Kapitel 12 | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Der
Arbeitsvertrag |
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A. Dienstleistungsverträge |
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I. Allgemeines
zum Arbeits- und Werkvertrag | |
Die praktische Bedeutung dieser Vertragstypen im Alltag
und im Wirtschaftsleben ist groß. Geregelt sind sie in den §§ 1151-1174
ABGB, der Arbeitsvertrag zudem in zahlreichen arbeitsrechtlichen
Vorschriften. Täglich werden viele solcher Verträge verhandelt,
geschlossen und gelöst. Gleichzeitig enthält dieser Bereich des
Privatrechts starke Verbindungen zum Arbeits- und Sozialrecht und
damit auch zum öffentlichen Recht. | |
Eine
typisch öffentlichrechtliche Materie ist bspw das Arbeitnehmer/innenschutzrecht,
geregelt im ASchG, BGBl 450/1994. Dabei wird österreichisches Recht
(zB § 67 ASchG: Bildschirmarbeit) durch EU-Recht ergänzt; vgl EU-RL
90/270: BildschirmarbeitsVO zur ergonomischen Gestaltung der Bildschirmarbeit. | |
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Sowohl beim Arbeitsvertrag wie beim Werkvertrag wird – wie
erwähnt – eine Arbeitsleistung iwS geschuldet;
zur rechtlichen Einordnung der Arbeitsleistung → Leistung
abhängiger Arbeit Präziser:
Gegenstand dieser Verträge ist einerseits (beim Arbeitsvertrag)
die Arbeitsleistung als solche (zB Lehrerin unterrichtet,
Angestellter verhandelt, Krankenschwester pflegt), und andrerseits
(beim Werkvertrag) das Ergebnis, der Erfolg der
Arbeit, das Werk / Erzeugnis. | |
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„Arbeitsleistungen” iwS können
auf sehr unterschiedliche Weise erlangt werden: Einerseits – wie
erwähnt – über Dienst- / Arbeits- und Werkverträge, andrerseits
aber auch über Aufträge und Gesellschaftsverträge (GesbR, OHG, KG,
Stille Gesellschaft, OEG und KEG und natürlich auch durch die Gründung
von Kapitalgesellschaften) sowie durch familiäre Hilfe. – Die Art
der „Bezahlung” der erbrachten Arbeitsleistung ist dementsprechend
unterschiedlich. | |
2. Bedeutung der
Unterscheidung | |
Die Unterscheidung von
Arbeitsvertrag und Werkvertrag ist praktisch deshalb so bedeutsam,
weil auf Arbeitsverträge das Arbeitsrecht anzuwenden
ist, auf Werkverträge aber grundsätzlich nicht und darüber hinaus
lange Zeit nur Arbeitsverträge, nicht aber Werkverträge
sozialversicherungspflichtig waren, weshalb in
der Praxis immer wieder versucht wurde, auch echte Arbeitsverhältnisse
als Werkverträge hinzustellen. Derartige Umgehungen – sog „Flucht
aus dem Arbeitsrecht”, um sich Sozialversicherungsbeiträge und arbeitsrechtliche
Leistungen an Arbeitnehmer zu ersparen (insbesondere Kündigungsschutz,
Urlaub, Entgeltfortzahlung, Abfertigung), werden aber von der Rechtsordnung
nicht geduldet. Durch ein „Verschieben” von Arbeitnehmern in den
werkvertraglichen Bereich oder in den des freien Dienstvertrags
verlieren diese auch ihre steuerliche Begünstigung; sie sind dann
nicht mehr lohn-, sondern einkommensteuerpflichtig. – Seit 1996
sind auch für freie Dienstverträge und dienstnehmerähnliche Werkverträge
– sog unechte Werkverträge, Sozialabgaben zu entrichten, soweit
das Entgelt monatlich einen bestimmten Betrag übersteigt. Der Personenkreis
der ASVG-Pflichtversicherten wurde dadurch wesentlich erweitert.
Echte Werkverträge sind aber auch weiterhin nicht von der ASVG-Pflichtversicherung
umfasst. | Flucht
aus dem Arbeitsrecht |
Der unterschiedliche arbeitsrechtliche Bezug zwischen Arbeits-
und Werkvertrag bleibt also grundsätzlich weiterhin bestehen; kurz:
Die Grenze zwischen Arbeitsvertrag und Werkvertrag ist die Grenze
zwischen unselbständiger und (echter) selbständiger, also unternehmerischer
Arbeit. | |
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VwGH 1994/ARDInd 4588/30/94:
Überwiegen die Merkmale persönlicher und wirtschaftlicher Abhängigkeit gegenüber
jenen persönlicher und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, liegt –
mag auch der Vertrag als „Werkvertrag” bezeichnet sein – ein versicherungspflichtiges
Beschäftigungsverhältnis vor. Bei der Prüfung des Vorliegens
eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses kommt
es also nicht auf die Bezeichnung des Vertrags an, sondern auf seine
inhaltliche Gestaltung. | |
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Dazu folgende Zeitungsmeldung: „Urteil gegen
die Mediaprint. Zeitungskolporteure sind keine
selbständigen Unternehmer.., sondern Arbeitnehmer. Das hat der Verwaltungsgerichtshof
im Steuerverfahren eines Kolporteurs der Mediaprint erkannt, dem
das Finanzamt Umsatz- und Einkommensteuer vorgeschrieben hat. Die
Richter führten an, dass die Kolporteure praktisch keinen unternehmerischen
Spielraum hätten, wenn ihnen Standort, Verkaufszeit und das Tragen
von Arbeitskleidung vorgeschrieben werden und der Verkauf von Konkurrenzprodukten
untersagt ist. – Die Mediaprint schließt mit ihren Kolporteuren
Verträge über eine eigene Tochtergesellschaft ab, in denen die Zeitungsverkäufer
als Unternehmer betrachtet werden, womit für den Dienstgeber keine
Steuern und Sozialversicherungsbeiträge anfallen. Dies wird nach
dem Urteil nicht mehr möglich sein ....” (Der Standard, 22.8.1996,
S. 1) – Die Realität sieht freilich anders aus: Diese Rspr wurde
nämlich von den Zeitungsherausgebern durch eine Gesetzeskorrektur
unterlaufen, wonach Kolporteure als Selbständige zu behandeln sind.
Dies mit allen steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Belastungen.
(Macht in der Demokratie macht vieles möglich!) | |
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ZAS 2001, H. 5 (Judikaturbeilage) OGH 28.3.2001, 9 Ob A
25/01 v: Wegen Fehlens des für die Annahme einer
arbeitsvertraglichen Beziehung nötigen Kriteriums persönlicher Abhängigkeit,
wird bloß familiär bedingte Mitarbeit der Ehegattin und
kein Arbeitsverhältnis mit dem Unternehmen ihre Mannes (OHG) angenommen. | |
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Kurz: Beim Bevollmächtigungsvertrag übernimmt
der Bevollmächtigte die Durchführung von Rechthandlungen oder Rechtsgeschäften
und nicht von tatsächlicher Arbeit. Er handelt zudem in fremdem
Namen und auf fremde Rechnung. – Zu einem Gesellschaftsvertrag schließen
sich mehrere Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zwecks zusammen.
Anders als beim Arbeitsvertrag besteht zwischen den Mitgliedern
einer Gesellschaft Gleichordnung und nicht Über- und Unterordnung
wie beim Arbeitsvertrag. | |
Die III. TN illustriert
den Unterschied zwischen Arbeitsvertrag (= Vertrag mit Dienstmädchen)
und Werkvertrag (= Vertrag mit Baumeister): | Beispiel der III. TN |
Beispiel der III. TN Vertrag mit Dienstmädchen | Vertrag mit Baumeister |
Arbeit unter fremder Leitung und
Verfügung
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Arbeit nach eigenem Plan
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mit fremden Arbeitsmitteln
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mit eigenen Arbeitsmitteln
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mit persönlicher Arbeitspflicht
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mit Gehilfen und Substituten
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Haftung für Sorgfalt, nicht
für Erfolg
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Haftung für Erfolg
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Organisatorische, persönliche, wirtschaftliche Abhängigkeit
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Organisatorische, persönliche, wirtschaftliche Unabhängigkeit
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in fremder Organisation tätig
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selbständiger Unternehmer
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Immer DSchV
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Grundsätzlich: ZSchV
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Weitere Beispiele (Gschnitzer)
Einen Vertrag über abhängige Arbeit
(ArbeitsV) schließt: •
Schustergeselle mit
dem Meister | | •
Architekt im städischen Bauamt | | • von einem Hotel angestellter Schilehrer
| | •
Schauspieler eines (Landes)Theaters | | •
Lehrer einer Privatschule | | •
Oberarzt einer Klinik | | • ständiger (Rechts)Berater eines Unternehmens; sog Syndikus oder
Konsulent | | •
Angestellter mit seinem Geschäftsherrn | |
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Einen Vertrag über selbständige Arbeit
(WerkV, Auftrag, freier Dienstvertrag) schließt: • (Handwerks)Meister mit
Kunden | | •
Architekt mit Auftraggeber | | •
Bergführer mit Touristen | | •
Künstler auf Gastreisen | | •
Privatlehrer, der Schüler
unterrichtet | | •
praktischer Arzt mit Patienten | | •
Anwalt mit seinen Klienten | | •
Handelsvertreter mit seinem
Geschäftsherrn | |
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3. Sozial(versicherungs)recht | |
Das Sozialrecht,
reicht – im Gegensatz zum Arbeitsrecht – über den Kreis der unselbständigen Arbeit
hinaus und schließt auch selbständig Erwerbstätige ein; zB gesetzliche
Unfallversicherung und Krankenversicherung für Selbständige oder
Sozialversicherung für die Landwirtschaft. – Das Sozialversicherungsrecht,
das ein Teil des Sozialrechts ist, sichert gegen die klassischen
sozialen Risken: Krankheit, Unfall, Alter oder Tod; nach dem Ersten
Weltkrieg kam noch die Arbeitslosenversicherung dazu. Seit 1993
gibt es in Österreich das Pflegegeld, das aber nicht als Versicherung gestaltet
wurde, sondern aus Steuermitteln finanziert wird. | |
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Die Zahl der bei österreichischen
Sozialversicherungsträgern gemeldeten unselbständigen Erwerbstätigen
betrug Ende zum 31.5.2002 3.155.648 Personen, was eine Zunahme gegenüber
dem Vorjahr um 5.520 bedeutet. Die Arbeitslosenquote stieg von 6,1
auf 6,9 Prozent. Dieser Zahl stehen etwa 380.000 Selbständige gegenüber.
Die Vollzeitbeschäftigung in Österreich ist aber seit 1995 deutlich
zurückgegangen, während die Teilzeitbeschäftigung deutlich zugenommen
hat. 87 % der Teilzeitarbeitsplätze entfallen auf Frauen. Die Vollzeitbeschäftigung
(mehr als 35 Wochenstunden) lag Ende 1998 bei 2,63 Mio Personen.
– Sog geringfügige Beschäftigungsverhältnisse (Mai 2003: ca 220.013)
unterliegen nicht voll der Sozialversicherungspflicht. Ein Arbeitgeber
muss solche Arbeitnehmer zwar gegen Unfall versichern, nicht aber
krankenversicherungs- und pensionsrechtlich absichern, wodurch er
sich einiges erspart. Es kommt daher auch hier immer wieder zu unerlaubten
Umgehungen; zB gleichzeitiger Abschluss mehrerer geringfügiger Beschäftigungsverhältnisse
zwischen einem/r Arbeitnehmer/in und dem Arbeitgeber. Betroffen
davon sind überwiegend Frauen. Vgl auch → Typische
und atypische Arbeitsverhältnisse:
atypische Arbeitsverhältnisse. – Die Erwerbsquote der Frauen erreichte
2002 (gerechnet auf die arbeitsfähige weibliche Bevölkerung zwischen
15 und 65 Jahren) 60 Prozent. Die Erwerbstätigkeit junger Frauen
zwischen 25 und 35 Jahren ist von von 68 auf 66 Prozent zurückgegangen. | Einige Zahlen –
Rechtstatsächliches |
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Ich folge hier den Ausführungen J. Bergers,
der mir auch innerhalb seiner Zitate graphische Abweichungen gestattete.
Die folgenden „Überschriften” stammen von ihm. Ich habe ihm auch
für zahlreiche wertvolle Hinweise zu danken. | |
1. Definition –
Grundlegung | |
J. Berger (aaO 19) charakterisiert das Arbeitsrecht als
„Sonderrecht der in abhängiger Stellung fremdbestimmte Arbeit verrichtenden”
Arbeitnehmer. Das bedeutet: | |
•
„Sonderrecht der Arbeitnehmer:
Das Arbeitsrecht ist eine selbständige Rechtsdisziplin. Es stellt
sich im Grunde als Schutzrecht der Arbeitnehmer dar. Die primäre
Funktion des Arbeitsrechts besteht darin, die von vornherein gegebene
soziale Ungleichheit zwischen Arbeitgeber einerseits und Arbeitnehmer
andererseits sowie die wirtschaftliche Machtunterlegenheit des Arbeitnehmers
gegenüber dem Arbeitgeber rechtlich zu korrigieren. Dadurch soll
die Gleichheit der Verhandlungskraft und der Rechtspositionen der
beiden Parteien bewirkt werden. Anwendung findet das Arbeitsrecht
nur, wenn an einem rechtlich zu beurteilenden Sachverhalt (wenigstens
mittelbar) ein Arbeitnehmer als solcher beteiligt ist.” | Sonderrecht
der Arbeitnehmer |
• „Arbeit: Das Arbeitsrecht
erfasst das Phänomen ‚Arbeit’ in sozialökonomischer Hinsicht. Was
im Einzelfall Arbeit ist, wird durch die Vertragspartner, allenfalls
durch die Verkehrsauffassung bestimmt. Völlig unerheblich ist, ob
die Arbeit zur Gänze oder überwiegend in körperlicher oder in geistiger
Betätigung des Arbeitnehmers besteht. Auch auf das Gelingen der
Arbeit kommt es nicht an.” | |
• „Fremdbestimmtheit: Das Arbeitsrecht
stellt nur auf Arbeit ab, die für jemand anderen geleistet wird
(Dienstleistung); nicht dagegen auf Arbeit, die jemand für sich
selbst leistet (Eigenleistung).” | |
• „Abhängigkeit des Arbeitnehmers:
Gegenstand des Arbeitsrechts ist allein jene Arbeit, die aus einer
Position der Unterordnung bzw des Eingebunden-Seins in eine fremde
Organisation erbracht wird. Der Arbeitnehmer ist insbesondere bezüglich
Arbeitszeit, Arbeitsort und Arbeitsorganisation vom Arbeitgeber
abhängig.” | |
2. Struktur und
Systematik des Arbeitsrechts | |
„Das
Arbeitsrecht hat keine einheitliche Rechtsstruktur. Es gehört weder
ausschließlich dem Privatrecht noch allein dem öffentlichen Recht
an; es enthält vielmehr Rechtsvorschriften der einen wie der anderen
Art; die zudem oft miteinander verknüpft oder ineinander verzahnt
sind. | Keine einheitliche Rechtsstruktur |
Bezogen auf die Gesamtrechtsordnung stellt das Arbeitsrecht
nur eine von vielen Rechtsdisziplinen dar. Gleichwohl setzt es sich
auch selbst aus mehreren Einzelrechtsgebieten zusammen. | |
Systematisch geordnet
weist das Arbeitsrecht folgende Gliederung auf: | Systematische Gliederung |
Individualarbeitsrecht:
Das sind jene Rechtsvorschriften, welche die Rechtsbeziehungen zwischen
dem einzelnen Arbeitgeber einerseits und dem einzelnen Arbeitnehmer
andererseits sowie die Rechtsbeziehung zwischen dem einzelnen Arbeitgeber
oder Arbeitnehmer einerseits und dem Staat bzw dessen Institutionen
andererseits regeln. Bezugsgröße ist die einzelne Rechtsperson als
Individuum: | |
•
Arbeitsvertragsrecht
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•
Arbeitnehmerschutzrecht
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•
Arbeitsmarktrecht. | |
KollektivesArbeitsrecht:
Das sind jene Rechtsvorschriften, die sich mit der Institution,
Organisation, Funktion und den Rechtsbeziehungen der verschiedenen
arbeitsrechtlichen Personenmehrheiten befassen. Bezugsgrößen sind
die entsprechenden Gruppen von Personen als Kollektiv: | |
•
Koalitions-
und Arbeitsverbandsrecht
| |
• Recht der kollektiven Rechtsgestaltung
| |
•
Betriebsverfassungsrecht
| |
•
Arbeitskampfrecht. | |
Arbeitsverfahrensrecht:
Das sind jene Rechtsvorschriften, die dass Verfahren regeln, welches
die mit der Durchführung von arbeitsrechtlichen Angelegenheiten
befassten Behörden anzuwenden haben: | |
• Arbeitsgerichtsverfahrensrecht | |
• Arbeitsverwaltungsverfahrensrecht.” (Berger,
aaO 20) | |
3. Geschichte des
modernen Arbeitsrechts | |
Ich
beschränke mich auf den letzten historischen Entwicklungsabschnitt
aus Bergers umfangreicherer Darstellung; aaO 23 f. | Entwicklungsperiode 1945 – Gegenwart |
„Nach der Befreiung Österreichs setzte neuerlich ein Aufschwung
unserer Sozialpolitik und Sozialgesetzgebung ein. Der ganz überwiegende
Teil der heute geltenden arbeitsrechtlichen Vorschriften stammt
aus dieser Epoche. Die gegenwärtige Situation in der Entwicklung
des österreichischen Arbeitsrechts ist vor allem durch folgende
Komponenten geprägt: | |
1. Streben nach systematischer und inhaltlicher
Vereinheitlichung des durch eine Vielzahl von Einzelgesetzen zersplitterten
und unübersichtlichen Arbeitsrechts (Kodifikation des Arbeitsrechts).
Neben den berufsspezifischen und themenspezifischen Einzelgesetzen
bestehen Rechtsbereiche, in denen Teilkodifikationen gelungen sind. | |
2. Vordringen arbeitsmarktpolitisch motivierter und mit
dem Sozialrecht verknüpfter besonderer Arbeitszeitmodelle (Gleitpension,
Altersteilzeit, Solidaritätsprämienmodell, Bildungskarenz usw). | |
3. Anpassung des nationalen Arbeitsrechts an das Recht der
Europäischen Union. | |
4. Feinabstimmung des Arbeitsrechts mit dem Sozialrecht
zur Verbesserung des sozialen Schutzes der Arbeitnehmer und deren
Angehöriger. | |
5. Tendenz zur Liberalisierung der arbeitsrechtlichen Schutznormen
(‚Flexibilisierung’ – zB durch Arbeitszeit-Bandbreitenmodelle, Arbeitskräfteüberlassung,
private Arbeitsvermittlung, Aussetzungsverträge).” | |
III. Zum
Verhältnis von Arbeits- und Zivilrecht | |
Von Martin
Binder
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1. Das moderne Arbeitsrecht als weitgezogene Disziplin | |
Das moderne Arbeitsrecht stellt ein weitgefächertes
Rechtsgebiet dar, das sich aus dem Recht des Arbeitsvertrages,
Arbeitnehmer-Schutzrecht (zB technischer Gefahrenschutz), Betriebsverfassungsrecht
(zB Mitwirkungsrechte des Betriebsrats), Verbandsrecht (zB Recht
der Gewerkschaften und Berufskammern) und Arbeitskampfrecht (zB
Streikrecht und Staatsneutralität) sowie dem Arbeitsverfahrensrecht
(zB Verfahren vor Arbeitsgerichten und Schlichtungsstellen) zusammensetzt.
Für den Bereich des Zivilrechts sind hievon folgende Teilgebiete
von Relevanz: | |
Die Rechtsbeziehungen
zwischen Arbeitnehmer (AN) und Arbeitgeber (AG),
also der „Arbeitsvertrag” mit seiner Arbeits- und Entgeltpflicht,
Treue- und Fürsorgepflicht, die vor- und nachvertraglichen Beziehungen
(zB Vertragsanbahnung und Zeugnispflicht) sowie allfälligen deliktischen
Beziehungen (zB Ersatzpflichten bei Schädigung von AN-Eigentum;
bezüglich der Personenschäden modifiziert das Sozialrecht das zivile
Schadenersatzrecht). Der Arbeitgeberbegriff ist weit zu ziehen,
weil auch Dritte (zB der Beschäftiger im Rahmen der Arbeitskräfteüberlassung
oder der allein Gewinn ziehende „mittelbare” AG) Pflichtenadressaten
sein können, etwa bei Entgeltzahlung, Fürsorge- und sozialer Beitragspflicht. | Arbeitsvertrag |
Die Rechtsbeziehungen
zwischen den Arbeitskollegen: Diese resultieren vorwiegend
aus faktischer Arbeitsberührung; durch die Deutung des Arbeitsvertrages
als Vertrag mit Schutzwirkung für Dritte wird der rechtliche Schutzbereich
auf Mitarbeiter erweitert, mögen sie denselben oder einen anderen
AG haben. Es lassen sich hier Verträglichkeitsgebote und Solidaritätspflichten
gewinnen sowie spezielle Regeln für den Fall der Kollegenschädigung
erkennen, aber auch Aspekte der Gruppenarbeitsverträge einbeziehen.
Für Kollegenkonflikte ist jedenfalls der Sache nach zutreffend das
Arbeitsgericht zuständig. | Arbeitskollegen |
Das Verhältnis der
einzelnen Arbeitsvertragsteile (also AN oder AG) zu den
Verbänden
und
der Belegschaftsvertretung, soweit der Persönlichkeitsschutz,
das „Hausrecht” des AG und überhaupt die Grundrechte wirksam werden.
Es geht um das Recht, ohne Druck einem Verband beitreten oder austreten
zu können (sog „positive„ bzw „negative”
Koalitionsfreiheit), die Meinungs- und verbandsorientierte
Betätigungsfreiheit in der Arbeitsstätte, somit um die sog „Drittwirkung”
der Grundrechte. Einzubeziehen ist aber auch das aktive Wahlrecht
und die Wählbarkeit zum Betriebsrat sowie die Ausübung der Mitbestimmungsrechte in
den diversen Belegschaftsgremien; man könnte diesbezüglich von einer
sehr weit gezogenen Wirkung des Persönlichkeitsrechts nach § 16
ABGB sprechen; | Verbände
und Belegschaftsvertretung |
Die Normenverträge (dh
der Kollektivvertrag und die Betriebsvereinbarung) werden herrschend dem
Privatrecht zugeordnet. Sie wirken gesetzesgleich auf
die Arbeitsverträge und das betriebliche Geschehen ein, ohne dass
normunterworfene AN und AG in jedem Fall auf das Zustandekommen oder
den Inhalt des kollektiven Gestaltungsmittels bestimmend Einfluss
nehmen können. In Ermangelung expliziter verfassungsrechtlicher
Deckung kann jedoch nur eine privatrechtliche Deutungsweise über
die Denkfiguren der Verbandsrepräsentation und der rechtlich fingierten
Einbeziehung in den Arbeitsvertrag zu einer friktionsfreien Geltungserklärung
führen. | Kollektivvertrag |
2. Die Beziehung der §§ 1152 ff ABGB (“Dienstvertrag”)
zum modernen Arbeitsrecht | |
Stellt man diese Beziehungsgeflechte und Normenkomplexe
nun dem 26. Hauptstück des ABGB über die Dienstleistungsverträge
(§§ 1151 ff ABGB) gegenüber, so fällt einem die Eindimensionalität
und Normenkargheit des zivilen Arbeitsvertragsrechts auf. Hiebei
kommt es gar nicht darauf an, ob man einen Vergleich zum Lohnvertrag
des Jahres 1812 (Zeitpunkt des Inkrafttretens des ABGB),
zum abhängigen Arbeitsvertrag der III. Teilnovelle 1916 (wesentliche
Reformierung dieses Vertragstypes mit spezifischer sozialer Einfärbung)
oder zum aktuellen Arbeitsvertragsrecht des ABGB
(gekennzeichnet durch einige „Randkorrekturen” als Folgeerscheinung
des gestiegenen Wohlstandes und der beruflichen Sondergesetzgebung)
zieht. Man ist insoweit enttäuscht, als das Arbeitsvertragsrecht
des ABGB über einige rudimentäre Bestimmungen betreffend
Arbeitsvertragsdefinition, Entgeltvermutung, Entgeltfortzahlung
bei Krankheit, Fürsorgepflicht und Vertragsbeendigung nicht hinausgelangt.
Hiebei handelt es sich zudem um Normen, | |
die entweder
bezüglich der Kriterien recht offen oder unvollständig sind
und deren Tatbestandsmerkmale daher noch eine entsprechende Konkretisierung
und Weiterentwicklung erfahren müssen (zB Arbeitnehmerbegriff nach
§ 1153 ABGB; Umgrenzung des Betriebsrisikos nach § 1155 ABGB; wichtiger
Auflösungsgrund nach § 1162 ABGB); | |
durch
Spezialgesetze, kollektive Rechtsgestaltung oder die Unternehmenspraxis partiell
überholt sind (zB Entgeltfälligkeit nach §§ 1154 Abs 2
S 2, 1154a ABGB; Kündigungsfristen nach §§ 1159 – 1159b ABGB); | |
faktisch
bloß zur Geltungsverbreiterung von wichtigen Regelungen
der Spezialgesetzgebung auf normativ unzulänglich erfasste
AN-Gruppen dienen (zB „Postensuchzeit” nach § 1160 ABGB; Folgen
der rechtswidrigen Vertragslösung nach §§ 1162a – 1162d ABGB); | |
bisweilen
nur eine Weiterverweisung auf andere Rechtsgebiete
(zB bezüglich Konkurseröffnung in § 1161 ABGB) vornehmen. | |
Ganz wichtige Rechtsbereiche sind überhaupt
nicht angesprochen, wie: | |
• der Dienstzettel,
die Gleichbehandlung und der Diskriminierungsschutz, | |
• die Gefahrenabwehr und Kontrolle, | |
• die Entgeltsicherung, der Urlaubsanspruch,
die Dienstnehmerhaftung, | |
• das Recht auf vorübergehende Herabsetzung der
Arbeitszeit oder Vertragssuspension aus wichtigen persönlichen Gründen,
der materielle Kündigungsschutz, | |
• der Betriebsübergang, die Entsendung in das
Ausland sowie | |
• die Abfertigung und Betriebspension. | |
Dafür hat man
entweder Sondergesetze geschaffen oder die Materien in ein eigenständiges Arbeitsvertragsrechts- Anpassungsgesetz (AVRAG)
höchst heterogener Natur ausgelagert. Man könnte daher resignierend
das Resümee ziehen, dass dem Arbeitsvertragsrecht des ABGB bloß eine
zeitlich begrenzte Lückenfüllungsfunktion zukommt – nämlich dessen
Normen nur noch solange eine Daseinsberechtigung haben, als das
antiquierte Arbeiterrecht der Gewerbeordnung 1859 (§§
72 ff) nicht endgültig erneuert wurde. Eine solche Schlussfolgerung
wäre jedoch verfehlt. | Sondergesetze etc |
3. Der soziale Schutzstandard der §§ 1151 ff ABGB | |
Es darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass selbst
das zivile Arbeitsvertragsrecht in der geltenden Fassung wichtige
Prinzipien enthält, die das gesamte Arbeitsrecht prägen
und gleichsam einen sozialen Standard widerspiegeln,
der keinesfalls unterschritten werden darf. Gemeint sind damit: | |
Die Höchstpersönlichkeit der
Dienstleistungserbringung und die grundsätzliche Unübertragbarkeit
des Anspruchs auf Zurverfügungstellung der Arbeitskraft
gemäß § 1153 ABGB. Dadurch wird vermieden, dass der AN bei persönlicher
Verhinderung eine Ersatzkraft stellen muss oder im Falle des Darniederliegens
der Unternehmensressourcen genötigt ist, bei anderen Arbeitgebern
einzuspringen; gleichwohl bleibt der Entgelt(fort)zahlungsanspruch
intakt. | Höchstpersönlichkeit |
Die
Verbürgung der Entgeltangemessenheit in § 1152
ABGB (eine auf andere Vertragstypen ausweitungsfähige Norm), wodurch
den groben Begrenzungspfeilern der Verkürzung über die Hälfte des
wahren Wertes (§ 934 ABGB) und des Wucherverbots (§ 879 Abs 2 Z
4 ABGB) noch ein Feinindikator beigegeben wird, der eine ausgleichende,
auf die Einzelsituation eingehende Entgeltfestlegung ermöglicht. | Entgeltangemessenheit |
Der
Anspruch auf Entgeltfortzahlung bei persönlichen
Hinderungsgründen (§ 1154b ABGB), besonders bei Krankheit und Unglücksfall,
sowie im Rahmen des Betriebs- und Wirtschaftsrisikos des AG (§ 1155
ABGB). Es wird hier darauf Bedacht genommen, dass die vereinbarte
Entgelthöhe prinzipiell nicht ausreicht, um unvorhersehbare Fälle
von Arbeitsverhinderung überbrücken zu können, sowie dem bedeutenden
Umstand Rechnung getragen, dass der AN keine Möglichkeit hat, die
Produktions- und Wirtschaftspläne seines AG mitzugestalten. Das
Risiko von Umsatz- und Markteinbrüchen trifft somit zwangsläufig
denjenigen, der die Wirtschaftsführung des Unternehmens bestimmt,
also den AG. | Entgeltfortzahlung |
Die
Verankerung der Fürsorgepflicht des AG in § 1157
ABGB als besondere Form des Gebots zur Fremdinteressenwahrung. Damit
wird deutlich, dass die auch anderen Schuldverhältnissen eigentümlichen
Schutz-, Warn- und Auskunftspflichten bei persönlich geprägten Dauerschuldverhältnissen
besonders intensiv ausgestaltet sind. Eine weitergehende Konkretisierung
der geschützten Rechtsgüter (zB in Bezug auf Ehre, Vermögen des
AN) täte allerdings not. | Fürsorgepflicht |
Die grundsätzliche Zulassung von befristeten
Arbeitsverhältnissen (§ 1158 Abs 1 ABGB). Ein Sachgrund
muss nur angegeben werden, wenn – spezialgesetzlich positiviert
– das Unterlaufen von spezifischen Schutzzwecken (zB des Mutterschutzes)
zu befürchten steht oder – zur Vermeidung von Diskriminierung (zB
von Behinderten) – eine benachteiligende Behandlung gegenüber den unbefristet
beschäftigten AN droht. Diese Art des Nebeneinanders von terminisierten
und auf unbestimmte Zeit geschlossenen Arbeitsverhältnissen belässt
im Sinne der zivilen Vertragsfreiheit den Parteien die grundsätzliche
Wahl der zweckmäßigsten Beendigungsform unter weitgehender Ausschaltung
von Missbrauchsgefahr und reduziert die – aus der deutschen Rechtspraxis bekannten
– Abgrenzungsprobleme. | Befristete
Arbeitsverhältnisse |
Die beiden Hauptbeendigungsformen
der fristbezogenen, jedoch begründungsfreien Kündigung und
der vorzeitigen Lösung aus wichtigem Grund (§§
1158 ff, 1162 ff ABGB) werden dogmatisch klar konturiert, ohne in
zu viele Details auszumünden. Sieht man einmal von der Notwendigkeit
einer Modernisierung und Vereinfachung des ABGB-Fristenmodells sowie
einer demonstrativen Konkretisierung des wichtigen Auflösungsgrundes
(etwa dem Angestelltengesetz vergleichbar) ab, kann die Detailausformung
durchaus der beruflichen Sondergesetzgebung und auch der kollektivvertraglichen
Ausgestaltung überlassen werden. | Kündigung |
4. Postulat: Eine auf das Wesentliche beschränkte Arbeitsrechtskodifikation
im ABGB | |
Das gerade aufgezeigte Grundkonzept des Arbeitsvertragstypus sollte
somit jedenfalls im ABGB erhalten bleiben und mE sogar noch durch
wesentliche Elemente der bereits unter Pkt 2. aufgelisteten Art
angereichert werden. Es ist somit nicht eine Arbeitsrechtskodifikation
außerhalb des ABGB zu realisieren – wie es offensichtlich im Ansatz
durch das AVRAG versucht wird, sondern das Vertragstypenkonzept
des ABGB auch in Bezug auf den Arbeitsvertrag weiter zu entwickeln.
Dies hätte den Vorteil, dass die Regeln der Rechtsgeschäftslehre,
des allgemeinen Schuld-, Schadenersatz- und Bereicherungsrechts ohne
zusätzliche Verweise oder gar Parallelverschiebung in ein allgemeines
Arbeitsgesetzbuch angewandt werden könnten. Wichtige Rechtsfragen
betreffend | |
• Willensmängel und
Verzug, | |
• Bestärkung oder Lockerung von Vertragspflichten, | |
• Erfüllungspflicht oder Zurückbehaltungsrecht, | |
• Vergleich, Zession und Schuldübernahme, | |
• Kompensation und Verjährung, | |
könnten
somit durch problemlosen Rückgriff auf die Stammmasse des ABGB gelöst
werden. Sollte sich aus der besonderen Struktur des Arbeitsverhältnisses
oder berufsspezifischen Besonderheiten die Notwendigkeit
zur Anpassung einzelner ziviler Rechtsfiguren ergeben (zB im Zusammenhang
mit Verzicht und „Drucktheorie”), so könnte dies unmittelbar in
dem regelnden Normenkomplex erfolgen. Damit wäre der Sachzusammenhang
und auch die Wertungseinheit im weitestgehenden Maße gesichert. | Rückgriff auf die Stammmasse des ABGB |
 | |
Das
Arbeitsvertragsrecht des ABGB hätte somit die Aufgabe,
die Grundregeln und Standards des Arbeitsrechts in
allgemeinerer und abstrakter Form vorzugeben, an denen sich dann
die berufsspezifischen Sondergesetze und auch Kollektivverträge
ausrichten könnten. Lediglich die komplizierten Detailregelungen
sollten der arbeitsrechtlichen Sondergesetzgebung überlassen bleiben.
Dies hätte den Vorteil, dass Differenzierungen in fachlicher, personeller
oder regionaler Hinsicht leichter durchgeführt sowie neue Modelle
und Praktiken normativ erprobt und adaptiert werden könnten, ohne
jeweils das Grundkonzept verändern zu müssen. Das Arbeitsvertragsrecht des
ABGB bildete somit den stabilen Kernbereich („eherne Turm in der
Brandung”), um den herum sich das dynamische Potential des Arbeitsrechts
in spezialgesetzlichen und kollektiven Regelungen entfalten könnte
und der Rechtsfortbildung Spielraum gelassen würde. Insofern ist
der Einbau von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen
im zivilen Arbeitsvertragsrecht (zB durch den Verweis auf Ortsüblichkeit
und Angemessenheit) nicht zu kritisieren, sondern im Sinne der Normenbeständigkeit
und mit Rücksicht auf die Spezialregelungsflexibilität durchaus
angebracht. | ABGB: Grundregeln und Standards des Arbeitsrechts |
Auf den zivilen Arbeitsvertragsgesetzgeber
wartet somit eine Menge Arbeit:. Es müssen Grundregeln und Standards
für das Arbeitsrecht entwickelt werden, denen nicht nur fortschrittliche arbeitsrechtliche Sondergesetze
(wie zB das AngestelltenG, SchauspielerG, BerufsausbildungsG) als
Vorbild zu dienen hätten, sondern die sich auch an anderen
Vertragstypen mit einem chronisch unterlegenen Vertragsteil (zB
Mieter, Versicherungsnehmer, Verbraucher) zu orientieren und brauchbare
Schutzregeln zu rezipieren hätten. | Sondergesetze |
 | |
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Inhaltsverzeichnis |
B. Der
Arbeitsvertrag |
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