteter bezeichnet.
Parteien
Das Exekutionsverfahren umfasst zwei Stadien: das Bewilligungsverfahren und den Exekutionsvollzug. Das Verfahren baut auf jenem der ZPO auf und soweit die EO keine besonderen Regelungen enthält, sind die Bestimmungen der ZPO (subsidiär) anzuwenden (§ 78 EO).
Gliederung des Verfahrens
In Exekutionssachen entscheidet ein Einzelrichter beziehungsweise der Rechtspfleger. Zuständig für Exekutionsbewilligung und Vollzug ist immer ein Bezirksgericht. Die örtliche Zuständigkeit richtet sich nach dem Ort des Exekutionsobjekts, jenem der ersten notwendigen Exekutionshandlung oder dem Wohnsitz des Verpflichteten. Zuständigkeitsvereinbarungen der Parteien sind nicht erlaubt.
Zuständigkeit
Öffentliche Bekanntmachungen im Exekutionsverfahren erfolgen per Internet durch Aufnahme in die öffentlich zugängliche Ediktsdatei (§ 71 EO); abrufbar unter http://www.edikte2.justiz.gv.at/ http://www.edikte2.justiz.gv.at/ .
Die Entscheidungen im Exekutionsverfahren ergehen in Form von Beschlüssen.
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II. Verfahrensgrundsätze
Auch im Exekutionsverfahren gilt der Dispositionsgrundsatz, etwa hinsichtlich der Verfahrenseinleitung durch Exekutionsantrag, der Exekutionsobjekte (also der Vermögensgegenstände, auf die gegriffen werden soll) und Exekutionsmittel, siehe aber gleich unten einige Ausnahmen aus Gründen des Schuldnerschutzes. Es herrscht auch hier Amtsbetrieb, nur in vereinzelten Ausnahmefällen sind Handlungen des betreibenden Gläubigers zur Weiterführung eines einmal eingeleiten Verfahrens erforderlich. Der Unmittelbarkeitsgrundsatz gilt zwar grundsätzlich, allerdings nur dann, wenn eine mündliche Verhandlung stattfindet. Nachdem im Exekutionsverfahren der Grundsatz der Mündlichkeit aber nicht gilt, im Gegenteil das Verfahren sogar idR ein schriftliches ist (§ 55 Abs 1 EO), kommt der Unmittelbarkeit geringere Bedeutung zu. Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt aber wiederum.
Teilweise Modifikation der ZPO-Grundsätze
Einer der wesentlichsten Grundpfeiler eines fairen Verfahrens, der Grundsatz des beiderseitigen rechtlichen Gehörs, hat auch im Exekutionsverfahren volle Geltung. Vielfach sieht aber die EO keine Beiziehung des Verpflichteten vor der Fällung von Entscheidungen vor (etwa bei der Exekutionsbewilligung), rechtliches Gehör wird in diesen Fällen nur nachträglich durch Einräumen von Rechtsmitteln oder anderen Rechtsbehelfen gewährt.
Der Grundsatz der Öffentlichkeit gilt nicht (§ 59 Abs 1 EO).
Weitergehend als im streitigen Verfahren (Kooperationsmaxime: → Verfahrensgrundsätze) gilt im Exekutionsverfahren der Untersuchungsgrundsatz (§ 55 Abs 2 und 3 EO). Der sog Spezialitätsgrundsatz besagt, dass das Exekutionsverfahren nur bestimmte Vermögensgegenstände des Verpflichteten und nicht (wie das Konkursverfahren) das gesamte Vermögen erfasst. Der Prioritätsgrundsatz manifestiert sich darin, dass mehrere Gläubiger in der Reihenfolge (voll) befriedigt werden, in der sie einen Rang für ihre Forderung erworben haben. Weiters gilt das Kostendeckungsprinzip: Ein Exekutionsverfahren ist nur zulässig, wenn der voraussichtliche Erlös des Verfahrens die Exekutionskosten übersteigen wird (§ 39 Abs 1 Z 8 EO). Der Grundsatz der Einheit des Verwertungsverfahrens besagt, dass bezüglich eines bestimmten Exekutionsobjekts nicht mehrere gleichartige Verwertungsverfahren gleichzeitig durchgeführt werden dürfen. Während eines Verfahrens hinzukommende betreibende Gläubiger, treten daher einem gleichartigen laufenden Verwertungsverfahren, wie sie es beantragt haben, bei und haben dessen Stand zu akzeptieren.
Die beiden zuletzt genannten Grundsätze dienen sowohl dem Ziel der Wirtschaftlichkeit des Verfahrens als auch jenem des Schuldnerschutzes.
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III. Schutz des Verpflichteten
Ein wesentliches Anliegen der EO ist ein möglichst schuldnerschonendes Vorgehen. Ausgangspunkt ist dabei, dass sowohl dem betreibenden Gläubiger als auch der Gesellschaft die Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz und der Verdienstmöglichkeiten des Verpflichteten nur schaden. Dementsprechend sieht die EO einerseits eine Reihe von Exekutionsbeschränkungen vor; zB sind Gegenstände, die zur Berufsausübung erforderlich sind, Mietrechte, die unentbehrliche Wohnräume betreffen, das „Existenzminimum” bei Arbeitseinkommen, usw der Exekution gänzlich entzogen. Andererseits wird durch eine Reihe von gesetzlichen Maßnahmen der Gläubigerzugriff auf Arbeitseinkommen gegenüber dem Zugriff auf bewegliche Sachen favorisiert, da erfahrungsgemäß gerade bei Mobilien die Gefahr unnützer Wertverschleuderung (durch Versteigerung) besonders groß ist.
Schranken der Exekution
Manche Regelungen lassen die Präferenz für möglichst schuldnerschonende Exekutionsmittel erkennen, etwa kann die beantragte Exekution durch Zwangsversteigerung einer Liegenschaft auf Antrag des Verpflichteten unter bestimmten Bedingungen in eine Zwangsverwaltung umgewandelt werden (§ 201 EO). Ähnliches (Aufschiebung des Verkaufs) ist bei der Pfändung beweglichen Vermögens möglich, wenn gleichzeitig eine wiederkehrende Geldforderung gepfändet wurde, aus der eine Befriedigung innerhalb eines Jahres zu erwarten ist (§ 264a EO). Einen Schutz gegen Vermögensverschleuderung bildet der gesetzlich festgelegte Mindestpreis (geringstes Gebot), der bei der Verwertung von Vermögensobjekten erreicht werden muß (§§ 151, 277 EO).
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IV. Exekutionstitel
Die inländischen Exekutionstitel sind in § 1 EO taxativ aufgezählt. Akte und Urkunden, aufgrund welcher Exekution geführt werden kann, sind etwa Urteile und Beschlüsse von Zivilgerichten, Zahlungsbefehle, Entscheidungen von Verwaltungsbehörden, Prozessvergleiche, Schiedssprüche, vollstreckbare Notariatsakte, Auszüge aus dem Anmeldungsverzeichnis im Konkursverfahren usw. Für ausländische Exekutionstitel bestehen eigene Regeln (§§ 79 ff EO; EU-Recht; Staatsverträge).
Jeder Exekutionstitel muss eine genau bestimmte (bestimmbare) Leistungs- oder Verhaltenspflicht enthalten.
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V. Exekutionsbewilligung
Sachlich zuständig für das Exekutionsverfahren sind die Bezirksgerichte; die örtliche Zuständigkeit hängt von Exekutionsobjekt, Vollzugsort bzw Wohnsitz des Verpflichteten ab (§§ 18, 82 EO). Anderes gilt nur für die Sicherstellungsexekution (§ 375 EO). Wird ein unzuständiges Gericht angerufen, so hat dieses die Rechtssache von Amts wegen an das zuständige Gericht zu überweisen (§ 44 JN).
Eingeleitet wird das Exekutionsverfahren durch einen (schriftlichen oder mündlichen) Exekutionsantrag des betreibenden Gläubigers (§ 54 EO). Dieser Antrag hat, neben den Parteien und allen zur Ermittlung der Zuständigkeit notwendigen Umständen, den Anspruch und den Exekutionstitel zu bezeichnen, deretwegen Exekution geführt wird und die Exekutionsmittel und die Exekutionsobjekte (falls sich diese nicht schon aus dem Titel ergeben) zu nennen. Anzuschließen sind eine Ausfertigung des Exekutionstitels, eine Vollstreckbarkeitsbestätigung (außer bei gerichtlichem Vergleich und vollstreckbarem Notariatsakt) und allenfalls erforderliche (vgl § 7 Abs 2 EO) weitere Urkunden.
Exekutionsantrag
Voraussetzungen für die Erteilung einer Vollstreckbarkeitsbestätigung sind, dass die Entscheidung ordnungsgemäß zugestellt wurde, die Leistungsfrist abgelaufen und sie nicht mehr mit einem die Vollstreckbarkeit hemmenden Rechtsmittel bekämpfbar ist. Die Bestätigung wird von jener Stelle, welche den Exekutionstitel geschaffen hat, erteilt und kann von dieser auf Antrag oder von Amts wegen wieder aufgehoben werden (§ 7 Abs 3 EO).
Vollstreckbarkeitsbestätigung
Über den Exekutionsantrag wird in der Regel allein aufgrund der Aktenlage (also des Antrags) ohne Anhörung des Verpflichteten mit Beschluss (Exekutionsbewilligungsbeschluss) entschieden. Der Vollzug der Exekution erfolgt sofort von Amts wegen, ohne dass die Rechtskraft und die Zustellung der Exekutionsbewilligung an den Verpflichteten abgewartet werden muss. Der Verpflichtete erfährt daher von der Bewilligung der Exekution häufig erst nach Beginn des Vollzugs (Überraschungseffekt), etwa durch Zustellung des Bewilligungsbeschlusses durch den Gerichtsvollzieher bei der Pfändung.
1991 wurde die Möglichkeit eines computerunterstützten Exekutionsverfahrens, in dessen Rahmen die direkte Übermittlung des Exekutionsantrags aus dem Datennetz des Gläubigers bzw dessen Rechtsvertreters in das Datennetz des Gerichts möglich ist, geschaffen. Seit 1995 steht ein „vereinfachtes Bewilligungsverfahren” (§§ 54b ff EO) zur Verfügung. Dieses kommt nur bei Exekution (inländischer oder für vollstreckbar erklärter ausländischer Titel) wegen Geldforderungen bis zu 10.000 ı, wenn nicht auf unbewegliche Sachen Exekution geführt werden soll, zur Anwendung. Dabei müssen weder Exekutionstitel noch Vollstreckbarkeitsbestätigung vorgelegt werden, die Angabe des Datums der Vollstreckbarkeitsbestätigung im Antrag reicht aus. Dem Verpflichteten wird dafür als besonderer Rechtsbehelf ein „Einspruch” (§ 54c EO) zugestanden. Um diesen Einspruch zu ermöglichen, wird die Exekutionsbewilligung dem Verpflichteten separat, dh bereits vor Beginn des Exekutionsvollzugs, zugestellt. Der Überraschungseffekt geht damit verloren.
Vereinfachtes Bewilligungsverfahren
Kein vereinfachtes Bewilligungsverfahren gibt es dann, wenn die Vorlage weiterer Urkunden (vgl § 7 Abs 2 EO) durch den betreibenden Gläubiger erforderlich ist, oder wenn der betreibende Gläubiger glaubhaft macht, dass ein vorhandenes Exekutionsobjekt bei Zustellung der Exekutionsbewilligung vor Vornahme der Pfändung der Exekution entzogen würde.
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VI. Rechtsmittel und Rechtsbehelfe
Rechtsmittel gegen Entscheidungen im Exekutionsverfahren ist der Rekurs, auf den die Bestimmungen der ZPO und insbesondere jene über das Neuerungsverbot subsidiär zur Anwendung kommen. Der Rekurs ist einseitig und innerhalb der Frist von 14 Tagen zu erheben. Daneben können dem Verpflichteten ein Einspruch (im vereinfachten Bewilligungsverfahren), in einigen Fällen ein Widerspruch (zB §§ 128, 182, 231 EO), vor allem aber die sog „exekutionsrechtlichen Klagen” zustehen. Diese im streitigen Verfahren (also gemäß der ZPO) zu behandelnden Klagen dienen zur nachträglichen Gewährung des Rechts auf Gehör für Verfahrensbeteiligte und zielen im Erfolgsfall auf die (zumindest vorübergehende) Einstellung des Vollstreckungsverfahrens ab.
Rekurs, Einspruch und Widerspruch
Dabei dient die Oppositionsklage (§ 35 EO) dazu, Tatsachen geltendzumachen, welche nach Entstehen des Exekutionstitels den darin verbrieften Anspruch zum Erlöschen gebracht haben oder hemmen (zB Erfüllung, Verzicht, Stundung). Die Impugnationsklage (§ 36 EO) dient zur Geltendmachung von Hindernissen, die nicht den Anspruch betreffen, sondern die Vollstreckung zur Zeit nicht zulassen (zB vorübergehender oder dauernder Verzicht auf Vollstreckung, Fehlen der Fälligkeit). Für einfache Fälle sind in der EO (§ 40) anstatt der Klagen Oppositions- und Impugnationsgesuche vorgesehen.
Oppositions- und Impugnationsklage
Wird auf Sachen, die nicht dem Verpflichteten gehören, Exekution geführt, kann der Berechtigte (zB Eigentümer) die Unzulässigerklärung dieser Exekution im Weg der Exszindierungsklage (§ 37 EO) erreichen.
Exszindierungsklage
Gegen Entscheidungen eines Rechtspfleger steht eine sog Vorstellung zu (§ 12 RPflG), über die der Richter erster Instanz entscheidet.
Weitere Rechtsbehelfe, die in der EO für bestimmte Fälle vorgesehen sind, sind die Anträge auf Einstellung (§ 39 EO), Einschränkung (§ 41 EO) und Aufschiebung (§§ 42 ff EO) der Exekution.
Weitere Rechtsbehelfe
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VII. Exekutionsmittel und Exekutionsvollzug
Zur Durchführung der Exekution stehen nur die in der EO angeführten Exekutionsmittel zur Verfügung (Typenzwang). Welches der Exekutionsmittel anzuwenden ist, hängt vom zu vollstrekkenden Anspruch, dem Exekutionsobjekt und der Wahl des betreibenden Gläubigers ab.
1. Exekution wegen Geldforderungen
In der Praxis (Zahlen der im Jahr 2002 neu angefallenen Exekutionen) nimmt die Fahrnisexekution zahlenmäßig noch immer die erste Stelle bei Exekutionsverfahren ein (903.835), danach folgen Forderungsexekutionen (760.365), in viel kleineren Dimensionen bewegen sich zwangsweise Pfandrechtsbegründung (16.784), Zwangsversteigerung von Liegenschaften (8.728), Zwangsverwaltung (585) und Räumungsexekution (12.561).
Rechtstatsachen
Zur Befriedigung einer vollstreckbaren Geldforderung können entweder bewegliche körperliche Sachen, unbewegliche Sachen (Liegenschaften) oder Forderungen bzw „sonstige vermögenswerte Rechte” in Exekution gezogen werden.
Geldforderungen
a) Zur Exekution auf Liegenschaften stehen als Exekutionsmittel die zwangsweise Pfandrechtsbegründung, die Zwangsverwaltung und die Zwangsversteigerung zur Verfügung.
Exekution auf Liegenschaften
Zwangsweise Pfandrechtsbegründung (§§ 87 ff EO):
Besonderheit bei der zwangsweisen Pfandrechtsbegründung ist, dass sie nicht zur Befriedigung der Forderung des betreibenden Gläubigers führt. Ihr Ziel ist die Begründung eines Pfandrechts an einer Liegenschaft des Verpflichteten zugunsten der vollstreckbaren Forderung. Das Pfandrecht sichert die spätere Befriedigung der vollstreckbaren Forderung im Rang der Einverleibung des Pfandrechts.
Zwangsweise Pfandrechtsbegründung
Der Vollzug der Exekution erfolgt durch Einverleibung des Pfandrechts im Grundbuch (Lastenblatt) bei der Liegenschaft. Eingetragen wird dabei zusätzlich, dass das Pfandrecht zugunsten einer vollstreckbaren Forderung besteht. Diese Eintragung bewirkt, dass die Vollstreckung auch gegen jeden späteren Erwerber der Liegenschaft möglich wird (§ 88 Abs 1 EO). Bei einem bereits bestehenden vertraglichen Pfandrecht, braucht nur mehr die Vollstreckbarkeit der Forderung angemerkt zu werden (§ 89 EO). Die Wirkung der zwangsweisen Pfandrechtsbegründung wird nur dadurch etwas eingeschränkt, dass bei Konkurs- oder Ausgleichseröffnung über das Vermögen des Verpflichteten innerhalb von 60 Tagen nach dessen Begründung das Pfandrecht erlischt (§ 12 KO, § 12 AO).
Zwangsverwaltung (§§ 97 ff EO):
Ziel der Zwangsverwaltung ist, die Forderung, wegen der Exekution geführt wird, aus den Erträgnissen der Verwaltung einer Liegenschaft oder eines Liegenschaftsteils des Verpflichteten zu befriedigen.
Zwangsverwaltung
Nach Bewilligung der Exekution ist die Zwangsverwaltung im Grundbuch (Lastenblatt) anzumerken. Der Rang des betreibenden Gläubigers vor allen später hinzukommenden Gläubigern und Personen, die Rechte an der Liegenschaft erwerben, richtet sich nach dem Einlangen des Ersuchens auf Vollzug der Anmerkung beim Grundbuchsgericht (§ 104 Abs 1 EO). Der Verpflichtete darf für die Dauer der Zwangsverwaltung weder über Erträge der Liegenschaft verfügen noch Verwaltungshandlungen vornehmen (§ 99 Abs 1 EO).
Das Exekutionsgericht wählt (primär aus bei den Landesgerichten geführten Verwalterlisten (§ 106 Abs 1 EO) einen geeigneten Zwangsverwalter aus, ernennt ihn und gelobt ihn an. Die Befugnisse des Verwalters umfassen alle Tätigkeiten, welche für die Verwaltung erforderlich sind (§§ 109 – 111 EO). Nur für Maßnahmen die über den ordentlichen Wirtschaftsbetrieb hinausgehen oder von besonderer Wichtigkeit sind (zB Abschluss eines langfristigen Mietvertrags) bedarf er der gerichtlichen Genehmigung (§ 112 EO). Dem Gericht obliegt ansonsten nur die Überwachung (allenfalls auch die Enthebung: § 114 Abs 3 EO) des Verwalters. Dieser hat, falls vom Gericht nichts anderes bestimmt wird, jährlich und am Ende der Zwangsverwaltung Rechnung zu legen (§ 115 Abs 1 EO). Über die Genehmigung der Rechnungslegung und die Entlohnung des Verwalters ist nach einer mündlichen Tagsatzung zu entscheiden.
Die Verteilung der mit der Verwaltung erwirtschafteten Überschüsse nimmt das Gericht idR nach jeder Rechnungsperiode und Durchführung einer Verteilungstagsatzung mittels Verteilungsbeschluss nach der in der EO (§§ 124 – 126) festgelegten Rangordnung vor.
Wenn sämtliche Forderungen, zu deren Hereinbringung die Zwangsverwaltung bewilligt wurde, getilgt sind, ist die Zwangsverwaltung einzustellen.
Zwangsversteigerung (§§ 133 ff EO):
Bei der Zwangsversteigerung soll die Forderung, wegen der Exekution geführt wird, aus dem Erlös der Verwertung (Verkauf) einer Liegenschaft des Verpflichteten getilgt werden.
Zwangsversteigerung
Mit der Exekutionsbewilligung ist die Anmerkung der Einleitung des Versteigerungsverfahrens im Grundbuch (Lastenblatt) anzuordnen, womit dem betreibenden Gläubiger Vorrang vor allen später erworbenen Rechten an der Liegenschaft gesichert wird. Gläubiger, die bereits früher dingliche Recht an der Liegenschaft erworben haben (zB Hypothekargläubiger) gehen dem betreibenden Gläubiger jedoch im Rang vor.
Danach hat das Gericht die Schätzung der Liegenschaft sowie die Schätzung und Beschreibung des Zubehörs der Liegenschaft durch einen Sachverständigen anzuordnen. Dazu ist ein „Schätzungstermin” (auf der Liegenschaft) anzusetzen, zu dem die Parteien sowie alle bekannten Personen, welche dingliche Rechte an der Liegenschaft haben, zu laden sind (§ 140 EO). Regeln für die Schätzung sind im Liegenschaftsbewertungsgesetz (LBG 1992, BGBl 150) festgelegt. Alle Beteiligten können innerhalb einer vom Gericht festgesetzten Frist Einwendungen gegen den Schätzwert vorbringen (§ 144 EO).
Schätzung
Nach Ablauf der Einwendungsfrist wird der Versteigerungstermin vom Gericht festgelegt (§ 169 EO) und zusammen mit Versteigerungsort, Vadium, Daten zum Exekutionsobjekt, allfälligen Änderungen (§ 146 EO) der gesetzlich vorgesehenen Versteigerungsbedingungen und weiteren Informationen (näheres in §§ 170, 170a EO) mittels eines sog Versteigerungsedikts per Internet in der Ediktsdatei öffentlich bekanntgemacht.
Versteigerungsedikt
Beim Vadium handelt es sich um eine Sicherheitsleistung in Höhe von 10 % des Schätzwertes der Liegenschaft, die spätestens vor Erteilung des Zuschlags vom Meistbietenden bei Gericht zu hinterlegen ist (§ 148 EO).
Vadium
Der Mindestpreis (geringstes Gebot) beträgt die Hälfte des Schätzwertes (§ 151 EO), soweit nicht ausnahmsweise ein höherer Betrag festgelegt wird. Niedrigere Gebote dürfen bei der Versteigerung nicht berücksichtigt werden.
Geringstes Gebot
Der Versteigerungstermin ist eine öffentliche Tagsatzung, deren Leitung dem Richter vorbehalten ist (§ 177 EO). Nach Bekanntgabe der wesentlichen Informationen und der Erteilung verlangter Auskünfte (§ 178 EO) erfolgt die Aufforderung zum Bieten, welche die eigentliche Versteigerung einleitet. Der Verpflichtete und dessen Vertreter, Richter, Schriftführer und Ausrufer dürfen nicht mitbieten (§ 177 EO). Sobald keine höheren Gebote mehr abgegeben werden, hat der Richter die Versteigerung zu schließen.
Versteigerungstermin
Der Meistbietende hat, soweit dies noch nicht geschehen ist, auf Aufforderung des Richters das Vadium zu erlegen. Die Anwesenden sind sodann vom Richter über die Möglichkeit eines Widerspruchs gegen den Zuschlag und die Gründe für einen solchen (§ 181 EO) zu belehren. Anschließend ist – allenfalls nach Entscheidung über einen Widerspruch – der Zuschlag zu erteilen oder zu verweigern. Das Meistbot ist innerhalb von zwei Monaten ab Rechtskraft der Zuschlagserteilung vom Ersteher bei Gericht zu erlegen (§ 152 Abs 1 EO).
Eine Besonderheit ist, dass der Ersteher mit dem Zuschlag (konstitutiv) ohne Grundbucheintragung Eigentum an der Liegenschaft erwirbt.
Eigentumserwerb
Zusätzlich zum Widerspruch kann der Meistbotsverteilungsbeschluss natürlich auch mit Rekurs bekämpft werden. Widerspruchsgründe (§ 184 EO – taxativ) können aber nur von solchen Personen mit Rekurs geltendgemacht werden, die (erfolglos) Widerspruch erhoben haben.
Rechtsmittel
Beträgt das Meistbot weniger als drei Viertel des Schätzwerts, kann die Versteigerung dadurch nachträglich unwirksam gemacht werden, dass innerhalb von 14 Tagen ab öffentlicher Bekanntmachung des Zuschlags ein Überbot gestellt wird, welches das Meistbot um mindestens ein Viertel übersteigt. Der Ersteher kann den Überbieter noch dadurch ausstechen, dass er selbst sein Meistbot auf den Betrag des Überbots erhöht.
Überbot
Falls der Ersteher das Meistbot nicht rechtzeitig oder nicht ordnungsgemäß entrichtet, kommt es zu einer Wiederversteigerung (§§ 154 f EO).
Zur Befriedigung des betreibenden Gläubigers kommt es schließlich durch die Verteilung des Meistbots. Das Gericht beraumt dazu eine Tagsatzung an (§ 209 EO). Gläubiger, die Anspruch auf Berücksichtigung bei der Verteilung erheben, haben ihre Forderungen bis 14 Tage vor der Tagsatzung anzumelden (§ 210 EO).
Meistbotsverteilung
In der Meistbotsverteilungstagsatzung steht den Beteiligten ein Widerspruchsrecht gegen im Rang vor ihren Ansprüchen stehende Forderungen zu (§ 213 EO). Falls kein Einverständnis bezüglich des Widerspruchs erzielt werden kann und nach Anhörung der Anwesenden die Entscheidung über den Widerspruch noch von der Ermittlung und Feststellung streitiger Tatumstände abhängt, ist der Widersprechende auf den Rechtsweg zu verweisen (§ 231 EO), dh die Widerspruchsgründe sind mit Klage in einem streitigen Verfahren (beim Exekutionsgericht) geltend zu machen.
Widerspruch
Aufgrund der Ergebnisse der Verteilungstagsatzung ist mittels eines Meistbotsverteilungsbeschlusses (§ 229 EO) das Meistbot in der durch die EO (§ 216 ff) vorgegebenen Rangordnung zuzuweisen. Der Vollzug des Verteilungsbeschlusses durch Ausfolgung der Beträge erfolgt nach dessen Rechtskraft. Schließlich ist noch das Grundbuch auf den Stand der Ergebnisse des Zwangsversteigerungsverfahrens zu bringen (§ 237 EO).
Meistbotsverteilungsbeschluss
b) Exekution auf bewegliche körperliche Sachen (Fahrnisexekution) erfolgt durch gerichtliche Pfändung und öffentliche Zwangsversteigerung. (Davon zu unterscheiden ist die rechtsgeschäftliche Ver -pfändung!)
Fahrnisexekution
Der Exekutionsvollzug liegt in der Verantwortung des Gerichtsvollziehers, und ist grundsätzlich (aber ohne absolute Bindung) an dem in der Exekutionsbewilligung angeführten Vollzugsort vorzunehmen. Ist der Vollzug nicht auf Anhieb erfolgreich, sind weitere Vollzugsversuche möglich. Wenn die Vollzugsversuche endgültig erfolglos oder nicht ausreichend erfolgreich waren, tritt eine Sperrfrist von sechs Monaten bis zu möglichen neuerlichen Vollzugshandlungen ein (§§ 252h und 252i EO).
Die Pfändung selbst erfolgt durch Aufnahme der gepfändeten Gegenstände samt Beschreibung in ein Pfändungsprotokoll (§ 253 EO); der betreibende Gläubiger erwirbt dadurch ein Pfändungspfandrecht an den Sachen und der Verpflichtete verliert seine Befugnis, über sie zu verfügen. Das Anbringen von Pfändungsmarken („Kuckuck”) ist nicht erforderlich.
Pfändung
Gegenstand der Pfändung können Sachen sein, die sich in der Gewahrsame des Verpflichteten befinden (§ 253 Abs 1 EO) oder Sachen des Verpflichteten, welche sich in der Gewahrsame eines zur Herausgabe bereiten Dritten befinden (§ 262 EO). Eine Reihe von für den Verpflichteten als unentbehrlich angesehenen Gegenständen sind nach der EO (§§ 250, 251) jedoch unpfändbar.
Bei der Pfändung vorgefundenes Bargeld ist vom Vollstreckungsorgan in Verwahrung zu nehmen und, wenn nur zugunsten eines betreibenden Gläubiger gepfändet wird, diesem gegen Übernahmebestätigung auszuhändigen, ansonsten bei Gericht zu hinterlegen (§ 261 EO).
Auf Antrag des betreibenden Gläubigers können die gepfändeten Sachen in Verwahrung genommen werden.
Nach Feststellung des Schätzwerts durch einen Sachverständigen (§ 275 EO), erfolgt die Verwertung der gepfändeten Sachen idR durch Verkauf in Form einer öffentlichen Versteigerung in einer (gerichtlichen) Auktionshalle oder einem Versteigerungshaus, ausnahmsweise durch Freihandverkauf (§ 268 EO: Sachen mit Börsenpreis, § 280 Abs 2 EO: bei Versteigerung unverkauft gebliebene Sachen). Mindestpreis ist das geringste Gebot, welches die Hälfte des Schätzwerts beträgt (§ 277 EO).
Verwertung
Wenn keine weiteren Gläubiger außer dem betreibenden Gläubiger betroffen sind, erfolgt die Verteilung des (Verkaufs)Erlöses, indem diesem der Erlös im Ausmaß der vollstreckbaren Forderung (samt Kosten) zugewiesen wird. Ansonsten kommt es zu einem Verteilungsverfahren mit einer Verteilungstagsatzung (§ 285 EO), in dem mittels eines Verteilungsbeschlusses den zu berücksichtigenden Gläubigern der Erlös nach der gesetzlich festgelegten Rangordnung (§ 285 Abs 2 EO) zugewiesen wird.
Bleibt der Vollzug endgültig erfolglos oder ist klar ersichtlich, dass der zu erwartende Erlös der gepfändeten Sachen unzulänglich sein wird, so hat der Verpflichtete ein Vermögensverzeichnis vorzulegen, das eine detailliert Auflistung aller seiner Vermögensbestandteile zu enthalten hat (§ 47 Abs 2 EO). Bei Verweigerung der Vorlage oder Unterzeichnung eines Vermögensverzeichnisses kann Beugehaft bis zu 6 Monaten verhängt werden (§ 48 EO). Die Unterfertigung eines falschen oder unvollständigen Vermögensverzeichnisses ist strafbar (§ 292a StGB).
Vermögensverzeichnis
c) Mit der Exekution (wegen einer Geldforderung) auf Geldforderungen (Forderungsexekution) soll dem betreibenden Gläubiger die Befriedigung seiner vollstreckbaren Forderung durch Zugriff auf eine Geldforderung des Verpflichteten gegen eine dritte Person (Drittschuldner) ermöglicht werden.
Forderungsexekution
Die Exekution erfolgt durch ein Doppelverbot: Dem Drittschuldner wird vom Gericht verboten, an den Verpflichteten zu leisten ( Zahlungsverbot), dem Verpflichteten, über seine Forderung gegenüber dem Drittschuldner zu verfügen ( Verfügungsverbot).
Zahlungs- und Verfügungsverbot
Die Pfändung ist durch die Zustellung des Zahlungsverbots an den Drittschuldner bewirkt (Sicherung der Rangordnung).
Der Drittschuldner muss innerhalb von vier Wochen ab Zustellung des Zahlungsverbots eine Drittschuldnererklärung abgeben, welche hauptsächlich relevante Daten über die gepfändete Forderung (Existenz der Forderung, Bedingtheit, Abtretung durch Schuldner, Pfandrechte anderer Gläubiger, bekannte Unterhaltspflichten des Verpflichteten) zu enthalten hat (§ 301 Abs 1 EO). Den Drittschuldner trifft eine Haftung für Schäden, die dem betreibenden Gläubiger dadurch entstehen, dass er dieser Pflicht schuldhaft überhaupt nicht, vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtig oder unvollständig erfüllt, außerdem drohen ihm Kostenfolgen (§ 301 Abs 3 EO).
Drittschuldnererklärung
Die Verwertung geschieht durch Überweisung zur Einziehung, Überweisung an Zahlungsstatt oder – unter bestimmten Voraussetzungen – durch sonstige Verwertungsarten (§ 317 ff EO).
Üblicherweise erfolgt die Verwertung durch Überweisung zur Einziehung. Wurde dem betreibenden Gläubiger die Forderung zur Einziehung überwiesen, berechtigt ihn dies zur Eintreibung der Forderung bis hin zur Einklagung, nicht jedoch zu sonstigen Verfügungen über die Forderung (zB Erlass). Muß der betreibende Gläubiger die Forderung gegen den Drittschuldner mit Klage geltendmachen (Drittschuldnerklage), wirkt das Urteil in diesem Prozess auch für bzw gegen alle anderen betreibenden Gläubiger, zu deren Gunsten die Forderung gepfändet wurde. Mit der Zahlung des Drittschuldners erlischt sowohl die Forderung des Verpflichteten als auch jene des betreibenden Gläubigers.
Verwertung
Bei der in der Praxis seltenen Überweisung an Zahlungsstatt geht die Forderung auf den betreibenden Gläubiger über und er trägt auch die Gefahr ihres Bestands und ihrer Einbringlichkeit.
In dem praktisch sehr bedeutenden Fall der Lohn- und Gehaltsexekution besteht die Besonderheit, dass der betreibende Gläubiger den Drittschuldner (Arbeitgeber) im Exekutionsantrag nicht nennen muss. Wenn er das Geburtsdatum des Verpflichteten angibt, stellt das Gericht durch Anfrage an den Hauptverband der Sozialversicherungsträger den Drittschuldner fest (Drittschuldneranfrage, § 294a EO). Die Pfändung erstreckt sich auch auf die künftig fällig werdenden Arbeitsentgelte.
Lohn- und Gehaltsexekution
Kann kein Arbeitgeber ausfindig gemacht werden oder führt die Exekution nicht innerhalb eines Jahres zur Tilgung der Forderung, hat der Verpflichtete ein Vermögensverzeichnis vorzulegen (§ 47 Abs 2 Z 1 EO).
Der Lebensunterhalt des Verpflichteten wird dadurch gesichert, dass das Gesetz bestimmte Forderungen für unpfändbar oder beschränkt pfändbar erklärt. Unpfändbar sind beispielsweise Familienbeihilfe, Stipendien, Pflegegeld und Karenzurlaubsgeld (vgl § 290 EO), wobei allerdings eine Beihilfe ausnahmsweise für deren bestimmungsmäßigen Zweck gepfändet werden kann (zB Kindergeld für Unterhaltsforderung).
Pfändungsbeschränkung
Beschränkt pfändbar sind Arbeitsentgelt, Pension, Arbeitslosengeld, Forderungen auf gesetzlichen Unterhalt usw (vgl § 290a EO). Die Regelung ist derart, dass ein unpfändbarer Freibetrag festgelegt ist, der dem Verpflichteten zu verbleiben hat. Dieser wird jährlich angepasst.
Der Grundbetrag für den unpfändbaren Freibetrag (653 ı pro Monat für das Jahr 2004) erhöht sich für jede Person, für die der Verpflichtete gesetzlichen Unterhalt zu leisten hat, aber auch, falls er kein 14. bzw 13. Monatsgehalt erhält bis maximal auf das Vierfache des Grundbetrags (§ 291a EO); er verringert sich auf 75 %, wenn wegen einer Unterhaltsforderung Exekution geführt wird (§ 291b EO). Zusätzlich besteht die Möglichkeit, dass das Exekutionsgericht auf Antrag das Existenzminimum aus bestimmten in der EO angeführten Gründen erhöht (§ 292a) oder herabsetzt (§ 292b).
d) Die EO sieht zur Hereinbringung von Geldforderungen weiters die „Exekution auf Ansprüche auf Herausgabe und Leistung körperlicher Sachen” (§§ 325 ff EO) sowie die „Exekution auf andere Vermögensrechte” (§§ 330 ff EO; zB Patentrechte, Rechte an Internet Domains) vor, wobei Ziel immer die „Versilberung” der Sachen oder Rechte und Verteilung des Erlöses oder die Schuldtilgung aus Erträgnissen ist.
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2. Exekution zur Erwirkung von Handlungen und Unterlassungen
Unter dieser Überschrift regelt die EO die Vollstreckung einiger unterschiedlicher Verpflichtungen.
a) Hat der Verpflichtete aufgrund eines Exekutionstitels bestimmte Sachen an den betreibenden Gläubiger herauszugeben oder zu leisten, erfolgt die Vollstreckung dermaßen, dass sie dem Verpflichteten vom Gerichtsvollzieher abgenommen und dem betreibenden Gläubiger gegen Empfangsbestätigung übergeben werden (§ 346 ff EO).
b) Schuldet der Verpflichtete eine vertretbare Handlung, kann sie der Gläubiger durch andere vornehmen lassen und die Kosten beim Verpflichteten im Weg der Exekution wegen Geldforderungen (→ Exekution wegen Geldforderungen) eintreiben (§ 353 EO).
c) Die Exekution zur Durchsetzung unvertretbarer Handlungen (§ 354 EO) wird mittels Androhung der Verhängung von Beugestrafe und, falls dies nicht zum Erfolg führt, durch deren Verhängung durchgeführt.
Zur Beugung des Willens des Verpflichteten dienen Geldstrafen (höchstens 100.000 ı je Strafantrag), allenfalls sogar Haftstrafen (bis zu zwei Monaten je Strafantrag), wobei zuerst immer mildere und erst in weiterer Folge strengere Strafen anzudrohen und zu verhängen sind. Die Bemessung der Strafhöhe hängt vom der Beurteilung des Verhaltens des Verpflichteten und dessen Leistungsfähigkeit ab (§ 355 Abs 1 EO). Die eingehobenen Geldstrafen erhält nicht der betreibende Gläubiger, sie fließen der Republik Österreich zu. Die Höhe verhängter Strafen kann mit Rekurs bekämpft werden. Der Verpflichtete kann vor der Bewilligung der Exekution einvernommen werden (§ 358 EO).
d) Für die Exekution zur Erwirkung von Duldungen und Unterlassungen (§ 355 ff EO) gilt großteils dasselbe, wie bei jener wegen unvertretbarer Handlungen. Der betreibende Gläubiger muss jedoch für jede Zuwiderhandlung gegen den Exekutionstitel einen Strafantrag stellen, der eine genaue Beschreibung der beanstandeten Handlung des Verpflichteten zu enthalten hat, damit vom Gericht beurteilt werden kann, ob tatsächlich dem Exekutionstitel zuwidergehandelt wurde.
Unterlassungsexekution
Die Strafen werden bei jedem Verstoß gegen den Exekutionstitel auf Antrag sofort verhängt, es erfolgt keine Androhung einer Strafe.
Dass nicht gegen den Exekutionstitel verstoßen wurde, muss mittels Impugnationsklage geltendgemacht werden.
e) Weitere besondere Regelungen bestehen für die Überlassung und Räumung von unbeweglichen Sachen (§ 349 EO) die Einräumung und der Aufhebung bücherlicher Rechte (§ 350 EO), die Aufhebung einer Gemeinschaft und die Grenzberichtigung (§ 351 EO) sowie für die Versteigerung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft (§ 352 ff EO).
f) Ein Exekutionstitel, der zur Abgabe einer Willenserklärung verpflichtet (zB Aufsandungserklärung), ersetzt diese Willenserklärung und braucht daher nicht vollstreckt zu werden (§ 367 EO).
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VIII. Vollstreckung aufgrund ausländischer Exekutionstitel
In den §§ 79 ff EO sind die Voraussetzungen normiert, unter denen ausländische Exekutionstitel anerkannt und vollstreckt werden können. Diese Regelungen gelten nur, soweit nicht aufgrund von EU-Recht oder Staatsverträgen davon abweichende Regelungen bestehen (besonders zu erwähnen sind EuGVVO, EheVO, Lugano-Übereinkommen und EUGVÜ).
Ausländische Exekutionstitel sind nur dann vollstreckbar, wenn sie für Österreich für vollstreckbar erklärt wurden. Nach der Vollstreckbarerklärung sind sie inländischen Exekutionstiteln gleichgestellt und wie diese durchzusetzen.
Vollstreckbarerklärung
Voraussetzungen für die Vollstreckbarerklärung sind die Vollstreckbarkeit in jenem Staat, aus dem der Exekutionstitel stammt, und das Vorliegen von durch Staatsvertrag oder Verordnung verbürgter Gegenseitigkeit mit diesem Staat. Weiters ist es erforderlich, dass – bei fiktiver Anwendung der österreichischen Zuständigkeitsnormen – irgendeine Behörde in jenem Staat, aus dem der Titel stammt, zur Schaffung dieses Titels zuständig war und dass die verfahrenseinleitende Verfügung dem Verpflichteten zu eigenen Handen zugestellt wurde. Die Rechtskraft einer ausländischen Entscheidung ist nicht erforderlich. Die Vollstreckbarerklärung darf jedoch auch bei Vorliegen der eben genannten Voraussetzungen nicht erfolgen, wenn dem Verpflichteten im Titelverfahren kein rechtliches Gehör gewährt worden ist, wenn der zu vollstreckende Anspruch gegen den österreichischen ordre public verstößt oder wenn eine Handlung erzwungen werden soll, die in Österreich entweder überhaupt unerlaubt oder nicht erzwingbar ist.
Zum Verfahren ist zu erwähnen, dass der Exekutionsantrag bereits mit dem Antrag auf Vollstreckbarerklärung verbunden werden kann. Über diese Anträge wird grundsätzlich ohne vorhergehende mündliche Verhandlung und ohne Anhörung des Verpflichteten entschieden. Mit dem Exekutionsvollzug ist trotzdem bereits vor Rechtskraft der Vollstreckbarerklärung zu beginnen, eine Verwertung darf jedoch erst nach deren Rechtskraft erfolgen. Auf Antrag kann das Gericht das Vollstreckbarerklärungsverfahren bis zum Eintritt der Rechtskraft des ausländischen Titels unterbrechen (§ 84 Abs 5 EO).
Gegen die Vollstreckbarerklärung kann Rekurs innerhalb eines beziehungsweise zweier Monate erhoben werden. Der Rekurs ist zweiseitig und es dürfen darin Neuerungen (nämlich solche neuen Tatsachen, die zur Verweigerung der Vollstreckbarerklärung führen können) vorgebracht werden (§ 84 Abs 2 EO). Die Anrufung des OGH ist erleichtert (§ 84 Abs 4 EO).
Rekurs
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IX. Exekution zur Sicherstellung
Literaturquelle
Mit der Exekution zur Sicherstellung (Sicherstellungsexekution) wird die Sicherung bestimmter noch nicht vollstreckbarer Ansprüche ermöglicht, deren Einbringung ansonsten – wie die EO formuliert (§ 370) – „vereitelt oder erheblich erschwert würde”. Es ist insbesondere weder der Eintritt der Rechtskraft des Titels noch der Ablauf der Leistungsfrist notwendig.
Die Möglichkeit der Sicherstellungsexekution besteht nur für einen sehr beschränkten Kreis möglicher Exekutionstitel, nämlich für Endurteile und Zahlungsaufträge von Zivilgerichten und gerichtliche Beschlüsse in Außerstreitsachen und auch das bloß dann, wenn sie Geldforderungen betreffen.
Voraussetzungen
Voraussetzung für die Bewilligung der Sicherstellungsexekution ist, dass der betreibende Gläubiger glaubhaft macht, dass eine (objektive) Gefahr für die Einbringlichkeit der Forderung besteht. Ausdrücklich genannt (§ 370 EO) ist der Fall, dass eine Vollstreckung im Ausland erforderlich würde. Dies gilt aber nicht für die Vollstreckung in EU-Staaten und den Mitgliedsstaaten des Lugano-Übereinkommens. Für wichtige Fälle gewährt das Gesetz aber eine Ausnahme von der Notwendigkeit der Glaubhaftmachung der Gefahr und zwar entweder generell (§ 371 EO) oder für den Fall dass der betreibende Gläubiger eine vom Gericht festzulegende Sicherheitsleistung gerichtlich hinterlegt (§ 371a EO).
Die zur Verfügung stehenden Exekutionsmittel sind wesentlich eingeschränkt (§ 374 EO): Es stehen nur die Pfändung von beweglichen Sachen, die Vormerkung eines Pfandrechts auf Liegenschaften, die Zwangsverwaltung und die Pfändung von Forderungen zur Verfügung.
Exekutionsmittel
Für den betreibenden Gläubiger beinhaltet die Sicherstellungsexekution das Risiko, dass dann, wenn sie aus den in § 376 Abs 1 Z 1, 3 oder 4 EO genannten Gründen aufgehoben wird, der betreibende Gläubiger dem Verpflichteten alle entstandenen Kosten und Schäden zu ersetzen hat.
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X. Einstweilige Verfügungen
Literaturquelle
Der einstweilige Rechtsschutz in Form der einstweiligen Verfügungen (eV) ist ein wesentlicher Bestandteil eines Systems zur Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes. EV ermöglichen bereits vor Einleitung eines Rechtsstreits, während eines solchen und (theoretisch) sogar während eines Exekutionsverfahrens Rechtsschutz gegen anspruchsbeeinträchtigende Maßnahmen und schaffen damit häufig die Grundlage dafür, dass der gerichtlich Rechtsschutz nicht zu spät kommt. Die Parteien des Verfahrens werden gefährdete Partei und Gegner der gefährdeten Partei genannt.
EV sind zwar in der Exekutionsordnung (EO) geregelt (§§ 378 ff), sie gehören systematisch jedoch nicht zum Exekutionsverfahren; es geht bei ihrer Erlassung nicht um die Vollstreckung eines Exekutionstitels.
Einstweilige Verfügungen können zur vorläufigen Sicherung von Leistungsansprüchen (Sicherungsverfügungen: § 379 und § 381 Z 1 EO) erlassen werden, wenn die Gefahr besteht, dass die gefährdete Partei ein ihr zustehendes Recht ansonsten nicht mehr (rechtzeitig) verwirklichen kann. Darüberhinaus dienen eV zur vorläufigen Regelung von streitigen Rechtsverhältnissen (Regelungsverfügung: § 381 Z 2 EO), die bis zur vorläufigen Befriedigung von Ansprüchen gehen kann, wobei Voraussetzung ist, dass die eV zur Verhütung drohender Gewalt oder zur Abwendung eines drohenden unwiederbringlichen Schadens erforderlich ist.
Sicherungs- und Regelungsverfügungen
Die Voraussetzungen für die Erlassung einer einstweiligen Verfügung, nämlich das Bestehen des (gefährdeten) Anspruchs oder eines regelungsbedürftigen Rechtsverhältnisses und einer Gefahr, müssen nicht bewiesen, sondern nur glaubhaft gemacht werden; das bedeutet, dass dem Gericht nur die Wahrscheinlichkeit der Anspruchsvoraussetzungen nachzuweisen ist. Wenn der dem Gegner der gefährdeten Partei durch die einstweilige Verfügung drohende Schaden durch Geld ausgeglichen werden kann, kann die Bescheinigung des Anspruchs sogar durch Hinterlegung einer Sicherheitsleistung ersetzt werden.
Voraussetzungen für das Erlassen einer eV
Voraussetzung der Erlassung einer eV zur Sicherung von Geldforderungen ist das Vorliegen einer „subjektiven Gefahr”, was bedeutet, dass die Gefährdung der Anspruchserfüllung der Einflusssphäre des Gegners der gefährdeten Partei zuzurechnen sein muss. Bei „Nicht-Geld-Ansprüchen” reicht das Vorliegen einer konkreten (nicht nur theoretischen) objektiven Gefahr aus.
Für alle eV gilt, dass sie nur für einen bestimmten Zeitraum erlassen werden (häufig bis zur Rechtskraft der Entscheidung im erst einzuleitenden oder parallel laufenden Erkenntnisverfahren), sich im Rahmen des zu sichernden Anspruchs halten müssen (bei Regelungsverfügungen ist dieses Kriterium nur beschränkt zutreffend) und nicht in die Rechte Dritter eingreifen dürfen.
Zur Sicherung von Geldforderungen steht nur eine beschränkte Auswahl von Sicherungsmitteln zur Verfügung; diese sind in § 379 EO abschließend aufgezählt: Verwahrung und Verwaltung beweglicher Sachen, Veräußerungs- und Verpfändungsverbot für bewegliche Sachen; Drittverbot betreffend Forderungen, Verwaltung von Liegenschaften, Veräußerungs- und Belastungsverbot bezüglich Liegenschaften. Eine eV zur Sicherung von Geldforderungen darf nicht erlassen werden, wenn Sicherstellungsexekution möglich ist (§ 379 Abs 1 EO).
Sicherungsmittel
Der Katalog der Sicherungsmittel für sonstige Ansprüche ist nicht beschränkt; § 382 EO enthält nur eine beispielhafte Aufzählung (Hinterlegung oder Verwaltung von Sachen, Ver- oder Gebot eines bestimmten Verhaltens an den Gegner der gefährdeten Partei usw).
Besondere Bestimmungen innerhalb der Regelungsverfügungen bestehen im Familienbereich zur Sicherung und einstweiligen Befriedigung von Unterhaltsansprüchen (§§ 382 Abs 1 Z 8 lit a, § 382a EO), zur Sicherung eines dringenden Wohnbedürfnisses (§ 382 Abs 1 Z 8 lit c EO), zum Schutz vor Gewalt in der Familie (§§ 382b ff EO) und – ab 1.1.2005 – zur Auferlegung eines einstweiligen Mietzinses (§ 382f EO).
Sicherung im Familienbereich
EV sind immer mit Rekurs bekämpfbar. Für den Rekurs gilt jedoch das Neuerungsverbot. Das Rekursverfahren ist, wenn ein Beschluss über den Verfügungsanspruch bekämpft wird, ausnahmsweise zweiseitig. Die Anrufung des OGH ist möglich. Da eV im Regelfall erlassen werden, ohne den Antragsgegner vorher zu hören, ist der Rekurs zur Wahrung der Rechte des Gegners der gefährdeten Partei nicht ausreichend. Deshalb steht ihm dafür ein besonderer Rechtsbehelf, der Widerspruch (§ 397 EO), offen, mit dem die Gewährung des rechtlichen Gehörs nachgeholt wird. Es besteht kein Neuerungsverbot. Auf Grund des Widerspruchs kommt es vor dem Gericht, das die eV erlassen hat (also in erster Instanz) zu einer mündlichen Verhandlung.
Rekurs und Widerspruch
Wurde eine eV zu Unrecht erlassen, trifft die gefährdete Partei eine äußerst strenge Haftung für alle dem Gegner entstandenen Schäden, und zwar unabhängig davon, ob sie ein Verschulden trifft (§ 394 EO). Dafür steht auch eine von der gefährdeten Partei allenfalls zu erlegende Sicherheitsleistung (§ 390 EO) zur Verfügung.
In einigen Rechtsmaterien (zB im Wettbewerbsrecht) bestehen für eV von jenen der EO teilweise abweichende Regelungen.
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H. Insolvenzrecht
Von Herbert Fink
I. Allgemeines
Literaturquelle
Wenn Schuldner ihre gesetzlichen oder vertraglichen Verpflichtungen nicht freiwillig erfüllen, kann jeder Gläubiger seine Forderung im hiefür vorgesehenen Erkenntnisverfahren (Zivilprozess, Außerstreitverfahren etc) geltend machen und seine Ansprüche notfalls im Exekutionsverfahren durchsetzen. Solange über den Schuldner kein Insolvenzverfahren behängt, handelt somit jeder Gläubiger für sich, zwischen mehreren betreibenden Gläubigern entscheidet das Zuvorkommen; Prioritätsprinzip: prior tempore, potior iure.
Dieses Modell versagt jedoch, wenn der Schuldner wegen seiner schlechten finanziellen Lage nicht mehr im Stande ist, alle seine Gläubiger zu befriedigen. In dieser Situation tritt nach der Intention des Gesetzgebers das Insolvenzrecht auf den Plan: Dieses verdrängt die für den „Normalfall” vorgesehene Einzelrechtsverfolgung (im Konkurs zur Gänze, im Ausgleich teilweise) und setzt an deren Stelle ein System kollektiver Rechtsverfolgung unter gerichtlicher Aufsicht; dieses zielt auf die gleichmäßige Befriedigung der unbesicherten Gläubiger ab (par condicio creditorum).
Ziele des Insolvenzrechts
1. Zwecke des Insolvenzrechts
Die (gleichmäßige) Befriedigung der Gläubiger ist nur ein – freilich bedeutsamer – Zweck des Insolvenzrechts. Ein weiteres Verfahrensziel, das in der jüngeren Entwicklung stark an Bedeutung gewonnen hat, ist die Sanierung insolventer Unternehmen und damit die Sicherung von Arbeitsplätzen. Aber auch dem Problem der wachsenden Verbraucherverschuldung ist der Gesetzgeber mit Mitteln des Insolvenzrechts zu Leibe gerückt. Hiezu stellt die Konkursordnung (KO) besondere Sanierungsinstrumente für zahlungsunfähige natürliche Personen bereit; sog „Privatkonkurs” → Privatkonkurs Die entsprechenden Spezialnormen (§§ 181 ff KO) sind zum Teil nur auf Privatschuldner zugeschnitten, zum Teil gelten sie auch für Einzelunternehmer.
Das österreichische Insolvenzrecht kennt zwei unterschiedlich ausgestaltete Verfahren, nämlich:
• das Konkursverfahren nach der KO und
• das Ausgleichsverfahren nach der Ausgleichsordnung (AO).
Das Konkursverfahren kann – je nach Einzelfall – unterschiedlich verlaufen:
Konkursverfahren
• Wenn eine Sanierung des Gemeinschuldners nicht möglich ist oder von diesem nicht angestrebt wird, kommt es zur Verwertung des schuldnerischen Vermögens ohne Rücksicht auf dessen wirtschaftliche Existenz. Der Verwertungserlös wird unter den Gläubigern verteilt und in weiterer Folge das Konkursverfahren aufgehoben. In der Praxis werden dabei nur bescheidene Konkursquoten für die unbesicherten Gläubiger erzielt. Der nicht abgedeckte Teil der Forderungen bleibt auch nach Konkursaufhebung weiterhin bestehen (Nachforderungsrecht der Gläubiger), ist jedoch im Regelfall wirtschaftlich weitgehend wertlos, weil nicht einbringlich.
Immerhin haben die Gläubiger, die am Konkursverfahren teilgenommen und ihre Forderungen angemeldet haben, die Möglichkeit, auf Grund der Eintragung in das Anmeldungsverzeichnis Exekution zu führen, wenn die Forderung im Konkurs festgestellt und auch vom Gemeinschuldner nicht bestritten wurde; Exekutionstitel nach § 1 Z 7 EO, § 61 KO.
• Das Konkursverfahren dient aber auch Sanierungszwecken: Jeder Gemeinschuldner kann im Laufe des Konkursverfahrens beantragen, dass ein Zwangsausgleich angenommen (und gerichtlich bestätigt) wird. Dabei bietet der Gemeinschuldner seinen unbesicherten Gläubigern an, innerhalb bestimmter Fristen eine bestimmte Quote ihrer Forderungen zu bezahlen; gesetzliche Mindestquote: 20 Prozent. Wenn die Gläubiger den Zwangsausgleich mit den erforderlichen Mehrheiten annehmen und das Gericht diesen bestätigt, reduzieren sich die unbesicherten Verbindlichkeiten des Schuldners auf die im Zwangsausgleich festgelegte Quote; der diese Quote übersteigende Teil der Schulden sinkt zu einer bloßen Naturalobligation ab→ KAPITEL 7: Naturalobligationen. Darin liegt ein teilweiser Forderungserlass. – Für natürliche Personen sieht der Konkurs alternativ weitere Sanierungsmöglichkeiten vor (Zahlungsplan, Abschöpfungsverfahren: → Das Abschöpfungsverfahren).
Zwangsausgleich
Das Ausgleichsverfahren nach der AO ist noch stärker als das Konkursverfahren auf die Sanierung des Schuldners bedacht. Ebenso wie im Zwangsausgleich bietet der Ausgleichsschuldner den unbesicherten Gläubigern eine bestimmte Quote an: Nämlich mindestens 40 Prozent, zahlbar in voraus festgelegten Fristen, die zwei Jahre nicht übersteigen dürfen. Darüber stimmen die Gläubiger ab. Kommt der Ausgleich zustande und wird er vom Schuldner erfüllt, so ist damit die Sanierung gelungen. Der die Quote übersteigende Teil der Verbindlichkeiten wird zur Naturalobligation. Daneben kennt die AO eine Vielzahl weiterer Maßnahmen, um die Sanierung insolventer Unternehmen zu begünstigen; zB eine Exekutionssperre, die Erhaltung in Bestand genommener Geschäftsräumlichkeiten oder der vorzeitige Ausstieg aus Bestand- und Arbeitsverträgen etc).
Ausgleichsverfahren
Vorteile für den Schuldner und die Gläubiger: Der Schuldner kann sich eines Teils seiner Schulden entledigen und sein Unternehmen sanieren. Aber auch für die Gläubiger ist ein Ausgleich dem Konkurs vorzuziehen: Erfahrungsgemäß schneiden die Gläubiger in einem Ausgleich – sofern dieser erfüllt wird – erheblich besser ab, als bei konkursmäßiger Liquidation des Vermögens. Ein weiterer Vorteil des Ausgleichsverfahrens liegt darin, dass dessen Kosten geringer sind als jene eines Konkursverfahrens. Außerdem werden die Dispositionsbefugnisse des Schuldners im Ausgleich weniger stark eingeschränkt.
Vorteile des Ausgleichsverfahrens
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2. Rechtzeitige Insolvenzeröffnung; Insolvenzprophylaxe; Unternehmensreorganisation
In den letzten Jahren stiegen die Insolvenzen sowohl in Österreich als auch international erheblich an. Dazu kommt, dass Insolvenzverfahren, wenn überhaupt, nur mit erheblicher Verspätung beantragt werden. Wird der Antrag dann endlich gestellt, ist es für eine Verfahrenseröffnung häufig bereits zu spät, weil kein die Verfahrenskosten deckendes Vermögen mehr vorhanden ist. Ein zentrales Anliegen des Gesetzgebers ist es daher, dafür zu sorgen, dass Insolvenzverfahren rechtzeitig eröffnet werden. Damit steigen die Chancen für die Befriedigung der Gläubiger, aber auch jene für die Sanierung des schuldnerischen Unternehmens.
Daneben forciert der Gesetzgeber auch die Insolvenzprophylaxe. Im Jahr 1997 wurde für Unternehmer die Möglichkeit geschaffen, bereits vor Eintritt der materiellen Insolvenz (Zahlungsunfähigkeit; Überschuldung) ein Reorganisationsverfahren zu beantragen. Dieses konnte sich freilich wegen seiner strukturellen Mängel in der Praxis nicht durchsetzen. Das URG 1997 ist bis heute „totes Recht” geblieben.
Insolvenzprophylaxe
Beachte: Das Reorganisationsverfahren nach dem URG 1997 ist kein Insolvenzverfahren im eigentlichen Sinn. Die Eröffnung eines Reorganisationsverfahrens setzt nämlich voraus, dass das betroffene Unternehmen noch nicht insolvent ist. Wir haben es daher mit einem Verfahren zur Insolvenzprophylaxe zu tun.
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3. Rechtstatsachen
Die praktische Bedeutung des Insolvenzrechts ist groß. Dies gilt insbesondere für wirtschaftliche Krisenzeiten. Im Jahr 2002 wurden 2864 Insolvenzverfahren über Unternehmen eröffnet, in 2417 Fällen wurden Insolvenzanträge mangels kostendeckenden Vermögens abgewiesen. Die Insolvenzverbindlichkeiten beliefen sich im Jahr 2002 auf 3,4 Mrd ı; Quelle: KSV 1870.
Insolvenzverfahren
Im selben Jahr wurden in Österreich 3234 Schuldenregulierungsverfahren (Privatkonkurse) eröffnet, 532 Anträge mussten mangels Masse abgewiesen werden. Die Insolvenzverbindlichkeiten der Privaten beliefen sich im Jahr 2002 auf 364 Mio ı. Die Zahl der Privatkonkurse steigt kontinuierlich.
Privatkonkurse
Besondere Bedeutung haben im Insolvenzverfahren die bevorrechteten Gläubigerschutzverbände: Kreditschutzverband von 1870; Alpenländischer Kreditorenverband; ISA. Diese haben die Aufgabe, die Interessen der Gläubiger außerhalb und im Insolvenzverfahren gebündelt wahrzunehmen. Zu diesem Zweck haben sie besondere Vorrechte im Insolvenzverfahren, insbesondere das Recht auf Akteneinsicht sowie ein Vertretungsrecht: Jeder Gläubiger kann sich im Insolvenzverfahren durch einen bevorrechteten Gläubigerschutzverband vertreten lassen. Die Gläubigerschutzverbände spielen vor allem bei der Abstimmung über Ausgleiche, Zwangsausgleiche oder Zahlungspläne eine bedeutende Rolle.
Gläubigerschutzverbände
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II. Der Konkurs
Rechtsquelle ist die Konkursordnung (KO), eingeführt durch Kaiserliche VO vom 10.12.1914 RGBl 337.
Seit 1.1.2000 werden Konkurseröffnungen ausschließlich in der Insolvenzdatei bekannt gemacht. Diese kann über Internet von jedermann ohne besondere Kosten abgerufen werden ( http://www.edikte.justiz.gv.at/ http://www.edikte.justiz.gv.at/ ).
1. Prinzipien des Konkursrechts
Ausgangspunkt jedes Konkursverfahrens ist die materielle Insolvenz des Schuldners. In dieser Situation sollen die Gläubiger, wenn schon nicht zur Gänze, so doch zumindest gleichmäßig befriedigt werden; sie bilden eine „Verlustgemeinschaft”. Im Zuge des Konkursverfahrens werden die Gläubiger aus dem gesamten der Exekution unterworfenen Vermögen des Schuldners gleichmäßig befriedigt. Das Konkursverfahren wird daher auch als ”besonders ausgestaltetes Vollstreckungsverfahren” bezeichnet. – Dazu tritt jedoch ein weiterer Verfahrenszweck: Das moderne Konkursrecht kennt zahlreiche Instrumente, die dem Schuldner die finanzielle Sanierung ermöglichen sollen.
Das Konkursrecht ist von folgenden Prinzipien beherrscht:
Prinzipien
Im Stadium der Insolvenz soll kein Gläubiger aus einem zufälligen Vorsprung Vorteile ziehen. Die Gläubiger werden in einem kollektiv ausgestalteten Verfahren zusammengefasst und erlangen gleichmäßige (quotenmäßige) Befriedigung aus der Konkursmasse. Das Konkursverfahren ist somit (ebenso wie das Ausgleichsverfahren) vom Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung geprägt. Dies gilt jedenfalls für die unbesicherten Gläubiger (Konkursgläubiger).
Paritätsgrundsatz
Die bis 1982 bestehenden unterschiedlichen Klassen von Konkursforderungen wurden durch das IRÄG 1982 beseitigt; sog „ klassenloser Konkurs”.
Soweit einzelne Gläubiger bereits vorkonkurslich Sicherheiten erlangt haben (zB Pfandrechte, Eigentumsvorbehalt), behalten diese ihre Wirkungen allerdings (von wenigen Ausnahmen abgesehen) auch im Konkurs. Privilegiert sind auch die nach Konkurseröffnung begründeten Forderungen; idR Masseforderungen.
Das Konkursverfahren erfasst – im Gegensatz zum Exekutionsverfahren – das gesamte Vermögen des Schuldners („Generalexekution”). Eine Durchbrechung findet dieses Prinzip allerdings durch die Konkursfreiheit bestimmter Vermögensteile; Schuldnerschutz.
Universalitätsprinzip
Solange das Konkursverfahren behängt, bleibt den Konkursgläubigern der individuelle Zugriff auf die Konkursmasse verwehrt; Prozess- und Exekutionssperre. – Die Einzelrechtsverfolgung wird verdrängt durch die Möglichkeit jedes Konkursgläubigers, am Konkursverfahren teilzunehmen.
Sperre der individuellen Rechtsverfolgung
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2. Konkursfähigkeit
Das österreichische Konkursrecht ist nicht auf Unternehmer beschränkt; vielmehr wird die Konkursfähigkeit als Teil der privatrechtlichen Rechtsfähigkeit definiert: Wer Träger von Rechten und Pflichten sein kann, ist auch konkursfähig. Auf die Geschäftsfähigkeit kommt es dagegen nicht an. Daher kann jede natürliche Person (auch ein Kind), aber auch jede juristische Person (des privaten oder öffentlichen Rechts) Gemeinschuldner sein, ebenso Verlassenschaften und Handelsgesellschaften.
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3. Eröffnungsvoraussetzungen
Die Konkurseröffnung erfolgt (mit wenigen Ausnahmen) nur auf Antrag, nicht von Amts wegen. – Antragslegitimiert ist der Schuldner selbst sowie jeder Gläubiger.
Antragsprinzip
Ein Schuldner ist zahlungsunfähig, wenn er nicht mehr in der Lage ist, seine fälligen Schulden in angemessener Frist zu erfüllen. – Davon zu unterscheiden ist die bloße Zahlungsstockung: Eine solche liegt vor, wenn nur ein vorübergehender (Liquiditäts)Mangel besteht, der alsbald behoben werden kann. – Zahlungsunfähigkeit ist bei allen Arten von Schuldnern ein Konkursgrund.
Zahlungsunfähigkeit
Symptome der Zahlungsunfähigkeit sind: das gehäufte Auftreten von Exekutionen, das Platzen von Wechseln, die Nichtbefolgung von Exekutionstiteln etc.
Bei juristischen Personen, Handelsgesellschaften, bei denen kein persönlich haftender Gesellschafter eine natürliche Person ist (zB: GmbH & Co KG) sowie bei Verlassenschaften ist alternativ zur Zahlungsunfähigkeit auch bereits die Überschuldung ein Konkursgrund.
Bei juristischen Personen etc reicht Überschuldung
Weitere Voraussetzung für die Eröffnung eines Konkursverfahrens ist ein die Kosten des Konkursverfahrens deckendes Vermögen; im Unternehmenskonkurs ca 4.000 ı. Ausnahmen von diesem Erfordernis sind für natürliche Personen (§ 183 KO), aber auch für juristische Personen vorgesehen.
Kostendeckendes Vermögen
Bei letzteren haften die organschaftlichen Vertreter für die Anlaufkosten bis maximal 4.000 ı; der Konkurs kann daher auch eröffnet werden, wenn nur bei den organschaftlichen Vertretern ein kostendeckendes Vermögen vorhanden ist.
Nicht mehr erforderlich ist hingegen seit Inkrafttreten des IRÄG 1997 eine Mehrheit von Konkursgläubigern. – Mit der Beseitigung dieses Erfordernisses hat der Gesetzgeber den Wandel der Konkurszwecke deutlich zum Ausdruck gebracht: Ein Konkursverfahren mit nur einem Gläubiger macht nur deshalb Sinn, weil das moderne Konkursrecht die Sanierung des Schuldners in den Vordergrund rückt.
Mehrheit von Konkursgläubigern?
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4. Wirkungen der Konkurseröffnung
Verlust der Dispositionsfähigkeit – Durch die Eröffnung des Konkursverfahrens verliert der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das konkursunterworfene Vermögen; Konkursmasse. Hiezu gehört das gesamte Vermögen des Schuldners, soweit es der Exekution unterworfen ist. – Die Dispositionsbefugnis über die Konkursmasse fällt an den Masseverwalter. Nimmt der Gemeinschuldner dennoch Rechtshandlungen über Gegenstände der Konkursmasse vor, so sind diese den Gläubigern gegenüber wirkungslos; § 3 Abs 1 KO.
Konkursmasse
Zivilprozesse werden, soweit sie die Konkursmasse betreffen, ex lege unterbrochen. – Prozesse, die nach Konkurseröffnung gegen den Gemeinschuldner eingeleitet werden, sind unzulässig (sofern es nicht um die konkursfreie Sphäre geht). Dagegen können vom oder gegen den Masseverwalter sehr wohl Klagen eingebracht (oder fortgeführt) werden.
Zivilprozesse
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5. Masseverwalter
Im Unternehmenskonkurs wird stets ein Masseverwalter bestellt. Diesen wählt das Gericht zumeist unter den ortsansässigen Rechtsanwälten aus; seltener kommen auch Wirtschaftstreuhänder und Unternehmensberater zum Zug. – Der Masseverwalter ist die „Drehscheibe” des Konkursverfahrens. Von seinen Fähigkeiten hängt der Erfolg des Verfahrens maßgeblich ab.
Drehscheibe des Konkursverfahrens
Dem Masseverwalter obliegt vor allem: die Sichtung und Verwaltung der Konkursmasse, das Einbringlichmachen von Ansprüchen, die Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen, die Prüfung der angemeldeten Forderungen, die Führung notwendiger Prozesse, die Verwertung des Konkursvermögens sowie die Verteilung des Erlöses an die Gläubiger.
Sämtliche Bankguthaben, Wertpapierdepots etc unterstehen der alleinigen Verwaltungsbefugnis des Masseverwalters. – Postsendungen, die an den Gemeinschuldner gerichtet sind, werden während des Konkursverfahrens an den Masseverwalter zugestellt; sog Postsperre.
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6. Überblick über den Verlauf des Konkursverfahrens
- Verwertung der MasseNach der Eröffnung des Konkursverfahrens können die Gläubiger ihre Forderungen anmelden. Dafür wird eine Anmeldungsfrist festgesetzt, der jedoch keine Präklusionswirkung zukommt. – Der Masseverwalter prüft die wirtschaftliche Lage des Schuldners, nimmt das Konkursvermögen in Besitz und Verwaltung, ermittelt die Aktiva und prüft die angemeldeten Forderungen. Allenfalls macht er Anfechtungen nach der Konkursordnung geltend; §§ 27 ff KO. Er verwertet die Masse und verteilt den erzielten Erlös: die Verteilung erfolgt in der Praxis meist nur einmal, am Ende des Verfahrens; gesetzlich sind aber auch Abschlagsverteilungen während des Verfahrens möglich.
Anmeldung der Forderungen
Die Vielfalt der Sachverhalte macht es unmöglich, das Verfahren nach einem starren Zeitplan abzuwickeln. – Die KO gibt daher nur einen groben zeitlichen Raster vor:
Die erste Gläubigerversammlung findet ca 14 Tage nach Konkurseröffnung statt, die allgemeine Prüfungstagsatzung 60 bis 90 Tage nach Konkurseröffnung. Die Frist für die Anmeldung der Forderungen endet 14 Tage vor der Prüfungstagsatzung. Spätestens 90 Tage nach Konkurseröffnung findet die Berichtstagsatzung statt; in dieser entscheidet sich das weitere Schicksal des Unternehmens: Fortführung oder Schließung. Die Berichtstagsatzung ist nach der Prüfungstagsatzung anzuberaumen; allenfalls können diese beiden Tagsatzungen in einem Termin verbunden werden.
Erste Gläubigerversammlung, Prüfungs- und Berichtstagsatzung
Dem Gemeinschuldner steht es frei, im Lauf des Konkursverfahrens einen Zwangsausgleich zu beantragen und damit vorerst die Verwertung der Masse zu stoppen; § 140 Abs 2 KO. In der Berichtstagsatzung kann dem Schuldner zur Stellung eines solchen Antrags eine Frist gesetzt werden. – Natürliche Personen (auch Unternehmer) können statt dessen auch einen Zahlungsplan bzw. subsidiär die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens beantragen. Auch diese Varianten zielen auf die Sanierung des Schuldners ab. Im Gegensatz zum Zwangsausgleich ist jedoch die Abstimmung über einen Zahlungsplan (und ebenso die Entscheidung über die Einleitung des Abschöpfungsverfahrens) erst nach Verwertung der Konkursmasse zulässig.
Zwangsausgleich – Zahlungsplan etc
Der Konkurs ist aufzuheben: wenn das Vermögen verwertet und der Erlös verteilt ist (§ 139 KO); ebenso, wenn ein Zwangsausgleich oder Zahlungsplan rechtskräftig bestätigt (§§ 157, 196 KO) oder das Abschöpfungsverfahren rechtskräftig eingeleitet wurde (§ 200 Abs 4 KO); schließlich auch dann, wenn das Vermögen zur Deckung der weiteren Verfahrenskosten nicht hinreicht (§ 166 KO) oder wenn nach Ablauf der Anmeldungsfrist alle Masse- und Konkursgläubiger der Aufhebung zustimmen (§ 167 KO).
Aufhebung des Konkurses
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7. Behandlung von Forderungen / Ansprüchen Dritter
Aussonderungsansprüche sind Ansprüche Dritter auf bestimmte, beim Gemeinschuldner befindliche Sachen mit der Begründung, dass diese überhaupt nicht oder teilweise nicht in die Konkursmasse gehören; zB Eigentum oder Miteigentum an bestimmten Gegenständen, Eigentumsvorbehalt → KAPITEL 8: Eigentumsvorbehalt als Warensicherungsmittel. – Solche Rechte werden von der Konkurseröffnung nicht berührt. Der Berechtigte kann seine Ansprüche auch während des Konkurses (notfalls mittels Klage gegen den Masseverwalter) durchsetzen.
Aussonderungsansprüche
Absonderungsansprüche geben dem Berechtigten ein Recht auf abgesonderte Befriedigung aus bestimmten Gegenständen, die zur Konkursmasse gehören; Sondermasse. Dazu zählen insbesondere Pfandrechte. – Der Verwertungserlös aus solchen Sachen wird abgesondert verteilt, wobei zuerst die Absonderungsberechtigten nach ihrem zivilrechtlichen Rang zum Zug kommen. Ein allfälliger „Überling“ fließt in die Konkursmasse und wird an die allgemeinen Gläubiger verteilt.
Absonderungsansprüche
Masseforderungen (§ 46 KO) sind Forderungen, die typischerweise erst nach Konkurseröffnung begründet werden; zB Forderungen aus einer Unternehmensfortführung, Kosten des Konkursverfahrens. – Masseforderungen werden aus der Konkursmasse zur Gänze befriedigt. Erst nach Abdeckung der Masseforderungen kommen die Konkursgläubiger zum Zug. Besondere Regeln gelten, wenn die Konkursmasse nicht einmal zur Befriedigung aller Masseforderungen ausreicht; § 47 KO.
Masseforderungen
Konkursforderungen sind vermögensrechtliche Ansprüche aller Art, die zum Zeitpunkt der Konkurseröffnung bereits begründet sind; § 51 Abs 1 KO. Sie werden mit Konkurseröffnung sofort fällig und in Geld umgerechnet. – Die Konkursgläubiger erhalten, soweit sie unbesichert sind, nur die Konkursquote; diese errechnet sich aus dem Verhältnis des Verwertungserlöses zur Gesamtsumme der festgestellten Verbindlichkeiten.
Konkursforderungen – Konkursquote
Ausgeschlossene Forderungen nehmen am Konkursverfahren nicht teil. Dazu gehören die nach Konkurseröffnung angefallenen Zinsen, Geldstrafen, die Kosten der Konkursgläubiger, die ihnen aus der Teilnahme am Konkurs erwachsen, Ansprüche aus Schenkungen, Vermächtnissen etc.
Ausgeschlossene Forderungen
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8. Zwangsausgleich
Einen Zwangsausgleich kann jeder Gemeinschuldner (natürliche und juristische Personen, Handelsgesellschaften) während des Konkursverfahrens beantragen. Der Zwangsausgleich ermöglicht im Fall seines Zustandekommens die Sanierung des Schuldners durch teilweisen Schuldnachlass und Stundung. – Die Konkursgläubiger müssen zumindest 20 Prozent ihrer Forderungen erhalten; gesetzliche Mindestquote. Einzelne Gläubiger können, sofern die gesetzlichen Mehrheiten erreicht werden, überstimmt werden.
Gesetzliche Mindestquote
Für die Annahme des Zwangsausgleichs sind folgende Mehrheiten erforderlich: die Zustimmung von mehr als der Hälfte der anwesenden Gläubiger: Kopfmehrheit; diese müssen zumindest 75 Prozent der Gesamtsumme der Forderungen der anwesenden Gläubiger auf sich vereinigen: Summenmehrheit. Für das Zustandekommen des Zwangsausgleichs sind beide Mehrheiten (kumulativ) erforderlich.
Mehrheit für die Annahme eines Zwangsausgleichs
Der angenommene Zwangsausgleich wird erst rechtswirksam, wenn er vom Gericht rechtskräftig bestätigt wird. Vor der Bestätigung hat das Gericht ua zu prüfen, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten wurden, ob der Zwangsausgleich der wirtschaftlichen Lage des Gemeinschuldners angemessen und erfüllbar ist. – Der Zwangsausgleich bewirkt, dass die Erfüllung jenes Teil der Konkursforderungen, der die festgelegte Quote übersteigt, nicht mehr erzwingbar ist; Naturalobligation.
Gerichtliche Bestätigung – Naturalobligation
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III. Das Ausgleichsverfahren
1. Allgemeines
Alternativ zum Konkursverfahren kann der zahlungsunfähige (oder überschuldete) Schuldner (nicht: ein Gläubiger) auch ein Ausgleichsverfahren beantragen. Die materiellen Eröffnungsvoraussetzungen sind die gleichen wie jene für die Konkurseröffnung. Darüber hinaus kann der Ausgleich aber auch bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit eröffnet werden. – Für das Ausgleichsverfahren ist jenes Gericht zuständig, das auch für den Konkurs zuständig wäre.
Drohende Zahlungsunfähigkeit
Im Ausgleichsverfahren steht die Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners im Mittelpunkt. Die Gläubiger sollen dafür eine Kürzung und Stundung ihrer Forderungen in Kauf nehmen. Die gesetzliche Mindestquote beträgt im Ausgleichsverfahren 40 Prozent, zahlbar in maximal zwei Jahren.
Erhaltung der wirtschaftlichen Existenz des Schuldners
Die Mehrheitserfordernisse für die Annahme des Ausgleichs sind die gleichen wie jene für die Annahme eines Zwangsausgleichs; Kopfmehrheit, drei Viertel des Forderungsvolumens. Der Ausgleich bedarf zu seiner Wirksamkeit der gerichtlichen Bestätigung, der wiederum eine Angemessenheitsprüfung vorangeht.
Mehrheitserfordernisse
Das Motiv der Gläubiger, einem Ausgleich zuzustimmen, liegt darin, dass ihnen im Ausgleich eine höhere Quote angeboten wird als jene, die im Konkurs nach Verwertung und Verteilung des Massevermögens zu erwarten wäre.
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2. Eröffnungsverfahren
Vor der Ausgleichseröffnung sind die gesetzlichen Voraussetzungen zu prüfen. Insbesondere darf kein Unzulässigkeitsgrund vorliegen.
Der Eröffnungsantrag ist etwa zurückzuweisen, wenn der Schuldner flüchtig ist; wenn er wegen betrügerischer Krida rechtskräftig verurteilt worden ist; wenn in den letzten fünf Jahren ein Konkurs- oder Ausgleichsverfahren eröffnet oder die Eröffnung mangels Kostendeckung abgelehnt worden ist; wenn der Ausgleichsvorschlag gegen zwingende Bestimmungen verstößt; zB wenn er die gesetzliche Mindestquote unterschreitet.
Voraussetzungen
Außerdem sind dem Eröffnungsantrag umfangreiche Beilagen beizufügen; Vermögensstatus, Jahresabschlüsse der letzten drei Jahre ua. Die Vorbereitung eines Ausgleichsverfahrens ist daher aufwändiger als jene des Konkursverfahrens.
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3. Wirkungen der Ausgleichseröffnung
Im Gegensatz zum Konkursverfahren behält der Schuldner nach der Ausgleichseröffnung die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über sein Vermögen. – Dies allerdings mit Einschränkungen: Bestimmte Rechtshandlungen bedürfen der Zustimmung des Ausgleichsverwalters, der ihn während des Ausgleichsverfahrens überwacht. – Die Schließung des Unternehmens sowie dessen Wiedereröffnung bedarf sogar der gerichtlichen Zustimmung.
• Während des Ausgleichsverfahrens wird der Schuldner gegen Exekutionen der Ausgleichsgläubiger abgeschirmt; § 10 Abs 1 AO. Außerdem errichtet die AO für die Dauer des Ausgleichsverfahrens eine Konkurssperre.
Exekutive Absonderungsrechte, die in den letzten 60 Tagen vor Ausgleichseröffnung begründet worden sind, erlöschen; § 12 AO.
• Der Schuldner kann von zweiseitigen Rechtsgeschäften, die von beiden Seiten noch nicht vollständig erfüllt wurden, mit Zustimmung des Ausgleichsverwalters zurücktreten. – Die Zustimmung darf aber nur erteilt werden, wenn der Antrag binnen eines Monats nach Ausgleichseröffnung gestellt wird und die Erfüllung des Rechtsgeschäfts das Zustandekommen oder die Erfüllbarkeit des Ausgleichs oder die Unternehmensfortführung gefährden könnte.
• Unter den gleichen Voraussetzungen kann der Ausgleichsverwalter dem Schuldner auch die außerordentliche Kündigung von Bestandverhältnissen genehmigen, wenn der Schuldner Bestandnehmer ist, weiters die privilegierte Auflösung von Arbeitsverhältnissen.
• Wenn ein Bestandnehmer den vereinbarten Bestandzins nicht vollständig bezahlt, droht ihm grundsätzlich die Räumung des Geschäftslokals. Im Fall der Ausgleichseröffnung kann dies verhindert werden: Die Räumungsexekution wird zwar bewilligt, aber vorerst nicht vollzogen. Kommt der Ausgleich rechtskräftig zustande, wird die Räumungsexekution endgültig eingestellt; § 12a AO.
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IV. Überblick über den weiteren Verfahrensgang
In der Phase zwischen Verfahrenseröffnung und Ausgleichstagsatzung soll der Vermögensstand des Schuldners ermittelt und die Ausgleichstagsatzung vorbereitet werden. Der Ausgleichsverwalter beaufsichtigt die Geschäftsführung des Schuldners und überprüft dessen Wirtschaftslage. Er hat dem Gericht binnen drei Wochen einen vorläufigen Bericht zu erstatten.
Verfahren bis zur Ausgleichstagsatzung
Die Gläubiger haben die Möglichkeit, innerhalb der Anmeldungsfrist (aber auch noch später) ihre Forderungen anzumelden. Diese sind in das Anmeldungsverzeichnis einzutragen und zu prüfen.
Forderungsanmeldung
Kernstück des Ausgleichsverfahrens ist die Ausgleichstagsatzung; deren Termin wird im Edikt festgesetzt. Zwischen Ausgleichseröffnung und Tagsatzung sollen nicht mehr als acht Wochen liegen; § 4 Abs 3 AO. In der Ausgleichstagsatzung stimmen die Gläubiger über den Ausgleichsvorschlag ab. Die Mehrheitserfordernisse entsprechen jenen beim Zwangsausgleich → Zwangsausgleich
Ausgleichstagsatzung
Wenn bei der Abstimmung über den Ausgleich die erforderlichen Mehrheiten nicht erzielt werden, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Erstreckung der Tagsatzung erfolgen. Dabei ist zu beachten, dass der Schuldner idR ab der Verfahrenseröffnung nur 90 Tage Zeit hat, um den Ausgleich zustande zu bringen; § 67 Abs 1 Z 2 AO. Gelingt dies nicht, wird das Verfahren eingestellt. Bei Unternehmen, die wegen ihrer Größe, ihres Standorts etc von wirtschaftlicher Bedeutung sind, kann diese Frist erstreckt werden.
Wenn die für die Annahme erforderlichen Mehrheiten erzielt werden, bedarf der Ausgleich – ebenso wie der Zwangsausgleich – der gerichtlichen Bestätigung. Diese ist zu erteilen, wenn keine gesetzlichen Versagungsgründe vorliegen; zu diesen §§ 50, 51 AO. Die Entscheidung über die Bestätigung (Erteilung oder Versagung) ist öffentlich bekannt zu machen und mit Rekurs bekämpfbar.
Ausgleichsbestätigung
Die folgende Phase ist nicht zwingend vorgesehen. Die AO sieht drei mögliche Varianten vor:
Überwachungsmöglichkeiten
- Die Aufhebung des Verfahrens ohne Überwachung des Schuldners,
- die Aufhebung mit Überwachung durch Sachwalter oder
- die Fortsetzung des Ausgleichsverfahrens mit Überwachung durch den Ausgleichsverwalter.
Wenn der Schuldner den Ausgleich ordnungsgemäß erfüllt, wird er von den die Ausgleichsquote übersteigenden Forderungen endgültig befreit. Im Fall des qualifizierten Verzuges (Verzug trotz Mahnung mit Nachfristsetzung) droht das Wiederaufleben der Forderungen.
Wird der Ausgleich innerhalb der gesetzlichen Frist – idR 90 Tage – nicht angenommen oder dem angenommenen Ausgleich die gerichtliche Bestätigung nicht erteilt, hat das Gericht unverzüglich zu entscheiden, ob der Anschlusskonkurs eröffnet wird. Wenn die materiellen Voraussetzungen hiefür vorliegen (insbesondere Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), ist der Konkurs von Amts wegen zu eröffnen (Ausnahme vom Antragsprinzip). In diesem Fall geht das Ausgleichsverfahren nahtlos in das Konkursverfahren über.
Anschlusskonkurs
Auch im Fall des Anschlusskonkurses bleiben die Möglichkeiten des Schuldners, einen Zwangsausgleich zu beantragen, unberührt. Der Schuldner, der im Ausgleichsverfahren scheitert, kann daher immer noch einen Zwangsausgleich (mit einer Mindestquote von 20 Prozent) erreichen.
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V. Privatkonkurs
Literaturquelle
1. Allgemeines
Am 1.1.1995 trat die KO-Novelle 1993, BGBl 974 in Kraft, die eine umfassende Neuregelung des Konkursverfahrens für natürliche Personen brachte. Ziel dieser Novelle war es, insolventen Schuldnern effiziente Auswege aus ihrer – oft drückenden – Überschuldung zu weisen. Immer mehr private Haushalte verlieren nämlich die Kontrolle über ihre Verbindlichkeiten und geraten an den Rand der wirtschaftlichen Existenz. Die KO-Novelle 1993 hat für diese Fälle durchaus adäquate Lösungen geschaffen. Zuletzt wurden die einschlägigen Bestimmungen mit der InsNov 2002, BGBl I 2002/75, in einigen Punkten an die Bedürfnisse der Praxis angepasst.
Sitz dieser Bestimmungen ist vornehmlich der Dritte Teil der KO (§§ 181 ff). Nach dem Anwendungsbereich dieser Sondernormen ist zu unterscheiden: Soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, gelten die §§ 181 ff KO für alle natürlichen Personen, somit auch für Einzelunternehmer. Manche der Sondernormen des Dritten Teils gelten allerdings kraft ausdrücklicher Anordnung nur für Schuldner, die kein Unternehmen betreiben. In den zuletzt genannten Fällen (und nur in diesen) spricht die KO vom „ Schuldenregulierungsverfahren”. Dieses ist somit ein Konkursverfahren besonderer Art, das auf Nicht-Unternehmer anzuwenden ist. Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse bei Stellung des Konkursantrags. Auch frühere Unternehmer, die den Betrieb des Unternehmens mittlerweile eingestellt haben, landen daher (gar nicht so selten) im Schuldenregulierungsverfahren. Für dieses sind die Bezirksgerichte zuständig.
für alle natürlichen Personen
Der Begriff „Privatkonkurs” hat sich sowohl in der Umgangssprache als auch in der Fachliteratur für das Schuldenregulierungsverfahren eingebürgert. Der Konkursordnung selbst ist dieser Begriff fremd.
Privatkonkurs
Die praktische Bedeutung dieses Verfahrens ist stark im Steigen begriffen: Waren es im Jahr 1997 noch 1626 eröffnete Verfahren, so erhöhte sich diese Zahl im Jahr 2002 auf 3234; in 532 Fällen wurde der Antrag mangels Kostendeckung abgewiesen. Insgesamt wurden zwischen 1995 und Ende 2001 über 14.000 Konkursanträge über das Vermögen von Nichtunternehmern gestellt. Die geschätzte Anzahl überschuldeter Privatpersonen in Österreich ist allerdings um ein Vielfaches höher.
Zahlen – Rechtstatsachen
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2. Ausnahme vom Kostendeckungsprinzip; außergerichtlicher Ausgleichsversuch
Wenn der Schuldner eine natürliche Person ist, kann auf seinen Antrag das Konkursverfahren auch eröffnet werden, wenn kein kostendeckendes Vermögen vorhanden ist. In solchen Fällen werden die Kosten des Verfahrens vorerst aus der Amtskasse bezahlt.
Verfahren auch ohne kostendeckendes Vermögen
Der Schuldner muss in einem solchen Fall jedoch bestimmte Erfordernisse erfüllen (§ 183 KO), und zwar: Vorlage eines Vermögensverzeichnisses, Vorlage eines zulässigen Zahlungsplanantrags und Bescheinigung, dass er diesen erfüllen wird. Außerdem muss er bescheinigen, dass die Verfahrenskosten aus seinen zu erwartenden pfändbaren Einkünften abgedeckt werden können. – Betreibt der (vermögenslose) Schuldner kein Unternehmen, so muss er weiters bescheinigen, dass ein außergerichtlicher Ausgleich mit den Gläubigern gescheitert ist oder ein darauf abzielender Versuch aussichtslos wäre. Ansonsten wird der Konkurs (bei fehlender Kostendeckung) nicht eröffnet; § 183 Abs 2 KO.
Voraussetzungen
Damit bringt der Gesetzgeber zum Ausdruck, dass er außergerichtliche Lösungen bevorzugt. Bevor auf Kosten der Öffentlichkeit ein Konkurs eröffnet wird, muss der Schuldner versuchen, mit seinen Gläubigern im Verhandlungsweg ins Reine zu kommen. Hiezu hat er den Gläubigern einen angemessenen Ausgleichsvorschlag mit einer ausreichenden Überlegungsfrist (ca 6 Wochen) zu unterbreiten. Erst nach Scheitern dieses Versuchs ist der Weg in den Privatkonkurs frei.
Beachte
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3. Besonderheiten des Schuldenregulierungsverfahrens
Schuldenregulierungsverfahren nennt die KO das Konkursverfahren über das Vermögen einer natürlichen Person, die kein Unternehmen (mehr) betreibt. Auch ehemalige Unternehmer fallen daher in dieses Verfahren, mögen die Schulden auch noch aus der Unternehmenstätigkeit herrühren. Für solche Verfahren sieht der Dritte Teil der KO einige Erleichterungen vor, die das Verfahren einfacher und kostengünstiger gestalten sollen. Soweit die §§ 182 ff KO nichts anderes vorsehen, sind die allgemeinen Regeln der KO anwendbar.
Kein Unternehmen
Das Schuldenregulierungsverfahren fällt in die Zuständigkeit der Bezirksgerichte. – Sofern der Wert der Aktiva voraussichtlich 50.000 ı nicht übersteigt, wird das Verfahren vom Rechtspfleger durchgeführt. Stimmrechtsentscheidungen und Ermessensentscheidungen nach § 213 Abs 2 – 4 KO bleiben auch hier dem Richter vorbehalten.
Bezirksgerichte – Rechtspfleger
Auf die Bestellung eines Masseverwalters wird im Regelfall verzichtet; sog Eigenverwaltung des Schuldners. Ausnahmen: Wenn die Vermögenslage des Schuldners unübersichtlich ist oder wenn die Eigenverwaltung Nachteile für die Gläubiger befürchten ließe; seit der InsNov 2002 auch, wenn der Schuldner kein genaues Vermögensverzeichnis vorgelegt hat; vgl § 186 Abs 2 KO. Damit sollen die Verfahren billiger werden, was auch der Entlastung der Amtskasse dient.
Eigenverwaltung des Schuldners
Im Fall der Eigenverwaltung werden die Kompetenzen, die sonst dem Masseverwalter zukämen, teils vom Schuldner selbst, teils von den Gläubigern (zB Geltendmachung von Anfechtungsansprüchen) und teils vom Konkursgericht wahrgenommen (im einzelnen §§ 187 – 190 KO).
Im Schuldenregulierungsverfahren können sich die Schuldner auch durch eine bevorrechtete Schuldnerberatungsstelle vertreten lassen; § 192 KO; § 12 IEG definiert die Voraussetzungen für die Bevorrechtung.
Vertretung durch Schuldnerberatungsstelle
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4. Überblick: Die einzelnen Wege zur Entschuldung
Nach geltendem Recht sind für natürliche Personen mehrere Wege zur Entschuldung vorgesehen:
• Zum einen der außergerichtliche Ausgleich,
• zum anderen drei Varianten im Rahmen des Konkursverfahrens, nämlich
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5. Der Zahlungsplan
Der Zahlungsplan ist eine speziell auf die Bedürfnisse natürlicher Personen zugeschnittene Sonderform des Zwangsausgleichs. Er steht jeder natürlichen Person offen (auch Einzelunternehmern). Geregelt ist der Zahlungsplan in den §§ 193 – 198 KO; subsidiär gelten die Bestimmungen über den Zwangsausgleich (§ 193 Abs 1 KO).
Sonderform des Zwangsausgleichs
Für den Zahlungsplan ist keine zahlenmäßig fixierte Mindestquote vorgeschrieben; dies ist der wichtigste Unterschied zum Zwangsausgleich. Die angebotene Quote kann daher auch unter 20 Prozent liegen (in der Praxis der Regelfall); sie muss jedoch der Einkommenslage des Schuldners in den folgenden fünf Jahren entsprechen (§ 194 Abs 1 KO; wirtschaftliche Angemessenheit). Dabei kommt es darauf an, welche pfändbaren Bezüge der Schuldner im Prognosezeitraum voraussichtlich erzielen wird. Die Summe der pfändbaren Bezüge der nächsten 5 Jahre in Relation zu den Gesamtverbindlichkeiten ergibt jene (Mindest)Quote, die jedenfalls angeboten werden muss, damit der Vorschlag angemessen ist. – Die Erfüllungsfrist darf maximal 7 Jahre betragen.
Mindestquote
Über den Zahlungsplan darf erst nach Verwertung des schuldnerischen Vermögens (der Konkursmasse) abgestimmt werden.
Über den Zahlungsplan wird in einer Tagsatzung abgestimmt. Die Beschlussfähigkeit und die Mehrheitserfordernisse sind gleich geregelt wie im Zwangsausgleich; Kopf- und Summenmehrheit → Zwangsausgleich Stimmen die Gläubiger dem Zahlungsplan zu, so ist überdies noch die gerichtliche Bestätigung notwendig; die Versagungsgründe finden sich in § 195 KO. Nach rechtskräftiger Bestätigung ist der Konkurs aufzuheben.
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6. Das Abschöpfungsverfahren
Das Abschöpfungsverfahren ist ultima ratio für jene Schuldner, die an den Hürden des Zahlungsplans scheitern; zB weil die Gläubiger einem angemessenen Zahlungsplan nicht zustimmen. Grundgedanke dieses Verfahrens ist folgender: Ein „kooperativer” Schuldner, der bereit ist, für einen Zeitraum von idR 7 Jahren jede zumutbare Beschäftigung auszuüben und das so erzielte pfändbare Einkommen den Gläubigern zu überlassen, soll die Restschuldbefreiung unter bestimmten Voraussetzungen auch gegen den Willen der Gläubiger erlangen können.
Ultima ratio
Der Schuldner hat keine freie Wahl zwischen Zahlungsplan und Abschöpfung. Er muss vorerst einen angemessenen Zahlungsplan anbieten und darüber abstimmen lassen. Erst wenn die erforderlichen Mehrheiten für den Zahlungsplan nicht erreicht werden, steht der Weg ins Abschöpfungsverfahren offen.
Zahlungsplan oder Abschöpfung
Darüber entscheidet das Konkursgericht, wenn ein (zulässiger) Zahlungsplan nicht angenommen wird, noch in der selben Tagsatzung mit Beschluss. Eine Zustimmung der Gläubiger ist nicht erforderlich. Allerdings kann jeder Gläubiger beantragen, dass dem Schuldner die Einleitung versagt wird, wenn bestimmte, gesetzlich definierte Einleitungshindernisse vorliegen. Von Amts wegen darf das Gericht diese Hindernisse nicht aufgreifen. Die Gründe, aus denen dem Schuldner der Weg in die Abschöpfung versperrt werden kann, sind in § 201 KO taxativ umschrieben; zB: rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung wegen bestimmter gläubigerschädigender Delikte; Verletzung von Auskunfts- und Mitwirkungspflichten im Konkursverfahren; verschwenderischer Lebensstil in den letzten drei Jahren vor Stellung des Konkursantrags etc.
Einleitung des Abschöpfungsverfahrens
- Bestellung eines TreuhändersSinn des Abschöpfungsverfahrens ist es, einerseits dem Schuldner die Restschuldbefreiung zu ermöglichen, andererseits die Gläubiger für eine bestimmte Zeitspanne am schuldnerischen Einkommen partizipieren zu lassen. – Demgemäß muss der Schuldner sein pfändbares Einkommen im voraus an einen Treuhänder abtreten. Wenn der Schuldner unselbständig tätig ist, hat sein Arbeitgeber (oder ein sonstiger Drittschuldner) den pfändbaren Teil der Bezüge direkt an den Treuhänder auszuzahlen. Dieser hat die Gelder fruchtbringend anzulegen und am Ende jedes Kalenderjahrs an die Gläubiger zu verteilen.
Sinn des Abschöpfungsverfahrens
Da der „Ertrag” des Abschöpfungsverfahrens für die Gläubiger vom Einkommen des Schuldners abhängt, haben die Gläubiger naturgemäß ein Interesse daran, dass der Schuldner ein entsprechendes Einkommen erzielt und dieses auch offenlegt. § 210 KO statuiert daher bestimmte Obliegenheiten des Schuldners. – „Herzstück” ist § 210 Abs 1 Z 1 KO: Danach hat der Schuldner während der Dauer des Abschöpfungsverfahrens eine angemessene Erwerbstätigkeit auszuüben.
Obliegenheiten des Schuldners
Im Fall der Beschäftigungslosigkeit hat sich der Schuldner um einen angemessenen Erwerb zu bemühen und darf keine zumutbare Arbeit ablehnen. Hiebei werden strenge Maßstäbe angelegt: Der Schuldner muss auch berufsfremde Arbeiten annehmen (auch Gelegenheits- oder Aushilfsarbeiten). Auf die familiäre Situation (zB Kinder) ist aber Rücksicht zu nehmen.
Bemühung um eine angemessene Erwerbstätigkeit
Weitere Obliegenheiten: Der Schuldner muss während der Dauer des Abschöpfungsverfahrens Schenkungen und Erbschaften herausgeben, jeden Wechsel des Wohnsitzes oder Arbeitsplatzes bekanntgeben und darf keinem Konkursgläubiger eine Sonderbegünstigung zukommen lassen. Außerdem darf er keine neuen Verbindlichkeiten eingehen, die er bei Fälligkeit nicht erfüllen kann; im einzelnen § 210 Abs 1 KO.
Weitere Obliegenheiten
Allfällige Obliegenheitsverletzungen sind nicht von Amts wegen aufzugreifen. Jeder Konkursgläubiger kann jedoch die vorzeitige Einstellung des Verfahrens (§ 211 KO) beantragen, wenn der Schuldner seine Obliegenheiten schuldhaft verletzt und dadurch die Befriedigung der Konkursgläubiger beeinträchtigt. Wird einem solchen Antrag stattgegeben, so hat der Schuldner die Restschuldbefreiung verspielt.
Obliegenheitsverletzungen
Restschuldbefreiung: Im Regelfall dauert das Abschöpfungsverfahren 7 Jahre. Eine Abkürzung ist ausnahmsweise möglich, wenn das Verfahren mindestens 3 Jahre gedauert hat und die Konkursgläubiger während des Konkurs- und Abschöpfungsverfahrens insgesamt eine Quote von zumindest 50 Prozent erhalten haben. Diesfalls hat der Schuldner einen Anspruch auf vorzeitige Restschuldbefreiung (in der Praxis selten).
Restschuldbefreiung
Im Normalfall dauert das Verfahren 7 Jahre. Wurden in diesem Zeitraum mindestens 10 Prozent der Konkursforderungen abgedeckt wurden, hat der Schuldner Anspruch auf Erteilung der Restschuldbefreiung. Wird die Mindestquote nicht erreicht, so hängt die Erteilung der Restschuldbefreiung von einer Billigkeitsentscheidung des Richters ab; zu den einzelnen Varianten § 213 Abs 2 – 4 KO. – Möglich ist auch eine Verlängerung des Abschöpfungsverfahrens um bis zu 3 Jahre.
Die Restschuldbefreiung wird durch Gerichtsbeschluss erteilt; § 213 KO. Dieser wirkt gegen alle Konkursgläubiger, auch gegen solche, die ihre Forderung nicht angemeldet haben; anders wenn eine Forderung nur aus dem Verschulden des Schuldners unberücksichtigt geblieben ist. Mit Erteilung der Restschuldbefreiung wandelt sich der nicht beglichene Teil der Konkursforderung in eine Naturalobligation. Die Rechte der Gläubiger gegen Bürgen, sonstige Mitverpflichtete etc bleiben aufrecht.
Wirkungen der Restschuldbefreiung
Einige privilegierte Forderungen werden von der Restschuldbefreiung nicht berührt; § 215 KO. Dazu zählen Ansprüche aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung (zB Schmerzengeld aus vorsätzlicher Körperverletzung, Schadenersatz aus vorsätzlicher Sachbeschädigung) sowie Ansprüche aus einer vorsätzlichen strafgesetzwidrigen Unterlassung. Ebenso ausgenommen sind Forderungen, die im Verfahren nur aus dem Verschulden des Schuldners unberücksichtigt geblieben sind.
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I. Rechtsdurchsetzung in Europa
Von Alexander Wittwer
Literaturquelle
I. Die Europäische Union als Rechtsgemeinschaft
Das Funktionieren des gemeinsamen Markts erfordert, daß die Römischen Gründungsverträge mehr sind als bloße Vereinbarungen zwischen den Mitgliedstaaten. Im Fall C-26/62, Van Gend & Loos, Slg 1963, 1 stellte der EuGH erstmals klar, dass die EG eine neue Rechtsordnung des Völkerrechts darstellt (supranationales Recht oder Rechtsordnung sui generis) zu deren Gunsten die Staaten ihre Souveränitätsrechte eingeschränkt haben. Überdies sind nicht nur die Mitgliedstaaten Rechtssubjekte dieser neuen Rechtsordnung, sondern sollen auch einzelnen Bürgern Rechte verliehen und Pflichten auferlegt werden. Bürger müssen sich vor nationalen Gerichten auf Gemeinschaftsrecht berufen können; unmittelbare Anwendbarkeit des EU-Rechts. Widersprechendem innerstaatlichem Recht geht zudem das Gemeinschaftsrecht – dazu zählt auch die EuGH-Rspr – vor; sog Anwendungsvorrang; EuGH C-6/64, Costa/ENEL, Slg 1964, 1141.
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II. Der Europäische Gerichtshof
1. Allgemeines
Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) hat seinen Sitz in Luxemburg. Er ist für „die Wahrung des Rechts und die Auslegung und Anwendung des Vertrags” zuständig. Er setzt sich aus 15 Richtern zusammen und wird von 8 Generalanwälten unterstützt. Die Regierungen der Mitgliedstaaten ernennen einvernehmlich ihre Richter und die Generalanwälte. Eine Wiederernennung ist möglich. Der EuGH tagt in Permanenz und fällt seine Urteile mit einfacher Mehrheit. Interne Arbeitssprache ist Französisch, während die mündlichen Verhandlungen in der Verfahrenssprache – abhängig vom beteiligten Mitgliedstaat – abgehalten werden. Die Entscheidungen – samt den Schlussanträgen der Generalanwälte – werden in alle elf (nach der Osterweiterung 21) Amtssprachen der EG übersetzt und in der „Sammlung der Rspr des EuGH und des Gerichts erster Instanz der EU” (Slg) veröffentlicht. Seit 1989 ist dem EuGH das ebenfalls mit 15 Richtern – aber ohne Generalanwälte – besetzte Gericht erster Instanz (EuG) beigeordnet; vgl Art 220 ff EGV.
Nicht zu verwechseln mit dem EuGH sind: – der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg, der für die Wahrung der EMRK zuständig ist;
• der EFTA-Gerichtshof in Luxemburg, der die Einhaltung des EWR-Rechts in Liechtenstein, Island und Norwegen überwacht.
• der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag, der für völkerrechtliche Streitigkeiten zwischen Staaten zuständig ist. Dort sind auch Kriegsverbrechertribunale für Ex-Jugoslawien sowie neuerdings ein Internationaler Strafgerichtshof (ICC: International Criminal Court) eingerichtet.
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2. Verfahrensarten und Zuständigkeit
Unterschieden werden:
Verfassungsrechtliche Verfahren, d.s. Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten oder zwischen Mitgliedstaaten und Gemeinschaftsorganen sowie zwischen Gemeinschaftsorganen;
Verwaltungsrechtliche Verfahren, d.s. Streitigkeiten zwischen Gemeinschaftsorganen und Individuen und zwischen den Gemeinschaften und Gemeinschaftsbediensteten;
Sonstige Verfahren, bspw Vorabentscheidungs- oder Amtshaftungsverfahren;
Das EuG ist zuständig für die wichtigen verwaltungsrechtlichen Verfahren, also für Streitigkeiten zwischen Individuen und Gemeinschaftsorganen; Art 230 Abs 4 EGV. Eine Restzuständigkeit besteht für den EuGH. Die restriktive Handhabung in der EuGH-Rspr, wann natürliche und juristische Personen individuell und unmittelbar betroffen und damit klagsbefugt sind, führte zu einem beträchtlichen Defizit an Rechtschutz; vgl Arnull, CMLRev 2001, 7 ff, 52 der von einem Schandfleck („blot”) in der Landschaft des Gemeinschaftsrechts spricht. Obwohl sich seit dem Urteil des EuG vom 3.5.2002 (T-177/01) ein Wende und damit eine großzügigere Handhabung des individuellen Rechtschutzes abzeichnete, beharrte der EuGH im Urteil vom 25.7.2002 (C-50/00P) bedauerlicherweise auf seiner restriktiven Rspr.
Rechtsschutzdefizit
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3. Vorabentscheidungsverfahren
Das reibunglose Zusammenwirken von Gemeinschaftsrecht und nationalem Recht wird durch das Vorabentscheidungsverfahren nach Art 234 EGV gewährleistet. Die konkrete Anwendung des Gemeinschaftsrechts im Einzelfall bleibt danach dem nationalen Richter überlassen; dem EuGH obliegt es aber, das Gemeinschaftsrecht auszulegen und damit entscheidungserhebliche Vorfragen für alle Mitgliedstaaten einheitlich abzuklären. Vom nationalen Richter formulierte Fragen zum Gemeinschaftsrecht werden vom EuGH verbindlich entschieden. Das Verfahren vor dem nationalen Gericht wird bis zur EuGH-Entscheidung unterbrochen; § 90a GOG.
Letztinstanzliche Gerichte müssen bei einer Auslegungsfrage vorlegen; sog obligatorische Vorlage. Jedes andere Gericht ist dazu berechtigt; sog fakultative Vorlage. Auslegungsfragen bestehen immer dann, wenn Anwendung und/oder Auslegung von EG-Recht nicht offenkundig sind. Dabei sind alle (!) elf Sprachfassungen des EG-Rechts zu berücksichtigen; grundlegend EuGH C-283/81, CILFIT, Slg 1982, 3415 (sog acte clair-Doktrin). Dies wird von nationalen Gerichten oft verkannt; verfehlt etwa OGH (15.7.1999, 6 Ob 123/99b) zur gesellschaftsrechtlichen Sitztheorie gem § 10 IPRG. Der OGH hätte mE diesen Fall an den EuGH vorlegen müssen. Vgl zur dieser IPR-Problematik nun das bahnbrechende Urteil vom 5.11.2002 (C-208/00, Überseering, Slg 2002, I-9919).
Obligatorische und fakultative Vorlage
Was ein Gericht iSd Art 234 EGV darstellt und damit vorlageberechtigt ist, wird vom EuGH autonom interpretiert. Nicht darunter fallen bspw die österreichischen Grundbuchs- (C-178/99, Salzmann I, Slg 2001, I-4421) und Firmenbuchgerichte (C-182/00, Lutz und C-447/00, Holto), da deren Tätigkeit keine Rechtsprechung sei; dazu Wittwer, ELR 2002, 114 ff und Burgstaller, ecolex 2002, 219 ff.
Rechtssprechungsbeispiel
Der EuGH befasste sich schon mehrere Male mit der Frage, inwieweit das Grundverkehrsrecht österreichischer Bundesländer gegen die Kapitalverkehrsfreiheit nach Art 56 EGV verstößt. In den Urteilen Konle (Slg 1999, I-3099) zum Tiroler und Reisch (Slg 2002, I-2157) zum Salzburger und in der Rechtssache Salzmann II (15.5.2003, C-300/01) zum Vorarlberger Grundverkehrsrecht war der EuGH der Ansicht, dass das Genehmigungsverfahren für den rechtsgeschäftlichen Erwerb von Baugrundstücken der Kapitalverkehrsfreiheit widerspricht; dazu Wittwer, Quo vadis österreichisches Grundverkehrsrecht?, ELR 2003, 242 ff. Zum Grundverkehr mit land- und forstwirtschafltichen Grundstücken in Vorarlberg jüngst EuGH vom 23.9.2003, C-452/01, Ospelt.
Der EuGH (C-168/00, Leitner, Slg 2002, I-2631) entschied auf Vorlage des LG Linz, dass „entgangene Urlaubsfreude” als immaterieller Schaden – obwohl in Österreich bislang gesetzlich nicht vorgesehen – zu ersetzen ist. Das LG Linz ZVR 2002/69 hat daraufhin EUR 400,- zugesprochen, während in einem anderen Verfahren das HG Wien einen Ersatzanspruch wegen entgangener Urlaubsfreude ablehnte. Diese E verkennt das Gebot europarechtskonformer Auslegung; vgl Wittwer, ELR 2002, 285 ff und M.M. Karollus, JBl 2002, 566 ff.
§ 2 Abs 1 UVG bestimmt, dass staatliche Vorschüsse auf den Unterhalt von Kindern nur dann gewährt werden dürfen, wenn die Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland haben und entweder österreichischer Staatsbürger oder staatenlos sind. Alle anderen Kinder (ausländische oder österreichische, die im Ausland leben) fallen nicht darunter, weshalb österreichische Gerichte solche Begehren stets abgewiesen haben. Nach zwei Vorlageverfahren des OGH hat der EuGH entschieden, dass sowohl Kinder deutscher Staatsangehörigkeit, die in Österreich leben, Anspruch nach dem UVG haben (C-85/99, Offermanns, Slg 2001, I-2261), als auch ein österreichisches Kind, das mit seiner Mutter in Frankreich lebt (C-255/99, Humer, Slg 2002, I-1205). Der EuGH erblickte in diesen Fällen einen Verstoß von § 2 UVG gegen die Arbeitnehmerfreizügigkeit und die VO 1408/71 zur sozialen Sicherheit der Arbeitnehmer.
Statistik: Österreichs Gerichte sind überaus vorlagefreudig. Von den 237 Vorabentscheidungsverfahren im Jahre 2001 stammten die meisten – nämlich 57 – aus Österreich. Aus der BRD kamen 53, aus Italien 40, aus Großbritannien 21 und aus Frankreich gar nur 15. Im Durchschnitt dauert ein Vorabentscheidungsverfahren 22,7 Monate.
Rechtstatsachen
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III. Europäisches Zivilprozessrecht
Literaturquelle
1. Allgemeines
Das Brüsseler Übereinkommen (EuGVÜ) aus dem Jahre 1968 stimmt im wesentlichen mit dem in den EFTA-Staaten geltenden Lugano Übereinkommen (LGVÜ) aus dem Jahre 1988 überein. Mit dem Amsterdamer Vertrag 1997 bekam die EG die Kompetenz, einheitliche Regelungen im internationalen Zivilprozess- und Privatrecht zu erlassen; Art 65 EGV. Eine auf dieser Grundlage erlassene und am 1.3.2002 in Kraft getretene Verordnung (EuGVO) ersetzte das EuGVÜ samt einigen Neuerungen.


Rechtsakte zum Europäischen Zivilprozessrecht (Auswahl)


• VO 44/2001/EG über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (sog „Brüssel I”-VO = EuGVO, ersetzt das EuGVÜ), ABl 2001 L 12/1, in Kraft seit 1.3.2002
• VO 1347/2000/EG über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Volltreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung für die gemeinsamen Kinder (sog „Brüssel II”-VO), ABl 2000 L 160/19, in Kraft seit 1.3.2001
• VO 1346/2000/EG über Insolvenzverfahren, ABl 2000 L 160/1, in Kraft seit 31.5.2002
• VO 1206/2001/EG über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelsachen, ABl 2001 L 174/1, in Kraft seit 1.7.2001
• VO 1348/2000/EG über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl 2000 L 160/37, in Kraft seit 31.5. 2001
• Entscheidung 2001/470/EG des Rates über die Errichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes für Zivil- und Handelssachen, ABl 2001 L 174/25
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2. Grundregeln der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVO)
Diese VO regelt
• einerseits die Zuständigkeit von Gerichten im Erkenntnisverfahren in grenzüberschreitenden Zivil- und Handelssachen (Kapitel II der VO)
• und anderseits die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen (Kapitel III der VO).
Grundsätzlich ist das örtlich zuständige Gericht am Wohnsitz des Beklagten zuständig; Art 2 EuGVO.
Beispiel
Davon gibt es zahlreiche Ausnahmen:
• Die Parteien vereinbaren die Zuständigkeit eines anderen Gerichts; Art 23 EuGVO.
• Die EuGVO kennt auch besondere Zuständigkeiten (Wahlgerichtsstände): bspw den Erfüllungsort des Vertrages (Art 5 Z 1), den Wohnsitz des Unterhaltsberechtigten bei Unterhaltssachen (Art 5 Z 2) oder den Ort des schädigenden Ereignisses bei deliktischen Klagen (Art 5 Z 3).
• In Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitsrechtssachen soll die schwächere Partei dadurch geschützt werden, dass grundsätzlich die Gerichte an deren Wohnsitz zuständig sind; Art 8 – 21 EuGVO.
• Eine ausschließliche Zuständigkeit besteht bspw bei Streitigkeiten an Immobilien; Art 22 EuGVO
Das Vorabentscheidungsverfahren gem Art 234 EGV an den EuGH steht – zur einheitlichen und übernationalen Auslegung der EuGVO – nur solchen nationalen Gerichten offen, deren Entscheidungen nicht mehr angefochten werden können; Art 68 EGV.
Rechtssprechungsbeispiel
Der OGH legte dem EuGH die Frage vor, ob die Unterlassungsklage des Vereins für Konsumenteninformation nach den §§ 28, 29 KSchG als deliktische Klage iSd Art 5 Z 3 EuGVÜ (entspricht Art 5 Z 3 EuGVO) anzusehen ist. Im Urteil vom 1.10.2002 C-167/00, VKI/Henkel, Slg 2002, 8111 bejahte dies der EuGH. Daher können nun auch Unterlassungsklagen von Verbänden iSd §§ 28, 29 KSchG gegen Ausländer in Österreich eingebracht werden.
Der OGH fragte den EuGH, ob der Anspruch aus § 5j KSchG (Gewinnzusagen) gegen ein dt. Versandhandelsunternehmen am Wohnsitz des Verbrauchers in Österreich geltend gemacht werden kann, was der EuGH im Hinblick auf Art 13 Z 3 EuGVÜ bejahte (C-96/00, Gabriel, Slg 2002, I-6367). Im Vergleich zu Art 13 Z 3 EuGVÜ geht der neue Art 15 Abs 1 lit c EuGVO noch viel weiter und lässt schon bei jeder Geschäftstätigkeit eines Unternehmers im Wohnsitzstaat des Verbrauchers eine Klage an dessen Wohnsitz zu.
Ein weiteres Verfahren wegen § 5j KSchG ist vom OLG Innsbruck im Hinblick auf Art 5 Z 3 EuGVÜ anhängig gemacht worden (C-27/02 Petra Engler/Janus Versand).
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