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Extra media nulla salus?
(Zum Anspruch der Medienkultur)

Autor:Niewiadomski Jozef
Veröffentlichung:
Kategorieartikel
Abstrakt:
Publiziert in:ThPQ 143 (1995) 227-245.
Datum:2001-10-20

Inhalt

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Es dürfte kein Zufall gewesen sein, daß im Jahre 1994 das angesehene Massachusetts Institute of Technology das vor dreißig Jahren erschienene Werk des kanadischen Literaturwissenschaftlers und Kommunikationstheoretikers Marshall McLuhan: "Understanding media" neu publizierte. (1) Bei seinem Erscheinen heftig diskutiert und umstritten, (2) hat das Buch wie kaum ein anderes unsere saloppe Sprache geprägt. Nicht nur der moderne Sprachgebrauch der Begriffe "Medien" und "Massenmedien" - die Formel: "the medium ist the message"- geht auf McLuhan zurück (3), auch für die beliebten Metaphern, die unsere Welt als Dorf, als "global village" und unser Zeitalter als "Age of Information" beschreiben, zeichnet er verantwortlich. Die medientheoretischen Zeitschriften neueren Datums betrachten McLuhan als den größten Propheten unseres Zeitalters, als einen Guru und sein Werk als die Bibel der Medienkultur. (4)

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Es wäre nun verfehlt, ihn nur als einen analytischen Medientheoretiker oder Kommunikationswissenschaftler zu betrachten und seine weitgreifenden Prophezeiungen zu depotenzieren. Gerade diese machen ihn interessant und aktuell; was er im Jahre 1964 zu sagen versuchte und wie er es sagte, das erhält eine neue Aktualität im Jahre 1995. Vor allem im Hinblick auf die utopische Seite!

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1. Der Traum vom "global village"

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Zweifache Veränderung sei mit den neuen Technologien mitgegeben. Zum einen bringt uns die neue Technologie zur Stammestradition - allerdings ausgedehnt auf die ganze Weltgesellschaft - zurück. Da die Elektrizität keine Grenzen kennt - weder die politischen, noch die geographischen - wird sie die Weltbevölkerung wie in einem großen Dorf vereinigen können; die Bedeutung der Grenzen wird abnehmen. Zum anderen bleibt auch unsere Wahrnehmung vom Einfluß der Technologien nicht unberührt. McLuhan nahm zuerst an, die vom Menschen entwickelten Technologien seien eine "Verlängerung" des Menschen; sie potenzieren also das anthropologisch Vorgegegebene, transformieren es aber keineswegs grundsätzlich: Vielmehr verstärken und vervielfältigen sie menschliche Funktionen. Wie ein Schläger den Unterarm verlängere und die Wunden zufügenden Kugeln die Zähne ersetzen, so bringt der Computer, das bisher außergewöhnlichste Werkzeug des Menschen, die Ausdehnung unseres Nervensystems mit sich.

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Nun wirkt sich der Einfluß der neuen Werkzeuge am meisten auf unsere Erkenntnisfähigkeit aus: durch die elektronischen Medien wird diese von der linearen und logischen Struktur und von der Fixierung auf kausal verbundene Argumente losgelöst und auf wiederholbare Momente und eine auf die Diskontinuität eingestellte Anordnung getrimmt; sie wird intuitiv arbeiten, mit Analogien und Assoziationen.

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McLuhan diagnostizierte zwei technologischen Revolutionen in der Geschichte der Menschheit in Kontext der Medien. In der Mitte des 15. Jahrhunderts potenzierte die Entdeckung des Buchdrucks die Fähigkeit des linearen Denkens: die Wahrnehmung und die Rekonstruktion der Welt folgte dann der Logik einer Buchseite; die Anwendungen der Elektrizität (Telegraf, Telefone, Fernsehen, Computer usw.) bringen eine neue Weltwahrnehmung, ja Weltkonstruktion mit sich, die man heutzutage, dreißig Jahre danach, am besten mit den Begriffen des "Cyberspace" (5) beschreiben könnte.

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Ganz nüchtern betrachtet läßt sich diese Konstruktion als eine rigorose Mathematisierung der Welt darstellen.

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Schon McLuhan bediente sich aber zweier Sprachkulturen, um die Veränderung zu beschreiben; neben der nüchtern-analytischen Betrachtung hat er auf die mystisch-literarischen Traditionen zurückgegriffen, um seine Ängste und Hoffnungen zu thematisieren. "Understanding media" ist ein doppelbödiges Werk: die nüchterne Annahme, daß Technologien letztendlich nur eine "Verlängerung" des Menschen seien, die das anthropologisch Vorgegegebene zwar beeinflussen, dieses aber mehr potenzieren als grundsätzlich transformieren, wird überlagert durch den Glauben, den McLuhan in den Werken G.K. Chestertons und im bilderfreundlichen Katholizismus fand. So konnte er sein Urteil über die Veränderung der menschlichen Wahrnehmung mit einer religiösen Vision verbinden. Er glaubte, daß es die Grammatik des Wortes war, die die Menschen teilte und isolierte: Sie ermöglichte die Thematisierung der selbstsüchtigen Interessen im Individualbereich und im nationalen Kontext. (6) Demgegenüber werden die elektronischen Medien und die elektronisch unterstützte Kommunikation die Menschheit des großen Dorfes in den Zustand der Seligkeit, ja geradezu des Paradieses zurückbringen.(7)

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Dieser Glaube ist unter den Medientheoretikern keineswegs ausgestorben. Im Gegenteil: Er ist die eigentliche Triebfeder der Faszination, wenn gar nicht der Forschung selber. Der "Information Superhighway" ("Datenautobahn") und "Internet" inspirierten nicht nur die Redeweise von der "virtual reality" (8), sondern auch der "virtual community". Einer der Gurus der "virtual reality", Howard Rheingold, publizierte 1993 seinen ersten Erfahrungsbericht mit der "Virtual community" (9). Sein Urteil: die neuen Medien haben die Menschheit bereits auf allen Ebenen radikal verändert. Als Individuen unterscheiden sich die heutigen Jugendlichen von denen der Generation McLuhans: Ihre Menschwerdung vollzieht sich nicht mehr als Alphabetisierung, deswegen lesen sie auch nicht mehr, oder lesen anders als ihre Vorfahren und sind auf ihre Art und Weise kommunikativer; die Beziehungen von einer zur anderen Person funktionieren dank der medialen Vermittlung besser; schlußendlich ändert sich auch die politische Basis. Rheingold sieht in der virtual reality einen der entscheidenden Durchbrüche zur Ausbildung einer demokratischen Gesellschaft. Die elektronische Agora wird das zustandebringen, was die wirkliche Agora nicht schaffen konnte: eine weltweite Gemeinschaft. (10) An die Stelle des alphabetisierten Alteuropa tritt die digitalisierte Weltgesellschaft. In einem Land, in dem die Bedeutung von Raumgrenzen in jeder Stadt dem Besucher sofort in die Augen springt, und zwar als eine Grenze zwischen arm und reich, als eine Grenze zwischen jenen, die gesellschafts-politisch intergriert sind und jenen, die im Ghetto leben, kann die Vision einer "virtual community" als eine radikale Utopie, aber auch als der Inbegriff einer radikalen Verdrängung, oder gar als Zynismus gesehen werden. Man kann die Hoffnungen kaum besser zusammenfassen, als dies Nikolas Negroponte, Professor für Medientechnologie am Massachusetts Institute of Technology in seinem neuesten Buch tat: "Während die Politiker mit der Last der Geschichte zu kämpfen haben, wächst eine neue Generation heran. Durch die Digitalkultur ist sie von den alten Vorurteilen befreit. Die territorialen Grenzen, die die Basis für Freundschaft, Zusammenarbeit, Spiel und Nachbarschaft festlegten, sind den Jugendlichen keine Grenzen mehr. So kann die Digitaltechnik eine natürliche Kraft sein, die die Menschen zu einer größeren Weltharmonie bringt." Sein Werk heißt auch "Being digital" (11).

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Die Doppelbödigkeit vom Nüchtern-Analytischen und Mystisch-Religiösen, die noch bei McLuhan zu beobachten war, hat bei den heutigen Kommunikationstheoretikern und Visionären der morgigen Gesellschaft einer organischen Sicht Platz gemacht. Ihre Analysen werden von einer geradezu inbrünstigen Religiosität mitgetragen; einer Religiosität, die von einigen Theoretikern bereits als Folge der zweiten Revolution - der Ablösung des Wortes durch das Bild - begriffen wird. Die Darstellung des Weges "von den Tafeln der Sumerer zu den Chips von Silicon-Valley" (12) ist in unserer Gegenwart zu einem theologischen Unternehmen geworden. In diesem Zusammenhang wird einer der kulturrelevantesten theologischen Diskurse geführt, wenn auch oft auf eine verdeckte Art und Weise. (13)

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2. Die Religion des "großen Dorfes"

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Ist der Weg von den Tafeln der Sumerer nach Kalifornien wirklich ein Weg aus dem Reich der Zerwürfnis ins Reich des Friedens? Wie werden die Hoffnungen beschrieben und welcher Art von Theologie sind sie verpflichtet? Mit einer Klarheit sondergleichen nennt der Herausgeber des mcluhanschen Werkes Lewis H. Lapham in seiner Einleitung zur zweiten Auflage die theologische Logik beim Namen. Die neuen Medien haben eine postmoderne Vorstellungskraft mit sich gebracht, die er als "vor-christlich" bezeichnet. Den alten paganischen Glaubenssystemen vergleichbar, schaffen die neuen Medien mitten im Chaos eine Gemeinschaft, indem sie bei wechselndem, weil zweitrangigem Inhalt konstante Bilder zur Stützung von Identität liefern. Oberflächlich betrachtet denkt Lapham zuerst an den Starkult: ganz gleich, was die Nachrichten an Krieg und Zerstörung zu berichten haben, lächeln uns die Stars, die "Celebrities" von den Titelseiten der Illustrierten an. Sie lächeln, wie sie schon vor zwanzig Jahren gelächelt haben und - den lächelnden Buddhabronzestatuen vergleichbar - vermitteln sie dasselbe Sicherheitsgefühl. Dem Pantheon der alten Kleingötter vergleichbar nimmt das Pantheon der "Celebrities" dem Durchschnittsamerikaner die Alltagsprobleme mit derselben Wirksamkeit ab wie die alten Götter: von Schmerz über den Zweifel bis hin zur Angst vor dem Tod. (14)

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Das Fernsehen als die erste wirklich weltweite Religion, Video als die geläufige "Form ritueller Aktivität" der Zeitgenossen(15): Die Medien präsentieren dem Durchschnittszeitgenossen eine Bilderflut und deren rituelle Wiederholung. Sie beheimaten den Gegenwartsmenschen, indem sie ihm das Gefühl der religiösen Unmittelbarkeit verleihen und die Möglichkeit einer reflektierenden Distanz beseitigen. Die "Trennung von Wahrnehmung und Interpretation" ist nicht mehr möglich; der "Akt des Wahrnehmens besteht darin, Invarianzen zu konstruieren". (16) Wie geschieht dies? Durch Isolieren, durch Auswählen, durch Scharfstellen und unendliches Wiederholen. Die Erzählgemeinschaft wird ersetzt durch eine auf der Basis von rituellen Wiederholungen der zahllosen Videoclips sich immer neu konstituierende Kultgemeinschaft.

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Einem solchen Wahrnehmungsverfahren kann nur Ästhetik gerecht werden. Und welche Ästhetik? Norbert Bolz wies daraufhin, daß solche Beschreibungen der Wahrnehmung und der Ritualisierung im Kontext der neuen Medien der ästhetischen Vision Friedrich Nietzsches verpflichtet sind, wenn dieser - etwa in "Wille zur Macht" § 569 - die Logisierung des Weltchaos, die Schöpfung beschreibt. (17) Die Reduktion der Vielfalt durch Entscheidungen und die ritualisierten Fixierungen derselben markieren den Anfang und erlauben dem Menschen, sich als Bändiger des Chaos und als sein eigener Weltschöpfer zu erleben. Das neue Zeitalter, das mit der virtual reality verbunden ist, macht demnach den Menschen zu einem "Knotenpunkt" unendlich vieler Realitäten; "nicht nur Allwissenheit und Omnipräsenz" werden möglich; in Cyberspace scheint Zeit und Raum aufgehoben zu sein. Die ältesten religiösen Träume werden Wirklichkeit: Die elektronischen Bilder sollen Träger der Unsterblichkeit werden. (18)

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Die konsequente Besetzung traditioneller religiöser Begriffe und Metaphern mit den neuen Inhalten mag zwar den Theologen verblüffen; er soll aber darüber nicht nur lächeln. In der medial strukturierten Weltzivilisation finden wir die faszinierendste Ausgabe einer Kultur, die wie kaum eine andere den totalitären Anspruch erhebt, der alleinige Lebens- und Sterbehorizont der heutigen Menschen zu sein: Extra media nulla salus! Obwohl von den Menschen gemacht, präsentiert sie sich ihnen als vorgegeben: ein mysterium tremendum et fascinosum, erschreckend und segensbringend zugleich.

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Eine solche Beschreibung will bewußt die Rolle der neuen Medien mit der Rolle Gottes parallelisieren. So wie Gott die Welt erschaffen hat und diese im Dasein erhält, so auch die Medien: Sie erschaffen die Welt, erhalten sie im Dasein und lassen diese auch sterben. Dies trifft nicht nur auf die Einzelexistenz in der Öffentlichkeit zu; auch die globale Vision der gesamten Welt ist dagegen nicht immun. Mit der technischen Perfektionierung des Rechenpotentials der neuen Computer geht Hand in Hand der Glaube jener Medientheoretiker, die von den neuen Medien fasziniert sind. Dieser visiert aber die Rekonstruktion der "Leistung Gottes" in der Entstehung der globalen Wirklichkeit von der Schöpfungswirklichkeit bis hin zur eschatologischen Hoffnung an.(19)

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3. Und die immer noch größere "Macht Gottes"?

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Die neutral klingenden Selbstbezeichungen für solche Beschreibungen - pagane und heidnische Religiosität - wird der christliche Theologe durch das scharfe Urteil der jüdischen Propheten, die solche Logik mit dem Prädikat "Götzendienst" bezeichnet haben, ergänzen müssen. Und er wird, den jüdischen Propheten gleich, die Frage aufwerfen: Können die Götzen das leisten, was sie versprechen?

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Deswegen wird er sich wehren gegen die euphorische Neueinschätzung unserer Gegenwart, die einen radikalen Bruch mit der Vergangenheit postuliert. Er wird skeptisch jenen theologisierenden Einschätzungen des Zeitalters der Chips von Silikon Valley gegenüber stehen, die den damit begonnenen qualitativen Neubeginn unseres menschlichen Zusammenlebens prognostizieren, weil sie ihm verdächtig mythologisierend - verglichen mit der immer noch größeren Macht des sich in die Geschichte inkarnierenden Gottes - vorkommen. Deswegen wird er nach den "vertrauten" Spuren der Inkarnation Gottes suchen und sich gegen den Zwang zur totalen Formalisierung wehren, wie er seitens der von den neuen Medien faszinierten Kommunikationstheoretiker ausgeübt wird; zwar wird auch er nicht bestreiten, daß in unserer Welt weltweite Kommunikation in vielen Lebensbereichen erfolgreich ohne Sprache stattfindet und unser aller Leben dadurch auch komfortabel macht, er wird aber auch an jene Inhalte und Beziehungsaspekte menschlicher Kommunikation erinnern, die mit den Daten und Instruktionen des Rechners nicht verglichen werden können.

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Und er wird sich schlußendlich fragen, warum die Theoretiker und Visionäre der digitalen Einheitskultur ausgerechnet jene religiöse Tradition als überholt betrachten und an den Pranger stellen, die ihrerseits die Vorstellung der einen Welt und der damit gekoppelten Vision der einen Menschheit in das kulturelle Bewußtsein der Menschheit brachte. Leistet womöglich der jüdisch-christliche Gott im zivilisatorischen Kontext etwas, was die anderen Götter unmöglich leisten können, und soll er deswegen "gewaltsam" zum Schweigen gebracht werden? Der Vergleich der letzten Utopien beider Kulturen gibt auf diese Frage eine Antwort.

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Einer der entscheidenden Aspekte im Zusammenhang mit den Einheitsvorstellungen der jüdisch-christliche Tradition betrifft die Verbindung ihrer Einheitsvision mit dem Begriff der universalen Gerechtigkeit. Deswegen verschleiert sie die Opfer der Kultur nicht, reklamiert vielmehr ihr Recht, und setzt auch in diesem Kontext die normativen Grenzen einer "virtual community" fest: Erst dann, wenn dem letzten "geknickten Rohr" Gerechtigkeit erwiesen wird, darf das qualitativ Neue in der menschlichen Geschichte festgestellt werden. Die Hoffnung auf diese qualitative Veränderung wird weder mit der biologischen Kraft, noch mit der Macht der Technik verbunden; sie wird mit "personalen" Kategorien umschrieben. Wer aber eine "community" von dieser Qualität hervorbringt, kann berechtigterweise als "Gott": der Gott der Lebenden und der Toten gelobt werden. Sieht man die kulturtheoretischen Revolutionen Marschall McLuhans in diesem Licht, so wird man bei aller Faszination doch feststellen müssen, daß sie an der gesellschaftspolitischen Realität nicht nur nichts verändert haben, sondern diese noch verschleiern. Der Weg von den Tafeln der Sumerer zu den Chips von Silikon Valley ist demnach keineswegs der Weg aus dem Reich der Zerwürfnis ins Reich des universalen Frieden. Die Visionen der Kommunikationstheoretiker über den glücklichen paganen Lebenshorizont entpuppen sich zuerst als Neuauflagen eines Gewaltmythos, der seine Opfer zu verbergen sucht, ihnen also keineswegs Gerechtigkeit widerfahren läßt. L. H. Lapham irrt bewußt, wenn er die Religiosität unserer Zeit als "vor-christlich" qualifiziert (20) und so den Anschein der Unschuld beschwört. Hier geht der Glaube der Theoretiker und Visionäre der digitalen Kultur Hand in Hand mit dem immer stärker werdenden philosophischen Impuls der "Neuen Rechten", der eine einfache Rückkehr zu den Werten des Heidentums propagiert, zusammen. (21) Der tiefere Grund der Allianz liegt in der Ablehnung jenes Offenbarungsimpulses, der mit seiner Hoffnung auf die universale Gerechtigkeit den partikulären Kulturen ihre "Unschuld" raubt. Es ist eine "post-christliche", eine nicht mehr unschuldige - weil von den Opfern wissende, dieses Wissen aber verdrängende, längerfristig auch gefährliche - Religiosität.

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Angesicht der Vorherrschaft und des Erfolges der modernen Technologien wird die Frage nach den Kräften, die deren Mythen entschleiern und damit auch uns zu einer menschenwürdigen "reality" und "community" verhelfen, zunehmend brisanter. Die weltweite Digitalgemeinschaft wird durch Mythen, die der post-biblischen Religiosität verpflichtet sind, permanent religiös verklärt; soll sie menschlich bleiben, darf sie nicht in apokalyptischer Manier verteufelt werden. Sie muß permanent transformiert werden durch den Impetus der jüdisch-christlichen Religion. Mit einer solchen Aufgabenstellung bleibt sich diese religiöse Tradition nur ihrem ureigenen Lebensnerv treu, ist ihr doch die Begegnung und Auseinandersetzung mit anderen Wahrheits- und Heilsansprüchen nicht etwas nachträgliches. Sie gehört zum Wesen des Offenbarungsvorganges selber. Der sich in die Geschichte inkarnierende Gott ersetzt nicht den Kulturraum der Menschheit: weder den der archaischen Welt, noch den der digitalisierten Mediengesellschaft, vielmehr setzt er ihn voraus und transformiert diesen. Diese Transformation findet keineswegs automatisch statt; sie wird geleistet durch jene Menschen, die sich dem offenbarungstheologischen Impuls nicht verschließen und sich dem reduktionistischen Kommunikationsbild widersetzen: Anteilhabend an der Gegenwart, aber doch nicht angeglichen, Kritik übend, stellvertretend mit den Opfern solidarisch, und - wenn nötig - das Unheil auch erleidend. Dies alles können sie aber tun, weil sie von der Kraft des immer noch größeren Gottes getragen werden.

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Anmerkungen:

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1. M. McLuhan , Understanding Media. The Extension of Man. With a new introduction by Lewis H. Laphan. Cambridge Mass. 1994.

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2. Das 1964 zum ersten Mal erschienene Werk wurde auch ins Deutsche übersetzt: M. McLuhan , Die magischen Kanäle: Understandig Media. Frankfurt a. M. 1970.

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3. Vgl. M. McLuhan , Q. Fiore und J. Angel , The Medium ist the Massage (1967); dt.: Das medium ist Massage (sic!). Frankfurt a. M. 1969 (21984).

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4. Vgl. die Zeitschriften: "Wired" oder "Whole Earth Review".

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5. Der Begriff "Cyberspace" wurde 1984 vom W. Gibbson in seinem Roman: "Neuromancer" (dt. 1987) geprägt.

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6. Vgl. McLuhan (s.Anm. 1) v.a. 170-178.

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7. Vgl. McLuhan (s. Anm 1) 80: "The computer...promises by technology a Pentacostal condition of universal understanding and unity."

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8. Der Ausdruck wurde 1989 von J. Lanier geprägt; er verdrängte den früheren Begriff "artificial reality". Vgl. H. Rheingold , Virtuelle Welten. Reisen im Cyberspace. Reinbeck 1992.

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9. H. Rheingold , The Virtual Community. Homesteading on the Eletronic Frontier. Reading Mess. 1993: dt.: Virtuelle Gemeinschaft. Soziale Beziehungen im Zeitalter des Computers. Bonn 1994.

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10. Vgl. Ebd., vor allem die Kapiteln: "Daily Life in Cyberspace"; "Grassroots Groupminds" und "Disinformocraty".

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11. N. Negroponte , Being digital. New York 1995, 230.

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12. Vgl. N. Bolz , Am Ende der Gutenberggalaxis. Die neuen Kommunikationsverhältnisse. München 1993, 179

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13. Deswegen ist auch der Vorwurf der "Retheologisierung der Wirklichkeit" ein beliebtes Argument, um die Gegner und Kritiker der Kommunikationstheorien des digitalen Zeitalters zu überführen.

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14. L. H. Lapham , Introduction to the MIT Press Edition. The Eternal Now. In: M. McLuhan (s.Anm. 1) IX-XXII, hier XXf.

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15. M. Ch. Taylor , E. Saarinen , Imagologies. Media philosophy. London 1994, Teleeevangelism 1 und Video 12.

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16. J. Richards , E. von Glasfeld , Die Kontrolle der Wahrnehmung 214, zit. nach Bolz (s. Anm. 12) 39.

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17. N. Bolz , Chaos und Simulation. München 1992, 57-59.

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18. Vgl. Taylor (s.Anm. 15) Teleevangelism 7.

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19. F.J. Tippler , Die Physik der Unsterblichkeit. Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten. München 1994.

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20. Lapham (s.Anm. 14) XXf.

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21. Es ist jene neopagane Weltanschauung, die letztlich die Biologie der Ethik, der Ästhetik und der Theologie vorordnet und nur die "Macht der Tatsachen" als das letztgültige Wahrheitskriterium ansieht. Vgl. dazu: J. Niewiadomski , Einmaligkeit und Anspruch. Jüdisch-christliche Tradition in einer multikulturellen Welt. In: ThPQ 142 (1994) 3-11, hier: 6-8.

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